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Runes

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Loki

2. Kapitel – Loki
 

„Lass das, Ratatöskr.“, mahnte ich das Eichhörnchen, welches wieder begann an meinem Ohr zu nagen. Dieses Tier war wohl immer auf Streit aus. Den lieben langen Tag tat es fast nicht anderes, als den Stamm Yddrasils auf und ab zu klettern, um den Adler, der über der Krone der Esche kreiste und die Weltenschlange gegeneinander aufzuspielen. Der Adler lies sich auf meiner anderen Schulter nieder, schlug kreischend mit den Flügeln und regte sich offenbar über Jormungand auf. Vedrfölnier, der Habicht, der des Adlers ständige Begleitung war, setzte sich auf meinen Kopf. Jetzt fühlte ich mich dezent beladen. Ich sah an meinen in der Luft baumelnden Füßen vorbei und konnte am Stamm Yddrasils Dain, Dwalin, Duneyr und Durathror, die vier Hirsche erkennen. Ich winkte ihnen grinsend zu, ehe ich die Krallen des Habichts von meiner schmerzenden Kopfhaut löste und ihn auf meinem Handgelenk sitzten lies. Das schien ihm nicht zu gefallen und er sprang auf meine Knie und wanderte unruhig auf meinen Obeschenkeln auf und ab. Plötzlich begannen die Vögel mit den Flügeln zu schlagen und das Eichhörnchen keckerte. Ihre Blicke waren gen Himmel gerichtet und ich folgte ihnen. Zwei Raben näherten sich krächzend. Sie blieben vor mir in der Luft mit den Flügeln schlagend hängen und wurden immer lauter. Langsam könnte man den Eindruck bekommen, sie wollten mir etwas mitteilen. Ich grinste sie an. „Sorry. Mein Krähisch ist nicht so gut.“ „Krah. Okrahdikra.“, kam es einstimmig. Ich setzte Vedrfölnier auf den Ast, auf dem ich saß, neben mich, löste auch Ratatöskr von meiner Schulter und verseuchte den Adler auf freundliche Weise. „Odin sucht mich richtig?“ „Krah.“ „Ich nehme an, das heißt ja.“ „Krah.“ „Das vermutlich auch. Schon gut.“ Ich erhob mich vorsichtig und folgte den beiden in meiner eigenen geflügelten Gestalt. Es war nicht das erste Mal, dass Hugin und Mugin mich irgendwo aufspürten und auf Befehl von Odin zurück nach Asgard geleiteten. Das war in den letzten Monaten einige Male vorgekommen.
 

„Da bist du ja.“ Ungeduldig trommelte Heimdall mit seinen Fingern auf seinen Oberarm. Er und alle anderen 23 Götter hatten sich in der Halle des Allvaters versammelt, gemeinsam mit einem rothaarigen, grünäugigen jungen Mann, der neben Einauge stand. Odin schenkte mir einen unbegeisterten Blick. „Liv, wie oft habe ich dir gesagt...“ „Ja, ja. Ich weiss.“, kam ich ihm zuvor, „Schon gut. Sorry. Okay?“ „Liebes, was ist denn mit deinen Händen passiert?“ Ihr Blick war auf meine blutigen und zerschrammten Handflächen gerichtet. „Möchtest du einen Apfel?“, fragte sie fürsorglich. „Nah.“ Ich winkte locker ab. Das würde auch so heilen. Die paar Schrammen. Freya und Frigg schien mein verschmutztes und geschundenes Kleidung nicht zu gefallen. Besonders Freya rümpfte die Nase über mein unschickliches Auftreten. Odin seufzte nur und schüttelte unmerklich den Kopf. Dann straffte er sich. „Das ist Loki.“, stellte er den Neuankömmling vor „Er wird ab sofort zur Familie gehören, also lasst ihn uns willkommen heißen und ihn nicht wegen seiner... bedauerlichen Herkunft verurteilen.“ „Welche bedauerliche Herkunft?“, wollte Frey, Anführer der Vanen wissen. Der junge Mann, der uns als Loki vorgestellt wurde, winkte frech grinsend und lies uns wissen, dass er aus dem Chaos stammte. Es dauerte keine Sekunde, da lag Loki flach auf dem Rücken und jeder der Asen und Vanen, ausgenommen der weiblichen Riege und Odin, hielt eine Waffe auf den Rothaarigen gerichtet. „Du hast einen Dämon mit nach Asgard gebracht?“, fragte Tyr unseren General, „Bist du verrückt geworden? Er ist ein Spion. Vielleicht sogar ein Attentäter. Ich sage, wir sollten der kleinen Ratte die Kehle aufschlitzen.“ Das war so typisch Tyr. Erst drauf hauen, dann noch mehr drauf hauen. Sogar Thor war in dieser Hinsicht nicht so schlimm. Obgleich der Gute seinen Kopf eher selten einschaltete, war sein Motto war zumindest: Erst schlagen, dann die Fragen stellen. „Lass ihn los, Hauptmann.“ Odin sah Typ mit einschüchterndem Blick an. „Du machst Witze.“, begann der Kriegsgott. „Ich sagte, lass ihn los.“, wiederholte der General, „Er steht unter meinem Schutz.“ Grummelnd wurden die Waffen zurückgezogen und Loki setzte sich auf und schenkte der Menge ein strahlendes Lächeln, welches niemand der anderen Götter erwiderte. „Äh, hi.“, begann er, während er aufstand, „Ich weiss, für euch mag es komisch erscheinen, dass jemand wie ich mit Leuten wie euch abhängen möchte. Aber gebt mir eine Chance und ich werde euch beweisen, dass ich kein Spion bin. Ich schwöre es. Ich habe alle Brücken abgebrochen, als ich hierher kam. Für meine Leute bin ich ein Verräter. Schickt mich zurück und sie töten mich – oder Schlimmeres.“ Heimdall schien das wenig so interessieren. „Und? Wir brauchen die Hilfe eines Verräters nicht. Verrat ist eine krumme Rune, die niemals gerade aus fliegt und niemals ihr Ziel trifft.“ Das schien Loki auf eine Idee zu bringen, denn seine grünen Augen funkelten plötzlich. „Manchmal ist krumm besser als gerade.“ „Glaubst du, ja?“, erwiderte der Wächter in seiner goldenen Rüstung. „Lass es uns versuchen.“, meinte der Rothaarige, „Meine Rune gegen deine. Und Odin bestimmt den Gewinner.“ Ich horchte interessiert auf. Das versprach ja spannend zu werden. Heimdall wähnte sich schon als Sieger, aber ich war mir sicher, dass der Neue ein Ass im Ärmel hatte. Jedenfalls verriet das sein siegessicheres, schiefes Grinsen.
 

Also begaben wir uns alle zusammen nach draußen. Dort gab es eine Zielscheibe, auf welche Loki mit den Kinn nickend deutete. „Na los, Goldie. Oder überlegst du es dir anders?“ „Eins muss ich dir lassen. Reden kannst du.“ Stampfend trat Heimdall vor. „Aber jetzt lass uns sehen, was du drauf hast.“ Odin, der als letzter die Halle verlassen hatte, warnte seinen Blutsbruder: „Heimdall ist der beste Schütze in Asgard. Die Vanen nennen ihn Habichtauge.“ Unbekümmert zuckte Loki mit den Schultern. „Das heißt?“, fragte er gelassen. „Das heißt du solltest besser gut sein.“, erwiderte der Allvater. Der Jüngling grinste. „Ich bin Loki. Gut passt da nicht rein.“ „Also wie weit?“, sagte Heimdall in einem siegessicheren Tonfall, „Hundert Schritt? Oder mehr?“ Erneut zuckte Loki mit den Schultern. „Such du aus. Mir ist das völlig egal. Ich werde dich sowieso schlagen.“ Einige der Götter raunten erstaunt auf. Doch Heimdall lächelte nur. Er lies sich von zwei Dienern die Zielscheibe bis ans Ende der Regenbogenbrücke tragen. Diese Zeit nutzte Loki, um sich ins Gras zu legen und ein kleines Mittagsschläfchen zu halten. Die Ruhe hatte er jedenfalls weg. Vielleicht wäre er tatsächlich eingeschlafen, hätte Bragi nicht angefangen, eine Siegeshymne für Heimdall zu dichten. Als die Diener endlich am Zielort angekommen waren, meinte Loki zu Heimdall: „Fang du an. Was immer du tust, ich verspreche ich werde es besser tun.“ Heimdall bleckte die Goldzähne und beschwor seine eigenen Rune ᛉ (Madr) und feuerte. Niemand außer dem Wächter selbst, konnte genau sehen, wie gut er getroffen hatte, doch sein Grinsen verriet, dass es ziemlich gut gewesen sein musste. Loki tat unbekümmert und streckte sich gelangweilt. „Du bist dran, Verräter.“, forderte Goldie Loki auf. „Sicher, aber bring das Ziel näher.“ „Was meinst du damit?“, fragte Heimdall, etwas verwirrt. „Ich sagte, bring das Ziel näher. Ich kann es von hier aus kaum sehen. Drei dutzend Fuß sollten genügen.“ Nun schien der Wächter völlig verwirrt. „Du meinst, du gewinnst gegen mich, indem man das Ziel näher bringt?“ „Weck mich auf, wenn es soweit ist.“, meinte Loki und legte sich wieder ins Gras.
 

Erneut dauerte es einige Minuten, bis die Diener die Zielscheibe heran getragen hatten. Nun konnte es jeder sehen. Heimdalls Rune steckte genau in der Mitte der Zielscheibe. Alle applaudierten. Sogar ich schlug meine Hände höflich einige Male ineinander. „Habichtauge Heimdall gewinnt.“, verkündete Frey. Ich hob eine Augenbraue. Was an, Odin bestimmt den Sieger, hatte er nicht verstanden? Zudem war der Fremde noch nicht zum Zug gekommen. Dennoch schienen ihm die anderen zuzustimmen. „Also?“, wandte sich Odin an seinen Blutsbruder. „Nicht schlecht, Spatzenhirn. Aber ich kann ihn schlagen.“ „Habichtauge.“, korrigierte ihn Goldie Zähne knirschend, „Und wenn du glaubst zu gewinnen, wenn du genau neben dem Ziel stehst dann...“ „Und jetzt drehen wir es herum.“, sagte Loki gelassen. „Aber das würde ja...“, Erneut war Heimdall völlig verwirrt. Das wurde ja bald Normalzustand. „Ja. Genau.“, meinte der Rothaarige nur. Die beiden Diener gehorchten und Loki machte eine einladende Geste. „Versuche jetzt die Mitte zu treffen.“, forderte er Heimdall auf. „Das ist unmöglich.“ „Also sagst du, du könntest es nicht?“ „Das könnte niemand.“ Loki grinste und beschwor seine eigene Rune ᚴ (Kaen). Doch statt direkt auf das Ziel zu feuern, schnippte er die Rune in einem großen Bogen daran vorbei, ehe sie zurück geflogen kam und mit einem violetten Funkenfeuer die Rune ᛉ (Madr) traf und diese zugleich auslöschte. Jetzt staunten alle anwesenden Götter. „Nun?“, fragte Loki den General. „Ein wahrlich unglaublicher Schuss.“, musste dieser zugeben und lachte. „Ein Trick.“, knurrte Heimdall, welcher sich jetzt sicher in seiner Ehre getroffen fühlte. „Dennoch hat Loki gewonnen.“, beschloss der Allvater und alle stimmten ihm zu. Anerkennend schlug erst Odin, dann Thor auf Lokis Rücken. Zweiterer so fest, dass der Grünäugige beinahe nach vorne umkippte. Balder gab ihm einen Becher Wein und die Götter feierten ihren Neuzugang. Nur Heimdall war nicht in Feierlaune. Konnte er das ganze nicht sportlich nehmen?, dachte ich mir, als ich zu dem Wächter herüber blickte als ich an meinem Wasser nippte. Loki war definitiv der Held des heutigen Tages.



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