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Das Mädchen und der Graf

von

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Die Sonne prasselte unerbittlich auf das Land nieder. Die Bäume des nahe stehenden Waldes sorgten dafür, dass das kleine Häuschen mit dem es umgebenden Land und Feld ein wenig im Schatten lagen. Es war Hochsommer und die Ernte musste eingebracht werden. Der seichte Wind rauschte durch das Kornfeld und die Rispen des Getreides rasselten leise. Grillen zirpten überall.

Am Rande des Feldes waren eine junge Frau und ein junger Mann damit beschäftigt, die Ähren zusammen zu binden und aufzustellen. Sie trug ein einfaches Leinenkleid, welches bis auf den Boden reichte. Darüber hatte sie eine Schürze gebunden. Ihre Haare waren zu einem Knoten zusammengebunden und einzelne, braune Strähnen, fielen ihr ins Gesicht. Diese steckte sie sich immer wieder hinters Ohr. Die Ärmel ihres Kleides waren bis zu den Oberarmen hochgekrempelt. Ihr Gesicht war von der anstrengenden Arbeit gerötet. Der Junge überragte sie, als er sich aufrichtete und streckte, doch sein Gesicht schien jünger als ihres. Er trug eine kurze braune Hose und ging barfuß. Sein Oberkörper war braungebrannt von der Arbeit in der Sonne. Sie hatten noch viel Arbeit vor sich und Katherine, die junge Frau, blickte erschöpft über das Feld vor sich. Sie waren noch nicht einmal bis zur Hälfte gekommen und keiner wusste, wie lange das gute Wetter noch anhielt. Sie schaute skeptisch zum Himmel, doch dort waren nur einige Schönwetterwolken zu sehen. Außerdem würde in wenigen Tagen der Landbesitzer vorbeikommen und seine Abgaben einfordern. Der Rest der Familie war in die nächste Stadt gefahren, um Besorgungen zu machen. Sie konnten sich die Verzögerung nicht leisten, aber es war notwendig, dass diese Wege erledigt wurden.

Dieser schreckliche Michael Smith, der die Abgaben jedes Jahr erhöhte und den guten Ruf seines Vaters in Verruf brachte und seine jahrelange, harte Arbeit zunichte machte. Wenn sie länger darüber nachdachte, kroch der Ekel in ihr hoch. Wie oft war dieser Lüstling schon auf dem kleinen Hof ihres Onkels aufgetaucht und machte ihr zweideutige Angebote?! Immer wieder hatte sie ihn im Wald erwischt, wie er ihr nachstellte, wenn sie auf dem Feld arbeitete. Katherine traute sich inzwischen nur noch in Begleitung ihres jüngeren Cousins hinaus, auch wenn sie sich sonst gut zu wehren wusste. Er war ihr einfach unheimlich und sie traute ihm nicht über den Weg. Auch anderen Mädchen aus dem Dorf hatte dieser Smith schon nachgestellt! Er schien sonst nichts zu tun zu haben und war offensichtlich der Meinung, er könne sich alles erlauben!

Als kleines Mädchen hatte ihr Onkel sie auf seinem Hof aufgenommen und wie seine eigene Tochter behandelt. Sie konnte sich selbst kaum noch an ihre richtigen Eltern erinnern. Jedes Mal, wenn sie es versuchte, wurde ihr schwindelig und sie bekam Kopfschmerzen. Sie wusste nur noch, dass es unglaublich heiß gewesen war an dem Tag, als ihr Onkel sie auf seine Arme hob und zu sich nach Hause trug. Seit Jahren sprach keiner in der Familie mehr darüber. Früher hatte sie immer wieder danach gefragt, was geschehen war, aber niemand wollte ihr Antworten geben. Also gab sie es auf und fand sich damit ab. Und sie fragte nie wieder danach. Und manchmal, wenn sie in sich hineinhörte und ihre innere Stimme nicht antwortete, redete sie sich ein, dass es auch keine Rolle spielte, was in der Vergangenheit geschehen war. Dass es nur von Bedeutung war, dass es ihr jetzt gut ging. Doch richtig zufrieden war sie damit nie.

Katherine blickte zu ihrem Cousin, Mike, der gerade mit der Sense ausholte. Es war eine anstrengende Arbeit und wenn sie sich keine Hilfe holten, würden sie wohl nie rechtzeitig fertig werden. »Mike!«, rief sie schließlich und stellte eine fertig gebundene Garbe zur Seite. Er hielt in seiner Bewegung inne und blickte zu seiner Cousine hinüber. »Lass uns eine Pause machen. Ich hole uns Wasser.« damit drehte sie sich um und ging zum Brunnen hinter dem Haus. Sie scheuchte ein paar Hühner zur Seite, die ihr vor die Füße liefen. Am Brunnen stand noch der Eimer, den sie immer zum Wasser holen benutzte. Sie band ihn an das lange Seil und ließ ihn hinab. Als sie es platschen hörte wartete sie einen Moment. Dann zog sie den vollen Eimer hinauf, band ihn von dem Seil los und ging damit zu Mike zurück, der sich inzwischen am Waldrand, unter einer hohen Eiche, niedergelassen hatte. Schweigend stellte sie den Eimer neben ihm ab und setzte sich zu ihm. Katherine seufzte. »Wenn wir so weitermachen, werden wir bis zum Ende der Woche noch nicht fertig sein.«, meinte sie und blickte nachdenklich auf die vor ihr liegende Arbeit. »Ich weiß, aber es geht nicht anders. Vater ist auf dem Markt und Mutter ist hochschwanger. Die Kleinen können diese Arbeit noch nicht machen.«

Wieder seufzte Katherine, als er das sagte. Sie wusste, er hatte Recht, aber irgendeine Lösung mussten sie einfach finden! »Uns wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als die Bauern der anderen Höfe um Hilfe zu bitten.«, meinte sie dann. Mike schwieg.
 

Bevor er etwas darauf erwidern konnte, preschten auf einmal zwei Reiter an ihnen vorbei und mitten durch das Feld und störten somit ihre Unterhaltung und die Stille. Sie schienen die beiden gar nicht zu bemerken und trampelten rücksichtslos alles nieder, was ihnen in den Weg kam. Katherine war zunächst verdutzt, dann packte sie jedoch die Wut, als sie das Ausmaß des wilden Rittes sah. Die wertvolle Ernte wurde bin wenigen Augenblicken vernichtet und die jungen Reiter schienen es noch nicht einmal zu bemerken. Im Gegenteil, sie lachten ausgelassen und einer jagte den anderen. »Hey!«, schrie sie und sprang auf. Ihre Haare lösten sich nun gänzlich und fielen ihr wild um das Gesicht und über die Schultern. Doch keiner der beiden reagierte. »Kathi, lass das.«, versuchte Mike sie zurückzuhalten. Er hielt sie am Arm, aber Katherine schüttelte ihn nur ab. Entschlossen drehte sie sich um und griff nach einigen Äpfeln, die um einen anderen Baum, nahe des Feldes, la-gen. Sie packte sie in ihre Schürze und ging damit den Reitern hinterher. Diese waren inzwischen von ihren Pferden abgesprungen und duellierten sich mitten im Kornfeld. Sie schienen viel Spaß dabei zu haben. Zumindest lachten sie ausgelassen. Das machte Katherine noch wütender! Wie konnten sie nur so rücksichtslos sein? »Schön, dass ihr Spaß habt!«, knurrte sie leise. Einen Apfel hielt sie bereits in der Hand und nachdem sie ihn in ihrer Hand einige Male gedreht hatte holte sie weit aus und zielte auf einen der jungen Reiter. Sie traf ihn am Oberschenkel und endlich stoppten die beiden ihren Kampf und schienen sich darüber bewusst zu werden, wo sie hier waren. »Verschwindet gefälligst!«, schrie sie ihnen zu, während sie einige Schritte in deren Richtung ging und den nächsten Apfel griff. Die Männer sahen sie verdutzt an, als der zweite Apfel geflogen kam und den anderen an der Stirn traf. Ein dumpfer Aufprall war zu hören, gefolgt von einem Schmerzenslaut.

»Ist das Mädchen verrückt?«, wollte der eine von dem anderen wissen und rieb sich den Oberschenkel. »Nein. Ich glaube, sie ist einfach nur wütend. Lass uns gehen.« der andere zog ihn am Arm Richtung Pferde. Es kamen weitere Äpfel geflogen, die ihr Ziel allerdings verfehlten. Wohl zum Glück der Reiter, denn auf der Stirn des einen bildete sich bereits eine dicke Beule und Katherine schickte den beiden Wüstlingen noch wilde Beschimpfungen hinterher, während diese sich lachend auf ihren Pferden trollten. Sie blieb zurück und starrte den Reitern hinterher, bis sie wieder im Wald verschwunden waren. »Was hast du angestellt, Kathi?«, wollte Mike wissen, der plötzlich neben ihr stand. Er sah sie entrüstet und verständnislos an. »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wer weiß, was das für Leute waren! Wenn die deinetwegen zurückkommen, können wir uns warm anziehen.« »Na und?«, fauchte sie den Jüngeren an. »Ich dachte, du wolltest den Hof später von deinem Vater übernehmen! Wenn dem so ist, dann musst du auch in der Lage sein, ihn zu verteidigen und zu schützen. Das Feld ist momentan unsere einzige Ertragsquelle. Wenn wir die Ernte verlieren, sind wir nicht in der Lage, die Abgaben am Ende der Woche zu zahlen!« wütend ließ sie die Äpfel aus ihrer Schürze und zu ihren Füßen fallen. »Aber so kannst du nicht mit ihnen sprechen, Katherine! Du bist eine Frau! Du darfst noch nicht mal das Wort an sie richten, wenn du nicht danach gefragt wirst! Du hättest das mir überlassen sollen.« »Du hättest doch wieder gekniffen.«, fauchte sie und ging zurück zum Waldrand. »Wir sollten weiterarbeiten.«, meinte sie dann nur und widmete sich wieder der Aufgabe, die Garben zu bündeln. Sie war so wütend auf diese Männer und auch auf Mike! Immer wieder versuchten andere, ihr vorzuschreiben, wie sie sich zu verhalten hatten! Aber hätte sie abgewartet was passiert, wäre die ganze Ernte vernichtet worden und dann wäre der Hof am Ende der Woche in den Besitz von Mister Smith übergegangen!

Mike wusste, dass jegliche Diskussion mit seiner Cousine zwecklos war. Sie war schon immer wild und unberechenbar gewesen. Wenn ihr etwas nicht gefiel küm-merte sie sich selbst darum und dann mit all ihrer Kraft. Er konnte nur hoffen, dass sie mit ihrer Vermählung zahmer wurde! Sofern sie irgendwann überhaupt heiraten würde. Im Moment sah es noch nicht danach aus. Nicht einer der Burschen aus dem Dorf konnte ihr Herz gewinnen. Sie wies sie alle ab. Selbst sein Vater wusste sich keinen Rat mehr. Mike seufzte. So nahm er die Sense wieder in die Hand und schnitt das Getreide um sich keine weiteren Gedanken darüber machen zu müssen.

Bis zum Abend schafften sie gerade ein Viertel des gesamten Feldes. Ihnen blieben noch zwei Tage, um die Ernte einzuholen. Dann würde Michael Smith auftauchen und seine Abgaben einfordern!

Es war niederschmetternd, wie langsam sie arbeiteten! Katherine würde gleich am nächsten Morgen die umliegenden Bauern um Hilfe bitten. Anders würden sie es niemals schaffen! Jeden Sonnenstrahl mussten sie nutzen!
 

In einem herrschaftlichen Landsitz, auf der anderen Seite des Waldes, hielten sich unterdessen zwei gut gekleidete junge Männer in einem Salon auf. Der Ältere der beiden stand am Kamin und lehnte den Arm auf den Sims. Gedankenverloren schwenkte er das Cognacglas in seiner linken Hand und rieb sich mit der rechten über die schmerzende Stelle an seiner Stirn. Das Mädchen hatte ihn härter getrof-fen, als er zunächst angenommen hatte! Resis Eisbeutel hatte nicht den gewünschten Effekt gebracht. Er hatte noch immer Kopfschmerzen.

Ihr wütender und wilder Gesichtsausdruck ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Sie wirkte so wild und entschlossen, wie er es bisher noch nie bei einer jungen Frau gesehen hatte. Er war sich sicher, dass er dieses Mädchen schon einmal gesehen hatte. Ihre Augen erinnerten ihn an ein Mädchen, welches in seinen Kindertagen mit ihren Eltern auf dem Gut seiner Eltern gewohnt hatte. Ihr Vater hatte sich um die Stallungen seines Vaters gekümmert, bis eines Tages ein verheerendes Feuer wütete.

Der Jüngere setzte sich schelmisch grinsend in einen roten, samtenen Ohrensessel und schlug die Beine übereinander. Auch er hielt ein Cognacglas in der Hand und blickte seinen Bruder aufmerksam an. Die Ähnlichkeit zwischen ihnen war frappierend! »Sag’ bloß, sie hat dich ernsthaft verletzt.«, meinte er nur und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Er nahm einen Schluck und blickte weiter zu seinem Bruder und wartete auf eine Reaktion seinerseits, doch es kam keine. Er blickte einfach nur starr geradeaus und geradezu durch ihn hindurch.

»Was beschäftigt dich denn, Daniel? Du bist doch sonst nicht so ruhig!«, dies schien den Älteren der beiden aus seinen Gedanken zu reißen und er sah seinen jüngeren Bruder offen an. »Das Dorf auf der anderen Seite des Waldes macht mir Sorgen.«, eröffnete er dann. »Was kümmert es dich? Das Dorf geht dich nichts an. Es steht unter der Herrschaft der Smith-Familie. Es liegt jenseits unserer Herrschaftsgrenzen.« Daniel seufzte. »Du solltest lernen, deinen Horizont zu erweitern, Rick. Es mag uns nichts angehen, aber wir können wenigstens ein Auge darauf haben. Ich traue diesem Smith nicht über den Weg. Er ist habgierig und rücksichtslos. Er kümmert sich nicht um das Wohl der Menschen, die unter seinem Schutz stehen. Das darf nicht sein.«

»Du arbeitest eindeutig zu viel, Daniel. Du solltest mal wieder ausgehen und dich amüsieren. Besuche mal wieder eins der Feste, die unsere Tante so gern gibt. Dann findest du vielleicht auch endlich eine Frau, die dich auf andere Gedanken bringt oder zumindest ein wenig Zerstreuung.« Daniel schnaubte verächtlich. »Das Leben besteht nicht nur aus Spaß, Rick. Das wirst du früher oder später auch noch lernen.« »Ja, ja. Aber nicht in diesem Jahr.« damit stand der Jüngere wieder auf und trat einen Schritt auf seinen Bruder zu. »Ich hoffe für dich, dass du deine Meinung änderst, noch bevor unser Vater von seiner Reise zurück sein wird. Du weißt, er billigt nicht, wie du sprichst.« »Mach’ dir darüber mal keine Gedanken, Bruderherz. Wenn es nach ihm geht, wirst sowieso du sein Geschäft übernehmen. Dann bin ich doch fein aus dem Schneider.«, darauf erwiderte Daniel nichts. Er kannte seinen kleinen Bruder nur zu gut. Er konnte ihn jetzt noch nicht ändern. Er konnte nur hoffen, dass er bald erwachsen genug wurde, um sich seiner Verantwortung bewusst zu werden, die sein Name mit sich brachte. Wenn er weiterhin die Frauenherzen reihenweise brach, würde das noch ein schlimmes Ende mit ihm nehmen. »Wie dem auch sei.«, beendete Daniel daher das Gespräch mit seinem Bruder: »Ich werde morgen zu Mr. Smith reiten und mit ihm reden. So kann es nicht weitergehen. Unsere Häuser standen sich stets freundschaftlich gegenüber. Wenn ihm etwas an dieser Freundschaft lieft, wird er auf meinen Rat hören.« Rick stellte sein leeres Glas unterdessen auf den schweren Eichenschreibtisch. »Tu, was du nicht lassen kannst. Aber erwarte nicht zu viel. Ich für meinen Teil werde schlafen gehen.«

Nachdem Rick aus dem Salon gegangen war, strich sich Daniel wieder über die Beule an seiner Stirn. Seine Gedanken schweiften erneut zurück zu dem Mädchen. Diese funkelnden Augen! Ihr entschlossener Blick, ihr Land zu verteidigen, beeindruckte ihn insgeheim sehr. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er ihr schon einmal begegnet war. Sie erinnerte ihn an die Tochter ihres alten Stallmeisters! Er kam nicht umhin dies immer wieder festzustellen! In ihren Augen war stets eben dieses Funkeln zu sehen gewesen, wenn er sie wieder einmal geärgert hatte. Als er jetzt an diese weit entfernte Erinnerung zurückdachte, musste er schmunzeln.

Er schüttelte den Kopf und leerte sein Glas in einem Zug, um sich von diesem Gedanken loszureißen. Es gab Wichtigeres, als sich damit zu beschäftigen! Er hatte keine Zeit für Gefühlsduseleien.

Die Ernte stand auch auf seinem Besitz aus. Die Menschen, die auf dem Land sei-ner Familie lebten waren damit beschäftigt, sie rechtzeitig einzubringen. Anders als auf dem Land von Mr. Smith legten die Elchots keinen gesonderten Wert auf hohe Abgaben. Ihren Reichtum und ihren Wohlstand verdankten sie vor allem dem Handel mit Stoffen und Waffen. Und zu einem gewissen Teil auch ihrem Namen. Sie führten den Titel des Grafen und waren eng mit dem Königshaus verwandt. Dadurch genossen sie hohes Ansehen unter Ihresgleichen. Aber auch darauf legte Daniel keinen gesteigerten Wert. Er wusste, welche Bürde ein solcher Titel mit sich bringen konnte und sehr er stets im Fokus des Allgemeininteresses stand! Es war stets seine Pflicht korrekt zu erscheinen und höflich, auch wenn ihm nicht danach war.

Daniel seufzte.

Sein Vater würde bereits in wenigen Tagen von seiner Geschäftsreise zurückkehren. Für die Dauer seiner Abwesenheit hatte er es Daniel übertragen, die Geschicke seines Gutes zu leiten und für die Menschen zu sorgen, welche auf diesem Land lebten und arbeiteten. In absehbarer Zeit sollte er die Geschäfte seines Vaters dann ganz übernehmen. Noch war ihm nicht wohl bei dem Gedanken die Verantwortung für so viele Menschen zu tragen, aber er würde sich seinem Vater als würdig erweisen und nicht widersetzen. Sein Vater sollte stolz auf ihn sein und auch auf Rick. Er hatte es außerdem seiner Mutter auf dem Sterbebett versprochen, dass er dem Namen Elchot Ehre erweisen und auf seinen Vater acht geben würde.
 

Aus dem Eingansbereiches des Hauses wurden Stimmen laut und lenkten ihn von seinen Gedanken ab. Daniel erkannte die tobende Stimme von Resi, einer Bediensteten der Familie. Sie schimpfte und schrie Rick hinterher, welcher schallend lachte. Daniel musste schmunzeln. Rick machte sich trotz seines Alters noch immer einen Spaß daraus, die weiblichen Bediensteten des Hauses zu necken und zu ärgern. Wenigstens war auf die Art und Weise etwas Leben in diesen Räumen. Seit seine Mutter vor einigen Jahren gestorben war, war dieses Herrschaftshaus wie ausgestorben. Es gab keine Feste mehr in dessen Mauern, bis auf den Weihnachtsball und auch die vielen Verwandten kamen nur noch selten vorbei. Seine Mutter hatte die Familie immer zusammen gehalten und Feste veranstaltet, bei welchen immer viel gelacht und getanzt worden war. Seine Mutter war eine gute Tänzerin gewesen. Für ihn war es immer wieder verzaubernd gewesen, sie und seinen Vater zusammen zu sehen. Sie wirkten wie ein Königspaar aus einem Märchen. Aber nun war er erwachsen geworden und wusste, dass es so etwas nicht gab. Nun war diese Familie dabei, zu zerfallen. Und einen nicht geringen Teil trug seine Tante dazu bei, wenn er recht darüber nachdachte. Seine Tante und ebenso auch seine Cousine, Elisabeth, welche sich ihres Status‘ nur allzu bewusst war. Die beiden waren sich stets einig darüber gewesen wenn es darum ging, Unfrieden zu stiften. Nachdem seine Mutter verstorben war, war es ihnen auch endlich gelungen dafür zu sorgen, dass sich die Verwandtschaft zerstritt. Noch war ihm schleierhaft, was sie damit bezweckten, aber zu gegebener Zeit würde er es herausfinden und dann würde er dafür sorgen, dass diese Personen nie wieder auch nur einen Fuß über die Schwelle dieses Hauses setzten!

Doch außer ihm schien das keiner so zu sehen, weswegen er es für sich behielt. Nicht einmal Rick zog er ins Vertrauen in dieser Sache. Noch mehr Streitereien innerhalb der Familie konnte er nicht gebrauchen.

Die große Standuhr im Arbeitszimmer schlug bereits elf. Es war Zeit, sich zur Ruhe zu begeben. Für die anstehenden Geschäfte musste Daniel ausgeruht sein. Als er das Zimmer verließ, löschte ein Diener hinter ihm die Kerzen. Im Schein einer Kerze, die am Treppenabsatz stand und die er nun mit sich nahm, ging er langsam die Treppe ins erste Stockwerk hinauf, wo sein Schlafzimmer lag. Dieses riesige Haus wirkte völlig verlassen. Vielleicht hatte Rick Recht und es wurde Zeit, dass hier eine Frau Einzug hielt und für Ordnung und Leben in den Räumen sorgte! Möglicher-weise sollte er doch einmal eines dieser Feste besuchen. Es konnte nicht schaden, sich zumindest einmal umzusehen.
 

Katherine stand am nächsten Tag bereits kurz vor Sonnenaufgang auf, um das Frühstück für die Familie vorzubereiten. Sie weckte die Kleinen, zog sie an und setzte sie an den Tisch. Sie waren zwar noch klein, aber wenn sie rechtzeitig mit der Ernte fertig werden wollten, mussten auch die Jüngsten mit anfassen, egal was Mike davon hielt! Als auch Mike endlich am Tisch saß, verabschiedete sich Katherine, um einige Bauern um Hilfe zu bitten. Es dauerte einige Zeit, bis sie zurück war. Doch immerhin konnte sie gute Nachrichten verkünden. Einige hatten sich dazu bereit erklärt, ihnen zur Hand zu gehen, sobald ihr eigenes Vieh versorgt war. So würden sie vielleicht schon zum Mittag fertig sein! Im Gegenzug würde ihre Familie dann die anderen bei der Ernte unterstützen und ihnen helfend unter die Arme greifen.

Ihr Onkel war zu Mr. Smith aufgebrochen, um ihn noch einmal um einen Erlass zu bitten. Die Bauern des Dorfes standen bereits am Rand ihrer Existenz. Wenn die Abgaben weiter stiegen, würden sie ihren Kindern bald beim Verhungern zusehen! Das versuchte er ein letztes Mal zu verhindern. Die Menschen im Dorf vertrauten ihm und hatten ihn darum zum Sprecher gewählt. Wann immer es darum ging schwierige Entscheidungen zu treffen, war Onkel John da gewesen um das Dorf zu unterstützen und eben jene Entscheidungen auf sich zu nehmen und somit not-falls auch die Missgunst der Bauern.

Katherine machte sich keine großen Hoffnungen und ihr Onkel vermutlich auch nicht, aber für die Bewohner wollte er es wagen. Er war einfach ein herzensguter Mensch. Dazu kam allerdings, dass der junge Mr. Smith ihr seit geraumer Zeit nachzustellen schien. Als sie ihrem Onkel davon berichtete, war dieser freudig aufgesprungen und meinte nur, dass sie es nicht besser treffen könnte! Mr. Smith sei eine gute Wahl und somit könnte sie auch einen Erlass der Abgaben erreichen. Sie sollte sich freuen, dass ein Edelmann Gefallen an ihr fand. Doch sie konnte sich mit dem Gedanken nicht anfreunden. Er war ihr unheimlich. In seinem Blick lag nichts Gütiges und wenn er sprach, lief ihr jedes Mal ein Schauer über den Rücken. Ihr war nicht wohl dabei, dass ihr Onkel das alles so leicht nahm und sich stattdessen auch noch freute, anstatt sie zu schützen und misstrauisch zu sein! Was, wenn Mr. Smith ihn um den Finger wickelte, was das heiraten anging?!

Als der alte Mr. Smith noch die Hand über dieses Land hielt, waren die Zeiten wesentlich besser gewesen. Sie erinnerte sich gern an die Zeit, als sie als kleines Mädchen mit vielen anderen Kindern auf dem Gut des Herrn spielen durften. An sonnigen Tagen saß er oft im Schatten eines Baumes mit einer Tasse Tee und einer Zeitung. Ein Diener stand stets neben ihm, um seine Wünsche zu erfüllen. Katherine erinnerte sich auch, dass er immer auf einem weißen Stuhl saß und ein weißer runder Tisch neben ihm stand. Oft saßen sie und ihre Freunde dann zu sei-nen Füßen und er erzählte ihnen Märchen und Legenden. Es war eine sehr schöne Zeit gewesen und Kathi hatte jedes seiner Worte aufgesaugt und regelrecht verschlungen. Sie hing an seinen Lippen, gierig auf jedes seiner Worte.

Doch Zeiten änderten sich und inzwischen war der alte Mr. Smith so gebrechlich, dass sein Sohn sämtliche Geschäfte für ihn führte und dabei war, alles zu verder-ben, was sein alter Herr über die vielen Jahrzehnte mühsam aufgebaut hatte. Ob der Alte wohl wusste, was sein Sohn da eigentlich trieb? Selbst wenn, war er über-haupt noch in der Lage, ihm Einhalt zu gebieten?
 

Daniel Elchot war bereits in aller Frühe aufgebrochen. Rick, sein jüngerer Bruder, schlief zu dieser Zeit für gewöhnlich noch. Er konnte ihn gut nachvollziehen. Rick machte sich keine Gedanken um seine Zukunft. Er lebte für den Augenblick und genoss seinen Reichtum und die Aufmerksamkeit der Mädchen. Sie scharrten sich regelrecht um ihn. Es schmeichelte ihm und wenn Daniel ehrlich zu sich war, dann war es ihm vor nicht all zu langer Zeit genauso gegangen. Hin und wieder vermisste er die scheuen Blicke der jungen Damen hinter ihren Fächern, wenn er den Raum betreten hatte. Rick war gutaussehend, das wusste dieser auch. Alle himmelten ihn an und erlagen seinem Charme. Allerdings schlug er genau deswegen auch oft über die Strenge und schlief dann am nächsten Tag seinen Rausch aus.

Aber inzwischen hatten sich die Prioritäten geändert und wenn Rick das nicht bald einsah, würde er große Schwierigkeiten mit ihrem Vater bekommen. Mit dieser Einstellung konnte er das Gut nicht im Sinne seines Vaters weiterführen. Andererseits blieb Rick immer noch die Möglichkeit, die Handelsgeschäfte seines Vaters im Ausland zu übernehmen. Er wäre somit in der Welt unterwegs und würde viele neue Länder sehen und bereisen.

Wie auch immer er sich entscheiden würde, ab diesem Zeitpunkt musste er seine Lebenseinstellung von Grund auf ändern. Doch bevor es soweit war, war es an Daniel die Geschicke dieses Guts, im Sinne seines Vaters, zu lenken und zu leiten, bis dieser wieder eintraf. Und das beinhaltete eben auch, sich mit diesem Michael Smith herumzuärgern. Das Verhältnis zwischen ihm und dem jungen Mr. Smith war seit jeher schwierig gewesen, obwohl Daniel stets versucht hatte, höflich zu bleiben. Die beiden hatten ein gemeinsames Eliteinternat besucht und gemeinsam den Dienst in der Armee der Königin angetreten. Seite an Seite hatten sie gekämpft! Und trotzdem würden sie wohl nie Freunde werden. Zumindest nicht, solange es nach Michael ging.

Daniel ergriff die Zügel des braunen Hengstes, die ihm ein Stallbursche reichte und gab dem Pferd leichten Schenkeldruck. Auf seinem Weg zum Land von Mr. Smith kam er auch am Hof des Mädchens vorbei, das ihm am Tag zuvor eine Beule ver-passt hatte. Wenn er daran zurückdachte, musste er unweigerlich schmunzeln, auch wenn es noch immer schmerzte. Ihr Blick ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. So wild und entschlossen zugleich!

Am Rande des Feldes blieb er kurz stehen und beobachtete eben dieses Mädchen, wie es mit einigen Kindern und Bauern Ären auflas und zu Garben bündelte. Sie waren ebenso mit der Ernte beschäftigt wie die Bauern auf seinem eigenen Land. Sie schien ihn nicht zu bemerken und selbst wenn, dann schien es sie nicht besonders zu interessieren. Zumindest beachtete sie ihn nicht. Verständlich. Der Tag, an dem die Abgaben fällig wurden, rückte näher. Jeder war damit beschäftigt die Ernte einzuholen und vom Ersparten die Steuern an den Landsherrn zu zahlen. Und das war Mr. Smith, der Grund, warum sich Daniel überhaupt erst auf den Weg gemacht hatte.

Als er sich das wieder in Erinnerung rief, gab er seinem Pferd die Sporen und ritt weiter. Auch wenn ihn die Geschäfte von Mr. Smith nichts angingen und die Bauern nicht auf seinem Land lebten, so konnte er doch wenigstens mit ihm sprechen. Er konnte sich noch gut daran erinnern, mit welcher Hingabe und welchen Grundsätzen dessen Vater sich um das Land gekümmert hatte. Und genau darum erschien es Daniel so wichtig, dessen Sohn daran zu erinnern. Er war kein Freund von Streitigkeiten, aber wenn es sich nicht vermeiden ließ, würde er einer Konfrontation nicht aus dem Wege gehen.

Nur wenige Minuten später übergab Daniel die Zügel seines Pferdes einem Jungen, der sich um den braunen Hengst kümmerte. Währenddessen schickte er sich an, den Hausdiener über sein Erscheinen in Kenntnis zu setzen. Während dieser sich auf den Weg zu Mr. Smith machte, wartete Daniel Elchot in der Empfangshalle. Ein älterer Mann kam ihm aus der Richtung entgegen in welcher das Arbeitszimmer von Michael lag. Er ging gebeugt, mit gesenktem Haupt und hielt eine Mütze zwischen seinen Händen. Die Unterredung mit Mister Smith schien nicht sehr positiv für ihn verlaufen zu sein. Als der Mann den Adligen bemerkte, verbeugte er sich, wie es sich gehörte und verschwand dann schnell. Daniel sah ihm nachdenklich hinterher. Ihm war, als hätte er dieses Gesicht schon einmal irgendwo gesehen, doch er war sich nicht sicher, wo oder wann.

Dann richtete Daniel sein Augenmerk wieder auf die Ausstattung des Hauses.

Der Überfluss, dem jeder, der diese Halle betrat, ausgesetzt war, erdrückte ihn. Zwar war er selbst in die Schicht der Adligen hineingeboren worden, doch nie hatten ihm Reichtum und Macht besonders viel bedeutet. Und seine Mutter hatte ihn immer wieder daran erinnert und gemahnt, was wirklich zählte im Leben. Sie war es gewesen, die Benefizveranstaltungen gab und regelmäßig das Waisenhaus besuchte und auch unterstützte. Sie hatte Kleidung gekauft oder Lebensmittel um den Kindern das Leben etwas annehmbarer zu machen. Wie oft hatte sie ihn auf ihren Ausflügen dahin und ins Armenviertel mitgenommen um ihm deutlich zu machen, dass es ihre Pflicht war, denjenigen zu helfen, die vom Leben nicht so gesegnet waren wie seine Familie. Sie war immer sehr bescheiden gewesen und bis zum Schluss geblieben. Diesem Mr. Smith schien es jedoch äußerst wichtig zu sein zu zeigen, wer er war.

Michael Smith, der Sohn des Landsherrn, kam die Treppe hinunter. Er machte ei-nen aalglatten Eindruck auf Daniel, wie immer, wenn sie sich begegneten. Es würde nicht einfach werden, ihn zu überzeugen etwas Gutes für die Menschen auf seinem Land zu tun. Für seinen Anzug schien er wieder mal Unsummen ausgegeben zu haben. Auch das ärgerte Daniel sehr. »Wir haben uns lange nicht mehr unterhalten, Daniel.«, eröffnete Michael, noch während er die Treppe hinunterging. »Was verschafft mir diese seltene Ehre?« »Ich würde das gern an einem ruhigeren Ort mit dir besprechen, Michael.«, erwiderte Daniel nur. »Aber gern. Gehen wir ins Arbeitszimmer.« Michael ging Daniel voraus, als er das untere Ende der Treppe erreichte und bog rechts neben ihr um eine Ecke. Im Schatten der Treppe befand sich eine zweiflügelige Tür, die in ein sehr geräumiges Arbeitszimmer führte. Direkt in dessen Mitte stand ein Schreibtisch, ein Kerzenhalter stand auf der linken Seite. Michael ging direkt zu einem Wandschrank und nahm ein Glas Cognac heraus. Erst dann drehte er sich wieder zu Daniel um.

»Also, worüber wolltest du mit mir sprechen?«, fragte er nach. Er bot ihm nicht einmal ein Glas an. Das sah ihm ähnlich und machte Daniel deutlich, dass er nicht wirklich erwünscht war. »Ich mache mir Sorgen.« »Sorgen? Um was?« »Darum, wie du mit den Leuten, die auf deinem Land leben und arbeiten, umgehst.« »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.« »Ich spreche von den Abgaben, Michael.« »Ach, die Abgaben. Und, was soll mit denen sein?« »Ich finde es nicht gut, dass du sie angehoben hast. Bereits im vergangenen Jahr hast du eine Erhöhung vorgenommen. Warum in diesem Jahr wieder? Die Leute leben hier am Rande der Existenz. Willst du ihnen auch noch den letzten Rest nehmen? Du wirst dir deinen Prunk bald nicht mehr leisten können, wenn du so weitermachst, weil die Leute von deinem Land wegziehen.« »Es war eine erfolgreiche Ernte in diesem Jahr. Wenn die Leute neue Brunnen für ihre Dörfer wollen und andere Annehmlichkeiten, müssen sie auch bereit sein, etwas dafür zu geben.« »Deine Familie ist sehr wohlhabend, Michael. Du könntest private Gelder nutzen, um diese Baumaßnahmen zu finanzieren. Es würde dir nicht wehtun und die Leute zufriedener stimmen. Du ziehst immer mehr Unmut auf dich. Bemerkst du das denn nicht?« »Ich frage mich immer wieder, Daniel Elchot, warum du dich ständig in meine Belange einmischen musst? Was ich auf meinem Land tue und lasse, sollte dich nicht sonderlich interessieren. Wenn mich nicht alles täuscht, solltest du mit deinem Bruder und dem Warenhandel deines Vaters doch genug um die Ohren haben.« »Ich bin lediglich besorgt. Ich wusste nicht, dass das verboten ist.« »Deine Besorgnis in allen Ehren, aber was ich hier tue ist immer noch meine Sache und geht dich nicht das Geringste an. Ich würde dich daher bitten, dich aus meinen Geschäften herauszuhalten.« »Noch gehört dir das Land nicht. Du kennst die Forderung, die dein Vater stellt, wenn du seine Geschäfte übernehmen willst.« Michael machte eine böse Miene und stellte das Glas zur Seite. »Wir werden sehen. Ich bin zuversichtlich, was das angeht. Wenn das dein einziges Anliegen war, dann bitte ich dich nun, zu gehen. Es gibt wohl nichts, was wir in der Sache noch zu besprechen haben.« Daniel, der noch immer im Raum stand, ließ sich in einem Sessel nieder. »Vor nicht all zu langer Zeit, war alles einfacher. Findest du nicht auch?«, eröffnete er dann. Er machte nicht mal Anstalten, zu gehen.

»Zeiten ändern sich und somit auch die Prioritäten. Wenn wir alle Maßnahmen aus eigener Tasche zahlen würden, wäre meine Familie bald bankrott. Wenn du diese Methode auf deinem Land praktizieren möchtest, nur zu. Ich habe damit nichts zu tun. Wer etwas haben möchte, sollte auch etwas dafür geben.« »Du hast dich sehr verändert, Michael.« »Wir alle ändern uns, Daniel. Halte dich aus meinen Geschäften heraus. Ich warne dich zum letzten Mal.« »Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass ich mich in deine Geschäfte einmische, Michael. Unsere Familien kooperieren bereits seit Jahrzehnten miteinander. Wenn du dir meinen Rat nicht annehmen willst, muss ich andere Mittel und Wege finden um dich zur Räson zu bringen.« »Du kannst mir drohen soviel du willst. Du wirst meine Meinung nicht ändern.« Daniel stand aus dem Sessel auf und wandte sich zur Tür. »Wenn das so ist, weiß ich, was ich zu tun habe.« mit diesen Worten entfernte sich Daniel wieder. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass es schwierig sein würde, Michael davon zu überzeugen, dass er nicht den richtigen Weg wählte, um sich die Sympathien der Bewohner zu sichern. Aber diese Erfahrung musste er wohl selber machen. Es lag vorerst nicht in Daniels Macht, etwas daran zu ändern. Der Einzige, der Michael jetzt noch ins Gewissen reden konnte war sein eigener Vater, aber der würde herzlich wenig unternehmen. Er war froh, sich um diese Belange nicht mehr kümmern zu müssen.

Wieder im Freien, übernahm Daniel die Zügel seines Pferdes und saß auf. Er hatte noch andere Wege und Geschäfte zu erledigen, die wichtiger waren, als sich den ganzen Tag mit dieser Angelegenheit hier auseinanderzusetzen. Aber es ärgerte ihn sehr, dass mit Michael kein vernünftiges Gespräch mehr möglich war. Er war schon immer eigen gewesen, doch so selbstsüchtig, hatte selbst Daniel ihn nicht in Erinnerung.
 

Die Ernte auf dem Feld von Katherines Familie dauerte bis zum Abend. Alle arbeiteten unermüdlich, bis auch die letzte Garbe zusammengebunden war. Ihr Onkel würde sie dann gemeinsam mit Mike und ihr am nächsten Tag einholen. Auf die Art und Weise blieb ihnen allen noch genug Zeit bis zum Ende der Woche. Gerade, als sich Katherine den Staub von der Schürze klopfte, erschien einer der Reiter vom Vortag am Waldrand. Er schien sie offen anzublicken. Sie erinnerte sich, dass sie bereits am Vormittag eine Bewegung am Waldrand wahrgenommen hatte. Ob er da bereits vorbei gekommen war? Beobachtete er sie etwa? Es hatte sie nicht sonder-lich interessiert bei der vielen Arbeit. Es wunderte sie nicht, dass der junge Mann hier auftauchte. Vermutlich war er gekommen, um sie für ihr Verhalten vom Vortag zu tadeln oder hatte sie gar bei Mr. Smith angeschwärzt. Sie erwartete, dass er ihr irgendwie zu verstehen geben würde, dass sie zu ihm kommen sollte, doch nichts dergleichen geschah. Er blickte sie einfach nur eine Weile an, dann ritt er davon. Katherine erschien das mehr als eigenartig. Ihr blieb aber auch keine Zeit, sich weiter damit auseinanderzusetzen, denn die Kleinen umringten sie bereits wieder und wollten mit ihr spielen.

Nur Wenige Augenblicke, nachdem sie sich um Katherine versammelt hatten, stand deren Mutter in der Tür und rief alle zum Abendessen. Sie hielt schützend eine Hand auf ihren Bauch. Auch die Bauern, die beim Ernten geholfen hatten, wurden an diesem Abend im Haus der Familie bewirtet. Es war ein fröhliches Beisammensein an diesem Abend und keiner machte sich über die bevorstehende Ankunft des Landsherrn Gedanken. Sie feierten, lachten und waren fröhlich. Auch Katherine wurde von der Ausgelassenheit der Leute angesteckt und ließ die Sorgen für die-sen einen Abend hinter sich.

Als die Sonne lange untergegangen war, lagen auch endlich alle Kinder im Bett und schliefen selig. Auch für Kathi ging ein langer Tag zu Ende. Selten fühlte sie sich so müde und erschöpft wie an diesem Tag. Gleich, nachdem sie sich zur Ruhe legte, schlief sie ein und erwachte erst, als ihr Cousin und dessen Vater am nächsten Tag schon lange auf dem Feld waren und die Garben einholten. Ihr Onkel wollte noch am selben Tag damit zum Markt fahren, um sich Einiges von dem Getreide in Münzen wechseln zu lassen. Bereits am darauf folgenden Tag würde der junge Mr. Smith hier sein und seine Abgaben verlangen.
 

Daniel saß im Arbeitszimmer seines Vaters und arbeitete einige Unterlagen durch, die sein Vater ihm geschickt hatte. Er hatte auf seiner Geschäftsreise neue Handelsverträge mit den Franzosen abgeschlossen und bat nun um Daniels Meinung. Doch was nützte es ihm, aus der Ferne darüber zu brüten? Es wäre besser gewesen, er würde seinen Vater begleiten! Auf diese Weise hätte Rick Verantwortung für das Gut übernehmen und ein Stück weit erwachsen werden können. Und er, als ältester Sohn, könnte seinem Vater bei der Arbeit über die Schulter schauen und ebenfalls ein Stück weit Verantwortung übernehmen, was die Geschäftsbeziehungen betraf. Aber es war nun nicht mehr zu ändern und so musste Daniel das Beste aus der Situation machen. Gegen Mittag waren wieder empörte Stimmen aus der Halle zu hören und eine von ihnen erinnerte sehr an Resi und nur wenige Augenblicke später stürmte sie entrüstet ins Arbeitszimmer. Als sie Daniel am Schreibtisch sitzen sah, erstarrte sie mitten in ihrer Bewegung und blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. An ihrem Gesichtsausdruck konnte er deutlich erkennen, dass sie nicht damit gerechnet hatte, Daniel hier vorzufinden. Er jedoch schmunzelte nur und bedeutete ihr, hereinzukommen.

»Was hast du denn, Resi? War mein Bruder wieder zu ungestüm, dir gegenüber?«, wollte er schmunzelnd wissen. Sie strich sich einige Strähnen zurück und richtete hastig ihre Schürze. »Herr, ich bitte Euch erneut: bringt Eurem Bruder Manieren bei! Er ist unmöglich und kein Rock ist sicher vor ihm. Noch nicht einmal die neue Magd in der Küche ist vor seinen Schandtaten sicher!« Daniel konnte sich das Lachen nur mit Mühe verkneifen. »Resi. Du bist doch eine selbstbewusste Frau. Wenn mein Bruder dir zu nahe tritt, dann hau ihm auf die Finger. Er braucht das hin und wieder und es zeigt sicher mehr Wirkung, wenn du es ihm selbst zu verstehen gibst, als wenn ich auf ihn zugehen würde.« Resi atmete tief durch. An ihrem Blick konnte Daniel sehr wohl erkennen, dass sie ihm nicht glaubte. »Mir ist heute wirklich nicht nach scherzen zu Mute, Herr. Die Streiche Eures Bruders gehen allmählich zu weit. Wenn Ihr ihm nicht Einhalt gebietet muss ich Euren Vater davon unterrichten, sobald er wieder auf dem Gut eintrifft.« Daniel seufzte und legte die Feder zur Seite, die er noch immer in der Hand hielt. Eigentlich hatte er gerade keine Zeit für solche Banalitäten. Neben den Verträgen, die er für seinen Vater prüfen sollte, musste er sich ernsthafte Gedanken darüber machen, ob er die Kooperation mit der Familie Smith unter diesen Umständen weiter aufrechterhielt! Langsam stand er auf und ging auf Resi zu, um ihre Hand in seine zu nehmen und mit der anderen zu bedecken. Er schenkte ihr ein offenes Lächeln. »Ich verspreche dir mit ihm zu reden. Aber ich bitte dich auch, es ihm nachzusehen. Er scherzt eben gern mit dir und den anderen.«

Resi blickte ihn noch einen Augenblick tadelnd an, dann verließ sie das Arbeitszimmer wieder. Daniel blickte ihr hinterher, doch mit seinen Gedanken war er längst wieder bei der Arbeit. Schmunzelnd ging er an den Schreibtisch zurück. Ricks Frechheiten waren im Moment alles, was diesem Haus ein wenig Leben einhauchte und er war dankbar darüber. Alles würde noch trostloser erscheinen, wenn sich etwas daran ändern würde.

Doch noch ehe er sich ernsthaft wieder um die Unterlagen kümmern konnte, betrat Rick ohne Vorankündigung den Raum und ließ sich auf der anderen Seite des Schreibtisches in einem Sessel nieder. Er schlug, wie immer, die Beine übereinander und hakte die Finger ineinander. Diese Pose hatte er wohl von ihrem Vater. Er sah aus wie ein alter Aristokrat. Aufmerksam musterte er seinen Bruder, der ihn entweder nicht bemerken wollte oder noch nicht zur Kenntnis genommen hatte, dass er hier war. Auf jeden Fall machte er keine Anstalten, seinen jüngeren Bruder zu beachten. Rick verharrte einige Augenblicke so. »Was willst du, Rick?«, sprach Daniel ihn schließlich an, ohne von der Arbeit aufzusehen. »Du arbeitest zu viel, Daniel. Warum sitzt du schon wieder hier drin und vergeudest den Tag mit solchen Sinnlosigkeiten?« »Das sind keine Sinnlosigkeiten, Rick.«, meinte der Ältere tadelnd und legte die Feder nieder, um seinen Bruder nun anzusehen. »Es geht hier um wichtige Geschäftsbeziehungen, welche die Zukunft unserer Familie sichern sollen. Wenn wir nichts dafür tun, werden wir unseren Lebensstandart nicht mehr sehr lange so halten können. Und wenn ich mich richtig erinnere, dann profitierst vor allem du im Moment von unserem Wohlstand, Rick. Du solltest dir allmählich darüber klar werden, dass wir für unser Geld arbeiten müssen.« »Solange Vater die Geschäfte noch führt, ist doch alles in Ordnung. Und sobald sich daran etwas ändern sollte, werde ich meinen Teil der Verantwortung schon auch übernehmen. Aber bis dahin genieße ich mein Leben und die Freiheiten und Annehmlichkeiten, die es mir bietet. Das solltest du auch tun. Seit unserem letzten Ausritt bist du sehr verändert. Gönn dir etwas Entspannung. Elisabeth gibt morgen Abend ein großes Fest. Wir sind beide dazu eingeladen. Und wenn du mich fragst, sollten wir dort auch hingehen. Sie führt Damen in die Gesellschaft ein und sicher werden die bewundernden Blicke der Mädchen sofort auf dir haften. Willst du dir ihre Schmeicheleien wirklich entgehen lassen?« »Rick.« Daniel seufzte und schüttelte leicht den Kopf. »Ich muss mich um die Geschäfte von Vater kümmern. Wann begreifst du das endlich? Elisabeth gibt pausenlos irgendwelche Bankette. Es wird ihr gar nicht auf-fallen, wenn ich nicht erscheine. Viel wichtiger ist, dass es den Leuten auf unserem Land gut geht.« »Ich glaube, die Bauern hier kommen auch mal einen Abend ohne dich aus. Hör’ auf, dich rauszureden. Resi hat dir deinen Anzug schon zurecht ge-legt. Wir werden gemeinsam dorthin gehen. Beth freut sich, dich mal wieder zu sehen. Außerdem gehört sie zur Familie.« Daniel sah seinen Bruder eindringlich an, doch dieser schien nicht nachzugeben. Er griff sich an den Kopf. »Na schön, du hast gewonnen. Gehen wir also auf dieses lächerliche Fest.«
 

Am nächsten Tag verlud Katherine gemeinsam mit ihrem Onkel und Mike das Getreide auf einem Wagen, den ihr Onkel zusammen mit dem Gespann von einem benachbarten Bauer ausgeliehen hatte. Auf dem Markt würde er hoffentlich genügend dafür bekommen, um die Abgaben an Mister Smith zahlen zu können. Das hoffte Katherine zumindest und als sie ihrem Onkel nachgewunken hatte, bis er hinter einer Kurve verschwunden war, widmete sie sich den Hühnern hinter dem Haus.

Nur wenige Stunden später war Katherines Onkel vom Markt zurück. Seine Frau erwartete ihn bereits in der Tür und blickte ihm entgegen. Katherine war inzwischen in der Küche damit beschäftigt, das Abendessen zuzubereiten. »Wie war es auf dem Markt?«, wollte ihre Tante wissen. »Es war gut. Wir müssen uns wegen des Winters keine Sorgen machen und auch nicht wegen der Abgaben. Mister Smith wird keinen Grund haben, erbost zu sein. Die Preise für Getreide stehen im Moment gut.« »Das ist gut.« die beiden traten in das niedrige Haus. Es roch nach Kartoffel-suppe. Kathi deckte den Tisch und bat ihren Onkel und ihre Tante dann, Platz zu nehmen.

Am nächsten Morgen waren alle schon sehr früh auf den Beinen. Jeder war nervös wegen des anstehenden Besuchs vom jungen Mister Smith. Niemand wusste, auf was man sich gefasst machen musste. Es konnte dem Herrn genauso gut noch ein-fallen, die Abgaben im letzten Augenblick doch noch zu erhöhen. Gerade, als Katherine sich daran machen wollte, einige Kartoffeln aus dem Garten hinter dem Haus zu ernten für das Mittagessen, wurden Stimmen laut und das klappernde Geräusch vom Zaumzeug und Pferdehufen wurde laut. Sie drehte sich um und sah die Reiter bereits auf dem Weg um die Ecke kommen. Langsam stellte sie die Harke an die Hauswand und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Sie ging durch die Hintertür und das niedrige Haus und stellte sich neben ihren Onkel, der bereits vor der Tür stand. Seine Frau stand neben ihm, um den Gästen Begrüßungsgetränke anzubieten. Die Kleinen tobten um die Erwachsenen herum.

Einige Augenblicke später riss der junge Mister Smith die Zügel seines schwarzen Hengstes herum und es hielt schnaubend vor Katherines Onkel an. Katherine musterte Michael Smith aufmerksam. In seinem Blick lag nichts Freundliches und sein Lächeln wirkte kalt und aufgesetzt. Es schauderte ihr bei seinem Anblick. Und dass er ihr nachstellte, ließ dieses Gefühl nicht unbedingt verschwinden. Mike kam eilig angelaufen und übernahm die Zügel des großen Hengstes, um Mister Smith das Absteigen zu erleichtern. Dieser schien das nur zu gern anzunehmen und nahm sich dann selbstgefällig einen Krug vom Tablett, welches Katherines Tante hielt. Nachdem er sich bedient hatte, bot sie auch den anderen Reitern etwas an. Diese nickten ihr zumindest dankend zu.

»Die alljährlichen Abgaben sind fällig. Aber das wisst Ihr sicher.«, kam Michael Smith gleich zur Sache. Dienstbeflissen nickte Onkel Jonathan und ging kurz nach drinnen, um einen kleinen Lederbeutel zu holen. Er legte ihn Mister Smith in die Hände. Dieser drückte ihm den Krug in die Hände und griff ungeduldig in den Beutel, um die Münzen zu zählen. Mürrisch blickte er auf die Geldstücke und schien unzufrieden zu sein. Katherine beobachtete ihn aufmerksam, doch er schien nichts zu beanstanden zu haben. Und genau diese Tatsache schien ihn zu stören. So schien es ihr zumindest. Ohne große Umschweife saß er wieder auf und blickte noch einmal zu der versammelten Familie. »Es freut mich, dass auf Euch Verlass ist. Ich wünschte, ich könnte das auch von anderen sagen. Eure Nichte ist inzwischen zu einer wirklichen Schönheit herangewachsen, Mac Callen.« »Ja, das ist sie Herr.« »Es würde mich nicht wundern, wenn ihr die Männer reihenweise zu Füßen liegen. Ihr solltet ihr bald einen guten Ehemann suchen.« Jonathan nickte. »Das tue ich Herr. Nur leider findet sich hier im Dorf nicht so recht jemand.« »Ich werde sehen, was ich tun kann. Selbstverständlich sorge ich mich um Euer Wohl und es wäre schade, wenn sie unter ihrem Stand heiraten würde.« Katherine schaute zur Seite. Es war ihr zuwider, dass sich Mister Smith wie ihr Retter und Wohltäter auf-spielen wollte. Ihr Onkel war sehr wohl in der Lage, einen angemessenen Ehemann zu suchen! Dafür brauchten sie die Gunst des Herrn nicht. Aber das schien diesen wenig zu interessieren. Und ihr wurde wieder einmal bewusst, dass ihrem Onkel egal war, was sie über Mr. Smith sagte.

»Ich muss ehrlich gestehen, ich wäre ihr ebenfalls nicht abgeneigt.«, vernahm sie plötzlich die Stimme des jungen Herrn. Ihr stockte der Atem. »Das freut uns zu hö-ren Herr, aber wir würden nie eine angemessene Mitgift aufbringen können.« Mister Smith lachte selbstgefällig. »Aber nicht doch. Eure Familie leistet der meinen seit Jahren gute Dienste. Ich denke in Anbetracht dessen, ließe sich über die Mitgift reden.« Michael übernahm wieder die Zügel und wendete seinen Hengst. Nicht, ohne einen letzten anzüglichen Blick auf die junge Katherine zu werfen, entfernten sich die Reiter schließlich wieder vom Hof. Katherine verschwand im Haus, wo sie sich schnell eine Arbeit suchte um ihre Wut auslassen zu können, dicht gefolgt von ihrem Onkel.

»Wie konntest du mit ihm über die Suche eines Ehemanns sprechen?«, fragte sie ihn vorwurfsvoll und funkelte ihn zornig an. »Er ist unser Herr, Katherine. Wir können uns glücklich schätzen, dass er uns gegenüber so wohlwollend ist. Das ist er nicht mit allen, das weißt du. Vielleicht findet sich sogar ein Edelmann, der dich zur Frau haben möchte. Das wäre das größte Glück, das dir widerfahren kann.« »Das größte Glück wäre, wenn ich selbst entscheiden und aus freien Stücken, heiraten könnte. Und nicht, weil ich zu alt bin, um weiterhin in diesem Haushalt zu leben.« »Du siehst das falsch, Katherine. Ich habe deinem Vater versprochen, auf dich aufzupassen und dir wie ein Vater zu sein. Und das beinhaltet nun mal auch, dich angemessen zu verheiraten.« »Angemessen verheiraten.«, fauchte Katherine. »Und du denkst, Mister Smith wäre vielleicht eine angemessene Partie?« »Er mag dich. Du kannst dich glücklich schätzen, dass er sich für dich interessiert. Du müsstest dir nie wieder Sorgen um deine Zukunft machen.« »Ich möchte ihn nicht heiraten, Onkel! Er stellt mir nach! Sein Blick ist eiskalt und berechnend! Er wird niemals in der Lage sein, eine Frau wirklich zu lieben. Und er wird dir dieses Angebot nicht ohne einen Hintergedanken gemacht haben. Er führt etwas im Schilde. Lass dich nicht darauf ein!« Katherines Tante betrat das Haus und stellte das kleine Tablett zur Seite.

»Katherine hat recht, Jonathan. Lass es dir in Ruhe durch den Kopf gehen. Du weißt doch besser als wir alle, was für ein Mensch der junge Mister Smith ist. Katherine hätte nichts von ihm zu erwarten.« »Ihr versteht das nicht. Ihr seit nur Frauen!« nun wurde er von seiner Frau und von seiner Nichte mit bösen Blicken bestraft. Kathi erwiderte nichts mehr, sondern verschwand wieder hinter dem Haus im Garten, um sich ihrer Arbeit zu widmen. Sie würde mit ihrem Onkel nicht weiter über dieses Thema diskutieren. Er kannte ihren Standpunkt sehr genau. Wenn er der Meinung war, er müsse diese Entscheidung treffen, dann konnte und würde sie nichts dagegen tun, auch wenn sie seine Auffassung nicht teilte.
 

Unterdessen kehrte der junge Michael Smith mit einem triumphierenden Lächeln zurück auf das Gut und war zufrieden mit den heutigen Einnahmen. Er war sich sicher, dass er noch mehr bei den Bauern herausholen konnte und er zog ernsthaft in Erwägung, die Steuern für das kommende Jahr anzuheben. Doch zu seinem Leidwesen musste er dies mit seinem Vater absprechen, der noch immer alle recht-liche Handhabe besaß. Und als ob das nicht genug wäre, musste er sich auch noch mit dem Ältesten von diesem Elchot herumschlagen, der doch tatsächlich der Meinung war, er könnte ihm drohen. Vermutlich würde er bald wieder hier aufkreuzen. Doch zunächst, würde er diesen Tag feiern und er wusste auch schon, wie. Die Andeutungen, die er dem Onkel von Katherine gegenüber gemacht hatte, waren mehr als eindeutig gewesen. Sie würde seinen Avancen einfach nachgeben müssen. Und wenn sie es nicht freiwillig tat, dann half ihr bei dieser Entscheidung sicher, darüber nachzudenken, wie es um ihre Familie bestellt war und wie deren Zukunft aussehen würde, wenn sie sein Angebot ausschlug. Klirrend ließ er den Lederbeutel mit den Einnahmen auf den Arbeitstisch fallen. Ein älterer Diener kam herein und übergab dem jungen Mister Smith ein gefaltetes und mit rotem Siegelwachs verschlossenes Couvert. Murrend nahm Michael es entgegen und der Die-ner verschwand mit einer kurzen Verbeugung.

Es war eine Einladung zu einem Bankett von Elisabeth Elchot, der Cousine der El-chot-Brüder. Sie und er waren seit Jahren eng befreundet, was dem Älteren der Brüder nicht gefiel. Umso besser für Michael. Er pflegte die Freundschaft zu Elisabeth und nicht nur einmal versorgte sie ihn in der Vergangenheit mit wichtigen In-formationen, die ihm Vorteile beim Knüpfen von Geschäftsbeziehungen gegenüber Daniel einbrachten. Natürlich würde er dieser Einladung nachkommen.

Am Abend fuhren die Kutschen beständig die lange Auffahrt zum Gut der Gräfin entlang. Gut gekleidete Damen mit glitzernden Kleidern, Perlenschmuck und Fächern aus Spitze stiegen aus den Kutschen und ließen sich dabei von ihren Begleitern helfen. Mike und Katherine hatten sich nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus der Familie geschlichen, um dieses Spektakel mit anzusehen. Das Gut lag nicht weit entfernt von ihrem Hof auf der anderen Seite des Feldes und Waldes, genau zwischen den Anwesen der Elchots und der Smiths. Gut versteckt hockten die beiden im Gebüsch und bestaunten die gut gekleideten Herrschaften. Es war eine völlig andere Welt als diese, in welcher sie selbst lebten. Mit solchem Reichtum würden sie niemals in Berührung kommen und der Adel tat wiederum alles dafür, nicht mit dem gemeinen Volk in Berührung zu kommen. Die Diener kamen in ihren schwarzen Anzügen und weißen Handschuhen die Treppen herunter und begleiteten die Herrschaften ins Anwesen. Das Gelächter der feinen Damen schallte zu Katherine und Mike herüber. Immer wieder sahen sie sich an und blickten dann wieder zum Anwesen empor. Die Fenster waren prunkvoll ausgeleuchtet, die Auffahrt mit Fackeln gesäumt. Die Blumenbeete und Sträucher waren fein säuberlich bearbeitet worden. Inzwischen fuhr die nächste Kutsche vor und Katherine und Mike staunten nicht schlecht, als sie sahen, wer da ausstieg!

»Sind das nicht die beiden, die du mit unseren Äpfeln beworfen hast?«, fragte er seine ältere Cousine im Flüsterton. Katherines Herz klopfte bis zum Hals. Ein Adliger?! Ob das noch Folgen haben würde für sie? Aber wenn dem so wäre, dann wären doch sicher schon Gehilfen des ansässigen Richters bei ihnen aufgekreuzt um sie mitzunehmen und zu verhören! Misstrauisch beäugte Katherine die Szenerie. Die beiden Männer gingen die Treppenstufen hinauf und begrüßten dort die Gräfin, indem sie sie umarmten und links und rechts auf die Wange küssten. Die Gräfin lachte herzhaft und begleitete die Männer dann nach drinnen. Da fuhr bereits die nächste Kutsche vor, aus welcher der junge Mister Smith ausstieg. Bei seinem An-blick zog sich Katherine etwas weiter ins Gebüsch zurück. Sie wollte nicht riskieren, dass sie hier entdeckt wurde! Sie mochte diesen Menschen nicht! Jedes Mal, wenn sie ihn sah, lief es ihr kalt den Rücken runter! Sie wurde einfach das Gefühl nicht los, dass er ein durch und durch schlechter Mensch war und ständig was im Schilde führte. Für einen kurzen Moment schweifte sein Blick umher und Katherine hatte das Gefühl, er würde sie direkt ansehen. Doch dann kam die Gräfin schon auf ihn zu und begrüßte ihn ebenso herzlich wie die beiden Elchot-Brüder zuvor, wenn nicht sogar ein wenig inniger. »Komm, ich habe genug gesehen.«, meinte Kathi schließlich und wandte sich zum Gehen. In der Dunkelheit war es schwer, das Loch in der Mauer wiederzufinden, durch welches sie gekommen waren. Sie konnten nur hoffen nicht erwischt zu werden. Wenn doch, dann drohte ihnen Haft!

So schnell sie ihre Füße trugen, rannten die beiden zurück zum Bauernhof und schlichen sich dort in ihre Betten. Lange lagen sie noch wach und redeten über das Gesehene. Und beide waren sich einig darüber, dass Michael Smith ein Widerling war, vor dem sie sich in Acht nehmen mussten. Mike versprach seiner älteren Cousine, auf sie aufzupassen und sie vor Michael Smith zu beschützen. Sie schmunzelte bei diesen Worten und drehte sich auf die Seite. In dieser Nacht träumte sie das erste mal von dem hoch aufgewachsenen, adligen Mann, den sie am Abend gesehen hatte.

Die Wochen vergingen und das Wetter wurde schlechter. Der Spätsommer verging, ohne dass sich Michael Smith noch mal bei Katherines Familie sehen ließ und so versuchte sie, die Begebenheit vom Tag der Abgaben zu vergessen. Doch so leicht fiel es ihr nicht. Ihr Onkel fragte immer häufiger, wie sie zu dem Thema Heirat stünde?! Sie wollte nicht darüber reden! Andere Mädchen waren in ihrem Alter schon seit Jahren verheiratet und hatten bereits mindestens zwei Kinder! Aber wenn sie genauer hinsah, dann waren sie selten glücklich mit ihrer Situation. Die Männer waren oft viele Jahre älter und heirateten nicht aus Liebe, sondern um Nachkommen zu haben, die den Familiennamen weitergaben. Das wollte sie nicht. Ein solches Leben konnte sie sich nicht vorstellen. Katherine sah aus dem kleinen Fenster im Haus, als sie gerade dabei war, den Teig für das Brot zu kneten. Es regnete in Strömen und Onkel Jonathan war mit Mike unterwegs. Die beiden waren regelmäßig auf dem Markt in der nahegelegenen Stadt und verkauften die getöpferten Waren ihrer Stieftante. Die Tür ging hinter ihr knarrend auf und Jonathan und Mike kamen durchnässt in das Haus gestapft und setzten sich ans Feuer, welches in einem steinernen Ofen loderte. Sie sahen niedergeschlagen aus und Katherine brachte beiden warmen Met. Er würde sie wieder aufwärmen.

Mike fuhr sich durch das feuchte Haar und blicke Kathi an. Sie verstand seinen Blick nicht recht, doch es schien schlechte Nachrichten zu geben.

»Mister Smith hebt die Steuern noch einmal an.«, eröffnete Onkel Jonathan dann ohne große Umschweife. Katherines Tante, die gerade von draußen hereinkam, nahm die schlechte Stimmung sofort wahr und brachte ihrem Mann und Mike frische Tücher, um sie zu trocknen. »Es scheint ein anstrengender Tag für euch gewesen zu sein.«, sprach sie nur und legte Katherine im Vorbeigehen die Hand auf die Schulter. »Was soll das heißen, er erhöht die Steuern noch mal?«, wollte sie wissen und blickte ihren Onkel offen an. »Mister Smith wir in den nächsten Tagen auf den Höfen vorbeikommen und Geld eintreiben. Er sagt, die erhöhten Abgaben sind notwendig, um das Dorf zu befestigen für den Winter und den Speicher zu er-weitern.« »So ein Unsinn!«, empörte sich Katherine und kehrte zu der Schüssel mit dem Brotteig zurück. Wütend knetete sie ihn mit aller Kraft durch. »Er wirtschaftet alles in die eigene Tasche und die Menschen im Dorf nagen am Hungertuch! Wie sollen die Großfamilien den Winter überstehen? Wer nicht genügend Vorräte hat, muss sich das Korn teuer von Mister Smith erkaufen obwohl sie es selber angebaut haben!« »Katherine, mäßige dich! Es steht dir nicht zu, so über unseren Herrn zu reden.«, wollte Jonathan seiner Nichte Einhalt gebieten. Doch sie dachte nicht daran! »Ich rede wie ich will! Warum auf einmal? Warum soll ich auf einmal meinen Mund halten? Dir war es immer wichtig, meine Meinung zu hören! Sie war immer für Bedeutung für dich! Wieso jetzt auf einmal nicht mehr?« »Die Dinge haben sich geändert, Katherine.« Jonathan machte eine lange Pause, in welcher er seine Nichte nicht aus den Augen ließ. Diese formte den Teig zu einem runden Laib und deckte die Schüssel dann mit einem Tuch ab. Sie wandte sich ihrem Cousin, dann ihrem Onkel zu nachdem sie merkte, dass Mike ihr nicht in die Augen schauen konnte.

»Mister Smith ist nach wie vor an einer Heirat mit dir interessiert, Katherine. Er besuchte uns heute auf dem Markt. Und ich bitte dich inständig, über diesen Antrag nachzudenken. Er ist kein schlechter Mensch.« »Doch, das ist er! Er ist habgierig und eiskalt! Er kennt kein Erbarmen und schlägt Profit raus, wo er nur kann! Ich werde einer solchen Heirat niemals zustimmen!« empört stand ihr Onkel nun auf und der Stuhl fiel hinter ihm krachen um. »Du wirst dich damit auseinandersetzen und seinem Werben nachgeben! Ich dulde keine Widerworte! Haben wir uns verstanden?!« erschrocken wich Katherine zurück und ihr Onkel verließ wütend das Haus. Unsicher blickte sie zu Mike, doch er wagte nicht, sie anzuschauen oder etwas dazu zu sagen.

Erst am Abend, als die beiden in ihren Betten lagen, wagte Katherine noch einmal einen Versuch, mehr darüber zu erfahren, warum Onkel Jonathan auf einmal so wütend war. »Was glaubst du, Mike? Warum denkt er auf einmal so?«, fragte sie flüsternd. »Ich glaube, Vater bleibt selbst keine andere Wahl. Wir waren heute in der Stadt, Kathi. Und Mister Smith war auch da. Er gab den Leuten deutlich zu verstehen, dass sie sich gut überlegen sollten, ob sie die Abgaben verweigerten. Und dann kam er insbesondere auf Vater zu und sagte ihm, er würde ihm die Abgaben erlassen, wenn du dich auf die Heirat mit ihm einlassen würdest.« »Wie kann er dem zustimmen? Das ist Erpressung!« empörte sie sich leise. »Katherine, bedenke doch. Wir haben selber kaum noch Geld. Unsere Vorräte reichen gerade so für den Winter. Wenn wir jetzt unseren Weizen verkaufen müssen um die Abgaben zahlen zu können, bleibt uns selbst nicht mehr genug und wir müssen den Weizen wieder teuer einkaufen. Vater macht sich die Entscheidung nicht leicht, aber es ist wohl für ihn die einzige Möglichkeit, größeres Unheil für unsere Familie zu vermeiden. Mutter hat doch außerdem noch das Baby. Wie sollten wir das schaffen?« Katherine blieb einige Zeit stumm. Mister Smith setzte ihre Familie unter Druck, sodass ihr gar keine andere Wahl blieb, als dieser Hochzeit zuzustimmen! Dabei wusste ihr Onkel genau, was für ein widerlicher Kerl dieser Smith war! Er hatte ihr im Sommer ständig nachgestellt und sie nicht in Ruhe gelassen! Konnte er sie denn ruhigen Gewissens in seine Hände geben? »Ich gebe mich nicht kampflos geschlagen!«, sprach sie schließlich und drehte sich auf die Seite.
 

Am nächsten Tag war es zu einem Temperatursturz gekommen. Raureif lag auf den Wiesen und es war bitterkalt. Katherine war unterwegs zum Bach im Wald, um Wäsche zu waschen. Ihre Hände waren rot und taub vor Kälte und sie schlotterte. Aber sie musste fertig werden, im Haus wartete noch mehr Arbeit auf sie. Ihr Onkel war den ganzen Tag damit beschäftigt das Dach winterfest zu bekommen und brauchte Mikes Hilfe. Und ihre Tante konnte diese Arbeit nicht erledigen. Aus der Ferne vernahm sie das Hufgetrappel von Pferden. Anscheinend waren die höheren Herrschaften wieder einmal unterwegs auf der Jagd. Sie hoffte nur, hier ungestört ihre Arbeit verrichten zu können! Sobald sich ihr jemand näherte, musste sie den Bachlauf verlassen um die Leute nicht zu stören.

Das Geräusch der Pferdehufe wurde lauter und Katherine machte sich schon daran, ihre Wäsche zusammen zu suchen, als der junge Mister Smith um die Ecke bog und direkt vor ihr zum Stehen kam. Ihr Herz schlug ihr vor Angst bis zum Hals, auch wenn sie sich nichts davon anmerken lassen wollte. In aller Ruhe suchte sie die Kleidungsstücke zusammen. »Aber nicht doch. Du musst nicht gehen.«, sprach der junge Herr und stieg ab. Langsam kam er auf sie zu. Kathi war nicht wohl zu mute und klemmte sich ihren Korb unter den Arm. Sie musste irgendeine Barriere zwischen sich und ihn bringen! Sie wollte nicht, dass er ihr zu nahe kam! Als sie merkte, dass Mister Smith ihr nicht ausweichen wollte, versuchte sie, sich an ihm vorbeizudrängen. Er ließ das nicht zu. Mühelos und ohne große Kraftanstrengung packte er sie am Arm und hielt sie fest. »Ich muss zurück zum Hof. Meine Familie wartet auf mich.«, versuchte sie sich aus der Situation zu befreien und sah dabei zur Seite. Sie konnte diesem Menschen einfach nicht in die Augen sehen! »Nicht doch. Ich warte noch immer auf eine Antwort von dir. Dein Onkel ist sie mir bisher leider schuldig geblieben und nun hoffe ich natürlich, sie von dir zu bekommen.« Katherine blickte nun doch in Michael Smiths Augen. Sie waren eiskalt, ohne jede Regung. Außer der blanken Gier konnte sie nichts darin erkennen. Sie versuchte sich ein weiteres Mal aus seiner Umklammerung zu winden, kam jedoch nicht frei. Statt-dessen packte er nun auch noch ihren anderen Arm und Katherine verlor den Korb. Er fiel herunter und die Wäsche verteilte sich über dem gefrorenen Erdboden um sie herum. Er drängte sie immer weiter zurück, bis sie mit dem Rücken zu einem Baum stand. Sie spürte die Angst immer deutlicher in sich aufsteigen, bis sie ihr die Kehle zuschnürte. »Also, Katherine, schönes Kind, was wirst du antworten?«, flüsterte Michael Smith nun beinahe und kam ihr immer näher, bis sein Gesicht nur wenige Fingerbreit von ihrem entfernt war. Sie drehte sich weg und schloss die Au-gen. Sie wusste, sie war zu schwach um gegen ihn zu bestehen. Das ärgerte sie und machte sie wütend! Verzweifelt krallte sie ihre Hände an dem Korb fest, in welchem sich die Wäsche befand.

»Seit wann bringt man eine junge Dame so in Verlegenheit?«, hörte sie auf einmal eine andere Stimme, die nicht zu der von Mister Smith passte und öffnete die Augen. An der Kehle von Mister Smith glänzte die Schneide eines Degens und als sie diese bis zu ihrem Herrn zurückverfolgte erkannte sie mit Schrecken, dass es der selbe Mann wie vom Vorabend war und eben jener, den sie mit Äpfeln beworfen hatte vor einigen Tagen. Michael Smith ließ von ihr ab und ohne groß nachzudenken oder sich zu bedanken, huschte Katherine an den beiden Männern vorbei, sammelte ihre Wäsche zusammen und lief so schnell sie konnte, zum Hof ihres Onkels zurück. Dort kam sie völlig außer Atem an und griff nach einem Krug Met, von dem sie einen kräftigen Schluck nahm. Erst dann beruhigte sie sich endlich wieder. Ihre Tante trat neben sie, als sie die Wäschestücke aus dem Korb nahm und sauber klopfte. »Was ist los mit dir, Kathi? Du wirkst sehr durcheinander.« »Es ist nichts, Tante.«, versuchte sie abzuwiegeln, doch sie glaubte sich selbst nicht. »Das würde ich dir gern glauben, aber dein Blick sagt etwas Anderes.« Kathi zwang sich, durchzuatmen. »Mister Smith hat mir nachgestellt und mich bedrängt.« »Darüber solltest du mit Jonathan sprechen, Katherine. Das ist eine ernste Angelegenheit.« »Was sollte das bringen? Onkel Jonathans Stimme hat vor Gericht kein Gewicht und er wird sowieso nicht einlenken. Du weißt doch, wie er über die ganze Situation denkt. Wenn ich diesen Widerling heirate, geht es euch finanziell besser und ihr müsst euch keine Sorgen mehr machen. Das ist doch auch das, was Onkel John will.« »Mag sein, aber dein Onkel vergisst dabei eine wichtige Sache – dich. Und er vergisst, dass er und ich damals auch nicht nur unserer Eltern wegen geheiratet haben. Liebe kann man nicht erzwingen. Sie kann durchaus wachsen, auch wenn es eine Vernunftehe ist, aber bei Mister Smith sehe ich nichts Liebevolles in den Augen.« »Kannst du nicht mit ihm sprechen, Tante?« »Ich werde es versuchen.«

Am Abend lag Katherine lange wach. Sie konnte der lautstarken Unterhaltung ihres Onkels und ihrer Tante Wort für Wort folgen und ihre Tante setzte sich sehr für sie ein, aber ihr Onkel schien nicht mit sich reden zu lassen. Er beharrte auf seinen Standpunkt und darauf, dass Katherine Mister Smith heiraten solle. Sie würde ihn nicht umstimmen können. Sie hörte aber auch das beunruhigende Husten ihres Onkels. Es klang nicht gut! Katherine atmete enttäuscht aus. Sie war immer der Meinung gewesen, ihren Mann selbst mit aussuchen zu können. Ihr Onkel hatte ihr immer freie Hand gelassen. Und nun auf einmal war alles anders und sie musste sich seinem Willen beugen. Ob sie wollte oder nicht. Und wenn sie genauer dar-über nachdachte, dann war das vermutlich wirklich der einzige Weg, größeres Unheil für diese Familie zu verhindern, die ihr seit Kindertagen so wichtig war und die sich immer um sie gekümmert hatte wie um das eigene Kind.

In dieser Nacht fand Kathi kaum Schlaf. Pausenlos schreckte sie aus Alpträumen auf, einer schrecklicher als der andere. Und in jedem kam dieser unheimliche Mister Smith vor! Als der Hahn am nächsten Tag vor dem Morgengrauen krähte, stieg Katherine völlig übermüdet aus dem Bett und lief zu dem Brunnen hinterm Haus, um sich zu waschen. Das kühle Wasser in ihrem Gesicht vertrieb den Schlaf und half ihr, klare Gedanken zu fassen. Als sie ihr Haar zu einem Zopf geflochten hatte, ging sie ins Haus zurück und band sich die Schürze um. Zum Frühstück kochte sie für die gesamte Familie Haferbrei. Es stärkte für den Tag und die Kraft würden sie brauchen, denn das Feld musste noch vor dem großen Wintereinbruch umgegraben werden und die Bauern aus dem Dorf brauchten ebenfalls Hilfe. Sie alle waren eine große Gemeinschaft, auch wenn der Hof von Katherines Familie weit ab vom Rest des Dorfes lag. Doch die Dorfgemeinschaft war alles, was sie der Smith-Familie entgegenzusetzen hatten und was sie alle einigermaßen schützte. Sobald es Schwierigkeiten gab, half einer dem anderen. Katherine weckte die Kleinen und begleitete sie zum Brunnen. Sie ließ sie dort ungern allein, denn so ungestüm wie sie waren, konnte schnell ein Unfall passieren und sie fühlte sich für die Kinder verantwortlich, auch wenn es nicht ihre eigenen waren. Als alle Kinder und auch Mike am Tisch versammelt waren, teilte Katherine die Schüsseln mit dem heißen Brei aus. Ihre Tante und auch ihr Onkel gesellten sich dazu. Schweigend setzte sich Katherine an die Seite ihres Onkels und sah ihn eine Weile an. »Onkel John, ich habe letzte Nacht noch mal darüber nachgedacht, was du gesagt hast.«, begann sie dann das Gespräch und spürte sofort die Blicke der anderen auf sich. Er erwiderte nichts. Er sah seine Nichte noch nicht einmal an, aber er hustete wieder. »Wenn es wirklich die einzige Möglichkeit ist unsere Familie sicher über den Winter zu bekommen, dann willige ich ein. Aber ich möchte auch, dass du weißt, dass ich das wegen dir und unserer Familie tue und nicht, weil ich diesem Menschen so zu-getan bin. Ich mag ihn nicht und in seiner Gegenwart fühle ich mich sehr unwohl. Ich werde ihn niemals lieben können und ich weiß auch nicht, ob ich ihn respektieren kann. Denn ich weiß, dass er mir niemals den Respekt entgegen bringen wird, den ich verdiene und den ich anderen entgegen bringe. Aber ich werde die Verbindung eingehen um euch ein gutes Leben ermöglichen zu können.« nun sah Jonathan doch zu seiner Nichte auf und legte eine Hand auf ihre.

»Es freut mich, dass du zur Vernunft gekommen bist. Du weißt, ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber es ist im Moment der einzige Weg, um unsere Familie zu schützen und ich weiß, es wird dir nicht schlecht gehen. Du musst dir nie wieder Gedanken über Geld machen und kannst unbeschwert leben.« »Ja, in einem goldenen Käfig.«, fügte sie leise hinzu und stand auf. Katherine konnte sich nur schweren Herzens zu dieser Entscheidung durchringen. Sie wusste, sie würde nicht mehr glücklich werden. Michael Smith war ein Widerling und würde sie das bis an ihr Lebensende spüren lassen. Zwischen Jonathan und ihrer Tante konnte sie jeden Tag aufs Neue die Liebe spüren, die sie vom ersten Tag an füreinander empfanden. Auch wenn sie sich einmal stritten schmälerte das die Zuneigung zum anderen nicht. Aber sie würde eine reine Vernunftehe eingehen um ihre Familie in Sicherheit zu wissen. Eine solche Hochzeit hatte wenig mit Liebe zu tun! Liebe würde sie in ihrem Leben niemals kennen lernen!

Ihren Frust ließ Katherine tagsüber auf dem Feld aus, als sie das Pferd mit dem Pflug vor sich hertrieb, welches sie von einem befreundeten Bauern geliehen hatte. Dafür würde sie ihm beim Umgraben helfen, sobald das eigene Feld winterfest war. Mike kam gelegentlich vorbei und fragte sie, ob sie seine Hilfe brauchte, aber sie lehnte ab. Sie konnte jetzt niemanden um sich herum ertragen und außerdem war ihr Onkel immer noch damit beschäftigt, das Dach zu reparieren. Mike sollte ihm lieber dabei helfen, bevor die Herbststürme einsetzten. Sein Husten wurde immer schlimmer. Sie konnte es bis hier rüber hören.

Der Wind war kalt an diesem Tag und Katherine schob sich immer wieder Haarsträhnen hinters Ohr, welche sich aus ihrem Zopf lösten. Sie fror fürchterlich, aber sie musste weitermachen. Wieder nahm sie eine Bewegung am Waldrand wahr, wie an dem Tag, als sie auf dem Feld waren und das Getreide einholten. Sie blickte sich um und entdeckte den Fremden vom letzten Mal. Er schien ihr einfach still bei der Arbeit zuzusehen. Und auf eine merkwürdige Art und Weise war es Katherine nicht einmal unangenehm. Seine Blicke waren nicht wie die von Mister Smith. Er blickte weder lüstern zu ihr herüber noch hatte sie das Gefühl, dass er etwas im Schilde führte. Er schien einfach nur interessiert zu sein und ihr bei der Arbeit zuzuschauen, als würde er sich vergewissern wollen, dass es ihr gut ging. Auf merkwürdige Art und Weise fühlte sie sich beschützt unter diesen Blicken und sicher. »Katherine! Ist alles in Ordnung?«, schallte auf einmal die Stimme ihres Onkels zu ihr herüber und sie drehte sich erschrocken um. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie den Fremden angestarrt hatte. »Ja, alles bestens!«, rief sie zurück und blickte wieder auf die Stelle am Waldrand. Der Fremde war jedoch verschwunden und Kathi blieb verwirrt zurück. Immer wieder lief ihr dieser Fremde über den Weg seit sie ihn im Sommer von ihrem Feld vertrieben hatte. Sie fragte sich, was er mit seiner Anwesenheit bezwecken wollte, fand jedoch keinen Grund.

Am Abend brachte sie das Pferd samt Pflug zu Ben, dem befreundeten Bauern ihres Onkels zurück. Dort lud seine sie Frau auf einen Krug Met ins Haus ein, denn es war bereits empfindlich kühl geworden. Sie setzte sich an das wärmende Feuer, den Krug in der Hand. Mary, Bens Frau, setzte sich mit Strickzeug zu ihr. »Ich habe gehört, Mister Smith geht hin und wieder bei euch Ein und Aus, Katherine.«, begann sie unverfänglich ein Gespräch. Kathi starrte auf den Met in ihrem Krug. Sie wusste genau, was das für ein Gespräch werden sollte. »Ja, leider.« »Wieso? Habt ihr Schwierigkeiten?«, sie überlegte kurz, was sie sagen sollte, aber es war wohl am besten, Mary reinen Wein einzuschenken. Es brachte nichts, etwas zu erfinden, was am Ende doch durchschaut werden würde.

»Na ja, wie man es nimmt. Der junge Mister Smith hat Onkel Jonathan gegenüber Interesse an mir bekundet und macht ständig Avancen.« Mary legte ihr Strickzeug nieder und bekam große Augen. »Meinst du das im Ernst? Wirst du seinem Werben nachgeben? Mister Smith wäre ja wirklich eine unsagbar gute Partie.« Katherine seufzte. »Ich werde ihm wohl nachgeben müssen, wenn ich meine Familie schüt-zen will. Mister Smith stellte Bedingungen, die ich nicht ausschlagen kann solange die Familie über den Winter kommen soll« »Was sollen das für Bedingungen sein?« wieder zögerte Katherine einen Moment. Wie viel konnte sie preis geben? Glücklicherweise kam Ben gerade aus dem Stall zurück ins Haus und bemerkte die seltsame Stimmung zwischen den beiden Frauen. Und Katherine kam dadurch um eine Antwort herum, zumindest vorerst. »Was heckt ihr Frauenzimmer schon wieder aus, wenn ich nicht da bin?«, schalt er lachend die beiden Freundinnen und nahm sich ebenfalls einen Krug Met, um sich mit lautem Stöhnen zu den beiden Frauen zu setzen. »Der Winter wird früh kommen in diesem Jahr. Ich hoffe, wir werden mit allen Arbeiten fertig bis der erste Schnee fällt.«, meinte er dann.

»Ich werde morgen Früh bei euch sein und dir helfen, Ben. Ich danke dir nochmals für dein Gespann. Es hat sehr geholfen.« »Keine Ursache. Eine Hand wäscht die andere und solange wir zusammenhalten kann uns zum Glück auch dieser widerli-che Mister Smith nichts.« Katherine schmunzelte. Es tat gut zu hören, dass sie mit diesem Gefühl nicht alleine war. »Übrigens, hast du schon gehört, dass Mister Smith die Abgaben noch einmal erhöht hat und alle noch einmal zahlen müssen für dieses Jahr?«, fragte Mary dann und blickte in Katherines Richtung.

»Ich finde das eine Unverschämtheit. Wir haben kaum noch genug, um selbst über die Runden zu kommen und dann müssen wir ständig diese überhöhten Abgaben an diesen raffsüchtigen Kerl zahlen! Wenn das so weiter geht wird es nicht mehr lange dauern, bis die Menschen das Dorf verlassen und sich woanders eine Bleibe suchen.«, sprach sie weiter und nahm ihr Strickzeug wieder auf. Katherine nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Krug, bevor sie antwortete. »Wo sollten sie denn hin? Hier ist doch weit und breit nichts. Und Mister Smith wird die Leute wohl kaum so einfach gehen lassen. Ich dachte, das Geld soll dazu verwendet werden um neue Brunnen zu bauen.« »Pah, das glaubst aber auch nur du!«, entrüstete sich die junge Frau und ihre dunklen Augen funkelten wild. »Wie man hört, wirtschaftet er das Geld nur noch in seine eigene Tasche. Sogar der Älteste von Mister Elchot war inzwischen bei ihm und hat mit ihm gesprochen. Es wird wohl noch recht spannend werden in nächster Zeit in dieser Gegend. Selbst die Leute im Dorf wer-den allmählich unruhig. Ich glaube, sie werden sich diese Willkür nicht mehr lange gefallen lassen. Vielleicht wird es sogar einen Aufstand geben.« »Einen Aufstand?«, bei diesen Worten wurde Katherine ganz anders zu Mute und sie begann zu zittern. Ihr war, als würde sie sich an etwas erinnern, was lange zurücklag, aber noch bevor sie ein klares Bild vor Augen hatte, war der Moment auch schon wieder vorbei und Mary redete weiter. Katherine konnte nicht mehr richtig zuhören. Wortlos leerte sie ihren Krug und stellte ihn auf dem Holztisch ab. Dann stand sie auf. »Ich danke euch für eure Gastfreundschaft, aber ich muss jetzt zurück. Es ist schon dunkel und mein Onkel wird sich langsam Sorgen machen.« Ben stand ebenfalls auf und begleitete Katherine zur Tür. »Sei vorsichtig, Kathi. Wir sehen uns dann morgen früh.« sie nickte schweigend und ging. Bis zum Haus ihres Onkels war es zwar nicht weit, aber der Weg war dunkel und führte am Waldrand entlang. Die Häuser des Dorfes lagen schnell hinter ihr und sie war völlig allein. Wie oft war sie diesen Weg allein gegangen? Sie hatte sich nie gefürchtet, wenn sie allein unterwegs war. Aber seit sie wusste, dass Mister Smith an ihr interessiert war und er ihr ständig nachstellte, fühlte sie einen kalten Schauer den Rücken runterlaufen und dachte ständig, sie würde beobachtet.

Das Rascheln der Tiere im Unterholz erschreckte sie und aus den Baumwipfeln flog eine Eule auf. Katherines Herz schlug ihr bis zum Hals und sie beschleunigte ihren Schritt. Immer wieder blickte sie sich um und war erleichtert, als sie die Mauer um den Hof ihres Onkels erblickte. In dem kleinen Häuschen brannte auch noch Licht und Katherines Tante und Onkel Jonathan saßen noch am Tisch und schienen bis eben miteinander gesprochen zu haben. Im Ofen loderten noch die letzten Reste des Feuers, an denen Katherine ihre Hände aufwärmte. Es war schneller kalt geworden als sie gedacht hatte und von dem warmen Met drehte sich ihr der Kopf. »Du bist spät dran, Katherine.«, sprach John nur mit dunkler Stimme. »Mary gab mir noch einen kleinen Umtrunk zum Aufwärmen.« sie sah die beiden aufmerksam an. Etwas schien nicht in Ordnung zu sein.

»Was ist los mit euch? Ihr seht so ernst aus. Ist etwas passiert?«, wollte Katherine wissen und setzte sich zu ihnen. »Mister Smith war hier, als du das Gespann zurück gebracht hast.« »Was wollte er denn?« »Er wollte über die Abgaben sprechen und eine Antwort.« Katherines Hände begannen zu zittern. »Die Abgaben sind höher, als wir alle erwartet haben. Kaum einer im Dorf wird sie aufbringen können. Wir werden hier nicht mehr lange leben können Katherine. Und eine Antwort habe ich ihm bezüglich der Hochzeit noch nicht gegeben.« wieder hustete Jonathan. Es wurde immer schlimmer! Katherine machte sich inzwischen ernsthafte Sorgen um ihren Onkel. Standen ihm etwa feine Schweißperlen auf der Stirn? »Wieso nicht?« »Katherine. Ich weiß, du würdest es für uns tun. Aber du wärst auch ein Leben lang unglücklich. Das kann ich nicht verantworten.« Katherines Tante legte ihre Hand auf die ihres Mannes.

»Ich bin für dich verantwortlich, wie für mein eigenes Kind.« »Onkel John.«, sprach sie erleichtert und warf sich ihrem Onkel an den Hals. »Ich danke dir!« sie küsste ihn auf die Wange. Ihr Onkel lächelte müde.

Damit stand Katherine auf und verschwand im hinteren Teil des Hauses, wo sie zu Bett ging. »Siehst du John?! Du musst dir keine Sorgen machen.«, hörte sie ihre Tante noch sagen. Dann verdunkelte sich das Haus und alle gingen zu Bett. Auch diese Nacht wurde wieder eine schlaflose für Katherine. So viele Dinge gingen ihr durch gen Kopf und sie grübelte lange darüber ob es nicht doch noch eine andere Möglichkeit gab, den Ruin ihrer Familie zu verhindern, ohne diese Ehe eingehen zu müssen. Ihr wollte nicht so recht etwas einfallen, außer vielleicht zu den Elchots zu gehen und sie um Hilfe zu bitten. Aber wenn sie das tat, dann würde es Mister Smith merken und dann würde er es ihrer Familie noch schwerer machen. Und wer konnte schon wissen, ob Mister Elchot ihr überhaupt helfen würde? Wenn ja, dann würde er sicher eine Gegenleistung verlangen und mit den wenigen Erträgen ihres Hofes konnte Katherine unmöglich zwei Herren bezahlen! Sie wollte keine Schulden machen. Aber sie wollte Mister Smith auch nicht so ausgeliefert sein! Es war ein schreckliches Gefühl, nichts tun zu können!

Onkel John ging es unterdessen immer schlechter.

Am nächsten Morgen verschlief Katherine beinahe, wenn Mike nicht an ihrer Schulter gerüttelt hätte. Eilig machte sie sich fertig und ging ohne Frühstück aus dem Haus um rechtzeitig bei Ben zu sein. Als sie an seinem Haus ankam, war er bereits im Stall zu Gange und spannte das Pferd ein. Katherine ging ihm zur Hand, dann liefen sie auf das Feld hinaus. Es regnete in Strömen und schnell waren beide nass bis auf die Haut. Ben war hochgewachsen und muskulös. Seine Stimme war tief und sanft. Seine dunkelblonden Haare waren zerzaust und mit seinen blauen Augen erinnerte er Katherine immer an einen Wikinger. Er war ein sehr ruhiger und gemütlicher Mensch, aber in Gefahrensituationen immer zur Stelle. Niemand traute sich, es mit ihm aufzunehmen wenn es im Dorf Streitigkeiten gab, denn er war sehr kräftig und Katherine hatte ihn bereits einmal bei einer Schlägerei in der Schänke erwischt. »Du schienst gestern etwas niedergeschlagen zu sein, Katherine. Was ist los?«, begann Ben dann das Gespräch. Das kam unerwartet für Kathi. Sie sprach sonst nie viel mit Ben, schon gar nicht über ihre Belange auch wenn sie wusste, dass er stets verschwiegen war. »Nun ja, die ganze Situation mit Mister Smith und dem Dorf ist doch sehr schwierig momentan. Ich mache mir Sorgen um meine Familie.« »Das wird doch sicher nicht alles sein. Ich kenne dich seit Kindertagen, Katherine. So niedergeschlagen warst du noch nie, seit dem Tod deiner Eltern. Also, was ist geschehen?« sie atmete tief durch. »Michael Smith möchte mich zu seiner Frau nehmen« Ben straffte die Zügel und brachte das Pferd zum Stehen. Er konnte nicht glauben, was er da hörte! »Du nimmst dieses Angebot hoffentlich nicht an, Kathi! Du stürzt dich nur ins Unglück! Dieser Mensch führt nichts Gutes im Schilde.« »Ich weiß, Ben, aber mir bleibt wohl keine andere Wahl. Mister Smith erlässt meiner Familie die Abgaben, wenn ich sein Angebot annehme und mit den Kindern und dem Baby, hat Onkel Jonathan selbst gerade mal soviel, um alle über den Winter zu bringen. Außerdem geht es ihm nicht gut. Er hat Mister Smith bisher keine Antwort gegeben, aber der Herr hätte die nötigen finanziellen Mittel, damit wir für Onkel John Medikamente kaufen könnten.« »Aber das ist doch kein Grund, eine solche Ehe einzugehen!«, Ben schnalzte mit der Zunge und das Pferd zog wieder an. »Egal, wie hart es für alle wird, du wirst dieses Angebot ausschlagen, Katherine! Dann müssen wir uns eben etwas Anderes einfallen lassen.« »Ich dachte darüber nach ob es eine Möglichkeit wäre, die Elchots um Hilfe zu bitten.« Ben schwieg einen Moment. »Das erscheint mir eine gute Lösung zu sein. Aber wenn sie ihre Hilfe verweigern und Mister Smith davon erfährt, dann wird es hier nicht einfach für euch werden.« »Ich weiß.«

Schweigend setzten die beiden ihre Arbeit für diesen Tag fort. Es gab nichts mehr zu sagen und jeder grübelte für sich darüber nach, wie sie das Unheil abwenden konnten. Der Regen wollte an diesem Tag nicht nachlassen, was das Pflügen schwer machte für Ben und Katherine. Sie schafften es gerade bis zum Einbruch der Dunkelheit, dann spannten sie das Pferd aus und Katherine rieb es trocken. Danach verabschiedete sie sich von Ben und Mary, ohne noch einmal mit ins Haus gegangen zu sein. Sie fror wie Espenlaub und es regnete unaufhörlich weiter. Ihre Kleider hingen schwer an ihr herunter und sie fühlte sie elend. Als sie auf dem Gehöft ihres Onkels ankam, nahm sie dankend den Metkrug ihrer Tante an und leerte ihn in schnellen Zügen. Sie sah erschöpft aus. Onkel John war auch nirgends zu sehen. Sie entledigte sich ihrer nassen Kleidung und ging sofort zu Bett. Am nächsten Tag schlief sie lang und wurde erst wach, als vor dem Haus reges Treiben zu vernehmen war. Es regnete noch immer und Katherines Kleider vom Vortag waren noch nicht ganz trocken, sodass sie sich in die klammen Sachen hineinzwängen musste und dann vor das Haus trat. Einige Berittene standen auf dem Hof und lasen gerade ein Papier im Namen von Mister Smith vor. Katherine konnte nur einige Brocken verstehen, doch das, was sie vernahm, reichte um ihre Sorgen noch zu vergrößern. Die offizielle Summe der Abgaben wurde bekanntgegeben und erschrocken vernahm sie deren Höhe. Das war mehr, als sie alle je aufbringen konnten um selbst noch über den Winter zu kommen! Es musste etwas geschehen!
 

Daniel Elchot saß, wie so oft, am Schreibtisch seines Vaters und brütete wieder über den Verträgen, die sein Vater ihm geschickt hatte. Er war noch immer in Frankreich, nun bereits seit über vier Monaten. Und es schien sich noch einige Zeit hinzuziehen, bis er wieder nach Hause kam. Ein Bediensteter klopfte an die Tür zum Arbeitszimmer und trat dann ohne Aufforderung herein. Es war Daniels Stallbursche, den er hin und wieder beauftragte herumzuhören unter den Leuten, was es neues gab. Sein Gesicht sprach Bände. Es waren keine guten Neuigkeiten, die er Daniel heute brachte. So viel stand fest.

»Schlechte Nachrichten, Mister Elchot.« »Sprich frei heraus, Marcus. Was ist geschehen?« »Die Schergen von Mister Smith sind unterwegs und verkünden die offizielle Erhöhung der Abgabe.« »Eine Erhöhung? Hat er nicht erst vor wenigen Wochen die Abgaben für dieses Jahr eingetrieben?« »Ja. Die Menschen auf seinem Land werden nicht in der Lage sein, diese Erhöhung zu bezahlen. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass viele ihre Dörfer verlassen und zu uns kommen werden. Aber wir können niemanden aufnehmen. Es ist kein Platz. Außerdem sollten wir die Jäger verstärkt patrouillieren lassen an unseren Grenzen. Die Zahl der Wilderer wird drastisch zunehmen. Vielleicht wird es auch Aufstände geben. Die Menschen sind ziemlich aufgebracht. Alles läuft auf eine Auseinandersetzung hinaus.« »Das sind wirklich schlechte Neuigkeiten, Marcus. Aber wir können den Menschen den Unterschlupf nicht verwehren. Wenn sie sich in Not befinden ist es unsere Pflicht, ihnen zu helfen. Notfalls müssen in der Kirche Lager eingerichtet werden. Wir könnten außerdem das Nebengebäude herrichten und dort die Menschen unterbringen, die zu uns kommen. Ich werde zu Mister Smith reiten und mit ihm reden. Du kannst wieder gehen, danke.« mit einer leichten Verbeugung verließ Marcus das Arbeitszimmer wieder. Daniel legte die Feder zur Seite, mit welcher er die Verträge korrigierte. Ratlos schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und sah aus dem Fenster. Der Regen prasselte unerlässlich gegen die Scheiben und machte ihn mit seinem monotonen Geräusch schläfrig. Wie so oft riss ihn Resis Stimme aus seinen trüben Gedanken, die sich lautstark empörend, durch das Haus bewegte. Anscheinend war sie wieder einmal Rick über den Weg gelaufen. Obwohl Daniel jetzt eigentlich andere Dinge erledigen musste, stand er doch auf und ließ sein Pferd satteln um sich direkt auf den Weg zu Michael Smith zu machen. Nicht ohne eine gehörige Menge Geld im Beutel, denn nachdem er sich noch einmal über alle Einzelheiten der Erhöhung informieren ließ wurde selbst ihm klar, dass dies die Bauern niemals zahlen konnten! Michaels Vorstellungen von Steuern waren inzwischen jenseits von Gut und Böse und Daniel konnte nicht verstehen, dass sein Vater ihm nicht schon längst Einhalt geboten hatte! Er musste dem Ganzen ein Ende machen und wenn er das Land der Smith-Familie abkaufte! Menschen derart auszubeuten war entwürdigend! Michael war seiner Aufgabe nicht gewachsen, das musste selbst dessen Vater endlich einsehen.

Der Ritt bis zum Anwesen der Smith-Familie war unangenehm. Es regnete in Strömen und schnell war Daniel durchgefroren. Er hätte seinen jüngeren Bruder bei dieser Angelegenheit gern dabei gehabt, aber er war nicht bereit, einen volltrunkenen Halbstarken bei solch wichtigen Gesprächen dabei zu haben. Wie so oft war er am Abend zuvor ausgegangen und erst spät in der Nacht zurückgekehrt. Gerade war also nichts mit ihm anzufangen.
 

Die Menschen waren überall auf den Feldern und pflügten es um, damit es winter-fest war. Sie steckten teilweise bis zu den Knöcheln im Schlamm. Die Arbeit schien mühsam zu sein. Auch am Hof des Mädchens kam er, wie sonst auch, vorbei. Dort herrschte reges Treiben. Von dem Mädchen war jedoch nichts zu sehen. Das Gefühl der Enttäuschung beschlich ihn und das verwirrte ihn. Daniel rief sich zur Räson und gab seinem Pferd die Sporen, um so schnell wie möglich dieses unangenehme Gespräch hinter sich zu bringen.

Nur wenig später brachte er sein Pferd vor der Tür zum Anwesen der Familie Smith zum Stehen und wartete, bis ihm ein Stallbursche die Zügel abnahm. Schnellen Schrittes eilte er auf die große Tür oberhalb der Treppe zu und ein Diener öffnete ihm dienstbeflissen. Daniel bedankte sich knapp und ging dann ohne Umschweife zum Arbeitszimmer. Zu seiner Überraschung saß dort nicht der junge Michael, sondern sein Vater und starrte ihn finster an. Daniel richtete seine Kleidung und nahm den Zylinder vom Kopf. Langsam ging er auf den Schreibtisch zu. »Es gab mal Zeiten, da wurde zumindest angeklopft, bevor man ein Zimmer betrat!«, schalt ihn der alte Mister Smith. »Verzeiht, Mister Smith. Ich war der Annahme, ich würde Euren Sohn hier vorfinden. Ich muss etwas Wichtiges mit ihm besprechen.« »Mein missratener Sohn ist gerade unterwegs und begutachtet die umliegenden Ländereien.« »Ich wünschte, es wäre so, aber ich glaube, Euer Sohn hat euch in dieser Angelegenheit getäuscht. Er reitet durch die Ortschaften und treibt erneut Steuern ein, ob-wohl die Leute auf Eurem Land ihre Abgaben bereits bezahlt haben und ihnen kaum noch etwas zum Leben bleibt.« »Ihr seid doch der älteste Sohn von Elchot, richtig?«, fragte Mister Smith scharf. »Ja, das ist richtig.« »Was gehen Euch die Belange meines Sohnes an?« »Ich mache mir Sorgen, Mister Smith. Wie mir scheint, wirtschaftet Euer Sohn hinter Eurem Rücken in seine eigene Tasche. Das schadet nicht nur den Menschen auf Eurem Land, sondern auch dem guten Ruf, den Ihr über Jahre aufgebaut habt. Ich würde es sehr bedauern, wenn Eure Familie in Ver-ruf gerät wegen seiner Taten.« Mister Smith räusperte sich und stand dann auf, um sich vor den Kamin zu stellen und die Hände hinter dem Rücken zu verschränken.

»Ich weiß sehr wohl, was mein Sohn treibt, wenn er denkt ich würde ihm freie Hand lassen. Aber ich bin machtlos. Ich habe ihm vor einigen Tagen alles überschrieben und kann ihm nichts mehr vorschreiben. Er muss selber lernen, was er mit seinem Handeln anrichtet.« »Auch, wenn das bedeutet, dass all das, was Ihr in Eurem Leben aufgebaut habt, dabei eingerissen wird?« »Auch dann. Der Mensch lernt nur durch Erfahrung. Ich bin ein alter Mann, Daniel. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Wenn Michael der Meinung ist, er muss unsere Familie so in den Ruin treiben, dann muss er es tun. Ich habe es aufgegeben, ihn zur Besinnung bringen zu wollen.« »Aber die Menschen leiden unter ihm. Sie werden verhungern, wenn das so weiter geht. Und ich bin hier, weil ich das nicht mit ansehen kann, auch wenn es jenseits der Grenzen des Einflusses meiner Familie geschieht.« der alte Mister Smith drehte sich nun zu Daniel Elchot um.

»Du bist ein aufrichtiger Mensch, Daniel. Es ist schade, dass du und Michael euch nicht mehr vertragt. Und ich bitte dich, ihn seinen Weg selbst gehen zu lassen. Michael muss selber erkennen, wohin ihn das führt.« Daniel ballte seine Hände zu Fäusten und verkniff sich eine Antwort. Unter diesen Umständen brauchte er das Geld für die Menschen hier nicht zu bezahlen. Mister Smith würde es nicht annehmen. »Wenn dem so ist, dann bitte ich für die Störung um Entschuldigung. Ich werde mich nicht mehr in die Belange Eurer Familie einmischen, auch wenn es mir schwer fallen wird.« Mister Smith lächelte. »Dein Vater kann stolz auf dich sein. Er hat dich gut erzogen und du bist zu einem stolzen jungen Mann herangewachsen. Ich wünsche dir alles Gute, Daniel.« »Danke sehr.« mit einer knappen Verbeugung verließ Daniel das Arbeitszimmer wieder und wandte sich zum Gehen. Im Eingangsbereich kam ihm Michael Smith entgegen, der vor Nässe stand und ihm finstere Blicke zuwarf. Er gab ihm deutlich zu verstehen, dass er hier nicht erwünscht war. Und so verschwand Daniel auch ohne ein weiteres Wort wieder und trat den Heimweg in dem kalten Herbstregen an. Wütend über sich selbst und die Sturheit der Smith-Familie, gab er dem Pferd die Sporen.
 

Im Dorf waren inzwischen alle in der Schänke zusammen gekommen und debattierten heftig darüber, wie sie mit der Erhöhung der Steuern umgehen sollten. Sie alle waren empört über diese maßlose Frechheit des jungen Mister Smith. Und sie alle waren sich einig darüber, dass es so nicht weiter gehen konnte mit der Gier dieser Familie. Katherine hatte ihren Cousin zu der Versammlung begleitet und hörte aufmerksam zu. Ihrem Onkel ging es zu schlecht dafür. Er lag inzwischen mit Fieber im Bett und Katherines Gedanken schweiften immer wieder zu ihm ab. Sie wagte nicht, etwas zu sagen. Ihr Onkel hatte ihr vorher deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sich in Gegenwart des Dorfrates zurückhalten sollte. Doch alles, was sie bei der Versammlung hörte waren Beschwerden über Beschwerden. Keiner konnte auch nur ansatzweise eine Lösung vortragen. Sie spielte ernsthaft mit dem Gedanken doch die Elchot-Familie aufzusuchen und dort um ein Darlehen zu bitten, auch wenn sie nicht wusste, wie sie dieses jemals wieder zurückzahlen sollte. Und wenn ihr Onkel etwas davon erfuhr, würde er sie vermutlich gehörig zurechtweisen, aber sie musste es versuchen! Alles war besser, als tatenlos zuzusehen wie Michael Smith das gesamte Dorf ausbeutete und sie damit erpresste seine Frau zu werden nur um keine Abgaben mehr bezahlen zu müssen!

Die Zeit der Zusammenkunft zog sich immer mehr dahin. Es wurde Abend und bald dunkel. Katherine fühlte sich nicht wohl. Sie war schon den zweiten Tag in ihrer nassen Kleidung und wollte ins Bett. Ihr Kopf schmerzte von den lauten und aufgebrachten Stimmen der Männer und sie verstand kaum ein Wort von dem, was sie sagten. Vorsichtig legte sie ihrem Cousin eine Hand auf den Arm. Er sah sie daraufhin fragend an. »Ich bin müde, Mike. Ich werde zurück zum Hof gehen und mich schlafen legen. Vorher sehe ich noch mal nach Onkel John.« er nickte. »Sei aber vorsichtig auf dem Weg. Soll ich dich begleiten?« sie schüttelte leicht den Kopf und lächelte. »Nein, das ist nicht nötig. Mach dir keine Sorgen. Bleib hier und hör aufmerksam zu. Eines Tages wirst du schließlich den Hof übernehmen.« sie hauchte ihrem Cousin einen Kuss auf die Wange und verließ die Schänke so geräuschlos wie möglich. Draußen lehnte sie sich für einen Moment gegen die Mauer des alten Wirtshauses und atmete tief durch. Ihr Herz raste und klopfte schmerzend gegen ihre Brust und ihr war heiß und kalt zugleich.

»So spät noch allein unterwegs?«, vernahm sie plötzlich eine Stimme direkt vor sich. Erschrocken riss sie die Augen auf und erwartete schon Michael Smith vor sich stehen zu sehen, aber es war ein anderer, junger Edelmann der ihr irgendwie bekannt vorkam. Sie musterte ihn einige Zeit lang schweigend und er schien es ihr gleich zu tun. »Bist du nicht die Kleine, die mich und meinen Bruder mit Äpfeln bewarf auf dem Feld, im Sommer?« Katherines Augen verengten sich und sie blickte den jungen Mann angestrengt an. Ja, tatsächlich! Er war einer dieser rücksichtslosen Reiter von damals. »Wer rücksichtslos einfach die Ernte von anderen niedertrampelt ohne darüber nachzudenken, dass diese Ernte das Überleben einer gesamten Großfamilie sichert, der hat es nicht anders verdient!«, maulte sie ihn an und wollte an ihm vorbei. »Du bist wohl nicht gerade auf den Mund gefallen.«, er-widerte der Jüngling. »Und Ihr scheint besonders frech zu sein. Und obgleich meiner Erklärung eben, höre ich noch immer keine Entschuldigung von Euch!« er schmunzelte. »Wofür sollte ich mich entschuldigen?«, wollte er ernsthaft wissen. Katherine platzte fast der Kragen. Wütend raffte sie ihr Kleid und stapfte auf den Mann zu, bis sie nur wenige Fingerbreit vor ihm stand. »Ihr seid dafür verantwortlich, dass meine Familie wertvolle Ernte verloren hat! Ernte, die wir gebraucht hätten um nun die überhöhten Steuern bezahlen zu können! Meine Familie lebt am Rand der Existenz und wird vermutlich hungern müssen im Winter! Und Ihr und Euer Bruder seid Schuld daran!«, maulte sie ihn an und ihre Augen blitzten zornig auf. Der junge Mann schien ernsthaft entrüstet darüber zu sein.

»Das tut mir wirklich leid. Es lag mir und meinem Bruder gänzlich fern, Euren Ertrag zu schmälern.« bei diesen Worten griff er in einen kleinen Beutel und hielt Katherine einige Münzen hin. »Hier, nehmt das als Entschädigung.« sie atmete tief ein. »Steckt Euch Eure Almosen sonst wo hin! Ich brauche sie nicht! Ihr solltet lieber mal darüber nachdenken, wie Ihr Edelleute euch dem gemeinen Volk gegenüber verhaltet.« dann ging sie davon. Der Edelmann blickte ihr verdutzt hinterher und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er musste über die Frechheit dieses jungen Mädchens schmunzeln. Noch nie zuvor hatte ihm ein Mädchen auf diese Weise die Stirn geboten, außer Resi. Normalerweise erröteten sie alle in seiner Gegenwart und versteckten sich scheu hinter ihren Fächern. Aber vermutlich herrschte auf dem Lande ein anderer Umgangston. Zumindest schien sie nicht viel Wert auf Schmeicheleien zu legen. Das war ungewohnt für Rick und er konnte nicht so recht damit umgehen. Verwirrt setzte er seinen Heimweg daraufhin fort.

Katherine konnte nicht glauben, dass ihr dieser eingebildete Affe wirklich Geld anbieten wollte! Aber viel mehr ärgerte sie sich darüber, dass sie es aus purer Eitelkeit abgelehnt hatte obwohl sie es doch so gut gebraucht hätte und es ihr und ihrer Familie auch zustand! Warum war sie so stur gewesen? Sie verstand sich selbst nicht. Verwirrt und durchgefroren kam Katherine schließlich auf dem abgelegenen Bauernhof an. Ihre Tante stillte gerade das Baby, als sie zur Tür hereinkam und die Kleinen schliefen schon. »Ist Mike noch immer bei der Versammlung?«, wollte Tante Judy wissen. »Ja. Es wird wohl noch eine Weile dauern. Sie debattieren viel und hitzig, kommen aber nicht zum Punkt. Jeder regt sich über jeden auf, ohne eine Lösung vorzuschlagen.« »Was würdest du an ihrer Stelle tun?«, fragte Judy weiter. »Ich weiß es nicht. Ich würde mich vermutlich weigern, die Steuern zu zahlen und alle Bürger auffordern, es mir gleich zu tun. Egal, wie sehr sie unter Druck gesetzt werden. Und wenn die Schergen von Michael Smith wieder antreten, würde ich zum Richter gehen.« »Du vergisst aber dabei, dass der Richter ein sehr guter Freund von Mister Smith ist.« »Dann müssen wir uns Hilfe bei den Elchots holen. Ihre Ländereien grenzen direkt an die der Smith-Familie an und sind um einiges größer. Ihr Einfluss und ihr guter Ruf könnten ihn zum Umdenken bewegen.« »Deine Ideen in allen Ehren, aber ich fürchte dass du damit nicht sehr weit kommen würdest. Wenn zwischen diesen beiden Familien eine Fehde losbricht, leiden darunter immer die einfachen Bürger. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Familie der Elchots einen Familienkrieg losbrechen will.« »Soll das heißen, wir müssen die Füße still halten und alles über uns ergehen lassen?« »So schlimm sich das auch anhört, aber das müssen wir wohl. Uns bleibt nur, von hier fortzugehen, wenn wir die Steuern nicht mehr bezahlen können. Wenn Mister Smith irgendwann auf unbewohntem Grund lebt werden ihm seine vielen Steuern nichts mehr bringen. Er wird von nichts mehr leben können und wird zu Grunde gehen.« Katherine seufzte. So lange wollte sie nicht warten! »Wie geht es Onkel John?«, fragte sie, um sich auf andere Gedanken zu bringen. »Nicht gut. Das Fieber steigt immer weiter. Wir brauchen dringend Medikamente, aber uns fehlt das Geld dafür.« »Ich werde sehen, was ich tun kann. Vielleicht fällt mir etwas ein.«, sprach Kathi nur und stand dann auf. Müde und abgeschlagen legte sie sich schlafen. Wie in den Nächten zuvor fand sie jedoch wenig Schlaf. So viele, neue Probleme taten sich vor ihr auf! Die Erhöhung der Steuern, die drohende Zwangsheirat, Onkel Johns Krankheit! Wie sollte es mit ihrer Familie weitergehen? Sie konnte das Korn nicht verkaufen! Sie brauchten es, um die Familie zu ernähren. Die Töpferwaren verkauften sich im Winter auch nicht besonders gut. Katherine sah im Moment nur einen Ausweg! Sie würde Mister Smith bitten müssen, ihr ein Darlehen zu gewähren, um den Arzt und die Medikamente bezahlen zu können. Kostete es, was es wollte!

Der Mond schien hell durch das Fenster, als Mike endlich wieder zu Hause war und sich ebenfalls schlafen legte. Katherine wurde immer wieder von Schüttelfrost aus dem Schlaf gerissen.

Am nächsten Tag ging es ihr nicht besser. Trotzdem musste sie sich aus dem Bett quälen und ihrer Arbeit nachgehen. Die Tiere versorgten sich nicht von allein und auch die Wäsche musste gewaschen werden. Außerdem hatte sie die Arbeiten, die Onkel John sonst erledigte, zwischen sich und Mike aufgeteilt. Sie mistete gerade die Hühner aus, als Tante Judy in die Tür trat und sie beunruhigt ansprach: »Jonathan geht es immer schlechter. Wir müssen dringend einen Arzt holen, Katherine. Bitte Mike darum, in die Stadt zu fahren.«, sprach sie nur. Katherine drehte sich zu ihrer Tante um. Ihr standen Tränen im Gesicht! Ging es ihm denn so schlecht? »Ist gut, das mach ich. Ich weiß aber vielleicht noch einen anderen Weg, Tante Judy. Lass mich nur machen.«, sprach sie und stellte den Besen in eine Ecke. Grob klopf-te sie sich die Schürze ab auf dem Weg ins Haus, suchte sich ihre beste Sonntagskleidung heraus und zog sich um. Judy war ihr stumm gefolgt. »Kathi, was hast du vor?«, wollte sie wissen. Ihr gefiel nicht, was ihre Nichte da tat. Diese wiederum sah ihre Tante an und steckte ihre Haare noch einmal richtig fest. »Ich gehe zu Mister Smith. Er ist der Einzige, der uns im Moment helfen kann.«

»Tu das nicht! Egal, wie schlimm es Jonathan steht. Wenn wir uns so abhängig von Mister Smith machen, hat er uns nur noch ein Stück mehr in der Hand. Uns wird schon etwas einfallen, wie wir die Arztkosten bezahlen.« »Keine Sorge. Das wird euch nicht betreffen.« ohne ein weiteres Wort ging Katherine an ihrer Tante vorbei und schlug geradewegs den Pfad zum Anwesen der Smith-Familie ein. Es war wirk-lich empfindlich kühl und sie fror unheimlich, obwohl ihr der Schweiß auf der Stirn stand. Etwa eine halbe Stunde später schritt sie bereits durch die mächtigen Eisentore, die das Grundstück ihres Herrn vom Rest des ihn umgebenden Landes trennte. Erstaunlicherweise stand es an diesem Tag offen. An der zweiflügeligen Eingangstür hielt Katherine inne. Sie zögerte einen Moment und war sich nicht mehr sicher, ob es eine so gute Idee gewesen war, diesen Weg einzuschlagen. Ein goldener Löwe streckte ihr sein Maul entgegen mit einem Ring darin. Zögerlich ergriff sie diesen und schlug damit gegen die Tür. Nur wenige Augenblicke später vernahm sie schlurfende Schritte von der anderen Seite der Tür und ein äußerst betagter, weißhaariger Mann in schwarzem Anzug und mit weißen Handschuhen öffnete ihr die Tür. »Sie wünschen?«, fragte er und sein Oberlippenbart verschluckte die Buchstaben. »Ist Mister Smith zu sprechen? Es ist wirklich wichtig.« »Der junge Herr speist gerade. Sie müssen später wiederkommen.« »Würde es große Umstände machen, wenn ich hier warte, bis er fertig ist? Ich muss ihn wirklich dringend sprechen.« der Diener zögerte einen Moment, dann antwortete er: »Ich werde den jungen Herrn fragen. Wen darf ich melden?« »Katherine.«, antwortete sie ohne zu überlegen. »Katherine Mac Callen.«

»Sehr wohl. Bitte einen Moment Geduld.« Kathi nickte und der alte Herr schloss die Tür beinahe lautlos wieder vor ihrer Nase. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie die schlurfenden Schritte wieder hinter der Tür vernahm und diese sich knarrend öffnete. »Bitte treten Sie ein.«, meinte er und öffnete die Tür noch ein Stück. Katherine zog sich die Stola enger um die Schultern, als sie in den Eingangsbereich trat und den Prunk sah, der ihr entgegen strahlte. Es erschlug sie förmlich! »Kann ich Ihnen etwas abnehmen?«, riss der Diener sie aus ihrer Erstarrung. Langsam und lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Nein danke.« »Folgen Sie mir.«, forderte er sie auf und ging voraus. Katherine tat, wie geheißen jedoch nicht, ohne sich gründlich umzusehen in diesem riesigen Haus. Es wäre wirklich kein Problem gewesen, private Gelder locker zu machen, um die Brunnen im Dorf zu bauen und zu erneuern! Mister Smith lebte hier offensichtlich in Saus und Braus! Jetzt sah sie mit eigenen Augen, welch habgieriger Mensch in ihm steckte! Er tat nichts für die Menschen, die auf seinem Land lebten! Er erwirtschaftete alles für sich allein und prahlte mit seinem Wohlstand! Nun verachtete sie diesen Menschen nur noch mehr und sie ekelte sich vor sich selbst für das, was sie im Begriff war zu tun!

Vor ihr öffnete der alte Diener eine große, schwere und dunkle Tür und gab ihr den Blick auf ein großes Arbeitszimmer frei. Der junge Mister Smith saß an einem Tisch, hinter ihm prasselte ein Feuer im Kamin. Er schien in Papiere vertieft zu sein und blickte verblüfft auf, als er sie. Wie gut er sich doch selbst inszenieren konnte! »Katherine!«, sprach er mit einem aufgesetzten Lächeln und stand auf. »Welch freudige Überraschung!« vorsichtig trat sie ein und der Diener schloss hinter ihr die Tür wieder. Ihr wurde nur allzu bewusst, dass sie nun mit diesem Mann allein in einem Raum war! Sie würde all ihren Mut aufbringen müssen, um stark zu bleiben. Sie durfte sich nicht einschüchtern lassen! Unter gar keinen Umständen! »Was kann ich für dich tun? Was führt dich zu mir?«, sprach er und kam auf sie zu. Katherine wich einen Schritt zurück und zog ihre Stola noch fester um ihre Schultern. »Ich habe eine Bitte.«, versuchte sie dann so selbstbewusst zu äußern, wie es ihr möglich war. Ihr Herz schlug drückend gegen ihre Brust und das Atmen fiel ihr schwer. »Nur zu. Ich hoffe, ich kann sie dir erfüllen.« »Da bin ich mir sicher.«, sprach sie mehr zu sich, als zu Mister Smith. Er bedeutete ihr, auf dem großen Sofa vor dem Fenster Platz zu nehmen, während er sich wieder an den Arbeitstisch setzte. »Also, was ist das für eine Bitte?«, fragte er frei heraus und sah sie offen an, während Katherine sich setzte. Das hinterhältige Blitzen in seinen Augen entging ihr dabei keines Wegs. Sie schlug die Hände in ihrem Schoß übereinander.

»Ich bitte Euch um ein Darlehen für meine Familie. Mein Onkel ist schwer erkrankt und wir benötigen dringend Medikamente, die wir uns nicht leisten können.« »Mh.« Michael schwieg. Er genoss es, Katherine in ihrer Nervosität zu beobachten. Sie war wie ein scheues Reh, welches ihm geradewegs vor die Flinte gelaufen war ohne es zu wissen. »Und wie will deine Familie dieses Darlehen wieder bei mir abzahlen?«, fragte er dann in die Stille hinein. Katherine zuckte deutlich zusammen unter diesen Worten und rieb sich die Hände. »Das obliegt ganz Eurem Gutdünken.«, sagte sie so leise, dass er es kaum verstand und senkte den Kopf. Michael schmunzelte in sich hinein. Er hatte sie also dort, wo er sie haben wollte! Jetzt konnte sie gar nicht mehr anders, als sich auf ihn und seine Forderungen einzulassen!

»Nun, ich bin wohl gewillt, dir dieses Darlehen zu gewähren, sofern du bereit bist, in die Ehe mit mir einzuwilligen.« Katherine schluckte. Sie war sich so sicher gewesen, dass er diese Forderung stellte, aber als sie diese nun noch mal ausgesprochen hörte, versetzte es ihr dennoch einen Stich. Sie wusste, sie konnte dieses Angebot nicht ausschlagen, wenn sie ihrem Onkel helfen wollte. Ohne die Medikamente würde er vermutlich nicht wieder genesen. Sie stand auf und fasste Michael Smith fest in die Augen. Es kostete sie einiges an Überwindung, aber sie hielt seinem Blick stand. »Ich bin einverstanden.« nun stand auch Michael Smith auf und öffnete eine kleine Schublade an seinem Schreibtisch. Daraus holte er einen kleinen, ledernen Beutel hervor, welcher offensichtlich voller Münzen war. Einige nahm er heraus und legte sie zur Seite. Den Rest übergab er, samt Beutel, Katherine. »Das wird sicher reichen. Ich hoffe, ich werde dich nicht an diese Abmachung erinnern müssen.« »Bestimmt nicht.«, antwortete Katherine, zwischen zusammen-gebissenen Zähnen hindurch. »Ich freue mich wirklich sehr, dass du zur Einsicht gekommen bist. Wir werden uns sicher bald wieder sehen.«

Katherine erstarrte. Wenn es nach ihr ginge, würde sie ihn nie wieder sehen! Er ergriff ihre Hand und wollte ihr einen Kuss auf den Handrücken geben, doch sie entzog sich schnell dieser Berührung. »Ich werde mich sofort auf den Weg machen.«, sprach sie und eilte zur Tür. So schnell es ihr möglich war verließ sie das Anwesen der Smith-Familie und machte sich auf den Rückweg zum Hof. Ihr schauderte bei dem Gedanken an Michael Smiths Miene und ihr wurde schlecht, wenn sie an die Hochzeit dachte! Warum ausgerechnet sie? Welches Interesse hatte er an ihrer Familie? Es wollte ihr einfach nicht in den Kopf gehen! Aber es war so und sie konnte nun nichts mehr dagegen tun. Selbst, wenn ihr Onkel diese Hochzeit ausschlagen sollte, so konnte sie doch schlecht ihr Versprechen brechen. Sie hatte ihm ihr Wort gegeben und das musste sie halten. Wer konnte schon wissen, was er ihrer Familie antun würde, wenn sie sich widersetzte?

Durchgefroren bis auf die Knochen erreichte Katherine den Hof ihrer Familie schließlich wieder und ihre Tante wartete bereits besorgt auf sie in der großen Küche. Mike saß am Tisch und schien sich ebenfalls seine Gedanken gemacht zu haben. Seine Blicke sprachen Bände. Nun, als Katherine wieder da war, sprang er auf und eilte auf sie zu. Sie hingegen blieb stehen und atmete tief durch. Sie durfte sich nichts anmerken lassen! Jetzt zählte nur, dass Onkel John wieder auf die Bei-ne kam! »Wo warst du denn nur?«, fragte ihr Cousin sie beunruhigt. Sie reagierte nicht darauf, sondern drückte ihm den ledernen Beutel in die Hand. »War der Arzt schon da?«, wollte sie wissen und ging nicht weiter auf die Frage ihres Cousins ein. »Ja, war er. Mutter bat mich, in die Stadt zu fahren. Aber wie wir die Kosten bezahlen sollen, weiß ich nicht.« »Fahr damit in die Stadt und besorge alles, was nötig ist, damit Onkel John wieder auf die Beine kommt. Das sollte auch reichen, um den Arzt für seine Mühen zu entschädigen.«, meinte sie nur und ging an ihm vorbei. »Woher hast du das?« »Unwichtig.« sie legte ihre Stola auf den Tisch und sah ihren Cousin entschlossen an. »Jetzt fahr schon!«, heischte sie ihn an und rüttelte ihn damit offensichtlich wach. Erschrocken fuhr er zusammen, griff dann einen dicken Mantel und eilte nach draußen. Kahterine sank auf die Holzbank am Tisch nieder und ihre Tante legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. Sie schwiegen. Es gab nichts mehr zu sagen.

Am späten Nachmittag erreichte Mike wieder das Haus der Familie und brachte Me-dikamente mit, damit er wieder gesund werden konnte. Die Stimmung blieb jedoch gedrückt. Katherine wollte nicht darüber reden, woher sie das Geld hatte und stellte sich am Abend schlafend, als Mike zu Bett ging.

Ohne Frühstück verließ Katherine am übernächsten Tag das Haus und machte sich wieder auf den Weg in den Wald und zum Bachlauf. Sie musste dringend die Wäsche waschen und außerdem auf andere Gedanken kommen. Michael Smith verfolgte sie bis in ihre Träume und immer wieder wurde sie von Schüttelfrost geweckt. Aber sie musste durchhalten! Die Familie verließ sich auf sie! Katherine lief, bis sie die Waschstelle erreichte und kniete sich ans Ufer. Erst, als sie ihr Spiegelbild im Wasser sah erkannte sie selbst, wie blass sie war. Die Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht und unter ihren Augen lagen tiefe Schatten. Katherine fühlte sich krank und erfrischte sich das Gesicht mit dem eiskalten Wasser. Mit starken Gliederschmerzen und immer wiederkehrendem Hustenreiz wusch sie ein Kleidungsstück nach dem anderen und hatte das Gefühl, dass es einfach nicht weniger werden wollte. Der Wind frischte auf, was sie zusätzlich frösteln ließ. Ihre Hände waren schon ganz rot und sie hauchte sie an, um wieder etwas Gefühl in die Fingerspitzen zu bekommen. Plötzlich legte sich etwas über ihre Schultern und erschrocken fuhr sie herum um den Grund dafür herauszufinden. Sie starrte völlig entgeistert in das Gesicht des jungen Edelmannes, welchen sie im Sommer so sehr verletzt hatte. Daniel Elchot blickte stumm auf das Mädchen vor sich und beobachtete ihre Regung. »Du sahst aus, als würdest du frieren.«, erklärte er nur und Katherine zog den Stoff fester um sich. Sie erkannte es als eine Decke. »Was machst du bei diesem Wetter hier? Du holst dir noch den Tod.«, wollte er dann wissen. »Die Wäsche macht sich nicht von allein, Herr. Dachtet Ihr, Eure Anzüge machen sich von allein? Auch auf Eurem Land sind die Frauen bei diesen Temperaturen unterwegs, damit Eure Kleidung sauber ist.« Daniel schmunzelte. Obwohl sie diese Worte sprach, klang sie völlig ruhig. Sie war heute so völlig anders, als im Sommer. Schon beinahe handzahm. Irgendetwas daran störte ihn. Es passte nicht zu ihr. Katherine wandte sich von dem Edelmann hinter sich wieder ab, um die verbliebene Wäsche wieder einzusammeln und stand dann auf. »Vielen Dank dafür, aber ich brauche es nicht.«, sprach sie, zog sich die Decke von den Schultern und reichte sie Daniel Elchot. Sie beschloss, die restlichen Sachen am nächsten Tag zu waschen und wollte sich schnell auf den Rückweg machen. Die Gegenwart dieses Mannes war ihr unheimlich. »Warte!«, rief der junge Edelmann ihr jedoch hinterher und sie fuhr erschrocken zu ihm um. »Geht es dir und deiner Familie gut?«, wollte er dann wissen und schalt sich insgeheim sofort für diese Frage. Er brachte das Mädchen in Verlegenheit. Sie würde ihm nicht wahrheitsgetreu antworten, das wusste er. Ihre Augen verengten sich und sie schien nach einer passenden Erwiderung zu suchen, welche sie dann auch recht schnell fand. »Ich weiß, dass Ihr mich und meine Familie immer wieder beobachtet habt, Herr! Und ja, meiner Familie geht es gut. Geradezu hervorragend. Danke der Nachfrage.« nun ging Katherine tatsächlich ohne sich noch ein weiteres Mal zu dem Edelmann umzudrehen.
 

Doch dort, auf dem Hof, wartete bereits der nächste Schreck auf sie. Das Pferd von Michael Smith war an einem Baum angebunden, aber es war niemand zu sehen. Was wollte er schon wieder? Kam er wegen des Versprechens, zu welchem er sie genötigt hatte? Sie atmete tief durch und betrat dann das Haus. Michael Smith saß dort, selbstgefällig wie eh und je, am Tisch und ihr Onkel machte eine Miene wie sieben Tage Regenwetter. Gott sei Dank hatte er sich sehr schnell erholt, nachdem der Arzt da gewesen war, sodass er inzwischen wieder aufstehen konnte. Die Stimmung war erdrückend! »Meine liebe Katherine!«, begann Michael Smith übertrieben fröhlich, stand auf und ging lächelnd und mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.

Sie wich einige Schritte zurück. »Was ist hier los?«, wollte sie ohne Umschweife wissen und tauchte unter den Armen dieses arroganten Widerlings hindurch, um Abstand zwischen sich und ihn zu bringen. Er drehte sich zu ihr um, als Katherine gerade den Wäschekorb wegstellte. »Soeben sprach ich mit deinem Onkel darüber, welch interessantem Gespräch sein Sohn vor einigen Tagen in der Schenke beiwohnte und du ebenso.« Katherine wich einen weiteren Schritt zurück. Die Stimme von diesem Kerl triefte nur so vor Hinterhältigkeit! »Und ich habe deinen Onkel dar-über aufgeklärt wie unklug es doch wäre, jetzt in Missgunst zu fallen mir gegenüber. Es wäre äußerst tragisch für deine Familie, würde ihm aus Versehen etwas zustoßen, nicht wahr?« er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Umso mehr legte ich ihm nahe sich doch vor Augen zu führen, wie wichtig die Heirat mit dir wäre. Deine Zieheltern müssten sich nie wieder Sorgen machen, nicht wahr?« er kam auf sie zu. Katherine gefiel die ganze Sache nicht! Was wollte er? Dass sie ihn heiraten würde um des Friedens willen war doch klar gewesen! Sie hatten das doch bereits geklärt! Wieso erpresste er ihre Familie jetzt noch mit einer solchen Sache? Als er direkt vor ihr stand, zückte er einen Ring aus der Tasche, den er Katherine hinhielt. »Du wirst mich doch nicht abweisen, liebste Katherine?!« der Klang seiner Stimme gefiel ihr nicht! Er war ihr einfach zuwider. Er wollte sich gerade daran machen ihre Hand zu ergreifen und ihr den goldenen Ring mit dem durchsichtigen Stein anzustecken, da kam ihm Katherine zuvor und griff nach dem Ring, um ihn selbst über ihren Finger zu streifen. Michael Smith lachte selbstgefällig und nickte dann in ihre Richtung.

»Ich freue mich sehr, Katherine, dass du so vernünftig bist und an deine Familie denkst. Im nächsten Sommer wird die Hochzeit stattfinden. Bis dahin gibt es sicher noch viel für dich zu tun.« ohne ein weiteres Wort verschwand Michael Smith wieder. Erschöpft und geschockt ließ sich Katherine auf einem Stuhl nieder und betrachtete wie in Trance diesen Ring an ihrer linken Hand, der so gar nicht zu ihr passte. Was sollte sie jetzt noch tun? Ihr Schicksal war besiegelt. Sie blickte zu ihrem Onkel, doch dessen Blick war nur noch niederschmetternder für sie. Er hatte jede Hoffnung fahren lassen. »Was tun wir jetzt?«, fragte Katherine dennoch in die Stille hinein, einfach um etwas zu sagen. »Es ist besiegelt. Du wirst im Sommer Mister Smith heiraten und somit eine sehr gute Partie. Kein Mädchen vom Land erhält normalerweise eine solche Gelegenheit in die gehobene Gesellschaft eingeführt zu werden. Ich werde mit dem Dorfrat reden und sie dazu bringen, die Gemüter wieder zu beruhigen. Wenn du an der Seite dieses Edelmanns sein wirst, dann wird sich das Leben für uns auch zum Positiven verändern. Da bin ich sicher und daran möchte ich gern glauben.« »Ich kann es nicht glauben, so sehr ich es auch will.«, sprach Kathi nur niedergeschlagen und ging hinters Haus, um sich beim Hühner füttern abzulenken. Lange betrachtete sie den Ring und stellte sich insgeheim die Frage, wie viel er wohl wert sei. Katherine schüttelte es. Ihr war wieder mit einem Schlag kalt und sie zitterte. Langsam legte sie eine Hand an ihre Stirn. Sie war glühend heiß!

Bei dem Regen der vergangenen Tage musste sie sich erkältet haben. Aber Tante Judy hatte die ganzen Kleinen und nun auch noch das Baby. Sie konnte die Familie nicht im Stich lassen und musste ihren Aufgaben nachgehen!

Nachdem Katherine die Hühner gefüttert hatte, holte sie Wasser um das Essen kochen zu können und hing dann die Wäsche auf.

Im Laufe des Tages ging es ihr immer schlechter, aber Katherine wollte den anderen auch keine Last sein und suchte sich Arbeiten, wo sie der Rest der Familie nicht beobachten konnte. Erneut ging sie mit der Wäsche zum Bachlauf im Wald. Immer wieder fiel ihr Blick auf den Ring, der ihr immer noch fremd vorkam. Und je länger sie ihn betrachtete, desto schwerer wurde ihr ums Herz. Irgendwann konnte sie die Tränen nicht mehr verbergen und schluchzte hemmungslos. Sie kauerte sich an einem Baum zusammen, den Kopf auf den Knien liegend und die Arme fest um ihre Beine geschlungen. Sie wollte nichts mehr sehen oder hören. Sie wollte nur noch weg und sich verkriechen! Sie wollte einfach nur noch allein sein und den bohrenden Fragen ihres Cousins nicht mehr begegnen! Sie hielt das alles nicht mehr aus. Sie musste hier raus! Den Kopf frei bekommen und in Ruhe nachdenken! Sie dachte nicht darüber nach was sie tat.

Erst, als sie tief im Wald stehen blieb wurde ihr bewusst, dass sie alles stehen und liegen gelassen hatte und einfach davon gelaufen war. Katherine blickte sich um und konnte nichts erkennen, was ihr bekannt vorkam. Sie hatte sich verirrt! Und die Nacht würde bald hereinbrechen! Durch den Schleier ihrer Tränen konnte sie nicht viel erkennen und das Fieber machte ihr stark zu schaffen. Sie lief immer weiter. Irgendwann würde sie schon am anderen Ende des Waldes herauskommen und dann konnte sie einfach zurückgehen.

Im Unterholz raschelte es. Katherine war schreckhafter als sie dachte und zuckte bei jedem Geräusch zusammen in der Annahme es könnten Wölfe oder Michael Smith sein. Der Unterschied war nur gering. Sie schaute nach oben. Die Kronen der Bäume ließen kaum einen Strahl des Tageslichts durch und es wurde bereits langsam dunkel. Katherine sank der Mut. Wenn sie hier nicht bald herausfand, musste sie die Nacht auf einem Baum verbringen und sie war eine äußerst schlechte Kletterin.

Ihr Onkel wartete indes ungeduldig auf die Rückkehr seiner Nichte. Sie hätte längst da sein müssen und er begann, sich Sorgen zu machen. Immer wieder trat er vor die Tür des Hauses und hielt Ausschau nach ihr. Sein Sohn, Mike, war losgegangen um nach ihr zu suchen und kam in diesem Augenblick aufgeregt auf ihn zugeeilt. »Am Bach liegt nur die Wäsche. Von Katherine weit und breit nichts zu sehen. Sie ist verschwunden!« Jonathan blieb das Herz für einen Augenblick stehen. Er machte sich Vorwürfe. Es war seine Schuld, dass sie verschwunden war! Er hatte sie zu dieser Hochzeit gedrängt, damit wieder Frieden einkehrte in dem Dorf. Katherine hatte das alles ihm zu liebe getan und er wusste, sie würde nicht glücklich mit dieser Entscheidung werden. Aber vielleicht irrte er sich auch und sie war nicht davongelaufen? Was, wenn ihr jemand aufgelauert hatte und sie verschleppte? Wenn ihr ein Leid angetan wurde? Das wollte er sich gar nicht ausmalen! Seine Frau hatte die aufgeregte Stimme von Mike vernommen und war ebenfalls nach draußen geeilt. »Hast du sie gefunden?«, fragte sie aufgeregt, doch Mike schüttelte nur den Kopf. »Sie ist wie vom Erdboden verschluckt.« auch Judy ließ daraufhin die Schultern hängen. »Wir müssen den Leuten im Dorf bescheid geben. Sie müssen uns beim Suchen helfen. Es wird bald dunkel. Katherine wird die Nacht bei dieser Kälte nicht überleben! John, du solltest außerdem zu Mister Smith gehen und ihn darüber informieren. Wenn sie jenseits der Gutsgrenzen ist, muss er sich mit den umliegenden Herren in Verbindung setzen.« »Nein, wir werden es erst so versuchen. Sie ist vielleicht wegen Mister Smith davon gelaufen. Ich hetze ihn ihr nicht auch noch auf den Hals um sie zu finden.«

Eilig holte sich Jonathan seinen Mantel aus dem Haus und hastete dann zum Dorf. Die Menschen dort waren sehr hilfsbereit. Schnell hatten sich mehrere Gruppen zusammengefunden, die noch am selben Abend mit Fackeln losgingen und die Gegend absuchten, soweit es ihnen möglich war und sie die Landesgrenzen nicht verletzten.

Doch Katherine blieb verschwunden.
 

Unterdessen hatte sie sich doch auf einen Baum zurückgezogen. Sie wollte es nicht darauf ankommen lassen im Schlaf überrascht zu werden. Sei es von Wölfen oder von Räubern. Die Nächte verbrachte man hier draußen besser nicht allein, schon gar nicht als Frau. Sie war froh, als sie eine hohe Tanne fand, in deren Ästen sie sich schützend zurückziehen konnte. Sie fror zwar und hatte Mühe, sich zu hal-ten, doch alles war besser als in Stücke gerissen zu werden. Sie sah, wie der Tag sich dem Ende neigte und es dunkel wurde. Die Nacht war sternenklar und kalt. Sie fror und fühlte sich elend. Und irgendwann vergaß sie auch jedes Gespür für Zeit.
 

Zwei Tage waren vergangen, ohne dass Katherines Familie ein Lebenszeichen von ihr hatte. Die gesamte Dorfgemeinschaft hatte nach ihr gesucht, sogar den Wald durchkämmt und die Grenzen zu den anliegenden Gütern überschritten obwohl sie wussten, dass sie dafür dem Richter vorgeführt werden konnten. Doch nichts hatten sie gefunden, nicht das kleinste Bisschen. Judy drängte ihren Mann nun umso mehr, Mister Smith darüber in Kenntnis zu setzen. Als Katherines Verlobter musste er sich einfach einschalten! Doch anstatt Mister Smith aufzusuchen, spannte Jonathan am späten Abend das Pferd von Ben vor einen Wagen und ritt damit zum Anwesen der Elchot-Familie. In Zeiten der Not waren sie immer hilfsbereit gewesen und sein Bruder hatte Zeit seines Lebens nur gut von dieser Familie gesprochen. Er wusste, es war ihm nach Michael Smiths neuen Regelungen untersagt, sein eigenes Land zu verlassen, doch ihm war es lieber bestraft zu werden, als Michael nach Katherine suchen zu lassen! Unter den alten Herrschaften hätte es eine solche Trennung der Ländereien nie gegeben! Sein Bruder war der oberste Stallmeister des alten Mister Elchot gewesen! Bis zu jenem Tag hatte er dieser Familie treu gedient! Sie waren ihm diese Hilfe einfach schuldig!

Der Weg bis zum Anwesen erschien Jonathan beinahe endlos. Die Zeit verrann einfach nicht. Als er endlich an dem herrschaftlichen Haus angekommen war, wollte man ihn zunächst nicht hinein lassen und man sagte ihm, dass Mister Elchot nicht zu sprechen sei. Doch er ließ sich nicht abwimmeln und Daniel bemerkte den Aufruhr vor dem Haus bald vom Arbeitszimmer aus. Er erkannte den Bauern, welchem er in Michaels Haus begegnet war und ließ ihm ausrichten, dass er eintreten solle. Untergeben verneigte sich Jonathan vor dem Ältesten der Elchot-Brüder als er vor ihn trat.

»Wer seid Ihr und was führt Euch zu dieser späten Stunde zu mir?«, wollte er ohne große Umschweife zum Punkt kommen. Er hatte wenig Zeit für Banalitäten und wollte sich schnell wieder seinen eigentlichen Aufgaben widmen. »Mein Herr, mein Name ist Jonathan Mac Callen. Meine Nichte ist verschwunden und ich bitte Euch demütigst um Hilfe, um sie zu finden.« »Mac Callen? Und Eure Nichte ist also verschwunden, sagt Ihr? Aber was hat das mit mir zu tun? Wenn ich mich nicht irre, liegt Euer Hof auf der anderen Seite der Grenzen, auf dem Gebiet von Mister Smith. Wenn jemand vermisst wird, ist er dafür zuständig und nicht ich.« »Ich weiß, Herr, doch ich weiß keinen anderen, den ich um Hilfe bitten könnte. Sie ist vermutlich wegen dem jungen Mister Smith weggelaufen. Ich kann ihn ihr nicht hinterherschicken. Sie würde nicht zurückkommen.« »Und wie ist der Name Eurer Nichte?« »Katherine Mac Callen.« »Der Name kommt mir bekannt vor.« »Mein Bruder diente Eurem Vater viele Jahre als Stallmeister. Er lebte hier mit seiner Frau und Tochter bis zum Tag des großen Feuers. Ihr ward damals noch ein kleiner Junge. Ich bitte Euch, helft uns. Wir dürfen die Grenzen offiziell nicht mehr überschreiten und können somit nicht den Wald absuchen. Sie ist nun bereits seit zwei Tagen verschwunden. Ich weiß, sie fühlte sich nicht wohl. Wir müssen sie finden, bevor es zu spät ist!« Daniel überlegte einige Zeit. Was sollte er am besten tun? Er konnte die Bitte schlecht ausschlagen. Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass er dem Mann, der da so gebeugt vor ihm stand, helfen musste! Er schien wirklich schwer mit sich gerungen zu haben und unter seinen Augen zeichneten sich bereits dunkle Schatten ab. Er musste am Ende und völlig verzweifelt sein! »Also schön. Ich werde einigen Burschen bescheid geben, dass sie die Augen offen halten sollen. Auch den Jäger werde ich über die Situation informieren. Sollten wir sie finden, werden meine Leute sie wohlbehalten zu Euch und Eurer Familie zurückbringen.« Jonathan atmete auf. »Ich danke Euch, Herr.« dann verließ er das Anwesen wieder. Mehr konnte er für seine Nichte im Moment nicht tun.

Daniel rief einen Diener zu sich herein und gab ihm genaue Anweisungen darüber, was er tun sollte. Er selbst würde sich an der Suche beteiligen. Das Mädchen erschien ihm nicht wie eines, mit welchen er sonst so oft zu tun hatte. Bei seinen Begegnungen mit ihr hatte er stets den Eindruck, dass sie sehr stark war und wusste, was sie wollte. Es sollte ihr nicht schwer fallen, sich gegenüber anderen durchzusetzen und zu behaupten. Dass sie spurlos verschwunden war, konnte nichts Gutes bedeuten und dass dieser Michael Smith damit zu tun haben sollte, beunruhigte ihn noch mehr. Sie hatte kränklich gewirkt bei ihrem letzten Gespräch. Wer wusste schon, wie viel Zeit ihnen noch blieb um sie zu finden oder ob sie noch am Leben war? Nach der Auseinandersetzung im Wald, als er zufällig dazu gekommen war, traute er Michael inzwischen alles zu. Und zwei Tage waren eine lange Zeit für jemanden, der sich in den Wäldern gut auskennen sollte. Und das sollte sie, schließlich war sie an dessen Rand aufgewachsen!
 

Katherine, unterdessen, irrte noch immer durch den dunklen Wald und hatte die Orientierung vollkommen verloren. Sie wusste nicht mehr, wo sie war obwohl sie Wälder rund um den Hof wie ihre Westentasche kannte! Wo war sie hier nur? Warum kam ihr hier nichts bekannt vor? Es war hell und wieder dunkel geworden und ihr ging es immer schlechter. Ständig wurde sie von Schüttelfrost heimgesucht und musste sich, öfter als sie wollte, setzen, um ein wenig Kraft zu tanken. Sie fühlte sich elend. Sie war müde, alle ihre Glieder schmerzten und die paar Beeren, die sie gefunden hatte, konnten sie nicht sättigen. Die Nächte waren eisig frostig und setzten ihr sehr zu. Aber das war im Moment auch nicht ihr größtes Problem, da sie sowieso nichts drin behalten konnte. Sie mühte sich immer mehr, vorwärts zu kommen und als sie merkte, dass es wieder dunkel wurde, wollte sie Schutz suchen, doch sie war zu schwach um sich auf eine Erhöhung zu bringen. Müde, vom Fieber geschüttelt und mit Schmerzen rollte sie sich schließlich unter einer mächtigen Eiche zusammen und versuchte etwas Ruhe zu finden. Sie konnte erst weitergehen, wenn der neue Tag anbrach. In der Nacht würde sie den richtigen Weg niemals finden.

Irgendwann, sie wusste nicht wie lange sie geschlafen hatte, glaubte sie Stimmen in der Ferne zu hören. Sie versuchte sich aufzurichten und diesen Stimmen entgegen zu gehen, doch ihre Beine wollten sie nicht tragen und so sank sie unweit des Baumes wieder zusammen. Sie konnte Lichter ausmachen in der Ferne. Die Leute suchten sie und waren in der Dunkelheit mit Fackeln unterwegs. Katherine wollte auf sich aufmerksam machen, aber sie brachte kein Wort heraus. Ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Ihr blieb nur noch, an Ort und Stelle auszuharren und zu hoffen, dass die Leute auf sie aufmerksam wurden. Und trotzdem schwang auch die Angst in ihr mit, dass es Männer waren, die zu Michael Smith gehörten. Was, wenn er es war, der sie hier suchte? Er würde sie zwar zurückbringen aber sie wusste, er würde sie einsperren. Und dann würde sie nie wieder frei sein können. Mit verschwommenem Blick sah sie noch einmal auf, doch die Lichter schienen verschwunden zu sein. Erschöpft und mutlos senkte sie den Kopf wieder und spürte den kühlen, feuchten Waldboden an ihrer Haut. Sie atmete schwer.

Für einen Moment schloss sie Augen und wollte nur noch vergessen. Sie war erleichtert, dass sie wohl noch eine Weile vor diesem grausamen Menschen sicher war aber sie wusste auch, dass die Chance sank, dass sie hier gefunden werden würde. Wenig später, nachdem sie erneut weggedämmert war, spürte sie kräftige Hände um sich und das sanfte Schaukeln, als sie vom Boden hochgehoben wurde. Müde öffnete sie die Augen und sah zu der Person auf, die sie mit sicheren Armen trug. Sie erkannte in der Dunkelheit nicht viel, aber war das nicht der Reiter, der sie des Öfteren im Sommer beobachtet hatte aus der Ferne? Bedeutete dies, dass sie nun in Sicherheit war? Er schien ihre Blicke zu bemerken und schaute zu ihr hinunter. War da ein Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen? Sie wusste es nicht. Alles drehte sich in ihrem Kopf und sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. »Hab‘ keine Angst, dir wird nichts geschehen.«, sprach er mit sanfter, tiefer Stimme. Eine Stimme, die sie beruhigte. »Ich muss…nach Hause.«, meinte sie müde und ihre Stimme war mehr ein Flüstern als alles andere. »Nein, das musst du nicht. Du bist in Sicherheit und kannst in Ruhe wieder gesund werden. Ich gebe dir mein Wort.«

Daraufhin schloss Katherine ihre Augen wieder. Sie war zu schwach um sich gegen den Mann zu wehren. Sie konnte sicher sein, dass es nicht Michael Smith war und das genügte ihr für den Anfang.
 

Als sie das nächste Mal zu sich kam, fühlte sie sich noch immer fiebrig, aber sie lag unter warmen Decken und auf weichen Kissen. Sie konnte den Stoff deutlich um sich herum spüren. Er fühlte sich herrlich weich an unter ihren Fingern. Vorsichtig öffnete sie die Augen und blickte sich in einem ihr unbekannten Raum um. Das Fenster stand offen, Vögel sangen. Ein sanfter Windhauch streifte ihr Gesicht, ließ sie aber sofort erschauern und sie zog sie tiefer unter die Decke zurück. Sie hatte fürchterliche Kopfschmerzen. Katherine sah sich weiter um. Das Zimmer sah aus, als wäre es lange nicht genutzt worden. Über einigen Möbeln hingen weiße Tücher und in den Ecken der Zimmerdecke hingen lange Spinnweben. Ein großer Kamin zierte die gegenüberliegende Wandseite. Das Gemäuer war dunkelgrau. Ein alter Sekretär und ein großer Kleiderschrank, ebenso eine Truhe zierten den Raum. Ihr Bett war ein großes Himmelbett und helle, gelbe Tücher waren um die Pfosten gebunden. Langsam drehte sie den Kopf zur anderen Seite. Auf einem kleinen Nachtschrank, rechts neben ihr, stand ein Becher, daneben lag ein weißes, leinenes Tuch. Sie fragte sich noch, was das wohl sollte, da wurde die Tür zu dem Zimmer knarrend geöffnet und ein Mädchen in Uniform, offensichtlich ein Dienstmädchen, betrat so leise wie möglich das Zimmer. Sie trug ein langes, schwarzes Kleid, darüber eine weiße Schürze mit Spitzenbesatz und auch der Kragen an ihrem Hals war aus weißer Spitze. Als sie spürte, wie Katherine sie anblickte und zu mustern schien, verharrte sie einen Augenblick, den Türknauf noch immer in der Hand. Dann löste sie sich aus ihrer Starre und verschwand aufgeregt wieder. Katherine konnte sie noch rufen hören: »Sie ist wach!« und wollte sich etwas aufrichten, aber ihr fehlte jede Kraft in den Armen. Ihr blieb nichts weiter übrig, als sich auf das Wohlwollen der Menschen, die sie aufgenommen hatten, zu verlassen. Wer auch immer es sein mochte. Sie hoffte nur, dass sie sich nicht im Haus der Familie Smith befand! Aber das hätte sie schon längst bemerkt, nicht wahr? Vermutlich hätte er sich ihr auf irgendeine unangenehme Art und Weise genähert und sie in Bedrängnis gebracht.

Diese Menschen hier waren aber offensichtlich ebenfalls recht wohlhabend, denn sonst würden sie sich keine Angestellten leisten können. Dennoch schienen sie anders zu sein wie Mister Smith. Katherine kam nicht weiter zum Nachdenken. Erneut öffnete sich knarrend die Tür. Ein älterer Mann trat ein, mit Brille und weißem Bart. Auf dem Kopf trug er einen schwarzen Zylinder und er hielt eine Ledertasche in der Hand. Langsam und etwas gebeugt, ging er auf Katherine zu und setzte sich auf die Bettkante. Ohne viel Zögern griff er nach ihrem Handgelenk und schien ihren Pulsschlag zu fühlen. Sie wollte sich dieser Berührung entziehen, doch er hielt sie fest und ließ sie nicht entkommen. So gebrechlich er auch wirkte, so viel Kraft wohnte ihm noch inne. »Keine Angst, ich tue Euch nichts.«, sprach er leise und ihr blieb nichts weiter übrig, als ihm für den Moment zu vertrauen. Dann öffnete er sei-ne Tasche und holte ein Abhörgerät hervor. Erst jetzt erkannte sie, dass es ein Arzt war, der sich gerade um sie kümmerte. Schweigend ließ sie die Prozedur über sich ergehen. Ihr fehlte jede Kraft um auch nur den geringsten Widerstand zu leisten.

Schließlich blickte der alte Mann streng auf sie herab. »Ihr braucht strenge Bettruhe um wieder zu Kräften zu kommen. Ich werde der Köchin sagen, sie soll eine stärkende Brühe kochen und raufbringen lassen. Trinkt viel und nehmt die Medikamente, die auf dem Tisch dort liegen.« er zeigte auf das Nachtschränkchen. In dem Tuch waren tatsächlich kleine runde Pillen eingewickelt. »Was ist das?«, fragte sie mit schwacher Stimme. »Das hilft gegen das Fieber.« Katherine zögerte. »Ich brauche das nicht.«, widersprach sie dann.

»Ich bin der Arzt und ich sage, Ihr nehmt die Medikamente, damit Ihr wieder zu Kräf-ten kommt.« der Ton in seiner Stimme gab Katherine deutlich zu verstehen, dass er keine Widerworte duldete. Er stand auch schon auf und verschwand wieder, ohne dass sie noch etwas sagen konnte. Nur kurz darauf erschien das Dienstmädchen wieder im Zimmer und stellte eine Tablett mit einem Teller neben ihr auf dem Nacht-schrank ab. Sie bemerkte das Tuch mit den Pillen und sah zu Katherine. Diese blickte gerade müde aus dem Fenster. Sie rang noch mit sich, ob sie das Mädchen ansprechen sollte oder nicht. Aber sie musste einfach wissen, wo sie hier war! Sie konnte sich an nichts erinnern! Nicht daran, wie sie hierhergekommen war und auch nicht daran, was sie im Wald gesucht hatte! Die letzten zwei Tage lagen bei-nahe komplett im Dunkeln für sie. Sie musste irgendwie wieder nach Hause zu ih-rer Familie! »Wo bin ich hier?«, rang sie sich durch zu fragen, wagte aber nicht, das Mädchen anzuschauen.

»Im Haus der Familie Elchot.«, entgegnete sie mit sanfter Stimme. »Der Elchots?«, wiederholte Kathi überrascht und sah nun doch zu dem Mädchen. Das konnte sie kaum glauben! Sollte sie so weit entfernt sein vom Einfluss der Familie Smith? Das war zu schön um wahr zu sein. »Wieso?«, fragte sie darum ungläubig. Das Mädchen lächelte. »Weil Mister Elchot es war, der dich im Wald fand. Er brachte dich her und rief einen Arzt, der sich um dich kümmerte. Du solltest die Medikamente nehmen.« leicht schüttelte Katherine daraufhin den Kopf. »Nein, ich möchte das nicht. In meinem Leben war ich noch nie auf solche Dinge angewiesen. Tu mir einen Gefallen und bring das weg.« das Mädchen lächelte erneut. »In Ordnung. Das sollten wir aber die Elchots und den Arzt nicht wissen lassen. Mister Elchot wäre nicht erfreut zu hören, dass du so widerspenstig bist und dir nicht helfen lassen willst.« sie griff nach dem Tuch und ließ es in der schwarzen Rocktasche verschwinden. Dafür war Katherine dem Dienstmädchen sehr dankbar. »Wie ist dein Name?«, fragte sie dann. »Katherine. Katherine Mac Callen.« »Mac Callen?« das Dienstmädchen schien erschrocken und erstaunt darüber zu sein. Katherine wollte jedoch gar nicht wissen, wieso. Sie war viel zu müde. Sie konnte auch später noch erfragen, warum sie so empfindlich auf diesen Namen reagierte. »Mein Name ist Resi. Wenn du etwas benötigst, brauchst du nur zu rufen. Ich werde mich dann um dich kümmern.« müde nickte Katherine als Zeichen, dass sie verstand, dann fielen ihr schon wieder die Augen zu. Wie Resi das Zimmer verließ, bemerkte sie schon gar nicht mehr.

Katherine schlief lange und wachte etwas ausgeruhter wieder auf. Das Fenster war inzwischen geschlossen worden und im Kamin gegenüber prasselte ein kleines Feuer. Es hielt den Raum warm und tauchte alles in ein angenehmes Licht. Zusätzlich zu dem Sekretär stand nun noch ein kleiner runder Tisch mit zwei Stühlen im Zimmer. Auf dem Tisch stand ein silberner Kerzenhalter auf einem gehäkelten Deckchen. Alles schien insgesamt etwas wohnlicher gemacht worden zu sein, wäh-rend sie noch geschlafen hatte. Das war ihr unheimlich. Der Teller auf ihrem Nachtschrank war wieder verschwunden. Eine Tasse mit herrlich duftendem Tee stand nun an seiner Stelle. Katherine erhob sich und steckte sich die Kissen im Rücken fest. Ihr Haar fiel ihr in leichten Wellen über die Schulter und erst jetzt bemerkte sie auch, dass sie ihre Kleider nicht mehr trug. Stattdessen war sie in ein weißes Nachthemd mit langen Ärmeln gekleidet. Die Ärmel und der Kragen wurden von zarter Spitze gesäumt. Es fühlte sich weich an auf ihrer Haut. Nicht so kratzig wie die Stoffe, die sie sonst trug. Die Qualität dieses Stoffes war hochwertiger und somit war dieses Gewand sicher um Einiges teurer, als das, was sie normalerweise trug. Es war ein angenehmes Gefühl und sie genoss diese Leichtigkeit. Und trotzdem war ihr nicht wohl dabei zu Mute. Sie konnte und durfte sich unmöglich auf diese Pracht einlassen! Sobald sie sich dazu in der Lage fühlte, sollte sie von hier verschwinden!

Mit zittriger Hand griff sie nach der Tasse und hielt sie mit beiden Händen fest um nichts von deren Inhalt zu verschütten. Sie sog den Geruch des Tees tief ein. Es roch nach frischem Fenchel und Anis. Vorsichtig nippte sie daran und verbrannte sich sogleich die Zunge. Trotzdem behielt Katherine die Tasse in der Hand. So konnte sie wenigstens ihre kalten Hände daran wärmen und der Duft beruhigte sie. Eine Weile lauschte sie in die Stille hinein. Kein einziges Geräusch war im Haus zu hören. Nur das entfernte Läuten der Kirchenglocke eines Dorfes vernahm sie. Es war spät in der Nacht. Vermutlich war im Haus keiner mehr auf.

Katherine überlegte, was sie wohl anstellen sollte während sie hier unterkam. Ihre Familie würde sich schreckliche Sorgen machen und sie konnte nur hoffen, dass sie inzwischen darüber informiert waren, dass sie sich im Haus der Elchots befand. Und wenn dem so war, dann würde sich diese Neuigkeit vermutlich auch schon bis zu Michael Smith herumgesprochen haben. Sie konnte nur hoffen, dass er hier nicht auftauchen würde! Michael Smith! Allein bei dem Gedanken an ihn schüttelte es sie und angewidert blickte sie auf den Ring an ihrem Finger. Er würde keine Ruhe geben, bis er sein Ziel erreicht hatte! Ihm war jedes Mittel recht um zu bekommen, was er haben wollte! Sie würde auch bei den Elchots nicht lange vor ihm sicher sein! Und ihre Wohltäter in Bedrängnis zu bringen, das wollte sie nun wirklich nicht. Außerdem gingen sie ihre Familienangelegenheiten auch gar nichts an und sie mussten sich nicht darin einmischen.

Katherine stellte die Tasse zur Seite und zog sich entschieden den Ring vom Finger, der so fest auf diesem saß, dass sie sich bei dem Versuch, ihn zu entfernen, kratzte. Doch verglichen mit der Bürde, diesen Ring tragen zu müssen, war diese kleine Verletzung nicht weiter von Bedeutung. Wütend warf sie das funkelnde Schmuckstück in den Kamin, wo es von den Flammen verschluckt wurde. Dann schlug sie die Decke zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Schwindel überkam sie und sie musste sich an dem kleinen Schränkchen neben dem Bett festhalten, um nicht zu stürzen. Sie ergriff eine Stola, die am Fußende des Bettes lag, legte sie um ihre Schultern und verließ das Zimmer. Katherine brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren, dann bemerkte sie Treppe unweit des Zimmers und die Eingangstür, etwas weiter unten. Sie steuerte so schnell darauf zu, wie sie konnte, riss dabei jedoch am unteren Ende eine kristallene Vase um, die klirrend zerbrach. Das Wasser ergoss sich über den Boden und die Blumen lagen überall verstreut. Katherine erschrak darüber und blickte sich hastig um. Anscheinend hatte es niemand bemerkt und sie ging weiter. Sie trat auf eine Scherbe und sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein. Dennoch ging sie weiter. Schon hatte sie die Türklinke in der Hand und die große Tür einen Spalt breit geöffnet, als sich links von ihr ebenfalls eine Tür öffnete und ein junger Mann heraustrat in den Eingangsbereich. Er fasste sie scharf ins Auge und Katherine erschrak so sehr, dass sie die Tür wieder zuknallte. »Was soll das hier werden?«, fragte er mit strenger Stimme und ging weiter auf Katherine zu, bis er direkt vor ihr stand. Sie schluckte. Was sollte sie erwidern? Ihr fiel nichts ein, was ihr Handeln erklärte. »Geh zurück ins Bett. Du bist krank und brauchst Ruhe.«, sprach er dann. Katherine schüttelte entschieden den Kopf. ›Reiß dich zusammen!‹, schimpfte sie mit sich selbst im Stillen. »Ich muss wieder nach Hause.«, erklärte sie dann. »Du musst nirgendwohin. Schon gar nicht in diesem Aufzug.« sie atmete tief ein. »Meine Familie wird sich Sorgen machen! Ich muss zu ihnen! Sie brauchen mich!«, sprach sie und ergriff erneut die Türklinke. Entschieden wurde sie jedoch an den Armen gepackt und herum gedreht. Allmählich gelangte Daniel an die Grenzen seiner Geduld. Warum war dieses Mädchen nur so störrisch und widerspenstig? »Du wirst dieses Haus nicht verlassen!«, sprach er entschieden und seine Stimme war befehlsgewohnt. »Aber, Mister Smith wird…« »Mister Smith wird gar nichts!«, fuhr er sie an und unterbrach Katherine, bevor sie zu Ende sprechen konnte. Katherine schluckte. Sie war es nicht gewohnt, so bevormundet zu werden. Die laute Stimme des Hausherrn verursachte ihr zudem starke Kopfschmerzen und so sehr sie auch die Fassung ihm gegenüber bewahren wollte, es gelang ihr nicht. Sie griff sich an den Kopf und stützte sich an der Tür ab. Eine Hand legte sich auf ihre Stirn. »Du hast immer noch Fieber. Ich bringe dich jetzt wieder nach oben.«, meinte Daniel, nahm das Mädchen, das so leicht wie eine Feder schien, auf die Arme und stieg die Treppe hinauf. Katherine wollte protestieren wusste aber, dass es zwecklos sein würde. Nur wenig später fand sich Katherine im Bett wieder und Daniel Elchot blickte auf sie herab. Er sah sie an, als würde er ein Kind vor sich sehen. »Du wirst hier bleiben und zwar solange, bis du vollständig genesen bist. Weder Mister Smith noch sonst irgendjemand sind im Moment von Bedeutung! Deine Familie ist über deinen Aufenthalt hier informiert und um alles Weitere werde ich mich persönlich kümmern.« er wandte sich zum Gehen. An der Tür blieb er noch einmal stehen. »Sei nicht so dumm und setz deine Gesundheit nicht unnötig aufs Spiel. Es gibt Menschen, denen du wichtig bist. An die solltest du das nächste Mal denken, bevor du wieder wegläufst.« dann verließ Daniel das Zimmer. Auf dem oberen Treppenabsatz blieb er kurz stehen und schalt sich selber für seine Dummheit, dass er so etwas zu Katherine gesagt hatte.
 

Und wieder sank Katherine mutlos in die Kissen zurück und schluchzte. Sie sah im Moment keinen Ausweg aus ihrer Misere. Mister Elchot würde wohl in Zukunft wie ein Schießhund darauf achten, dass sie ihm nicht entwischte. Katherine würde keinen Weg finden, dieses Haus zu verlassen, bevor er sein Einverständnis dazu gab. Wenn sie ihre Familie vor Mister Smith schützen wollte, dann musste sie sei-nen Avancen früher oder später nachgeben und seine Frau werden. Sie hatte ihm ihr Wort gegeben! Sie musste es auch halten! Oft genug hatte sie von anderen Mädchen gehört, welche Bürde deren Hochzeit mit sich brachte. Die Männer waren meist viele Jahre älter als sie selbst und verhielten sich nicht sehr vornehm den Mädchen gegenüber. Die jungen Frauen mussten jedoch ihre Pflicht stillschweigend erfüllen und ihre Männer unterstützen. Egal, was diese anstellten. Einem sol-chen Schicksal wollte Katherine immer entgehen. Und doch sah gerade alles da-nach aus, als würde sie genau dieses Schicksal schon sehr bald selbst ereilen.

Erst, als sie gedämpfte Schritte näher kommen hörte, unterdrückte sie schließlich ihr Weinen und stellte sich schlafend. Sie schloss die Augen so fest sie konnte und drehte sich auf die zum Fenster gewandte Seite, sodass ein möglicher Besucher ihr Gesicht nicht sehen konnte. Tatsächlich öffnete sich die Tür einen Spalt breit und Katherine versuchte so ruhig wie möglich zu atmen um den Eindruck zu erwecken, dass sie tief und fest schlief. Nur wenige Augenblicke später schloss sich die Tür wieder und die Schritte entfernten sich. Erleichtert atmete sie auf und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. Sie wollte nicht schwach sein und erst recht wollte sie nicht, dass sie jemand in diesen schwachen Momenten sah. Sie war stets ein Vorbild gewesen für ihre Familie und die Kinder. Sie brauchte keine Hilfe und kam immer irgendwie zurecht. Und Mister Elchot schien bereits sehr um ihr Wohl besorgt. Sie wollte ihm nicht mehr als nötig zur Last fallen. Ihre Sorgen sollten ihn nicht beschäftigen! Sie musste sich selbst helfen und selber eine Lösung finden! Es kränkte Katherine in ihrem Stolz, dass sie im Moment keinen Ausweg fand und vermutlich früher oder später doch Hilfe in Anspruch nehmen musste. Sie versuch-te sich von diesem Gefühl abzulenken und blickte noch einige Zeit aus dem Fenster, bis sie schließlich wieder einschlief. Doch lange blieb ihr keine Ruhe.

Es dauerte nur eine kurze Zeit und eine weitere Person polterte die Treppen hinauf. Katherine erschrak so sehr darüber, dass sie auffuhr und ihr sofort schlecht und schwindelig wurde. Alles drehte sich in ihrem Kopf und ihr Herz hämmerte wie verrückt. Weiter oben schien sich eine Tür zu öffnen, denn eine Männerstimme wurde laut. »Wie oft soll ich dir noch sagen, du sollst dich ruhig verhalten?«, ertönte diese sichtlich wütend. »Hey, Brüderchen. Sei nicht so streng mit mir.«, sprach nun die andere Person, sichtlich angetrunken, denn sie lallte, wie Katherine meinte. Murrend hielt sie sich ein Kopfkissen auf die Ohren und schloss die Augen. Sie wollte einfach nur schlafen! »Nimm gefälligst Rücksicht! Wir haben einen Gast!«, ertönte nun wieder die Männerstimme von oben und Katherine wusste genau, dass sie damit gemeint war. Augenblicklich kehrte Ruhe im Haus ein. Der zweite Mann versuchte die restlichen Stufen leise zurückzulegen und weiter oben schloss sich eine Tür. ›Gott sei Dank.‹, dachte sie nur und dämmerte wieder weg.

Der nächste Tag begann für Katherine sehr früh. Ein Herbststurm peitschte den Regen gegen die Fensterscheiben und der Wind pfiff heulend um die Ecken des Hauses. Er rüttelte am Fenster und riss Katherine aus dem Schlaf. Langsam setzte sie sich auf. Ihre Stirn fühlte sich nicht mehr ganz so heiß an, aber sie war noch immer zu warm und sie hatte fürchterliche Kopfschmerzen. Das Feuer im Kamin war erloschen und sie fröstelte. Sie sah sich um, konnte aber nicht mal einen Morgenmantel entdecken, den sie sich überwerfen konnte. So blieb ihr nur, sich unter die wärmende Decke zurückzuziehen und sich zu langweilen, bis Resi kommen würde. Und sie kam bald. Es klopfte nach einiger Zeit an der Tür und ohne eine Antwort abzuwarten, betrat sie das Zimmer. Sie setzte ihr strahlenstes Lächeln auf und begrüßte Katherine mit einem freundlichen: »Guten Morgen.« auf dem Tablett stand wieder ein Teller mit Brühe. Die leere Tasse vom Vorabend nahm sie vom Nachtschrank weg. »Unsere Küchenfee hat wieder für dich gekocht. Iss, solange es noch warm ist. Du musst schnell wieder zu Kräften kommen.« Katherine nickte. Sie sah Resi bei der Arbeit zu, als sie alles auf den runden Tisch stellte und anschließend den Kamin ausfegte. »Resi, mir ist furchtbar langweilig. Der Arzt sagte, ich muss im Bett bleiben, aber ich habe hier nichts, mit dem ich mich beschäftigen könnte. Gibt es nicht vielleicht ein paar Bücher in diesem Haus?«, fragte sie frei heraus.

»Aber sicher. Die Elchots besitzen eine große Bücherei. Leider kann ich dir dabei aber nicht sehr behilflich sein. Ich kann leider nicht lesen. Wenn du damit einver-standen bist, werde ich Daniel darum bitten, dir etwas herauszusuchen. Er versteht sehr viel von Büchern.« »Das wäre nett.« »Für was interessierst du dich denn so?« »So ziemlich alles. Ich mag vor allem Bücher über Geschichte und Schifffahrt. Auch Gedichte sind sehr schön.« Resi nahm einen Eimer neben dem Kamin auf, in den sie die Asche füllte und drehte sich dann zur Tür.

»Ich werde es ihm gleich sagen.« noch während sie zur Tür ging, setzte Katherine vorsichtig die Füße vor das Bett und wankte dann zu dem kleinen Tisch hinüber. Nur mühsam brachte sie die Suppe hinunter. Ihr Magen rebellierte bei jedem Löffel und auch, wenn die Köchin einen schlechten Eindruck von ihr bekommen sollte, aber sie konnte es einfach nicht aufessen. Ihr war schrecklich übel und die Kopf-schmerzen taten ihr Übriges dazu.
 

Der Vormittag verging, ohne dass Resi noch einmal bei ihr vorbeischaute. Sie wartete vergeblich auf Lektüre und musste sich damit begnügen, aus dem Fenster zu schauen und zu beobachten, wie die rot eingefärbten Blätter der Bäume, durch den Sturm tanzten. Katherine konnte auch nirgends ihre Kleider entdecken. So hätte sie wenigstens selbst auf die Suche nach Büchern gehen können. Im Nachtgewand würde sie ganz sicher nicht durchs Haus schleichen! Zumindest nicht noch einmal! So viel Anstand hatte selbst sie obwohl sie sich sonst nie besonders um irgendwelche Regeln und Konventionen kümmerte. Aber wenn sie sich hier bei Edelleuten befand, dann musste sie auf das, was sie tat und sagte, achten.

Auch der Kamin war kalt. Anscheinend war Resi anderweitig beschäftigt, so dass sie nicht dazu kam, den Kamin anzuheizen. Sie fror und der Sturm wurde immer stärker. Der Regen peitschte immer mehr gegen das Fenster und Katherine befürchtete, dass die Scheiben jeden Augenblick zu Bruch gehen konnten. Gegen Mittag schlief sie noch einmal ein, doch es war ein leichter Schlaf und bei jedem Geräusch fuhr sie auf. Immer, wenn sie in einen Dämmerschlaf verfiel, träumte sie von Michael Smith und der Begegnung im Wald. Mit jedem Traum wurden die Bilder schrecklicher. Seine eindeutigen Blicke konnte sie einfach nicht vergessen.

Dann, mit einem Mal, riss es sie aus dem Schlaf und sie fuhr auf, als wieder einmal die Tür zu ihrem Zimmer aufging. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie brauchte einige Sekunden, um sich zu sammeln und sich wieder bewusst darüber zu werden, wo sie sich befand. Doch nicht Resi trat ein, wie sie dachte, sondern ein junger Mann, den sie als diesen erkannte, den sie im Sommer eine kräftige Beule verpasst hatte, als er die Ernte ihrer Familie niedergetrampelt hatte. Er war es auch gewesen, der sie auf seinen Armen aus dem Wald getragen hatte.

Schweigend kam der junge Mann auf sie zu, in den Händen einen Bücherstapel. Ohne ein Wort stellte er ihn auf dem kleinen Tisch ab und drehte dann den Stuhl zu ihr, um sich darauf zu setzen. Bedächtig schlug er die Beine übereinander und musterte sie. Er wirkte so vornehm, adrett und völlig korrekt. Seine ganze Erscheinung strahlte eine natürliche Autorität aus, die keinen Zweifel an seinen Entscheidungen zuließ. Katherine wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte und ihr schlechtes Gewissen meldete sich wieder. Sie musste diesen Leuten hier sehr viele Umstände bereiten und ihr schoss Michael Smith in den Kopf. Wenn er herausfand, dass sie sich hier aufhielt, würde die Familie der Elchots noch mehr Schwierigkeiten bekommen und sie konnte doch nicht zulassen, dass andere in ihre Angelegenheiten hineingezogen wurden?! Sie passte so ganz und gar nicht in diese vornehme Welt mit ihren banalen Problemen!

»Es freut mich, dass es dir wieder besser geht. Und verzeih bitte, dass ich dich er-schreckt habe.«, eröffnete er das Gespräch unverfänglich und Katherines Nervosität stieg nur noch mehr. Der Klang seiner tiefen und trotzdem sanften Stimme erschütterte sie bis ins Mark. Sie schien bis auf den Grund ihrer Seele zu reichen und seine Augen strahlten Sicherheit aus und er wirkte, als wüsste er genau was er tat und wer er war. Der ganzen Vertrautheit, welche er versuchte zu vermitteln, stand jedoch vollkommen entgegen, dass er dennoch unnahbar auf Katherine wirkte. So sehr er sich bemühte freundlich zu sein, er hatte trotzdem eine natürliche Barriere zwischen sich und ihr errichtet. Und im Moment war es ihr unmöglich, diese zu überwinden.

»Deinem Onkel ließ ich bereits Nachricht schicken, dass du dich bei uns befindest, bis du wieder genesen bist.« unterbrach er dann erneut die Stille zwischen ihnen. »Danke.«, antwortete sie knapp. Mehr brachte sie vor lauter Nervosität in seiner Ge-genwart einfach nicht über die Lippen und ihre Wangen glühten. Sie konnte nur hoffen, dass er das nicht bemerkte oder zumindest auf das Fieber schob.

»Resi sagte mir, dass du dich hier oben langweilst. Die Bücher auf dem Tisch könnten dein Interesse wecken nach dem, was sie mir erzählt hat.« »Vielen Dank.« er sah sie einen Moment schweigend an, dann atmete er tief ein. »Für die Beule erwarte ich allerdings Wiedergutmachung von dir.«, meinte er dann streng. Als Katherine das hörte, richtete sie sich entrüstet auf. War das sein Ernst?

Das war schon eine ganze Weile her und ausgerechnet jetzt fiel ihm ein, dass sie ihn dafür entschädigen musste? Das konnte und wollte sie nicht auf sich sitzen lassen. Warum sollte sie etwas Wiedergutmachen? Es war nicht ihre Schuld, dass es soweit gekommen war! Er und sein Bruder waren mitten durch das Feld ihrer Familie geritten, ohne Rücksicht auf Verluste. Sie waren nicht mal annähernd auf den Gedanken gekommen, dass sie anderen damit Schaden zufügten. »Darauf könnt Ihr lange warten!«, entgegnete sie ihm schnippisch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Normalerweise müsste ich stattdessen eine Entschädigung verlangen dafür, dass Ihr unsere Ernte vernichtet habt! Sie war überlebenswichtig für meine Familie!« wütend funkelte sie ihn an. »Wenn ich mich recht entsinne, wollte mein Bruder dir diese Entschädigung zahlen, aber du wolltest sie nicht annehmen.« darauf wusste Katherine nichts mehr zu sagen. Er hatte sie ertappt! Starrsinnig und hochmütig, wie sie war, hatte sie dieses Angebot ausgeschlagen. Wenn sie nun genauer darüber nachdachte, hätte dies das Geld sein können, mit welchem Sie die Medikamente und den Arzt für ihren Onkel hätte bezahlen können. Doch sie war egoistisch gewesen und hatte sich selbst an Mister Smith verkauft! Die ganze Misere hatte sie also allein sich selbst zuzuschreiben!

Wortlos stand er auf und ging um das Bett herum, bis er auf der rechten Seite stand. Sie schrak aus ihren Gedanken auf. Schon wieder fühlte sie sich durch ihn ertappt. Was wollte er wohl nun von ihr? Sie konnte ihm nichts geben! Sie besaß nichts! »Keine Sorge. Ich erwarte keine Entschädigung von dir. Ich weiß, dass deine Familie mit der Steuererhebung gebeutelt genug ist, genauso wie die anderen Dorfbewohner jenseits des Waldes. Aber ich erwarte zumindest, dass du dich hier genügend auskurierst, bevor du zu deinem Onkel zurückkehrst. Sie sollten sich nicht auch noch um deine Gesundheit sorgen müssen. Deine Aktion neulich war wirklich mehr als dumm. Und ich hoffe, dass du tust, was der Arzt dir sagt. Mir ist sehr wohl zu Ohren gekommen, dass du die Medikamente nicht nehmen willst. In diesem Haus entgeht mir nichts, das solltest du wissen, wenn du dich hier aufhältst.« schuldbewusst rutschte Katherine wieder zurück unter die Decke. »Was du tust, musst du selber wissen. Aber der Doktor ist ein langjähriger Freund meiner Familie und weiß, was er tut. Ich denke, das solltest du wissen und bedenken, wenn du das nächste Mal seinen Rat ausschlägst.«, dann verließ er das Zimmer wieder. Katherine sah Daniel Elchot nach. Sie dachte lange über seine Worte nach und seinen Blick. Es lag viel Traurigkeit darin und auch Müdigkeit, auch wenn er sich sehr viel Mühe gab, es zu verbergen. Es schien für ihn nur sehr wenig im Leben zu geben, was ihn zum Lachen brachte oder ihm zumindest Freude bereitete. Wenn es über-haupt so etwas gab.

Sie dachte darüber nach, was ihn wohl so ernst werden ließ in seinen jungen Jahren. Sie war mit der Geschichte der Elchots nicht sonderlich gut vertraut. Schon allein deswegen, weil sie auf dem Land von Mister Smith lebte. Und dieser sah es äußerst ungern, wenn man sich mit dieser Familie beschäftigte. Es wäre ihm sogar am liebsten, wenn man nicht mal den Namen dieser Familie in den Mund nehmen würde. Sie konnte nachvollziehen, warum es Mister Smith so unrecht war. Die Elchots kümmerten sich um die Menschen, die auf ihrem Land lebten und arbeiteten. Sie zahlten einen gerechten Lohn und die Steuern wurden nicht willkürlich angehoben. Sie genossen eine gute ärztliche Versorgung, wenn jemand erkrankte und regelmäßig unternahm Mister Elchot Senior Ausritte durch seine Ländereien um nach dem Rechten zu sehen. Die Menschen hier schienen zufrieden zu sein. Und besonders Resi vermittelte Katherine bereits bei den kurzen Gesprächen, die sie bisher miteinander geführt hatten, wie gern sie für die Elchots arbeitete. Sie würde niemals ein schlechtes Wort über diese Familie verlieren oder zulassen, dass andere schlecht über diese Familie sprachen. Dass es den Leuten hier an nichts zu fehlen schien stimmte Kathi noch wehmütiger und trauriger. Sie wünschte sich so sehr ein ruhiges und glückliches Leben.

Katherine verbrachte den restlichen Tag fast ausschließlich mit lesen. Sie war et-was aus der Übung, denn im Hause ihres Onkels gab es keine Bücher. Sie war immer heimlich zum Pfarrer in den nächsten Ort gelaufen, der ihr das Lesen beigebracht hatte und mit ihr übte. Es hatte ihrer Familie in mancher Situation geholfen, aber sie wusste auch, dass es Michael Smith sicher lieber wäre, wenn sie es nicht konnte. Es war nicht die Aufgabe einer Frau, lesen zu können. Schon gar nicht, wenn sie vom Land kam. Ihre Aufgaben als Frau bestanden darin, das Haus sauber zu halten, Essen zu kochen, Kinder zu bekommen und zu erziehen und ihren Mann zu unterstützen, egal, was war. Sie musste ihm gehorchen und tun, was er sagte durfte aber niemals das Wort an andere richten wenn sie nicht ausdrücklich darum gebeten wurde und erst recht durfte sie die Stimme gegenüber einem Mann nicht erheben. Sie ließ Michael Smith gern in den Glauben, dass sie der schriftlichen Sprache nicht mächtig war. Vielleicht gereichte es ihr eines Tages zum Vorteil, das konnte sie jetzt noch nicht wissen.

Resi schaute am frühen Nachmittag bei Katherine vorbei und entzündete ein neues Feuer im Kamin. Es war empfindlich kühl geworden und der Sturm tobte noch immer. Sehnsüchtig blickte Katherine aus dem Fenster. Resi blieb dieser Blick keinesfalls verborgen und ebenso der Seufzer, der Katherine entfuhr, ohne dass sie es merkte. »Du willst wieder nach Hause oder?«, fragte sie darum und gesellte sich zu der Kranken ans Bett. Katherine nickte nur. »Du wirst dich noch etwas gedulden müssen. Der Arzt kommt nachher noch mal vorbei und möchte nach dir sehen. Und wie ich Daniel kenne wird er dich erst gehen lassen, wenn der Doktor versichert, dass du wieder völlig gesund bist.« Katherine seufzte erneut. Als sie tief Luft holte, musste sie husten. Es schmerzte in der Brust und sie bekam Kopfschmerzen. Resi legte eine Hand an ihre Stirn.

»Dein Fieber scheint wieder zu steigen. Ich hätte darauf bestehen müssen, dass du die Medikamente nimmst, die der Arzt beim letzten Mal daließ. Besser, ich gebe Mister Elchot Bescheid, damit der Doktor eher kommt.« »Nein, ist schon gut.«, wandte Katherine schnell ein. Sie wollte nicht, dass sich diese Leute noch mehr Umstände wegen ihr machten. Ihr wäre es am liebsten gewesen, sie hätte sich still und heim-lich davonschleichen können. »Mister Elchot soll sich meinetwegen keine Umstände machen und der Doktor auch nicht. Er wird sicher auch noch andere Patienten betreuen. Und du musst dir wegen mir auch nicht so viele Umstände machen. Wenn du mir die Streichhölzer hier lässt, mache ich mir das Feuer im Kamin selber an, wenn es wieder ausgeht. Ich komme dir nur so warm vor, weil der Raum ausgekühlt ist. Mir geht es gut, glaub mir.«, erklärte Katherine weiter. Resi blieb jedoch skeptisch.

»Nein, du bist krank und sollst dich auskurieren. Es ist meine Aufgabe für das Feuer zu sorgen und auch sonst für alles, was du brauchst. Was wirft das denn für ein Licht auf mich, wenn ich meinen Pflichten nicht nachkomme?«, wandte die Bedienstete daher ein. »Es ist mir aber wirklich unangenehm, wenn du mich so bedienst. Ich bin das nicht gewöhnt. Und ich brauche das auch gar nicht. Ich kann selbst für mich sorgen, Resi.« »Das glaube ich dir gern, aber mach dir darum mal keine Gedanken, Katherine Mac Callen. Solange du hier bist, werde ich mich um dich kümmern. Das ist nun mal meine Aufgabe. Und auch die anderen Leute, die hier leben, werden sich um dich kümmern und dafür sorgen, dass du wieder auf die Beine kommst. Und ich mag dich wirklich sehr. Es muss dir absolut nicht unangenehm sein. Außerdem bist du Mister Elchots Gast.« mit einem Lächeln auf den Lippen verließ Resi Katherine wieder. Diese hustete erneut stark, kaum dass sich die Tür hinter Resi geschlossen hatte und hielt sich eine Hand auf die Brust. Es tat furchtbar weh. Auch ihr Kopf schmerzte. Müde legte sich Katherine hin und las noch etwas in einem Buch, welches eine Piratengeschichte erzählte. Sie mochte es, sich in fremde Welten entführen zu lassen und erlag dem Zauber der geschriebenen Worte nur zu gern. Sich vorzustellen, wie alles um sie herum aus diesen Geschichten zum Leben erwachte, faszinierte und fesselte sie immer sehr, sodass sie schließlich auch über dem Buch einschlief.
 

Resi klopfte unterdessen leise an die Tür des Arbeitszimmers und trat dann ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Daniel saß, tief über die Unterlagen gebeugt, am Tisch und schien gar nicht zu bemerken, dass er Gesellschaft bekommen hatte. »Ich muss mit Euch sprechen.«, unterbrach Resi die Stille darum und trat auf die ihm gegenüberliegende Seite des Tisches. Überrascht sah Daniel von seiner Arbeit auf. »Resi, ich habe gar nicht gehört, dass du hereingekommen bist. Was kann ich für dich tun?«, wollte er wissen und legte den Stift zur Seite. Sie holte tief Luft. »Ich war eben bei Miss Mac Callen. Dieses Zimmer tut ihr nicht gut. Sie hustet und bekommt wieder Fieber.« Daniel seufzte. Er hatte schon mit so etwas gerechnet. Warum er das Mädchen überhaupt erst in dieses Zimmer einquartiert hatte war ihm schleierhaft. Er hätte umsichtiger sein müssen! Andererseits könnte es ihr sicher schon besser gehen, wenn Resi nicht mit diesem Sturkopf unter einer Decke gesteckt hätte und die Medikamente hatte verschwinden lassen. »In Ordnung. Ich werde mich um alles Nötige kümmern und einen Umzug in ein anderes Zimmer veranlassen, sobald der Arzt da war. Danke, Resi.« Resi nickte und entfernte sich dann schweigend wieder.
 

Erst, als es klopfte und die Tür geöffnet wurde, schrak Katherine wieder auf und schloss schnell das Buch, welches noch immer auf ihrem Schoß lag. Es war ihr peinlich, dass die Leute ständig hereinkamen, während sie noch schlief. Sie bekam das Gefühl, ständig unter Beobachtung zu sein und hatte nichts unter Kontrolle.

Der Arzt blickte mit ernsten Augen auf sie herab und musterte sie aufmerksam. Er setzte sich zu ihr und holte wieder das Abhörgerät aus seiner schwarzen Lederta-sche hervor. »Ich werde mir jetzt Eure Lunge anhören.«, meinte er zur Erklärung und legte das eine Ende auf ihre Brust, während er sich das andere ans Ohr hielt. Katherine versuchte tief und ruhig zu atmen, aber sie musste husten. Der Arzt blickte sie tadelnd an und legte dann eine Hand an ihre Stirn. »Ich dachte, dass Fieber wäre inzwischen verschwunden.« »Das war es. Ich habe mich sicher nur etwas verkühlt. Es zieht hin und wieder etwas in diesem Raum.« der Doktor nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und sah ihr in die Augen. Dann fühlte er ihren Puls. Erst, als er mit seinen Untersuchungen fertig war stand er auf und packte seine Sachen zusammen. »Es ist kein Wunder, dass sich Euer Zustand nicht bessert in diesem Zimmer. Es ist seit Jahren nicht genutzt worden. Ich war der Meinung, Mister Elchot Junior würde sich besser um seinen Gast kümmern und wissen worauf es ankommt, wenn man wieder gesund werden soll. Er sollte Euch in einem Teil des Hauses unterbringen, in dem es nicht so zugig ist. Hier könnt Ihr unmöglich bleiben, um wieder auf die Beine zu kommen« als er an der Tür war, drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Ich werde Mister Elchot sofort bescheid geben, damit er einen Umzug veranlassen kann. Und dem Dienstmädchen werde ich Medikamente für Euch geben. Und dieses Mal möchte ich, dass Ihr sie auch nehmt. Der junge Mister Elchot unterrichtete mich bereits darüber, dass Ihr sie ablehnt. Ihr solltet nicht so unvernünftig sein.« Katherine nickte schuldbewusst, wie ein kleines Kind. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, wurde sie von heftigem Hustenreiz gebeutelt.

Es war ihr sehr unangenehm, als mehrere Diener ins Zimmer kamen, einige kleinere Möbelstücke wegtrugen und Resi sie schließlich in ein anderes Zimmer begleitete. Sie trug eine Stola über den Schultern auf dem Weg dahin und betrachtete es aufmerksam, als sie hereintrat. Sie musste jedoch auch feststellen, dass sie sich sofort wohler fühlte, als sie in das Zimmer kam. Es duftete angenehm nach Blumen, obwohl keine zu sehen waren und es war wohlig warm. Auch hier befand sich ein Kamin im Raum, in dem ein Feuer loderte. Die Fenster waren fest verschlossen und an den Wänden hingen Familiengemälde. Zumindest ging sie davon aus, dass sich um Bilder und Malereien der Familie Elchot handelte, denn auf dem ein oder anderen Bild erkannte Katherine im Gesicht des kleinen Jungen die wachen und aufmerksamen Augen des ältesten Sprösslings. Aufmerksam blickte sich Katherine in dem Raum um. Vor dem Fenster befand sich eine Nische, in welche sie sich zum Lesen setzen konnte. Sie war mit Decken und Kissen ausgestattet und Vorhänge hingen vor den Fenstern und lud zum Verweilen ein. Außerdem stand auch hier ein kleiner Sekretär. Alles wirkte, als würde hier richtig gelebt und auch gearbeitet werden. Resi stellte nun eine Blumenvase mit Astern auf den kleinen runden Tisch, den Diener aus ihrem alten Zimmer hier her gebracht hatten. Es waren wohl die letzten des Jahres. Außerdem stellte sie den Kerzenhalter auf den Nachtschrank. »Fühl‘ dich hier ganz wie zu Hause. Wir versuchen es dir so angenehm wie möglich zu machen.«, meinte Resi und lächelte. »Wessen Zimmer ist das hier? Es scheint, als wäre es vor Kurzem noch benutzt worden.« »Ja, das ist Mister Elchots Zimmer. Er bezieht für die Dauer deines Aufenthaltes die Zimmer in dem anderen Flügel des Gebäudes. Wenn du aus dem Fenster schaust siehst du die Fenster direkt gegenüber zu seinen Räumlichkeiten.«, sprach sie nur und ließ Katherine dann allein. Diese nahm sich sofort wieder das Buch, in welchem sie gelesen hatte, eine Decke und zog sich in die Nische am Fenster zurück. Der Regen störte sie nicht, sondern beruhigte sie eher und half ihr, sich aufs Lesen zu konzentrieren. Als es zu dunkel wurde, weil die Nacht hereinbrach, holte sie sich den Kerzenhalter und hielt ihn in einer Hand, während sie in der anderen das Buch hielt. Sie war so vertieft in die Geschichte, dass sie nicht bemerkte, dass sie einen Besucher bekam.

Immer wieder musste sie den Kerzenhalter abstellen, weil sie von heftigem Hustenreiz geschüttelt wurde und nicht wollte, dass sich das Kerzenwachs auf dem Boden verteilte. Die Person schien sie eine ganze Weile von der Tür aus zu beobachten, aber Katherine fiel es nicht auf. Erst, als sie ein Räuspern vernahm blickte sie auf. Mit schnellen Schritten näherte sich ihr ein junger Mann, der schließlich direkt vor ihr stehen blieb. Vor sich erblickte sie Daniel Elchot und musterte sie mit ähnlich strengem Blick, wie zuvor der Arzt. Erschrocken und peinlich berührt legte sie das Buch zur Seite und stellte den Kerzenhalter zur Seite. Sie zog die Decke etwas fester um sich um nicht zu viel von sich preis zu geben. Seine Gegenwart schüchterte sie ein, auch wenn er ihr gegenüber bisher immer korrekt geblieben war. »Solltest du dich nicht ausruhen?«, fragte er sie tadelnd.

»Das tue ich schon seit Tagen. Mehr als lesen bleibt mir ja nicht übrig. Ich habe noch nicht einmal meine Sachen zurückbekommen und kann mich somit nirgends außer in diesem Zimmer aufhalten. Dabei würde ich mir gern die Beine ein wenig vertreten wollen.« »Deine Kleidung ist bei Resi. Sie hat sie gewaschen und bringt sie in Ordnung. Als wir dich fanden war sie völlig verdreckt und zerrissen. Du wirst sie bald zurückbekommen, wenn das dein Wunsch ist. Einfacher wäre es jedoch, wenn du neue bekommst. Deine alte ist nicht mehr für viel zu gebrauchen.« er trat noch einen Schritt auf Katherine zu und musterte sie aufmerksam. Ihre Augen glänzten, ihre Wangen glühten förmlich. Das besorgte ihn. Resi hatte wohl recht, sie bekam wieder Fieber und schien recht sorglos damit umzugehen. »Der Arzt sagte, du sollst das Bett hüten. Das Fieber wäre zurückgekehrt. Und wenn ich dich so anschaue, dann bin ich derselben Meinung. Mir ist unbegreiflich, wieso du den Rat eines Arztes ignorierst. Er weiß, was das Beste für dich ist in dieser Situation damit du so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommst. Deine Wangen glühen und deine Augen sind ganz glasig. Du solltest dringend ins Bett gehen. Es ist auch schon spät und dunkel draußen. Ruh dich aus und geh schlafen. Die Bücher laufen dir nicht weg.« Katherine wusste nicht sofort, was sie darauf sagen sollte. Dieser Mister Elchot, der ihr hier gegenüber stand, schien ein völlig anderer zu sein als jener aus Sommertagen. Er schien ernster und abweisender zu sein und viel förmlicher. Ob es daran lag, weil sie eine einfache Bauerntochter war und ihm Schaden zugefügt hatte? Sicher! Es konnte nur daran liegen! Er behielt sie hier, bis sie wieder gesund war, aber dann würde er sie so schnell wie möglich zurückschicken zu ihrer Familie um keine weiteren Unannehmlichkeiten zu bekommen. Er war ein Edelmann und sie nur ein niederes Mädchen an welches er normalerweise nicht ein einziges Wort richten würde. Sie gehörte nicht seinem Rang an.

Würde er sie einfach gehen lassen, egal in welcher Verfassung sie sich befand, dann müsste er sich darum keine Gedanken machen! Katherine spürte schon wieder den Zorn in sich aufsteigen und wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Sie rief sich innerlich zur Ordnung. Sie sollte nicht undankbar sein! Mister Elchot gab ihr ein Dach über dem Kopf und sorgte für sie. Er hätte sie normalerweise gleich zu ihrer Familie zurückbringen können. Warum aber war er stattdessen hierher gegangen mit ihr? Sie verstand es noch nicht so recht und dieser Mann gab ihr immer wieder neue Rätsel auf die sie momentan einfach noch nicht lösen konnte.

Von diesen ganzen Gedanken drehte sich ihr der Kopf und sie schloss die Augen und legte eine Hand an die Stirn. Sie fühlte sich tatsächlich etwas warm an, stellte sie in diesem Moment fest. All das Nachdenken führte im Moment einfach zu nichts. Sie regte sich nur unnötig auf. Die Blicke von Daniel Elchot ruhten noch immer auf ihr, das spürte sie deutlich, auch wenn sie gerade mit anderen Dingen beschäftigt war. Sie blickte zu ihm auf. Erwartete er irgendeine Reaktion von ihr auf das Gesagte? Sie wusste es nicht. Sie wusste nicht mal mehr mit Sicherheit, was er überhaupt gesagt hatte. »Geh‘ ins Bett. Es ist schon spät und du siehst erschöpft aus.«, sprach er und schien schon wieder gehen zu wollen. Sie verfolgte ihn mit ihrem Blick und rang noch mit sich, ob sie ihre Gedanken wirklich äußern sollte ihm gegenüber. Sie ballte die Hand zur Faust, die Decke, welche um ihre Schultern hing, zwischen den Fingern.

Als Mister Elchot bereits an der Tür war, nahm sie all ihren Mut zusammen. Wenn sie ihre Fragen jetzt nicht stellte, würde sie es vermutlich nie tun. »Warum das alles?«, fragte sie in die Stille hinein. Er drehte sich zu ihr um und sah sie fragend an. Sein Blick war undurchdringlich. »Ich verstehe nicht.«, meinte er nur. »Warum das alles? Warum bin ich hier? Warum brachtet Ihr mich nicht zu meiner Familie zurück? Ihr macht Euch viele Umstände für ein einfaches Mädchen, welches Ihr noch nicht einmal kennt. Ihr handelt Euch viel Ärger ein, wenn Mister Smith erfährt, dass ich hier bin. Ihr solltet Euch nicht in seine Belange einmischen und Leute von seinem Land zu beherbergen zählt eindeutig dazu« Daniel antwortete nicht sofort darauf. Er schien erst darüber nachdenken zu müssen. Dann kehrte er zu Katherine zurück und setzte sich noch einmal auf einen Stuhl an dem Tisch, dicht vor ihr. Er betrachtete sie noch einen Augenblick, bevor er die Beine übereinander schlug. Sein linker Unterarm ruhte dabei auf dem Tisch und seine rechte Hand auf seinem Knie.

»Dein Onkel kam zu mir und bat mich um Hilfe um dich zu finden. Die Elchot-Familie schlägt die Bitten derer, die zu ihr kommen, nicht aus. Schon gar nicht wenn es darum geht, ein Menschenleben zu schützen. Grenzen spielen in einer solchen Situation keine Rolle.

Als ich dich fand, warst du in einer schlechten Verfassung. Dich zu deiner Familie zu bringen wäre in diesem Moment dein Tod gewesen. Sie hätten dich nicht ausreichend versorgen, geschweige denn das Geld für einen Arzt aufbringen, können. Ich weiß sehr wohl um die Missstände auf dem Land der Smith-Familie und habe nicht vor, tatenlos dabei zuzusehen, wie die Menschen elendiglich zu Grunde gehen.« er machte eine Pause, welche er dazu nutzte um Katherine aufmerksam zu betrachten. »Du hast lange geschlafen, bevor du wieder zu dir kamst. Das zeigt nur, wie geschwächt du bereits warst. Denkst du wirklich, ich hätte dich dem Wohlwollen dieses Unmenschen überlassen in deinem Zustand? Glaubst du denn tatsächlich, dass alle Edelleute so schlecht sind wie er?« Katherine zögerte mit einer Antwort. Daniel Elchot drängte sie in die Ecke. Es schien als wüsste er genau, wie es um ihre Gedanken bestellt war. Warum wusste er so gut, was sie dachte und was in ihr vorging? Das machte ihr Angst. Er kam ihr damit viel zu nah. »Meine Familie wird sich Sorgen machen.«, versuchte sie darum, vom Thema abzulenken und ihre Haltung wiederzufinden. »Ich muss zu ihnen zurück. Sie brauchen mich. Der Winter steht vor der Tür und es noch viel zu tun, um unseren Hof winterfest zu machen. Und wir werden Euch die Kosten nie zurückzahlen können, die Euch durch meinen Aufenthalt hier entstehen. Dafür sind die Abgaben an Mister Smith einfach zu hoch. Das solltet Ihr vielleicht noch wissen.« »Ich sage es dir nur noch ein einziges Mal.« Daniels Stimme wurde hart und er beugte sich zu Katherine herunter, welche durch den plötzlichen Stimmungswechsel des Elchot-Sprösslings wie versteinert war.

»Du bleibst hier, bis du wieder gesund bist! Und damit meine ich nicht, bis das Fieber gesunken ist sondern, bis du wieder völlig genesen bist mit allem, was dazu gehört. Solange stehst du unter meiner Obhut. Deine Familie weiß, dass du bei mir bist. Das sagte ich dir bereits. Gleich, nachdem ich dich fand und herbrachte, ließ ich ihnen Nachricht schicken, damit sie wissen, dass du in Sicherheit bist und sie sich keine Sorgen mehr zu machen brauchen. Du musst dir absolut keine Gedanken darum machen. Geld spielt für mich oder meine Familie keine Rolle. Aus dem Leid anderer schlägt man keinen Profit! Und ich dulde auch keine Widerworte in dieser Sache. Ich erwarte keine Gegenleistung von dir oder deiner Familie dafür, dass ich einem Menschen in Not helfe.« Katherine vergrub ihre Hände in der Decke. Sie würde sich wohl damit abfinden müssen. Der Klang seiner Stimme ließ absolut keinen Widerspruch zu. »Und Mister Smith?«, fragte sie vorsichtig nach einer kurzen Pause. »Was soll mit dem sein?«, wollte Daniel seinerseits wissen.

»Weiß er, dass ich hier bin? Er wird nicht dulden, dass ich mich bei Euch aufhalte. Er wird wollen, dass ich zurückkehre. Es ziemt sich nicht, dass ich als junge Frau im Haus eines fremden Mannes unterkomme. Erst recht nicht unter den aktuellen Um-ständen.« diese Worte amüsierten Daniel und er musste sich tatsächlich das Lachen verkneifen. Ein Schmunzeln konnte er jedoch nicht mehr unterdrücken. Dieses Mädchen erstaunte ihn immer wieder.

»Ich wüsste nicht, was ihn das angeht. Du kannst dich aufhalten, wo du willst und bist ihm keine Rechenschaft schuldig. Ich werde der Letzte sein, der zu ihm reitet und ihm etwas von dir erzählt. Du bist niemandes Eigentum, Katherine Mac Callen, das solltest du niemals vergessen. Und alles andere lass mal meine Sorge sein für die Zeit deines Aufenthaltes bei uns.« »Nein, das kann ich nicht.«, sprach sie weiter, leise, mehr zu sich selbst als zu Mister Elchot. Ihr war gar nicht bewusst, dass er ihre Worte sehr wohl hören konnte. »Würdest du mir auch erklären, wieso?«, fragte Mister Elchot scharf, ließ Katherine aber keine Zeit zum Antworten. »Hat das vielleicht mit dem Ring zu tun, den du an dem Tag trugst, als ich dich herbrachte? Ich kann ihn gar nicht sehen.« schuldbewusst senkte Katherine den Blick noch etwas mehr und bedeckte die Hand, an welcher der Ring sein sollte. Schon wieder! Er hatte sie schon wieder durchschaut und war ihr auf die Schliche gekommen! Sie musste besser darauf achten, was sie sagte! Sie durfte ihn auf keinen Fall zu sehr an sich heranlassen!

»Ich muss ihn verloren haben.«, versuchte sie sich zu entschuldigen, aber sie wusste sofort, dass Daniel Elchot ihr diese Ausrede nicht abkaufen würde. Dafür war er einfach zu scharfsinnig. »Wie dem auch sei. Solange du hier bist, musst du dir um ihn keine Sorgen machen. Und deine Familie ebenso. Sollte er hier auftauchen, werde ich mich um ihn kümmern. Immerhin ist dies hier das Haus meiner Familie und somit hat er sich an die Regeln zu halten, die auf unserem Grund und Boden gelten. Er soll nicht deine Sorge sein. Komm du einfach wieder auf die Bei-ne. Alles andere bereden wir, wenn es soweit ist.« sie nickte. Es verwunderte sie etwas, dass der Edelmann vor ihr nicht daran interessiert zu sein schien, wo ihr Verlobungsring abgeblieben war. Es beruhigte sie jedoch auch, denn es half ihr dabei für eine gewisse Zeit nicht über die Dinge nachdenken zu müssen, die sie erwarteten, wenn sie zu ihrer Familie zurückkehrte. Daniel stand erneut auf.

»Geh jetzt ins Bett.«, sprach er nur befehlsgewohnt und Katherine nickte. Daniel wollte bereits gehen, entschied sich dann jedoch dazu bei ihr zu bleiben um sicher zu gehen, dass sie tat, was er sagte. Er kannte dieses störrische Mädchen inzwi-schen ein wenig und wusste, dass sie sich nur schwer von ihm belehren lassen würde. Wenn es notwendig war würde er sie höchstpersönlich ins Bett befördern! Und Katherine ihrerseits wusste zu schätzen, was Mister Elchot für sie tat, auch wenn es ihr für den Moment noch schwer fiel zu glauben, dass andere aus reiner Nettigkeit gute Dinge taten.

Katherine griff nach dem Kerzenhalter und stand auf. Ein bisschen zu schnell, wie sie gleich feststellen musste, denn ihr wurde schwindelig und sie schwankte. Ihre Beine wollten ihr für einen kurzen Augenblick nicht recht gehorchen und sie drohte, den Kerzenhalter fallen zu lassen. Nur mit größter Mühe gelang es ihr, die nötige Spannung in ihrer Hand soweit aufrecht zu erhalten, damit dies nicht geschah. Bunte Sterne tanzten vor ihren Augen und sie hörte das Blut in ihren Adern rauschen. Daniel reagierte schnell. Mit wenigen Schritten war er an ihrer Seite und stützte sie. Vorsichtig nahm er ihr den Kerzenhalter aus der Hand, um ihn auf dem Tisch abzustellen. Besorgt sah er ihr ins Gesicht. Dann legte er eine Hand auf ihre Stirn. Sie glühte unheimlich und ihre Augen waren glasig! Und sie war so unsagbar blass. Er spürte ihren schwachen Widerstand gegen seine Berührung und Hilfe, ließ diesen Widerstand jedoch nicht zu. Mit festem und entschiedenem Griff brachte er sie zum Bett, deckte sie zu und löschte das Licht, als sie die Augen schloss. Für einen kurzen Augenblick legte er ihr erneut eine Hand auf die Stirn und seufzte. »Ruh dich aus.«, flüsterte er leise. Katherine vernahm seine Worte nur noch aus weiter Ferne und schämte sich ein wenig für ihre Schwäche, gegen die sie einfach noch nicht ankam.

Fast augenblicklich schlief sie ein und Daniel betrachtete sie noch einen Moment von der Tür aus, bevor er diese so leise wie möglich schloss. Auf dem oberen Treppenabsatz stand ein einzelner Kerzenhalter, welchen er nun an sich nahm, um sein vorübergehendes Zimmer im anderen Flügel aufzusuchen. Er würde wohl mehr nach seinem Gast schauen müssen. Was der Umgang mit ihrer Gesundheit anging, wirkte sie sehr unklug. Er würde sie erst überzeugen müssen zu tun, was der Arzt ihr sagte. Ein Sturkopf durch und durch, das hatte er auf dem Feld damals schnell am eigenen Leib spüren müssen. Er wollte sicherstellen, dass sie seinen Anweisungen Folge leistete und Resi sich so gut es ging um sie kümmerte und das ging anscheinend nur, wenn er sie nicht aus den Augen ließ.

Und mit Michael Smith würde er sich auseinandersetzen, wenn es soweit war. Dieses Mädchen schien Angst vor ihm zu haben. Große Angst sogar. Er musste her-ausfinden wieso, auch wenn er es sich gut vorstellen konnte. Er hatte ihre Reaktion auf seinen Hinweis mit dem Ring sehr wohl bemerkt, aber er besaß noch genügend Taktgefühl, um nicht weiter in sie zu dringen mit diesem Thema. Ihm waren immer wieder Klagen über ihn zu Ohren gekommen und dass er sich den Mädchen gegenüber unsittlich benahm. Er machte sich keine Freunde und vermutlich litt ihre Familie sehr unter seinen Launen. Warum er ausgerechnet sie wollte, das war ihm im Moment noch ein Rätsel. Er musste mehr über die Situation im Dorf jenseits des Waldes herausfinden, selbst wenn das bedeutete, dass er sich damit Ärger einhandelte! So konnte es jedenfalls nicht weitergehen! Aber er würde jede Handlung mit seinem Vater absprechen müssen, um sich nicht seinen Zorn einzuhandeln.
 

Zum selben Zeitpunkt fegte Michael Smith wütend sämtliche Unterlagen von einem Tisch im Salon, ebenso eine Blumenvase. Sie ging klirrend zu Bruch und das Was-ser versickerte sofort im Teppich. Eine Bedienstete lief eilig herbei und räumte die Scherben weg. Sorgsam achtete sie darauf, Mister Smith dabei nicht in die Quere zu kommen. So betrunken und wütend wie er war, nahm das meist kein gutes Ende für die Dienerschaft. Mit gesenktem Blick verließ sie das Zimmer so schnell wie möglich wieder und atmete erleichtert auf, als sie die Tür hinter sich schließen konnte.

»Wie kann er es wagen?!«, hörte sie von weitem die erboste Stimme ihres Herrn. Sie wusste, dass der junge Mister Smith nur wenige Augenblicke zuvor einen Boten empfangen hatte, welcher ihm offenkundig schlechte Nachricht brachte. Er würde es jetzt ausbaden müssen, der arme Kerl. »Wie können sie beide es wagen?! Mich auf so eine Art und Weise zu hintergehen und bloß zu stellen! Eine Frechheit! Ich werde diesem Elchot schon zeigen, was ihm seine Einmischung bringt! Und dieser dreisten Familie ebenfalls! Sie leben auf meinem Land!«, polterte er weiter. Der junge Bursche, der ihm die Nachricht überbracht hatte, stand eingeschüchtert in einer Ecke und wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte nichts für den Inhalt seiner Nachricht! Und er wusste nicht, ob er sich entfernen durfte. Mister Smith hatte es ihm nicht gesagt oder gestattet. Stattdessen hatte er wutentbrannt alles vom Tisch gefegt, was gerade dort stand!

»Verschwinde endlich!«, schrie er ihn nun an und der Bursche zuckte zusammen. Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen und suchte so schnell wie möglich das Weite. Noch am selben Abend ritt er zu seinem Herrn zurück. Warum er von ihm beauftragt wurde, ausgerechnet Mister Smith über diese Neuigkeit zu informieren war ihm ein Rätsel. Aber er hinterfragte die Anweisungen seines Herrn nicht. Er war nur ein Stallbursche und tat, was ihm gesagt wurde.

Völlig übermüdet kam er schließlich mitten in der Nacht auf dem Gut seines Herrn an und verschwand in seinem Zimmer im Nebenhaus. Alle Bediensteten waren dort untergebracht. Es war schon dunkel. Anscheinend schlief bereits das ganze Haus. Er würde seinem Herrn am nächsten Morgen sofort Bericht erstatten müssen. Im Moment war ihm deswegen nicht Wohl zu Mute. Er würde wohl keinen Schlaf finden. Diese zornigen Augen verfolgten ihn. Mister Smith hatte ihn wie ein wildes Tier angesehen, völlig von Sinnen und wie im Rausch. Als würde er jeden Moment auf ihn losgehen wollen um ihn zu zerfleischen.
 

Wie gerädert erwachte Katherine am nächsten Morgen in aller Frühe. Ihr Kopf pochte wie wild und sie hustete stark. Sie fühlte sich fiebrig. Das Feuer im Kamin war erloschen und sie stand auf, um nachzusehen ob Resi ihr vielleicht etwas zum Anzünden dagelassen hatte. Tatsächlich! Auf dem kleinen Vorsprung über dem Kamin lagen einige Zündhölzer mit denen sie das Feuer wieder in Gang bringen konnte. Sie fröstelte noch immer und ihre Beine waren schwach. Selbst ihre Hände zitterten und so brauchte Katherine einige Versuche, bis endlich die erste Flamme aufloderte und schließlich die Holzscheite knisterten, die sie nachlegte. Sie hielt ihre Hände vor den Kamin, um sich etwas aufzuwärmen. Der Sturm war über Nacht abgeflaut und am Horizont zeigten sich bereits die ersten roten Streifen des Sonnenaufgangs. Mit dem Buch vom Vortag setzte sie sich wieder in die Nische am Fenster und betrachtete einige Zeit den Himmel und das Gelände rund um das Haus. Die aufgehende Sonne tauchte alles in strahlendes Orange und Rot. Dieser herrschaftliche Sitz wurde von einer romantischen und fantastischen Aura umgeben und Katherine fühlte sich wie in einem Märchen. Rosensträucher erblühten noch in den verschiedensten Farben. Sie schienen dem kalten Wetter förmlich zu trotzen!

Die Bäume entlang der halbrunden Auffahrt vorm Haus verloren ihre bunten Blätter und ließen das weiße Haus noch strahlender erscheinen. Die Fensterläden auf der gegenüberliegenden Seite waren geschlossen und Katherine ging davon aus, dass die Bewohner dieses Hauses noch schliefen. In weiter Ferne hörte sie eine Standuhr dumpf schlagen und zählte die Schläge mit. Es war erst sechs Uhr in der Früh. Katherine überlegte, ob sie sich noch einmal hinlegen sollte. Sie war weder beson-ders wach, noch besonders müde und so entschied sie sich, weiter zu lesen, bis sie einschlafen würde.

Sie ahnte nicht, dass sie nicht die Einzige in diesem Haus war, die zu diesem Zeitpunkt schon auf den Beinen war!

Die Stunden vergingen und Katherine nickte irgendwann in der Nische ein. Das Buch fiel ihr von den Knien. Als ihre linke Hand taub wurde, wachte sie auf und schüttelte sie kräftig aus, um wieder Gefühl darin zu bekommen. Etwas kraftlos stand Katherine von ihrem Platz in der Nische auf und setzte sich an den kleinen, runden Tisch. Ihr war schrecklich langweilig. Sie wollte gern herumlaufen und das Haus erkunden. Sie wollte nach draußen und einen Spaziergang machen und sie fragte sich, ob der Hausherr ihr wohl die Erlaubnis geben würde, wenn sie ihn danach fragte. Sie wusste, dass frische Luft das Beste war, um eine Erkältung in den Griff zu bekommen. Sich immer nur in diesem geschlossenen Raum aufzuhalten, würde ihr nicht helfen wieder auf die Beine zu kommen! Der Arzt würde heute wohl nicht hier sein und Resi wollte sie nicht den ganzen Tag auf die Nerven fallen. Kat-herine überlegte lange hin und her, bis sie sich schließlich dazu aufraffte und aufstand. Am unteren Bettende lag inzwischen ein Morgenmantel, den sie überzog. Es fand sich leider nichts, womit sie ihre Haare zusammenbinden konnte, so dass sie sie offen tragen musste. Leise öffnete sie die Zimmertür und spähte nach draußen. Sie traute sich noch immer nicht so recht aus dem Zimmer heraus, aber sie brauchte dringend Bewegung, egal wie elend sie sich fühlte. Bisher war frische Luft immer das Beste Genesungsmittel für sie gewesen. Sie würde es jetzt nicht anders halten, nur weil der Arzt der Meinung war, sie müsse seine Medikamente nehmen!

Katherine wagte sich schließlich aus dem Zimmer und ging die dunkle Treppe in den großen Vorsaal hinunter, jederzeit damit rechnend, dass Mister Elchot jeden Augenblick auftauchen konnte um sie zu ermahnen, wie sie sich zu verhalten hatte. Es war düster im Haus, das gefiel ihr nicht. Es schien fast so, als wolle der Hauseigentümer kein Licht herein lassen, als ob er die Dunkelheit mochte! Mit zittrigen Händen und Knien tastete sie sich durch den Vorsaal Richtung Eingangstür. Diese dunklen Vorhänge überall vor den Fenstern mussten dringend von jemandem entfernt werden! Die ganze Stimmung in diesem Haus schlug einem schrecklich aufs Gemüt.

Sie wollte die Tür gerade öffnen, da kam aus einem Nebeneingang zu ihrer Rechten Resi. Erstaunt blickte sie den Gast an. »Was machst du denn hier unten? Du solltest doch im Bett bleiben!«, schalt sie die junge Katherine und diese erschrak sich furchtbar dabei. »Ich brauche dringend frische Luft, Resi, sonst werde ich hier drinnen noch verrückt. Die Wände erschlagen mich und ich weiß nichts mit mir an-zustellen. Den ganzen Tag im Zimmer zu verbringen ist einfach nichts für mich.« Resi seufzte und ging auf Katherine zu. Noch ehe sie bei ihr angekommen war, ging auf der anderen Seite ebenfalls die Tür auf und die beiden Frauen blickten erstaunt in die strengen Augen von Daniel Elchot. Er hielt Papiere in der Hand. War er etwa so früh am Morgen schon am Arbeiten? »Was soll der Lärm um diese Uhr-zeit? Ich wünsche, nicht gestört zu werden, wenn ich arbeite!«, schalt er die beiden Frauen. Schuldbewusst senkte Katherine den Kopf und wagte nicht, den Herrn die-ses Hauses anzusehen. Resi legte ihr schützend die Hände auf die Schultern.

»Katherine möchte nach draußen gehen. Sie braucht dringend frische Luft um wie-der gesund zu werden.«, erklärte sich das Dienstmädchen. Kathi allerdings, wagte nicht aufzusehen. »Der Arzt sagt, sie soll sich ausruhen und im Bett bleiben. Nach dem, was ich gestern Abend gesehen habe, halte ich es für keine gute Idee, wenn sie allein umherwandert. Bring sie wieder nach oben! Sie soll sich hinlegen.« Daniels Stimme war ungewohnt schroff für Resi, doch sie wollte sich davon nicht ein-schüchtern lassen. Sie kannte ihren Herrn seit vielen Jahren. Vermutlich war er einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden. Sie konnte Katherine gut nachvollziehen. Ihr würde hier auch die Decke auf den Kopf fallen, wenn sie nichts zu tun hatte. Und ein wenig frische Luft würde ihr gut tun, davon war sie überzeugt. Katherine fühlte sich wie ein kleines Kind, wenn Daniel Elchot so mit ihr sprach. Das machte sie schon wieder wütend! »Ich bin kein kleines Kind mehr, dem man sagen muss wann es zu essen und zu schlafen hat!«, platzte es aus ihr heraus. Wütend funkelte sie den Hausherrn an und dieser tat es ihr gleich. »Dir scheint entfallen zu sein, was gestern Abend los war.«, begann er dann und war bemüht, seine Fassung zu wahren. »Ich werde nach draußen gehen, ob es Euch nun gefällt oder nicht! Ich bin niemandes Eigentum und kann tun, wonach mir der Sinn steht!«, fauchte sie weiter und benutzte dabei die Worte, die Daniel ihr am Vorabend mit auf den Weg gegeben hatte. Die Atmosphäre zwischen ihnen heizte sich immer weiter auf und Resi ging einige Schritte zurück, um nicht zwischen die Fronten zu geraten.

»Ich werde dich begleiten.«, schallte es in diesem Augenblick vom oberen Treppenende herab. Alle drei sahen sich um. Rick Elchot stand, lächelnd und in einem schwarzen Anzug, oben am Treppenabsatz und blickte zu den dreien herunter. Ka-therine errötete. Ihr wurde bewusst, dass sie hier nur in einem dünnen Nachthemd und einem Morgenmantel bekleidet, vor Männern stand! Das ganze Haus schien sich auf einmal um sie zu versammeln! Am liebsten wollte sie sich in irgendeinem Loch verkriechen.

»Aber vielleicht solltest du dir vorher etwas Anderes anziehen. Resi, geh doch bitte mit unserem Gast in unser großes Zimmer und such ihr etwas Passendes raus.« Resi nickte und zog Katherine augenblicklich weg. Daniel funkelte seinen kleinen Bruder an, während dieser die Treppe hinunter kam. »Was ist? Warum schaust du so wütend, Daniel?«, wollte er wissen und ließ sich nicht beirren. »Muss es ausgerechnet das große Zimmer sein, Rick?« »Warum denn nicht? Die Kleider hängen seit Jahren in den Schränken. Es wäre schade, wenn sie von den Motten zerfressen werden, ohne dass sie noch mal getragen wurden. Und wenn ich mir unseren jungen Gast so ansehe, dann denke ich, dass sie ihr gut stehen würden. Sie haben große Ähnlichkeit miteinander.« Daniel schien diese Antwort nicht zufriedenzustellen, das konnte Rick deutlich sehen. »Daniel, du musst endlich in der Gegenwart leben und die Vergangenheit ruhen lassen. Vergeude deine Zeit nicht noch länger. Gib ihr doch die Gelegenheit, wenigstens ein Mal in ihrem Leben ein solches Kleid zu tragen. Wenn sie wieder zu ihrer Familie zurückkehrt, wird sie vermutlich keine Gelegenheit mehr dazu bekommen.« »Sie wird mehr Gelegenheit dazu bekommen, als du denkst.«, sprach Daniel nur mürrisch und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Die Diskussion war für ihn beendet. Es passte ihm nicht, dass Rick so unbekümmert über das Hab und Gut ihrer Mutter entschied. Er wollte nicht, dass jemand diese Stücke berührte!

Es ging niemanden etwas an und es war immer noch sein Privatbesitz! Rick hinge-gen seufzte nur und schüttelte den Kopf über seinen Bruder. Früher oder später würde er schon noch zu ihm durchdringen.
 

Katherine und Resi standen unterdessen in dem großen Raum und bestaunten die großen, offen stehenden, Kleiderschränke. So viel Auswahl! Diese Kleider waren viel zu wertvoll für Katherine! Das konnte sie nicht tun! Sie fürchtete, etwas kaputt zu machen oder dass es dreckig wurde! Sie würde das niemals bezahlen können, wenn sie eines dieser Stücke beschädigte. »Resi, denkst du wirklich, dass es in Ordnung ist, wenn ich etwas davon trage? Ich glaube nicht, dass sie angemessen sind für mich.« »Wenn Mister Elchot es sagt, dann wird das seine Richtigkeit haben. Immerhin sind er und sein Bruder die Herren dieses Hauses hier. Wie wäre es mit diesem hier?«, meinte Resi und zog ein dunkelblaues, langärmliges Kleid mit weißer Spitze am Kragen hervor. Katherine beäugte es kritisch. »Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass das zu mir passt.« Resi hing es zurück und suchte die Schränke weiter durch. Katherine trat nun ebenfalls vor die Schränke und beäugte die Kleider staunend. Ihr Blick blieb auf einem sonnengelben Kleid haften. Es gefiel ihr sehr und der Stoff war mit zarten Blumen gemustert. Vorsichtig streifte sie mit den Fin-gern darüber. »Was ist mit diesem?«, meinte sie und zeigte mit dem Finger darauf. Resi holte es hervor und hielt es Katherine hin. »Ich glaube, das würde dir sehr gut stehen. Es lässt dich fröhlicher aussehen.«

Resi half Katherine beim Umkleiden, dann traten sie wieder aus dem Zimmer heraus und waren auf dem Weg zurück in den Vorsaal. Rick Elchot wartete dort, ganz Gentleman und ging auf die beiden Damen zu, als er sie erblickte. »Sehr entzückend.«, sprach er nur lächelnd und bot Katherine seinen Arm an, nachdem er ihr einen Mantel umgelegt hatte.

»Nun, unternehmen wir einen kleinen Spaziergang und ich zeige Euch unser Anwesen.« Katherine nickte stumm und ergriff den ihr angebotenen Arm. So vornehm war sie noch nie behandelt worden. Gemeinsam verließen sie das Haus und Rick legte seine Hand auf Katherines. Daniel konnte vom Arbeitszimmer aus sehr gut beobachten, wie die beiden das Haus verließen und er wusste nicht, was er zum Anblick seines jungen Gastes sagen sollte. Er war noch immer wütend auf seinen Bruder. Die Kleiderschränke seiner Mutter waren seit ihrem Tod nicht angerührt worden und nun erlaubte Rick einer Fremden, diese Kleider zu tragen! Der Anblick dieser jungen Frau in diesem gelben Kleid verwirrte ihn. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Es passte ihm nicht, dass Rick das Mädchen mit seinem Charme so um den Finger wickelte. Und es störte ihn noch mehr, dass Katherine Mac Callen offensichtlich gern in der Gegenwart seines Bruders war und diese Aufmachung so gut zu ihr passte! Sie schien sich sehr zu amüsieren, denn sie lachte ausgelassen. Widerwillig widmete er sich wieder seinen Papieren, konnte sich aber nicht so darauf konzentrieren, wie es nötig gewesen wäre.
 

»Es tut mir leid, dass ich dich neulich abends so bedrängte.«, meinte Rick unter-dessen zu Katherine, welche die Rosensträucher in Augenschein nahm. Sie hielt eine der Blüten zwischen ihren Fingern und roch daran. Sie mochte den Duft frischer Blumen. »Und mir tut es leid, dass ich so ungehalten war. Das war nicht richtig. Ich hätte mich angemessener verhalten müssen.«, meinte sie ihrerseits. »Schon gut. Wagen wir einen Neubeginn.« Katherine nickte lächelnd. Rick Elchot war so völlig anders als sein großer Bruder. Er schien das Leben mehr zu genießen und machte sich offensichtlich keine Sorgen um die Zukunft. Ihr war sehr wohl bewusst, dass er mit seiner charmanten Art die jungen Damen reihenweise bezirzte, doch sie würde ihm nicht erliegen. Sie mochte einfach seine fröhliche Art und war sich si-cher, dass sie beide gute Freunde werden konnten. Die beiden unterhielten sich sehr lange und sie genoss die Unbekümmertheit des jungen Mister Elchot. Sie erfuhr, dass sich der ältere Bruder sehr verändert hatte nach dem Tod ihrer Mutter. Und Rick erzählte ihr, weswegen Daniel so ungehalten gewesen war am Morgen. Sie verstand sein Verhalten nun besser, aber nicht vollkommen. Sie konnte nicht nachvollziehen, was die ganze Sache mit ihr zu tun hatte. Sie war nicht seine Mutter und konnte sehr wohl für sich selbst sorgen. Er musste nicht den Beschützer für sie spielen denn immerhin hatte sie bisher in ihrem Leben auch für sich selbst eintreten müssen. Niemand war da gewesen um für sie zu sprechen. Derlei Dinge behielt sich zumeist die Oberschicht vor. »Mein Bruder versucht unseren Vater so gut es geht zu vertreten. Das Wohl der Menschen auf diesem Land ist ihm sehr wichtig. Dazu zählt eben auch das Wohl seiner Gäste. Er trägt eine große Verantwortung auf seinen Schultern. Das ist nicht immer leicht für ihn, auch wenn er sich nicht anmerken lässt, wie schwer es manchmal für ihn ist.«, erklärte Rick schließlich weiter.

»Er wird später das Anwesen unseres Vaters übernehmen und somit auch die Verantwortung für alles und auch Vaters Geschäfte. Er macht sich Sorgen, was mit den Menschen auf dem Land von Mister Smith geschieht, wenn es so weitergeht.« »Was gehen ihn denn diese Menschen an?« »Im Grunde nichts, aber er fühlt sich für sie genauso verantwortlich, wie für die Menschen auf seinem eigenen Grund und Boden. Wenn anderen Unrecht widerfährt, kann er nicht darüber hinwegsehen. Das ist einfach die Natur meines Bruders. Vor vielen Jahren waren unsere Väter eng miteinander befreundet und den Menschen ging es gut. Aber seit Michael sich um alles kümmert, geht es den Bach runter. Daniel mag anderen gegenüber kühl und unnahbar erscheinen, aber er denkt dabei immer nur an das Wohl derer, die unter seinem Schutz stehen. Das darfst du nicht vergessen.« Katherine senkte den Blick. Das konnte sie sich gut vorstellen. Das Leben unter Michael Smith war wirklich nicht sehr einfach. Die hohen Abgaben brachten sie alle an den Rand der Existenz. Dass die Familie der Elchots jedoch so sehr am Wohl derer interessiert war, die sie eigentlich nichts angingen, berührte sie. Anscheinend hatte sie Mister Elchot völlig falsch eingeschätzt!

»Wenn es so weitergeht, wird meine Familie ebenfalls nicht mehr lange auf diesem Land leben können.«, meinte sie nachdenklich. »Die Abgaben, die Mister Smith erwartet, sind einfach zu hoch. Niemand wird sie aufbringen können. Er erhöht die Steuern jährlich und völlig willkürlich. Wenn es ihm gerade in den Sinn kommt, auch mehrmals. Er denkt nicht darüber nach, dass die Menschen auf seinem Land von irgendetwas leben müssen, wenn sie für ihn arbeiten sollen. Er bezahlt seinen Angestellten nur einen Hungerlohn und macht allen das Leben schwer. Irgendwann wird es Ausschreitungen geben und ich befürchte, dass die Menschen dann mit Heugabeln und Fackeln zu ihm gehen werden.«

»Machst du dir Sorgen darum?«, wollte Rick wissen. Sie waren inzwischen hinter dem Haus und standen vor einem großen Brunnen. Katherine war müde und fror. Sie setzte sich auf den Brunnenrand und blickte auf die ruhige Wasseroberfläche. Gedankenverloren strich sie mit den Fingern darüber. »Ja, natürlich. Es geht um die Existenz meiner gesamten Familie. Und solange ich hier bin steht außerdem außer Frage, dass Mister Smith sicher auch bald hier auftauchen wird, nachdem er sich meinen Onkel vorgeknöpft hat.« »Warum sollte er?«

»Weil ich ihm versprochen bin. Wenn ich meine Familie schützen möchte, muss ich diese Verbindung eingehen. Mein Onkel stimmte dem bereits vor einiger Zeit zu. Und ich Wohl oder Übel auch. Mir blieb keine andere Wahl.« »Das meinte Daniel also.«, sprach Rick leise zu sich selbst. »Warum wehrst du dich nicht dagegen? Niemand kann dich dazu zwingen eine Heirat einzugehen, die du selbst nicht möchtest.«, Katherine gab einen zynischen Laut von sich bei diesem Satz. »Das mag in gehobeneren Kreisen so von Statten gehen, aber in der einfachen Bevölkerung ist es Gang und Gebe, dass die Eltern einen Ehemann für die Tochter aussuchen. Und in diesem Fall war es Mister Smith, der auf meine Familie zukam und auf mich. Wie hätte ich es ausschlagen können? Viele Menschen empfinden eine solche Ehe als vielversprechend und wären glücklich, wenn ihnen ein besseres Leben bestimmt ist. Und meine Familie benötigt diese Absicherung dringend. Es geht ihnen nicht sehr gut unter der Last der hohen Abgaben und es gibt viele Kinder in unserem Haus, die satt werden wollen. Und am Ende hätte sogar das gesamte Dorf einen Nutzen davon.« Rick überlegte einige Zeit. Es schien, als wäre alles etwas schwieriger, wenn man nicht zum Adel gehörte. Das war ihm bisher nicht klar gewesen und er begriff, dass es nicht selbstverständlich war, dass es ihm so gut ging. Sein Vater hatte hart dafür arbeiten müssen, auch wenn sie zur Verwandtschaft des Königshauses gehören. Er verstand, dass viele Menschen, obwohl sie ihr Leben lang hart arbeiteten, niemals in einem solchen Wohlstand leben würden wie er.

Ihm war jedoch völlig schleierhaft, welchen Nutzen Michael Smith daraus ziehen wollte, wenn er eine junge, arme Bauerntochter ehelichte! Da musste mehr dahinterstecken, als ihnen allen bisher klar war! Ob Daniel vielleicht mehr wusste? Vielleicht sollte er das Gespräch mit seinem Bruder suchen und ihm erzählen, was Katherine ihm eben anvertraut hatte.

»Du scheinst eine große Bürde zu tragen, Katherine. Solange du hier bist, brauchst du dir keine Gedanken darum machen, das verspreche ich dir. Daniel wird sich um alles kümmern. Überlass einfach alles unserer Familie.« »Das muss er nicht. Und das möchte ich auch gar nicht. Ich kann sehr gut für mich selbst sorgen und ich möchte hier niemandem mehr als nötig zur Last fallen. Sobald ich meine eigenen Kleider wieder zurückbekommen habe, werde ich zu meiner Familie zurückkehren. Ich war schon viel zu lange weg und es geht mir gut genug, um den Weg zurück allein bewältigen zu können.« Rick schmunzelte und ergriff Katherines Hand. »Du bist hier jederzeit willkommen. Und wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich jederzeit an mich oder meinen Bruder wenden. Dessen kannst du dir sicher sein. Egal, zu welcher Zeit. Selbst, wenn du mit ihm verheiratet bist steht dir unsere Tür jederzeit offen.« nun lächelte Katherine seit Tagen das erste Mal wieder. Sie wusste dieses Angebot und die Hilfe der Elchots sehr zu schätzen. Es bedeutete ihr viel, diese Möglichkeit zu haben und zu bekommen.

»Und dafür danke ich Euch, aber das ist nicht nötig.«, sprach sie dennoch. Sie konnte einfach nicht über ihren Schatten springen. »Ich möchte in Niemandes Schuld stehen.« sie stand auf und Rick begleitete sie zurück ins Haus. Auf dem Weg dahin kamen sie auf der anderen Seite des Hauses an einer Ruine vorbei. Aufmerksam betrachtete Katherine das alte Bauwerk, an dessen Mauern die deutlichen Spuren eines Brandes zu sehen waren. »Was ist das hier für ein Haus?«, wollte sie wissen. »Ach das.«, seufzte Rick. »Dies ist das Wohnhaus unseres vorherigen Stallmeisters. Er lebte hier mit seiner Frau und seiner Tochter, bis es eines Nachts ein großes Feuer gab. Wir konnten bis heute nicht herausfinden, wie es ausbrechen konnte. Leider konnten er und seine Frau den Flammen nicht entkommen. Die Tochter ist seitdem verschwunden, soviel ich weiß. Manche denken, dass sie bei Verwandten lebt. Ich glaube, sie liegt noch immer irgendwo in den Trümmern und kann keine Ruhe finden.«

Katherine schossen bei dieser Erzählung Bilder in Kopf. Bilder eines Flammenmeeres und mehrerer Gestalten, die sie nicht erkennen konnte. Ihr wurde schwindelig und schlecht. Sie hielt sich eine Hand auf den Bauch. Ihre Knie gaben unter ihr nach, ohne dass sie es verhindern konnte. Bunte Sterne tanzten vor ihren Augen. Sie wusste, sie musste sich an etwas erinnern, aber ihr Geist und ihr Körper verhinderten es mit aller Macht und Katherine war machtlos dagegen. Sie spürte, wie Rick ihr unter die Arme griff und hörte wie durch eine Wand, wie er mit ihr sprach. »Was hast du?«, fragte er sie besorgt und nahm sie auf seine Arme. Sie fühlte sich für ihn leicht wie eine Feder an. Er spürte sie kaum, als er sie zum Haus zurück trug. »Lass mich runter, Rick.«, versuchte sie sich zu wehren, aber auch Rick besaß einen festen Griff, gegen den sie nicht ankam. »Nein, tut mir leid. Das kann ich nicht verantworten.«, lehnte er höflich, aber bestimmt, ab.

Sie vernahm auch die aufgeregte Stimme des anderen Elchot-Sprösslings, als sie das Haus schließlich betraten, aber sie war kaum in der Lage zu reagieren als er rief: »Was ist passiert?« Resi eilte herbei, als Rick sie aufs Bett legte. »Ich bin mir nicht sicher. Sie brach auf einmal zusammen. Es schien ihr zuvor gut zu gehen.«, rechtfertigte der Jüngere sich. Sie griff sich an den Kopf und Resi war schon an ihrer Seite und reichte ihr ein Glas Wasser. »Ist es denn zu viel verlangt, dass du auf sie aufpasst, wenn du sie schon vors Haus zerrst?«, wütete der Ältere weiter. Es war ihr unangenehm, dass alle um sie herum versammelt waren. Katherine bemühte sich, wieder aufzustehen, doch kräftige Hände drückten sie zurück aufs Bett. »Du bleibst jetzt hier!«, vernahm sie die herrische Stimme von Daniel Elchot und blickte verwirrt auf. Warum sprach er sie immer so scharf an? Sie hatte doch gar nichts getan!

Ein Tumult brach um sie herum los, als die beiden Brüder sich lauthals angingen. »Warum musstest du sie auch unbedingt in ihrem Wunsch bestärken?« heischte der einen den anderen an. Sie bekam Kopfschmerzen davon! »Du kannst sie hier nicht den ganzen Tag einsperren, wie einen Vogel in einem Käfig! Davon wird es ihr nicht besser gehen!« »Ich war von Anfang an dagegen! Aber du musstest dich ja wieder quer stellen!« Resi rief sie schließlich zur Ordnung und schickte beide aus dem Zimmer. Es waren sowieso Gäste eingetroffen, um die sich Daniel kümmern musste. Katherine richtete sich auf, als sie sicher sein konnte, dass die Brüder außer Hör- und Reichweite waren. »Warum reden sie so miteinander, Resi? Sie streiten wegen mir, das gefällt mir nicht.« »Daniel Elchot ist heute einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden, das ist alles. Ihm scheint heute gar nichts recht zu sein. Mach dir keine Gedanken darum. Es liegt nicht an dir. Und wo immer es geht, versucht er seinen kleinen Bruder zurechtzuweisen. Das war schon immer so. Er fühlt sich eben für ihn und das, was er anrichtet, verantwortlich.« Katherine seufzte.
 

Daniels Stimmung verschlechterte sich noch mehr, als er erkannte, wer ihm da ei-nen Besuch abstattete. Während Rick seine Gemächer aufsuchte um sich zu beruhigen, versuchte er selbst so ruhig wie möglich die Treppe herunter zu gehen und sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Er wusste, dass Rick im Grunde nichts dafür konnte, was geschehen war, aber er war trotzdem wütend gewesen. Wütend über sich selbst, weil er nicht bestimmter gewesen war und zugelassen hatte, dass Katherine Mac Callen sich überanstrengte und sich zu viel zumutete.

Doch damit konnte er sich später noch beschäftigen. Zuallererst musste er sich einem etwas unangenehmen Zeitgenossen widmen. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er hier auftauchen würde, aber gerade in diesem Moment konnte er ihn hier absolut nicht gebrauchen! Michael Smith! »Michael! Was führt dich zu mir?«, begrüßte Daniel ihn mit übertriebener Höflichkeit und trotzdem bestimmt. »Du weißt genau, was ich von dir will.« Daniel ließ sich mit einer Antwort Zeit, bis er am unteren Treppenansatz angelangt war. Michael strömte einen starken Alkoholgeruch aus. War er betrunken? Konnte er denn überhaupt kein Maß halten? Wie weit wollte er denn noch gehen?

Katherine hörte die Stimmen durch den Spalt der offenen Tür. Sie hatte Resi darum gebeten sie ein Stück weit offen zu lassen. Die Stimme, die sie vernahm, bereitete ihr eine Gänsehaut. Es lief ihr noch immer kalt den Rücken runter, sobald sie sie vernahm.

»Lass uns in den Salon gehen und alles Weitere dort besprechen.«, bat Daniel seinen ungebetenen Gast schließlich und wollte ihm den Weg weißen. »Nein! Ich fordere dich nur ein Mal auf, mir meine Verlobte auszuhändigen! Du hast kein Recht, sie mir vorzuenthalten!« »Ich enthalte dir niemanden vor, Michael. Dieses Thema müssen wir wirklich nicht hier im Eingangsbereich besprechen.«

»Ich spreche darüber wie und wo ich will! Sag mir wo sie ist, damit ich sie nach Hause bringen kann.« »Nein. Sie steht unter dem Schutz meiner Familie, bis sie wieder genesen ist, insbesondere unter meinem. Katherine soll hier zur Ruhe kommen und ihre Erkältung kurieren. Sie wird dann von allein zu dir und ihrer Fa-milie zurückkehren. Du musst dich hier nicht unnötig aufplustern, Michael. Und im Übrigen möchte ich dich bitten, deinen Ton zu mäßigen, solange du dich in meinem Haus befindest. Hier gelten immer noch die Regeln unserer Familie!« »Du wirst schon sehen, was du davon hast, Daniel Elchot.« »Wenn du nur hierher gekom-men bist um Ärger zu machen, dann muss ich dich jetzt höflichst bitten zu gehen. Anderenfalls werde ich jemanden bemühen müssen dich von hier zu entfernen. Wir können gern weiter sprechen, wenn du wieder nüchtern bist.« Daniels Körper-haltung sprach Bände. Er stand auf dem unteren Treppenabsatz, eine Hand auf dem Geländer und musterte Michael sehr genau. Seine Stimme war ruhig, aber be-stimmt gewesen, wie man es von einem Mann kannte, der es gewohnt war, dass seinen Anweisungen Folge geleistet wurde. Er würde nicht nachgeben oder ihn passieren lassen, das war Michael klar. Er konnte hier allein nicht viel ausrichten. Er würde sich fürs Erste geschlagen geben müssen, wenn er keinen unnötigen är-ger mit seinem alten Herrn provozieren wollte. »Das wirst du bereuen!«

Zähne knirschend trat Michael den Rückzug an und verschwand. Daniel atmete erleichtert auf und blickte dann zum oberen Ende der Treppe. Er konnte sehen, dass die Tür zu Katherines Zimmer offen stand. Offensichtlich konnte sie es nicht lassen und hatte gelauscht! Das machte ihn wütend. Warum war sie so dickköpfig und versuchte ständig ihren Willen durchzusetzen? Warum konnte sie sich nicht wie ein normales Mädchen verhalten? Sollte er zu ihr gehen? Es gab einige ungeklärte Fragen und nur sie konnte ihm die Antworten darauf geben! Aber er musste auch dringend Unterlagen für seinen Vater fertig stellen. Dieser wollte pünktlich zum Weihnachtsfest wieder auf dem Anwesen sein. Es war zwingend erforderlich, dass die Papiere bis dahin fertig wurden, damit die neuen Geschäftsbeziehungen nicht wieder zerbrachen. Um Katherine Mac Callen musste er sich einfach später kümmern. Sie war mit Rick und Resi in guter Gesellschaft und schien sowieso schlecht zu sprechen zu sein auf ihn. Im Moment war er auch zu wütend, um ein vernünftiges Gespräch mit ihr führen zu können.

Katherines Gedanken kreisten lange um den Besuch von Mister Smith. Sie befürchtete, dass ihre Familie unter dieser Situation noch sehr leiden würde und wollte so schnell wie möglich nach Hause. Sie fühlte sich kräftig genug dafür und wollte auf den Husten keine Rücksicht mehr nehmen. Das konnte sie auch gar nicht, denn das Haus musste dringend für den Winter fertig gemacht werden und ihr Onkel brauchte jede helfende Hand, die es gab! Sie war Mister Elchot dankbar für seine Hilfe und Fürsorge, aber sie wusste, dass es auf dem Hof ihrer Familie viel zu tun gab und sie ihre Hilfe dringend brauchten! Sie konnte unmöglich länger fort bleiben! Vermutlich würde auch Mister Elchot in Schwierigkeiten kommen, denn wenn sie Mister Smith richtig einschätzte, dann war er hier nicht zum letzten Mal aufgetaucht!

Darum bat sie Resi um ihre alte Bekleidung und zog sich schnell um. Sie ging die Treppe nach unten und klopfte vorsichtig an die Tür des großen Arbeitszimmers. Es dauerte eine Weile, bis sie sich öffnete. Daniel Elchot hielt wieder einmal Papiere in der Hand und sah kaum von seiner Arbeit auf, als er ihr öffnete. Er bedeutete ihr mit einem Blick, dass sie eintreten sollte und schloss die Tür dann wieder. »Was kann ich für dich tun?«, wollte er wissen, aber sie hörte deutlich aus seiner Stimme heraus, dass er kurz angebunden war. Ihm war nicht entgangen, dass sie bereits ihre eigene Kleidung trug. »Ich möchte Euch bitten, wieder zu meiner Familie zurückkehren zu dürfen.« »Ich weiß nicht recht.«, meinte er und legte seine Papiere nieder. Er verschränkte die Arme vor dem Körper und lehnte sich an den großen Schreibtisch. Offensichtlich hatte sie es mehr als eilig, von hier wegzukommen. Katherine faltete nervös ihre Hände und wagte nicht, nach oben zu sehen.

»Dafür musst du mir einen guten Grund nennen! Deine Erkältung ist noch nicht vollständig auskuriert. Du würdest nur wieder krank werden und deiner Familie fehlen die nötigen Mittel, um dafür zu sorgen, dass du wieder gesund wirst.« »Ich weiß Eure Sorge wirklich zu schätzen und bin Euch dafür dankbar, aber ich muss zurück. Meine Familie braucht meine Hilfe und kann nicht länger auf mich verzichten. Ich war schon viel zu lange von ihnen weg. Und sollte ich erneut erkranken, wird sich sicher Mister Smith meiner annehmen.« »Wenn sie wollen, dass es dir wieder gut geht, werden sie noch eine Weile auf dich verzichten müssen. Und von Mister Smith hast du nicht viel zu erwarten. Ich glaube, das weißt du selber.« Katherine atmete tief ein. Es tat ihr weh, aber sie riss sich zusammen. Sie wollte sich nicht von diesem Mann beirren lassen und musste ihn einfach überzeugen! »Bitte. Ich möchte es unbedingt. Ich war lange genug von zu Hause weg. Meine Familie fehlt mir und es geht mir wirklich wieder gut.« »Nun, wenn dem so ist-«, sprach er langsam und bewegte sich einige Schritte vom Schreibtisch weg, »dann werde ich dich persönlich nach Hause bringen.« »Das ist wirklich nicht nötig. Ich finde den Weg nach Hause auch allein. Es ist nicht sehr weit.« Daniel seufzte. Dieses Mädchen war ein-fach unbelehrbar! »Du wirst nicht alleine gehen!«, beharrte er weiter auf seinem Standpunkt und bemerkte augenblicklich das zornige Funkeln in Katherine Mac Callens Augen. »Ich werde mich nicht länger von Euch bevormunden lassen, Mister Elchot! Ich bin Euch sehr dankbar für alles, aber Ihr habt nicht das Recht, über mich zu bestimmen!« »Und Mister Smith hat es?«, polterte Daniel schneller, als ihm lieb gewesen war. Katherine war wie vom Donner gerührt durch diese Worte. Dann machte sie ohne ein weiteres Wort kehrt und ließ die Tür zum Arbeitszimmer krachend ins Schloss fallen. Sie eilte nach oben in das erste Stockwerk und in ihr Zimmer, um ihre verbliebenen Habseligkeiten zusammenzusuchen und sich dann eigenhändig auf den Weg zu ihrer Familie zu machen. Auf dem Weg nach unten kam ihr der Jüngere der Elchot-Brüder noch einmal auf halbem Wege entgegen. Verwundert blickte er zu dem jungen Gast. »Machst du einen Spaziergang?«, fragte Rick überrascht, während Katherine bereits an ihm vorbeistürmte. »So kann man es auch nennen.«, ihm entging ihr wütender Ton nicht und beschloss, die Treppe hinter ihr her nach unten zu laufen. »Was ist denn geschehen, Katherine?«, wollte er weiter wissen. Inzwischen war sie schon an der Eingangstür und hatte sie geöffnet. »Fragt das Euren Bruder!«, antwortete sie nur knapp und verließ das Haus, ohne Rick eine weitere Erklärung zu geben. Die Eingangstür fiel hinter ihr krachend ins Schloss. Dieser blieb verdattert zurück und brauchte einige Zeit um zu begreifen, was da gerade geschehen war. Als ihm klar wurde, dass Katherine nicht zurück-kommen würde, machte er sich geradewegs auf den Weg in das Arbeitszimmer seines Bruders.

»Katherine geht.«, fiel er sofort mit der Tür ins Haus, sobald er seinen Bruder zur Gesicht bekam. »Nein, das tut sie nicht. Sie ist nur wütend. Wenn sie sich beruhigt hat, wird sie zurückkommen.« Rick bäumte sich vor seinem Bruder auf, die Arme vor der Brust verschränkt. »Glaubst du das wirklich, ja? Sie hatte nämlich all ihre Sachen dabei und ist gerade aus dem Haus spaziert!« nun blickte der Ältere von sei-ner Arbeit auf, sichtlich überrascht. »Sag das nochmal!«, entfuhr es ihm dann. »Du hast mich schon verstanden, Daniel! Ist es wirklich das, was du willst? Du überlässt sie und ihre Familie einfach der Willkür dieser schrecklichen Person? Du bist für sie verantwortlich! Du wolltest dafür sorgen, dass die Ungerechtigkeiten auf dem Land der Familie Smith ein Ende haben!« »Ich weiß, was ich gesagt habe!«, schrie Daniel seinen kleinen Bruder nun an. Dieser ließ sich jedoch nicht davon beirren. »Dann geh und hol sie zurück! Oder begleite sie zumindest zu ihrer Familie! Du weißt, sie ist noch nicht wieder gesund! Wenn sie schon geht, dann solltest du zumindest sicher stellen, dass sie auch bei ihrer Familie ankommt.« Daniel seufzte und Rick machte wütend kehrt, um seinen Bruder mit sich allein zu lassen.

Nach einigem Überlegen kam Daniel dann jedoch selbst zu dem Entschluss, dass er Katherine folgen musste. Er lief nach draußen, vor das Haus und bedeutete einem Stallburschen, ihm Rasch eines der Pferde zu bringen. Er eilte dem Jungen entgegen, als dieser einen braunen Hengst aus dem Stall führte, riss ihm förmlich die Zügel aus der Hand und saß hastig auf. Eilig riss er die Zügel herum und gab dem Tier die Sporen, um Katherine noch einzuholen. Er entdeckte sie, unweit des Anwesens seiner Familie. Er brachte das Pferd neben der jungen Frau zum Stehen und sah sie schweigend an. Sie war noch immer wütend, denn sie sprach kein Wort. Darum reichte er ihr schweigend seine Hand. Doch wandte sich einfach von ihm ab und ging weiter. Daniel verdrehte die Augen und ritt langsam neben ihr her. »Sei nicht so stur, Katherine. Ich verspreche dir, ich werde dich zu deiner Familie bringen.«, sagte er dann. Es fiel ihm nicht leicht, ihrem Begehr nachzukommen. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn sie aus freien Stücken bei ihm geblieben wäre. »Meint Ihr es ernst?«, wollte sie wissen und beäugte den Reiter misstrauisch. »Du hast mein Wort, Katherine Mac Callen.« »Na schön.«, murmelte sie leise. Daniel reichte ihr erneut die Hand.

Wortlos ergriff sie diese und ließ sich von dem jungen Edelmann in den Sattel ziehen, sodass sie vor ihm war. Sie fühlte sich unbehaglich in seiner Nähe. Er hielt sie mit starken Armen und sicher und sie spürte die Wärme in seiner Brust. Dieses Gefühl verwirrte sie sehr und der Ritt zurück auf das Land von Mister Smith kam ihr unendlich lang vor. Daniel Elchot sprach kein Wort zu ihr während des Rittes und es beunruhigte sie, als er nicht den Weg zu ihrem Hof einschlug, sondern genau in die entgegen gesetzte Richtung ritt. »Das Haus meines Onkels liegt in der anderen Richtung.«, wandte sie schwach ein. »Ich weiß, aber wir sind schon auf dem richtigen Weg.«, war alles, was er dazu zu sagen hatte. Katherine befürchtete, dass Daniel Elchot einen Bogen reiten und zu seinem Anwesen zurückkehren würde, ohne sein Versprechen zu halten. Die Wut kochte augenblicklich in ihr hoch. »Ich wusste es!«, fuhr sie ihn an. »Man kann Euch nicht trauen!« Daniel funkelte sie aus zornigen Augen an. »Bevor du dich aufregst, solltest du deinen Blick nach vorn richten und sehen, wohin der Weg uns führt!«, meinte er nur. Widerwillig tat Katherine, was er sagte und blickte wieder nach vorn. In einiger Entfernung kam Bens Hof ins Sicht. Nur wenig später hielten sie auf dem Hof von Ben und seiner Frau. Katherine war verdutzt. Warum waren sie hier?

Aus dem Haus drangen Kinderstimmen, die ihr bekannt vorkamen. Schon stürmten mehrere kleine Kinder durch die Tür und auf den Reiter zu. Daniels Pferd wurde unruhig und begann zu tänzeln, doch er konnte es noch lange genug ruhig halten, um Katherine sicher abzusetzen. Er würde die ganze Szenerie vom Sattel seines Pferdes aus beobachten, um niemandem im Weg zu sein. Verwirrt blickte sie zu Daniel Elchot auf. »Denk das nächste Mal nach, bevor du wieder lospolterst.«, meinte er nur und setzte sich in seinem Sattel auf. Er war beruhigt, als er das Lächeln auf Katherines Gesicht sah, als sich die Kinder um sie scharrten und sie umarmten. Sie kniete sich auf den Boden und schloss die Kinder von Judy fest in ihre Arme. Daniel hatte zum ersten Mal seit Langem das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Vielleicht war es doch die richtige Entscheidung gewesen, sie gehen zu lassen. Es schien ihr zumindest augenblicklich besser zu gehen in der Gesellschaft ihrer Familie. Sie blühte förmlich auf. Jonathan war nur einen Tag vorher bei ihm gewesen um ihm mitzuteilen, dass Katherine zu diesem Hof hier zurückkehren sollte sobald sie wieder gesund war. Warum, darüber hatte er kein Wort verloren. Er hatte auch nicht danach gefragt. Das stand ihm nicht zu. »Wo sind die anderen?«, fragte Katherine indes die Kinder um sich herum. Augenblicklich schlug die Stimmung um und das Lächeln verschwand aus den Gesichtern. Sie zeigten nur stumm auf das Haus und Katherine stand auf, um nachzusehen, was hier eigentlich los war! Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht!

Und als sie ins Haus trat, wurde ihr auch schnell klar, was es war! Judy, Jonathan und Mike saßen am Tisch, müde und mit traurigen Mienen. Sie blickten ihr entgegen und versuchten ein Lächeln aufzusetzen, aber Katherine sah sofort das blaue Auge bei ihrem Onkel und auch bei Mike, ihrem Cousin. Die Hände ihrer Tante waren dick verbunden. Sie sahen nicht gut aus. Sie konnte sich darauf keinen Reim machen. Was war hier nur geschehen? Es sah aus, als wäre ihre Familie in eine Schlägerei verwickelt gewesen.

»Was ist geschehen«, fragte sie schockiert und war sich nicht sicher, ob sie die Antwort wirklich hören wollte. Wo war Judys Baby? Sie konnte es nirgends sehen oder hören! Sie wartete einige Augenblicke, doch keiner der drei ergriff das Wort. »Sagt es mir! Was ist geschehen?«, fragte sie erneut. »Katherine-«, begann ihr Onkel, aber er war nicht in der Lage, weiterzusprechen. Stattdessen wandte er sein Gesicht ab und legte die Hand auf den Tisch. Zum Vorschein kam eine Verletzung, die sehr einer Brandwunde ähnelte. Solche Wunden hatte Katherine in der Vergangenheit oft gesehen. Es kam immer wieder zu Bränden im Ort, vor allem im Sommer, wenn alles trocken war durch die Hitze und es wochenlang nicht geregnet hatte. Für einen solchen Brand war es jetzt allerdings viel zu kalt und zu feucht! Sie wich einen Schritt zurück. Ihr schwante Böses! Konnte es sein? War tatsächlich geschehen, was ihr Geist ihr gerade versuchte einzubläuen? Wenn ja, wie? Tau-sende Gedanken schossen alle gleichzeitig durch ihren Kopf und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie war wie gelähmt. Es war einfach unmöglich! Es war viel Regen niedergegangen in den letzten Tagen und es war kalt!

Wie betäubt, rannte Katherine wieder nach draußen, vorbei an dem noch immer warteten Mister Elchot, der von den Kleineren inzwischen umringt wurde weil sie alle sein Pferd streicheln und ein Mal im Sattel sitzen wollten und lief den Weg entlang zum Haus ihres Onkels. Sie vernahm nicht, wie Mike hinter ihr herrief. Sie bemerkte auch nicht, dass sie Mister Elchot unsanft zur Seite stieß um den Hof verlas-sen zu können. Daniel war sich im ersten Augenblick nicht sicher, was er tun sollte, als sie an ihm vorbeigestürmt war. Sollte er Katherine hinterher reiten? Er war der Meinung, Tränen in ihren Augen gesehen zu haben, aber konnte er seinen Augen trauen? Jonathan eilte unterdessen ebenfalls zur Tür und blickte den jungen Mister Elchot direkt in die Augen. »Sie ist auf dem Weg zu unserem Haus, doch da ist nichts mehr. Sie wird den Anblick nicht verkraften!«, sprach er nur und Daniel war klar, was zu tun war. »Ich kümmere mich um sie.«, sprach er nur. Umgehend schwang er sich in den Sattel und zog heftig an den Zügeln, um sein Pferd zum Wenden zu bewegen. Die Kinder wichen erschrocken zurück und schon preschte er davon. Warum hatte er ihrer Bitte auch nachgegeben? Er hätte sie zu seinem Haus zurückbringen müssen, egal, wie sie anschließend von ihm gedacht hätte! Er hätte sich zunächst selbst ein Bild vor Ort machen müssen!
 

Katherine war nicht mehr weit von ihrem zu Hause entfernt. Die kalte Luft brannte in ihrer Lunge, der Hustenreiz überkam sie immer wieder, aber sie wollte nicht stoppen. Sie musste wissen, was geschehen war! Ob es wahr war, was sie ahnte! Ihre Beine trugen sie wie von selbst den langen Weg am Waldrand entlang bis zum Gehöft ihres Onkels.

Wie angewurzelt blieb sie stehen, als die Mauern des alten Bauernhofes sichtbar wurden. Langsam, wie in Trance, ging sie auf die Überreste ihres Heims zu und sank atemlos auf die Knie, als sie durch das Tor geschritten war, welches nur noch schief in den Angeln hing. Ihr Herz setzte einen Moment aus. Weg! Alles war bis auf die Grundmauern niedergebrannt! Die Erde war schwarz und das Gebälk des Daches war eingestürzt und lag in Trümmern überall verstreut. Das Hab und Gut ihrer Familie war darunter begraben und für immer verloren. Der Geruch von Ruß und Asche lag in der Luft. Wie konnte das geschehen? Sie konnte es nicht glauben, wollte es nicht wahrhaben! Sie wusste nicht ob sie schreien oder nur weinen sollte. Sie tat beides zugleich, ohne Einfluss darauf zu haben und starrte nur auf das, was von ihrem Heim übriggeblieben war. Mit geballten Fäusten trommelte sie auf die feuchte Erde unter sich ein nur um anschließend ihre Finger in eben jenen Boden zu graben und durch einen Tränenschleier die pechschwarzen Überreste ihres gesamten Lebens zu betrachten. Sie wusste sofort, wer dafür verantwortlich war und warum er das getan hatte! Es war ihretwegen! Sie war schuld! Wegen ihr hatte ihre Familie kein Dach mehr über dem Kopf! Katherine weinte und schrie ihre Wut heraus so laut sie konnte, bevor ihre Stimme brach und versagte und sie nur noch hilflos schluchzen konnte.

Daniel kam nur wenige Augenblicke nach ihr an dem Hof an, stockte jedoch nur kurz, als er den Grund dafür erkannte, weshalb Katherine nicht hierher zurückkommen sollte. Ihr Onkel hatte sie aus gutem Grund von hier fern halten wollen, das wurde ihm sofort klar. Er sprang von seinem Pferd und band es eilig an einem Pfosten fest.

Katherine rannen Tränen übers Gesicht. Ihr Körper erbebte unter ihrem Schluchzen. Das Haus, in dem sie aufgewachsen war, war verschwunden! Verbrannt! Alle Erinnerungen, alles Hab und Gut ihrer Familie waren einfach vernichtet worden! Weg!

Ein starker Kopfschmerz überkam sie, als die lodernden Flammen vor ihrem geistigen Auge erschienen und sie zu verschlingen schienen. Sie waren überall um sie herum und schlossen sie ein! Sie hielt sich eine Hand an den Kopf. Der Schmerz, welcher diesen Bildern stets folgte, war kaum auszuhalten! Sie war sich nicht sicher, was sie von diesem Bild halten sollte! Es war ihr seit Kindertagen immer wieder in ihren Träumen erschienen und erst kürzlich bei den Elchots, als sie vor den Ruinen eines Nebengebäudes gestanden hatte. Was war in ihrer Kindheit geschehen? Die Szenerie kam ihr so bekannt vor! Sie schien sich an etwas erinnern zu müssen, aber sie wusste nicht, was es war!

Ihr fehlte die Luft zum Atmen, als sie auf die Überreste ihres Lebens starrte und noch immer versuchte, diesen lodernden Flammen in ihrem Inneren zu entkommen. Die Abstände wurden in letzter Zeit immer kürzer, in welchen sie von diesem Bild heimgesucht wurde. Immer weiter rannen ihr die Tränen übers Gesicht. Sie schluchzte und konnte nicht einfach aufhören zu weinen! Starke Arme wollte sie halten, doch sie versuchte sie wegzustoßen. Sie konnte Nähe jetzt nicht ertragen und wollte niemanden um sich haben. Sie wollte allein sein mit ihrem Kummer und ihrem Schmerz. Niemand sollte sie so sehen! Nicht einmal Mike gegenüber hatte sie bisher je Tränen gezeigt. Und dennoch war sie zu schwach, um sich dagegen zu wehren.

Daniel Elchot kniete sich zu ihr auf den feuchten Boden, schloss sie fest in seine Arme und hielt sie. Wie sehr sie sich auch gegen ihn zu wehren versuchte, er ließ sie nicht los. Er kniete neben ihr im Dreck ungeachtet dessen, ob er seine Kleidung beschmutzte. Sie kämpfte noch immer mit den Flammen in ihrem Inneren. Sie hielten sie fest, mehr als sonst und schienen sie nicht wieder frei geben zu wollen. »Ich will das nicht mehr.«, schluchzte sie. Und Katherine krallte ihre Hände in Daniels Arme, Halt und Schutz suchend. Der Schmerz in ihrem Herzen war in diesem Moment stärker als sich darüber Gedanken zu machen, wer gerade an ihrer Seite war und ob sie sich richtig verhielt. »Immer wieder diese Flammen! Warum kann ich sie nicht endlich loswerden? Es soll endlich aufhören!«, brachte sie mühsam hervor und hatte das Gefühl in einem Albtraum gefangen zu sein aus dem sie nicht erwachen konnte. Das Atmen fiel ihr schwer. »Es wird alles wieder gut, Katherine.«, meinte Daniel, hilflos, an ihrer Seite, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Er wusste nicht, was er tun konnte, damit es der jungen Frau in seinem Armen besser ging. Er konnte nur erahnen, was in ihr gerade vorgehen musste.

Sie verharrten eine ganze Weile auf dem Boden, jeder in seine Gedanken versunken. Daniels Miene verfinsterte sich in jeder Minute mehr, in der er darüber nachdachte, was hier geschehen war. Dieses Mädchen in seinen Armen so hilflos zu sehen, machte auch ihn hilflos. Er war noch nie in seiner solchen Situation gewesen. Wie sollte er sich verhalten? Er war sich nicht sicher. Sein diplomatisches Geschick würde ihm hier vermutlich nicht weiterhelfen. Schweigend legte er eine Hand schützend auf das Haupt von Katherine und drückte sie etwas fester an sich. Es war eine unbewusste Geste seinerseits, doch es fühlte sich in diesem Moment genau richtig und völlig natürlich für ihn an. Er konnte schließlich nur zu einem Schluss kommen: Michael hatte seine Schergen geschickt um Katherines Familie unter Druck zu setzen. Und wenn dem so war, dann hatte er die Grenzen damit deutlich überschritten! Daniel konnte diese Tat nicht mehr tolerieren, egal ob sie außerhalb seines Grund und Bodens stattfand!

Wie grausam musste Michael in seinem Inneren sein, wenn er sogar in Kauf nahm, dass Menschen starben? Menschen, die zudem zur Familie seiner Verlobten gehörten?! Wie sollte sie ihn da noch respektieren oder achten, wenn sie es denn über-haupt jemals getan hatte?

Er versuchte hart zu bleiben, aber es fiel ihm schwer angesichts der Tränen, die dieses, sonst so starke Mädchen, vor ihm vergoss. Sie weinte so bitterlich, dass es ihm schwer ums Gemüt wurde. Sie wirkte völlig hilflos und inzwischen wurde ihm klar, dass sie auch in der Nacht geweint hatte, als er das erste Mal in ihrem Zimmer gewesen war um nach ihr zu sehen. Sie hatte sich damals schlafend gestellt, doch nun wusste er, dass sie nur keine Schwäche zeigen wollte. Damals war er sich nicht sicher gewesen, ob das, was er durch die geschlossene Tür vom Flur aus gehört hatte, wirklich das war, wofür er es gehalten hatte. Nun war ihm klar, dass er sich nicht geirrt hatte! Sie hätte jemanden gebraucht an diesem Abend, der für sie da war und er hatte sie allein gelassen! Es fiel ihr auch jetzt schwer ihren Kummer zuzulassen und sie wehrte sich vehement dagegen, dass er so nah bei ihr war, doch sie war zu getroffen. Und er konnte sie nicht allein lassen! Nicht in diesem Zustand und nicht in dieser Situation!

Sein Beschützerinstinkt meldete sich zu stark zu Wort. »Du musst dich beruhigen.«, versuchte er auf Katherine einzureden, aber es schien nur wenig Sinn zu machen. Sie war kaum ansprechbar, als wäre sie in einer anderen Welt gefangen. »Es ist meine Schuld«, schluchzte sie irgendwann nur. »Wäre ich nicht davongelaufen, wäre es erst gar nicht dazu gekommen. Ich hätte einfach tun sollen, was er verlangte.«, meinte sie mit bebender Stimme und ihr Körper erzitterte. Ohne sich darüber Gedanken zu machen was er tat, nahm Daniel ihr Gesicht zwischen seine Hände und wischte ihre Tränen mit seinen Daumen fort. Ihre braunen Locken fielen ihr wild über die Schultern und verdeckten ihre Auge, als sie den Kopf etwas senkte. Sie konnte und wollte diesem Mann nicht in die Augen sehen. Er war ein Edelmann und sie nur ein einfaches Bauernmädchen! Seine Nähe war ihr unangenehm, weil es sie schwach erschienen ließ.

Doch Daniel zwang sie, ihn anzusehen und zum ersten Mal fielen ihm ihre langen Wimpern auf. »Rede dir das nicht ein.«, sprach er eindringlich und sah sie an. Sein Blick traf sie bis ins Innerste ihres Seins.

Er war so aufrichtig und ehrlich mit ihr in diesem Moment, das konnte sie deutlich spüren. »Du bist nicht schuld an dem, was geschehen ist! Ich werde dafür sorgen, dass diese Sache aufgeklärt wird. Ich verspreche es dir.« nichts war mehr von der Schroffheit zu erkennen, die er zuvor an den Tag gelegt hatte. Seine Worte klangen wie ein Versprechen. »Ich will kein Versprechen! Es gibt nichts aufzuklären. Das Alles geschieht nur wegen mir!«, entgegnete sie jedoch nur abwehrend und wollte sich aufraffen und somit der Umarmung von Daniel entgehen. Sie war es nicht gewohnt, diese Nähe. Bisher verband sie diese Nähe nur mit negativen Gefühlen und Momenten. Aber Daniel ließ nicht zu, dass sie sich losriss und von ihm fortkam. Er hielt sie fest am Arm und blickte sie ernst und dennoch offen an. »Willst du immer wieder davor weglaufen?«, fragte er sie forsch. Natürlich schmerzte es, sich schlimmen Dingen zu stellen. Das wusste er selbst nur zu gut, aber sie musste es tun! Sie wollte stark sein, also musste sie sich mit dem allen hier auch auseinandersetzen und lernen, es zu akzeptieren und nach vorn sehen! Egal, wie schwer es für sie sein mochte! »Ich bin ein einfaches Bauernmädchen! Was soll ich denn gegen einen Mann von Adel ausrichten?«, wollte sie wissen und ihre Augen funkelten zornig. Sie schluckte und wischte sich mit der freien Hand die restlichen Tränen aus dem Gesicht. »Such dir Hilfe!«, sprach Daniel nur und wollte mit diesem Satz auf seine eigene Familie ansprechen.

»Dem einfachen Volk hilft niemand! Wir müssen selbst sehen, wie wir zurecht kommen!« diese Worte trafen Daniel tief. Er fühlte sich persönlich angegriffen und wollte das nicht auf sich sitzen lassen. Er wusste, es war nicht einfach, unter Michael Smith zu leben, aber das galt nicht für die Menschen auf seinem Land. Die Stimmung zwischen ihnen war von einer Sekunde auf die nächste völlig abgekühlt, geradezu eisig. »Lasst mich los!«, forderte Katherine Mister Elchot auf und versuchte ihn abzuschütteln, doch er dachte nicht daran.

Ihr riss der Geduldsfaden und sie holte schon aus, um ihre Freiheit mit einer Ohrfeige zu erlangen, doch Daniel packte ihr Handgelenk kurz vor seinem Gesicht und als sie seinem Blick begegnete, wich jegliche Kraft aus ihrem Arm und sie stockte. Ihr Herz klopfte wie wild und sie konnte nicht anders, als diesem Mann in die Augen zu starren. Er sah sie völlig offen und ehrlich an und nichts an ihm ließ einen Zweifel daran, dass er es wirklich ehrlich mit ihr meinte. Weder seine Haltung, noch der Ausdruck seiner Augen ließen Zweifel daran, dass er ihr helfen würde wo er nur konnte und soweit es in seiner Macht stand.

Kraftlos sank sie wieder zu Boden und ihre Miene wurde wieder traurig und Daniel folgte ihrer Bewegung. Er war so bestimmt geblieben, hatte sie so fest ins Auge gefasst. Nun lockerte er seinen Griff um ihren Arm, als er diese Traurigkeit an ihr erneut wahrnahm. Wie konnte er nur so blind sein und so unsensibel mit ihr umgehen? Sie wusste nicht mehr weiter und ihm fiel nichts Besseres ein, als ihr eine Predigt zu halten! Es war egoistisch von ihm gewesen! Er hatte hier keine der Mägde vor sich, die er für ihr Fehlverhalten zurechtweisen konnte. »Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen.«, sprach er vorsichtig und entließ Katherine gänzlich aus seinem Griff. Zögernd zog sie ihren Arm zurück.

»Ich werde mich um die Angelegenheit kümmern, das verspreche ich dir. Und bis dahin kommt deine Familie auf unserem Gut unter. Wir besitzen noch einige leerstehende Gebäude, die zu den ehemaligen Stallungen gehören, die dein Vater vor vielen Jahren betreute.« »Mein Vater?«, Katherine horchte auf. Wovon sprach dieser Mann denn da? Was hatte das zu bedeuten? Warum konnte sie sich daran nicht erinnern?

Sie würde ihren Onkel danach fragen müssen! Völlig verzweifelt griff sie sich mit der Hand an den Kopf, weil ihr wieder dieses Bild in den Sinn kam, in welchem sie von einem Meer aus Flammen eingeschlossen war und es kein Entkommen gab. Daniel stand seinerseits nun wieder auf. Er wollte nicht weiter auf das Thema eingehen. Er hatte bereits zu viel verraten, das wurde ihm klar. Er musste nun dafür sorgen, dass diese Sache aufgeklärt wurde! Dies war seine Verantwortung! Er war es diesen Menschen schuldig, in allererste Linie jedoch Katherine. »Komm, ich bringe dich zurück zu deiner Familie. Wir sollten diesen Ort hier verlassen. Er tut dir nicht gut.« Katherine nickte zögerlich, ergriff die Hand, die Daniel Elchot ihr reichte und stand ebenfalls auf. Einen kurzen Moment wurde ihr wieder schwindelig und sie taumelte einen Schritt, doch sie fing sich schnell wieder und der Edelmann an ihrer Seite schien nichts davon zu bemerken.

Daniel gab ihre Hand frei, ging voraus um das Pferd loszubinden und saß auf. Er streckte Katherine erneut seine Hand entgegen, um sie zu sich heraufzuziehen. Sie zögerte. Er hatte bereits so viel für sie getan. Wie oft sollte sie seine Hilfe noch ruhigen Gewissens annehmen? Irgendwann würde er sicher eine Gegenleistung verlangen! »Nun komm, Katherine.«, riss er sie aus ihren trüben Gedanken. »Ich werde noch heute euren Umzug veranlassen, das versichere ich dir.« das überzeugte Katherine nicht völlig. Sie war sich noch immer unsicher. Was, wenn Michael Smith wieder auftauchte? Was, wenn er auch die anderen Dorfbewohner derart unter Druck setzte und tyrannisierte? Konnte sie das denn riskieren? Durfte sie so selbstsüchtig sein? In dem Dorf lebten ihre Freunde und Vertrauten! Es würde ihre Schuld sein, wenn ihnen etwas zustieß, nur weil sie ihr Versprechen nicht hielt.

Trotzdem ergriff sie Daniel Elchots Hand und er zog sie zu sich aufs Pferd, sodass sie vor ihm saß. Im Moment war sie auf seine Hilfe angewiesen und konnte sie un-möglich ausschlagen! Ob es ihr nun gefiel oder nicht, sie musste sich auf sein Wort verlassen.

Während sie zu Bens Hof zurückritten, rannen ihr noch immer Tränen übers Gesicht, auch wenn sie sich Mühe gab es zu verbergen. Der Schmerz über diesen Verlust saß tief in ihrem Herzen und sie spürte nur zu genau, wie sich auch Rachegelüste dazugesellten. Wie gern würde sie diesem Menschen all das heimzahlen, was er ihr und ihrer Familie angetan hatte! Sie fühlte sich schrecklich verdorben, aber sie kam gegen diese Gefühle im Moment nicht an.

Auf Bens Hof warteten die Kinder noch immer auf Katherine und blickten ihr mit großen Augen entgegen. Schnell wischte sie sich die letzten Tränen aus den Augen und setzte ein freundliches Gesicht auf. Die Kleinen mussten nicht merken, wie es in ihr aussah. Auch Onkel Jonathan und Mike traten vor die Tür. Katherine wollte zu ihnen, doch Daniels Griffs war fest und bestimmt und sie kam nicht von ihm los ohne dass er sie freigab. »Ich werde dafür sorgen, dass die Ursachen des Brandes vollständig aufgeklärt werden.«, erklärte er, an Onkel John gewandt. »Das ist wirklich nicht nötig, Herr.«, wollte Jonathan widersprechen, doch er sah in den Augen von Mister Elchot, dass dieser sich nicht umstimmen lassen wollte.

»Ich werde nicht zulassen, dass das Wohl der Menschen auf diesem Land noch länger gefährdet wird, nur weil andere ihre Machtgier nicht befriedigen können. Solange werdet Ihr eine Unterkunft auf meinen Ländereien erhalten. Macht Euch keine Sorgen. Ich werde mich um alles kümmern. Noch heute werde ich einige Männer hierher schicken, damit sie Euer Hab und Gut auf unsere Ländereien bringen.» »Wir danken Euch, Herr und stehen für immer in Eurer Schuld.« untertänig verbeugte sich Onkel Jonathan.

Es war ein ungewohnter Anblick für Katherine. »Eure Nichte wird die Zeit bis zu Eurer Ankunft in meinem Haus verbringen. Sie wird die Räumlichkeiten für Euch und Eure Familie angemessen herrichten und sich bis zu Eurem Eintreffen weiter erholen.« »Was?«, entfuhr es ihr. Erschrocken wandte sich Katherine zu Daniel Elchot um. Warum tat er das? Sie wollte bei ihrer Familie bleiben! »Der Anblick des Hauses war etwas zu viel für sie und hier scheint es mir sehr eng zu sein. Bei Eurer Ankunft werdet Ihr alles zu Eurer Zufriedenheit vorfinden und Eure Nichte wird bis dahin wieder vollständig genesen sein. Ich gebe Euch mein Wort als Ehrenmann darauf.« Jonathan nickte, doch Katherine verstand nichts von dem, was hier gerade gesagt wurde! Sie war durchaus in der Lage, bei ihrer Familie zu bleiben! Warum wollte er sie unbedingt mit zurück auf seine Ländereien nehmen? Sie wollte ihn gerade danach fragen und sich von ihm lösen, damit sie abspringen konnte, als er sein Pferd auch schon wendete und davon ritt. Sein Griff, um sie zu halten, wurde dabei immer fester. Und erst, als sie bei den Stallungen auf seinem Gut waren, ließ er wieder locker. Katherine nutzte den Moment und sprang sofort ab. Wütend funkelte sie den Herrn dieses Landes, auf dem sie gerade stand, an. Er war eindeutig zu weit gegangen, egal wie schlecht es ihr gegangen sein mag! »Ihr hattet kein Recht, mich gegen meinen Willen wieder hierher zu bringen!«, fauchte sie wütend zu ihm auf. »Wir waren aufgebrochen, weil ich Euch darum gebeten hatte, zu meiner Familie zurückkehren zu dürfen! Und nicht, damit Ihr mich am Ende wieder hierher schleppt!« mit jedem Wort, das Katherine sprach, wurde sie lauter und ungehaltener. Daniel stieg jedoch in aller Ruhe ab, völlig unbeeindruckt von ihrem momentanen Gefühlausbruch und überließ einem Stallburschen die Zügel. Dieser beeilte sich, das Pferd wegzuführen und dieser unangenehmen Situation zu entkommen. Die Spannung zwischen dem Mädchen und seinem Herrn war beinahe greifbar und er wollte keinesfalls zwischen die Fronten geraten.

»Du stehst noch immer unter Schock und brauchst Ruhe, welche du in diesem überfüllten Haus, in welchem sich deine Familie gerade aufhält, nicht bekommen wirst.«, erklärte er ruhig. »Ich brauche keine verdammte Ruhe!«, schrie sie den Mann vor sich nun an. »Alles, was ich brauche, ist meine Familie! Und Ihr enthaltet sie mir vor!« ihr stiegen Tränen des Zorns und der Hilflosigkeit in die Augen. Sie war es nicht gewohnt, derart bevormundet zu werden. Sie konnte selbst entscheiden, was für sie das Beste war! Dazu brauchte sie keinen Edelmann, der sich als Retter aufspielte! Sie atmete schwer und hustete, doch als Daniel auf sie zuging und ihr eine Hand entgegen streckte, schlug sie diese nur zur Seite und funkelte ihn weiterhin zornig an. Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln, aber sie ließ nicht zu, dass sie sie übermannten. Sie würde sich ihm gegenüber nicht die Blöße geben! Jetzt erst recht nicht! »Deine Familie wird bald hier eintreffen. Dann kannst du wieder jede Minute in deren Nähe sein.«, sprach er dann und tat es ihr mit wütenden Blicken gleich. Auf einmal war er wieder der kühle, abweisende Landesherr, der jederzeit die Kontrolle behielt. Seine Geduld neigte sich offensichtlich dem Ende entgegen.

»Du solltest die Zeit bis dahin nutzen um dich auszuruhen und die Räumlichkeiten nach deinem Gutdünken vorzubereiten, damit sie sich hier willkommen fühlen.« Daniel ging an Katherine vorbei Richtung Haus. Wütend sah sie ihm hinterher. Offensichtlich war das Gespräch für ihn beendet und er würde auch nicht weiter mit ihr darüber diskutieren! Aber für sie war es noch lange nicht vorbei!

»Ihr seid selbstgefällig und rücksichtslos!«, rief sie ihm hinterher und ballte ihre Hände zu Fäusten. Schneller als ihr lieb war stand er daraufhin wieder vor ihr, dichter wie zuvor und funkelte sie nun wiederum zornig an. Er ergriff sie an den Ober-armen und hielt sie fest. Sein Griff schmerzte und sie erschrak über seine grobe Art. War sie zu weit gegangen? »Ich sorge mich um dein Wohl! Wann begreifst du das endlich, du störrisches Mädchen?! Du kennst mich nicht mal annähernd also erlaube dir kein Urteil über mich!«, schalt er sie und wandte sich dann abrupt um und gab sie somit wieder frei. Er sprach kein Wort mehr und verschwand im Haus. Krachend fiel die Eingangstür ins Schloss und Katherine zuckte zusammen. Einige Zeit stand Katherine wie verloren bei den Stallungen und dachte über seine Worte nach. War dem wirklich so? Machte er sich einfach nur Sorgen? Aber warum? Was ging sie ihn an? Er lebte jenseits der Gutsgrenze zu Mister Smith. Es sollte ihn eigentlich nicht kümmern, was dort vor sich ging. Und dennoch mischte er sich in den Zwist zwischen ihm und ihrer Familie ein! Wenn das mal nicht irgendwann böse ausging! Sie hatte schon eine böse Vorahnung! Der Zorn darüber, dass er sie ein-fach wieder hierher verfrachtet hatte, verschwand jedoch nicht völlig und so stapfte Katherine schließlich wütend wieder Richtung Haus. Dort kam ihm, wie sollte es anders sein, Rick entgegen, der gerade auf dem Weg nach unten und zu seinem Bruder im Arbeitszimmer unterwegs war. Er staunte nicht schlecht, als Katherine an ihm vorbeirauschte und die Treppe hinauf lief. »Was machst du denn hier, Katherine? Ich dachte du wolltest wieder zu deiner Familie?!«, rief er ihr hinterher. »Fragt das Euren Bruder!«, rief sie ungehalten zurück, ohne sich zu Rick umzudrehen. Rick seufzte. Sie waren beide nicht einfach. Weder Daniel noch Katherine. Das konnte ja noch heiter werden!
 

Dass Katherines Verwandtschaft auf das Gut der Elchot-Familie umsiedelte, machte in den folgenden Tagen schnell die Runde. Auch an Daniels Cousine ging diese Neuigkeit nicht vorüber. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, dass ihr Cousin Bauern auf seinem Gut aufnahm. Sie mochte die einfachen Menschen nicht besonders. Sie war der festen Überzeugung, dass es unter ihrer Würde war, sich mit diesem Pack abzugeben. Früher oder später würde sie Daniel davon auch noch überzeugen können und ihn auf den richtigen Pfad zurückführen. Nachdem sie davon erfuhr, schaute sie hin und wieder bei den beiden Elchot-Brüdern vorbei und sah nach dem Rechten. Sie fädelte es meist sehr geschickt ein, sodass Katherine die Gespräche zwischen ihr und Daniel hören konnte. Ihr war es nur recht, wenn dieses einfache Bauernmädchen vom ersten Augenblick an spürte, wo ihr Platz war! Nicht nur ein Mal ging es darum, dass seine Cousine, die Katherine als Miss Elisabeth erkannte nachdem sie sie durch den Türspalt von der Küche aus beobachtet hatte bei einem ihrer Besuche, sie und ihre Familie für einen schlechten Umgang für die Elchot-Brüder hielt. Sie wollte nicht, dass er mit ihnen verkehrte und sie zurück auf ihren Hof schickte. Sie war der Meinung, dass sich Mister Smith darum kümmern musste und dieser Meinung verlieh auch lautstark Ausdruck.

Katherine hielt sich immer sehr zurück, wenn sie bemerkte, dass Miss Elisabeth wieder zu Besuch war. Meist versteckte sie sich hinter der Treppe oder in der Bibliothek, aber sie wusste genau, dass sie bemerkt wurde. Sei es von Miss Elisabeth oder von Mister Elchot. Und was Miss Elisabeth anging, machte diese keinen Hehl darum, dass sie Katherine und ihre Familie als Eindringling empfand und am liebsten selbst dafür gesorgt hätte, dass diese Familie ihre Koffer wieder packt. »Schick sie endlich zurück, Daniel!«, hörte sie Miss Elisabeth eines Tages auf Daniel Elchot einreden, als sie wieder einmal in der Bibliothek saß und las. Die Stimme dieser grässlichen Frau drang schrill zu ihr herüber durch die angelehnte Bibliothekstür und tat ihr jedes Mal in den Ohren weh. »Du weißt genauso gut wie ich, dass sie hier nicht hingehört!«, sprach sie weiter. Katherine stand von ihrem Platz auf und schlich leise zur Tür herüber, um die Szenerie beobachten zu können. Sie wusste, es war nicht richtig andere zu belauschen und sie wusste, sie würde sich nur wie-der unnötig aufregen, aber sie konnte einfach nicht anders!

»Dringe nicht weiter in mich, Beth. Es ist meine Entscheidung und ich lasse mir von dir nicht hineinreden!«, erwiderte er nur energisch darauf. »Du weißt doch, dass sie Mister Smith versprochen ist! Soll er sich um die Angelegenheit kümmern! Du handelst dir nur unnötig Ärger mit ihm und seiner Familie ein. Von ihrer Familie ganz zu schweigen!«, versuchte sie, ihren Cousin doch noch von ihren Argumenten zu überzeugen. »Das spielt keine Rolle! Es ist seine Schuld, dass es ihrer Familie so schlecht geht. Ich werde nicht zusehen, wie die Menschen auf seinem Land zu Grunde gehen wegen ihm! Das habe ich bereits viel zu lang getan.« »Du kannst nicht alle Menschen auf dieser Welt retten, Daniel! Begreif das endlich! Du solltest dich stattdessen lieber um die Leute auf dem Land deines Vaters kümmern! Ich befürchte nämlich, dass du diese bei dieser ganzen Geschichte zusehends vergisst!«, fauche sie ihn an und verließ das Haus postwendend. Katherine wusste nicht, was sie davon halten sollte. Miss Elisabeth schien ihr und ihrer Familie gegenüber nicht besonders wohlgesonnen zu sein. Warum empfand sie eine solch starke Abneigung? Sie hatte ihr nichts getan, jedenfalls wusste sie nichts davon.

Katherine konnte sich nicht länger auf die Bücher konzentrieren nach diesem Gespräch. Sie musste in Ruhe nachdenken und frische Luft schnappen. Eilig ging sie zu dem Sessel hinüber, in welchem sie es sich immer bequem machte, sobald sie sich in diesem Raum aufhielt. Sie warf sich die Stola über, welche auf der Sitzfläche des Möbelstücks lag und trat aus der großen Flügeltür zur Bibliothek in den Eingangsbereich des Hauses. Daniel Elchot stand noch immer am unteren Ende der Treppe, auch wenn er offensichtlich gerade auf dem Weg ins Arbeitszimmer war. Er sah sichtlich überrascht zu Katherine herüber. Sollte er sie ansprechen? An ihrem Blick konnte er deutlich erkennen, dass sie Zeugin dieser Unterredung geworden war, die eigentlich nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen war. Aber was hätte er auch sagen sollen? Es gab einfach nichts zu sagen. Seit sie mit ihrer Familie in den Unterkünften bei den Stallungen wohnte, war sie wieder verschlossener und sprach kaum ein Wort in seiner Gegenwart. Sie verhielt sich ihm gegenüber, als sei er ihr völlig fremd. Sie war höflich, aber zurückhaltend. Das irritierte ihn sehr. Und seine Cousine war seitdem auch auffallend oft bei ihm, um sich über diese Familie zu beschweren. Dabei gab es hierzu überhaupt keine Veranlassung.

Er erlaubte Katherine, uneingeschränkt die Bibliothek zu besuchen, wann immer sie es wollte. Vielleicht war es das, was Elisabeth missfiel. Und obwohl sich Katherine und er immer wieder begegneten in diesem Haus, war sie ihm gegenüber sehr reserviert und zurückhaltend. Sie verhielt sich ganz so, wie ein Herr es von seinen Untertanen erwartete. Dankbar, höflich und schweigend. Sie schien irgendwohin aufbrechen zu wollen. Es war ihm nicht recht, wenn sie das Gut verließ ohne zu sagen, wohin sie ging. Sie tat es immer öfter und kehrte meist erst spät zurück, wenn die Nacht bereits hereinbrach. Er sorgte sich, wenn er nicht wusste, wo sie war und wann sie zurückkam. Es wurde von Tag zu Tag kälter, doch er konnte sie hier nicht einsperren, wie einen Vogel im Käfig und musste darauf vertrauen, dass sie wusste, was sie tat. Da inzwischen der erste Schnee gefallen war, wollte er nicht, dass sie sich zu weit vom Haus entfernte und gar noch Gefahr lief, in Schwierigkeiten zu geraten. Aber er konnte es ihr auch nicht verbieten. Sie war ihm keine Rechenschaft schuldig, nur ihrem Onkel. Und dennoch war ihm nicht wohl dabei zu Mute. Er fühlte sich nach wie vor für sie verantwortlich und ging jedes Mal nervös in seinem Arbeitszimmer auf und ab, wenn es dunkel wurde und Katherine mit ihrer Rückkehr auf sich warten ließ. Ob sie das vielleicht aus Trotz machte?

»Ich werde zum Haus meines Onkels laufen. Ich möchte nach dem Rechten sehen.«, meinte Katherine jedoch zu seinem Erstaunen als Erklärung und ging an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen. »Sei vorsichtig.«, kam es ihm schneller über die Lippen, als ihm lieb war. Daniel blickte aus dem Fenster. Es begann gerade wieder zu schneien. Er konnte nur hoffen, dass sie vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück war! Er hätte sie am liebsten persönlich begleitet oder ganz davon abgehalten dorthin zu gehen, aber er musste noch Unterlagen durchsehen und er wollte sie auch nicht bedrängen. Doch er wusste, wie ihr letzter Besuch auf dem Hof ihres Onkels ausgegangen war. Darum wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie das Haus nicht verlassen hätte.

Katherine bat ihren Cousin, sie zu begleiten. Seit Mister Smith das letzte Mal hier aufgetaucht war und versuchte Druck auf Mister Elchot auszuüben, ging sie un-gern allein irgendwohin. Sie befürchtete stets, dass er ihr irgendwo auflauerte! Daniel Elchot wollte und würde sie nicht darum bitten. Er war sehr beschäftigt und es war nicht angemessen, wenn ein Mann seines Standes auf ein Mädchen wie sie aufpassen sollte! Selbst wenn sie sich in seiner Nähe am sichersten fühlte, so war es dennoch mehr als unpassend, eine solche Bitte an diesen Mann zu richten.

In der Auffahrt kam ihnen eine schwarze Kutsche mit verhangenen Fenstern entgegen, als sie sich mit Mike im Schneegestöber auf den Weg machte. Der Kutscher schien es eilig zu haben, denn er achtete nicht auf sie und Mike, sodass sie zur Seite springen mussten um nicht unter die Pferdehufe oder Räder zu geraten. Er steuerte das Gespann geradewegs die Auffahrt hinauf bis zum Eingang des großen Hauses. Verdutzt blickten Mike und Katherine hinterher, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Wer auch immer angereist war, er schien es eilig zu haben und es war nicht ihre Angelegenheit.

Schweigend legten sie den Weg zu ihrem alten Haus zurück. Es war nach wie vor bedrückend für beide, sich dieser Ruine zu nähern. Mister Elchot hatte ihrem Onkel zugesagt, im Frühjahr den Wiederaufbau zu veranlassen, sobald der Schnee getaut und das Wetter besser war. Des Weiteren war ihnen zu Ohren gekommen, dass Daniel Elchot mit dem alten Mister Smith darüber in Verhandlungen getreten war, das Land mitsamt dem Dorf von ihm abzukaufen. Bisher hatte sie sich noch nicht getraut, ihn danach zu fragen, aber die Gerüchte hielten sich hartnäckig. Irgendwann musste sie ihn darauf ansprechen und herausfinden, ob etwas Wahres dran war! Er war der Einzige, der ihr eine Antwort darauf geben konnte. Eine Antwort, der sie trauen konnte! Andererseits wollte sie sich nicht über Dinge den Kopf zerbrechen, die für sie nicht relevant waren. Sobald sich etwas ergeben würde, würde Ben ihr sicher davon berichten oder ihr Onkel. »Wieso willst du unbedingt dorthin zurück?«, unterbrach Mike schließlich die Stille, als sie schon eine Weile unterwegs waren und Katherine noch immer kein Wort mit ihm sprach.

Er hielt es nicht aus, wenn er und Katherine sich lange anschwiegen. »Ich weiß es nicht. Ich möchte nur ungern so lange von zu Hause weg sein. Hin und wieder tut es mir gut, nach dem Rechten zu sehen, auch wenn ich weiß, dass dort nicht mehr viel ist.«

»Aber uns geht es doch gut auf dem Gut von Mister Elchot. Es war sehr großzügig von ihm, uns ein Dach über dem Kopf zu geben. Und solange unser Haus so dasteht, können wir sowieso nicht zurückkehren.« »Aber es ist nicht von Dauer. Wir müssen hierher zurück. Das ist unser zu Hause. Hier sind wir alle aufgewachsen und hier gehören wir auch hin. Wir leben jetzt über unserem Stand und das ist mir unangenehm. Wir gehören nicht in die Welt der Edelleute. Außerdem mache ich mir Sorgen um die anderen. Michael Smith wird seinen Zorn an ihnen auslassen. Ist es nicht zu selbstsüchtig von uns, dass es uns jetzt gut geht und alle anderen noch immer Hunger leiden? Wir dürfen sie nicht vergessen.« »Mister Elchot wird sein Bestes tun, um das zu verhindern. Du solltest dir darüber keine Gedanken machen. Ich bin sicher, er findet eine Lösung.« darauf wusste Katherine nichts zu sagen.

Sie waren inzwischen tief im Wald und in der Ferne konnte sie schon den Bach plätschern hören. Sie waren nicht mehr weit von ihrem Hof entfernt. Mit bedächtigen Schritten näherten sie sich immer weiter, bis Mike Katherine schließlich an der Schulter packte und zurückhielt. »Was ist?«, wollte sie wissen. »Sieh!« er zeigte auf etwas, was am Bach lag. Ein halb eingeschneiter, dunkler Klumpen, der kaum zu erkennen war unter der weißen, kalten Decke. Katherine dachte zunächst, es sei ein totes Reh. Sie gingen darauf zu, doch es regte sich nicht. Als sie näher kamen, erkannte Katherine jedoch einen jungen Mann und als sie direkt davor standen und sie die Haare aus dem Gesicht des jungen Mannes strich, stockte ihr der Atem.

Rick Elchot lag bewusstlos und mit dem halbem Körper im eisigen Bach und gab kein Zeichen von sich. Der Schnee um ihn herum war von Blut getränkt! »Das ist Rick!«, sprach sie und kniete schon neben ihm, um ihn auf den Rücken zu drehen. Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen blau und seine Haut blass. Er atmete noch, aber er war schwach und stark unterkühlt. Er brauchte dringend Hilfe! Katherine blickte an ihm herab und erkannte eine große Verletzung an seinem Bein. Etwas entfernt wieherte ein Pferd. Hastig sah sie sich nach der Quelle um und unweit einer Birke stand Ricks Hengst. »Mike, hol Hilfe! Reite zu Mister Elchot und sag ihm, dass sein Bruder verletzt ist! Wir müssen ihn schnellstens hier weg schaffen!« Mike nickte nur, lief zum Pferd und saß, nachdem er es endlich beruhigt hatte, so schnell er konnte, auf um sofort zurück zum Anwesen der Elchots zu reiten.

Katherine zog Rick unterdessen unter größter Kraftanstrengung aus dem Bach und zog ihm die nassen Stiefel aus. Sein Bein sah schlimm aus, die Wunde war tief und blutete sehr stark und sie zögerte nicht lang, als sie ihre Stola von den Schultern zog und fest um die Verletzung zog um diese Blutung zu stoppen. Sie konnte nicht genau sehen, was diese schlimme Wunde verursacht hatte. War es eine Schuss-wunde? Oder hatte er eine ausgelegte Falle übersehen? Das konnte nur der Arzt klären. Jetzt musste sie versuchen, ihn am Leben zu erhalten! Nur darauf kam es jetzt an!

Vorsichtig schlug sie ihm auf die Wange. »Rick, wach auf!«, sprach sie auf ihn ein und sie konnte auch sehen, dass seine Lider flatterten, aber er öffnete die Augen nicht. Nur ein tiefes Stöhnen drang aus seiner Kehle. »Ich bin bei dir, halte durch.«, meinte sie und nahm seine Hände um sie mit ihren warm zu reiben. »Bleib‘ bei mir, Rick.«, sprach sie, beinahe verzweifelt. Sie band die Schürze ab, welche sie über ihrem Kleid trug und bettete seinen Kopf auf ihren Schoß. Die Schürze legte sie über ihn und bedeckte ihn, soweit es ging, mit ihrem Oberkörper, um ihm ihre Körperwärme zu spenden. Sie hielt ihn so fest sie konnte und sprach mit ihm. Sie rieb seine Arme und nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände. Er musste spüren, dass jemand bei ihm war! Wenn sie mit ihm redete, rief ihn das vielleicht ein wenig ins Leben zurück.

Die Zeit, bis Hilfe eintraf, kam ihr unendlich lang vor. Der Schneefall wurde immer stärker und es dämmerte bereits, als Daniel Elchot mit einigen Burschen und einem Wagen bei ihnen ankam. Ohne große Worte betteten sie ihn um, bedeckten ihn mit etlichen Decken und ritten eilig zurück. Er achtete nicht auf Katherine, die schweigend die Szenerie beobachtete und sich hilflos, wie ein kleines Kind, vorkam. Daniel gab noch einigen jungen Männern Anweisung, die Gegend abzusuchen auf irgendwelche Spuren und Hinweise, die Aufschluss über diesen Unfall geben konnten, bevor er sich auf den Rückweg machte. Katherine sah ihnen hinterher, als sie davon galoppierten und rieb sich die Arme. Erst jetzt spürte sie die Kälte in ihren Gliedern und sie bemerkte das Blut an ihren Händen. Wie in Trance wischte sie es an der Schürze ab, welche im Schnee lag und behielt sie in den Händen, während sie zum Anwesen der Elchots zurück lief. Als sie endlich dort ankam, war es bereits dunkel und im Haus lief die Dienerschaft geschäftig auf und ab. Resi blieb stehen, als sie die völlig durchgefrorene Katherine entdeckte.

»Wo kommst du denn so spät noch her?«, wollte sie wissen. »Ich war noch auf dem Rückweg.«, gab sie nur eintönig zur Antwort. »Wie geht es Rick?« »Der Arzt ist noch bei ihm. Seine Verletzung scheint schwerer zu sein, als zunächst angenommen. Daniel und sein Vater sind auch noch immer bei ihm. Er macht sich große Sorgen um seinen Bruder.«

»Sein Vater? Ist Mister Elchot von seiner Geschäftsreise schon zurück?« »Es scheint so.« »Wo ist Rick?«, fragte sie weiter. »Oben, im großen Zimmer. Komm mit in die Küche. Du brauchst dringend etwas zum Aufwärmen. Es ist eine Schande, dass Daniel nicht daran dachte, dich mitzunehmen. Selbst bei all der Aufregung ist das äußerst respektlos dir gegenüber.«, meinte Resi, aber Katherine schüttelte nur den Kopf. »Schimpf nicht auf ihn. Er hat im Moment wirklich andere Sorgen, als sich um mich zu kümmern. Sieh es ihm nach. Wenn es in Ordnung ist, gehe ich mir nur etwas anderes anziehen und warte dann oben. Ich möchte gern wissen, wie es Rick geht.« »Gut. Aber die Schürze nehme ich dir ab.« und mit diesen Worten übernahm Resi auch schon das schmutzige Kleidungsstück.

Katherine verlor nicht viel Zeit. Eilig lief sie ins Haus ihrer Familie, wusch sich und zog sich frische Kleider an, nur um dann sofort wieder ins Haupthaus zurückzulaufen und am oberen Treppenabsatz auf dem Gang platz zu nehmen. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor bis sich endlich etwas tat. Erneut konnte sie nichts anderes tun als zu warten. Resi kam noch einmal an ihr vorbei und drückte ihr einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit in die Hände.

»Du zitterst noch immer. Trink endlich etwas, damit dir wieder warm wird. Sonst liegst du am Ende wieder krank im Bett.« dankbar nahm sie den Becher an und roch an dem würzigen Met. Mit jedem Schluck, den sie zu sich nahm, wurde ihr et-was wärmer. Etwas später brachte Resi ihr noch eine Decke, welche sie ihr über die Schultern hing. »Du solltest ins Bett gehen. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis der Arzt aus dem Zimmer kommt. Es ist schon sehr spät und es scheint, als wäre er noch eine Weile beschäftigt.« »Nein, ich warte hier. Ich möchte wissen, wie es Rick geht.« »Na schön.« leise klopfte Resi an die Tür, hinter welchem der Arzt Rick behandelte. Sie verschwand für eine lange Zeit darin und kam niedergeschlagen wieder heraus. Katherine nahm diese Regung sofort zur Kenntnis und sprang auf. »Was ist?«, verlangte sie unverzüglich zu wissen. »Es sieht sehr schlecht aus. Der Blutverlust war wohl sehr hoch und Rick ist sehr schwach. Er muss schon eine Weile dort gelegen haben bevor ihr ihn gefunden habt. Er ist sehr stark unterkühlt. Der Doktor kann nicht mit Sicherheit sagen, ob er die Nacht überstehen wird.« dann ging Resi weiter. Das war für Katherine wie ein Schlag in den Magen. Jede Kraft wich aus ihren Beinen und sie ließ sich auf den samtenen Hocker zurückfallen, die Hand am oberen Geländer. Ihr Herz schlug wie wild gegen ihre Brust und ihr Kopf fühlte sich an wie leergefegt.

Die große Standuhr im Eingangsbereich schlug bereits zwölf, als erst der Arzt und schließlich Daniel und dessen Vater das Zimmer verließen. Sie sahen beide müde und niedergeschlagen aus. Sie machten den Eindruck, als würden sie sich von Rick verabschieden. »Vielen Dank für Eure Bemühungen.«, sprach Daniel noch und verabschiedete den Arzt mit einem Händedruck. Dieser ging, ohne viele Worte zu verlieren. Daniel legte seinem Vater einen Arm auf den Rücken. Der Herr des Hauses hielt den Kopf gesenkt und ging gebeugt wie ein alter Mann. Katherine war sofort aufgestanden, als die drei das Zimmer verließen und wartete geduldig, bis das Wort an sie gerichtet wurde, auch wenn es ihr schwer fiel. Aber sie wusste, wie sie sich in der Gegenwart eines so mächtigen Mannes benehmen musste, selbst wenn sein Sohn ihn vertreten hatte und sie bei diesem kein Blatt vor den Mund genommen hatte. Nun, nachdem ein Diener die Eingangstür hinter dem Arzt geschlossen hatte, fasste Daniel sie ins Auge.

»Was machst du noch hier? Du solltest längst im Bett sein.«, sprach er müde, doch nicht ohne ein gewisses Maß an Schärfe in der Stimme. Selbst in einer solchen Situation versuchte er ihr gegenüber noch den Herrn herauszukehren. »Es tut mir leid. Ich wollte nur wissen, wie es ihm geht.« sie blickte betroffen zu Boden. Sie konnte diesem Mann einfach nicht in die Augen sehen, wenn er so mit ihr sprach. Und der leidende Gesichtsausdruck des alten Mister Elchot traf sie zusätzlich. »Ich danke dir für dein Mitgefühl, aber du solltest dich lieber ins Bett begeben. Es ist schon spät und wir können im Moment nicht viel führ Rick tun, außer zu beten und zu hoffen.« er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich danke dir, Katherine.«, sprach er noch leise und ging dann an ihr vorbei, gemeinsam mit seinem Vater. Sie fühlte sich schlecht, als er sie so stehen ließ, aber sie konnte ihn auch verstehen. Sein Vater war gerade erst wieder eingetroffen und anstatt einer freudigen Begrüßung musste er nun um das Leben seines Sohnes bangen. Wie sehr musste es einen Vater treffen, wenn sein eigen Fleisch und Blut vor ihm aus der Welt schied? Das konnte sie sich nur schwer vorstellen. Daniel hatte gerade andere Dinge im Kopf, als sich mit ihr über Rick zu unterhalten. War es wirklich so schlecht um ihn bestellt? Er war ihr inzwischen ein guter Freund geworden und machte ihr die Stunden hier etwas leichter. Er saß oft mit ihr in der Bibliothek und diskutierte mit ihr über die Bücher, die sie gerade las. Dank ihm war sie etwas fröhlicher und fühlte sich nicht so allein und verloren in dem großen Haus.

Daniel mochte von seinem jüngeren Bruder halten was er wollte. Er mochte ihn für rücksichtslos, verantwortungslos und einen Weiberhelden halten, aber Katherine sah, was in ihm steckte. Er hatte ein gutes Herz. Er zeigte nur nicht jedem sein Innerstes. Was, wenn er es nicht schaffte? Das würde sie schwer treffen. Ein guter Freund würde ihr genommen, wenn er nicht überlebte.

Betroffen und niedergeschlagen blieb sie zurück und sah Daniel hinterher, als er mit seinem Vater im Arbeitszimmer verschwand. Katherine legte die Decke sorgsam zusammen und brachte dann den leeren Becher zurück in die Küche. Sie fand einfach keine Ruhe und setzte sich dort an den großen Holztisch, an dem sich mittags immer die Dienerschaft versammelte und gemeinsam aß. Hin und wieder gesellte sie sich zu ihnen. Sie lauschte den Geschichten der Älteren gern und es wurde ausgelassen gelacht. Die unbekümmerte Atmosphäre gefiel ihr und sie wünschte sich immer wieder, dass es überall so sein möge wie in diesem Haus. Niemand ver-lor ein böses Wort über ihre Herren. Es schien hier allen sehr gut zu gehen.

Als sich Katherine schließlich aufraffte und ins Bett gehen wollte, war es bereits halb zwei am Morgen und eine Gestalt stand in der Küchentür. Sie erkannte Mister Elchot Senior und wollte ihm sofort Platz machen. Langsam kam er auf sie zu und sah sie mit müden, prüfenden Augen an. »Setz dich.«, forderte er sie auf und Katherine tat, wie ihr geheißen. Mister Elchot Senior nahm auf der ihr gegenüberliegenden Seite des Tisches Platz. Sie zog den Metkrug und einen Becher von der Seite heran, um ihm einzuschenken. Dann reichte sie dem Herrn den Becher und wartete, bis er das Wort an sie richten würde. Sie wagte kaum, ihn anzusehen. Er strahlte eine ebensolche Autorität aus wie sein Sohn. Vermutlich hatte Daniel mehr von seinem Vater, als ihm selbst bewusst war. Auch in ihrem Äußeren waren sie sich sehr ähnlich. »Ich danke dir.«, sprach er, während er seine Hände um den Becher schloss. »Du bist also Katherine Mac Callen, das Mädchen, welches meinen Sohn fand.« stellte er fest. Katherine nickte nur. Sie wagte nicht, etwas zu sagen. »Ich danke dir, dass du dich so gut um Rick gekümmert hast, bis Hilfe eintraf. Wenn wir Glück haben, rettet ihm deine Hilfe das Leben.« »Ich hoffe, er erholt sich.« wagte sie nun doch, zu sagen. »Das hoffe ich auch. Meine Söhne sind alles, was ich noch habe.« was sollte sie dazu sagen? Es ging ihr mit ihrer Familie ebenso. Sie konnte diesen Mann nur zu gut verstehen.

»Und du lebst also mit deiner Familie auf dem Gut hier?«, fragte er schließlich, nachdem er den Becher in einem Zug geleert hatte. »Ja. Euer Sohn war so gütig, uns ein Dach über dem Kopf zu geben, bis unser Haus wieder aufgebaut ist.« »Was ist passiert?« »Ein Feuer.« mehr vermochte Katherine nicht preiszugeben. Sie wollte nicht, dass sich auch noch der eigentliche Herr dieses Hauses in ihre Sorgen einmischte. »Sehr ungewöhnlich zu dieser Jahreszeit. Wie ist das passiert« »Ich weiß es nicht. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht bei meiner Familie.« »Wusstest du, dass dein Vater viele Jahre als Stallmeister für mich arbeitete?«, fragte Mister Elchot Senior dann frei heraus. »Nein. Ich erinnere mich nicht an meine Eltern und habe mit meinem Onkel auch nie über sie gesprochen.«

»Das solltest du aber. Es ist wichtig zu wissen, woher man kommt.« »Ich muss das nicht wissen.« widersprach sie, auch wenn es in ihrem Inneren anders aussah. »Wichtig für mich ist nur, dass ich mit meiner Familie zusammen sein kann. Her-kunft spielt dabei keine Rolle.« er schmunzelte. Ihm war, als hätte er diese Worte vor vielen Jahren schon einmal gehört. Er betrachtete Katherine im Schein der Kerzen, welche ebenfalls auf dem hölzernen Tisch standen, genauer und musste erkennen, dass er sich sehr in die Zeit zurückversetzt fühlte, als seine Frau noch lebte. Wie oft hatten sie nachts in dieser Küche gesessen und sich unterhalten? Wie oft hatten sie getan, als wären sie einfache Leute? Zu großen Festlichkeiten hatte sie stets eine Schürze umgebunden und in der Küche geholfen. Die Ähnlichkeit zwischen ihr und diesem Mädchen, das nun vor ihm saß, war frappierend! Er konnte noch nicht einordnen ob er sich über ihre Anwesenheit in diesem Haus freuen sollte oder ob ihm das Herz schwer wurde bei ihrem Anblick. »Warum bist du so spät noch auf?«, fragte er weiterhin.

»Ich konnte noch nicht schlafen. Ich mache mir Gedanken um Rick. Er ist mir ein guter Freund geworden, seit ich hier bin. Er ist ein herzensguter Mensch und immer sehr freundlich. Er hat mich nie bevormundet, sondern ganz normal behandelt, als wären wir ebenbürtig.« Mister Elchot schmunzelte. »Ja, das hört sich ganz nach meinem Sohn an. Aber leider ist er auch sehr naiv und lebt in den Tag hinein.« »Ich denke, das solltet Ihr Eurem Sohn nachsehen. Er ist noch jung und übermütig. Ich bin sicher, wenn Ihr es von ihm verlangt, dann ist er auch in der Lage, Verantwortung zu übernehmen. In ihm steckt mehr, als Ihr jetzt vielleicht seht.« darauf erwiderte Mister Elchot nicht sofort etwas. Das Mädchen hatte ja recht. Und egal, wie übermütig sein Jüngster manchmal war, er war doch sehr stolz auf ihn. Er war auf beide Söhne stolz.

Sie hatten so viel von ihrer Mutter mit auf den Weg bekommen. Er konnte sich glücklich schätzen, dass seine Frau in ihnen weiterlebte. »Du solltest ins Bett gehen, Katherine Mac Callen. Die Nacht ist zu kurz, um sie sich um die Ohren zu schlagen.« Katherine stand auf. Einen Moment blickte sie auf den Herrn vor sich herab. »Versprecht mir, dass auch Ihr Euch Ruhe gönnt. Rick würde nicht wollen, dass es Euch schlecht geht wegen ihm und Ihr seid gerade erst von einer langen Geschäftsreise gekommen. Ihr könnt ihn nur unterstützen, wenn Ihr bei guter Gesundheit seid.« damit verließ sie die Küche durch einen Seiteneingang und der alte Herr sah ihr verdutzt hinterher. Sie sprach mit dem Herzen, das gefiel ihm. Vielleicht konnte sie diesem Haus wieder etwas Leben einhauchen. Er würde mit Daniel dar-über sprechen müssen. Er musste sie unter allen Umständen gut behandeln! Sie hatte es mehr als verdient.

Katherine fiel doch müder als gedacht ins Bett. In wenigen Stunden würde sie wieder aufstehen müssen! Bis dahin sollte sie dringend etwas schlafen!

Daniel war am nächsten Tag kaum zu sehen. Katherine überlegte lange hin und her, ob sie ihn oder Rick aufsuchen sollte. Sie wollte wissen, wie es ihm ging und ob er wieder auf die Beine kommen würde. Keiner wollte ihr so recht sagen, ob er die Nacht überstanden hatte. Und Mister Elchot Senior war auch nirgends zu finden. Resi erzählte ihr gegen Mittag, dass Daniel die meiste Zeit bei Rick im Zimmer verbrachte und sogar seine Unterlagen mit dorthin genommen hatte. Mister Elchot Senior war wieder aufgebrochen um noch einige wichtige Geschäfte abzuwickeln. Es musste ihm sichtlich schwer gefallen sein, berichtete Resi, aber er wusste auch, dass er die Geschäfte nicht einfach ruhen lassen konnte. Er und Daniel würden regelmäßig miteinander korrespondieren, was Rick anging. Katherine erstaunte es, dass Daniel sein Arbeitszimmer ins Zimmer seines Bruders verlagert hatte. Er hing also so sehr an ihm? Hatte er so große Angst um ihn? Sie stand schließlich selbst vor dieser Tür, doch sie zögerte anzuklopfen. Was sollte sie denn sagen? Daniel war ihr gegenüber sehr abweisend und meist schroff. Er behandelte sie wie ein kleines Kind und das wollte sie sich nicht gefallen lassen. Andererseits ging es hier nicht um Daniel oder sie, sondern um Rick, den sie als Freund fest in ihr Herz geschlossen hatte und um den sie große Angst hatte.

Nach einigem Hin und Herr fasste sich Katherine schließlich doch ein Herz und klopfte an. Erst, nachdem sie die Aufforderung erhielt, trat sie ein und schloss die Tür so leise wie möglich. Ihr Blick fiel sofort auf Rick. Er sah unheimlich blass aus und schien zu schlafen. Feine Schweißperlen standen auf seiner Stirn. »Er fiebert. Es geht ihm nicht besonders gut.«, vernahm sie Daniels Stimme von der anderen Seite des Bettes. Er saß an einem Tisch, vor sich viele Papiere ausgebreitet. Unter seinen Augen lagen tiefe Schatten. Er sah nicht gut aus. Er schien kein Auge zu-gemacht zu haben in der vergangenen Nacht. Katherine setzte sich auf die Bettkan-te und nahm Ricks Hand in ihre. Sie war so unsagbar kalt! »Ihr braucht Ruhe.«, sprach sie zu Daniel, doch ihr Blick haftete auf Rick.

»Wenn Ihr Eure Sorgen mit niemandem teilt, werdet Ihr noch krank.«, ergänzte sie und wagte einen Blick auf den Älteren. Er schien ehrlich überrascht zu sein, das von ihr zu hören und für einen kurzen Augenblick glaubte sie, ein Funkeln in seinen Augen zu sehen. Doch dieser Augenblick war schon wieder vorbei und seine Miene so verschlossen wie zuvor. Etwas zu sehr konzentrierte er sich auf seine Arbeit. »Ich kann mir solche Sentimentalitäten nicht leisten. Die Arbeit hier erledigt sich nicht von allein.«, sprach er, kurz angebunden.

»Es muss schwer sein, immer für alles verantwortlich zu sein. Wie kommt Ihr mit dieser Bürde klar?« darauf wusste Daniel zunächst nichts zu erwidern. »Das muss dir doch bekannt vorkommen. Du versuchst doch auch immer, alles alleine zu regeln und willst alle Last auf deinen Schultern tragen.« Katherine fühlte sich ertappt. War sie so schnell zu durchschauen? »Fühlst du dich ertappt?«, fragte er spitz. Konnte er etwa auch noch ihre Gedanken lesen? Er wurde ihr unheimlich. »Ein wenig.« er stand auf und setzte sich auf die andere Seite des Bettes zu seinem Bruder. »Ich weiß, ich war sehr grob zu dir in der Vergangenheit.«, begann er dann und blickte auf Rick, meinte jedoch Kathi. »Ich wollte immer nur dein Bestes, das musst du mir glauben.«, ergänzte er noch. »Ich weiß. Und ich danke Euch dafür. Aber-« sie wusste nicht, wie sie diesen Satz zu Ende führen sollte. »Ich verstehe schon. Durch meine Einmischung sind viele Dinge geschehen, die nicht hätten sein müssen. Und das bereue ich sehr. Ich würde es gern ungeschehen machen, aber das geht nicht. Darum möchte ich deine Familie so gut es geht unterstützen und euch beschützen.« »Mister Smith wird nicht begeistert sein. Sein Zorn wird sich nicht nur gegen meine Familie richten, sondern vermutlich gegen das ganze Dorf. Alle müssen darunter leiden, wenn ich nicht zu ihm gehe. Ihr wisst, dass ich ihm versprochen bin.« über Daniels Gesicht huschte ein zynisches Lächeln.

»Und dennoch sehe ich keinen Ring an deinem Finger.« »Nun, ich-« »Du brauchst mir nichts erklären. Resi fand die Überreste in der Asche. Du musst ziemlich wütend gewesen sein, wenn du ihn ins Feuer wirfst.« Katherine war etwas überrascht. Bisher hatte er geschwiegen zu dem Thema und sie in dem Glauben gelassen, dass er nichts über die Angelegenheit wusste, dabei wusste er offensichtlich mehr, als er zugab. »Ich habe mir diese Verbindung nicht ausgesucht.«, antwortete sie dann. »Aber mir blieb keine andere Wahl. Manchmal sind die Bürden, die man tragen muss zu schwer. Und dann tut man Dinge, die unklug sind und über die man nicht nachdenkt.« wütend über sich selbst verkrampfte Katherine ihre Hand in ihrem Kleid. »Und die man hinterher bitter bereut.«, fügte sie leise hinzu. »Und darum bist du weggelaufen?« »Ich weiß nicht, was mich da geritten hat. Auf einmal wollte ich nur noch weg. Es schien der einzige Weg zu sein in diesem Moment um allem zu entfliehen. Ich habe nicht nachgedacht, was das für mich oder meine Familie bedeuten könnte.« vorsichtig strich sie über Ricks Stirn.

»Wenn man ein einfacher Bauer ist, wird einem nichts geschenkt. Das Leben ist hart. Wenn man überleben will, muss man stark sein, auch wenn es schwer fällt. Und hin und wieder muss man sich mit Entscheidungen einverstanden zeigen, die einem nicht gefallen. So ist nun mal der Lauf der Dinge.« »Ich verstehe.« Daniel stand wieder auf und ging zu seinem Tisch zurück. Er musste dringend die Papiere durcharbeiten. Er hatte sich für einen Moment der Schwäche hingegeben durch Katherines Anwesenheit, aber das konnte er sich nicht leisten!

»Ich hoffe, du fühlst dich hier inzwischen trotzdem etwas wohler. Ich weiß, du machst dir Sorgen, dass Michael Smith wieder hier auftaucht. Und ich weiß auch, dass du die Gespräche zwischen mir und meiner Cousine viel zu oft mitbekommst, aber du musst dir wirklich keine Gedanken machen. Solange du und deine Familie auf meinem Land lebt, werde ich für euren Schutz sorgen. Michael kann euch hier nichts tun.« »Ihr scheint mir nicht richtig zugehört zu haben. Wenn Ihr wirklich etwas bewirken könnt dann-« Katherine stockte. Sollte sie ihre Bitte wirklich aussprechen? »Was dann?«, drängte Daniel Elchot. »Ich bitte Euch, löst die Verlobung, sofern es in Eurer Macht steht. Vielleicht müssen dann nicht noch mehr Menschen leiden.« ›Oder aber doch.‹, ging es ihr gleichzeitig durch den Kopf. Daniel erkannte die Verzweiflung in ihren Worten und wie sehr sie hin- und hergerissen war. »Ich werde sehen, was ich für dich tun kann.« Katherine stand auf. »Danke.« sie wollte schon das Zimmer verlassen, da war Mister Elchot mit einem Satz bei ihr und hielt die Tür zu. Erschrocken sah sie zu ihm auf. Sein Blick war klar und trotzdem un-durchdringlich. Was wollte er von ihr? Warum stand er ihr auf einmal so dicht gegenüber und hielt sie auf? »Wirst du wieder fröhlicher sein, wenn die Verlobung gelöst wäre?«, wollte er wissen. »Was?« »Du wirkst sehr unglücklich, seit du hier bist. Warum verbirgst du dein Lachen? Liegt es daran, dass diese Verlobung so schwer auf dir lastet oder ist dir der Aufenthalt in unserem Haus vielleicht zuwider?« »Ich-« Katherine errötete. Was sollte sie darauf antworten? Noch ehe sie eine Antwort darauf fand, gab Daniel ihr den Weg wieder frei.

Was war da nur in ihn gefahren? Er erkannte sich selbst nicht wieder! Jedes Mal, wenn sie in seiner Nähe war, wollte er sie am liebsten an sich drücken und nie mehr los lassen. Es machte ihn wahnsinnig, wenn er sah, wie sie mit Rick spazieren ging und in seiner Gegenwart auftaute. Und ebenso wahnsinnig wurde er, wenn er auch nur ansatzweise darüber nachdachte, was Michael Smith mit ihr machen würde, wenn sie erst mit ihm verheiratet war! Ganz zu schweigen von dem, was ihrer Familie und den Dorfbewohnern widerfahren würde, wenn er nicht endlich etwas unternahm! Er wusste genau, er sollte sich da nicht einmischen. Aber konnte er ihr seine Hilfe denn verweigern? Sie hatte ihn schließlich darum gebeten!

Verwirrt verließ Katherine den Raum. Was war das gerade gewesen? Was sollte sie von dieser Frage halten? War sie so ernst geworden? Vollkommen in diese Gedanken versunken ging sie zu ihrer Familie ins Nebengebäude. Es war kalt und es schneite noch immer. Seit sie Rick im Wald aufgefunden hatten, war kein Sonnenstrahl mehr bis zum Boden durchgedrungen. Die Wolkendecke schüttelte unerlässlich weiche, weiße Flocken aus, als würde die Welt verbergen wollen, was geschehen war. Als Katherine vor dem großen Haus stand sah sie verträumt in den Himmel empor. Der Winter war ihr stets die liebste aller Jahreszeiten gewesen. Alles war so friedlich und still. Die traurigen Gedanken schienen ebenso unter einer dicken Schneedecke zu verschwinden, wie die Blumen. Sie streckte die Hände aus und schloss ihre Augen. Die winzigen Flocken schmolzen sofort auf ihrer Haut. Wann war sie so ernst geworden? Sie wusste es nicht mehr. Vielleicht, als sie die Verantwortung für die Kinder und so viele andere Dinge übernommen hatte?!

Einige Augenblicke verharrte sie so, dann ging sie langsam zum Nebenhaus hinüber. Bei diesem Schneetreiben hielt sich niemand länger als nötig draußen auf, bis auf die Kleinen. Sie tobten im Schnee herum, bauten Schneemänner und machten eine Schneeballschlacht. Katherine lächelte, als sie an ihnen vorbei ging und sich die Schuhe abklopfte im Haus. Ihr Onkel war in den Stallungen und kümmerte sich um die Pferde. Mike saß am Tisch und schien sich gerade aufzuwärmen. Seine Haare waren nass und seine Nase rot. Sie setzte sich zu ihrem jüngeren Cousin und sah ihn eine Weile schweigend an. »Wo ist Tante Judy?«, wollte sie schließlich wissen. »Bei Vater. Sie hilft ihm mit den Tieren. Wieso fragst du?« »Weil ich etwas mit dir allein besprechen wollte.« fragend blickte er sie an. Katherine sah sich noch einmal um, ob sie auch wirklich ungestört waren. Dann beugte sie sich zu ihrem Cousin hinüber.

»Findest du, dass ich zu ernst bin?«, fragte sie dann frei heraus und blickte Mike offen an. Er schien etwas verdutzt zu sein, denn er setzte den dampfenden Becher ab, den er gerade ansetzen wollte und blickte sie verwirrt an. »Wie meinst du das?« »So, wie ich es sage. Findest du, ich bin zu ernst?« »Naja-«, begann er und überlegte, wie er es am besten ausdrücken sollte. »Du musstest immer viel Verantwor-tung übernehmen und warst für die Kleinen wie eine zweite Mutter. Du hast nie um etwas gebeten und dich stattdessen ohne Widerworte um den Hof gekümmert.« »Das beantwortet meine Frage nicht.« »Nun, wenn du es genau wissen willst-«, begann er dann, »Ja. Ich finde, du bist zu ernst. Und du bist es noch mehr als sonst, seit wir hier sind. Es scheint, als wärst du ständig auf der Hut, dass etwas geschehen könnte. Dabei geht es uns hier gut und wir müssen nicht befürchten, dass Michael Smith hier auftauchen könnte. Mister Elchot gab ihm deutlich zu verstehen, dass er auf diesem Land nicht erwünscht ist. Und selbst wenn, dann würde er sich sofort darum kümmern. Aber mir scheint, als könntest oder wölltest du einfach nicht annehmen, wenn andere dir etwas Gutes tun.« »Also hat er recht.«, sprach sie mehr zu sich selbst, als zu Mike, aber er hörte es dennoch. »Wen meinst du?«, hakte er nach. »Ach, niemanden. War nur so ein Gedanke.« »Ah ja. Katherine, ich glaub‘ dir nicht so recht.« »Warum?« Mike schmunzelte. »Ganz einfach. Es mag dir vielleicht nicht auffallen. Vielleicht willst du es auch gar nicht sehen, aber Mister Elchot ist sehr um dich bemüht. Etwas mehr, als um einen gewöhnlichen Gast, den man für einige Zeit beherbergt, weil er sein Heim verloren hat. Das musst du doch bemerken.« »Ich weiß nicht, was du meinst.« »Ganz einfach. Er nahm dich bei sich auf, als er dich fand. Er ließ dir die beste Behandlung zukommen und wollte dich nicht eher gehen lassen, bis du wieder völlig gesund warst. Und selbst dann brachte er dich nicht etwa mit einer Kutsche zurück, sondern auf seinem eigenen Pferd und zwar persönlich. Und schließlich konnte es ihm gar nicht schnell genug gehen, dich auch wieder mit zurück zu nehmen. Nicht nur, dass er dir nachging, als du vor den Ruinen unseres Hofes standst, nein. Er wollte dir nicht mal zumuten, dass du mit uns allen anderen unter einem Dach schläfst und gab dir hier ein eigenes Zimmer.« »Mike, du bildest dir zu viel darauf ein. Mister Elchot wollte einfach nur freundlich sein.« »Ach ja? Wenn du mich fragst ist er für einen Edelmann, der nur Gutes tun will, ein wenig zu freundlich. Wie reagierte er denn eigentlich darauf, als du ihm von der Verlobung erzählt hast?« Katherine schnürte sich die Kehle zu bei diesem Thema. Sie sprach nicht gern darüber und wollte das Alles am liebsten vergessen und nicht darüber nachdenken. Ihr Herz sagte ihr noch immer, dass sie die Flucht ergreifen sollte, wenn es darum ging, aber sie zügelte sich. Es war dumm, vor seinen Problemen davon zu laufen. Sie musste sich ihnen stellen!

»Er war sehr ernst und höflich, wie es sich gehört. Wie sollte er denn deiner Meinung nach darauf reagieren?« »Ich weiß es nicht. Sag‘ du es mir.« wollte sie wirk-lich darüber sprechen? Andererseits war Mike ihr einziger Vertrauter auf diesem Gut. Das war er schon immer. Trotz seiner jungen Jahre verstand er sie am besten. »Was soll ich tun, Mike?« »Möchtest du das wirklich hören?« sie zögerte einen Moment. Wollte sie das? Aber was blieb ihr anderes übrig? Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Die Ereignisse überschlugen sich seit einigen Monaten förmlich und sie wusste nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Sie wollte eine kluge Entscheidung treffen, glaubte aber, alles sei falsch. Schließlich nickte sie. »Sobald du die Möglichkeit hast, solltest du Mister Elchot bitten beim Richter ein gutes Wort für dich einzulegen und die Verlobung mit Mister Smith zu lösen.« »Das habe ich schon.« »Dann verstehe ich deine Sorge nicht. Genieße die Ruhe hier und lass zu, dass dir ehrlich gemeinte Komplimente gemacht werden. Du bist ein hübsches Mädchen, Katherine. Ich kann es gut nachvollziehen, dass Mister Elchot Interesse an dir zeigt und sich um dich bemüht.« »Du vergisst dabei nur etwas Entscheidendes.« »Und das wäre?« »Er ist ein Edelmann und ich ein einfaches Bauernmädchen. Seiner Verwandtschaft wäre es ja sogar lieber, wenn wir uns gar nicht hier aufhalten würden. Die letzten Gespräche zwischen dem älteren der Brüder und seiner Cousine waren sehr eindeutig.« »Aber was kümmert es dich? Die Entscheidungen auf diesem Land trifft immer noch Daniel Elchot und wenn dessen Vater wieder hier ist, dieser. Du solltest dir keine Sorgen darum machen. Uns kann absolut nichts geschehen.« das überzeugte Katherine nicht wirklich, aber sie wollte Mike so gern glauben. Sie wollte wieder in Frieden leben, ohne Angst zu haben, dass irgendwer hinter ihr her war oder ihr etwas Böses wollte.

»Ich fürchte, dass Mister Smith die anderen Dorfbewohner dafür büßen lassen wird, dass wir hier untergekommen sind. Es wäre so schön, endlich wieder ohne Sorgen leben zu können.« »Dann lass es zu.«, sprach Mike und stand auf. »Ich muss jetzt wieder an die Arbeit. Gehst du wieder ins Haupthaus?«, wollte er wissen. »Ich denke schon. Wieso fragst du?« »Du hältst dich sehr oft dort auf und kommst eigentlich nur noch zum Schlafen zu uns. Ich hoffe, Rick Elchot geht es bald besser. Du scheinst dir ja große Sorgen um ihn zu machen.« »Das hoffe ich auch.«, murmelte Katherine und sah ihrem Cousine hinterher, als er das Haus verließ. Sie blieb eine Weile und genoss die Stille. Hier musste sie nicht fürchten, Daniel Elchot über den Weg zu laufen. In seiner Nähe wurde sie immer nervös und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Mike hatte sicher Recht. Sie sollte die Zeit hier mehr genießen und sich erholen, aber konnte sie das alles denn ohne Weiteres annehmen? Ohne irgendeine Gegenleistung zu bringen? In ihrem Leben war noch nie jemand so großzügig zu ihr gewesen.

Es verging einige Zeit, bis Katherine wieder vor das Haus trat. Die fröhliche Schneeballschlacht der Kleinen war noch immer in vollem Gange und kaum hatte sie einen Schritt in den Schnee gesetzt, als ihr auch schon der erste Schneeball ins Gesicht flog. Sie hörte das ausgelassene Lachen der Kinder und zögerte nicht lang. Sie beteiligte sich ebenfalls und seifte die Kinder ihres Onkels ordentlich ein.

Ein Schneeball traf sie am Hinterkopf. Sie drehte sich um, sodass ihre Haare wild um sie herum wehten und warf ihren wiederum in die Richtung, aus welcher der andere gekommen war, traf jedoch – wie sollte es anders sein – Daniel Elchot, als er gerade aus der Tür kam. Sie erstarrte mitten in der Bewegung und sog scharf die Luft ein. Ihre Augen weiteten sich, als seine Augen im ersten Moment wütend funkelten und den Ursprung dieses unverhofften Angriffes suchten. Durchdringend blickte er sie an und Katherine verstand kaum, was da vor sich ging als er sich bückte und eine Kugel formte. Im nächsten Augenblick flog ihr der nächste Ball entgegen und ehe sie sich versah, befand auch Mister Elchot sich mitten im Getümmel. Sie beobachtete ihn sehr genau. Jede seiner Regungen. Und zum ersten Mal erstrahlte ein Lachen auf seinem Gesicht, welches auch seine Augen erreichte und zum Leuchten brachte. Er schien unbefangener und gelöster zu sein für einige Zeit. Katherines Herz schlug höher bei diesem Anblick und sie dachte an Mikes Worte. Vielleicht waren sie und Mister Elchot sich ähnlicher, als sie selbst glaubte? Sie schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken wieder zu verwerfen. Sie durfte sich auf solche Spinnereien nicht einlassen! Er war ein Mann von Adel und Ansehen. Sie hingegen war ein einfaches Bauernmädchen! Er würde, selbst wenn er es wollte, niemals ernsthaft Interesse an ihr haben oder zeigen.

Katherine bemühte sich, nach diesem Augenblick weiterhin solche Freude am Spiel der Kinder zu haben, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. Hastig strich sie sich die Haarsträhnen hinters Ohr und zog sich in die Bibliothek zurück um mit ihren Gedanken für sich zu sein. Doch selbst hier fand sie keine Ruhe. Sie streifte durch die Reihen und sah sich nach neuen Romanen um, die sie lesen konnte um sich abzulenken, aber sie fand nicht recht das Passende. Als auch noch die Tür krachend zufiel, schrak sie zusammen und wollte gehen. Daniel Elchot stand am Eingang, sodass sie nicht vorbeikommen würde. War er ihr gefolgt? Was wollte er schon wieder von ihr? Ihr war nicht wohl dabei zu Mute, dass sie ihm nicht entkommen konnte und ihr schnürte sich die Brust zu. Das Atmen fiel ihr schwer. Sie musste sich ihm also stellen, selbst wenn sie ihm lieber aus dem Weg gegangen wäre.

Während er auf sie zuging, blieb sie weiterhin wie angewurzelt stehen. Er ließ sie nicht aus den Augen! »Warum warst du auf einmal verschwunden?«, wollte er wissen. »Die Kinder suchen nach dir.« »Es…es war sehr kalt und ich wollte nicht riskieren, wieder im Bett zu landen.« er schmunzelte. »Das würde ich dir gern glauben. Nur leider tue ich das nicht. Um so vernünftig zu sein, bist du einfach zu starrsinnig.« »Es tut mir leid, dass Ihr so von mir denkt.« Daniel lächelte. Er lächelte? Was machte dieses Mädchen nur mit ihm? Er wusste es selbst nicht. »Versteckst du dich etwa vor mir, Katherine Mac Callen? Ist dir meine Nähe unangenehm?« darauf konnte Katherine nicht antworten. Sie schluckte nur und wandte sich schnell einem Regal in ihrem Rücken zu. Daniel bemerkte seinen groben Fehler und wechselte das Thema.

»Du hältst dich auffallend oft in diesem Raum hier auf.«, begann er darum. »Nun ja, Ihr sagtet er stände mir zur freien Verfügung, wann immer ich es wünsche.«, versuchte sie sich zu rechtfertigen und suchte schon nach einem Fluchtweg, um Mister Elchot irgendwie aus dem Weg gehen zu können. »Und was führt Euch hierher?« Katherines Stimme zitterte bei dieser Frage mehr, als sie wollte. »Nun, Weih-nachten steht vor der Tür.«, begann er und setzte sich nur wenige Schritte von ihr entfernt in einen Sessel, in welchem Katherine sonst Platz nahm um zu lesen. Er beobachtete sie aufmerksam.

»Warum bist du so nervös in meiner Nähe? Mir scheint, als wolltest du am liebsten die Flucht ergreifen und vor mir davon laufen sobald wir im selben Raum sind.«, fragte er. Darauf wusste sie keine Antwort. Er konnte doch nicht wirklich eine Antwort darauf erwarten?! »Schon gut. Du brauchst nicht darauf zu antworten. Irgendwann komme ich schon noch dahinter, was der Grund dafür ist. Ich möchte dich bitten, gemeinsam mit Resi das Haus zu schmücken. Es scheint so, als hätte deine Anwesenheit wieder Leben in dieses alte Gemäuer gehaucht. Rick würde sich sicher sehr freuen, wenn alles hergerichtet ist für die Weihnachtstage. Und meinem Vater würdest du auch eine Freude damit machen. Mir scheint, er fand Gefallen an deiner Anwesenheit hier. Zumindest war er heute Morgen vor seiner Abreise nicht mehr ganz so niedergeschlagen wie bei seiner Ankunft. Und Resi schafft das nicht allein. Das Haus ist einfach viel zu groß. Außerdem erwarten wir Gäste für den Weihnachtsabend und unser Vater wird zu diesem Fest wieder von seinen Geschäften zurück sein.« sie nickte nur. Sie konnte diese Bitte schlecht ausschlagen oder?

»Resi wird dir nachher zeigen, was von der ursprünglichen Dekoration noch übrig ist. Solltest du etwas brauchen, musst du es ihr nur sagen. Sie wird es an mich wei-terleiten und ich veranlasse dann, dass alles besorgt wird.« Katherine wollte nicht weiter darauf eingehen. Was sollte sie auch dazu sagen? Sie fühlte sich völlig überrumpelt von dieser Bitte! Warum sollte sie diesen Hausstand führen bis zu den Weihnachtstagen? Dies war die Aufgabe der Frau des Hauses und das war sie ganz sicher nicht! Wusste dieser Mann denn gar nicht, was er damit anrichtete und welche Verlegenheit er sie damit brachte? »Wie geht es Rick inzwischen?«, fragte sie, um vom Thema abzulenken. »Nicht gut. Der Doktor wird nachher noch einmal nach ihm sehen.« »Wenn es Euch nicht stört, würde ich mich gern eine Weile zu ihm setzen.«

Daniel ließ sich nichts anmerken, als sie das sagte. Er spürte aber den feinen Stich in seiner Brust und das kurze Zucken seiner Hand, als Katherine diese Bitte äußerte. »Du musst dich zu nichts verpflichtet fühlen.« antwortete er nur kurz angebunden. Er sprach es verbitterter und kälter aus, als er es wollte. Das erzürnte sie. Seine Stimme klang wieder so gleichgültig und schroff, als würde er mit einem Kind sprechen! »So ist es nicht!«, protestierte sie darum heftig. Da war es wieder! Das wüten-de Funkeln in ihren Augen. »Rick ist mir in der Zeit hier ein guter Freund geworden und ich sorge mich um ihn! Dank ihm wird mir die Zeit hier erträglicher! Ich mag vielleicht nur ein Bauernmädchen sein und Ihr seid freundlich, weil es Eure Pflicht ist, aber es tut weh, dass Ihr so schlecht von mir denkt und glaubt, es wäre meine Pflicht und ich würde mich nur um ihn sorgen um einen guten Eindruck zu machen!« wütend rauschte sie an Daniel Elchot vorbei und er glaubte, in ihren Augen Tränen funkeln zu sehen.

Das versetzte ihm einen noch größeren Stich und wütend über sich selber seufzte er und ließ den Kopf hängen. ›Du bist wirklich ein Trottel, Daniel.‹, schalt er sich im Stillen. Aber woher sollte er es besser wissen? Er wusste nicht, wie man mit Frauen umging! Die üblichen Gespräche, die er mit den Damen der Gesellschaft führte, waren immer sehr oberflächlich. Darin war er gut, aber mit Katherine schien alles anders zu sein. »Ihr besitzt im Umgang mit Frauen so viel Feingefühl wie ein Stein.«, wurde nun eine Stimme hinter ihm laut. Er wusste sehr genau, wer es war und traute sich kaum, in die Richtung zu sehen. Aber das musste er auch gar nicht, denn Resi stand wenige Augenblicke später direkt vor ihm, eine Tischdecke über den Armen haltend.

»Katherine taute endlich auf und Ihr macht all die Bemühungen in einer Sekunde wieder zunichte.« »Schimpf nicht mit mir, Resi. Du weißt genau so gut wie ich, dass hier seit Jahren keine Frau mehr für längere Zeit lebte.« »Dann bin ich wohl auch keine Frau?«, fragte sie spitz. Daniel stöhnte auf. Verscherzte er es sich denn heute mit jedem? »Du weißt, wie ich das meine. Und du weißt, dass ich das nicht gut kann.« »Ja und genau darum ist es manchmal besser, den Mund zu halten. Katherine ist völlig aufgelöst die Treppe hinaufgelaufen. Eure Worte taten ihr wirklich weh, was auch immer Ihr gesagt habt und Ihr solltet Euch bei ihr entschuldigen.« Daniel stand auf. »Das weiß ich selber.« »Dann tut es auch! Endlich zieht wieder Leben in diese Räume ein! Lasst sie nicht wieder gehen!«, schimpfte sie weiter und stapfte hinter Daniel her, als er die Bibliothek verließ. Im Eingangsbereich blieb er stehen und blickte nach oben in den ersten Stock, aber er konnte sich nicht dazu durchringen nach oben zu gehen. Stattdessen bog er ins Arbeitszimmer ab und verschanzte sich dort für den Rest des Tages. Er war weder gut darin, tiefsinnige Gespräche mit einem Mädchen zu führen noch darin, sich zu entschuldigen. Er war es gewohnt, dass seine Meinung und Ansicht nicht in Frage gestellt wurde und das alles, was er entschied, seine Gültigkeit besaß. Sich zu entschuldigen würde bedeuten, dass er einen Fehler eingestehen musste und das konnte er nicht. Zumindest konnte er das sehr schlecht.
 

Tage vergingen und Ricks Zustand änderte sich nicht. Katherine lenkte sich ab, indem sie mit Resi das Haus herrichtete. Damit war sie die meiste Zeit des Tages beschäftigt. Hin und wieder fuhr sie mit ihr in die nächste Stadt um einige Besorgungen zu erledigen für das große Weihnachtsfest. Sie wollte es sich nicht nehmen lassen, selbst die Dekoration auszusuchen. Außerdem war es für sie ein Erlebnis, an den vielen Geschäften in der Stadt vorbeizulaufen und zu erleben, in welchem Überfluss die Menschen hier lebten. Es gab die herrlichsten Dinge zu bestaunen. Ausgefallene Hüte, teure Fellmäntel, Kleider aus kostbaren Stoffen welche aus dem Orient hierher geliefert wurden, Torten und so vieles mehr.

Weder sie noch Resi konnten sich ernsthaft vorstellen, dass Daniel Elchot in der Lage gewesen wäre, die passenden Stücke für das Weihnachtsfest auszusuchen. Die restliche Zeit, die sie nicht mit Schmücken des großen Hauses beschäftigt war, verbrachte sie mit ihrer Familie. Wer konnte schon mit Bestimmtheit sagen, wie lange sie hier noch sicher waren vor Mister Smith? Sie wollte Mister Elchot aus dem Weg gehen, solange es ging. Er schien es ebenso zu halten, denn er war nur selten außerhalb des Arbeitszimmers anzutreffen. Regelmäßig sah Katherine bei Rick vorbei und hoffte, dass er bald wieder zu sich kommen würde. Aber er schlief tagelang und das Fieber ging nicht herunter. Der Arzt meinte eines Abends, seine Wunde hätte sich entzündet und das Bein musste abgenommen werden, sollte er die Infektion nicht eindämmen können. Wenn sie sich ausbreitete, war das Bein nicht mehr zu retten. In diesen Tagen wurde Daniel Elchots Stimmung noch düsterer als zuvor. Er sprach kaum ein Wort und wenn doch, dann ging er sehr barsch mit seinen Angestellten um. Zu Katherine vermied er jeglichen Kontakt. Sie konnte es kaum mit ansehen und überlegte die ganze Zeit, wie sie seine Stimmung aufhellen und Rick helfen konnte. Egal, was zwischen ihnen vorgefallen war, sie konnte sei-ne Stimmung nicht mehr ertragen! Sie fragte ihren Cousin um Rat. Dieser gab ihr den Hinweis, die alte Guita aufzusuchen, welche auf einem Hügel weit abseits des Dorfes lebte. Sie war eine Heilerin und wann immer ein Mensch aus dem Dorf ihre Hilfe benötigte und sich einen Arzt nicht leisten konnte, gab sie ihnen diese Hilfe auch. Es war nicht einfach, sie davon zu überzeugen etwas von ihren Heilkräutern abzugeben. Sie war sehr eigen und je nachdem, wie ihre Laune war konnte es auch vorkommen, dass sie die Menschen wieder wegschickte und beschimpfte. Aber sie war die Einzige, die jetzt noch helfen konnte! Vielleicht fand sie so den Weg zu Daniel Elchot und konnte ihm wieder unter die Augen treten.

Und so machte sich Katherine auf den Weg, während es unaufhörlich schneite und alles verwehte, einige Tage vor Weihnachten. So allein unterwegs fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut, aber Onkel John brauchte Mike in den Stallungen und Mis-ter Elchot würde sie kaum vermissen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie den Hügel abseits des Dorfes erreichte. Aus dem Schornstein des Häuschens stieg Rauch auf, also schien die Alte zu Hause zu sein. Katherine zog die Jacke noch etwas enger um sich und klopfte dann einige Mal an die Tür. Zunächst tat sich nichts. Sie wollte sich schon wieder auf den Rückweg machen, als sich die niedrige Holztür doch noch einen Spalt breit quietschend öffnete. Griesgrämig schaute die Alte heraus und musterte Katherine aufmerksam.

»Was willst du?«, fragte sie mit ihrer kratzigen Stimme. »Ein Freund braucht dringend Hilfe und ich wollte dich bitten, mir einige Heilkräuter zu überlassen.« die Tür öffnete sich etwas weiter und sie bedeute Katherine einzutreten. »Welche Heilkräuter brauchst du?«, fragte sie und ging schon zu ihren Regalen hinüber. »Ich brauche Lavendel, Pfefferminze und Thymian.« »Du willst also Fieber behandeln, ja?« »Ja. Und eine schlimme Wunde. Der Arzt kann nicht viel bewirken. Wenn es schlimmer wird, will er das Bein abnehmen. Und ich kann unmöglich länger zusehen, wie ein Freund leidet.« die Alte nickte stumm und suchte dann die Heilkräuter raus. »Du weißt, wie sie anzuwenden sind oder?« Katherine nickte nun ihrerseits, bedankte sich und machte sich schnellstmöglich auf den Rückweg.
 

Der Rückweg war beschwerlich für Katherine. Der Schneefall nahm noch weiter zu und sie sah kaum die Hand vor Augen. Sie brauchte länger als sie wollte und fühlte sich beobachtet, auch wenn keiner zu sehen war. Auf dem Gut der Elchots ange-kommen setzte sie sich sofort in die Küche und bereitete die Kräuter mit Hilfe der Köchin zu. Nach einiger Zeit hatte sie zusammen eine Salbe zubereitet und einen fiebersenkenden Tee.

Beides brachte sie auf einem kleinen Tablett hinauf in Ricks Zimmer, wo dieser noch immer schlief. Daniel Elchot war nicht zu sehen und so setzte sie sich auf das Bett und wischte Rick die feinen Schweißtropfen von der Stirn. Sie legte ihm ein neues, feuchtes, kaltes Tuch auf und schlug dann die Bettdecke zurück, um die Salbe auf seiner Wunde zu verteilen. Die Verletzung hatte sich schlimm entzündet und Katherine wurde wieder einmal klar, dass auch Ärzte nicht immer alles wussten und deren Heilkenntnisse begrenzt waren. Er würde es vermutlich nicht gutheißen, sollte er herausfinden, dass sie nachhalf. Als sie Ricks Wunde versorgt hatte träu-felte sie ihm einige Tropfen des Tees vorsichtig in den Mund und hoffte, dass er es schlucken würde. Er schien sehr zu leiden und das ließ ihr Herz schwer werden. Sie wusste, dass auch Daniel Elchot mit seinem Bruder mitlitt und vermutlich des-wegen so schlecht gelaunt war. Aber das alles war kein Grund, diese schlechte Laune an Menschen auszulassen, die nichts dafür konnten. Rick musste also so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen, damit sich die Stimmung seines Bruders wieder besserte.

Katherine verbrachte noch einige Zeit bei Rick bis sie sicher war, dass er etwas ruhiger schlief und verließ das Zimmer dann wieder. Auf der Treppe nach unten kam ihr Daniel Elchot entgegen, doch sie wich seinem Blick aus und wechselte kein Wort mit ihm. Sie bevorzugte es seit der Auseinandersetzung in der Bibliothek, wieder mehr bei ihrer Familie zu sein. Sie hatte ihr Zimmer im Haus der Elchots aufgegeben und war zurückgezogen. Jetzt, wo Weihnachten vor der Tür stand, brauchte ihre Familie sowieso besondere Hilfe. Das Essen musste vorbereitet werden und das Haus geschmückt. Mit so vielen Kindern im Haus konnte sie unmöglich Judy die ganze Arbeit überlassen. Müde sank sie auf ihr Bett und blickte zu ihrem Cousin, der auf seinem Bett gegenüber lag. Sie seufzte. Da drehte er sich zu ihr und sah sie mit wachen Augen an. »Was hast du denn? Du wirkst heute sehr müde.«, sprach er so leise wie möglich. Wie sie es oft tat, stand Katherine auf und setzte sich auf die Bettkannte zu ihrem Cousin. »Ich glaube nicht an diesen Unfall, Mike. Seine Verletzung kann unmöglich nur von einem Sturz kommen. Es machte mir eher den Eindruck, als wäre er verfolgt worden. Rick ist ein erfahrener Reiter und kennt sich in den Wäldern aus wie kein anderer. Er würde nie das Gebiet eines Jägers kreuzen.« »Wer sollte dahinter stecken, Katherine? Rick hat keine Feinde, soweit mir bekannt ist.« »Ich weiß. Aber es gibt trotzdem genug Ungereimtheiten. Ich kann mir das einfach nicht erklären und wenn Mister Elchot klug ist, dann sollte er sich in der Gegend noch mal umhören und nachforschen.« jetzt richtete sich Mike auf.

»Glaubst du, Michael Smith steckt dahinter?« »Da bin ich mir sogar sicher. Er wird nicht davor zurückschrecken, jedem in meiner Umgebung Schaden zuzufügen. Und er wird sich alle Mühe geben, den Vorfall zu vertuschen.« »Ich bin mir sicher, dass Mister Elchot sich darum kümmern wird, sollte der Verdacht bestehen.« »Ich hoffe es. Ich traue diesem Smith wirklich alles zu.« mit diesen Worten stand Katherine wieder auf und begab sich zur Ruhe. Sie grübelte noch lange in dieser Nacht nach.

Resi hatte ihr erzählt, dass Mister Elchot Senior pünktlich zum Weihnachtsfest wieder auf dem Gut eintreffen würde. Ob es Rick bis dahin wohl besser gehen würde und die ganze Sache aufgeklärt war? Zu wünschen wäre es jedenfalls allen dieser Familie. Katherine konnte sich kaum vorstellen, dass Mister Elchot Senior unter die-sen Umständen in der Lage war, sich auf seine Geschäfte zu konzentrieren oder auch nur ansatzweise daran interessiert war, ein Weihnachtsfest mit vielen Gästen zu feuern. Andererseits war er seit Jahren unterwegs und würde wohl wissen, was er tat. Er kam viel herum, lernte eine Menge Menschen kennen und war es gewohnt, dass seine Söhne auch ohne ihn zurechtkamen. Und bis zum Bankett würde Katherine Resi beim Schmücken des Hauses helfen. Das war ihre Art, um sich von den Sorgen um Rick abzulenken und so konnte sie sich auch umhören und Dinge erfahren, die sie so nicht mitbekommen würde. Vielleicht wusste irgendjemand etwas über Ricks Unfall und wie er geschehen war.
 

Resi erzählte ihr viel von der Familiengeschichte der Elchots und wie die Menschen auf deren Land lebten. Sie mochte diese junge, unbeschwerte Frau. Resi schien immer gut gelaunt zu sein und arbeitete schon viele Jahre für die Elchots.

In unbeobachteten Momenten schlich sich Katherine zu Rick ins Zimmer. Sein Zu-stand besserte sich allmählich. Die Salbe schien zu helfen und das Fieber war in-zwischen auch gesunken. Das erleichterte sie.

Vier Tage vor Weihnachten wurde er endlich wach, als Katherine gerade bei ihm war. Sie wollte aufstehen und sofort seinen Bruder holen, aber er griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie davon ab. Etwas verlegen setzte sie sich und strich mit einem Tuch den Schweiß von seiner Stirn. »Wie geht es dir?«, wollte sie wissen. Rick lächelte schwach. »Dank deiner Pflege, besser.« »Das hast du nicht mir zu verdanken, sondern dem Arzt. Ich bin sicher, dein Bruder wird sich freuen zu hören, dass du endlich wach bist. Und dein Vater auch.«, meinte sie aber sie konnte nicht lächeln.

»Du scheinst nicht sehr glücklich zu sein, Katherine. Was habe ich verpasst, dass du so traurig bist?« »Es ist nichts. Mach dir keine Sorgen, Rick. Es waren anstrengende Tage und alle sorgen sich um dich. Du musst wieder auf die Beine kommen, das ist jetzt viel wichtiger. Dein Vater wird zu Weihnachten hier sein. Das möchtet du doch nicht verpassen oder?« »Unser alter Herr kommt also endlich von seiner Geschäftsreise zurück?« »Sieht so aus. Er war am Tag deines Unfalls ebenfalls auf dem Gut.« »Na prima.«, sprach er und Katherine bemerkte den zynischen Unterton in seiner Stimme. Rick richtete sich etwas auf. Sein Bein schmerzte noch sehr und er hatte starke Kopfschmerzen.

»Ich werde in der Küche bescheid sagen, dass du wach bist. Du musst Hunger haben.« »Den habe ich allerdings.«, sprach Rick lächelnd. Katherine stand auf und hielt an der Tür noch einmal inne. »Du musst mit deinem Bruder über die Geschehnisse am Tag deines Unfalls sprechen. Wenn eine andere Person in diesen Vorfall verwickelt ist, muss die Sache aufgeklärt werden.« dann schloss sie die Tür leise hinter sich, als sie das Zimmer verließ. Auf dem Flur lehnte sie sich an die Wand und atmete erleichtert aus, während sie die Augen schloss. Ihr fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Endlich ging es Rick besser. Jetzt wurde alles gut. Ihre Knie waren weich, als sie die Treppe langsam herunter ging und den Weg zur Küche einschlug. Als sie unten am Treppenabsatz stand, richtete sich ihr Blick auf das Arbeitszimmer zu ihrer Linken. Sie würde wohl nicht drum herum kommen, mit Ricks Bruder zu sprechen. Er sollte wissen, dass sein Bruder zu sich gekommen war. Langsam ging sie auf die Tür zu und klopfte schwach und verlegen an. Kein Laut ertönte von der anderen Seite. Doch die Tür wurde abrupt aufgerissen und Daniel sah sie funkelnd an. Katherine erschrak. Sie schien ihn sichtlich gestört zu haben und wich einen Schritt zurück. »Was ist?«, sprach er laut und zornig. »Euer Bruder ist zu sich gekommen.«, sprach sie stockend und wandte sich dann zum Gehen.

Daniel sah ihr hinterher und überlegte noch, was er sagen sollte. Er seufzte. Er war zu Unrecht so grob gewesen. »Katherine, warte.«, sprach er dann schneller, als ihm lieb war. Sie sah zu ihm zurück. »Danke.«, meinte Daniel dann nur. »Ich weiß, was du getan hast in den vergangenen Tagen und ich bin dir wirklich dankbar dafür.« Katherine antwortete nicht darauf. Sie ging zur Küche um Bescheid zu geben, dass für Rick eine stärkende Suppe gekocht werden sollte.
 

Von da an ging es Rick schnell besser. Er wollte unbedingt wieder auf den Beinen sein, wenn sein alter Herr wieder nach Hause kam. Außerdem stand nun das große Weihnachtsbankett der Familie an. Katherine sah mehrmals am Tag nach ihm, aber nur dann, wenn sein Bruder nicht gerade in der Nähe war. Sie wollte ihm nach wie vor aus dem Weg gehen. An einem verschneiten Abend, dem Abend vor dem Weihnachtsfest, saß sie in einem einfachen Kleid und einer Stola, welche sie von ihrer Tante bekommen hatte, im Sessel vor dem Kamin in Ricks Zimmer und las Moby Dick vor. Er hörte ihr aufmerksam zu für eine Weile und beobachtete sie genau. Ihr trauriger Gesichtsausdruck entging ihm ganz und gar nicht.

»Katherine, willst du mir nicht endlich sagen, was mit dir los ist?«, fragte er schließlich und unterbrach sie somit. Seufzend legte sie das Buch auf ihren Schoß und blickte in das prasselnde Feuer. »Es ist nichts, um was du dir Sorgen machen müsstest, Rick. Sei unbesorgt.« »Ich glaube dir nicht. Ich kenne dich inzwischen eine Weile. Etwas bedrückt dich.« Katherine schwieg. Dann griff sie sich an die Stirn und schloss einen Moment die Augen. »Es liegt sicher nur daran, weil so viel geschehen ist in letzter Zeit. Die Erleichterung darüber, dass es dir endlich besser geht und die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest fordern ihren Tribut.«

»Dann ruh dich doch aus. Du musst nicht ständig bei mir sein und dich sorgen. Im Gegenteil. Deine Fürsorge half mir wieder auf die Beine und nun ist es an der Zeit, dass du dich endlich um dich kümmerst. Weihnachten steht vor der Tür und deine Familie möchte dieses Fest sicher mit dir feiern.« Katherine nickte und stand auf. Gedankenverloren legte sie das Buch in den Sessel. Unterdessen läutete es unten an der Eingangstür und Katherine vernahm das geschäftige Treiben, welches daraufhin ausbrauch. »Das wird dein Vater sein.«, meinte sie nur. »Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich morgen bei meiner Familie bleiben. Resi bat mich vorbeizukommen, aber ich denke unter den ganzen Gästen wäre ich nur Fehl am Platz. Außerdem solltet ihr als Familie unter euch sein an einem solchen Tag.« »Wenn du so denkst, kann ich dich wohl nicht umstimmen?« sie schüttelte leicht den Kopf und ging zur Tür. Rick sah ihr nach, ihr Blick war voller Traurigkeit auch wenn sie versuchte es zu verbergen.

Sein Bruder verhielt sich ähnlich und er konnte sich gut vorstellen, dass die beiden irgendein Problem miteinander hatten. Und keiner schien darüber reden zu wollen. Es war wohl an ihm, sich etwas einfallen zu lassen, damit die beiden sich wieder vertrugen. Er kannte seinen Bruder nur zu gut. Er wusste längst, dass Daniel ein Auge auf Katherine geworfen hatte und es nicht zugeben wollte. Nicht umsonst beobachtete er immer argwöhnisch, dass sie sich oft bei Rick aufhielt und in seiner Nähe ein völlig anderer Mensch zu sein schien. Und nicht umsonst hatte er sie so lange umsorgt während ihrer Krankheit und sie schließlich mit ihrer gesamten Familie auf das Gut geholt. Einer anderen Familie hätte er eine angemessene Summe gezahlt, damit sie ihr Heim wieder aufbauen konnten. Ihm musste schnellstens etwas einfallen, damit sich die Stimmung zwischen den beiden wieder besserte.
 

Katherine ging unterdessen in das Haus ihrer Familie zurück. Es war schon lange dunkel und einige Öllampen erhellten ihr den Weg. Und sie wollte den Elchot-Brüdern genügend Zeit mit ihrem Vater gönnen. Es war schon spät am Abend und er würde sich nach Rick erkundigen wollen. Dabei war sie nur im Weg. In der Küche war noch Licht zu sehen. Anscheinend war ihre Tante immer noch mit den Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt. Nachdem Katherine die Tür so leise wie möglich geschlossen hatte, ging sie auf direktem Weg dahin. Doch sie traf nicht, wie erwartet, ihre Tante an, sondern Mike, ihren Cousin. Seine Miene verriet ihr so-fort, dass er keine guten Nachrichten aus dem Ort mitbrachte. Sie wusste, dass er den Tag dort verbracht hatte um in der Schmiede zu helfen. Er war im Auftrag von Onkel John unterwegs gewesen um neue Hufeisen zu besorgen. Tief gebeugt und mit ernstem Blick saß er am Tisch und starrte in den Krug vor sich. Schweigend setzte sie sich zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Schlechte Nachrichten?«, fragte sie leise und rief sich zur Ordnung, damit sich nicht auch noch Mike um sie sorgte. Er sah zu ihr auf. »Allerdings. In unserem Dorf ist nichts mehr so, wie es war. Die Menschen leiden unter Michael Smith und nagen am Hungertuch. Viele werden wegziehen müssen, wenn die Kinder den Winter überleben sollen. Es ist, wie du es vorausgesagt hast. Er lässt die unschuldigen Leute dafür büßen, dass er seinen Willen nicht haben kann.« Katherine seufzte.

»Das ist schlecht. Ich mag es nicht, wenn ich Recht behalte.« »Das ist nicht das Schlimmste. Ich habe gehört, wie in der Dorfschänke über das Bankett morgen im Hause der Elchots gesprochen wurde. Der Stallknecht von Mister Smith rühmte sich damit, dass Michael Smith morgen ebenfalls auf diesem Bankett erscheinen würde und die Familie Elchot dann nichts mehr zu lachen hätte. Offenbar plant er irgendwas um den Leuten hier gründlich den Weihnachtsabend zu verderben.« »Er kann nicht viel tun, Mike. Mister Elchot Junior ließ schon vor einiger Zeit Burschen einstellen, die die Grenzen der Ländereien sichern. Sobald er es wagen sollte hier auf-zutauchen, wird Mister Elchot darüber Bescheid wissen. Informieren sollten wir die Elchots trotzdem darüber. Ich bin mir sicher, Mister Elchot wird schon wissen, was er tut und alles regeln. Außerdem ist Ricks und Daniels Vater wieder eingetroffen. Er wird schon dafür sorgen, dass Ruhe ist.«

»Dir ist aber schon bewusst, dass du da genauso dran beteiligt bist oder? Im Dorf drüben weiß inzwischen jeder, dass die Verlobung mit Mister Smith aufgehoben wurde.« Katherine horchte auf. Aufgehoben? Warum hatte Mister Elchot ihr das nicht gesagt? Was bezweckte er damit, dass sie sich wegen dieser ganzen Geschichte unnötig aufregte? »Tatsächlich? Sie ist aufgehoben?«, fragte sie ungläubig nach. »Ja. Wusstest du das denn nicht?« sie schüttelte nur den Kopf. »Mister Smith wird das Fest morgen nutzen, um Aufsehen zu erregen. Diese Schmach wird er nicht auf sich sitzen lassen. Eine solche Demütigung kann er einfach nicht stillschweigend hinnehmen.« Katherine wurde mit jedem Satz wütender und stand schließlich abrupt auf, die Hände auf der hölzernen Tischplatte abstützend. »Es reicht jetzt! Ich habe es satt! Ich habe mir nur ein friedliches Weihnachtsfest gewünscht und nun das!« wütend rauschte sie zur Tür, dicht gefolgt von Mike, der sie gerade noch am Arm erwischte um sie aufzuhalten. »Was hast du denn jetzt vor?«, wollte er wissen. »Ihm meine Meinung sagen! Ich kann nicht länger stillhalten und zusehen!«, dann riss sie sich los und stürmte zum Haupthaus hinüber. Mike brachte es nicht über sich, ihr zu folgen. Er kannte seine Cousine. Wenn sie in dieser gefährlichen Stimmung war, vermochte niemand, sich ihr in den Weg zu stellen.

Katherine ging unterdessen mit großen Schritten auf die Eingangstür des Hauses zu. Im Arbeitszimmer brannte noch Licht. Flimmernd vom Kerzenschein, warf es lange Schatten durch die großen Fenster auf den Weg vor dem Haus. Wo auch sonst sollte sie Daniel Elchot vorfinden? Er schien förmlich in diesem Zimmer zu leben! Mit Wucht stieß sie schließlich die Eichentür zum Arbeitszimmer auf, raffte ihr Kleid und stürmte hinein. Es war ihr egal, welchen Eindruck sie machte. ›Zum Teufel mit den Förmlichkeiten!‹, dachte sie bei sich und fasste den Elchot-Sprössling fest ins Auge. Daniel fuhr überrascht von seinem Platz am Kamin auf als er das donnernde Geräusch der Zimmertür vernahm und ihm gegenüber wandte sich sein Vater ebenfalls zur Quelle dieser Unruhe um.

»Ihr!«, fuhr sie den jungen Edelmann an und blieb erst kurz vor ihm stehen. Wütend wie noch nie, funkelte sie ihn an und richtete den erhobenen Zeigefinger auf ihn. »Wann hattet Ihr vor, mich darüber zu unterrichten, dass die Verlobung gelöst ist?« bei diesen Worten überwand Katherine auch die letzte Distanz zwischen sich und dem Edelmann und setzte ihm den Finger fest auf die Brust. Daniel suchte nach Worten. So zornig hatte er Katherine noch nicht erlebt. Sie war noch wütender als sonst! »Wegen Eurer Entscheidungen geht es dem Dorf immer schlechter! Die Bauern planen einen Aufstand und Mister Smith will morgen Euren Ball sprengen!« »Katherine-«, versuchte Daniel sich verzweifelt einzuschalten. Er wusste gar nicht, wie er reagieren sollte. Was war nur auf einmal in sie gefahren?

»Die ganze Zeit über mache ich mir Gedanken, wie es weitergehen soll! Dabei habt Ihr das schon längst geklärt! Und Ihr lasst mich darüber im Unklaren? Er wird wieder hierher kommen! Er wird erneut fordern, dass meine Familie und ich auf sein Land zurückkehren! Und wenn Ihr ihm dies nicht gewährt, wird er eine Fehde mit Eurer Familie vom Zaun brechen! Die Leute auf seinem Land werden sterben! Meine Freunde werden sterben! Ihr habt alles nur noch schlimmer gemacht!« in ihren Au-gen funkelten Tränen der Wut, weswegen sie sofort nach ihrer Ansprache kehrt machte, um das Zimmer wieder zu verlassen. »Katherine, warte!«, rief Daniel, aber er wagte es nicht, ihr zu folgen. Er war völlig ratlos und verwirrt. »Was hast du ange-stellt, Daniel?«, schaltete sich stattdessen sein Vater mit tiefer Stimme ein. »Wenn ich das nur wüsste.«, flüsterte er beinahe und seufzte müde.

Katherine stapfte, noch immer aufgewühlt, durch den Schnee zurück zum Haus, in welchem ihre Familie momentan lebte. Ihr Weg führte sie direkt zu ihrem Bett. Mike saß auf seinem und betrachtete seine Cousine aufmerksam, als diese zurückkam und in seine Richtung lief.

Sie wünschte Mike nur kurz angebunden eine gute Nacht und legte sich dann schlafen. Mike betrachtete sie noch eine Weile in der Hoffnung, sie würde ihm et-was darüber erzählen, was sie getan hatte, aber sie blieb stumm.
 

Die Kinder waren am nächsten Morgen schon sehr früh auf den Beinen. Sie konnten es kaum erwarten in ihre Socken am Kamin zu schauen und die Süßigkeiten zu essen. Katherine saß im Morgenmantel und mit ihrer Stola über den Schultern bei den Kindern auf dem Fußboden und beobachtete die verzückten Gesichter. Einen so schönen Weihnachtsmorgen hatten sie seit Jahren nicht mehr gehabt. Sie konnte nur hoffen, dass der restliche Tag ebenso entspannt zugehen würde.

Nach dem Frühstück half sie ihrer Tante in der Küche beim Vorbereiten des Abendessens. Es würde sehr üppig ausfallen. Mit Ente und Kartoffeln und Gemüse. Katherine freute sich darauf. Endlich mussten sie nicht mehr zu sehr darauf schauen, dass sie auch für die nächsten Tage etwas zu essen hatten. Sie konnten jederzeit ins Lager gehen und sich nehmen, was sie brauchten. Im Gegenzug hierfür arbeitete ihr Onkel nun in den Stallungen der Elchots und kümmerte sich darum, dass alles seine Richtigkeit hatte. Als sie aus dem Küchenfenster sah, bemerkte sie Mike, der zum Haupthaus rüber ging. Langsam gewöhnte sich Katherine an dieses neue Leben. Es war, als wäre sie nach Hause gekommen.

Was sie Daniel Elchot am Vorabend an den Kopf geworfen hatte, geriet dabei in diesem Augenblick völlig in den Hintergrund. Sie genoss es, für die Familie zu kochen und das Gelächter der Kinder heiterte sie auf. Aber die Sehnsucht nach dem Hof verschwand nie vollkommen. Da war immer dieser kleine Wehrmutstropfen, der dann und wann auf ihr Gemüt hinab fiel und er ließ sie Dinge sagen und tun, wie am vergangenen Tag. Sie war ziemlich gemein und ungehobelt gewesen und das auch noch in Anwesenheit des Herrn dieses Landes! Mister Elchot würde nicht stillschweigend hinnehmen, wie sie mit seinem Sohn umgesprungen war! Sie würde sich wohl entschuldigen müssen. Aber nicht jetzt! Es gab genug zu tun.

Nach dem Mittagessen wollte sie zu Resi ins Haupthaus rüber gehen und ihr in der Küche helfen. Es gab noch eine Menge vorzubereiten für das Bankett am Abend und sie wollte Resi und die Köchin ungern allein mit den ganzen Vorbereitungen lassen. Als Katherine aus dem Fenster sah, schneite es wieder. In diesem Jahr hatte es bereits sehr viel geschneit und nachdem sie ihre Schuhe angezogen hatte und die Stola fest um ihre Schultern zog, versank sie bis zu den Knöcheln in dem weißen Traum. Sie war völlig durchgefroren, als sie in der Küche des Haupthauses ankam. Dort duftete es bereits herrlich nach Kuchen und Kaffee, welcher für die Bediensteten auf dem Tisch stand. Resi freute sich, Katherine zu sehen und nachdem sie sich eine Schürze umgebunden hatte, machten sich die beiden daran, die Tabletts mit dem Geschirr in den großen Saal hinter der Treppe zu bringen und die lange Tafel einzudecken. Katherine war überwältigt von dem Prunk, der in diesem Saal vorherrschte. Riesige Spiegel hingen an den Wänden und eine riesige Glas-front eröffnete den Blick auf die Terrasse.

Der Raum war lichtüberflutet. Blumengebinde standen auf Schränken neben den Türen, die zu dem Saal führten und weiße Tücher lagen auf der langen Tafel. Diener waren damit beschäftigt den alten Kamin zu entstauben und öffneten die Türen zur Terrasse um zu lüften. Katherine und Resi brachten mehrere Stunden damit zu, den großen Saal festlich herzurichten und zu dekorieren, bis endlich alles an seinem Platz stand. Es dämmerte bereits, als Resi die letzte Kerze anzündete und die beiden jungen Frauen ihr Werk zufrieden betrachteten. Auf der Tafel waren hohe, goldene Kerzenhalter aufgestellt worden. Die entzündeten Kerzen tauchten alles in ein angenehm warmes Licht. Über den Eingängen hingen Mistelzweige und Katherine hatte den großen Weihnachtsbaum geschmückt, der in der Ecke gegenüber des Kamins stand. Dessen Spitze zierte eine Engelfigur. Die Frauen umarmten sich.

Von Weitem hörten sie bereits die Glocke läuten, ein Zeichen dafür, dass die ersten Gäste eintrafen. So rissen sich die beiden vom Anblick des festlich geschmückten Saales los und liefen schnell Richtung Küche. Daniel Elchot kam die Treppe her-unter, in einem schwarzen Smoking, mit Zylinder auf dem Kopf. Die silberne Kette einer Taschenuhr blitzte aus seiner Weste hervor und an seinem Kragen trug er eine Fliege. Katherine starrte den jungen Edelmann für einen Moment an. Er er-schien ihr so elegant, wie aus einer anderen Welt. Noch bevor er zu ihr herüber sehen konnte, verschwand sie in dem Durchgang zur Küche. Ihr Herz klopfte wie wild und sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Warum spielte ihr Körper nur jedes Mal so verrückt, wenn er in ihrer Nähe war? Warum konnte sie das nicht kontrollieren? In der Küche half sie dann beim Aufwasch um sich abzulenken. Sie wollte nicht ständig an Daniel denken müssen. Sie brauchten Platz, denn sie mussten die Speisen für das Abendessen herrichten. Als sie sich von dem großen Becken abwandte und zum Tisch sah, saß dort bereits Rick Elchot am Tisch und schlürfte genüsslich eine Suppe. Katherine nahm sich die Zeit, wischte ihre Hände an der Schürze ab und setzte sich zu ihm. Sie musste schmunzeln bei seinem Anblick. Er schien geradezu ausgehungert zu sein so gierig, wie er die Suppe in sich hinein-schlürfte. Wenn er sich nicht etwas aufhob an Hunger, würde er zum Festessen nichts mehr herunterbekommen.

»Solltest du dir nicht etwas Hunger für das Abendessen nachher aufheben? Eure Gäste treffen bereits ein und ihr werdet sicher bald speisen. Du wirst die köstlichen Speisen nicht genießen können, wenn du dich schon jetzt satt isst.«, begann sie das Gespräch. »Es wird ein langweiliges Bankett wie jedes Jahr. Resi kennt das schon. Ich sitze vor dem Weihnachtsessen immer hier in der Küche und versputze, was übrig ist. Was das angeht, bin ich gerade rechtzeitig wieder auf die Beine gekommen.« Katherine schmunzelte erneut und auch Rick lachte.

»Komm schon, Rick. Lass deinen Bruder nicht so hängen. Er ist dort oben ganz allein. Du solltest ihn unterstützen. Ihr seid doch eine Familie. Gerade jetzt solltest du zeigen, dass du dich nicht klein kriegen lässt.« er blickte missbilligend von seiner Suppe auf. »Du verstehst es wirklich, einem ein schlechtes Gewissen zu machen. Aber ich gehe nur, wenn du heute Abend noch zur Feier kommst.« jetzt musste sie laut auflachen.

»Schau mich doch an. Ich dürfte kaum angemessen gekleidet sein für diesen Anlass. Außerdem passe ich auch gar nicht in eure feine Gesellschaft. Eure Cousine gibt mir das jedes Mal überdeutlich zu verstehen, wenn wir uns sehen. Abgesehen davon würde ich mich auch gar nicht wohl fühlen. Das ist nicht meine Welt, Rick. Das ist eure Welt und in die gehöre ich nicht.« »Das lasse ich nicht gelten.« Rick stand auf und ging Richtung Durchgang. »Warte nur ab. Ich bring dich schon dazu.«, sprach er stockschwingend, dann verschwand er. »Du und Rick, ihr scheint ziemlich gute Freunde geworden zu sein oder?«, wollte Resi wissen, als Rick die Küche verlassen hatte. Katherine ging zum großen Becken und begann derweil mit dem Spülen. »Es scheint so. Er ist ein deutlich angenehmerer Zeitgenosse als sein Bruder, wenn du mich fragst.«, erwiderte sie nur.

»Ich glaube, da irrst du dich. Daniel Elchot ist sehr fürsorglich und liebenswert, wenn man ihn erst mal richtig kennt. Er präsentiert seine Gefühle nicht sofort jedem. Das ist auch in Ordnung so, wenn du mich fragst. Aber er sorgt sich sehr um dich und ist um dein Wohl und das deiner Familie sehr bemüht.« »Ach ja? Das scheint mir nicht so. Warum sonst geht er mir aus dem Weg und beleidigt mich?« »Ihr solltet euch endlich aussprechen. Daniel ist kein Mensch der großen Worte, Katherine. Sei etwas nachsichtiger mit ihm. Vielleicht solltest du ihm einen Schritt entgegen gehen und es ihm leichter machen.« darauf erwiderte Katherine allerdings nichts. Schweigend wusch sie das Geschirr ab und half danach, das Abendessen zuzubereiten. Es dauerte länger, als gedacht und so war es weit nach Einbruch der Dunkelheit, als sie endlich die Schürze ablegen konnte um das Weihnachtsfest mit ihrer Familie zu begehen. Die Dienerschaft saß noch bei Punsch zusammen. Der Abend würde noch lang werden für sie. Die Gäste mussten umsorgt werden. In ihre Gedanken versunken versäumte Katherine es, den Dienstbotenausgang von der Küche zu nehmen und über den Hinterhof zu verschwinden, sondern nahm den direkten Weg durch den vorderen Teil des Hauses durch die große Empfangshalle.

Dort lief sie geradewegs Miss Elisabeth über den Weg, der Cousine der Elchot-Brüder. Sie war gehüllt in ein dunkelrotes, weit ausladendes Kleid, welches mit goldenen Stickereien besetzt war. Auf ihrem Kopf war eine schwarze Feder befestigt und in der Hand hielt sie einen schwarzen Seidenfächer. Offensichtlich versuchte sie hier alle anderen Frauen zu überstrahlen. Wie immer schien sie sich in den Mittelpunkt setzen zu müssen. Und das gelang ihr auch, ganz ohne Zweifel. »Sieh an, sieh an. Wer ist denn da? Bist du jetzt als Dienstmädchen in diesem Hause angestellt?«, fragte sie spitz. Katherine zuckte zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie auf ihre ärgste Gegnerin gestoßen war.

»Erwarte dir nur nicht zu viel von dieser Anstellung. Mein werter Cousin hatte noch nie viel übrig für Dirnen wie dich und das wird auch in Zukunft so bleiben.« Katherine wusste nicht sofort, was sie darauf antworten sollte. Mit so viel Gegenwehr hatte sie nicht gerechnet, auch wenn sie wusste, dass Miss Elisabeth kein besonderer Freund ihrer Familie war. Aber hier schlug ihr gerade blanker Hass entgegen. »Ich bin keine Angestellte Ihrer Familie, Miss Elisabeth. Ich tue dies aus freien Stücken.« »Ach ja wirklich? Und was erhoffst du dir davon? Seine Aufmerksamkeit? Seine Anerkennung? Zuneigung oder gar Liebe? Glaub mir, Daniel ist kein Liebhaber von derlei Zutraulichkeiten. Er wird dich sicher auf die eine oder andere Weise entlohnen, aber das war es dann auch schon. Du bist und bleibst ein einfaches Bauernmädchen. Es ziemt sich nicht, sich mit Deinesgleichen abzugeben. Was immer du planst, solange ich in diesem Haus ein- und ausgehe, wirst du deine fadenscheinigen Ziele nicht erreichen!« Zorn stieg in Katherine auf und sie suchte noch nach einer passenden Antwort, als ihr eine dunkle Stimme zuvor kam. »Das reicht jetzt!«, dröhnte es hinter ihr und sie fuhr zusammen. Diese Stimme jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken und vorsichtig sah sie sich nach der Quelle dieser Worte um. Daniel Elchot stand in seinem Smoking, mit Zylinder unter dem Arm, am Treppenabsatz, einen Arm auf das Geländer gelehnt.

Wütend funkelte er zu den beiden Frauen hinüber und Katherine war sich für ei-nen kurzen Augenblick nicht sicher, ob sein wütender Blick nicht sogar ihr allein galt. »Ich wünsche nicht, dass du so abfällig über meine Gäste sprichst, Elisabeth. Zügele dich, sonst muss ich dich leider meines Hauses verweisen. Ich dulde nicht, dass meine Gäste so respektlos behandelt werden.« schnippisch zischte sie noch eine Bemerkung in Katherines Richtung, die sie jedoch nicht verstand und ging auf ihren Cousin zu. »Das ist noch immer das Haus deines Vaters und nicht deines. Du nimmst dir etwas zu viel heraus, jetzt, da er wieder da ist.«, gab sie ihm zur Antwort und rauschte dann an ihm vorbei in den hell erleuchteten Saal, aus welchem fröhliches Gelächter und Musik drang. Katherine versuchte die Gunst der Stunde zu nutzen und entschwand Richtung Eingangstür.

Sie wollte weg aus dieser Situation! Diese Streitereien wegen ihr mochte sie nicht. Das war auch ein Grund, warum sie auf den Bauernhof zurückwollte, sobald er wieder aufgebaut war. Sie gehörte einfach nicht in diese Welt, egal wie sehr sich die Brüder bemühten es ihr und ihrer Familie hier angenehm zu machen! Und die Situation der Dorfbewohner würde sich dadurch auch nicht verbessern.

Ihr Herz wummerte immer wieder, wenn sie in der Nähe dieses Mannes war! Das ertrug sie nicht! Sie brauchte Ruhe vor dem Ganzen hier und die bekam sie nur in ihrem alten Haus. Sie wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte, wenn er ihr gegenüberstand. Sie verstand sich selbst nicht mehr und darum wollte sie nicht in die Verlegenheit kommen, sich mit Daniel Elchot auseinandersetzen zu müssen. Doch sie spürte seine Blicke sehr deutlich, die ihr folgten, bis sie aus dem Haus verschwunden war.

Im Haus ihres Onkels war bereits alles hell erleuchtet und es duftete herrlich nach Abendessen. Die Kinder begrüßten sie freudig an der Tür und schoben sie lachend ins Wohnzimmer. Dort war bereits der Tisch gedeckt, Kerzen brannten und ein herrlicher Tannenbaum stand geschmückt in einer Ecke. Unter ihm lagen Geschenke und über der Tür zur Küche hing ein Mistelzweig. Ihr Onkel und ihre Tante saßen bereits am Tisch und schienen nur noch auf sie gewartet zu haben. Sie schienen alle sehr entspannt zu sein, denn sie lachten und Onkel Jonathan hielt Tante Judys Hand. Eilig setzte sie sich zu ihrer Familie und auch die Kinder nahmen Platz.

Für einige Zeit herrschte bedächtiges Schweigen in der Runde und Onkel Jonathan sprach schließlich das Tischgebet. Katherine hatte die klangvollen Worte lange Zeit nicht mehr von ihm gehört. Nach dem Tod ihrer Eltern und den Jahren der harten Entbehrungen hatte ihr Onkel das Beten aufgegeben. Er sagte immer wieder, dass nur die Menschen selbst etwas verändern konnten und sich nicht auf die Hilfe eines Gottes verlassen konnten und durften. Katherine schloss die Augen. In dieser Runde, in diesem Frieden, mit allen zusammen zu sein bedeutete ihr sehr viel. Mehr als sonst etwas auf der Welt.

Die Ereignisse des letzten Jahres zogen an ihrem inneren Auge vorbei. Es war ein hartes und langes Jahr gewesen. Wäre die Familie der Elchots nicht gewesen, wer weiß, wo sie jetzt wäre?! Sie spürte, wie ihr Tränen des Glückes und der Dankbarkeit in die Augen traten und blickte sich verstohlen in der Runde um. Mike, der direkt neben ihr saß, drückte sanft ihre Hand und sie lächelte ihn an. Es war schön, ihre Familie um sich zu haben. Egal was gewesen war oder was noch sein würde – sie würde sich immer auf ihre Familie verlassen können und umgekehrt ebenso. Schnell wischte sie die Tränen aus ihren Augenwinkeln und half ihrer Tante dann beim Verteilen der Speisen. Es war ein fröhlicher Abend. Die Kinder aßen reichlich und konnten es kaum erwarten ihre Geschenke auszupacken. Während Tante Judy das Baby sanft auf ihren Armen wiegte, lachten die Kinder ausgelassen und freuten sich über die neuen Spielsachen. Onkel John musste das ganze Jahr an ihnen gearbeitet haben. Katherine versetzte es immer wieder in Erstaunen, mit welcher Hingabe er Sachen für seine Kinder baute.

Ein allerletztes Geschenk lag schließlich noch unter dem Baum. Die Kleinen brachten es zu Katherine an den Tisch, welche es verdutzt ansah. »Wirklich, für mich?«, fragte sie überrascht und wollte es gar nicht so recht annehmen. Fragend sah sie zu Onkel John herüber, doch dieser nickte nur. »Es wurde heute Nachmittag für dich abgegeben als du in der Küche geholfen hast.« zögernd zog Katherine die rote Stoffschleife der Verpackung auf, dann nahm sie den Deckel der großen, flachen Schachtel ab. Sie traute ihren Augen nicht, als sie das Seidenpapier hochschlug und ein wundervoll besticktes, sonnengelbes Kleid mit Spitzenabsätzen an den Ärmeln zum Vorschein kam. Eine Karte fiel zu Boden, als sie das Kleid vorsichtig aus der Schachtel zog und nach oben hielt. Um sie herum wurde es beinahe augenblicklich stumm. Alle betrachteten sie staunend. So sacht wie möglich legte sie das Kleid über eine Stuhllehne und hob das Kärtchen vom Boden auf. Sie traute kaum, es aufzuschlagen. Ihre Hände zitterten, als sie es tat und die feinen, ineinander verschlungenen, Schriftzeichen überflog.

„Als Wiedergutmachung. Bitte trage es mir zu liebe auf dem Weihnachtsfest.“

Mehr stand nicht darauf. Sofort redeten alle auf Katherine ein, während sie noch immer nicht richtig begriff, was das alles bedeuten sollte. »Du musst es unbedingt tragen, Katherine.«, sprach schließlich auch Judy. »Meinst du wirklich?« Judy nick-te. »Du hast es nicht ohne Grund bekommen und ich wollte dich schon immer in einem Kleid sehen, was dir angemessen ist.« sie lächelte aufmunternd. Also tat Katherine ihrer Tante den Gefallen und zog sich in eine Kammer zurück, um das Kleid anzuziehen. Der Stoff fiel leicht und sanft an ihr herunter und sie spürte ihn kaum auf der Haut. Vorsichtig strich sie mit den Fingern über die Stickereien und die feine Spitze am Ende der halblangen Ärmel, welche im Trompetenschnitt gehalten waren. Es reichte bis zum Boden. Auf der Vorderseite waren drei Perlenketten angebracht und die Stickereien waren mit kleinen, goldenen Pailletten bestickt.

Katherines Knie zitterten und sie fächelte sich etwas Luft zu, um sich zu beruhigen. Judy klopfte an die Tür und trat dann ein, um ihrer Nichte bei der Schnürung des Korsettkleides zu helfen. Sie steckte ihr die Haare hoch und betrachtete sie dann einen Moment. Dann trat Katherine heraus und sah in die erstaunten Gesichter ihrer Familie. Onkel John hielt das Baby und Tante Judy umarmte ihre Nichte mit Tränen in den Augen. Alle sahen sie mit großen Augen und offenen Mündern an. »Du bist wunderschön.«, flüsterte sie ihr ins Ohr und betrachtete sie. Judy zögerte nicht lang, nahm die feine Goldkette ab, die sie immer nur zu besonderen Anlässen trug und legte sie Katherine an. »Jetzt ist es perfekt.«, hauchte sie und betrachtete ihre Nichte noch einmal.

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Mike sprang auf und öffnete. Rick trat ein und auch ihm war sein Erstaunen deutlich anzusehen, als sein Blick auf Katherine fiel. »Du bist wunderschön.«, sprach auch er und lächelte. Er trug, ebenso wie sein Bruder, einen schwarzen Smoking und einen Zylinder. Auf Grund seiner Verletzung stützte er sich auf einen Gehstock, was jedoch sehr gut zu ihm passte. Die andere Hand hielt er hinter dem Rücken versteckt und holte sie nun hervor, um Katherine eine kleine Schachtel zu überreichen. »Was ist das?«, fragte sie, ohne die Schachtel zu berühren.

»Das rundet alles ab. Nur für heute Abend, ich bitte dich.«, ergänzte er lächelnd und zögernd griff Katherine nach dem Gegenstand. Als sie die Schachtel öffnete, strahlten ihr zwei Ohrringe mit Perlen in Tropfenform entgegen. Ihr stockte der Atem. »Das kann ich unmöglich annehmen.« »Doch, das kannst du. Ich bitte dich auch nur für diesen einen Abend darum. Tu mir den Gefallen. Lass mich bitte nicht betteln.« vorsichtig streifte Katherine mit ihren Fingern über die Perlen. Dann über-wand sie sich doch, nahm sie heraus und steckte sie an. Rick lächelte und ging auf sie zu. Sie war wirklich perfekt. Er reichte Katherine seine freie Hand. »Was hast du vor?«, fragte sie irritiert. »Ich hole dich ab.«, meinte er verschmitzt und ergriff sie ohne große Umschweife.

Völlig verwirrt und nicht im Stande etwas zu sagen oder sich dagegen zu wehren, sah sich Katherine nach Hilfe um in der Runde ihrer Familie. Aber alle lächelten sie nur an und wünschten ihr viel Spaß. So ging Rick geradewegs mit ihr auf das Haupthaus zu, aus welchem ausgelassenes Gelächter zu vernehmen war und Musik. Er spürte ihre innere Abwehr und umfasste ihre Hand fester. »Du musst wirklich keine Angst haben, Katherine. Ich verspreche dir, es wird ein sehr schöner Abend. Ich werde immer in deiner Nähe bleiben und Daniel ist auch für dich da, wenn du etwas brauchst. Dafür werde ich schon sorgen.« er sah sie aufmunternd an, aber sie konnte es noch nicht so recht glauben, auch wenn sie es gern wollte.

Sie wusste, sie würde wieder auf Miss Elisabeth treffen und das wollte sie um jeden Preis vermeiden. Rick hatte keine Ahnung davon, wie garstig diese Person mit ihr umgegangen war und dachte vermutlich, dass er ihr einen Gefallen damit tat. Und auf Daniels Gesellschaft war sie ebenfalls nicht sonderlich erpicht. Doch nun konnte sie sich schlecht herausreden und würde sich ihrem Schicksal wohl fügen müssen. Sie konnte nur versuchen, das Fest in einem günstigen Augenblick zu verlas-sen, in dem es keiner bemerken würde. Aber selbst das würde wohl sehr schwierig werden. Die Farbe ihres Kleides trug nicht gerade dazu bei, unerkannt zu bleiben!

Rick ließ nicht zu, dass sie sich aus seinem Griff befreite. Immer weiter gingen sie dem Fest entgegen, bis sich Katherine schließlich von vielen hübschen Frauen umringt sah und Edelleuten, denen sie vorgestellt wurde. Sie war völlig überrumpelt und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Die vielen Namen konnte sie unmöglich behalten und was würde sein, wenn sie jemand auf ihre Herkunft ansprach? Rick blieb zum Glück die ganze Zeit an ihrer Seite und half ihr durch dieses wirre Szenario hindurch. Charmant wehrte er unangenehme Fragen ab. Seine gute Lau-ne half ihr, Standfestigkeit zu gewinnen und diese auch zu zeigen. Doch trotz dieser vielen Menschen um sie herum entging ihr nicht, wie sie von einer einzigen bestimmten Person ins Visier genommen und mit Blicken verfolgt wurde. Dieses dunkelrote Kleid stach aus der Masse hervor und Katherine würde diese Frau überall erkennen! Miss Elisabeth, ihre ärgste Widersacherin! Diese bohrenden Blicke folgten ihr überall hin und sie vermied es tunlichst, in die Richtung dieser Adligen zu schauen.

Die Leute überschütteten sie mit Fragen, die Katherine weder beantworten konnte noch wollte. Rick spürte ihre Unruhe und bemühte sich, sie so schnell wie möglich durch die Menge hindurch zu manövrieren und brachte sie an eine offen stehende Tür zur Terrasse. Er reichte ihr ein Weinglas und lächelte sie aufmunternd an. »Du bist der Blickfang des Abends.«, begann er das Gespräch.

»Rick, wirklich. Ich weiß, du meinst es nur gut, aber mir ist das Ganze hier mehr als unangenehm. Ich fühle mich unter dem ganzen Adel nicht wohl und deine Cousine würde mich mit ihren Blicken am liebsten umbringen!« »Das bildest du dir nur ein. Sie ist vielleicht ein wenig eifersüchtig, weil du ihr die Schau stielst. Sie ist es nicht gewohnt, nicht im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Aber glaube mir, sie gewöhnt sich daran. Versuche den Abend zu genießen. Einige der Herrschaften hier sind wirklich sehr nett und du wirst dich gut mit ihnen verstehen, wenn du dich erst mal mit ihnen unterhältst.« kaum hatte er das gesagt, wurde Rick auch schon von einer Schar junger Damen umringt und weggezogen.

Schneller als ihr lieb war, fand sich Katherine allein auf dem Bankett wieder und klammerte sich verzweifelt an ihr Weinglas. So sehr sie es zu schätzen wusste, dass Rick ihr etwas Gutes tun wollte – aber das war einfach etwas zu viel des Guten. Das war nicht sie und sie gehörte nicht in diese feine, gehobene Gesellschaft, die sich nur mit Oberflächlichkeiten abgab. Sie wollte sich gerade still und heimlich da-von stehlen, als ein älterer Herr auf sie zukam. Er trug einen Schnurrbart und ein Monokel. Er war hoch gewachsen und schien trotz seines Alters noch sehr agil zu sein. Er wirkte weltoffen und doch streng. Aus seiner Westentasche blitzte ebenfalls die Kette einer Taschenuhr hervor, wie bei Daniel Elchot. In seiner Linken hielt er ein Cognac-Glas, als er ihr direkt gegenüber stand. Er musterte sie auffällig, was Katherine sehr unangenehm war. Dann deutete er eine leichte Verbeugung an. Nun erkannte sie den Mann endlich. Es war Mister Elchot Senior.

Er wirkte heute Abend um einiges stärker als an dem Tag, als sie sich mit ihm in der Küche unterhalten hatte. Der Tag, an dem sein jüngster Sohn so schwer verunglückt und dem Tod nur knapp entkommen war. »Dürfte ich mich Ihnen vorstellen? Mein Name ist Mister Elchot.«, sprach er dann lächelnd und streckte ihr seine Hand entgegen. Gerade noch rechtzeitig besann sich Katherine und legte ihre Hand in seine, woraufhin er einen Kuss auf ihren Handrücken hauchte. Sie knickste leicht. Auch wenn sie ein einfaches Bauernmädchen war, wusste sie doch, was sich in gehobeneren Kreisen gehörte. Es amüsierte sie, dass er sich ihr gegenüber so höflich verhielt, obwohl sie sich bereits kannten. »Mein Name ist Katherine Mac Callen.«, erwiderte sie schmunzelnd.

»Wie kommt es, dass ich ein so hübsches Mädchen bisher nicht auf unseren Festen gesehen habe? Wurdet Ihr eben erst in die Gesellschaft eingeführt?« er sah sie freundlich an. »Ich komme nicht von hier, vielleicht habt Ihr mich darum noch nie gesehen.« sie schwiegen einen Moment. »Es freut mich, Euch bei guter Gesundheit vorzufinden, Mister Elchot. Vor Eurer Abreise wirktet Ihr sehr müde.«, eröffnete sie dann etwas vertrauter. Der ältere Herr richtete sich wieder auf und fasste sie ins Auge. Er setzte augenblicklich ein strahlendes Lächeln auf. »Ich danke dir für deine Sorge, Katherine. Es geht mir tatsächlich besser. Meine Söhne erzählen viel von dir, seit ich zurück bin.« »Wirklich?«, sprach sie fassungslos. Was erzählten sie wohl über sie? »Ich bin dir wirklich dankbar für das, was du für meine Söhne getan hast. Offensichtlich hast du sie ganz schön um den Finger gewickelt.«, meinte er dann weiter. Katherine nippte vor Verlegenheit an ihrem Wein.

»Du hast Rick das Leben gerettet und auch sonst scheinst du das Leben in diesem Haus um Einiges angenehmer zu machen.« »Ich verstehe nicht.«, stammelte Katherine, ehrlich verwirrt. »Rick benimmt sich das erste Mal in seinem Leben erwachsen und beginnt endlich, Verantwortung zu übernehmen. Und Daniel ist nicht mehr so ernst und verbissen wie früher. Der eine wirkt älter, der andere jünger.« Eine Frau legte Mister Elchot Senior die Hand auf die Schulter und er drehte sich um, um die Dame in Augenschein zu nehmen. Es war seine Nichte, Elisabeth. Mit ihrem strahlendsten Lächeln sah sie erst zu ihrem Onkel und dann zu Katherine. »Lieber Onkel, deine Gäste fühlen sich etwas vernachlässigt von dir und fragen schon, wo du bleibst.«, meinte sie nur. Die Blicke, die sie der jungen Frau zuwarf, waren mehr als eindeutig. Katherine sollte hier verschwinden! Wenn sie es nicht selbst tat, wür-de wohl Elisabeth dafür sorgen auf die eine oder andere Weise. »Miss Katherine, es hat mich sehr gefreut Eure Bekanntschaft zu machen.«, schloss Mister Elchot Senior überaus höflich das Gespräch ab, bevor er ging. Es schien ihr fast so, als solle Elisabeth nichts von der vertrauten Stimmung zwischen ihnen merken. »Ich hoffe, bald mehr über Euch zu erfahren.« »Es hat mich ebenfalls gefreut, Mister Elchot.« erwiderte Katherine lächelnd und atmete erleichtert auf, als Elisabeth mit ihrem Onkel in der Menge verschwand. Vor Schreck leerte sie ihr Weinglas fast in einem Zug, nur um dann so schnell es ging zu verschwinden.

Doch das gestaltete sich schwieriger als gedacht. Nicht nur Miss Elisabeth fiel durch ihr aufwendig besticktes Kleid auf, sondern auch sie mit dieser kräftigen Farbe die mehr an den Sommer, als an Weihnachten erinnerte. Immer wieder wurde sie von feinen, jungen Damen aufgehalten die unbedingt wissen wollten, woher sie dieses Kleid denn hätte. Aber wie sollte sie darauf antworten? Und die jungen Herren forderten sie reihenweise zum Tanzen auf, dabei konnte sie keinen einzigen Schritt tanzen! Dankend und freundlich lächelnd lehnte sie die vielen Aufforderungen ab und atmete bereits erleichtert auf, als sie den Ausgang zum Eingangsbereich vor sich sah. Sie musste hier einfach raus! Die Leute nahmen ihr die Luft zum Atmen und sie fühlte sich immer unwohler. Ihr war ganz heiß, sie brauchte dringend frische Luft und ein Glas Wasser. Offensichtlich stieg ihr der Wein zu Kopf!

Schneller als ihr lieb war, wurde sie jedoch wieder aufgehalten. Ein junger Mann im Smoking hielt sie fest am Handgelenk. Erschrocken sah sie an ihm hoch und blickte in die strahlenden, blauen Augen von Daniel Elchot. Für einen Augenblick war sie wie erstarrt, bevor ihr Herz wieder zu schlagen begann. »Wollt Ihr das Fest schon verlassen?«, fragte er mit einem gewissen Unterton in der Stimme. Ihr fiel sehr wohl auf, dass er sie förmlich ansprach und nicht, als würden sie sich kennen. »Nicht nur Ihr wollt diesen Abend mit Eurer Familie verbringen.«, antwortete sie kurz angebunden. »Und Ihr wollt mir nicht einen einzigen Tanz schenken?«, fragte er weiterhin und war dabei ganz Gentleman. »Ihr habt mich nicht danach gefragt.«, erwiderte sie völlig perplex. Sofort setzte Daniel ein strahlendes Lächeln auf und ergriff ihre Hand. »Würdet Ihr mir diesen Tanz schenken bevor Ihr unser Fest verlasst, Milady?«, fragte er mit seiner sanftesten Stimme, die er aufbringen konnte. Katherine wusste nicht, wie um sie geschah. Sie sah sich außer Stande, diese Bitte abzulehnen, auch wenn sie nicht tanzen konnte oder wollte. Sie würde ihren Gastgeber tief beleidigen, wenn sie seine Bitte ausschlug. Und schneller als sie denken konnte hatte er sie bereits mitten auf die Tanzfläche bugsiert und führte sie mit starker Hand durch einen Walzer hindurch.

Katherine fühlte sich wie auf Wolken, wie in einer anderen Welt. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, konnte diesem Mann nur in die Augen schauen! Alles drehte sich um sie herum und das war nicht allein den vielen Drehungen des Tanzes geschuldet. »Warum schaut Ihr mich so an?«, fragte er leise, so dass es die Umstehenden nicht hören konnten. Er behielt sein strahlendes Lächeln und ließ sie nicht aus den Augen. »Ich bin verwirrt.«, gab sie ehrlich zu. »Wieso?« »Ich kann mit diesen Menschen hier nichts anfangen und Ihr seid heute sehr freundlich.« »Und das verwirrt dich so? Gehört sich das nicht so für den Gastgeber, dass er freundlich zu seinen Gästen ist?« darauf konnte sie nichts erwidern. Katherine spürte die Unruhe immer weiter in sich aufsteigen. Sie wollte weg aus diesem Raum. Sie spürte die Blicke von Miss Elisabeth brennend in ihrem Rücken und sie beschlich das ungute Gefühl, dass etwas Unheilvolles in der Luft lag!

»Ich bitte Euch, lasst mich gehen!«, flehte sie beinahe und sah Daniel fest in die Augen. Er erschrak ein wenig über die Traurigkeit in ihrem Blick und dem Flehen dahinter. Ihre Hand schloss sich fester um seine, als sie ihre Bitte äußerte. Fühlte sie sich denn so unwohl in seiner Gegenwart? Daniel war sich nicht sicher, ob sie mit dieser Bitte nur versuchte diesem Fest zu entkommen oder ob sie ihm damit sa-gen wollte, dass sie sein Gut verlassen wollte. »Wie Ihr wünscht.«, gab er leise zur Antwort und brachte Katherine zur Tür. Die umstehenden Leute machten dem Herrn des Hauses nur allzu bereitwillig platz. Er haderte mit sich. Er wollte ihr so viel sagen. Ihre Erscheinung hatte ihn völlig aus der Fassung gebracht! Und nun fand er nicht die richtigen Worte. »Bitte verzeiht mir.«, war alles, was er schließlich hervor brachte und hauchte ihre einen Kuss auf die Wange. Katherine erstarrte unter dieser Berührung und erschauerte zugleich. Ihr wurde warm ums Herz. Dann riss sie sich hastig los, ohne etwas darauf zu erwidern. Unweit des Bankettsaals befand sich die Bibliothek. Die Tür stand einen Spalt breit offen. In der Bücherei würde sie in Ruhe nachdenken können! Die Ereignisse überschlugen sich gerade wieder völlig! Dabei wollte sie doch endlich zur Ruhe kommen! Sie war unfähig, etwas zu erwidern. Sie lächelte nur matt und wandte sich dann zur Bibliothek um. Sie hoffte, dass Mister Elchot ihr nicht folgen würde und offensichtlich hatte sie Glück.

Sie spürte aber genau, wie Miss Elisabeth ihr folgte und sie noch einmal zurück hielt. »Was denkst du dir eigentlich?«, rief sie ihr lautstark hinterher, als Katherine bereits die Bibliothekstür erreicht hatte. Mit einem tiefen Seufzer ließ sie den Türknauf los, aber sie wagte nicht sich Miss Elisabeth zuzuwenden. »Ich weiß nicht, was Ihr meint.« versuchte sie so ruhig es nur ging zu antworten und faltete die Hände vor ihrem Körper. Doch noch immer drehte sie sich nicht zu Miss Elisabeth um. Das Klackern der Absatzschuhe dieser Frau kam unterdessen unaufhaltsam auf sie zu. »Ich weiß genau, was du vorhast! Du machst Daniel schöne Augen und verdrehst ihm den Kopf! Aber mich führst du nicht hinters Licht! Du hast es doch nur auf sein Geld abgesehen! Du bist eine Dirne in einem hübschen Kleid, aber du bist und bleibst eine Dirne« Kathi musste sich sehr zusammenreißen, um dieser anmaßenden Person dafür keine Ohrfeige zu verpassen. Sie durfte sich nicht auf dieses Niveau herab begeben! Das wollte sie doch nur! Stattdessen ging sie hoch erhobenen Hauptes auf Elisabeth zu und fasste sie scharf ins Auge.

»Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Ihr nicht versteht was hier vor sich geht und Euch unwohl fühlt! Ihr könnt Euch sicher sein, dass ich keinerlei Gefahr für Euch darstelle und nicht vorhabe, Euch den Rang streitig zu machen. Mir ist ein solches Verhalten, wie Ihr es an Tag legt, zuwider und ich werde es tunlichst vermeiden, mich mehr als notwendig in solchen Kreisen aufzuhalten. Das Kleid war im Übrigen ein Geschenk Eures Cousins und auch die Einladung zu diesem Fest. Er ließ nicht zu, dass ich es ausschlug, also tat ich ihm den Gefallen. Wie Ihr seht, war ich gerade dabei mich zurückzuziehen, damit Ihr wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit der Männerwelt besitzt. Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet?!« damit war für Katherine alles gesagt und sie griff nach der Türklinke. Ihr Kleid raschelte, als sie sich umdrehte. Miss Elisabeth war außer sich vor Wut! Sie sah sich in ihrer Ehre beleidigt und ging auf Katherine zu, bis sie dicht hinter ihr stand. Ohne Vorwarnung griff sie diese bei den Haaren und zerrte daran. Sie zwang sie, sich zu ihr umzudrehen. Katherine schrie auf vor Schmerz und legte ihre Hände auf die dieser widerwärtigen Person. Wenn sie noch fester an ihren Haaren zog, würde sie sie ihr ausreißen! »Du denkst du kannst dich hier aufspielen wie die Herrin des Hauses, aber du bist nichts!«, zischte Miss Elisabeth scharf und bissig. Sie versuchte hier offenbar ihr Revier zu markieren und Katherine hätte nichts dagegen gehabt, wenn genau jetzt einer der Elchot-Brüder aufgetaucht wäre um zu sehen, wie diese Per-son wirklich war.

»Und genau wegen Menschen wie Euch, bin ich froh so zu sein wie ich bin. Ich brauche all das Geld und den Reichtum nicht, wenn das Herz und der Charakter dadurch so verdirbt wie der Eure!« schneller als sie den Satz zu Ende bringen konnte kassierte Katherine dafür eine Ohrfeige von der Gräfin. Entrüstet hielt sie sich die schmerzende Wange und funkelte Miss Elisabeth an, doch sie bewahrte Ruhe. Sie würde sich hier nicht aus der Fassung bringen lassen! Nicht von dieser Person!

Wenigstens ließ sie dadurch endlich von ihr ab! Sie durfte Daniel und auch Rick nicht so enttäuschen indem sie sich derart gehen ließ! Sie war ihr Gast und der Vater dieser beiden Sprösslinge würde enttäuscht von ihr sein, wenn sie sich auf eine Auseinandersetzung einließ und die Freundlichkeit dieser Familie derart mit den Füßen trat oder gar das Fest damit ruinierte. Also schluckte sie die Tränen und die bösen Worte, die ihr auf der Zunge lagen, herunter und verschwand wortlos in der Bibliothek. Dort sank sie von innen gegen die Tür und barg das Gesicht in Händen. Sie weinte hemmungslos ihre Wut und ihren Schmerz heraus. Warum wurde es ihr nur so schwer gemacht? Sie wollte doch einfach nur ihren Frieden! Es war nicht in ihrem Sinne, die Ordnung so durcheinander zu bringen! Sie mochte den Wirbel nicht, der um sie und ihre Familie gemacht wurde. Es war ihr von Anfang an unangenehm gewesen! Daniel und Rick Elchot kamen wegen ihr in Schwierigkeiten und sie wollte hier inzwischen nur noch so schnell wie möglich weg. Sie wollte weg von diesem Fest, weg von den feinen Leuten, weg von dieser schillernden Welt in welcher sich alles nur um Aussehen und Schönheit zu drehen schien und niemand auf die inneren Werte eines Menschen sah. Sie wollte auf den Hof zurück, der niedergebrannt worden war. Sie wollte ihre alte Ordnung zurück und ihr altes Leben! Wenn der Aufenthalt auf diesem Gut bedeutete, von Intrigen umgeben zu sein, dann wollte sie das Leben, welches ihr die Elchot-Familie anbot, nicht! Niemals! Sie würde sich und ihre Werte niemals derart verraten, nur um ein vorteilhaftes Leben zu führen! Lieber kroch sie weiter im Dreck und wühlte mit ihren Händen in der Erde!

Einige Zeit verbrachte Katherine sitzend hinter der Tür und war dankbar, dass niemand nach ihr suchte oder in diesen Raum hinein wollte. Irgendwann wurde sie es jedoch leid auf dem kalten Boden zu sitzen, stand auf, richtete sich die zerzauste Frisur und streifte durch die Regalreihen auf der Suche nach neuen, interessanten Büchern. Es brachte sie wenigstens auf andere Gedanken. Der Stoff ihres Kleides raschelte leise bei jedem Schritt. Gedankenverloren strich sie immer wieder über den feinen Stoff. Sie hörte, wie die Gäste nach und nach das Haus verließen. Es wurde immer später und somit immer ruhiger. Die Musik verklang irgendwann und es schien bald, als läge das Haus wieder wie verlassen inmitten des Schneegestöbers. Die große Standuhr im Eingangsbereich schlug bereits Zwölf. Es war auch für sie Zeit, nach Hause zu gehen! Ihre Familie war vermutlich längst zu Bett gegangen. Müde stand sie aus dem Sessel auf, in welchem sie sich stets niederließ wenn sie las und trat in den Eingangsbereich.

Katherine brauchte einen Moment, bis sie die Szenerie, die sich ihr dort bot, erfasste und begriff. Daniel und Rick standen wie versteinert am Treppenabsatz und blickten zum Eingang. Katherine folgte ihren Blicken und erstarrte, als sie an diesem Michael Smith stehen sah, sichtlich angetrunken, denn er schwankte stark und seine Augen waren rot unterlaufen, und mit einem Revolver in der Hand. Er schien direkt auf Daniel zu zielen! In der anderen Hand hielt er noch eine Flasche aus grünem Glas, aus welcher er in regelmäßigen Abständen kräftige Züge nahm.

»Michael, lass uns doch in Ruhe reden. Warum nimmst du nicht die Waffe runter und wir gehen ins Arbeitszimmer?« redete Daniel ruhig auf ihn ein und versuchte einige Schritte auf Michael zuzugehen, doch dieser hob die Waffe und spannte den Hahn, so dass Daniel die Hände hob und an seinem Platz verharrte. Auch Rick bewegte sich nicht von der Stelle, an welcher er gerade stand. »Du bist schuld!«, lallte Michael. »Wegen dir hat mein alter Herr mich enterbt, bin ich zur Witzfigur in der Grafschaft geworden!«, brüllte er ihn dann an. Nun schien er auch Katherine zu bemerken, die still an der Bibliothekstür verharrte um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie hielt die Luft an, als er sich ihr zuwandte. »Du!«, schrie er nun in ihre Richtung und richtete den Revolver auf sie. Katherine tat nichts. Sie war wie versteinert und ihr Herz schlug ihr schmerzend bis zum Hals. Sie hörte das Blut in ihren Ohren rauschen und ihr Blick fixierte sich auf diese eine Person vor ihr. Wie durch einen Tunnel sah sie nur noch Michael Smith vor sich und die Mündung des Revolvers, mit welchem er auf sie zielte. Seine Hand zitterte, er war unruhig. Er konnte jeden Moment die Beherrschung verlieren und einfach abdrücken.

»Michael, lass den Unsinn! Katherine hat rein gar nichts damit zu tun!«, versuchte Daniel die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Dies schien auch ziemlich gut zu funktionieren, denn Michael ging einige Schritte auf ihn zu, einen Finger auf dem gespannten Hahn, einen am Abzug. Er schien unberechenbar. Immer wieder richtete er die Waffe abwechselnd auf Daniel und dann wieder auf Katherine. Kei-ner wusste, ob er nicht gleich völlig den Verstand verlor und wahllos um sich schoss. Wo waren die Burschen um ihn aufzuhalten? Daniel würde allmählich nervös. Er hatte schon längst durch ein unmerkliches Fingerzeichen einem Bediensteten bescheid gegeben, welcher in der Tür von der Küche zum Eingangsbereich erschienen war. Katherine schaute nervös umher, aber auch sie konnte niemanden entdecken. »Du wirst für alles bezahlen, das schwöre ich dir!«, schrie Michael unterdessen und richtete die Waffe wieder auf Katherine. Sie vermochte kaum noch zu atmen, so angespannt war sie. Ihre Beine wollten sich nicht bewegen, sie zitterten nur noch und sie umschloss krampfhaft mit ihrer rechten Hand den Griff an der Bibliothekstür. »Sei vernünftig, Michael. Leg die Waffe nieder und wir reden in Ruhe über alles.« ein weiterer Schluck aus der Flasche folgte. Danach warf er sie in Katherines Richtung und sie ging klirrend links von ihr neben der Wand zu Bruch. Sie zuckte zusammen und schloss die Augen, so fest sie konnte. Sie hatte panische Angst. Die dunkelrote Flüssigkeit ergoss sich auf der weißen Wand und be-schmutzte Katherines Kleid. Dann richtete der Eindringling seine zitternde Hand, mit dem Revolver darin, wieder auf Daniel und alles deutete darauf hin, dass er je-den Augenblick abdrückte.

Da verlor Katherine die Fassung. Sie konnte dieses Bild nicht länger ertragen. Alles schien sich nur noch wegen ihr zu streiten! Sie wollte das nicht mehr! Es sollte endlich ein Ende finden! Sie stürzte los, als sie ihre Füße endlich vom Boden lösen konnte, in die Richtung von Daniel und Michael. »Aufhören!«, schrie sie und warf sich Daniel an den Hals, genau in die Schussbahn, die Augen fest geschlossen. Mehrere Schüsse ertönten und alle hielten sekundenlang den Atem an. Die Szenerie um sie herum schien still zu stehen. Alles spielte sich für sie viel langsamer ab, als es wirklich geschah.

Dann besann sich Daniel endlich und rief nach den Knechten, die bis vor kurzem damit beschäftigt waren die Kutschen der Gäste fertig zu machen und nun endlich herzu eilten. Sie überwältigten Michael schnell und der Revolver rutschte über den steinernen Boden, als die Knechte ihn zu dritt auf dem Boden fixierten und die Hände schließlich auf dem Rücken mit einem Seil banden. Daniel schob Katherine zur Seite, brachte die Waffe an sich um sie zu sichern und die Patronen zu entfernen und funkelte Michael wütend an. »Dafür wirst du deine Konsequenzen deutlich zu spüren bekommen.«, sprach er nur. Mehr Worte wollte er an diesen Menschen nicht mehr verschwenden. Er war enttäuscht. Bis zuletzt hatte er geglaubt, er könne Michael ändern und mit ihm reden. Doch er war unbelehrbar und obendrein offensichtlich wahnsinnig. Durch seine Aktion würde eine lange Zeit im Tower landen, auch wenn er ein Mitglied des Adels war. Sein Name würde ihn vor einer gerechten Strafe nicht schützen.

Die Knechte brachten Michael weg, welcher lautstark fluchte, schrie, um sich trat und stöhnte unter dem festen Griff der Männer. Katherine derweil, stand völlig neben sich. Sie bekam weiche Knie und wusste nicht, was sie denken sollte. Was war geschehen? Warum war Michael Smith so außer sich gewesen? Hatte er den Verstand verloren? Es schien als müssten erst alle unter ihm leiden, bevor er endlich zur Räson gerufen wurde! Als würde er erst Ruhe geben, wenn er alle Menschen um sich herum ausreichend verletzen konnte! Konnte ein Mensch denn so rachsüchtig und bösartig sein? So abgrundtief schlecht? Kraftlos sank sie auf die unteren Stufen der Treppe und hielt sich am Geländer fest. Der Schock saß tief in ihren Gliedern. Ihre Hände, die sie fest um das Treppengeländer schloss, zitterten und sie fror fürchterlich. Warum war ihr so kalt? Ihr war schlecht und schwindelig! Ihr Herz raste und sie konnte kaum atmen. Warum fühlte sie sich nur so schwach? Das konnte unmöglich nur an Michaels Auftritt liegen! Sie war doch sonst nicht so zimperlich!

Erst jetzt schienen Rick und Daniel sich darüber klar zu werden, dass Katherine noch immer bei ihnen war. Mit schnellen Schritten war der Ältere bei ihr, packte sie an den Armen und zog sie wieder auf die Beine. Sie war kreidebleich und sah ihn nicht an. Rick stand einige Schritte über ihnen auf der Treppe und beobachtete die Szenerie nachdenklich. »Bist du in Ordnung?«, wollte Daniel von Katherine wissen und fasste sie scharf ins Auge. Er legte seine Linke unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Er musste es einfach wissen! Musste wissen, ob ihr auch wirklich nichts geschehen war. Sie sah so schrecklich bleich aus, so zerbrechlich und es schüttelte sie, das konnte er deutlich spüren. Sie musste voller Angst sein! »Ich…ich denke schon.«, stammelte sie und ihre Brust schnürte sich weiter zu. Sie rang nach Atem. Auf einmal fehlte ihr die Luft und sie spürte ein tiefes Brennen im Rücken. Woher kam das? »Daniel!« Ricks Augen weiteten sich vor Schreck, als er auf Katherine zeigte. Doch Daniel verstand nicht sofort. Er drückte Katherine nur erleichtert an sich und in diesem Augenblick verstand er Ricks Anliegen! Etwas war geschehen. Etwas war unter seiner Hand, warm und flüssig. Er schaute über Katherines Schulter hinweg, betrachtete seine Handinnenfläche. Sie war blutverschmiert! Noch während er fassungslos von seiner Hand zu seinem Bruder hinüber starrte, sackte Katherine in seinen Armen zusammen und rührte sich nicht mehr.

»Ruft einen Arzt!«, schrie Daniel panisch und nahm Katherine sofort auf seine Arme. Er trug sie nach oben in das erste Stockwerk, in sein persönliches Zimmer. Wie in Trance legte er die Stufen zurück und sein Kopf war auf einmal völlig leergefegt. Es gab keinen Platz mehr für Gedanken, er funktionierte einfach nur. Rick folgte ihm so schnell er konnte. Vorsichtig legte Daniel Katherine auf das Bett. »Geh zum Waffenschrank, Rick! Hol mir meine lederne Tasche von dort! Sag‘ Resi bescheid, sie soll saubere Tücher und heißes Wasser bringen! Und Alkohol!« Rick zögerte nicht, nickte eilig und lief los, so schnell es ihm mit seiner Verletzung und dem Gehstock, möglich war.

Daniel kam es wie eine Ewigkeit vor, in der sein Bruder alles besorgte, was er ihm aufgetragen hatte. Katherine stöhnte in seinen Armen und atmete schwer. Er sah in ihr Gesicht, ihr standen feine Schweißperlen auf der Stirn und er wischte ihr eine Haarsträhne beiseite, welche ihre Augen bedeckte.

Ihre Lider flatterten, aber sie öffnete ihre Augen nicht. »Daniel.«, hauchte sie nur. »Es tut so weh.« sie kniff die ohnehin geschlossenen Augen, noch fester zusammen. Der Schmerz stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. »Ich weiß, Katherine. Das wird vorüber gehen, ich verspreche es dir.«, antwortete er ihr und seine Stimme zitterte vor Angst. Daniel eilte zu seinem Sekretär hinüber, öffnete eine kleine Schublade und holte ein Taschenmesser hervor. Er musste Katherine von diesem Kleid befreien! Anders konnte er ihr nicht helfen. Sie bekam ja kaum noch Luft! Es war kein gutes Zeichen, dass sie nicht bei Bewusstsein war und offensichtlich phantasierte sie bereits. Er hatte so oft Schussverletzungen gesehen während seiner Zeit in der königlichen Armee! Er musste handeln und das so schnell wie möglich, wenn er sie noch retten wollte!

Er schnitt die Schnürung ihres Kleides am Rücken auf und zog ihr den Stoff eilig über die Schultern bis zur Hüfte hinunter, sodass sie, nur noch in ihrem Unterkleid bekleidet, vor ihm lag. Für Formalitäten war einfach keine Zeit! Katherine blutete stark und brauchte dringend Hilfe. Unaufhaltsam sickerte die lebensspendende Flüssigkeit aus ihrem Körper in den Stoff ihres Untergewandes hinein und bis auf das weiße Laken seines Bettes. Rick stürmte in diesem Moment wieder zur Tür herein, gefolgt von einer aufgeregten Resi, die einen Krug mit dampfendem Wasser in der Hand hielt und Tücher über dem Arm trug. Aus einer tiefen Tasche ihrer Schürze holte sie eine Flasche Alkohol hervor und stellte sie auf den Nachttisch.

»Was ist geschehen?«, wollte sie wissen und blieb wie angewurzelt in der Tür stehen. »Rick, schaff sie hier raus.«, sprach Daniel jedoch nur, ohne auf Resi einzugehen und widmete sich dann wieder Katherine. Er hatte jetzt keine Zeit für ihr Geschwätz oder irgendwelche unnötigen Erklärungen. »Warte vor der Tür, Resi. Vielleicht brauchen wir dich später noch.«, hörte Daniel seinen Bruder wie aus weiter Ferne sagen, aber er kümmerte sich nicht darum. Es war nur ein Nebenschauplatz und er musste sich auf andere Dinge konzentrieren! Die kleine lederne Tasche lag auf dem Bett. Er wickelte sie hastig auf und zog, ohne groß nachzudenken, eine lange, feine Pinzette hervor. Dann griff er nach der Flasche und goss Alkohol darüber. Anschließend wischte er sie mit einem Leinentuch ab. Daniel sah nur kurz nach oben, als die Tür knarrend geschlossen wurde und Rick schob den Riegel davor, damit keiner störte.

»Sag mir, was ich tun soll.«, forderte er seinen älteren Bruder auf. »Halte sie fest. Ich muss die Kugeln entfernen und sie wird sich wehren.« Rick nickte, ging um das Bett herum um sich an das obere Ende zu knien und griff Katherine bei den Armen. »Willst du nicht warten, bis der Arzt eintrifft, Daniel? Er kann ihr etwas zur Beruhigung geben.«, fragte er skeptisch, als er sich mit seinem Gewicht auf Katherine stützte. »Dafür ist keine Zeit!«, heischte Daniel seinen kleinen Bruder jedoch nur an.

Die Schüsse aus Michaels Revolver hatten sie in der Schulter und im Lendenbe-reich getroffen. Daniel konnte kaum etwas sehen, die Wunden bluteten einfach zu stark. Er musste mit der Pinzette die Kugeln erfühlen, um sie entfernen zu können und Katherine schrie auf vor Schmerzen. Und so weh ihm dies tat in der Brust, er konnte darauf keine Rücksicht nehmen! In der Armee hatte er solche Wunden oft genug behandelt und er wusste genau, was zu tun war. Sie konnten nicht warten, bis der Arzt eintraf, dann war es vielleicht schon zu spät! Natürlich hätte er ihr diese Pein gern erspart und es wäre ihm lieber gewesen, nicht selbst Hand anlegen zu müssen, aber er wusste auch genau, dass er wahnsinnig geworden wäre, hätte sie unter den Händen eines anderen Menschen diese Schmerzen erleiden müssen.

Mit ruhigen Griffen brachte Daniel diesen Teil der Wundversorgung so schnell es ging hinter sich, auch wenn er hinterher nicht mehr wusste, wie er das zu Stande gebracht hatte. Er reinigte die Pinzette erneut mit Alkohol und legte sie dann zur Seite um einen kleinen, metallenen Spatel aus der Tasche hervorzuziehen. Rick sah seinem Bruder ruhig zu bei seiner Arbeit, auch wenn es ihm schwer fiel. Katherine so leiden zu sehen tat auch ihm weh. Er musste sich immer wieder zur Ruhe zwingen, denn Panik würde ihnen jetzt nicht weiterhelfen. Daniel ging geradewegs auf den Kamin zu und erhitzte dieses kleine Werkzeug in den Flammen. Das obere Ende hielt er mit einem Tuch fest, sodass er sich nicht selbst verbrannte.

Es war besser, wenn er die Wunden ausbrannte, damit sie sich nicht entzündeten, das war ihm klar. Er wusste nicht, wie lange der Arzt noch brauchen würde, bis er eintraf und bis dahin wäre der Blutverlust einfach zu hoch. Er konnte und durfte nicht warten, auch wenn das bedeutete, dass Katherine Narben zurückbehalten würde. Das war ihm immer noch lieber, als sie zu verlieren. Er musste diesen Vorgang mehrmals wiederholen, bis er sicher sein konnte, dass alle Gefäße verschlossen waren und die Wundränder sauber. Immer wieder stöhnte Katherine unter dieser Prozedur auf, kam jedoch nicht zu sich. Und erst nachdem Daniel damit fertig war bat er Rick, die Tür wieder aufzuschließen. Resi trat beinahe augenblicklich ein und half Daniel beim Verbinden der Wunden.

Sie brachte die schmutzigen Sachen anschließend schweigend weg und begleitete den Arzt nach oben, der sehr müde wirkte. Daniel wusch sich unterdessen die Hände in einer Schüssel mit warmen Wasser, welche auf einem Tisch stand. Die Ärmel seines weißen Hemdes waren bis zu seinen Oberarmen hochgeschlagen. Auch ihm stand der Schweiß auf der Stirn und er schien um Jahre gealtert zu sein. Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr, es war über eine Stunde vergangen. Kein Wunder, dass der Doktor so verschlafen schaute. Wer wurde schon gern am Weihnachtsabend aus dem Haus gerufen? Dieser stellte seine Tasche gerade ne-ben dem Bett ab und fühlte Katherines Puls. Dann legte er eine Hand auf ihre Stirn. »Es ist nicht zu übersehen, dass es sie sehr mitgenommen hat. Ihr Puls ist schwach und sie kämpft sehr.«, sprach er dann leise. »Wie ich sehe, habt Ihr Euch bereits gut um die Wunderversorgung gekümmert«, sprach der Arzt und blickte über den Rand seiner Brille hinweg in Daniels Richtung. »Uns blieb keine Zeit«, erwiderte dieser nur. »Ich habe es nicht anders von einem Elchot erwartet, der in der königli-chen Armee diente. Sehr gute Arbeit.«, lobte der Arzt wiederum. »Dank Eures schnellen Eingreifens wird die junge Dame keine bleibenden Schäden behalten, denke ich, außer einigen Narben. Sie braucht jetzt vor allem Ruhe. Sorgt dafür, dass sie ausreichend trinkt und nicht gestört wird. Jemand sollte bei ihr bleiben und nach ihr sehen, falls sie Fieber bekommt.« Daniel nickte.

Die Arbeit des Arztes war somit vorerst schon wieder getan und Daniel veranlasste, dass der Doktor mir einer seiner Kutschen nach Hause gebracht wurde. Erst, als er ihn verabschiedet hatte wies er Resi an, Wasser nach oben zu bringen und kalte Tücher. Er würde selbst bei Katherine bleiben, bis sie zu sich kam und sich um sie kümmern. Er sah es als seine Pflicht an, nach allem, was geschehen war.

Rick legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter, als dieser sich von Resi ab- und der Treppe zum ersten Stockwerk, zuwandte. »Willst du dich nicht etwas aus-ruhen, Daniel? Es war auch für dich ein sehr aufreibender Abend.« Daniel schüttelte aber nur den Kopf. Wie sollte er in einer solchen Situation an Ruhe oder gar Schlaf denken? Immerhin war er der Grund, weswegen es überhaupt erst soweit gekommen war! »Ich bleibe bei ihr.«, erwiderte er nur. »Sie wurde nur meinetwegen verletzt.« »Das ist nicht wahr und das weißt du auch. Michael Smith war schon immer unberechenbar. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es dazu kommen würde.« »Trotzdem bin ich dafür verantwortlich. Ich hätte sie besser schützen müssen. Sie hat mich vor Michael Smith und dem, wozu er fähig ist, gewarnt. Und auch Mike, ihr Cousin, hat uns beide noch gewarnt heute Morgen. Und du hast mir oft genug gesagt, dass sie Angst vor diesem Mann hat. Aber ich dachte, es reicht aus, wenn sie hier mit ihrer Familie unterkommt. Ich glaubte, allein unser Name würde genug Macht besitzen, um ihn fernzuhalten. Und nun sieh dir an, was ich damit angerichtet habe!« Rick seufzte.

Er kannte seinen Bruder und normalerweise behielt er in schwierigen Situationen immer einen kühlen Kopf, aber dieses Mal schien alles anders zu sein. Das verwunderte ihn ein wenig, gab er sich doch immer die größte Mühe, in Bezug auf Katherine und ihre Familie völlig korrekt aufzutreten. »Was wirst du jetzt tun?«, fragte er darum. Sie waren inzwischen die Treppe hinauf gegangen und in Daniels Zimmer getreten, wo Katherine noch immer blass und bewusstlos im Bett lag. Daniel betrachtete sie kurz. Ihre Haare lagen wirr um sie herum.

»Michael wird seine gerechte Strafe bekommen. Jetzt kommt er nicht mehr davon. Er wird sich nie wieder aus der Affäre ziehen, das schwöre ich.«, sprach er dann und ballte seine Hand zur Faust. Rick spürte genau, wie sein Bruder vor Zorn bebte. Diese Geschichte schien ihn mehr mitzunehmen, als er zugeben wollte. Er konnte es ihm deutlich ansehen. In den Augen seines Bruders loderte ein unheimliches Feuer, welches er so das letzte Mal gesehen hatte, als er hilflos am Totenbett ihrer Mutter gestanden hatte und um sie weinte. Damals waren sie beide noch klein gewesen und hilflos. Er konnte es damals genau an Daniels Gesichtszügen ablesen. Er hatte sich selbst dafür verflucht, dass er ihre Mutter nicht hatte retten können. Heute wussten sie beide, dass dies auch niemals möglich gewesen wäre.

»Danke für deine Hilfe.«, sprach Daniel schließlich müde und mit kraftloser Stimme und klopfte seinem Bruder auf die Schulter und unterbrach somit dessen trüben Gedankengang. Vorsichtig bugsierte er ihn zur Tür und schloss sie leise hinter sich. Er betrachtete Katherine eine Zeit lang, welche nun endlich zur Ruhe kam. Ihr Atem wurde gleichmäßiger. Diese Schuld würde er nie wieder von sich waschen können! Was auch immer sein Bruder zu ihm sagen würde. Welche tröstenden Worte er auch sprach, er würde immer mit dieser Schuld leben müssen! Die junge Frau, welche dort so hilflos in seinem Bett lag, war nur durch seine Unachtsamkeit und Ignoranz in diese Situation geraten.
 

Katherine schlief unruhig. Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere und Daniel tat kein Auge zu in dieser Nacht. Er saß bei ihr und wachte über ihren Schlaf. Hin und wieder wischte er mit einem kalten, nassen Tuch über ihre Stirn und auch über ihren Hals. Die Sorge um sie machte ihn bald wahnsinnig. Und Daniel musste sich in dieser Nacht eingestehen, dass es nicht nur das Gefühl der Verantwortung war, welches er für Katherine empfand und was ihn antrieb bei ihr zu bleiben. Nein, das war etwas anderes. Etwas viel Grundlegenderes! Etwas viel Tiefgreifenderes!

Er musste sich selbst eingestehen, dass sie ihn bereits bei ihrem ersten Aufeinandertreffen tief berührt und beeindruckt hatte. Tatsächlich hatte er sie seit diesem Zeitpunkt nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Wage erinnerte er sich an das kleine Mädchen, welches in seinen Kindertagen um den Stallmeister herumgetanzt war und im Heu spielte. Wie ausgelassen sie damals gewesen war und auf dem Rücken des prächtigsten Hengstes sitzen durfte, der im Stall seines Vaters stand. Wie zornig ihre Augen funkelten, wenn er sie geneckt hatte und sie wütend hinter ihm herlief, nur damit sie wenig später schon wieder zusammen spielte.

Ja, schon damals, war er gern in ihrer Nähe gewesen, auch wenn sie sich nicht mehr an diese Zeit zu erinnern schien. Als er viele Jahre später auf dem Feld ihrem zornigen Blick begegnet war, hatte er sie sofort wiedererkannt. Ihre Erscheinung hatte ihn gefesselt und nicht wieder losgelassen. Und nun lag sie hier, zerbrechlich, verletzt und das alles wegen ihm! Weil er nicht in der Lage gewesen war, sie ausrei-chend zu schützen obwohl es doch so offensichtlich gewesen war, dass sie nicht nur von Michael bedroht und unter Druck gesetzt wurde!

Und dennoch kam er auch nicht umhin festzustellen, dass sie sich seinetwegen in Gefahr gebracht hatte und das beeindruckte ihn sehr. Ihm wurde klar, dass er diesem Mädchen mehr bedeuten musste als ihr eigenes Leben.
 

Erst gegen Mittag des nächsten Tages kam Katherine das erste Mal wieder zu sich. Sie spürte die brennenden Schmerzen im Rücken und traute sich kaum sich zu bewegen. Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie eine Bewegung wahr und dreh-te den Kopf in diese Richtung. Daniel Elchot, noch immer im Smoking und mit dunklen Schatten unter den Augen, setzte sich zu ihr und legte ihr nun ein Tuch auf die Stirn. Er sah besorgt auf sie herab. Die letzte Nacht war nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. »Wie geht es dir«, fragte er leise und ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen. Katherine wusste nicht, was sie antworten sollte.

Alles drehte sich noch in ihrem Kopf und sie wusste nicht so recht, was geschehen war. Die ganze Situation war verwirrend für sie und sie fühlte eine innere Unruhe, die sie sich nicht erklären konnte. Daniel schien ihr diese Verwirrung anzusehen, denn er bedeutete ihr, dass sie ihm keine Antwort geben musste. »Es tut mir leid, dass du meinetwegen in eine solche Situation geraten bist. Ich wünschte, ich hätte das verhindern können.« sie war verwirrt. Was meinte er? Sie konnte sich nur noch dunkel daran erinnern, dass Michael Smith aufgetaucht war und getobt hatte. Aber Einzelheiten lagen wie hinter einem dichten Nebelschleier und ihr wollte einfach nicht einfallen, was vorgefallen war.

»Ich verspreche dir, von jetzt an besser auf dich Acht zu geben. Ich werde es nicht mehr soweit kommen lassen und Michael Smith wird seiner gerechten Strafe unter-zogen« »Strafe?«, fragte sie irritiert und wollte sich aufrichten. Doch der Schmerz in ihrem Rücken übermannte sie und sie zuckte zusammen. Bunte Sterne tanzten augenblicklich vor ihren Augen. Daniel fasste sie und drückte sie sanft zurück in die Kissen. »Ruh dich aus, Katherine. Ich werde Resi rufen lassen. Sie soll bei dir bleiben, bis ich zurück bin.« »Wohin geht Ihr?«, fragte sie mit schwacher Stimme. »Ich muss noch einige Dinge klären. Mach dir keine Sorgen. Ich werde bald zurück sein. Jetzt, da ich weiß, dass es dir besser geht, kann ich meinen Pflichten in aller Ruhe nachkommen.« sanft strich er ihr erneut eine Strähne aus dem Gesicht und stand dann auf. Wie hatte er diese junge Frau nur so lange missachten können? Sie war ein wahrer Segen für dieses Haus. Und nicht nur für das Haus. Ohne es zu merken oder zu wollen, hatte sie sich in sein Leben und seine Gedanken geschli-chen und Vieles annehmlicher und freundlicher gemacht. Seit dem Tod seiner Mut-ter vor einigen Jahren war er nicht mehr so voller Leben gewesen. Das musste nun auch er einsehen. Katherine schloss die Augen und schluckte. Ihre Kehle war tro-cken und als sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, spürte sie wie spröde und aufgerissen diese waren.

Sie wollte nicht, dass Daniel sie hier zurück ließ. Sie konnte sich an die Geschehnisse der vergangenen Nacht nicht erinnern. Sie fürchtete sich vor der Unwissenheit, aber auch davor etwas zu erfahren, was sie zutiefst schockieren konnte. Mike, ihr engster Vertrauter, war nicht bei ihr. Sie war hier völlig allein! In ihrer Panik griff sie nach Daniels Handgelenk. Sie zitterte. Jede Bewegung war ihr zu viel und kostete sie Kraft. Kraft, die sie momentan nicht besaß. »Bitte«, sprach sie mit schwacher Stimme,

»Bleibt. Ich habe Angst.« und ohne, dass Katherine es beeinflussen konnte, rannen ihr mit einem Mal Tränen über die Wangen. Sie wusste selbst nicht, was auf einmal mit ihr los war. All die Anspannung der vergangenen Wochen fiel mit einem Schlag von ihr ab. Die Sorge um Rick, die Weihnachtsvorbereitungen, der Streit mit Daniel Elchot. Selbst die Auseinandersetzung mit Miss Elisabeth. Alles war vergessen, wenn sie diesem unglaublichen Mann nur ein einziges Mal in die Augen sah. Mit seiner warmen Hand wischte er ihre Tränen fort und versuchte so unbeschwert wie möglich zu wirken, auch wenn ihm die Sorge sichtlich ins Gesicht geschrieben stand. Setzte sich zu ihr, sehr nah an ihrer Seite und betrachtete sie. »Du musst dich nicht fürchten. Dir kann nichts mehr geschehen.« Katherine schüttelte leicht den Kopf. »Es geht nicht um mich.« sie zögerte einen Moment. Sollte sie ihm ihre Gedanken wirklich offenbaren? Jetzt schien die einzige Gelegenheit dafür zu sein. »Ich fürchte um Eure Sicherheit.«, gestand sie dann. Das überraschte Daniel. Er hätte mit Vielem gerechnet, aber nicht mit einem solchen Geständnis!

»Aber warum denn? Dazu gibt es absolut keinen Anlass, Katherine.« »Ich weiß, aber…« es wollte ihr einfach nicht über die Lippen kommen. Sie konnte jetzt noch nicht sagen, was sie dachte und fühlte! Sie musste sich selbst erst mal klar darüber werden, was in ihr vorging. Erneut strich er ihr durch die Haare. »Hab‘ keine Angst. Ich werde auf dich aufpassen. Und mir wird nichts geschehen, das versichere ich dir. Aber ich muss dennoch aufbrechen. Michael Smith befindet sich auf dem Weg in die Stadt um dort sein Urteil verkündet zu bekommen. Ich muss gegen ihn aussagen, damit er seiner gerechten Strafe zugeführt werden kann.« Katherine stockte. Michael Smith war verhaftet worden? Warum? Was war denn nur geschehen? Wieso konnte sie sich nicht daran erinnern, was vorgefallen war? »Du kannst dich nicht erinnern oder?«, fragte Daniel Elchot dennoch nach. Sie schüttelte erneut leicht den Kopf. Sie kniff die Augen fest zusammen und griff sich mit der Hand an die Stirn. Daniel legte seine Hand auf ihre und strich ihr vorsichtig über die warme Stirn.

»Michael Smith war aufgetaucht und sorgte für Wirbel am Weihnachtsabend.«, begann er dann. »Die Situation war heikel, er war bewaffnet und offensichtlich auch betrunken. In dem Tumult, der losbrach, kamst du aus der Bibliothek und warst auf einmal vor mir. Michael konnte schließlich überwältigt werden und du bist zusammen gebrochen. Und nun bist du hier.« ›Also daher die Schmerzen!‹, dachte Katherine bei sich. Mit einem Schlag waren die Geschehnisse des vergangenen Abends wieder vor ihrem geistigen Auge. Mister Smith musste sie mit einer Kugel erwischt haben! Ihr war vollkommen klar, dass sie dabei ihr Leben hätte verlieren können! Aber in diesem Augenblick, als er mit der geladenen Waffe auf Mister Elchot deutete, setzte ihr Verstand aus und sie musste einfach handeln! Und er machte sich solche Sorgen um sie? War sie ihm möglicherweise doch nicht so egal, wie sie geglaubt hatte?

Dann erschrak sie jedoch auch! Das Kleid, welches Rick ihr für diesen Anlass hatte zukommen lassen war wohl ruiniert. Sie würde es nicht ersetzen können! »Tut mir leid.«, flüsterte sie nur schwach. Daniel horchte auf. »Was tut dir leid?«, wollte er wissen. »Das Kleid.« Katherine schluckte. »Es ist ruiniert und ich weiß nicht, wie ich es ersetzen soll.« nun musste Daniel schmunzeln. Da war es nun, das Mädchen welches er nie vergessen hatte – verletzt, schwach und sie machte sich noch immer mehr Gedanken um andere Dinge als um sich. »Vergiss das Kleid. Das ist nur ein Stück Stoff.«, erwiderte Daniel nur und seufzte.

»Kann ich Mike sehen?«, fragte sie dann in die Stille hinein. »Sicher. Ich werde ihn rufen lassen.« vorsichtig drehte sich Katherine auf die Seite um ihren Rücken zu entlasten. Sie kniff für einen Moment die Augen zusammen. Es tat einfach nur weh und ihr wurde schlecht. »Ich werde außerdem den Doktor rufen. Du scheinst Schmerzen zu haben. Er soll dir etwas zur Beruhigung und Schmerzlinderung geben« »Es geht schon.«, wollte sie ihre Verletzung herunter spielen. Es war ihr unangenehm, dass Daniel Elchot sich so intensiv um sie kümmerte und sie war es auch gar nicht gewohnt. Egal, ob er ihr Wohltäter war oder nicht. Sie war noch immer eine Angestellte, ebenso wie ihre Familie! Sie wollte keine Sonderbehandlung.

»Noch immer unbelehrbar.«, murmelte Daniel vor sich hin. »Es würde mir reichen, wenn Ihr mir einige Bücher aus der Bibliothek bringt. Es macht ganz den Anschein, als würde ich hier einige Zeit verbringen und ich möchte mich nicht langweilen« Daniel lächelte. »Keine Sorge. Dafür werde ich sorgen.« nun stand Daniel auf und wandte sich tatsächlich zum Gehen. »Sobald ich aus der Stadt zurück bin werde ich mich persönlich um dich kümmern.« »Das ist wirklich nicht nötig.«, erwiderte sie errötend. »Keine Widerrede. Ich weiß, du denkst, dass du das nicht verdienst, weil du für mich arbeitest. Aber so ist es nicht! Dein Onkel verdient seinen Lohn bei mir, nicht du! Du bist hier, weil ich dich gern um mich habe.«

Daniel verschwand und Katherine blieb mit pochendem Herzen zurück. Seine Worte berührten sie sehr und verwirrten sie auch. Dieser Mann verunsicherte sie immer wieder aufs Neue, sodass sie einfach nicht schlau aus ihm wurde.

Die Schmerzen in ihrem Rücken waren kaum auszuhalten, aber sie gab sich bis zu Mikes Eintreffen Mühe, diese zu ignorieren. Sie würde es schon irgendwie aushalten und überstehen. Sie war nicht so wehleidig, wie immer alle dachten und sie wollte kein Mitleid. Das war ihr unangenehm. Während der Zeit, als sie auf ihren Cousin wartete, versuchte sie die Ereignisse der vergangenen Nacht zu rekonstruieren. Es gelang ihr nur mühsam. Sie konnte sich dunkel daran erinnern, dass sie in der Bibliothek gewesen war und Stimmen gehört hatte. Dann war Michael Smith in der Eingangshalle gewesen und tobte wie von Sinnen. Sie hatte solche Angst um Daniel gehabt, dass sie sich vor ihn gestellt hatte. Ihr war es egal, was geschehen konnte! Ihr war nur wichtig gewesen, dass ihm nichts geschah! Und nun lag sie hier und wusste nicht, wie schlimm es tatsächlich um sie gestanden hatte.

Es klopfte vorsichtig an der Tür, was sie aus ihren Gedanken aufschrecken ließ. Mike spähte herein und vergewisserte sich, dass seine Cousine auch wirklich bei Bewusstsein war. Dann trat er ein und setzte sich zu ihr. Er wuschelte ihr durch das Haar und sah sie dann skeptisch an. »Du machst Sachen.«, sprach er leise und lächelte mitleidvoll. »Warum bringst du dich nur immer wieder in solche Situationen?« darauf wusste sie nichts zu erwidern. »Wie geht es dir denn?«, fragte er dann weiter.

»Es geht schon. Es ist nicht so schlimm, wie du denkst.« mit diesen Worten richtete sie sich auf und unterdrückte ein schmerzverzerrtes Gesicht. Sie wollte ihrem Cous-in nicht noch mehr Sorgen bereiten. Sie wusste, er würde es ihrer Tante und Onkel John erzählen und sie sollten sich nicht unnötig sorgen. »Du wirst die restlichen Feiertage wohl eher nicht mit uns verbringen, wenn ich das richtig sehe.«, meinte er weiter. Auch darauf antwortete Katherine nicht. »Das ist schade. Die Kleinen haben sich darauf gefreut mit dir zu spielen. Aber da kann man wohl nichts machen. Wichtiger ist, dass du wieder auf die Beine kommst. Egal, wie lange es dauert.« »Du kannst sie zu mir schicken. Ich freue mich über jeden Besuch, dann bin ich nicht so allein.«, sprach sie nur. Mike seufzte.

»Ich hoffe, Mister Elchot wird sich gebührend um dich kümmern. Wenn nicht, bekommt er es mit mir zu tun.« Katherine schmunzelte bei diesen Worten. Mike schien wirklich um ihr Wohl besorgt. So kannte sie ihn. »Hast du auch wirklich keine Schmerzen?«, fragte Mike erneut. Katherine schüttelte leicht den Kopf. »Mach dir keine Gedanken, Mike. Sag deinen Eltern, dass hier gut für mich gesorgt wird. Mister Elchot ist wirklich sehr bemüht und bestellt den Doktor. Er und Resi sollen wohl regelmäßig nach mir schauen.« »Das ist auch wirklich notwendig. Nachdem die Stallknechte aufgeregt zu uns kamen und uns von den Ereignissen der vergangenen Nacht erzählten, wurde uns ganz anders. Es war wohl wirklich sehr schlimm. Michael Smith mit einem Revolver? Und du stellst dich ihm einfach so entgegen! Ich möchte mal wissen, was dich da geritten hat. Du könntest jetzt tot sein!« »Bin ich aber nicht.«

»Und das ist auch gut so. Nun ist dieser furchtbare Mensch wenigstens endlich außer Reichweite. Er kann dir nichts mehr tun und dir nicht mehr zu nahe kommen.« »Schön, wenn es zu etwas nutze war.« müde blickte Katherine aus dem Fenster. Seit Tagen hatte der Schneefall endlich aufgehört und erste, zögerliche Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch die dichte Wolkendecke. »Endlich.«, sprach sie leise zu sich selbst und lächelte. Wenn der Schnee aufgehört hatte, dann kam Daniel Elchot hoffentlich gut und schnell in die Stadt und auch wieder zurück. Sie musste einfach darauf hoffen! »Du scheinst mit deinen Gedanken weit weg zu sein, Katherine. Was ist denn mit dir?«, wollte Mike wissen. »Es ist nichts.« Mike stand seufzend vom Bett auf. »Ich werde dich erst mal allein lassen. Du brauchst Ruhe. Du musst dich dringend erholen. Hier bist du ja in guten Händen.« »Sag allen, sie sollen sich keine Sorgen machen. Es geht mir gut, ich werde bald wieder auf den Beinen sein. Und wenn sie wollen, sollen sie ruhig zu mir kommen.« Mike nickte und verabschiedete sich wieder. Katherine seufzte und rutschte in die Kissen zurück. Sie war müde und fühlte sich schlapp.

Sie hörte nicht einmal mehr, wie Resi hereinkam und ihr etwas zu Essen und Bücher brachte. Als sie das nächste Mal wach wurde, war es schon wieder dunkel und Katherine fühlte sich nicht gut. Sie hatte starke Kopfschmerzen und die Wunden auf ihrem Rücken brannten und pochten unangenehm. Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere und fand keine rechte Ruhe. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie endlich wieder einschlief. Es war ein sehr unruhiger Schlaf. Albträume plagten sie, aus denen sie nicht erwachen konnte. Michael Smith tauchte immer wieder darin auf. Irgendwann, sie wusste nicht wie spät es war, spürte sie einen deutlichen Druck auf ihrem Kopf und an ihrer Hand. Mühsam öffnete sie die Augen. Es fiel ihr sehr schwer und ein Nebelschleier lag vor ihrem Blick. Sie fühlte sich kraftlos und müde. Ihr Atem ging ungewöhnlich schwer, doch ihr Herz dagegen raste. Alles schmerzte. Ihr Körper fühlte sich zu eng an für sie.

Wer war da bei ihr? Wer berührte sie da? Es war nicht nur eine Person. Katherine musste einige Male blinzeln, bis sie ein klares Bild vor Augen hatte. War das der Doktor? Es war jedenfalls ein älterer Mann an ihrer Seite. Und wer stand da im Hintergrund? Etwa Daniel Elchot? Wie lange hatte sie geschlafen? Oder war er früher als geplant zurückgekommen? Warum ging er so nervös auf und ab und machte einen angespannten Eindruck? Die Worte: »Es ist ernst.«, konnte sie nicht einordnen. Wovon sprachen sie da? Von ihr? Was war denn nur? Kraftlos legte sie ihre freie Hand an den Kopf. Ihre Stirn fühlte sich furchtbar heiß an. Schneller als ihr lieb war, war die andere Person an ihrer Seite und hielt sie fest. »Wie geht es dir?« jetzt erkannte sie Daniel Elchot sehr deutlich. Ernst und sorgenvoll blickte er auf sie herab und war so dicht vor ihr, dass sie den Duft seines Parvins sehr deutlich vernahm. Diese Augen nahmen sie schon wieder völlig in Besitz! »Es geht mir gut.«, hauchte sie nur und schloss die Augen wieder. »Lügnerin.«, hörte sie Daniel über sich wispern. Um sie herum wurde es hektisch. Resi betrat das Zimmer und Rick, doch der Arzt schickte sie sofort wieder nach draußen und Daniels Griff um ihr Handgelenk wurde fester.

»Was ist denn los?«, fragte sie darum leise. Selbst das war ihr schon zu viel. Alles geschah so rasend schnell um sie herum, dass sich ihr der Kopf drehte.

»Du hast Fieber. Du brauchst viel Ruhe.« »Fieber?« Daniel nickte. »Der Doktor wird regelmäßig nach dir sehen und Resi ebenfalls. Ich habe alles Nötige veranlasst, damit du schnell wieder gesund wirst und es dir an nichts fehlt.« »Seit wann seid Ihr aus der Stadt zurück?«, wollte sie dann wissen. Es ließ ihr einfach keine Ruhe. So schwer es ihr auch fiel, auch nur ein einziges Wort zu sagen. »Resi schickte ein Telegramm und informierte mich über deinen Zustand. Darum kam ich eher, als geplant.« Katherine schloss die Augen. Sie war so müde! »Was ist mit Eurer Aussage?«, sie schluckte nach diesen Worten. »Das spielt jetzt keine Rolle, Katherine Mac Callen. Ruh dich einfach aus.«, Daniel Stimme wurde schon wieder befehlsgewohnt, wie sie feststellte. Sie wollte noch so Vieles wissen, aber sie war nicht in der Lage, noch ein weiteres Wort zu sagen! »Überprüft ihre Temperatur in regelmäßigen Abständen. Es darf nicht weiter steigen.«, hörte sie den Arzt sagen. Das hörte sich tatsächlich sehr ernst an. War sie so krank? Sie fühlte sich wirklich sehr elend. Aber ob es so schlimm war?

Unter Schmerzen drehte sich Katherine auf die rechte Seite, weg von diesen intensiven Augen, die sie jedes Mal um den Verstand brachten und bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken schienen. Und noch mehr Herzklopfen vertrug sie jetzt über-haupt nicht. Das Rascheln, das der Doktor verursachte als er sich seine Jacke überzog, war in ihren Ohren kaum zu ertragen. »Mister Elchot, ich muss dringend noch etwas mit Ihnen besprechen.«, sprach er und schloss die Tür so leise wie möglich. Katherine spürte genau, dass Daniel Elchot noch immer im Zimmer war, auch wenn sie ihre Augen geschlossen hielt. Seine Gegenwart war für sie mehr als deutlich zu spüren. Sie erschrak, als er ihr seine Hand auf ihren Kopf legte. »Was machst du nur für Sachen?«, fragte er leise. Sie hörte ihn seufzen. »Sei stark, Katherine und kämpfe. Ich wollte nicht, dass es soweit kommt.«, sprach er dann.

Katherine spürte das Unbehagen in sich aufsteigen. Es war ihr unangenehm, dass er sich solche Vorwürfe zu machen schien. Was ihr allerdings entging war, wie Daniel Elchot seine andere Hand zur Faust ballte und sich auf die Lippe biss. Er konnte sich nicht vergeben, dass er Katherine einer solchen Gefahr ausgesetzt hatte! Sie war nur wegen ihm in diese Situation geraten. Er hatte ihr schon viel eher von der Lösung der Verlobung erzählen wollen, aber der richtige Zeitpunkt war nie da gewesen. Wäre er einfach zu ihr gegangen, dann würde es ihr nun vermutlich nicht so schlecht gehen! Er hätte sie und ihre Familie besser schützen können! Die Gefahr, die von diesem Smith ausging, war stets allgegenwärtig gewesen! Aber in seiner Naivität und Selbstüberschätzung war er der Meinung gewesen, dass er es al-lein schaffen würde.

Da hatte er sich gründlich geirrt. »Es tut mir leid.«, sagte er dann. Bei diesen Worten öffnete Katherine vorsichtig die Augen. »Ich weiß, ich habe dir das bereits gesagt, aber ich verspreche dir hiermit noch einmal, dass ich es nie wieder so weit kommen lassen werde.« Katherine schluckte. Was war nur los mit Daniel Elchot? Er hörte sich so verzweifelt an, so verletzlich! »Bitte.«, flüsterte er dann beinahe und seine Stirn berührte ihren Kopf, »Bitte werde wieder gesund. Lass mich nicht allein.« dann stand er auf und verließ sie. Und Katherine fiel wieder in einen langen, von Albträumen geplagten, Schlaf.

Später konnte sich Katherine nicht mehr daran erinnern, ob sie diese Worte wirklich vernommen hatte oder ob alles nur ein Traum gewesen war. Würde Daniel Elchot tatsächlich in ihrer Gegenwart über seine Gefühle sprechen? Was war noch real und was bildete sie sich nur ein?

Daniel war es vom ersten Augenblick an nicht wohl zu Mute gewesen, als er sie das erste Mal so im Bett liegen sah. Sie litt, das konnte er selbst dann erkennen, als sie schlief. Er wusste selbst, wie schmerzhaft Schussverletzungen sein konnten. Er war lange genug beim Militär gewesen, um das am eigenen Leib zu erfahren. Der Moment, als die Schüsse durch das Haus tönten und er nicht wusste, ob Katherine getroffen worden war oder nicht, war unerträglich für ihn gewesen. Und noch schlimmer war es für ihn als er mit ansehen musste, wie sie in seinen Armen zusammenbrach! Die Frau, die er selbst um jeden Preis schützen wollte hatte sich schützend vor ihn gestellt und dabei ihr Leben riskiert! Wie sehr hatte er sich zusammen nehmen müssen, als er ihr die Kugeln entfernte und sie versorgte! Er wollte ihr das so gern ersparen, aber er musste es tun, wenn sie leben sollte! Ihm war keine andere Wahl geblieben, als ihr noch mehr Schmerzen zuzufügen, damit sie eine Chance hatte. Zum Glück waren die Knechte zur Stelle gewesen und konnten Michael Smith überwältigen. Er wusste nicht, ob er sich in dieser Situation nicht völlig vergessen und ihm etwas angetan hätte. Doch Selbstjustiz zu üben stand ihm nicht zu, selbst wenn er gern anders reagiert hätte.

Er war ungern aufgebrochen in die Stadt, um bei der Verhandlung gegen Michael Smith dabei zu sein. Er wollte lieber bei Katherine sein und sich um sie kümmern. Aber es war leider unabdingbar, dass er gegen diesen widerlichen Kerl aussagte. Als ihn Resis Telegramm erreichte, war er wie vom Blitz getroffen gewesen. Er hatte beim Militär so viele Schussverletzungen behandelt und immer war alles gut gegangen. Dass es Katherine rapide schlechter gegangen war, traf ihn zutiefst und ließ ihn an seinen Fähigkeiten zweifeln. Zwar versuchte er, sich einzureden, dass er alles richtig gemacht hatte, aber es wollte ihm nicht so recht gelingen. Auf dem schnellsten Wege war er bei Nacht und Nebel mit einem Pferd aufgebrochen.

Es hatte ihm zu lange gedauert, bis der Kutscher soweit war und so hatte er selbst alles in die Hand genommen. Völlig durchgefroren, geradezu steif vor Kälte, war er in seinem Haus angekommen. Der Doktor war zu diesem Zeitpunkt schon seit eini-ger Zeit bei Katherine. Rick musste Daniel zunächst beruhigen, damit er nicht völlig überreagierte.

Als er sie dann so leidend im Bett vorfand, wurde es ihm ganz anders. Mit einem Schlag wurde ihm klar, dass er diese Frau nicht verlieren wollte! Sie hatte wieder Leben in dieses Haus gebracht und auch Freude. Auch, wenn er es sich lange nicht eingestehen wollte. Aber seit sie hier war freute er sich wieder auf den Tag. Die Arbeiten im Büro waren ihm leichter von der Hand gegangen, wenn er sie draußen spazieren gehen sah. Dass er sie mit seinen Worten so verletzt hatte, tat ihm selber weh. Aber er hatte nie die richtigen Worte gefunden um sich dafür zu entschuldigen oder den richtigen Zeitpunkt. Und nun das! Er stand noch immer wie versteinert auf dem Gang im ersten Stock des Hauses und die Worte des Arztes hallten in seinem Kopf nach.

»Das Immunsystem von Miss Katherine ist geschwächt. Vermutlich durch ihre letzte Erkrankung. Es steht nicht gerade zum Besten um sie. Jeder neue Infekt kann sie empfindlich schwächen und schädigen. Sollte sie diese Infektion überstehen muss sie sehr vorsichtig sein in Zukunft.« diese Prognose war für Daniel wie ein Schlag in den Magen gewesen. Diese Aussage versetzte ihn schlagartig in die Zeit zurück, als seine Mutter schwer erkrankte. Sie war Zeit ihres Lebens immer sehr anfällig gewesen, auch wenn sie es sich nie anmerken lassen wollte. Ihm war das schon als kleiner Junge aufgefallen. Trotzdem war sie immer fröhlich gewesen und liebevoll. Aber irgendwann hielt ihr zierlicher Körper die Strapazen nicht mehr aus und so starb sie schließlich vor einigen Jahren.

Daniel wollte nicht noch einen Menschen verlieren, der ihm so wichtig geworden war! Er würde alles in seiner Macht stehende tun, um Katherine zu schützen und am Leben zu erhalten. Betrübt stützte er sich auf den Rand des Treppengeländers und blickte in den Empfangssaal des Hauses hinab. Noch haderte er mit sich, ob er mit ihr darüber reden sollte, wenn es ihr besser ging. Es war sicher ihr gutes Recht und er konnte es nicht ewig vor ihr verheimlichen. Aber zunächst einmal musste sich Katherine erholen und zu Kräften kommen. Das stand an oberster Stelle. Daniel stöhnte auf und fuhr sich müde mit der Hand durch das Haar und über das Gesicht. Alles stand auf dem Kopf. Er konnte nur hoffen, dass Katherine stark genug war, um diesen Kampf zu gewinnen. Seine größte Angst, die Angst wieder verlassen zu werden, war mit einem Mal zurück und hatte ihn stärker im Würgegriff, als ihm lieb war.

»Du brauchst etwas Ablenkung.«, vernahm er die Stimme seine Bruders vom unteren Ende der Treppe. »Komm mit in den Salon. Du siehst niedergeschlagen aus. Lass sie etwas schlafen.« Daniel wusste, dass Rick recht hatte. Er gestand es sich ungern ein und er wollte Katherine nicht zurücklassen, aber im Moment konnte er nichts für sie tun und so folgte er seinem Bruder, der sich auf seinen Gehstock stützte und voraus zum Herrensalon ging. Müde sank Daniel in den Sessel vor den Kamin und verbarg sein Gesicht hinter der Hand. Er wusste nicht, was er tun sollte oder wo ihm der Kopf stand. Die Ereignisse der vergangenen Tage schlugen alle mit einem Mal über ihm zusammen. Rick hielt ihm ein Wiskyglas hin.

»Du siehst aus, als könntest du das im Moment gut gebrauchen.«, war seine Erklärung und setzte sich seinem Bruder gegenüber. »Was ist los mit dir? Warum schaust du so niedergeschlagen, Daniel?« dieser seufzte und lange herrschte Stille zwischen den beiden Brüdern. Daniel suchte nach den richtigen Worten. »Es steht ernster um Katherine, als wir alle zunächst dachten.«, eröffnete er dann. »Was soll das heißen?«, hakte Rick nach. »Der Arzt meinte, dass jeder weitere Infekt sie sehr schwächen könnte. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob sie dieses Fieber übersteht. Aber wenn dem so ist, dann wird sich ihr Leben in Zukunft auf jeden Fall stark verändern.« Rick seufzte. »Genau wie bei Mutter.« darauf erwiderte Daniel nichts. Es schnürte ihm die Kehle zu, wenn er daran dachte. »Sie sollte hier bleiben, bei uns. Dir liegt sehr viel an ihr, das kannst du nicht mehr verleugnen. Deine Angst um sie spürt jeder in diesem Haus, Daniel. Und sie ist dir auch deutlich anzusehen. Du musst ehrlich zugeben, dass es hier um Einiges freundlicher geworden ist, seit sie da ist. Dieses Gemäuer ist seit Jahren wieder mit Leben erfüllt und das haben wir allein Katherine zu verdanken. Endlich bist du aus deinem Schneckenhaus herausgekommen, Daniel.«

»Was nutzt das, wenn sie mir doch wieder entrissen wird?« »So solltest du nicht denken. Im Gegenteil. Zeig ihr endlich, wie viel sie dir bedeutet. Springe über deinen Schatten. Mach ihr das Leben hier so angenehm wie möglich. Sie sollte sich wohlfühlen in diesem Haus. Wenn sie ihre Familie um sich hat, kann das nur förderlich sein für ihr Wohl. Sie hängt sehr an ihnen und sollte so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen. Vielleicht hilft es ihr, schneller wieder auf die Beine zu kommen.« »Ich weiß und nichts liegt mir ferner, als sie von ihrer Familie zu trennen. Sie alle werden hier immer ein Dach über dem Kopf finden.« Daniel leerte sein Glas in einem Zug. Er spürte das Brennen des Alkohols in seiner Kehle, aber es war ein willkommenes Brennen, was ihn von seinen Sorgen für einen Augenblick ablenkte. »Weißt du,«, begann Rick dann erneut, »du solltest Katherine nicht in Watte packen, wenn es ihr besser geht. Behandle sie so normal wie möglich. Sie ist nicht aus Glas und sie mag es nicht, wenn alle um sie herum schleichen. Sie hat einen sehr starken Willen und du solltest ihr das Gefühl geben, sie voll zu unterstützen. Bevor-munde sie nicht zu sehr.« »Ich werde mich bemühen, aber ich kann dir nichts versprechen.« Daniel stand auf und stellte das Glas auf einen kleinen Beistelltisch. »Ich werde wieder nach oben gehen und nach ihr sehen.« »Übernimm dich nicht. Du bist ihr keine Hilfe, wenn du dir nicht hin und wieder eine Pause gönnst.« der Ältere lächelte matt. »Ich weiß.«, dann schloss er die Tür und Rick starrte noch einen Moment auf das Eichenholz. Dann seufzte er. »Unverbesserlich.«, murmelte er vor sich her und leerte auch sein Glas. Müde erhob er sich und stützte sich auf sei-nen Stock, um sich in seine Räume zurückzuziehen.

Daniel stand unentschlossen an der Tür in Katherines Zimmer und schaute auf sie herab. Sie war schrecklich blass und ihre Gesichtszüge wirkten, als würde sie einen schlimmen Kampf austragen. Er ging leise zu ihr herüber und wechselte das Tuch auf ihrer Stirn. Sie war glühend heiß. »Ich bitte dich, lass mich hier nicht zurück. Ich will dich nicht auch noch verlieren.«, flüsterte er in ihr Ohr und strich ihr sanft über den Kopf. Sie atmete tief ein.

Er verbrachte einige Zeit an ihrer Seite, ohne dass sich ihr Zustand änderte. Irgendwann, in den frühen Morgenstunden, klopfte es an der Tür und Resi trat vorsichtig ein. »Ich werde einige Zeit bei ihr bleiben. Ruht Euch aus. Ihr braucht dringend Schlaf.« sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. Daniel war zu müde um zu widersprechen. Dankend legte er seine Hand auf ihre, stand dann auf und zog sich zurück. Er brauchte dringend Schlaf und musste nachdenken! Er wusste, er konnte sich auf Resi verlassen. Sie und Katherine waren gute Freundinnen geworden und verstanden sich auch ohne Worte.
 

Die Tage vergingen und Silvester stand vor der Tür. Katherines Familie wechselte sich mit Daniel, Rick und der Dienerschaft des Hauses ab, um an Katherines Seite zu sein und auf sie aufzupassen. Daniel musste einige Dinge regeln, was die Inhaftierung von Michael Smith anging. Er wollte persönlich dafür sorgen, dass er so weit weg wie möglich war und nie wieder in diese Gegend zurückkam. Und er wollte alles, was mit diesem Menschen zu tun hatte, von Katherine und ihrer Familie fernhalten. Es war das Mindeste, was er jetzt noch tun konnte, damit sie ihren Frieden wieder fanden.

Normalerweise gab seine Familie auch am letzten Tag des Jahres ein großes Fest mit einem farbenprächtigen Feuerwerk zum Jahresende. Aber in Anbetracht der momentanen Situation sah sich Daniel außer Stande, diesem Tag etwas Feierliches abzuringen. Ihm war nicht nach Frohsinn zu Mute und erst recht war ihm nicht danach, das Haus mit Menschen zu füllen, die scheinheilig waren und für die am Ende nur das Geld zählte. Alles, was er wollte war, dass Katherine endlich wieder wach wurde und außer Gefahr war. Sie so schwach und verletzlich zu sehen, wo sie doch sonst immer so stark und selbstbewusst war, brach ihm das Herz. Er wollte sie nie wieder so sehr leiden sehen, wenn es ihr wieder besser gehen sollte. Dafür würde er alles tun.

Sein Vater übernahm die Geschäfte, um die sich Daniel während seiner Abwesenheit gekümmert hatte. Auch er hatte Katherine ins Herz geschlossen. Auch, wenn er sie nur flüchtig auf dem Ball am Weihnachtsabend gesehen hatte und in der Küche zuvor nur ein kurzes Gespräch mit ihr führen konnte. Sie erinnerte ihn stark an seine Frau zu Lebzeiten. Sie konnte einen ganzen Raum durch ihre Anwesenheit zum Strahlen bringen. Doch vor allem hatte sie seine beiden Söhne verändert. Daniel kam endlich wieder aus sich heraus und sein jüngster Sohn, Rick, betrachtete das Leben nicht mehr als Spiel. Er nahm die Dinge jetzt ernster und zeigte Interesse an der Arbeit und den Geschäften seines Vaters. Dafür war er dankbar. Er wusste, wie sehr ihr Zustand seinen ältesten Sohn quälte. Ihm war es damals am Sterbebett seiner Frau ebenso ergangen.

Am Silvestertag lag das Haus gespenstisch ruhig da. Keinem war nach feiern zu mute. Daniel hatte in Übereinstimmung mit seinem Vater die Bediensteten frei gestellt, damit sie mit ihren Familien feiern konnten. Und Daniel wiederum verbrachte die Nachmittags- und Abendstunden bei Katherine, an ihrem Bett. Ihr Fieber war etwas zurückgegangen, aber es war noch nicht überstanden. Der Doktor kam täglich vorbei um nach ihr zu sehen. Er brachte Medikamente, konnte ansonsten je-doch nicht viel für seine junge Patientin tun. Daniel konnte die Ungewissheit kaum noch ertragen. Er vermisste Katherines Lachen und das Strahlen ihrer Augen. Er vermisste den Klang ihrer Stimme und ihre bestimmte Art. Gedankenverloren blickte er aus dem Fenster des Zimmers, während das Buch, welches er zur Ablenkung las, auf seinem Schoß ruhte. Aus dem Augenwinkel heraus vernahm er eine Bewegung und sah zu Katherine herüber. Sie drehte sich gerade auf die Seite, das Gesicht in seine Richtung gewandt. Das erste Mal seit Tagen schien der Ausdruck auf diesem friedlich zu sein. Es ging ihr wohl etwas besser. Daniel stand auf und ging zu ihr herüber. Er setzte sich und nahm ihre Hand in seine.

Mit flatternden Lidern öffnete Katherine am Silvesternachmittag müde die Augen.

Die Schmerzen in ihrem Rücken waren nicht mehr so schlimm, aber alle Glieder taten ihr weh und fühlten sich steif an. Sie konnte sich kaum rühren. »Wie geht es dir?«, vernahm sie die tiefe, sanfte Stimme von Daniel Elchot. Sie blickte zu ihm auf. Ein müdes Lächeln umspielte seine Lippen und erreichte seine Augen. Auch sie musste lächeln. Es war schön, ein Gesicht zu sehen, das ihr so wichtig war. Er schien immer bei ihr zu sein, egal wann. »Wie lange habe ich geschlafen?«, war ihre erste Gegenfrage. »Nur eine kleine Weile. Geht es dir besser?« sie nickte schwach. »Die Schmerzen sind erträglicher. Aber ich bin immer noch müde.« »Dann schlaf noch etwas« »Nein.«, widersprach sie jedoch und schüttelte leicht den Kopf.

»Ich habe Angst, dass ich nicht wieder aufwache, wenn ich einschlafe.« »So ein Unsinn.« liebevoll strich er ihr durchs Haar. Eine Geste, die für Daniel inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden war. Er hatte das in den vergangenen Tagen so oft gemacht ohne dass sie es gewusst hätte! Vorsichtig drückte sich Katherine nach oben, sodass sie aufrechter saß. Daniel war ihr behilflich. Sie schlug eine Hand vor den Kopf und erschrak, als sie bereits dabei zitterte. Sie fühlte sich schwach und ihr Kopf dröhnte. »Möchtest du etwas essen?«, wollte er wissen und sah sie eindringlich an. »Nein, ich habe keinen Hunger. Etwas Wasser würde mir reichen« Daniel brachte ihr ein Glas Wasser. Er half ihr und hielt das Glas, während sie es mit beiden Händen umfasste und kleine Schlucke zu sich nahm. Danach fühlte sie sich etwas besser. »Welcher Tag ist heute?«, wollte sie dann wissen und stellte das Glas zur Seite. »Unwichtig.«, bekam sie nur als Antwort. Daniel Elchot sah ihr tief in die Augen. Sie wusste nicht, wie sie diesen Blick deuten sollte.

Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und kam ihr näher, bis er seine Lippen schließlich auf ihre senkte und sie küsste. Für einen kurzen Augenblick war sie wie versteinert. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihre Hände verkrampften sich auf der Bettdecke. Doch seine warmen, weichen Lippen auf ihren und sein unwider-stehlicher Duft ließen sie alles vergessen und sie gab sich ganz diesem Kuss hin. Die Zeit schien still zu stehen für den Bruchteil einer Sekunde. Dann drückte er sie fest an sich und sog ihren Duft tief ein. Worte waren in diesem Moment nicht mehr nötig. Katherine verstand die tiefe Bedeutung dieser wortlosen Geste. Zögernd legte sie ihre Arme um den Mann, der ihr bisher ein Rätsel geblieben war und den sie stets versucht hatte zu erreichen. Nun schien es ihr endlich gelungen zu sein. »Tu mir das nie wieder an, Katherine.«, flüsterte er dann unvermittelt an ihrer Seite. »Ich bitte dich darum. Sei vorsichtiger. Lass mich nicht allein.« diese Worte, von einem Mann der stets so unnahbar wirkte ihr gegenüber, trafen Katherine mitten ins Herz. »Ich verspreche es.« etwas anderes konnte sie gar nicht sagen. Wie sollte sie ihm widerstehen können? Es war einfach unmöglich.

Unvermittelt löste sie sich dann von Daniel Elchot und sah ihn an. Sie fühlte sich schläfrig. Sie brauchte etwas Ruhe. »Ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, aber-« »Ich verstehe schon.«, unterbrach Daniel sie. »Du brauchst Ruhe. Das leuchtet mir ein. Ich werde dich eine Weile allein lassen. Kann ich etwas für dich tun, wenn du wieder aufwachst?« sie schüttelte lächelnd den Kopf. Widerwillig erhob sich Daniel und gab Katherine damit vollkommen frei. An der Tür blickte er noch einmal zu ihr zurück. Katherine war bereits wieder völlig unter die Decke gerutscht und hatte die Augen geschlossen. Er atmete erleichtert auf und schloss dann so leise wie möglich die Tür. Auf dem Gang lehnte er sich an die Wand. Er konnte es kaum glauben! Endlich war Katherine auf dem Weg der Besserung! Endlich konnten alle aufatmen! Nun konnte das alte Jahr doch noch gebührend abgeschlossen werden um das neue zu begrüßen.

Rick kam gerade von draußen. Er schien sehr zu frieren, denn er rieb sich die Hän-de und hauchte hinein. »In den Stallungen ist alles soweit in Ordnung.«, rief er zu seinem Bruder herauf, ehe er bemerkte, dass er gar nicht bei der Sache zu sein schien. Also machte er sich auf dem Weg zu ihm. »Geht es dir nicht gut?«, fragte er noch, als er auf halber Höhe war. Erst jetzt schien sich Daniel zu besinnen. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und wartete dann, bis Rick vor ihm stand. Er blickte seinem kleinen Bruder direkt in die Augen. »Sie ist endlich aufgewacht. Es geht ihr wieder besser.« aufmunternd lächelnd klopfte Rick seinem großen Bruder auf die Schulter. »Das sind gute Nachrichten. Du solltest es ihrer Familie sagen.« Daniel nickte und begab sich auf den Weg.
 

Rick und Resi beschlossen kurzer Hand, am Abend ein Essen für Katherines Fami-lie zu machen. Sie luden alle in den großen Saal ein und verbrachten dort einen freudigen Abend. Nur Daniel hielt sich zurück. Die Anspannung war noch nicht vollkommen von ihm gewichen. Er konnte noch nicht recht daran glauben, dass sie tatsächlich auf dem Weg der Genesung sein sollte!

Es zog ihn wieder nach oben in Katherines Zimmer. Er wollte bei ihr sein und für sie sorgen. Er wollte in ihrer Nähe bleiben und auf sie achten, damit er sicher ge-hen konnte, dass es ihr auch wirklich gut ging. Rick, der neben ihm saß, stieß ihn immer wieder von der Seite an und versuchte ihn aus seinen Gedanken zu reißen, aber es gelang ihm nicht vollkommen. Irgendwann gab er mit einem Seufzen auf. »Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass du die gute Laune von Katherines Familie gar nicht annehmen willst, Daniel.« »Entschuldige. Ich bin einfach nicht bei der Sache.« »Verstehe. Aber solltest du Katherine nicht einfach mal eine Weile für sich lassen? Sie schläft sicher. Du sitzt hier wie auf Kohlen, dabei kannst du im Moment sowieso nichts für sie tun.« »Ich trau dem Frieden nicht. Sie ist noch nicht über den Berg.« »Mein Gott, du bist so ein Schwarzseher. Dann geh eben zu ihr.«

Ohne viel Aufsehen zu erregen verschwand Daniel von der Tafel. Die Nacht war sternenklar, als er durch das Fenster sah. Oben hatte Resi dafür gesorgt, dass das Feuer im Kamin brannte und das Zimmer wärmte. Katherine blicke Daniel mit wachen Augen an. Ein Buch ruhte auf ihrem Schoß, aber sie wirkte noch immer sehr blass und zerbrechlich, auch wenn sie sich bemühte zu lächeln und stark zu wirken. Ohne große Umschweife setzte Daniel sich direkt vor sie auf die Bettkante und legte eine Hand auf ihre Stirn.

»Du hast noch immer Fieber.« »Aber es geht mir besser. Dank der guten Pflege, die Ihr mir zu Teil werden lasst. Nur leider ist es hier oben sehr einsam und langweilig auf Dauer. Ich würde gern einen Spaziergang um das Haus unternehmen.« »Noch nicht. Erst, wenn der Doktor sagt, dass du dafür kräftig genug bist.« Daniel bemühte sich sehr, ruhig zu wirken. Aber er war innerlich sehr angespannt. Er wollte nichts riskieren. Er konnte verstehen, dass Katherine sich bewegen und an die frische Luft wollte, aber er wiederum konnte keinesfalls riskieren, dass sie einen Rückfall erlitt! Das würde er nicht verkraften.

»Tu mir den Gefallen und gedulde dich bis dahin. Dein Fieber muss erst auskuriert sein. Das verstehst du sicher.« widerwillig nickte Katherine. »Ihr habt mir noch im-mer nicht gesagt, welcher Tag heute ist. Ich konnte Stimmen hören im Haus. Gibt es etwas zu feiern?«, fragte sie dann. »Es ist der letzte Tag des Jahres, Silvester. Deine Familie ist unten im Saal und feiert, dass es dir besser geht.« das brachte sie zum Schmunzeln. »Das freut mich. Dann geht es allen ja richtig gut.« es herrschte Schweigen zwischen den beiden für einige Zeit. Katherine sah verträumt aus dem Fenster. »Erzählt mir, was genau geschehen ist.«, eröffnete sie dann. Sie konnte sich an nichts aus den vergangenen Tagen erinnern. Wie auch?

Sie musste im Fieberwahn gewesen sein! Immer wieder war sie von demselben Albtraum heimgesucht worden. Während sie allein im Zimmer gelegen und gelesen hatte, musste sie immer wieder daran denken. Alles war ihr so real vorgekommen. Die Flammen, die sie umgeben hatten, die Schreie der Menschen um sie herum. Jemand hatte sie gehalten, sie beruhigt. Sie konnte nicht mehr genau sagen ob das ein Traum gewesen war oder wirklich geschehen. Es schien, als sollte sie sich an etwas längst Vergangenes erinnern, aber sie wusste einfach nicht, was es war! Je-des Mal, wenn sie angestrengt darüber nachdachte wurde ihr schwindelig und alles verschwamm vor ihrem Blick. Sie wischte sich über die Augen. »Ist alles in Ordnung?«, fragte Daniel besorgt nach und ergriff sie am Handgelenk. »Alles bestens, wirklich. Bitte erzählt mir, was ich alles verpasst habe.« Daniel seufzte. Das hatte er in letzter Zeit ziemlich oft getan. »Du hast wirklich nichts verpasst. Du lagst einige Tage im Fieber. Es stand während dieser Zeit sehr schlecht um dich. Selbst der Arzt konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob du es schaffen würdest.« »So schlimm war es? Ich glaube, ich kann mich dunkel daran erinnern, dass er mit Euch sprechen wollte. Was wollte er?« Daniel zögerte.

Sollte er es ihr wirklich sagen? War sie dazu bereit? Vermutlich. Der Einzige, der es nicht war, war er selbst! Er wollte sie um jeden Preis schützen und vermutlich auch sich selbst. Aber es war ihr gutes Recht, alles zu erfahren. Er durfte es ihr nicht verheimlichen! »Du wirst ab sofort sehr vorsichtig sein müssen. Du bist anfälliger, als andere. Du könntest schnell wieder krank werden.« »Was soll das bedeuten?« Katherine verstand nicht recht. »Seit deiner Erkältung, als du im Wald aufgefunden wurdest, ist dein Körper geschwächt. Darum ging es dir auch so schlecht in letzter Zeit. Selbst ein Schnupfen könnte in Zukunft zu einem großen Problem für dich werden. Du musst sehr vorsichtig mit dir sein und gut auf dich achten.«

»Soll das heißen, dass ich nicht mehr nach draußen gehen darf?« »Nein.« Daniel schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich weiß, das kann ich dir nicht verbieten, selbst wenn ich es wollte. Aber du musst mir versprechen, dass du gut auf dich Acht gibst. Du wirst öfter erkranken als andere und wenn es dazu kommen sollte, wirst du vermutlich mehr als andere darunter leiden.« »Ihr wollt mir also damit sagen, dass ich sterben könnte, wenn ich wieder krank werde.«, stellte sie gelassen fest. Dass etwas nicht in Ordnung war, hatte sie schon lange bemerkt. Sie war normalerweise nicht so anfällig. Aber damit konnte sie leben. Sie musste eben etwas zurücktreten und durfte nicht mehr über die Strenge schlagen. Aber das war in Ordnung!

Sie hatte ihren inneren Frieden gefunden. Sie wusste nun wo sie hingehörte und das konnte ihr niemand mehr nehmen. »In Ordnung. Ich werde mich bemühen, in Zukunft nicht mehr so nachlässig mit mir zu sein.«, versprach sie. Wieder blickte sie aus dem Fenster. Es schienen sich alle große Sorgen um sie gemacht zu haben. Allen voran Daniel Elchot. Der Kuss verwirrte sie noch immer. Und sie musste sich noch für ihr ungebührliches Verhalten von neulich entschuldigen. Sie hatte ihn zu Unrecht bezichtigt, die Situation für ihr Dorf verschlimmert zu haben. »Es tut mir leid.«, sprach sie darum und wagte nicht, den Sohn von Mister Elchot anzusehen. »Was meinst du?«, fragte Daniel erstaunt und betrachtete sie aufmerksam. »Ich war ungerecht zu Euch. Manchmal, wenn mein Temperament mit mir durchgeht, spreche ich schneller als ich denke. Dann sage ich Dinge, die nicht in Ordnung sind. Ich habe Euch vor Eurem Vater bloß gestellt und beschämt. Das tut mir sehr leid. Ich kann diesen Fehler nicht wieder gut machen.« nun lächelte Daniel. Er legte Katherine eine Hand an die Wange und strich ihr im gleichen Atemzug eine Strähne aus dem Gesicht und hinters Ohr.

Sie wandte sich ihm zu bei dieser Geste. »Mach dir bitte keine Gedanken mehr um das, was längst hinter uns liegt.« darauf vermochte sie nichts zu erwidern. »Kann ich noch etwas für dich tun, Katherine?«, fragte er in die Stille hinein. Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich werde vielleicht noch etwas schlafen. Es schmerzt noch immer und ich fühle mich müde. Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich nachher gern mit Rick sprechen.« Daniel versetzte es wieder einen Stich ins Herz, aber er konnte ihr den Kontakt nicht verbieten und er wusste, dass die beiden eine tiefe Freundschaft miteinander verband. Er musste sich keine Sorgen machen. Rick empfand gegenüber Katherine nicht wie er, das beruhigte ihn. Außerdem würde er für sie sorgen wie für eine Schwester und für sie einstehen. Sie genoss den Schutz seiner Familie, mehr konnte er nicht geben oder?
 

Die Zeit verging, das neue Jahr brach an und Mister Elchot Senior brach wieder zu einer langen Geschäftsreise auf. Katherine beobachtete vom Fenster ihres Zimmers aus, wie die Kutsche davonfuhr und Daniel dieser hinterher sah, bevor er schließlich wieder das Haus betrat. Es ging ihr inzwischen deutlich besser. Die Wunden heilten gut, das Fieber war nicht zurückgekehrt und um Daniel zu beruhigen, hatte sie das Haus bisher nicht verlassen. Sie hatte ihm versprochen, auf die Erlaubnis des Doktors abzuwarten und daran würde sie sich halten. Sie wusste, wie besorgt der ältere Elchot-Bruder war und wollte ihm nicht noch mehr Schwierigkeiten bereiten.

Glücklicherweise konnte er ihr nicht verbieten, das Haus zu erkunden und so hielt sie sich oft in dem großen Saal auf, in welchem der Weihnachtsball stattgefunden hatte, um auf die verschneite Gegend hinauszuschauen. Die große Glasfront des Hauses gewährte ihr einen Blick, den sie stundenlang genießen konnte. Sie hatte es noch nicht gewagt, Daniel auf Michael Smith anzusprechen. Es schien ein Thema zu sein, über welches er nicht mehr sprechen wollte. Jedes Mal, wenn sie diesen Namen erwähnte, verfinsterte sich seine Miene und seine Laune sank. Aber sie konnte es auch nicht hinter seinem Rücken mit Rick besprechen. Sie wusste, dass sie Daniel dann in seinem Stolz gekränkt fühlen würde. Und dann wäre er vermutlich noch unleidlicher!
 

Mit einer Stola über den Schultern begab sich Katherine auf den Weg in den unteren Bereich des Hauses. Daniel hatte wieder so beschäftigt geschaut, sodass sie sich zu Resi in die Küche setzen wollte, um ihr Gesellschaft zu leisten. Dort war es immer herrlich warm und gemütlich. Inzwischen hatte sie sich mit einigen Bediensteten der Familie angefreundet und genoss es, sich mit ihnen beim Essen zu unterhalten oder ihren Erzählungen einfach nur stumm zu lauschen. Die Zeit allein in ihrem Zimmer wurde ihr einfach zu lang aber sie wusste, sie durfte Daniel auch nicht ständig stören. Und darum war der Aufenthalt bei den Angestellten in der Küche für sie einfach die beste und aufregendste Abwechslung. Außerdem war Daniel einige Tage nicht bei ihr gewesen und sie ging davon aus, dass er einfach viel zu tun hatte. Aber sie musste sich auch eingestehen, dass ihr die Gespräche mit ihm fehlten. Er war so ernst und tiefgründig und sie mochte es, mit ihm über das Leben zu philosophieren.

Resi stand, wie üblich, am Ofen und war damit beschäftigt, das Essen vorzubereiten, als Katherine die Tür leise hinter sich schloss. Sie setzte sich schweigend an den Tisch und schaute ihr eine Weile zu. »Ich brauche deine Hilfe, Resi.«, eröffnete sie schließlich und erschrocken ließ die Angesprochene die Kelle fallen, welche sie bis eben noch festhielt. Sie drehte sich zu Katherine um und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Was brauchst du denn«, wollte sie wissen. »Ich brauche etwas zum Anziehen. Meine Kleider sind alle bei meinem Onkel im Haus und ich habe versprochen, nicht vor die Tür zu gehen, bevor ich die Erlaubnis dazu habe. Aber ich kann nicht tagelang im Morgenmantel herumlaufen. Daniel Elchot scheint schwer beschäftigt zu sein, denn obwohl er mir zusicherte, er würde meiner Familie bescheid geben, damit sie mir etwas herbringen, ist noch immer nichts bei mir angekommen. Ich muss mich hier verstecken. Im Morgenmantel und Nachthemd kann ich nicht im Haus umherwandern. Das wäre anderen gegenüber sehr peinlich, vor allem, wenn Mister Elchot Besuch bekommen sollte.« Resi nickte zustimmend. »Du hast Recht, das geht nicht. Zum Glück kenne ich die passende Lösung für dieses Problem.«, meinte sie schmunzelnd und bedeutete Katherine, ihr zu folgen. »Bitte nicht wieder eins dieser prachtvollen Kleider.«, warf Katherine ein. Ihr schwante immer Böses, wenn Resi so in sich hineinschmunzelte. »Nein, keine Sorge. Die Kleider wurden auf Anweisung Daniel Elchots aus dem Haus gebracht.« dennoch betraten sie eben jenes Zimmer, in welchem die Kleiderschränke seiner Mutter standen. Als Resi die Türen öffnete, fand sie jedoch völlig andere Kleider darin vor, als zu dem früheren Zeitpunkt, als sie hier gewesen waren. »Daniels Anweisungen waren ziemlich deutlich. Er ließ dieses Zimmer extra für dich neu einrichten. Er wollte, dass es dir hier an nichts fehlt.« staunend ging Katherine umher. Sie bemerkte die frischen Blumen an den Fenstern. Alles wirkte freundlicher und wärmer wie zuvor. Nicht mehr so traurig und grau. »Warum?«, war ihre einzige Frage. »Kannst du dir das denn noch immer nicht denken?« sie lächelte. Natürlich. Sie konnte sich diese Frage selber beantworten.

Resi ließ sie allein in diesem Zimmer und etwas später gesellte sich Katherine, neu gekleidet, wieder zu den Hausangestellten in die Küche. Sie hatte ihre Haare gebürstet und hochgesteckt. Das Kleid war in einem zarten Hellblau gehalten und weiße Spitzenränder zierten die Ärmel und den Saum. »Du wirkst wie die Hausherrin.«, bemerkte Resi. Katherine lachte. »Ich werde Mister Elchot Tee bringen. Er scheint sehr beschäftigt zu sein jetzt, wo sein Vater wieder auf Geschäftsreise ist. Vermutlich wird er nicht mehr aus dem Arbeitszimmer herauskommen« schon machte sie sich an den Schränken mit dem Geschirr zu schaffen und stellte alles auf ein Tablett auf den Tisch.

Eine Weile schaute Resi ihr zu, wie sie den Tee zubereitete und dann aus der Küche verschwand. Katherine sprach kein Wort. Sie wollte auch gar nichts sagen. Die Wunden auf ihrem Rücken zogen etwas, als sie das Tablett in die Hände nahm, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Irgendwann musste sie wieder ganz normal leben. Sie konnte sich nicht ewig ausruhen und sie wollte nicht ständig wie eine Kranke behandelt werden. Vorsichtig klopfte sie an der Tür zum Arbeitszimmer an, wartete eine Antwort jedoch nicht ab. Sie drückte die Türklinke nach unten und trat ein. Wie erwartet, war Daniel in seine Arbeit versunken und schaute nicht mal auf, als sie das Zimmer betrat. »Ich bringe Tee.«, eröffnete Katherine und lächelte, als Daniel endlich zu ihr herüber schaute. Er stand sofort auf und sie stellte das Tablett vorsichtig auf seinem Arbeitstisch ab, darauf bedacht, dass sie nicht seine Papiere beschädigte. Es strengte sie doch mehr an als gedacht, diese einfache Aufgabe auszuführen.

»Du sollst dich doch nicht so sehr anstrengen.«, meinte Daniel nur und sah Katherine tadelnd an. Ihm fiel sehr wohl auf, dass sie eines der neuen Kleider trug und er musste zugeben, dass es ihr sehr gut stand. Es war eine gute Entscheidung gewesen, mit der Vergangenheit abzuschließen und Platz für Neues zu schaffen. »Ich möchte mich nützlich machen. Die Warterei macht mich wahnsinnig. Außerdem geht es mir gut und irgendwann muss ich wieder in den Alltag zurück finden.« »Aber nicht so. Du bist nicht eine meiner Hausangestellten.« Katherine schmunzelte. Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass Daniel Elchot protestieren würde, aber damit kam sie gut klar und er würde sich damit abfinden müssen, dass sie in ihr altes Leben zurückkehrte.

»Der Arzt kommt erst in einigen Tagen wieder hierher. Ich kann nicht tatenlos herumsitzen. Wenn ich schon im Haus bleiben muss, dann möchte ich wenigstens meinen Beitrag leisten und niemandem zur Last fallen. Die Papiere stapeln sich bereits wieder auf Eurem Arbeitstisch. Ihr solltet eine Pause einlegen und etwas essen.« »Du sprichst mich noch immer so förmlich an?« sie nickte und betrachtete den Mann ihr gegenüber aufmerksam. Sie konnte sich einfach noch nicht daran gewöhnen, dass er ihr eine persönlichere Anrede anbot. Er war noch immer der Herr dieses Hauses und sie sein Gast, ebenso wie ihre Familie. Ihr Onkel arbeitete für ihn und sie war dankbar dafür, dass sie alle hier unterkommen konnten. Aber es verging auch kein Tag, an dem sie an die Dorfbewohner auf der anderen Seite des Waldes denken musste. Zu gern wollte sie wissen, wie es ihnen ging und wie sie den Winter bisher überstanden. Seit Michael Smith enterbt und inhaftiert worden war, gab es kaum Neuigkeiten von ihren Freunden. Sie vermisste den Hof ihres Onkels noch immer. Die Ruinen verfielen zusehends und dabei wollte sie dieses Haus unbedingt wieder aufbauen!

»Gibt es Neuigkeiten aus der Stadt?«, fragte sie, um abzulenken. Daniel würde wissen, auf welche Neuigkeiten sie wartete. Der Prozess gegen Michael Smith war noch in vollem Gange und sie wusste, dass Daniel dafür sorgen wollte, dass er so weit weg wie möglich von ihr war. »Nein, keine Neuigkeiten. Es wird sicher noch einige Tage dauern, bis das endgültige Urteil gesprochen wurde« »Und was geschieht dann? Wie geht es weiter? Irgendwann wird er wiederkommen.« »Darüber machen wir uns Gedanken, wenn es soweit ist. Bis dahin wird er eine lange Zeit weg sein.« »Und das Dorf? Wie geht es den Leuten im Dorf auf der anderen Seite des Waldes?« bei diesen Worten trat Katherine an eines der großen Fenster blickte hinaus auf die Auffahrt. »Ihnen geht es gut. Mister Smith Senior kümmert sich um das Wohlergehen der Menschen, welche auf seinem Land leben. So hat er es im-mer gehalten.« »Wie wird es weitergehen, wenn er stirbt? Er ist schon sehr alt und gebrechlich. Als ich ihn das letzte Mal sah, war er sehr krank.« »Mach dir darüber keine Sorgen. Es wird sich eine Lösung dafür finden. Du solltest nicht so viel über solche Dinge nachdenken.«

Katherine seufzte. »Es sind meine Freunde, die in diesem Dorf leben. Ich denke jeden Tag an sie und daran, wie es ihnen wohl geht. Natürlich mache ich mir Gedanken darüber und wie es um ihre Zukunft bestellt ist. Ich bin hier und mir und meiner Familie geht es gut. Aber ich fühle mich auch schuldig, denn nicht alle Menschen leben so gut, wie wir es jetzt tun.« starke Hände legten sich auf ihre Schultern und Katherine zuckte zusammen. Hin und wieder spürte sie ihre Verletzungen nur all zu deutlich. »Das brauchst du nicht. Mister Smith und mein Vater sind zu einer Einigung gekommen und Michaels Vater hat das Land unserer Familie überschrieben. Es wird in unseren Besitz übergehen, wenn Mister Smith Senior stirbt. Du siehst, für die Menschen ist gesorgt. Und nun kümmer dich nicht weiter darum. Sorge dich lieber darum, dass es dir besser geht.« sie seufzte. Sie wusste es wirklich sehr zu schätzen, dass Mister Elchot sich solche Gedanken um ihre Gesundheit machte, aber sie fühlte sich nach wie vor nicht wohl dabei.

»Katherine. Ich weiß, es fällt dir schwer Ruhe zu bewahren. Ich kann dich gut verstehen. Gedulde dich noch einige Tage. Warte wenigstens noch bis der Doktor hier war. Ich bitte dich darum.« »Ich verspreche es.«

Katherine sah Daniel Elchot nicht an. Sie drehte sich zur Seite und ging Richtung Tür. »Warte noch.« und das tat sie. Sie blieb stehen und lauschte auf die Schritte hinter sich, die sich ihr näherten. »Wenn du wieder vollständig genesen bist, möchte ich dich einladen, mit mir in die Stadt zu fahren. Es gibt jemanden, dem ich dich gern vorstellen möchte.« nun drehte sich Katherine um. »Wer sollte das sein?« Daniel lächelte. »Meine Tante. Die Elchots sind eng mit dem Königshaus verwandt und ich möchte dich ihr gern offiziell vorstellen. Zum Osterfest wird es einen Ball geben, an welchem die Mädchen in die Gesellschaft eingeführt werden. Ich möchte, dass du mich dahin begleitest.« Katherine war wie vor den Kopf gestoßen. Was sollte sie dazu sagen? Ihr fehlten die richtigen Worte um Daniel gebührend zu antworten. »Ich muss darüber nachdenken.«, war alles, was sie sagte und ging. Alles in ihrem Kopf drehte sich. Neben der Tür lehnte sie sich an die Wand und schloss die Augen. Sie atmete tief durch. Hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass seine Tante die Königin war und er sie in die Gesellschaft der Edelleute einführen wollte? Warum? Ihr war schlecht und schwindelig und sie wusste nicht, ob es von Daniels Worten kam oder von ihrer Verletzung, welche sie gerade sehr deutlich spürte.

»Alles in Ordnung?«, vernahm sie Ricks Stimme vom Eingang. Sie sah auf. Inzwischen konnte er wieder ganz gut ohne Gehstock laufen. Er machte von Tag zu Tag mehr Fortschritte. Bald würde man von seiner Verletzung nichts mehr merken. Er lächelte, wie jeden Tag. Er war immer gut gelaunt und ließ sich von nichts unterkriegen. Jetzt kam er auf sie zu. »Alles bestens.«, antwortete sie kurz angebunden und versuchte, ihre Fassung wieder zu erlangen. »Du bist ganz blass und du wirkst aufgewühlt. Hat mein Bruder dich geärgert?« »Nein.«, antwortete Katherine und ihre Laune besserte sich schlagartig.

»Mir wird das Warten nur zu lang, bis der Arzt endlich wieder hier ist. Ich möchte gern wieder an die frische Luft und spazieren gehen, aber ich habe deinem Bruder versprochen zu warten, bis der Doktor sagt, dass es in Ordnung ist.« »Ich versteh dich gut. Das Wetter ist einfach zu herrlich, um im Haus zu versauern. Aber du musst auch Daniel verstehen. Er war krank vor Sorge um dich. Er würde es nicht verkraften, wenn dir etwas zustoßen sollte.« »Ich weiß und ich kann es sogar nachvollziehen. Aber will er mich denn für immer einsperren? Wie soll ich auf die Beine kommen, wenn ich immer hier drin sein muss?« »In einigen Tagen kommt der Arzt vorbei. Versuch dir die Zeit bis dahin in der Bibliothek zu vertreiben. Es gibt sicher noch einige Bücher, die du noch nicht gelesen hast. Und wenn dir das zu langweilig wird, hat Resi sicher einige Aufgaben für dich, die sie dir von Herzen überträgt. Du könntest zum Beispiel die Weihnachtsdekoration verschwinden lassen. Vielleicht fällt dir etwas ein, wie wir das Haus freundlicher gestalten können. Immerhin steht der Frühling vor der Tür.«

Noch immer lächelnd, ging Rick die Treppe hinauf. Und Katherine blieb nach wie vor mit ihren wirren Gedanken zurück. Sie seufzte. Das Haus auf Vordermann zu bringen war immer noch besser, als gar nichts zu tun und wenn sie sich richtig umsah, dann wirkte die Weihnachtsdekoration inzwischen mehr als fehl am Platz. Wenigstens hatte die Dienerschaft die Weihnachtsbäume entfernt! Vorsichtig stieß sich Katherine von der Wand ab und lief wieder hinüber in die Küche. Es war ein eigen-artiges Gefühl, dass sie sich wieder einmal um das Haus kümmern sollte. So etwas tat normalerweise die Herrin des Hauses. Aber sie fühlte sich noch immer wie ein Gast und nicht gänzlich zugehörig, zu dieser Welt.

Sie würde ein einfaches Bauernmädchen bleiben, egal in welch feine Stoffe Mister Elchot sie steckte. Sie war nicht die Herrin hier und sie wollte sich auch nirgends reindrängen. Vor allem dann nicht, wenn sie daran dachte, wie Gräfin Elisabeth jedes Mal auf sie reagierte. Resi war noch immer in der Küche, als Katherine sich an dem großen, hölzernen Tisch niederließ um sich auszuruhen. »Du bist ja auf einmal so blass, Kathi. Geht es dir nicht gut?«, doch sie schüttelte nur lächelnd den Kopf, als ihre Freundin diese Sorge äußerte. »Alles in Ordnung. Aber wir werden in den nächsten Tagen wieder viel zu tun haben, Resi. Ich wurde darum gebeten das Haus wieder einmal etwas freundlicher zu gestalten. Ich könnte deine Hilfe dabei gut gebrauchen. Immerhin kennst du dich in diesen Mauern besser aus als irgendein anderer.« nun seufzte auch Resi.

»Hat Daniel dir diesen Auftrag gegeben? Solltest du dich nicht lieber noch etwas ausruhen? Er mutet dir zu viel zu.« »Mir fällt hier wirklich die Decke auf dem Kopf, Resi. Und nein, es war nicht Daniel Elchot, sondern Rick. Vielleicht ist das auch gar keine so schlechte Idee. So habe ich wenigstens eine Aufgabe und kann mich beschäftigen.« »Was hast du dir denn vorgestellt?« Katherine überlegte einen Moment. »Zu allererst muss alles beseitigt werden, was vom Weihnachtsfest übrig ist. Der Winter ist bald vorüber und ein bisschen frischer Wind kann diesem Haus nicht schaden. Und wenn das geschehen ist, stellen wir auf jeden Fall Blumen in jeden Raum. Außerdem könnten die Fenster im Eingangsbereich neue Vorhänge gebrauchen. Die jetzigen sind ziemlich dunkel und drücken einem aufs Gemüt. Es wird Zeit für etwas mehr Farbe. Das würde sicher auch Mister Elchot Senior gefallen, wenn er von seiner Reise zurück ist.« Resi lächelte.

»Du weißt, dass solche Aufgaben normalerweise die Herrin eines Hauses über-nimmt oder?« Katherine stutzte. Es war nicht das erste Mal, dass Resi das sagte. »Wieso sagst du das immer wieder?« »Weil ich das Gefühl nicht los werde, dass Daniel dich wohl auf kurz oder lang hier behalten wird und dich zu eben jener machen wird. Oder irre ich mich etwa?« Katherine überlegte. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Daniel verhielt sich ihr gegenüber noch immer merkwürdig. Er war nicht mehr so abweisend wie am Anfang, aber sie traute ihm noch nicht völlig über den Weg und hielt ihn lieber noch auf Abstand.

»Denkst du das denn wirklich?«, fragte sie darum verdutzt. »Mister Elchot äußerte erst vorhin mir gegenüber, dass er mich seiner Tante auf dem Osterball vorstellen möchte. Vielleicht hast du wirklich recht damit.«, murmelte sie vor sich her. Nun stockte Resi in ihrer Arbeit. »Ist das wahr?«, wollte sie wissen. Katherine sah ihre Freundin an. Sie schien ihr nicht recht glauben zu wollen. »Ist dir klar, was das bedeutet, Katherine?« »Nein, nicht wirklich. Ich weiß auch gar nicht, ob ich diese Einladung annehmen soll. Ich gehöre einfach nicht in diese Gesellschaft und ich kann auch gar nicht tanzen. Weißt du denn, was das alles zu bedeuten hat?« »Er wird dich mit diesem Fest offiziell in die Gesellschaft einführen, Katherine. Deine Familie wird an Ansehen dazu gewinnen. Und was es außerdem zu bedeuten hat, werde ich dir wohl kaum erklären müssen.«

»Und erneut zur Zielscheibe von Leuten werden, die etwas gegen uns haben? So egoistisch darf ich nicht sein! Gräfin Elisabeth hasst mich. Sie denkt von Anfang an, dass ich es nur auf den Reichtum der Elchot-Familie abgesehen habe. Sie wird nichts unversucht lassen, um ihre Intrigen zu spinnen und meiner Familie damit zu schaden.« »Dann solltest du Daniel davon erzählen. Er versucht Gutes für dich zu tun. Wenn du ihm nicht sagst, dass du befürchtest damit den Zorn anderer auf dich zu ziehen, wird er nicht wissen dass seine Bemühungen genau das Gegenteil bewirken.« »Ich kann ihm das unmöglich sagen, Resi. Die Gräfin gehört zu seiner Familie. Er wird denken, dass ich einen Keil zwischen ihn und seine Cousine treiben will. Ich kann ihn nach allem, was er für meine Familie und das Dorf getan nicht, nicht so vor den Kopf stoßen. Das wäre unverschämt.« nun setzte sich Resi zu Katherine an den Tisch.

»Offenbar bist du mit der Familiengeschichte der Elchots nicht sonderlich gut vertraut. Miss Elisabeth war schon immer das Biest dieser Familie. Sie bildet sich sehr viel auf ihren Stand ein, in welchen sie hinein geboren wurde. Daniel weiß sehr wohl, dass sie sich nicht so verhält, wie es eine Frau von Adel tun sollte. Du musst nur etwas sagen und er wird ihr sofort verbieten, je wieder einen Fuß auf sein Grundstück zu setzen. Sie mögen zu einer Familie gehören aber das bedeutet noch lange nicht, dass er nicht auf ihre Anwesenheit verzichten kann.« Katherine erwiderte nichts darauf. Wenn es um Mister Elchot ging war sie kein Mensch der großen Worte. Sie wusste nie, wie sie sich Daniel gegenüber verhalten sollte. Es konnte nicht gut sein, Zwist zwischen Familienmitgliedern zu sähen. Egal, welche Probleme sie mit dieser Person hatte oder umgekehrt. Sie hatte nicht das Recht dazu, Miss Elisabeth gegenüber anderen schlecht zu machen. Erst recht nicht, wenn es die eigene Familie war.

Sie stand auf von dem großen Tisch, der mitten in der Küche stand. Sie musste in Ruhe über alles nachdenken auch wenn sie tief in ihrem Inneren bereits eine Entscheidung getroffen hatte.

In den folgenden Tagen war Katherine größtenteils damit beschäftigt, das Anwesen der Elchot-Familie umzugestalten. Die weinroten Vorhänge im Eingangsbereich wurden abgenommen und durch hellgrüne ersetzt. Diese hatte sie auf dem Speicher des Hauses gefunden. Sie veranlasste einen Gärtner, in der Stadt Blumen zu besorgen, damit überall Sträuße aufgestellt werden konnten. Sie teilte die Dienerschaft ein, damit jedes Zimmer auf Vordermann gebracht und gesäubert wurde. Doch bei all der Arbeit stand sie doch immer wieder an der Eingangstür und schaute durch das Fenster nach draußen. Der Schnee taute und die Sonne wurde von Tag zu Tag kräftiger. Hier und da waren bereits die ersten Schneeglöckchen zu sehen und ein zartes Grün kämpfte sich überall auf den Wiesen unter dem verbliebe-nen Schnee hervor. Es stimmte sie traurig, dass sie diese Tage nicht draußen genießen konnte.

Sie vermisste den frischen Duft der Luft und die kühle Brise, die ihr um die Nase wehte wenn der Wind sie streifte. Sie ahnte nicht, dass sie stets beobachtet wurde und ihre Gemütsstimmung nicht unbemerkt geblieben war. Daniel Elchot war sich sehr wohl bewusst, dass sich Katherine in seinem Haus noch immer wie eine Gefangene fühlte und nicht dazu gehörig. Noch immer war es ihm nicht gelungen ihr gegenüber die richtigen Worte zu finden mit denen er ihr erklären konnte, warum er sie unbedingt hier behalten wollte. Er war kein Mann der großen Worte und das würde er vermutlich auch nie sein. Und trotzdem war ihm klar, dass er Katherine früher oder später reinen Wein einschenken musste wenn er wollte, dass sie ihm endlich vertraute und das Eis zwischen ihnen brach.

Die Dienerschaft war den ganzen Tag damit beschäftigt, den Eingangsbereich freundlicher und einladender zu gestalten. Sie putzten die Fenster, klopften die Teppiche aus und wischten den Boden. Katherine nahm zwischendurch auf der großen Treppe Platz, um den Fortschritt der Arbeiten zu beobachten und sich etwas auszuruhen. Die Wunden schmerzten nach wie vor und sie spürte selbst, dass sie noch längst nicht wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte war, wie zum Zeitpunkt vor dem Angriff. Es würde wohl noch lange dauern, bis sie endlich selbst wieder mit anpacken konnte. Sie seufzte und gerade, als sie sich wieder aufraffte um dem Gärtner neue Anweisungen zu geben, öffnete sich die Eingangstür schwungvoll und eine, in ein samtenes, dunkelblau und hoch geschlossenes Kleid gehüllte, Frau betrat das Haus. Der kühle Wind, der sie wie feine Nadeln traf, ließ Katherine frösteln, aber noch mehr erschauerte sie beim Anblick der Frau, die sie sofort scharf ins Auge fasste.

Die Temperatur war auf einmal um einige Grad gesunken und das lag nicht nur daran, dass die Eingangstür offen stand. Miss Elisabeth war wieder einmal hereingeschneit, im wahrsten Sinne. Sie schaffte es immer wieder in den unpassendsten Momenten plötzlich aufzutauchen und sich in Dinge einzumischen, die sie im Grunde gar nichts angingen.

Es passte ihr offensichtlich ganz und gar nicht, Katherine hier anzutreffen und schon gar nicht in dieser Aufmachung. Katherine trug eines der Kleider, die Daniel Elchot extra für sie hatte besorgen lassen. Es war hellgrün und feine Blumenmuster waren aufgestickt. Auch dieses Kleid war mit Spitze besetzt, so wie die anderen, die in dem Kleiderschrank des großen Zimmers hingen. Katherine straffte ihre Schultern und betrachtete den Ankömmling stumm. »Wie ich sehe bist du es noch immer nicht müde, dich bei meinem Cousin einzuschmeicheln.« begrüßte Miss Elisabeth die junge Frau. Katherine legte eine Hand auf das Geländer der Treppe und fasste Elisabeth ebenfalls scharf ins Auge. Sie mochte sie nicht sonderlich und bisher war sie jeder Auseinandersetzung mit dieser Frau, so gut es ging, aus dem Weg gegangen, aber heute würde sie über diese Beleidigungen nicht hinweg sehen. Die Bediensteten waren anwesend und würden die beiden Frauen sehr genau beobachten und sie wusste, dass Daniel in der Nähe war. Der Aufruhr würde nicht unbemerkt von ihm bleiben und früher oder später würde er einschreiten.

Und sie musste sich nicht verstecken, schon gar nicht vor dieser Frau! Das hatte sie lang genug getan. »Miss Elisabeth, wie schön Euch zu sehen.«, begrüßte sie den Gast daher mit einem strahlenden Lächeln und aller Höflichkeit, die sie für diese Person aufbringen konnte. Für einen kurzen Augenblick brachte das die Gräfin sogar aus der Fassung aber nur, bis sie ihren Spitzenfächer aufklappte. »Welchen Plan verfolgst du eigentlich? Ich dachte, ich hätte mich zum letzten Bankett klar und deutlich ausgedrückt. Offensichtlich hast du das Geld meiner Familie nötiger, als ich dachte.« Katherine atmete ruhig ein.

Überall um sie herum war die Dienerschaft noch damit beschäftigt alles herzurichten. Sie wusste, sie folgten dem Gespräch sehr aufmerksam, auch wenn sie taten, als würden sie ihren Arbeiten nachgehen. Sie durften nicht erleben, dass Katherine sich gehen ließ! Sie musste Haltung bewahren und durfte sich nicht anmerken lassen, wie sehr sie das Verhalten dieser Person traf. Und einige von ihnen würden dem Herrn dieses Hauses früher oder später Bericht erstatten, also durfte sie sich keine Fehler erlauben. »Kann ich vielleicht etwas für Euch tun, Miss Elisabeth? Sicher möchtet Ihr Euren Cousin besuchen. Darf ich Euch eine Tasse Tee anbieten, solange Ihr auf ihn wartet?«, wollte sie weiterhin wissen und bemühte sich, höflich zu bleiben.

»Für dich heißt es immer noch, Gräfin! Unfassbar dass du zu allem Überfluss auch noch die Dreistigkeit besitzt mich so respektlos anzusprechen.« »Ich glaube nicht, dass eine Person mit Eurem Charakter dazu im Stande ist, ernsthaft über Respekt zu sprechen. Wenn Ihr mich nun entschuldigt, ich habe noch zu tun. Wenn Ihr wünscht, werde ich Eure Ankunft bei Mister Elchot melden lassen.« Katherine war erstaunt über sich selbst, dass sie so ruhig geblieben war und dabei die richtigen Worte fand um die Situation angemessen zu meistern. Vorsichtig ging sie die wenigen Stufen von der Treppe nach unten und wollte dann nach einem Diener schicken, der Daniel davon in Kenntnis setzte, dass seine Cousine eingetroffen war. Doch so weit kam sie nicht. Wie bereits zum Weihnachtsfest war Miss Elisabeth mit wenigen Schritten bei ihr und packte sie grob am Arm, um sie barsch zu sich her-umzudrehen. Durch die hastige Bewegung tanzten Katherine bunte Punkte vor den Augen und der Schmerz fuhr ihr heftig in den Rücken, doch in der Gegenwart dieser widerwärtigen Person würde sie sich ihre Schwäche gerade jetzt nicht eingestehen! Ihr konnte sie jeder Zeit die Stirn bieten und wenn sie dabei am Boden lag!

»Wie ist das Leben als Dirne? Was bezahlt dir mein Cousin, um diese Freuden mit dir zu teilen? Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass dein Preis besonders hoch ist.« Katherine versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien, doch es gelang ihr nicht. Miss Elisabeth besaß mehr Kraft, als man annehmen mochte. Vielleicht war sie selbst im Moment aber auch einfach nur zu schwach. »Du bist und bleibst eine einfach Dirne. Es wird nicht mehr lange dauern bis sich mein werter Cousin deiner entledigt. Und wenn es soweit ist, werde ich anwesend sein um diesen Triumpf zu feiern. Du wirst wieder im Dreck leben, wo du und deinesgleichen hingehören! Und du wirst das Ansehen dieser Familie nicht weiter beschmutzen!« inzwischen schlug Katherine das Herz bis zum Hals. Ihre Knie wurden weich und ihr Sichtfeld wurde kleiner. Wenn sie sich nicht schnell aus dieser Situation befreien konnte, brach sie vor den Augen dieser garstigen Person zusammen. Dann war es vorbei damit, ihr die Stirn bieten zu wollen. Das durfte nicht geschehen!

»Was soll dieser Aufstand hier?«, erhob sich im Hintergrund eine tiefe Männerstimme, die keine Ausreden oder Entschuldigungen zulassen würde. Offensichtlich war der Tumult nicht an Daniel Elchot vorbei gegangen. Katherine war erleichtert, dass er auftauchte, denn sie wusste nicht, wie sie aus dieser Situation entkommen konnte auch wenn es ihr unangenehm war, dass er ihr wieder einmal zu Hilfe kommen musste und sie in einem schwachen Moment antraf. Die Schritte, welche er zurücklegte als er quer durch den Eingangsbereich auf sie zukam, hallten laut im Haus wieder und nur wenige Augenblicke später war er bereits an ihrer Seite.

»Liebster Cousin.«, säuselte Miss Elisabeth und setzte ihr süffisantes Lächeln auf. »Spar dir deine Heuchelei, Beth! Lass sie sofort los!«, heischte er seine Cousine an. »Nicht doch, liebster Cousin. Dein Gast und ich unterhielten uns gerade, als sie stolperte. Ich wollte nicht, dass sie sich verletzt und hielt sie darum fest.« darauf wusste Katherine nichts zu erwidern. Selbst wenn sie etwas hätte sagen wollen, hätte sie es nicht gekonnt. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und in ihren Ohren rauschte es nur noch. Starke Arme umfassten und hielten sie sicher. Wann war er an ihre Seite getreten? Gerade eben war er doch noch hinter seiner Cousine gewesen!

»Es ist nicht das erste Mal, dass du dich respektlos in meinem Haus verhältst. Vor allem gegenüber meinen Gästen. Du wirst in Zukunft nicht einen Schritt mehr über unsere Schwelle setzen, wenn du dich weiterhin so aufführst.« Daniels Stimme war hart und unbarmherzig. Er würde keine Gnade kennen in dieser Angelegenheit. Katherine kämpfte unterdessen gegen den Nebel, der sich vor ihrem Sichtfeld ausbreitete, an. »Du überschreitest deine Kompetenzen, lieber Cousin! Noch bist nicht du der Herr dieses Hauses! Mir scheint, dir ist nicht bewusst welchem Stand du angehörst und zu welcher Schicht sie gehört!« »Ein Name alleine gibt dir noch lange nicht das Recht, dich über andere zu erheben und anzunehmen, du seist besser als sie!«, polterte er los. »Verlasse sofort dieses Haus und wage es nicht, hier wieder aufzutauchen!« Katherine vernahm das Krachen der Eingangstür und atmete erleichtert auf, als diese grässliche Person ebenso schnell wieder abrauschte, wie sie aufgetaucht war. »Gott sei Dank.«, entfuhr es ihr, ehe ihre Beine unter ihr nachgaben und Daniel sie erneut stützen musste. Vorsichtig bugsierte er sie zur Treppe, wo sie sich setzen konnte und ließ ihr ein Glas Wasser bringen.

»Du solltest dir noch nicht so viel zumuten, Katherine.«, sprach er leise, als sie wieder zu Atem gekommen war und der Schleier vor ihren Augen sich endlich lichtete. »Leider habe ich keinen Einfluss darauf, wann Eure werte Cousine hier auftaucht und uns mit ihrer Anwesenheit beehrt. Ich werde mich also Wohl oder Übel mit ihr auseinandersetzen müssen.« »Ich dachte, sie hätte seit dem Weihnachtsfest dazu gelernt, aber ich habe mich geirrt. Es wird nicht wieder vorkommen, das verspreche ich dir, Katherine. Sie wird nicht mehr in deine Nähe kommen.« Katherine blickte Mister Elchot direkt in die Augen. Sie wusste, er würde alles dafür tun um sein Wort zu halten. Sein Gesicht war dicht vor ihrem.

Katherine errötete, als sie seine Augen, seine Nase und seine Lippen so dicht vor sich sah und sie schluckte. Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Auch er schien die Spannung, die zwischen ihnen herrschte zu spüren, aber er gab ihr nicht mehr Raum um ihm zu entkommen. »Ihr werdet mich nicht immer vor allem Übel in der Welt beschützen können. Irgendwann muss ich wieder für mich selbst eintreten.« »Solange ich es kann, werde ich es tun.« die Spannung war für Katherine kaum noch auszuhalten. Diese Nähe war ihr unangenehm. Sie wusste einfach nicht, wie sie sich verhalten sollte wenn sie ihm so nah war! Sie wusste nicht, was Mister Elchot von ihr erwartete, was sie tun sollte. Mit einem Ruck stand sie auf und ging die Treppe nach oben, um in ihrem Zimmer zu verschwinden.

Es war der einzige Rückzugsort, den sie noch hatte! Doch wenn sie glaubte, Mister Elchot würde sie wie sonst einfach ziehen lassen, hatte sie sich dieses Mal gründlich geirrt. Sie hatte kaum das Zimmer im ersten Stock betreten und die Tür geschlossen, als er auch schon ohne zu fragen eintrat und sie wie üblich scharf ins Auge fasste. Für gewöhnlich tat er das immer dann, wenn er ihr eine Predigt halten wollte. Sie kannte diesen Blick inzwischen sehr gut, aber sie ließ sich schon lange nicht mehr davon einschüchtern. Trotzdem brachte sie so viel Abstand zwischen sich und den Herrn des Hauses, wie es ihr in diesem Zimmer möglich war. Bis in die Fensternische wich sie zurück, als er Schritt für Schritt auf sie zukam und sie scheinbar nicht entkommen lassen wollte. »Warum läufst du immer wieder vor mir davon? Ist meine Anwesenheit so unerträglich für dich?«, wollte er wissen und ließ sie nicht aus den Augen. Katherine schlug das Herz erneut bis zum Hals und sie spürte einen Kloß im Hals. Sie konnte nicht antworten.

Unterdessen stieß sie mit dem Rücken gegen die Wand neben der Fensternische und konnte nicht weiter zurückweichen. Ihr blieb nur, den Blick auf Mister Elchot zu richten und zuzusehen, wie er unaufhaltsam näher kam und schließlich sehr dicht vor ihr stehen blieb. »Warum hältst du dich von mir fern?«, wollte er weiterhin wissen und stützte sich mit den Händen rechts und links neben ihrem Gesicht an der Wand ab. Sie konnte ihm nicht mehr entkommen! Sein Gesicht war erneut dicht vor ihrem. Sie konnte seinen warmen Atem auf ihrer Wange spüren und sein Parvin deutlich riechen. »Begreifst du denn nicht, dass ich nur das Beste für dich will?«, flüsterte er nun und senkte seine Lippen an ihr Ohr.

»Ich möchte, dass du immer in meiner Nähe bist, Katherine. Ich möchte für dich und deine Familie sorgen. Ich möchte derjenige sein, der dich beschützt und auf dich aufpasst. Der dafür sorgt, dass dir kein Leid widerfährt.« langsam entfernte er sich wieder von ihrem Ohr und sah ihr tief in die Augen. »Werde meine Frau, Katherine. Sei an meiner Seite.« dieser Satz schockierte Katherine zutiefst. Für einen Moment setzte ihr Herz aus und ihr Kopf war wie leergefegt. Hatte sie sich vielleicht gerade verhört? Hatte er das wirklich gesagt? Das konnte er unmöglich ernst meinen oder?

»Ist das ein Scherz?«, brachte sie nur hervor. Katherine konnte und wollte einfach nicht glauben, dass ein Edelmann sie ernsthaft zur Frau nehmen wollte. Sie erinnerte sich noch sehr gut an den letzten Antrag, der ihr gemacht worden war. Die Erlebnisse, die sie damit verband, saßen tief in ihrem Gedächtnis und die Panik flüsterte ihr leise zu, dass sie die Finger davon lassen sollte. »Bitte treibt keine Spielchen mit mir.«, sprach sie daher leise. Daniel schien ihre Gedanken genau zu erraten, denn er ergriff ihre Arme und ließ ihr keine Möglichkeit, sich aus der Situation zu befreien. »Ich weiß, was du denkst, Katherine. Aber ich bin nicht Mister Smith. Das sollte dir inzwischen klar geworden sein. Nicht alle Menschen von Adel sind wie er. Ich bitte dich, weise mich nicht ab.« sie schluckte. Sie konnte die Bitte dieses Mannes unmöglich ausschlagen! Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann fühlte sie sich auch geehrt, dass er um ihre Hand anhielt. Sie hatte nie damit gerechnet, das Interesse eines Mannes ernsthaft zu wecken. Aber ihr war schon lange aufgefallen, wie bemüht Daniel Elchot um sie war. Dass er jede Anstrengung unternahm, damit sie sich in diesen Mauern wohlfühlte und es ihr an nichts mangelte. Ihr und auch ihrer Familie. Seit er sie damals im Wald gefunden hatte, war einige Zeit vergangen. Nie hatte er sich ihr unsittlich genähert oder sie mit Absicht in Bedrängnis gebracht.

Er war stets um ihr Wohl und das ihrer Familie bemüht gewesen und jedes Mal, wenn sie ihm über den Weg gelaufen war, war ihr ganz anders geworden. Auch jetzt, wenn er so dicht vor ihr war klopfte ihr Herz heftig gegen ihre Brust. Gerade, als sie ihre Lippen öffnete, um sich zu einer Antwort durchzuringen, verschloss Daniel Elchot diese jedoch mit seinen eigenen. Seine Lippen legten sich warm und weich auf ihre und nach einem Moment, in welchem sich Katherine anspannte und alles in ihr nach Flucht schrie, ergab sie sich und ließ zu, dass er sie mit seinen starken Armen festhielt und ihr diesen Kuss gab. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis er sich wieder von ihr löste und sie frei gab.

»Du musst mir nicht sofort antworten, Katherine. Ich weiß, dass du in Ruhe darüber nachdenken wollen wirst. Und ich werde dir alle Zeit geben, die du brauchst. Du sollst nur wissen, dass, egal wie du dich auch entscheiden wirst, meine Einladung zum Osterbankett bei der Königin immer noch gilt. Ich möchte dich ihr gern vorstellen, ungeachtet dessen ob du meinen Antrag annehmen wirst oder nicht.« kaum hatte Daniel Elchot diese Worte ausgesprochen, war er auch schon aus dem Zimmer verschwunden und Katherine blieb alleine zurück. In der Nische zum Fenster ließ sie sich seufzend auf die Kissen sinken und blickte hinaus. Es war, als hätte er sie sämtlicher Kraft zum Stehen beraubt. Was sollte sie tun? Durfte sie seinen Antrag überhaupt annehmen? Würde ihre Familie damit vielleicht zur Zielscheibe erneuter Angriffe werden? Mister Smith war vorerst außer Reichweite, aber was war mit Miss Elisabeth? Sie konnte sie so schlecht einschätzen! Sie würde sich mit Sicherheit nicht an das halten, was Daniel Elchot ihr gesagt hatte! Andererseits, wenn sie die Herrin des Hauses war, dann konnte sie diese Person ebenfalls des Hauses verweisen! Sie musste sich dann nichts mehr gefallen lassen!

Völlig in ihren Gedanken versunken bemerkte Katherine gar nicht, wie es an ihrer Tür klopfte und Resi mit dem Doktor eintrat. Sie erschrak, als Resi ihr plötzlich eine Hand auf die Schulter legte und sie fragend ansah. Katherine blickte an ihr vorbei und erhob sich schnell, als sie den Doktor erkannte. Er bat sie, sich ihre Wunden ansehen zu dürfen und nachdem Resi Katherine anschließend dabei geholfen hatte, sich die Kleider wieder zu richten, gab er sein Einverständnis, dass sie endlich das Haus verlassen durfte. Erleichtert atmete sie auf. Endlich konnte sie wieder vor die Tür und ihre Familie in ihrem eigenen Haus im Nebengebäude besuchen. Viel zu lang musste sie auf das Lachen der Kleinen verzichten! Ihr erster Weg führte sie also in das Haus ihres Onkels. Ihre gesamte Familie freute sich unheimlich, sie zu sehen. Die Kinder begrüßten sie stürmisch, umarmten und umringten sie, weil sie alles von ihr erfahren wollten und auch Jonathan und Judy schlossen ihre Nichte fest in ihre Arme und begrüßten sie wieder in ihrer Mitte. Mike hielt sich im Hintergrund. Er lächelte seiner Cousine zu, als sie über die Schulter ihrer Tante zu ihm herüber sah und nickte, nur merklich für sie.
 

Am nächsten Tag schritt Katherine mit dem Gärtner über das weitläufige Anwesen der Elchots um mit ihm zu besprechen, wie dieses besser genutzt werden konnte. Katherine wollte Gewächshäuser errichten lassen, um Gemüse anbauen zu können und Blumen, die sich sonst mit dem Wetter in diesen Gefilden schwer taten und die Wärme mehr mochten als die kalten Winter dieses Landes. Sie spürte Daniels Blicke sehr genau auf sich, wann immer sie sich außerhalb des Hauses bewegte. Sie wusste, dass er sie meist von den Fenstern seines Arbeitszimmers aus im Auge hatte oder hinter der Fensterfront im großen Saal stand. Meist mit einem Buch oder irgendwelchen Akten, in der Hand. Sie bemerkte es stets aus dem Augenwinkel heraus. Sie versuchte es zu ignorieren, aber sie konnte es nicht. Sie fühl-te sich beobachtet, aber ebenso auch behütet. Auf eine merkwürdige Art und Weise beruhigte es sie, dass Mister Elchot immer ein waches Auge auf sie hatte und darauf achtete, dass sie sich noch nicht zu viel zumutete. Nachdem die darauffolgenden Tage immer wärmer wurden und der Schnee endgültig schmolz, beschloss Katherine einen Spaziergang zum alten Gehöft ihrer Familie zu unternehmen.

Sie bat Mike, sie zu begleiten und so gingen die beiden los. »Willst du noch immer dahin zurückkehren, Kathi? Du weißt, dass es nie wieder so sein wird wie vorher.«, begann ihr Cousin, als sie das Anwesen der Elchots verlassen hatten und den Weg durch den Wald gingen. »Um ehrlich zu sein, soll es mein letzter Besuch dort werden, Mike.«, sprach sie und lächelte dabei. »Wie soll ich das verstehen?« »Es ist viel Zeit vergangen und ich konnte viel nachdenken. Ich weiß, dass es nicht mehr so wird wie früher. Etwas Neues auf den Ruinen des Alten aufzubauen, kann nicht gut gehen. Ich denke unserer Familie geht es auf dem Anwesen der Elchots gut. Onkel John lebt auf wie nie zuvor und geht der Arbeit gern nach. Und Tante Judy ist auch viel fröhlicher, seit wir dort leben. Wie könnte ich dieses Glück zerstören?«

»Woher kommt der plötzliche Sinneswandel?« Mike war völlig perplex. Mit dieser Einsicht hatte er nicht gerechnet. Katherine lächelte. »Genau darum geht es. Es gibt etwas, das ich gern mit dir besprechen würde, Mike. Du bist mein engster Vertrauter. Ich weiß nicht, wen ich sonst fragen könnte. Du kennst mich nun mal besser als irgend ein anderer.« Mike bedachte seine Cousine mit einem fragenden Blick und blieb stehen. Das Sonnenlicht, welches sich durch die Wolken kämpfte, zauberte fabelhafte Lichtreflexe auf das Gesicht ihres Cousins und ließ ihn wie aus einer anderen Welt erscheinen. »Worum geht es, Kathi? Das klingt ziemlich ernst, wenn du mich fragst.« »Das ist es auch, zumindest für mich.« sie holte tief Luft. Dann sah sie Mike direkt an. »Mister Elchot hat um meine Hand angehalten und ich weiß nicht, was ich tun soll.« »Was? Meinst du das ernst?«, fragte er ungläubig und ergriff die Hände seiner Cousine. »Katherine, das ist großartig!«, entfuhr es ihm und er grinste von einem Ohr zum anderen. »Meinst du?«, fragte sie unsicher. Sie kam sich mit einem Mal vor wie ein kleines Mädchen.

»Aber sicher. Dass er sich für dich interessiert war uns allen von Anfang an klar. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er endlich diesen Schritt gehen würde. Warum überlegst du noch? Du solltest seinen Antrag unbedingt annehmen!« »Aber kann ich das denn überhaupt tun? Wir sind alle nur einfache Bauernleute. Er dagegen ist ein Mann von Adel. Er hat Rang und Namen und den setzt er aufs Spiel, wenn ich seinen Antrag annehmen würde. Außerdem kann Onkel John doch gar keine Mitgift aufbringen. Es ist alles verbrannt! Und es wird böse Gerüchte geben. Die Leute werden denken, dass ich das nur tue, um mir einen Namen zu machen.« »Das ist doch völliger Unsinn, Katherine. Du bist unsicher, das kann ich verstehen. Aber ich weiß auch, dass dein Herz insgeheim schon lange für ihn schlägt. Warum du es dir bisher noch nicht eingestehen wolltest ist mir völlig unklar. Aber es ist nicht an mir, darüber zu urteilen. Du solltest tief in dich hineinhören und dann deine Entscheidung treffen. Vor allem solltest du dabei nicht auf das achten, was andere sagen könnten. Neider wird es immer und überall geben.« Katherine atmete erneut tief ein. Sie sollte also tief in sich hinein hören? Was, wenn sie von dort keine Antwort bekam?
 

Am späten Abend, als die Dunkelheit bereits hereingebrochen war, kamen Katherine und Mike wieder auf dem Anwesen der Elchots an und er brachte seine Cousine ins Haupthaus. Ihr war es nach wie vor unangenehm, von ihrer Familie getrennt unterzukommen, aber sie wusste auch, dass Daniel sie noch nicht gänzlich frei geben konnte. Er wollte es offensichtlich auch gar nicht, denn anderenfalls hätte er ihr wohl kaum einen Antrag gemacht. Im Haupthaus angekommen begab sie sich auf direktem Weg in die Küche. Sie fror und war hungrig und sie wollte unbedingt etwas essen. Die Küche lag verlassen da, als sie diese betrat. Sie zündete den Kerzenleuchter an, der stets neben der Tür stand und stellte ihn auf den großen Tisch. Dann schnitt sie sich eine Scheibe Brot ab und ein Stück Käse von dem Laib, der in einem Korb abgedeckt neben dem Fenster stand. Auch der Krug mit Met stand dort und so goss sie sich einen großen Becher ein und setzte sich an den Tisch. Ihr war den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen, was Mike zu ihr gesagt hatte. Wenn sie alle Zweifel außen vor ließ, dann wusste sie genau, welche Antwort sie Daniel geben wollte. Und was sprach dagegen, dass sie ihr Glück fand? Mister Smith war weit weg. Er würde weder ihr noch ihrer Familie Schaden zufügen können. Und mit der Gräfin würde sie auch fertig werden! Daniel stand in dieser Angelegenheit vollkommen hinter ihr, dessen konnte sie sich sicher sein.

Katherine lächelte. Wer hätte gedacht, dass sich irgendwann alles zum Positiven für sie wenden würde? Es war beinahe zu schön, um wahr zu sein.

Als sie so an dem Tisch saß und aß, meldete sich die Verletzung mal wieder. Offen-sichtlich hatte sie es wieder einmal übertrieben und zu viel gemacht an diesen Tag. Sie stellte ihre Mahlzeit ungewollt ein, denn der stechende Schmerz in ihrem Rücken verdarb ihr den Appetit und verließ die Küche wieder. Am unteren Treppenabsatz musste Katherine dann innehalten und sich am Geländer abstützen. Ihre Schulter pochte unangenehm und sie fror ein wenig. Um den Schmerz zu unterbinden drückte sie ihre Hand auf die schmerzende Stelle und sog die Luft scharf zwischen den Zähnen ein. Für einen Moment befürchtete sie, dass sie wieder erkranken würde. Sie wollte Daniel nicht noch mehr Ärger machen. Sie musste sich zusammenreißen! Sie durfte nicht schwach werden! Daniel würde sie nur wieder in Watte packen.

»Katherine?«, ertönte es in diesem Moment vom oberen Treppenabsatz. Rick stand dort, mit einem Buch in der Hand und einer Brille auf der Nase, die Katherine vorher noch nie an ihm gesehen hatte. Er sah seinem Bruder in diesem Augenblick gerade sehr ähnlich. »Guten Abend.« sprach sie freundlich und lächelte ihn an. Sie wollte Haltung bewahren, doch vermutlich hatte Rick längst durchschaut, was los war. Er legte das Buch auf die niedrige Bank neben der Treppe im Obergeschoss und ging ihr dann entgegen um ihr seine Hand zu reichen. Auch er lächelte. Das tat er immer, wenn er sie sah. Katherine war wie eine Schwester für ihn. Eine Vertraute, der er alles erzählen konnte. Und Daniel liebte sie, das wusste er. Darum würde er sie hüten wie seinen Augapfel. Und er würde nie vergessen, dass sie es war, der er sein Leben zu verdanken hatte. »Ich begleite dich nach oben.«, sprach er.

»Das musst du nicht tun.« »Aber ich möchte es gern.« dankbar ergriff Katherine die Hand, die er ihr reichte und gemeinsam gingen sie hinauf. »Deine Verletzung macht dir wieder zu schaffen, habe ich recht?«, wollte er dann wissen, als er sie, oben angekommen, zu der Sitzbank bugsierte, auf welcher sie seufzend Platz nahm. »Ja, sie macht mir heute etwas mehr als sonst Probleme« »Das merkt man. Du bist ganz blass.« »Sag’s bitte nicht deinem Bruder. Er würde sich nur wieder unnötig Sorgen machen und mich nicht aus dem Haus lassen.« Rick schmunzelte.

Katherine seufzte erneut und starrte auf ihre Hände, die gefaltet in ihrem Schoß ruhten. Rick setzte sich zu ihr. »Was hast du? Bedrückt dich etwas?« sie überlegte einen Augenblick, ehe sie antwortete. »Es ist so viel passiert in den letzten Monaten. Das Meiste erscheint mir wie ein Traum. Manchmal weiß ich gar nicht, ob das wirklich alles geschieht.« »Und das macht dir so zu schaffen?« sie schüttelte leicht den Kopf. »Ich war heute mit Mike bei unserem Haus.«, meinte sie dann.

Sie seufzte und richtete ihren Blick auf Rick. »Ich habe die ganze Zeit geglaubt es sei meine Pflicht, mein altes Leben wieder aufzunehmen. Dass ich es meiner Familie und den Leuten im Dorf schuldig sei nach allem, was geschehen ist – nach allem, was nur wegen mir geschehen ist. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum dein Bruder alles daran setzt, mich hier zu halten. Ich konnte nicht verstehen, dass Menschen eures Standes so gütig sein könnten.« sie machte eine kurze Pause. »In den Ruinen unseres Hofes blühen inzwischen Schneeglöckchen, weißt du?«, fuhr sie dann fort. Rick schmunzelte leicht. »Was ist dir heute klar geworden, als du dort warst?«, wollte er wissen. Etwas schien sie zu beschäftigen und offensichtlich wusste sie nicht, wie sie es in Worte fassen sollte. »Ist es wirklich in Ordnung, dass meine Familie hier lebt?«, richtete sie ihre Frage dann ganz direkt an Rick und sah ihm in die Augen. Er erkannte ihre Unsicherheit und zögerte nicht mit seiner Antwort.

»Aber ja. Niemand hat es mehr verdient als ihr. Und außerdem gehört ihr doch im Grunde auch hierher. Ihr alle seid Teil dieser Familie und dieses Hofes. Immerhin arbeitete dein Vater viele Jahre für unsere Familie. Er lebte auf diesem Grund und Boden, gemeinsam mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter. Und nun sieh dich an. Sieh, was aus dir geworden ist.« er lächelte. »Du bist eine wundervolle, liebenswerte Frau geworden mit einem guten Herzen. Deine Eltern wären sehr stolz auf dich, wenn sie dich so sehen könnten also schäme dich nicht dafür, dass es dir gut geht und du glücklich sein kannst.« das erleichterte Katherine. Sie wusste, Ricks Worten konnte sie Glauben schenken. »Danke.«, sprach sie darum lächelnd und stand vorsichtig auf.

»Ich habe euch so viel zu verdanken. Ich bin sehr froh, dass ich dir und deinem Bruder begegnet bin.« mit diesen Worten wandte sie sich von Rick ab und ging in ihr Zimmer. Nachdenklich sah er ihr nach. Was sollte er von ihren Worten halten? Er hatte sie in der ganzen Zeit hier noch nie in einer solch merkwürdigen Stimmung erlebt. Er wollte der Ursache dafür gern auf den Grund geben, aber er wusste, dass sie nicht mehr darüber sagen würde. Zu gegebener Zeit würde er sicher erfahren, was sie beschäftigte. Sollte er vielleicht Daniel ins Vertrauen ziehen? Das würde sie sicher als Vertrauensbruch betrachten. Und ihr Zustand? Ihr schien es nicht besonders gut zu gehen, das besorgte ihn sehr. Aber auch darüber würde er vorerst Stillschweigen bewahren.
 

Katherine starrte an die Zimmerdecke über ihrem Bett. Ihr altes Leben lag tatsächlich hinter ihr. Michael Smith würde ihr nie wieder zu nahe kommen. Ihre Familie lebte hier auf dem Anwesen und Onkel John konnte den Unterhalt mit der Arbeit sichern. Endlich wurde er gerecht für seine Arbeit entlohnt. Die Dorfbewohner lebten seit vielen Jahren wieder in Frieden und mussten nicht mehr fürchten ihre Kinder an den Hunger zu verlieren, weil sie sie nicht mehr ernähren konnten. Daniel hatte Gräfin Elisabeth des Hauses verwiesen, als diese so ungehobelt mit ihr umgegangen war und Rick war wie ein Bruder für sie. Sie war in Sicherheit, ihr ging es jetzt gut. Ihr wurde klar, dass sie keine Angst mehr haben musste und diese Erkenntnis erleichterte sie so sehr, dass sie weinte und dabei lächelte.

Sie rief sich das Bild des niedergebrannten Hofes in Erinnerung. Warum hatte sie dorthin zurückkehren wollen? Nur wegen ihrer Schuldgefühle?! Aber die brauchte sie nicht mehr zu haben. Alles war gut, also gab es keinen Grund, an einen Ort zurückzukehren, an dem ihre Familie so viel Leid erfahren hatte. Sie musste sich nicht mit Trauer umgeben! Und somit fiel auch ihre Entscheidung, was Daniels Bitte be-traf. Lange hatte sie mit sich gehadert, war sich unsicher gewesen, was sie ihm antworten sollte und war ihm aus dem Weg gegangen. Katherine drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Mit einem Gefühl inneren Friedens und Glücks schlief sie an diesem Abend ein und erwachte am nächsten Morgen, als die Vögel vor ihrem Fenster sangen und die Sonne aus Leibeskräften schien.

Sie bürstete ihr Haar und ließ es offen über ihre Schulter fallen, nachdem sie sich umgezogen hatte. Katherines Entschluss stand fest. Noch einmal betrachtete sie sich in dem kleinen Spiegel auf der Kommode in ihrem Zimmer. >Alles ist gut.<, sprach sie sich innerlich selber Mut zu und legte die feine Haarbürste auf die Kommode. Ihre Hand zitterte dabei, ihre Schulter pochte leicht. Sie atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen. >Werd‘ jetzt nicht schwach!<, sprach sie zu sich selbst und stand auf.

Ihr Weg führte sie direkt in Daniel Elchots Arbeitszimmer. Zögernd klopfte sie an und trat dann ein, nachdem er das Zeichen dafür gab. Vorsichtig schloss sie die Tür hinter sich und trat auf den großen Arbeitstisch zu, an welchem Daniel saß und sie aufmerksam betrachtete. Er fragte sich, was es wohl zu bedeuten hatte, dass sie ihre Haare heute offen trug und nicht, wie gewöhnlich, zu einem Zopf geflochten und am Hinterkopf festgesteckt. »Ich habe nachgedacht«, eröffnete sie dann das Gespräch und blickte ihm direkt in die Augen, was sie große Überwindung kostete. Sie hielt ihre zitternde Hand mit der anderen fest umschlossen, damit er es nicht bemerkte. Daniel stand auf, trat um den Tisch herum und bat Katherine, am Fenster Platz zu nehmen. Er setzte sich ihr gegenüber auf die Fensterbank. Er kam nicht umhin festzustellen, auf welch wundervolle Weise ihr offenes Haar das Sonnenlicht einfing.

Sie erschien ihm an diesem Morgen wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Und sie erinnerte ihn an seine Mutter und zum ersten Mal verspürte er dabei nicht diesen heftigen Schmerz des Verlusts in seiner Brust. »Ich werde Eurer Bitte nach-kommen.«, sprach sie dann und wartete auf eine Reaktion ihres Gegenübers. Doch Daniel wusste nicht, wie er reagieren sollte. So Vieles ging ihm gleichzeitig durch den Kopf! Er wollte sie am liebsten herumwirbeln und küssen! Er wollte sie fest an sich drücken und nie wieder loslassen. Aber das ging nicht. Er musste Rücksicht auf ihren Zustand nehmen! »Ich freue mich, Katherine.«, erwiderte er darum nur.

»Ich bin sehr froh, dass du dich so entschieden hast. Ich werde noch heute mit dei-nem Onkel darüber sprechen.« sie nickte nur stumm. »Versprich mir bitte nur, weiter auf dich aufzupassen. Ich weiß, dass du Schmerzen hast. Ich weiß, dass diese Ver-letzung dir noch immer zusetzt. Du brauchst es nicht vor mir zu verstecken. Ich habe ein sehr geschultes Auge dafür.« Katherine fühlte sich ertappt und schnappte nach Luft. Daniel legte unterdessen seine Hand auf ihre und sah sie mit ernstem Blick an. »Du musst dich nicht verstellen, Katherine. Sei ganz du selbst und lass zu, dass andere sich um dich sorgen und kümmern.«

Sie nickte schuldbewusst.
 

Die kommende Zeit flog geradezu an Katherine vorbei. Alles erschien so unwirklich. In den Wochen, nachdem Daniel mit ihrem Onkel gesprochen und sich damit das Einverständnis und seinen Segen für ihre Heirat geholt hatte, wurde das Anwesen der Elchots immer wieder von Leuten aus dem Dorf, in welchem Katherine mit ihrer Familie gelebt hatte, besucht. Ihre Verlobung sprach sich schnell herum und sie alle kamen, um ihre alles Gute zu wünschen und auch ihre Familie zu dieser vorteilhaften Verbindung zu beglückwünschen.

Dabei war es Katherine gar nicht um diesen Vorteil gegangen! Aber irgendwann war sie es einfach leid gewesen, immer wieder dieselben Sätze zu wiederholen. Daniel öffnete die Grenzen zwischen dem Land seiner Familie und dem der Familie Smith. Er besuchte den alten Mister Smith sehr häufig in der kurzen Zeit bis zum Osterfest und regelte noch einige Details, die für die Zeit nach dem Ableben des alten Herrn wichtig waren. Katherine fragte ihn nie danach, welche Art von Geschäften die beiden Männer miteinander schlossen. Sie vertraute Daniel. Jedes Mal, wenn er von einem Besuch bei Mister Smith zurückkehrte versicherte er ihr, dass Michael ihr nichts mehr anhaben konnte und auch nicht mehr in ihre Nähe kommen würde. Und sie glaubte ihm. Sie wollte es gern glauben.
 

Das Osterfest kam und damit rückte auch der Besuch am königlichen Hof immer näher. Mit jedem Tag, der verstrich, wurde Katherine nervöser. Sie war doch nur ein einfaches Bauernmädchen! Sie wusste gar nicht, wie sie sich in diesen hohen Kreisen zu bewegen hatte, was sie sagen durfte und wann sie sich im Hintergrund zu halten hatte. Dass Daniel und Rick die Neffen einer solchen Persönlichkeit waren und solchen Kreisen angehörten, hatte sie anfangs schockiert und verunsichert. Doch viel mehr wunderte sie sich im Nachhinein über das Verhalten ihrer Cousine – Miss Elisabeth – welche folglich ebenfalls zu dieser Art von Adel gehörte. Vermutlich kam ihre Eitelkeit daher. Zumindest war dies die einzig logische Erklärung für Katherine.

In ihrer Hilflosigkeit, was den Besuch am königlichen Hof betraf, wandte sie sich an Rick. Er kannte die Gepflogenheiten und half Katherine dabei, die wichtigsten Verhaltensregeln zu lernen, um diesen Besuch ohne größere Fauxpas zu überstehen. Der Besuch dieses Banketts war auch ihre offizielle Einführung in die Gesellschaft und gleichzeitig wollte Daniel damit ihre Verlobung gegenüber seiner Familie bekannt geben. Es war ein Anlass bei welchem es niemand wagen würde, sich gegen seine Entscheidung zu stellen und dies hatte er ihr auch so erklärt.
 

Dann war es soweit. Katherine und Daniel fuhren in der Kutsche seines Vaters zum Palast in die Stadt. Sie trug ein hellblaues Kleid, denn diese Farbe mochte sie am meisten und sie wollte sich ein wenig von sich selbst bewahren, wenn sie sich schon so verkleiden musste. Das Oberteil war mit blauen Glasperlen bestickt, welche kleine Blumenmuster bildeten. Der Ausschnitt wurde von feiner, weißer Spitze geziert, welche so angebracht war, dass sie in weichen, zarten Falten über die Schultern fiel und diese damit bedeckte. Das Rockteil des Kleides war im Gegensatz dazu regelrecht einfach gehalten und ohne jeglichen Tand. Resi steckte Katherine die Haare zu einer feinen Flechtfrisur zusammen und brachte dann einzelne Haarnadeln an, welche von kleinen, runden Perlen geziert wurden.

Der Daniel war an jenem Morgen zu ihr gekommen, als Resi ihr gerade mit den Haaren half und hatte ihr eine kleine Schatulle gebracht. Als Katherine diese geöffnet hatte, fand sie darin die Perlenohrringe vor, welche sie auf dem Ball am Weihnachtsabend getragen hatte. Dazu lagen in der Schatulle noch eine dazugehörige Kette und ein Armband. Fein säuberlich waren die makellosen, runden Perlen auf einer feinen Goldkette befestigt. Katherine wusste diese Geste sehr zu schätzen und achtete sehr darauf, diesen Schmuck, der für Daniel so wertvoll zu sein schien, nicht zu beschädigen oder zu verlieren. Sie atmete tief ein, als die Kutsche vor den Palasttoren zum Stehen kam. Daniel legte der Frau an seiner Seite eine Hand auf die ihre und betrachtete sie liebevoll. »Du bist wunderschön. Hab‘ keine Angst. Ich bin sicher, sie wird dich sofort in ihr Herz schließen.« dann entschwand die Hand auf ihrer und Daniel stieg aus, um ihr dann beim Aussteigen behilflich zu sein.

Als Katherine der Königin gegenüberstand und knickste, wie es der Anstand verlangte, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Daniel war an ihrer Seite und die Königin schien sie eine schiere Unendlichkeit einfach nur zu betrachten. Im Audienzsaal war es totenstill. Katherine spürte die vielen Blicke der Edelleute um sich herum. Vor allem die Frauen musterten sie aufmerksam und schienen leise hinter ihren Fächern miteinander zu tuscheln. Das war ihr sehr unangenehm und sie fühlte sich zur Schau gestellt. Ihr war klar, dass dies der offizielle Weg war, den jeder geladene Gast gehen musste um der Königin seine Aufwartung zu machen.

Aber Katherine mochte es nicht, so angestarrt zu werden von allen Seiten. Sie wollte am liebsten hinter dem nächsten Vorhang verschwinden. Dann unterbrach die Königin die erdrückende Stille und tat etwas, womit niemand gerechnet, was Daniel aber insgeheim gehofft, hatte und weswegen er das Ganze überhaupt eingefädelt hatte. Sie erhob die Mac Callens in den Adelsstand und ebnete Katherine somit den Weg für eine problemlose Hochzeit. Ein verblüfftes Raunen ging nach ihren Worten durch den Saal und Katherine starrte die Königin fassungslos an ehe sie sich besann und ihr für diese Ehre zu danken, auch wenn es ihr innerlich unangenehm war. Sie wusste, dass Miss Elisabeth diesen Titel erst recht zum Anlass nehmen würde, um ihr das Leben schwer zu machen. Der Tag verging. Der Ball am Abend war wundervoll. Katherine und Daniel tanzten bis spät in die Nacht und kehrten erst in den frühen Morgenstunden zum Anwesen der Elchots zurück. Sie war so glück-lich und unbeschwert!

Daniel begleitete sie in ihre Räumlichkeiten. Sie zitterte etwas und ihre Verletzung meldete sich erneut. »Gib bitte bescheid, wenn du etwas brauchst. Du musst dich nicht zurückhalten und dir muss nichts unangenehm sein. Ich werde alles tun, damit du dich wohlfühlst und es dir besser geht.« sie nickte nur und Daniel verabschiedete sich dann von ihr und wünschte ihr eine Gute Nacht. Erschöpft und müde, aber glücklich, fiel sie schließlich irgendwann ins Bett und schlief augenblicklich ein.
 

Einige Monate später, im August und bei strahlendem Sonnenschein, fand dann die Trauung zwischen Katherine Mac Callen und Daniel Elchot auf dem Anwesen der Elchots statt. Hinter dem Haus war ein weißer Bogen aufgestellt wurden, umwickelt mit roten Rosen unter welchem die beiden standen und sich schweigend an-sahen, währen der Pfarrer zu ihnen und den Anwesenden sprach. Alle Menschen, die Katherine wichtig waren, waren gekommen. Allen voran die Familie von Ben, welche ihre Familie nach dem Brand aufgenommen hatte. Daniels Vater hatte seine Geschäftsreise extra unterbrochen, um der Hochzeit seines Ältesten beizuwohnen. Es hätte kein glücklicherer Tag für sie werden können und in Daniels Augen erkannte sie, dass es ihm ebenso ging. Noch nie hatte sie ihn so glücklich und unbeschwert erlebt. Er schien frei von jeglichen Sorgen zu sein und lächelte sie an. Seine Augen glitzerten und fesselten sie, wie am ersten Tag.

Alles war gut.
 

Ende


Nachwort zu diesem Kapitel:
Bitte entschuldigt, falls ihr Wörter mit Bindestrichen dazwischen findet. Ich habe den Text aus Word hier rein kopiert und hatte dort die Silbentrennung eingestellt. Ich habe schon korrigiert, was ich gesehen habe, aber sicher ist mir das eine oder andere Wort durch die Lappen gegangen.^^

Bitte äußert eure Meinung und Kritik frei heraus, ich bin da immer dankbar für^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
In diesem Kapitel habe ich einen Teil nachträglich dazu geschrieben, was bedeutet, dass er noch unausgereift ist und noch den nötigen Feinschliff braucht. Ich meine speziell den Teil, als sie Katherine mitten in der Nacht auf den Heimweg zu ihrere Familie machen will und Mister Elchot sie an der Eingangstür abfängt. Vielleicht habt ihr ja Ideen, wie ich das noch besser ausschmücken kann?
Auch hier werdet ihr übrigens wieder Bindestriche finden, denke ich. Das zieht sich so durch den ganzen Text. Wenn ich mal mehr Zeit habe werde ich da noch mal drüber lesen und sie entfernen. Aber der Text war eben entsprechend formatiert im Word und ich hatte keine Lust, erst alles zu ändern, bevor ich es hochlade^^ Da war ich etwas faul... :-P Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das ist also mein Fanfic^^
Im Nachhinein habe ich noch einige Fragen, von denen ich hoffe, dass ihr mir sie beantworten bzw. mir mit Tipps und Hinweisen weiterhelfen könnt.

1. Sollte ich noch einmal näher auf Ricks Unfall und die Umstände eingehen? Also Hintergründe: Wer war es, warum, etc.?

2. Sollte ich das Verhältnis zwischen Miss Elisabeth und Michael Smith näher beleuchten? (ich hatte ursprünglich die Idee, dass die beiden ein Verhältnis miteinander haben und gemeinsam gegen Daniel und seine Familie intrigieren. Dies ist aber komplett weggefallen und es scheint nun, dass sie nichts miteinander zu tun haben.)

3.Was würdet ihr euch sonst noch von der Story wünschen? Was fehlt euch? Was hat euch gut gefallen?

4. Soll ich es auf eine Eskalation zwischen den Familien ankommen lassen, sodass es eine Fehde gibt in welche die Dorfbewohner und Katherines Freunde hineingezogen werden?

5. Sollte noch einmal auf den Prozess eingegangen werden, welcher Michael Smith gemacht wurde nach dem Attentat?

6.Ist euch das Ende zu abrupt? Wie könnte es besser ausgeschmückt werden? (Mir persönlich geht es dann mit der Hochzeit an sich zu schnell. Das Geschehen ist zu schnell abgehandelt für meinen Geschmack, aber ich habe noch nicht die passenden Worte gefunden um es schöner zu beschreiben^^)

Ich bin für jede Kritik dankbar, haltet euch nicht zurück :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Yamasha
2017-01-08T19:48:21+00:00 08.01.2017 20:48
Ich habe deine FF jetzt grade in einem Rutsch durchgelesen, weil ich sie einfach so toll fand! :D
Ich mag es, wie du die Charaktere gestalltet hast. Jeder hat so seine Stärken und Schwächen, die ihnen auch häufiger im Weg stehen. Ich mag das. Generell liebe ich Charaktere die nicht perfekt sind.
Mich stört es nicht, dass du auf die Umstände von Ricks Unfall nicht näher eingegangen bist. Man kann sich denken, wer dahinter steckt und damit hat sich der Film für mich. Genauere Details brauche ich nicht. Vor allem, weil es für mich so autenthischer rüberkommt.
Das Verhältnis von Miss Elizabeth und Mr Smith näher zu beleuchten wäre aber ganz gut gewesen. Keiner scheint ihn wirklich zu mögen, selbst sein eigener Vater nicht. Da ist es schon ein bisschen verwunderlich, dass sie ihn mag. Wobei beide die Ignoranz gegenüber Bauern teilen, was der Rest ja nicht unbedingt tut, weshalb es auch nicht mehr ganz so verwunderlich ist. Trotzdem fände ich es interessant.
Gut, mir war von Anfang an eigentlich klar, dass die beiden zusammen kommen. Und ich finde auch gut, dass Kathi am Anfang so naiv und blind gegenüber Daniels Gefühlen ist. Mich stört trotzdem ein bisschen, dass man von KAthis Gefühlen gegenüber Daniel nicht so viel mitbekommt. Klar schreibst du ab und zu, dass sie sich seltsam dühlt und ihm am liebsten aus dem Weg geht, aber da hätte ich mir manchmal ein paar mehr Details gewünscht. Außerdem waren deine aprupten Perspektivenwechsel manchmal ein bisschen verwirrend. Und die Kapitel sind ein bisschen zu lang. Manchmal wäre es einfacher gewesen, wenn sie kürzer gewesen wären.
Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch, deshalb sage ich auf die vierte Frage eindeutig nein. Denn ich finde es immer unfair wenn Unbeteiligte leiden müssen.
Die Strafe die Michael bekommt und wo er hin kommt würde mich schon interessieren.
Und bei der Hochzeit fehlt mir eigentlich wenig. Ich hätte nur mit dem Kuss nach den Ringen abgeschlossen. Also mit einer Handlung und nicht mit einem Gedanen oder einer Beschreibung.

Aber ansonsten finde ich deine FF wie gesagt echt super schön! Mir hat es echt Spaß gemacht sie zu lesen!
Antwort von:  momoko31
08.01.2017 21:54
Wow, vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar :-)
Und hab auch vielen Dank für deine lobenden Worte. Seit ich die Story hochgeladen habe, habe ich weiter daran gearbeitet. Ich habe hier und da Dinge verändert und eingefügt, beschrieben usw. Die Kapitel sind auf meinem Rechner auch noch nicht so klar getrennt, da ich es bisher schwierig fand, irgendwo einen Strich zu ziehen zwischen einer Sequenz und der nächsten. Daher habe ich auf meiner PC-Fassung auch nur Absätze drin. Aber ich beherzige Deine/eure Ratschläge und arbeite weiter dran. Ich denke, wenn ich irgendwann mal (keine Ahnung wann, denn mein Berufsleben nimmt mich oft ziemlich in Beschlag) mehr Ordnung drin hab, werde ich noch mal die Endfassung hochladen.
Wobei, so wirklich zu 100% zufrieden bin ich nie mit meinen Werken XD
Von:  Solet
2016-07-26T13:44:58+00:00 26.07.2016 15:44
Danke für diese schöne FF =) ich bin normalerweise kein Fan der "Eigenen Serie" aus verschiedenen Gründen, aber hier hat mich die Kurzbeschreibung und der Anfang gefesselt.

Die Hintergründe von Rick's Unfall hätten mich schon interessiert. Wobei mir hier ein paar wenige Sätze wohl gereicht hätten.

Das offen gebliebene Verhältnis zwischen Miss Elisabeth und Herrn Smith regt etwas zum selbst grübeln ein. Wie weit würde die jeweilige Person gehen, um anderen das Leben schwer zu machen. Ich habe irgendwie immer darauf gewartet, dass "noch eins drauf gesetzt" wird.

Das Ergebnis des Prozesses hätte mich noch interessiert.

Alles in allem eine runde Geschichte. Mit dem klaren Ende bin ich ganz glücklich. Katherine erwähnt ja stehts nur, dass sie nicht aus Pflicht heiraten will und mit dem entsprechenden Ergebnis endet die FF. Ich vermute, weiter in die Zukunft zu schauen hätte eher den Charakter eines Lückenfüllers gehabt.
Antwort von:  momoko31
30.07.2016 00:11
Vielen Dank :) Es freut mich, dass es dir gefallen hat. Du hast Recht, hier und da fehlen noch einige Dinge. Ich nehme mir die Dinge, die ich schreibe auch immer mal wieder vor und ergänze oder veränder etwas. Das Verhältnis zwischen Miss Elisabeth und Mister Smith wollte ich in der Tat eigentlich näher beleuchten und auch die Hintergründe zu Ricks Unfall, aber irgendwie habe ich nie die passende Stelle gefunden um das umzusetzen und einzufügen. Es erschien mir irgendwie nirgendwo ganz passend... Vielleicht habe ich irgendwann mal die zündende Idee, wenn es wieder eine Weile rumgelegen hat^^'


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