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Urlaubsflirt ins Glück

von

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Ein geschichtsträchtiger Abend

Konfetti überall! Die beiden Protagonisten waren nicht mehr von der Kamera filmbar, egal welche Kameraperspektive für die Zuschauer zuhause gewählt wurde. Einem konnte das nur recht sein. Dem anderen war dies völlig egal. Bei ihm drehte sich nur mal wieder alles um seine Pokémon, oder um seinem wichtigsten kleinen gelben Begleiter.

„Welch ein unfassbares Ende, meine Damen und Herren. Ash Ketchum hat soeben Geschichte Geschrieben. Pikachus Donner macht dem schwarzhaarigen jungen Mann aus Alabastia zum ersten und einzigen vierfach Champion! Ash Ketchum gewinnt die Einall-Liga!“
 


 

Eine orangehaarige junge Frau genoss die letzten Sonnenstrahlen auf einer Liege vor einem Pool. Nahezu niemand war hier. Sie hatte den gesamten Pool für sich alleine. Wenn sie sich denn darin befinden würde. Stattdessen blickte sie gespannt auf ein Smartphone, dass sie in den Himmel reckte, um im Liegen etwas sehen zu können. Auch auf dem Bildschirm des kleinen Elektronikgerätes regnete es Konfetti. Als Pikachu den Kampf mit einer Donner-Attacke beendete, ballte sie ihre Faust und boxte in die Luft. Ein lauter Schrei verließ ihre Lippen, nur um danach ihre Hand schlagartig vor Schamgefühl auf ihrem Mund zu legen. Nachdem ihr dadurch fast ihr Handy runtergefallen wäre, blickte sie sich peinlich berührt um. Doch hier war zum Glück niemand.
 

Sie befand sich auf dem Weg in ihr Hotelzimmer. Allein in der Hotelanlage gab es drei Möglichkeiten dieses Finale via Public Viewing zu verfolgen. Jedes Mal dasselbe Bild. Die eine Hälfte feierte, die andere sah ziemlich betrübt aus. Wobei man nicht von der Hälfte ausgehen konnte. Richtig würde es heißen, der Großteil feierte, die Minderheit war eher schlecht gelaunt. Der jungen Frau schlich ein kleines Lächeln aufs Gesicht. Sie hatte noch nie bemerkt, wie viele Fans Ash eigentlich hatte. Natürlich waren es überwiegend weibliche Fans. Dieser Gedanke ließ ihre Mundwinkel sogleich wieder etwas sinken.

Sie hatte ihn nun schon eine Ewigkeit nicht gesehen. Ihren besten Freund und ehemaligen Reisegefährten. Ihr Kontakt brach nach und nach ab. Sogleich schnaubte sie innerlich, lief jedoch regungslos weiter. Das war natürlich seine Schuld gewesen. Sie hatte sein Gesicht vor Augen, als er seine erste Meisterschaft feierte. Sofort lenkte sie mit ihren Gedanken ein. Sagen wir, die Fan-Girls sind schuld. Lange auf ihn sauer sein konnte sie noch nie, wobei das wohl öfter mal angebracht wäre. Damals … doch jetzt sieht man sich ja nahezu gar nicht mehr. Also wozu überhaupt einen Kopf darüber machen?
 

Sie lief am letzten Public Viewing Spot vorbei, der sich direkt in der Lobby befand. Eigentlich wollte sie schnurstracks in ihr Zimmer, doch es lief gerade ein Interview mit Ash, also musste sie unfreiwillig halten.

„Ash Ketchum, sie haben sich gerade in sämtliche Geschichtsbücher eingetragen und sind womöglich zur lebenden Legende aufgestiegen, und das mit sagenhaften 21 Jahren!“

„Nein, nein. Es ist schön, dass ich mich nun als viermaligen Champion bezeichnen kann. Früher habe ich von einem Titel geträumt, und jetzt sind es tatsächlich vier. Doch die wahre Ehre gebührt meinem immer hart arbeitenden Pokémon-Team. Ohne sie wäre ich nicht hier.“

„Bescheiden wie eh und je. Doch was macht man jetzt als geschichtsträchtigster Trainer des Pokémon-Planeten. Wie sieht ihr weiterer Plan aus, Herr Ketchum?“

„Ich werde weiterhin bescheiden bleiben und mir vorerst einen bescheidenen Urlaub gönnen.“

„Wollen sie ihren Fans vielleicht verraten wohin es gehen wird?“

„Das ganze heißt nicht umsonst ‚Urlaub‘, wissen sie. Sogar meine Pokémon werde ich nach Hause schicken. Aber womöglich geht es irgendwo in die Nähe von Abidaya City. Mehr verrate ich nicht.“
 

Misty fiel fast ihr Smartphone aus der Hand. In der Nähe von Abidaya City?! Auch sie befand sich ‚in der Nähe von Abidaya City‘ … sie wusste nur nicht, ob sie wollte, dass er in die gleiche Nähe kommen sollte wie sie, oder ob er möglicherweise eine etwas andere Richtung vorzog und sie sich somit nicht sehen würden. Gedankenverloren tapste sie Richtung Aufzug. Das war genau die Info, die sie auf keinen Fall hören wollte. Wieso nur war sie stehen geblieben?!

Eigentlich war ihr Urlaub hiermit offiziell beendet. Sie würde sich sowieso nur noch nach Ash umsehen, ob er auch wirklich hier war und sie ihn womöglich sehen könnte; wenn auch nur unterbewusst.

Der Aufzug hielt im siebten Stock. Immer noch grübelnd lief sie Richtung Zimmer. Sie zog ihre Karte durch das Lesegerät an der Tür und trat ein. Sogleich wurde sie von ihren drei Schwestern angeschrien, mit denen sie diesen Urlaubstrip angetreten hatte.

„Woohoo, Misty! Dein Ashi hat gewonnen und Geschichte geschrieben! Und jetzt kommt er auch noch zu uns, um dich zu besuchen!“, ergriff Violett freudig das Wort. Daisy legte sofort ein anzügliches Lächeln auf. „Krall ihn dir, Tiger!“. Lily hatte schon fast etwas Mitleid, als sie Misty völlig verwirrt ihn der Tür stehen sah, und versuchte gut auf sie einzureden. Natürlich blieb ihr Sarkassmus dabei nicht verborgen. „Lass die anderen doch reden. Sei einfach nicht so nervös, wenn er dich anspricht. Früher konntet ihr immerhin auch ganz normal miteinander reden.“

Die drei Schwestern brachen in Gelächter aus. Die Jüngste fand das alles eher unlustig und hatte ihr Temperament mal wieder nicht im Griff. „Haltet eure Klappe! Er hat nicht mal erwähnt, dass er wirklich zu uns kommt. Außerdem, was will ich mit dem Typen labern, wenn er sich sowieso nie meldet?! Ich will nichts mehr hören und werde jetzt schlafen gehen! Gute Nacht!“

Da knallte sie auch schon die Tür ihres Zimmers zu. Die drei Schwestern konnten natürlich nicht anders und mussten kichern. Violett flüsterte den anderen Beiden noch einen Satz zu, den die Orangehaarige natürlich nicht mehr hören konnte.

„Ich würde sagen getroffene Hunde bellen, oder was sagt ihr? Meint ihr, sie steht immer noch auf Ash?“

Daraufhin steckten alle drei die Köpfe zusammen und begannen eine hitzige Diskussion im Flüsterton, während Misty ein Zimmer weiter versuchte zu schlafen. Auch wenn ihr das aufgrund der abendlichen Geschehnisse nicht wirklich gelingen wollte, bekam sie von der Debatte ihrer Schwestern nichts mit. Zu sehr beschäftigte sie sich mit der Frage, ob sie in den nächsten Tagen wirklich ihren besten Freund wieder sehen würde, oder ob das ein Traum bleiben sollte.

Wieso hier?!

Misty saß an der Poolbar im Becken. Ihre Beine tauchten ins kühle Nass, während ihr Po und ihre Hüfte nur dann etwas Wasser abbekamen, wenn sich kleinere Wellen bildeten, weil Kinder in der Nähe planschten. Einen Hocker neben ihr hatte sich ein junger Mann platziert. Roberto war sein Name und er machte keinen Hehl daraus, Misty sein gesteigertes Interesse ihr gegenüber zu zeigen. Nicht selten machte er diverse Andeutungen, die Misty zeigten, dass das Ganze mehr als nur ein Urlaubsflirt werden konnte. Normalerweise war sie nicht wirklich jemand, der auf so etwas einging. Doch Roberto gehörte nicht zu der aufdringlichen Sorte, die gleich alles überstürzen wollten. Er war charmant, auch bei seinen Anspielungen. Misty wusste noch nicht so recht damit umzugehen. Meist sah sie etwas verlegen weg, sah kurz auf ihr Handy oder nahm einen Schluck von ihrem Cocktail. Doch abgeneigt war sie nicht. Wie bereits erwähnt war er charmant und nicht aufdringlich. Er war nett, man konnte sich sehr gut mit ihm unterhalten und allzu schlecht sah er auch nicht aus. Er hatte einen etwas dunkleren Teint, schwarze Haare und einen guten Körperbau. So manches Mädchen wäre aufgrund seines Aussehens und seiner Art wohl schon dahingeschmolzen, doch in Mistys Kopf bildete sich eine Barrikade, die seit gestern sogar noch ein Stück größer geworden war.

Natürlich, wie sollte es auch sonst sein, sprach Roberto den Kampf von gestern an. Auch er war Pokémon-Trainer und interessierte sich dafür. Und wie jeder selbstbewusste Typ, stellte er klar, dass er es wohl mit dem vierfachen Champ aufnehmen könnte. Welche Pokémon er gegen ihn eingesetzt hätte, welche Taktik er verfolgt hätte und so weiter. Typisches Protzgelaber eben. Misty stellte sogleich klar, dass ihr das gar nicht passt.

„Roberto, seien wir ehrlich. Du hättest keine Chance gegen ihn.“, gab sie etwas genervt von seinem Geprahle zum Besten. Ihrem Gegenüber blieb ihr Ton natürlich nicht verborgen.

„Gehörst du wohl auch zu den Ash-Fangirls, oder wie darf ich deine Reaktion verstehen?“, er zog eine Augenbraue hoch und starrte sie mit erwartungsvollem Blick an.

„Ash-Fangirls? Gibt’s davon so viele, ja?“, gab sie gespielt unwissend zurück.

„Anhand deiner Aussage würde ich dich ab sofort in diese Ecke stellen, ja.“, versuchte er sie etwas damit aufzuziehen. Sein Blick wurde noch erwartungsvoller. Man konnte genau sehen, dass er wollte, dass sie eindeutig dazu Stellung bezog. Misty rührte in ihrem Getränk herum und sah nachdenklich den rotierenden Eiswürfeln zu. Erst als sie nach einiger Zeit Robertos erwartungsvollen Blick bemerkte, ergriff sie das Wort.

„Roberto, ich bin auf jeden Fall kein kreischendes Ash-Fangirl, falls du das aus meiner Aussage nun schlussfolgerst. Ich bin … ich war seine beste Freundin.“, den letzten Satz flüsterte sie nur noch in ihr Glas, um sofort danach einen kräftigen Schluck davon zu nehmen. Roberto hatte ihn akustisch auch kaum verstanden, jedoch konnte er soweit folgen, als das er ziemlich verwundert nochmal nachfragen musste.

„Bitte wie war das? Du bist was?“, er beugte sich dabei nach vorne zu ihr, sodass er fast von seinem Hocker rutschte. Misty nahm noch einen Schluck, erst dann ließ sie von ihrem Strohhalm ab, um ihren Satz zu wiederholen.

„Ich bin kein Fangirl, ok! Ich war seine beste Freundin!“

Roberto blickte sie ungläubig an, während sie einen etwas verbissenen Gesichtsausdruck aufgelegt hatte. „Du verarscht mich doch, Misty. Dann wärst du doch bestimmt im Stadion gewesen und hättest ihm zugesehen und würdest nicht mit mir hier an der Poolbar Cocktails schlürfen.“

Frustriert ließ die orangehaarige Azuria-Schwester ihren Kopf etwas nach unten sinken und seufzte. „Die Betonung lag auf ‚war‘, verstanden?“. Sie kramte ein Bild aus ihrem Portmonee, das auf der Theke lag und zeigte es ihrem Gesprächspartner. „Da, siehst du? Das bin ich, das ist Rocko, der Arenaleiter aus Mamoria City und das ist Ash. Wir sind miteinander durch die Welt gereist, bis ich zurück zur Arena musste, um sie zu leiten.“

Immer noch ungläubig starrte Roberto auf das Bild, das ihm vorgelegt wurde. Und doch erkannte er die Personen darauf. Das war eindeutig Ash. Doch natürlich schoss ihm sofort Mistys erste Aussage wieder in den Kopf und hakte nach. „War also? Wieso bist du’s nicht mehr?“

Mistys Kopf sank noch etwas weiter nach unten. „Der Kontakt ist mehr oder weniger abgebrochen. Ich weiß nicht, ob er es noch so sieht. Aufgrund seines Erfolges hat er mich wahrscheinlich sowieso vergessen.“, gab sie niedergeschlagen von sich und nahm danach erneut einen kräftigen Schluck, sodass man danach nur noch die Eiswürfel klimpern hören konnte, da ihr Glas leer war.

Roberto blieb der frustrierte Unterton natürlich nicht verborgen. Auch deshalb beschloss er das Thema zu wechseln und bestellte ihr noch einen Cocktail.
 

Ein wirklicher Themenwechsel kam nicht zustande. Misty schien sich etwas Frust von der Seele reden zu wollen und blieb unbewusst stur bei diesem Thema hängen. Immer wenn Roberto das Gespräch in eine andere Richtung lenken wollte, brachte Misty es in irgendeinem Zusammenhang mit ihrer Reise von damals. Sie sagte, er erinnere sie etwas an Rocko. Ebenfalls zuvorkommend, immer nett und vom Äußerlichen bestand zumindest eine Ähnlichkeit. Misty fragte in ihrem nostalgischen Rausch sogar, ob er mit Rocko irgendwie verwandt sei, da er ihr bereits erzählt hat, dass er zufälligerweise aus Vertania City kam, und das die nächste Großstadt neben Mamoria sei. Natürlich verneinte Roberto höflich, auch wenn er langsam etwas genervt war und er endlich das Thema wechseln wollte.

Gerade als er es geschafft hatte, brach plötzlich großer Trubel auf der Hotelanlage aus. Kleine Kinder schrien herum und rannten Richtung Eingang. Doch auch Erwachsene und Teenager hielt es schon bald nicht mehr auf ihren Plätzen. Der Poolbereich war innerhalb von fünf Minuten fast vollkommen leer.

So wie gestern, dachte sich Misty und verstand die Aufregung nicht wirklich. Hatte sie etwas verpasst? Sicherheitshalber fragte sie bei Roberto nach, was hier los sei. Er hatte etwas besser aufgepasst und mitbekommen, dass Ash Ketchum hier gerade eingetroffen sei. Da er es jedoch gerade geschafft hatte, mit Misty wieder ein normales Gespräch zu führen, beschloss er sich ahnungslos zu stellen und nichts zu sagen.

Jeder war in die Lobby des Hotels gestürmt, doch plötzlich gingen zwei Stahltore etwas abseits des Pools auf. Zuerst konnte man wenig erkennen. Anzugträger, die aussahen wie die Men in Black, Blitzlichtgewitter … was war hier los? Die Meute blieb kurz stehen, dann hörte man jemanden etwas sagen. Die Anzugträger drängten die Fotografen zurück, damit die Tore wieder geschlossen werden konnten. Misty und Roberto verfolgten das Schauspiel gespannt. Als sich nun die übriggebliebenen Leute in Bewegung setzten, warfen sie einen genaueren Blick drauf. Misty bekam einen Schock. Das konnte jetzt nicht sein Ernst sein?! In der Nähe von Abidaya City gab es unzählige Hotelanlagen und Ash Ketchum suchte sich gerade die aus, in der sie sich auch befand?! Unmöglich! Sie wusste ihre momentane Gefühlslage nicht wirklich zu beschreiben. War sie wütend, dass er genau hier auftauchte? Oder war sie vielleicht sogar froh, dass er sich dieses Hotel ausgesucht hatte? Sie konnte sich noch nicht wirklich entscheiden. Sie merkte nicht, dass Ash gleich auf der anderen Seite der Poolbar vorbeilaufen würde. Erst als sie es bemerkte, drehte sie sich schnell Roberto zu, um so zu wirken, als würde sie all dieser Trubel nicht im Geringsten interessieren. Allerdings stellte sie sich dabei etwas ungeschickt an und räumte mit ihrem rechten Arm ihren Cocktail ab. Das Glas fiel um und rollerte in Wasser. Misty ließ ein verzweifeltes ‚Nein‘ von sich und beugte sich hinunter an die Wasseroberfläche, um ihr vollgelaufenes Glas aus dem Wasser zu fischen.

Auch Ash hörte das ‚Nein‘ und blieb unwillkürlich kurz stehen und blickte Richtung Poolbar. Dort saß jedoch nur ein Mann im Wasser allein vor der Theke. Dass Misty gerade dahinter verschwunden war, um ihr Glas davor zu retten auf den Grund zu sinken konnte er natürlich nicht wissen. Rocko rief ihn zur Besinnung. Ash hatte ihn eingeladen, da er bereits mit im Stadion war, um ihn zu unterstützen.

Auch in der Azuria-Arena lag ein Brief von Ash, in dem er Misty fragte, ob sie ihm nicht im Finale unterstützen wolle. Eine Antwort bekam er jedoch nicht. Dass sich der Brief im Mülleimer befand, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Zudem befanden sich die vier Schwestern nun schon eine Woche im Urlaub.

Misty stellte ihr Glas wieder auf den Tresen und blickte zur Tür, die in das Hotel führte. Sie sah nur noch den Hinterkopf des schwarzhaarigen Pokémon-Meisters. Kurz nachdem Ash im Hotel verschwunden war, dröhnte schrilles Geschrei aus der Lobby. Misty schmunzelte. Sie wollte gerade nicht in Ashs Haut stecken.

„Wollen wir vielleicht an den Strand gehen, jetzt, da hier wahrscheinlich die Hölle ausbricht?“, versuchte Roberto Misty aus ihren Gedanken zu holen. „Gern! Mein Cocktail ist jetzt ja sowieso leer.“ Beide fingen das Lachen an und wateten durch das beinahe hüfthohe Wasser. Sie stiegen die Treppe aus dem Pool und begaben sich Richtung Meer.
 

Währenddessen wurde Ash in der Lobby von Menschen jeglicher Altersklassen um Autogramme gebeten. Er erfüllte so vielen wie möglich ihren Wunsch, doch irgendwann wurde es auch ihm zu viel. Er begab sich Richtung Aufzug, drückte den Knopf und wandte sich der kreischenden Menge zu.

„Es freut mich, dass so viele Leute meine Ankunft hier feiern und mich beglückwünschen wollen, Autogramme haben wollen und dergleichen. Ich bitte sie alle nun jedoch um Entschuldigung. Die letzten Tage waren sehr anstrengend für mich, ich würde mich daher gern auf mein Zimmer zurückziehen. Ich bin noch lange genug hier anwesend und ich werde für euch noch die nötige Zeit finden. Jetzt möchte ich mich aber vorerst etwas ausruhen, danke.“

Als wäre es geplant gewesen, ging just in diesem Moment die Aufzugtür auf. Ash und Rocko betraten diesen als Einzige. Der Schwarzhaarige winkte der Menge nochmals zu ehe sich die Tür schloss.

„Puh. Ich glaub von Urlaub wird das Ganze hier womöglich etwas weniger haben.“, Ash atmete einmal schwer aus. Rocko hingegen konnte sich ein kleines Lachen nicht verkneifen. „Für dich vielleicht schon. Aber ich denke, ich kann es mir hier ganz gut gehen lassen.“, fügte Rocko seinem Lacher an. Auch Ash nahm die Aussage mit Humor und lachte etwas. Danach wurde es still. Rocko legte eine nachdenkliche Miene auf. Seinem geschulten Auge entging Misty an der Poolbar nicht. Er hatte sie sofort gesehen, als sie sich zum Eingang aufmachten. Der Plan durch den Nebeneingang zu kommen, um weniger Aufmerksamkeit zu erwecken, ging nur bedingt auf. Ihm war das jedoch egal, alles konzentrierte sich auf Ash, er war nur Begleitung. Diese Rolle nahm er aber auch gerne ein. Er gönnte seinem Freund die Aufmerksamkeit. Dass der Pokémon-Meister nicht auf alles Acht nehmen konnte, war auch Rocko klar. Der Wuschelkopf hat seine beste Freundin nicht bemerkt. Und dann war diese auch noch mit einem anderen Kerl an der Bar gesessen. Rocko fand es besser, wenn Ash das selbst herausfinden würde. Er würde ihm jetzt nichts erzählen. Auch nicht, dass Misty überhaupt hier war. Stattdessen blieb es im Aufzug still, während er die beiden nach ganz oben beförderte. Dort bezogen sie eine Suite, die für vier Personen ausgelegt war. Somit hatte jeder nicht nur sein eigenes Bett, sondern sogar sein eigenes Schlafzimmer. Ihr Gepäck war auch schon von den Pagen gebracht worden. Ash blickte aus einer großen Glasfassade hinaus aufs Meer. Ein wundervoller Anblick. So konnte der Urlaub beginnen.

Die Kraft der Mimik

Es war bereits später Nachmittag bei der Ankunft von Ash und Rocko. Somit verließen die beiden ihr Zimmer nur noch zum Abendessen. Das zog sich natürlich ebenfalls in die Länge, da viele Fans noch keine Möglichkeit hatten, sich mit ihrem Idol ablichten zu lassen oder ein Autogramm zu erhaschen. Ash kann die Leute jedoch verstehen. Er sah sich selbst in seinen Fans. Junge heranwachsende Trainer mit dem Ziel Titel zu gewinnen und zu den Besten zu gehören. Die allerwenigsten schaffen es. Er hatte es bereits geschafft. Auch deshalb trat er sehr freundlich gegenüber diesen Menschen auf, die ihn bewunderten. Auch wenn er innerlich etwas genervt war und endlich etwas essen wollte.
 

„Ich glaube wir sollten uns auch ein Autogramm holen und ein sexy Bild mit ihm machen, Mädels.“, warf Daisy in die Runde der vier Schwestern, die sich an einem Tisch in der hinteren Ecke platziert hatten und den Trubel um Ash Ketchum aus der Ferne beobachteten. „Nein! Nicht! Bitte nicht, Daisy. Tut mir einfach bitte diesen einen Gefallen und geht nicht zu ihm hin!“, versuchte Misty ihre Schwestern von ihrem Vorhaben abzuhalten. Wenn ihre Schwestern zu ihm hingehen würden, dann würde alles aus dem Ruder laufen. Sie wollte das selbst übernehmen und ihn alleine ansprechen. Dieser Stein sollte nicht durch ihre Schwestern ins Rollen gebracht werden. Doch sie wusste noch nicht wie sie es anstellen sollte. „Komm schon, Misty. Dann nimm deinen Mut zusammen und geh jetzt zu ihm hin.“, drängte Violett. Alle drei wussten, dass Misty damals auf Ash stand. Ob man schon von der großen Liebe sprechen konnte, wagten sie in diesem Alter zu bezweifeln. Aber da sie sich jetzt, mit gestandenen 21 Jahren, verhielt, als wäre sie zwölf, zeigte das auch ihren Schwestern, dass es wohl mehr war, als nur eine Schwärmerei. Und sieht man sich den jetzt 21-jährigen Ash an, dann mussten auch die drei Azuria-Damen zugeben, dass er ein mehr als guter Fang wäre. Vielleicht spricht auch nur der Neid aus den dreien, da sie sahen, was Ash aus sich gemacht hatte. Eigentlich dachten Daisy, Lily und Violett, dass Misty nicht mehr großartig für den schwarzhaarigen Wuschelkopf schwärmen würde, da auch sie sich auf Dates begab und anscheinend ‚auf der Suche‘ war. Doch es entwickelte sich nie mehr daraus. War Misty wirklich nie über Ash hinweggekommen? Die drei führten eine wortlose Diskussion, in der ihre Blicke alles aussagten, was sie wissen mussten. Die Jüngste beteiligte sich nicht daran und starrte auf Ash, wie er am anderen Ende des Saales sich vom Buffet bediente. Würde er nur für eine Sekunde hersehen, würde er ihr nur kurz in die Augen sehen … doch Ash musste seinen Teller abstellen und gab einem ungefähr Acht- bis Neunjährigen Mädchen ein Autogramm. Danach nahm er seinen Teller und ging ohne weiter in die Runde zu sehen an seinen Tisch, um zu essen.

Misty blickte hinterher und bemerkte erst, als sich Ash gesetzt hatte, dass Rocko sie ansah. Wahrscheinlich hatte er sie beobachtet, wie sie Ash die ganze Zeit angestarrt hatte. Verlegen sah sie aus dem Fenster. Doch ihre Neugierde war zu groß. Wieder sah sie an Ashs Tisch und wieder sah Rocko sie an. Der Tisch war jedoch zu weit entfernt, um aus seinem Blick etwas deuten zu können. Ihr wurde es zu bunt. Schnaubend stand sie auf und verließ den Saal. Rocko schlug die Hände vors Gesicht. Wieso war sie jetzt einfach gegangen? Er wollte ihr deuten herzukommen. Ash blieb Rockos Geste nicht verborgen. „Was ist los, Rocko? Ist das Essen so schlecht? Ich mein, an deinem kommt es nicht ganz heran, da hast du Recht, aber so schlecht ist es nun auch wieder nicht, oder?“, Ash zeigte schlechte Manieren und sprach mit vollem Mund. Er hatte jedoch lang genug warten müssen, bis er nun endlich essen konnte. Rocko entgegnete nichts, gab ihm nur einen Daumen nach oben und nahm den nächsten Bissen.

Es war bereits beschlossene Sache gewesen, dass die beiden Freunde das Zimmer nur noch für das Abendessen verlassen würden. Somit zogen sie sich zurück, und ließen sich nicht mehr blicken. Dementsprechend früh ging Ash schlafen. Er war kaputt von der ganzen Hektik und der Aufregung um seine Person. Rocko sah noch etwas fern. Er zappte durch das Programm, doch es war nichts Aufregendes dabei. Somit beschloss auch er Feierabend zu machen.

Anders im Zimmer Waterflower. Die drei Älteren schminkten sich gerade für eine heiße Diskonacht. Auch Misty machte sich fertig, um auszugehen. Allerdings würde es für sie nicht in die Disko gehen. Roberto hatte sie gefragt, ob sie den Abend nicht zu zweit verbringen wollten. Obwohl ihre Gedanken gerade um jemand anderen kreisten, sagte sie zu. Oder sagte sie genau deshalb zu, um sich abzulenken? Es würde wohl Mistys Geheimnis bleiben.

Zu viert traten sie vor die Tür. Ihre Wege würden sich jedoch schon bald trennen. Als sie vor dem Hotel standen gab es eine kurze Lagebesprechung. Lily, Daisy und Violett gingen nach rechts. In 300 Metern Entfernung gab es eine angesagte Disko, die sie in der bisherigen Woche ihres Aufenthalts noch nicht besuchen konnten. Und das wollten sich die drei Schwestern nicht entgehen lassen. Misty hingegen musste sich links halten. An einer nicht weit entfernten Bushaltestelle wartete Roberto auf sie und sie würden sich in die Innenstadt begeben. Vielleicht etwas essen, eine Bar besuchen, Cocktails schlürfen, was sich eben ergeben sollte.
 

Misty und Roberto hatten einen schönen Abend hinter sich. Er lehnte sich mit der Schulter gegen die Flurwand direkt neben Mistys Zimmer. Misty spürte, dass Roberto noch etwas sagen wollte. Sie merkte, dass er den gesamten Abend schon auf einen günstigen Zeitpunkt wartete, um etwas loszuwerden. Sie wusste zwar nicht genau was er sagen wollte, aber sie vermutete stark, dass es ‚sie beide‘ betraf. Und auf alles, was in diese Richtung gehen sollte, hatte sie momentan überhaupt keine Lust. Nicht nachdem Ash aufgetaucht war. Seine Anwesenheit wirbelte einiges bei ihr durcheinander. Es ging nicht darum, dass sie sich zwischen Ash und Roberto entscheiden müsse, dazu kannte sie Letzteren erst viel zu kurz. Sie fand ihn einfach nur nett, auch wenn sie, wie bereits erwähnt, seine Anspielungen sehr wohl wahrnahm. Auch jetzt bemerkte Misty in welche Richtung Roberto das Gespräch lenken wollte. Schnell schnitt sie ihm das Wort ab, umarmte ihn flüchtig und stimmte einem Treffen morgen Mittag am Pool zu. Der junge Mann brachte nur noch ein „Ciao, bis morgen …“ heraus, dann fiel die Tür auch schon wieder ins Schloss.

Misty lehnte sich gegen die Tür. Was sie gerade mit Roberto veranstaltet hatte war nicht sehr nett gewesen, dass wusste sie auch selbst. Doch sie konnte sich gerade auch nicht anders helfen. Wieso musste Ash unbedingt hier auftauchen?! Wieso genau dasselbe Hotel? Ihr Blick wanderte an die Decke. Ein paar Stockwerke über ihr lag er gerade seelenruhig und schlief. Unwissend, dass seine ehemals beste Freundin ebenso in diesem Hotel verweilte. Gebucht hatten sie zehn Nächte. Drei Nächte und vier Tage war sie somit noch hier. In dieser Zeit wird ein Treffen wohl unausweichlich sein. Doch das wollte sie doch eigentlich. Sich mit ihm treffen, wieder mit ihm reden … eben beste Freunde sein. Doch der Anfang nach einer solch langen Zeit war schwer. Und lieber übernahm sie selbst die Initiative, als sich von Ash ansprechen zu lassen und dann nur Müll zu labern. Sie musste sich im Voraus etwas einfallen lassen. Aber würde das nicht etwas zu aufgesetzt klingen? Ein Gespräch kann man sowieso nicht durchplanen. Misty raufte sich ihre langen orangenen Haare. Er war ihr bester Freund und jetzt konnte sie sich nicht überwinden, mit ihm ein ganz normales Gespräch anzufangen?! Oder war es eben der Fakt, dass es möglicherweise nicht nur ihr bester Freund war, der sie verzweifeln ließ? Mistys Blick wanderte erneut an die Decke. Sie machte sich so viele unnötige Gedanken. Letztendlich würde sowieso alles anders laufen, als sie sich es vorstellte. Doch sie fasste den Beschluss ihn morgen auf jeden Fall anzusprechen!
 

Misty hatte extrem schlecht geschlafen. Und als sie zum ersten Mal auf den Wecker sah, zeigte dieser 7:30 Uhr an. Wie konnte denn das sein?! Sie war im Urlaub und konnte zu einer solch frühen Uhrzeit schon nicht mehr schlafen. Zudem musste sie sofort an das Thema denken, das sie vom Schlafen abhielt. Ash Ketchum. Gequält setzte sie sich auf. Er wusste nicht einmal, dass sie hier war und sie konnte nicht schlafen, weil er hier war. Welch schicksalhafte Ironie. Da sie jetzt sicherlich nicht mehr einschlafen konnte, würde sie wohl zum Frühstück in den Essenssaal gehen. Dort konnte man ab 7:00 Uhr frühstücken. Zudem kannte sie Ash gut genug, um zu wissen, dass er alles auf dieser Welt tun würde, außer um 7:30 Uhr während des Urlaubs zu frühstücken. Somit konnte sie sich schon mal sicher sein, ihn nicht gleich früh am Morgen ansprechen zu müssen.
 

Misty war im Begriff zu gehen. Sie hatte gerade den letzten Bissen ihres Frühstücks in den Mund geschoben und wollte ihr Tablett nehmen, als das Abstellen eines eben solchen neben ihr sie dazu veranlasste kurz inne zu halten. „Morgen, Misty.“, kam es etwas kühl von ihrem unerwarteten Sitznachbarn. „Roberto, hi.“, gab Misty überrascht zurück. „Hast du noch kurz Zeit? Ich hol dir einen Kaffee, ja?“, kam es nun etwas freundlicher vom jungen Mann mit südländischem Aussehen. Misty blickte sich hektisch um. Der Saal füllte sich langsam. Sie hatte absolut keine Lust darauf, dass Ash jetzt hier reinkommt und sie sieht. „Sorry, Roberto. Ist nett gemeint, ich weiß, doch ich hab noch etwas mit meinen Schwestern vor und bin schon spät dran.“, dachte sich Misty eine Ausrede aus. „Oh, ok … schade. Aber unser Treffen heute Mittag steht noch, ja?“ „12:30 Uhr am Pool, ok? Bis dann, ciao.“ Und weg war sie. Sie eilte zum Aufzug und hoffte inständig, dass Ash noch in seinem Bett lag und nicht gleich aus diesem Aufzug heraus kam.

Die Tür ging auf und … kein Ash. Gott sei Dank. Misty fielen fünf Geowaz vom Herzen. Sie drückte die Sieben. Währenddessen warteten Ash und Rocko auf ihren Aufzug. Die Suite befand sich ganz oben auf dem Dach. Zehnter Stock. Ash tippelte schon ungeduldig mit dem Fuß auf dem Boden herum. Die Zahl blieb bei der Sieben stehen. „Komm schon, Aufzug. Fahr weiter, mein Bauch bringt mich um.“, brachte Ash mit letzter Kraft heraus. Er war natürlich alles andere, als am Verhungern, doch wer Ash Ketchums Essgewohnheiten kannte, wusste, dass man keine Scherze mit ihm machen durfte, wenn er Hunger hatte. Auch deswegen schmunzelte Rocko nur und gab keine Antwort auf Ashs Aussage.
 

12:29 Uhr. Misty betrat den Poolbereich und setzte sich sogleich ihre Sonnenbrille auf. Es war ein extrem heißer Tag. Und als würde die Sonne nicht schon genug sein, stieg Mistys Temperatur sofort noch weiter an. Sie musste direkt an Ash und Rocko vorbei, die es sich auf zwei Liegestühlen am Pool bequem gemacht hatten. Auch sie hatten beide Sonnenbrillen auf, jedoch verriet ihre unnatürliche Kopfhaltung, dass sie wohl vor sich hindösten. Die Chance für Misty unbemerkt vorbei zu schleichen. Unwillkürlich blieb sie einen Moment vor Ash stehen. So nah war sie ihm schon lange nicht mehr. Und doch war er irgendwie unerreichbar für sie. Schnellen Schrittes ging sie weiter, um sich mit Roberto zu treffen. Sie begrüßte ihn mit einer Umarmung, die allerdings sehr komisch ausgesehen haben muss, da sie sehr angespannt wirkte. Als sie im Hintergrund hörte, wie ein kleines Kind jemanden nach einem Autogramm fragte, dachte sie sich nur, dass sie so schnell wie möglich zum Strand musste. Hier wurde nur einer nach einem Autogramm gefragt, und das war Ash. Also so tun, als hätte man nichts gehört und ja nicht umdrehen!

Ash gab sein Autogramm und sah im Augenwinkel eine wallende orangene Haarpracht. Vielleicht bemerkte er es auch nur, weil ein Kerl mit südländischem Touch seinen Arm um die Taille der jungen Frau legte und mit ihr Richtung Strand aufbrach.

Nicht umdrehen! Nicht umdrehen! Nicht umdrehen! Während Ash seiner besten Freundin nachsah, redete sich Misty ein, sich auf keinen Fall umzudrehen. Sie durfte es nicht. Sollte Ash sie entdeckt haben und sie würde sich umdrehen, während er sie ansah, dann würde das bedeuten … ja was würde es eigentlich bedeuten? Jedenfalls wäre es einfach nicht gut, es würde nur Ärger bringen. Robertos Arm umschlang immer noch Mistys Hüfte, während sie den Torbogen zum Strand passierten. Sie fühlte sich absolut unwohl. Robertos Berührung war ihr äußerst unangenehm. Und dann geschah es. Als ihr Fuß das erste Mal den weißen Strandsand berührte, kam der unbeabsichtigte und verhängnisvolle Kopfdreher. Sie warf einen Blick zurück durch den Torbogen an die Poolanlage. Und dann traf er sie. Der ungläubige und vielsagende Blick des Ash Ketchum. Er hielt seine Sonnenbrille in der Hand und sah sie völlig entgeistert an. Mistys Herz setzte kurz aus. Genau das wollte sie doch verhindern. Ihr Puls würde gerade wohl jedes Messgerät sprengen. Komplett anders war es bei Ash. Er konnte es nicht fassen. Er wusste überhaupt nicht wie ihm geschah, vor allem wusste er nicht, was mit ihm geschah. Sein Herz setzte nicht nur kurz aus, um danach völlig aufzudrehen, wie bei Misty. Sein Herz wollte gar nicht mehr anspringen. Klinisch tot. Nach einer Minute völliger Leere in ihm, fing er an etwas vor sich hinzuflüstern.

„Heilige Scheiße … was zur verdammten Hölle …“

Rocko richtete sich auf. Er tat so, als würde er schlafen, doch seitdem das kleine Kind Ash geweckt hatte, war auch er wach. Er hatte alles gesehen. Sowohl Mistys Blick zurück in die Poolanlage, als auch Ashs Blick, der völlig neben sich stand. Ebenso wusste er genau, was Ash mit seiner Aussage meinte. Dass er es überhaupt nicht begreifen konnte, was er gerade gesehen hatte. Dennoch fragte Rocko nochmals nach.

„Was meinst du, Ash?“, er schob dabei seine Sonnenbrille nach oben. Ash suchte nach einer unauffälligen Fortsetzung seines Satzes, ohne gestehen zu müssen, dass er fassungslos war.

„… na, Misty. Sie ist hier und … sieht ganz anders aus, als das letzte Mal, als ich sie gesehen habe.“

Rocko schmunzelte. Er wusste natürlich, dass Ashs erster Satz nicht Mistys Aussehen galt. Wobei vielleicht auch ein wenig. Misty hatte sich immerhin zu einer enorm hübschen jungen Dame entwickelt. Keine Spur mehr von der burschikosen Schwimmerin von damals. Weibliche Rundungen, schlank und durchtrainiert, alles in allem ein wirklicher Hingucker, mit dem sich jeder Mann gerne blicken lassen würde. Doch Rocko stellte sich dumm. „Misty? Hier? Ich hab sie nicht gesehen. Bist du dir sicher, Ash?“

Ash war so in Gedanken versunken, dass er es nicht schaffte, eine Antwort von sich zu geben. Ganz langsam ließ er die Sonnenbrille wieder auf seine Nase gleiten und legte sich wieder hin. Er war aufgewühlt und völlig leer zugleich. Er schloss seine Augen nicht, sondern sah am Himmel den vorüberfliegenden Wolken hinterher und machte sich so seine Gedanken, wenn er denn welche zu fassen bekam …
 

Misty war alles andere als leer. Die Sonne war heiß, die Luft war heiß, der Sand unter ihren Füßen war heiß, und der umgelegte Arm von Roberto war ihr so unangenehm, dass dieser sich in ihre Taille einzubrennen schien. Ihre Gedanken kreisten nur noch um Ash. Für etwas anderes war auch gar kein Platz mehr, außer vielleicht ein wenig für Hitzeempfinden. Wieso musste sie sich auch umdrehen?! Wie dumm konnte man sein. Das war absolut unnötig und vermeidbar. Jetzt konnte sie eine Konfrontation wohl nicht mehr vermeiden. Wie sollte sie zudem unter diesen Umständen den gesamten Nachmittag mit Roberto verbringen? Dazu war sie nicht mehr in der Lage. Wenn ihr Kopf es zuließ, für ein paar Sekunden Ash zu verdrängen, machte sie sich daran einen Plan auszudenken, wie sie so schnell wie möglich zurück ins Hotel kam und Roberto dabei nicht mehr an Backe kleben hatte. Auch wenn das dem sympathischen Kerl gegenüber alles andere als fair war, aber Misty musste gerade etwas egoistisch sein. Sie musste dringend mit Ash reden. Dringend!

Um Roberto nicht vollends zu enttäuschen, würde sie kurz mit ihm ins Meer gehen. Dann würden sich beide an den Strand legen. Misty würde Rocko, dessen Handynummer sie auf jeden Fall noch hatte, kontaktieren, damit er sie in 30 Minuten anrufen sollte und sagt, sie müsse dringend zurück ins Hotel kommen. Das klang für sie moralisch nicht ganz so verwerflich, als einfach nach kurzer Zeit abzuhauen und Roberto alleine sitzen zu lassen.
 

13:37 Uhr. Rocko gab Ash kurz Bescheid, er müsse kurz auf Toilette. In der Lobby holte er sein Handy heraus und rief Misty an. Nachdem sie aufgelegt hatte, entschuldigte sie sich bei Roberto, packte ihre Sachen und begab sich wieder zum Hotel. Kurz bevor sie den Torbogen zur Poolanlage passierten wurde sie von hinten angetippt. Roberto?! Nein! Das hatte Misty nicht so geplant. Sie konnte sich doch kein zweites Mal vor Ash mit Roberto präsentieren. Und wenn er wieder meinte, er müsse sie berühren, während sie an Ash vorbeiliefen. Ogott! Wieso musste alles schief gehen?! Misty ließ sich nichts anmerken und lief weiter. Nun allerdings mit etwas erhöhtem Tempo. Ihr erster Blick, als sie sich zurück auf dem Hotelgelände befanden ging natürlich Richtung Ash. Der schien immer noch in Gedanken verloren und blickte in den Himmel. Genau als Misty mit Roberto an Ashs Liege vorbeiliefen, richtete er seinen Kopf nach vorne und nahm die Sonnenbrille ab, so als hätte er nur auf diesen einen Moment gewartet.

Autsch! Sein undefinierbarer Blick tat weh. Sehr weh. Er schmerzte ungemein, obwohl ihn Misty nur im Augenwinkel gesehen hatte, da sie sich nicht getraut hatte ihn direkt anzusehen. Sie kannte Ash und sie wusste nahezu immer, was seine Blicke zu bedeuten hatten. Doch dieser Blick … er zerstörte etwas in ihr. Er verunsicherte sie enorm. Sie konnte absolut nichts aus diesem Blick deuten, und das machte ihr Angst. Sie wusste natürlich, dass aus diesem Gesichtsausdruck nichts Gutes zu deuten war, doch was er ihr genau sagen sollte, wusste sie einfach nicht.

Robertos und Mistys Weg trennten sich in der Lobby. Nachdenklich schlenderte sie zu ihrem Zimmer und ließ sich niedergeschlagen in ihr Bett fallen. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie soeben ihren besten Freund verloren, ohne überhaupt ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Vor allem hatte sie aber nicht nur ihren besten Freund verloren, sondern auch den Mann, in den sie augenscheinlich seit Jahren verliebt war.

Missverständnis?

Misty wagte sich nicht mehr aus dem Zimmer. Zu groß war ihre Angst davor, Ash nochmals unter diesen Bedingungen unter die Augen zu treten. Sein Blick hatte sie völlig aus der Bahn geworfen. Sie kannten sich so gut, zumindest dachte Misty das. Doch diesen Ausdruck hatte sie noch nie von ihm gesehen. Es brauchte keine Worte. Sie hatte nie gedacht, dass ein Blick von Ash reicht, um ihr derartige Schmerzen zu bereiten. Herzschmerz.

Ihr Handy klingelte. Mühsam drehte sie ihren Kopf zur Seite und tastete das Nachtkästchen nach ihrem Smartphone ab. Roberto … dafür hatte sie jetzt überhaupt keinen Nerv. Sie ließ es klingeln und vergrub ihren Kopf wieder im Kissen. Seit ein paar Stunden war sie auf der Suche nach einer Lösung. Doch ihr fiel nichts ein. Nichts Vernünftiges zumindest.

Die Zimmertür wurde krachend geöffnet. Herein kamen drei Frauen und drei Männer. Auch das noch. Jetzt durfte sich Misty auch noch mit den aufgerissenen Typen ihrer Schwestern abgeben.

„Misty, du bist ja im Zimmer. Komm, wir gehen alle zusammen zum Abendessen, es gibt … Misty?“, Lily hatte nur ihre Beine im Bett liegen sehen, jedoch nicht ihr Gesicht gesehen. Sie trat in Mistys Zimmer und setzt sich zu ihr. „Hey, Kleine. Was ist los? Warte, lass mich raten, ich weiß genau was los ist. Ash saß den ganzen Tag grimmig am Pool und hat weder Autogramme geben wollen, noch Fotos mit sich machen lassen. Wenn ich nun dich hier so sehe, dann hängt das mit Sicherheit zusammen. Was hast du zu ihm gesagt?“, Lily hatte äußerst gut kombiniert. Nur der letzte Teil stimmte nicht, denn sie hatten noch keinen Satz zueinander gesagt. Misty wollte sich zusammenreisen, doch sie konnte es nicht mehr halten. Erst eine, dann noch eine und dann zwei Tränen gleichzeitig tropften auf ihr Kissen.

„Mädels und Jungs, geht essen. Ich komm gleich nach.“, rief Lily ins andere Zimmer. Sogleich wollten Daisy und Violett wissen was los sei, doch Lily stand schnell auf und drängte die anderen fünf nach draußen und sagte, es sei nichts Wildes, sie bräuchte nur kurz noch fünf Minuten. Etwas verdutzt ließen sich die beiden Schwestern abwimmeln, nahmen ihre Jungs und begaben sich zum Saal. Kaum hatten sie ein neues Gespräch mit ihren Begleitungen angefangen, interessierten sie sich schon gar nicht mehr für das, was im Zimmer war. Lily hingegen setzte sich wieder zu ihrer jüngsten Schwester und streichelte tröstend ihren Rücken. „Komm schon, Misty. Was ist passiert?“, fragte Lily erneut.

„Eigentlich ist gar nichts passiert. Ich wollte heute mit Ash reden, doch stattdessen sah er mich zwei Mal mit Roberto. Wir haben noch kein Wort miteinander gesprochen, doch sein Blick war so … undefinierbar. Voller Wut, Enttäuschung, Abneigung und sonstigen schlechten Sachen. Ich weiß nicht wie ich ihm jetzt unter die Augen treten soll und ein normales Gespräch beginnen kann.“, nachdem sie ihren Satz beendet hatte, brachen sämtliche Dämme bei ihr. Wasserfallartig schlugen ihre Tränen auf das Kissen auf. Lily fand es etwas komisch. Sie dachte es wäre etwas ernsthaft Schlimmes passiert, doch er hat sie nur etwas schief angesehen und das machte ihre kleine Schwester so fertig?

„Misty, sei mir nicht böse, aber du willst mir sagen, er hat dich nur etwas krumm angesehen und deshalb weißt du nicht mehr weiter?“, musste Lily etwas verwirrt fragen. Mistys Tränenfluss wurde dadurch natürlich nicht gestoppt. Sie rechtfertigte sich sofort. „Du verstehst das nicht, Lily. Einen solch verachtenden Blick hatte er noch nie. Was denkt er von mir? Ich bin zwei Mal mit einem Typen an ihm vorbeistolziert, ohne auch nur Hallo zu sagen.“, nach ihrem Satz schien ein weiterer Damm zu brechen. Erneut kullerten bittere Tränen ihre Wange hinunter. Lily überlegte kurz.

„Das ist sicherlich nicht die feine Art, da hast du Recht. Doch meinst du, das ist das einzige worauf er sauer sein könnte?“, Misty verstand ihre Frage nicht wirklich. Worauf könnte Ash denn noch sauer sein? Mistys fragender Blick ließ bei Lily einen Schalter im Kopf umschlagen. „Ohje … das war nicht sehr klug …“, Lily hielt sich mit beiden Händen den Mund zu. Mistys Fragezeichen wurden immer größer. Sie hätte es als normale Frage empfunden, wenn Lily sich nicht gerade selbst verraten hatte. „Lily! Raus mit der Sprache! Wieso sollte Ash auf mich sauer sein?!“, Mistys Trauer schlug in Wut um. Die Pinkhaarige wusste, dass sie aus dieser Nummer nicht mehr herauskam. Sie sah in Mistys Gesicht und bekam Schuldgefühle. Nach kurzer Denkpause beschloss Lily es ihrer jüngsten Schwester zu erzählen.

„Weißt du, am Tag unserer Abfahrt hat Daisy den Briefkasten geleert. Es war auch ein Brief für dich dabei. Er kam von Ash. Daisy hat ihn natürlich geöffnet und durchgelesen. Er hatte dich gefragt, ob du nicht für das Finale nach Einall kommen wollen würdest, um ihn im Stadion anzufeuern. Was genau in dem Brief stand weiß ich nicht, denn Daisy hat ihn mit der Begründung weggeschmissen, dass wir sowieso gleich in Urlaub fliegen würden und du keine Zeit hättest, ins Stadion zu kommen.“, Lily sah beschämt zu Boden. Mistys völlig entsetzter Blick sprach Bände. Das konnte nicht wahr sein. Sie konnte sich gerade nur nicht entscheiden, ob sie runter in den Speisesaal rennen sollte und Daisy umbringen sollte, oder zuerst Ash über dieses Missverständnis aufklären sollte. „Tut mir Leid, Misty.“, mehr brachte Lily mit ihrem schlechten Gewissen nicht heraus. Sie stand auf und verließ das Zimmer. Misty blieb geschockt liegen. Plötzlich hatte sie großes Verlangen danach, mit Ash zu reden. Sie würde sich jetzt duschen, fertig machen und dann Rocko anrufen, damit er ihr sagen konnte, wo sie Ash am besten treffen konnte. Da musste das Abendessen eben ausfallen. Voller Tatendrang sprang sie auf und begab sich unter die Dusche.
 

Misty machte sich etwas gründlicher fertig, als sonst. Unterbewusst? Oder Absicht? Sie wollte jedenfalls gut aussehen, soviel war klar. Ihr Handy klingelte. Bestimmt wieder nur Roberto. Sie ließ es klingeln. Keine Minute später fing das Handy erneut an Laute von sich zu geben. Sie musste jedoch erst noch ihren Liedstrich fertig ziehen. Genervt stand sie auf, um nachzusehen, was denn so wichtig sei. Als sie den Home-Button drückte, der den Bildschirm aufleuchten ließ, fiel ihr fast das Handy aus der Hand. Rocko?! Vier Anrufe in Abwesenheit und eine Nachricht. ‚Sei in 20 Minuten bei uns an der Suite 1070. Ich werde rausgehen‘. Rocko ist ein Schatz. Seine Beobachtungsgabe ist einfach sensationell. Er wusste, dass etwas nicht stimmt. Allerdings bekam Misty sofort den nächsten Schock. Die Nachricht wurde vor 27 Minuten gesendet. Sie war zu spät! Sie legte ihr Handy weg und begab sich zurück ins Bad. Wie sollte sie sich unter diesem Zeitdruck vernünftig fertig machen?

Das Handy klingelte erneut. Sie spurtete zu ihrem Bett, auf dem sie es abgelegt hatte. Rocko. Sie nahm ab und rief einfach nur ins Mikrophon, dass sie in fünf Minuten da wäre. Ohne eine Antwort zu erwarten legte sie wieder auf. Dann würde sie wohl nur noch den zweiten Liedstrich ziehen können, für mehr reichte die Zeit nicht. Wieso hatte sie nicht 15 oder gar 20 Minuten gesagt? Sie ärgerte sich, zog ihren Liedstrich und rannte aus ihrem Zimmer. Zum Glück brauchte der Aufzug nicht lange, sodass sie pünktlich, beziehungsweise eigentlich schon viel zu spät vor der Zimmernummer 1070 im zehnten Stock stand. Die größte Suite des Hotels. Sie atmete nochmal aus und setzte zum Klopfen an. Doch die Tür öffnete sich von alleine. Rocko trat heraus, deutete mit der Hand auf die Dachterrasse und ging wortlos. Misty schenkte ihm ein warmes Lächeln, das jedoch sofort wieder verschwand, als sie die Tür hinter sich schloss. Sie sah ihn. Er aß auf der Terrasse mit Blickrichtung zum Meer. Langsam und unsicher wagte sie sich durch die Suite. Sie war wunderschön eingerichtet, doch für Details hatte sie gerade kein Auge. Zu nervös war sie. Sie trat über die Schwelle zur Terrasse und wurde sogleich von der wärmenden Sonne bestrahlt. Sie schloss kurz die Augen und atmete nochmals durch. Ash hörte das.

„Rocko, das Essen ist wirklich köstlich. Du musst … oh …“, er drehte sich um und sah sie dort stehen. Unsicher klammerte sie sich mit beiden Händen an den Umhängegurt ihrer Tasche. Er vergaß das Kauen und starrte sie konsterniert an. Dialga ließ wohl gerade die Zeit stehen bleiben. Keiner rührte sich, keiner sprach ein Wort. Beide Köpfe waren vollkommen leer. Als Misty die Fähigkeit des Denkens nach einer gefühlten Ewigkeit zurückerlangte, waren ihre ersten Gedanken einfach umzudrehen und wortlos aus dem Zimmer zu rennen. Ihr Elan, den sie vorhin gehabt hatte … weg. Ash erging es nicht anders. Doch er konnte als Erster wieder einen einigermaßen klaren Gedanken fassen. „Setz dich, ich zieh mir nur ein T-Shirt an.“, er stand auf und huschte an Misty vorbei in die Suite. Da auch bei Frauen ab und zu die Urinstinkte durchkamen, sprach sie ein lautloses Wow aus, als ihr bester Freund an ihr vorbeilief. Seit wann konnte Ash einen solchen Oberkörper vorweißen? Am Pool hatte er ebenfalls ein T-Shirt an, wieso nur, wenn man so aussah? Erst nach ihren Gedankenspielen setzte sie sich in Bewegung, um sich auf dem Stuhl gegenüber von Ash zu platzieren. Kaum hatte sie sich hingesetzt, kam auch schon wieder Ash zurück und setzte sich auf seinen Platz.

„Lass mich raten … Rocko?“, gab Ash völlig monoton von sich. Misty nickte nur leicht. Stille. Ash nahm einen weiteren Bissen seines Abendessens zu sich und sah seiner langjährigen Reisegefährtin dabei in die Augen. Eine Sekunde? Vielleicht waren es auch zwei. Danach sah sie beschämt weg. Länger hielt sie seinem Blick nicht stand. Ash musste grinsen. Er schluckte, dann schob er sein Essen beiseite. „Du hättest dich nicht für mich schminken brauchen, du weißt doch, ich steh auf Natürlichkeit.“, Misty war geschockt und froh zugleich. Hätte sie mehr Zeit gehabt, hätte sie sich noch mehr zugekleistert. „Für dich?“, gab sie patzig zurück. Sofort stellte sie auf Angriffsmodus um und vergaß den eigentlichen Grund, weshalb sie hier war. Ash lachte nur kurz und erinnerte Misty sogleich an ihr Vorhaben. „Was führt dich zu mir, nachdem du mir am Pool nicht mal Hallo sagen konntest?“, sofort hörte Misty den ernsten Unterton heraus. Normalerweise hätte sie jetzt einen Satz gesagt, wie ‚Du hast doch auch nicht Hi gesagt‘, aber aus dem Kindergartenalter war sie dann doch schon heraus.

„Meine Schwester Lily hat mich gerade über etwas aufgeklärt, das ich dir unbedingt sagen möchte.“, sagte sie bestimmt und sah dem Schwarzhaarigen dabei in die Augen. Ash kannte diesen Blick, er wusste, dass sie es ernst meinte und er jetzt besser nicht witzeln sollte. Sie fuhr fort.

„Sie sagte mir gerade, dass Daisy am Tag unserer Abfahrt den Briefkasten geleert hat und dort auch ein Brief für mich dabei gewesen war. Von dir. Sie hat ihn durchgelesen und weggeschmissen mit den Worten, wir würden jetzt sowieso in den Urlaub gehen, ich hätte keine Zeit dazu. Hätte ich diesen Brief selbst gelesen, dann wäre ich sehr gerne zu dir ins Stadion gekommen und hätte dich angefeuert.“, zum Ende ihres Satzes wurde sie immer leiser. Ihren ernsten Blick konnte sie auch nur während des ersten Teils ihrer Erklärung halten. Danach konnte sie nur noch auf den Boden sehen. Ashs Grinsen wurde während Mistys Erklärung immer breiter. „Und ich dachte schon, du gibt’s mir nicht einmal eine Antwort und vergnügst dich stattdessen mit deinem neuen Lover hier im Urlaub.“, stichelte Ash seine Gesprächspartnerin an. Sofort schritt Misty ein. „Er ist nicht mein Lover!“, schrie sie ihm zu. „Was denn dann?“, fragte Ash erneut, blieb jedoch völlig ruhig dabei. „Gar nichts! Er ist nett und erhofft sich mehr, ich bin jedoch nicht zu haben.“, sie realisierte erst hinterher, dass sie sich eigentlich gerade verplappert hatte. Ashs Augen wurden größer. Doch dann schmunzelte er und richtete seinen Blick aufs Meer. „Na dann war alles mal wieder ein großes Missverständnis.“, sagte er erleichtert, wandte seinen Blick jedoch nicht vom Horizont ab. „Das ist wohl wahr.“, Misty fielen diesmal ein paar mehr Geowaz, als fünf, vom Herzen. Es war eine unendliche Last, der sie sich entledigen konnte. In ihr kam ein wohliges Gefühl auf, als sie sah, wie Ash sich ihr zuwandte und einfach nur ehrlich lächelte. „Ich bin froh, dass du da bist, Misty.“, das wohlige Gefühl schoss plötzlich durch die Decke. Ihr Herz begann wie wild zu schlagen. Solch einen Satz hatte sie noch nicht von ihm gehört. Aber es war schön, einen solchen zu hören. „Ich finde es auch schön, dass ich nun bei dir bin.“
 

Nachdem das Gespräch äußerst zäh begonnen hatte, quatschten sich die beiden ehemaligen Reisegefährten quasi in einen Rausch. Es wurde auch immer wieder über alte Geschichten gelacht, doch es wurde überwiegend Fragen gestellt, die die Zeit betrafen, in der beide weniger bis gar nichts miteinander zu tun hatten. Ash bemerkte frühzeitig in welche Richtung sich das Gespräch entwickelte, nachdem Misty fragte, wie es als Berühmtheit mit den Mädels aussah und sie dabei etwas betrübt zu Boden sah. Ash musste etwas schmunzeln. „An dir ist noch keine vorbeigekommen.“, schoss es etwas unüberlegt aus ihm heraus. Misty schreckte hoch und sah ihm in die Augen. Ihr Puls war während des gesamten Gesprächs leicht erhöht, doch nun schien er ein beängstigendes Level zu erreichen. Der Schwarzhaarige fing das Lachen an. Misty verstand nicht wirklich wieso, doch sie stimmte sicherheitshalber mit ein, um keinen Verdacht zu wecken.

„Hey, wie wär’s, wenn wir noch eine Runde an den Strand gehen?“, fragte er, nachdem sein Lachen verstummt war. Die jüngste Azuria-Schwester schreckte erneut etwas schockiert hoch. Woher nahm er seine Lockerheit? Sie saß hier mit einem Puls von 180 und musste jede ihrer Antworten erst im Kopf durchgehen, um nichts Bescheuertes zu sagen, und er machte ihr Komplimente, Lachte dauernd und forderte sie nun auf, mit ihm an den Strand zu gehen. Und das um 22:30 Uhr abends. Wieder sank ihr Kopf etwas. Wahrscheinlich war er so locker, weil er, seit seinem steilen Aufstieg, so viele Mädchen und Frauen um sich hatte. Er redete wohl mit jeder so. „Misty? Hab ich etwas Falsches gesagt? Oder möchtest du nicht mehr an den Strand?“, hakte er nach, da er keine Antwort bekam. „Oh … doch, natürlich. Gerne.“, schenkte sie ihm ein Lächeln.
 

Misty und Ash traten gerade durch den Torbogen, der den Nebeneingang zur Hotelanlage überspannte. Sie waren beinahe zwei Stunden am Strand umhergewandert. Ohne Ziel, ohne Vorhaben. Es war schön gewesen, doch Misty konnte ihre Anspannung einfach nicht ablegen. Wieso nur? Wieso verspürte sie einen solch immensen Druck? Ash war die Lockerheit in Person. Quatschte, lachte und witzelte ununterbrochen. Und sie? Sie fühlte sich wie eine Spaßbremse. Doch Ashs gute Laune fand keinen Abbruch. Sie konnte ihre Anspannung anscheinend gut verstecken, sonst hätte er bestimmt etwas gesagt. So ehrlich war er normalerweise.

Sie waren gerade dabei ins Hotel einzutreten, da schrie eine Person ihnen zu, sie sollen warten. Daisy. Mistys Puls fuhr diesmal aus einem ganz anderen Grund in die Höhe. Zusammen mit Violett und Lily schlossen die drei zu Ash und Misty auf. Sofort ergriff Daisy das Wort. „Hi Ash, lange nicht gesehen. Weißt du, als erstes muss ich mich wohl bei dir entschuldigen. Ich hab deinen Brief für Misty einfach weggeworfen, ohne ihr überhaupt davon zu erzählen. Sorry. Aber wie ich sehe, habt ihr beiden das ja bereits geklärt.“, sie warf Misty einen äußerst anzüglichen und vielsagenden Blick zu. Misty verdrehte nur die Augen. „Schon ok, hat sich alles geklärt.“, gab Ash etwas überfordert von Daisys Redefluss zurück. Misty legte ein entsetztes Gesicht auf. Das konnte nicht wahr sein. Sie hatte gehofft, er würde ihr einen kleinen Einlauf verpassen. Doch schnell wurde ihr klar, er wollte nur höflich sein. Misty fragte in die Runde, woher die drei gerade kämen. Violett erklärte, dass in der Hotelinternen Disko eine Kanto-Mottoparty steigen sollte, doch die war lahm. Also wollten sie nochmal in die angesagte Disko etwas die Straße hinunter. Dazu müssten sie sich jedoch etwas frisch machen. Danach wurde es still in der Fünfergruppe. Misty zog etwas das Tempo an, Ash folgte ihr dicht dahinter. Die drei Schwestern hatten auf ihren hohen Schuhen etwas größere Probleme, konnten aber gerade noch so mithalten. Ab und zu tuschelten sie etwas Unverständliches. Misty drehte sich daraufhin um, und warf ihnen einen bösen Blick zu. Sie wusste genau um was es ging.
 

Misty öffnete die Tür, blieb jedoch davor stehen. Ash tat es ihr gleich, während Daisy, Violett und Lily im Zimmer verschwanden. „Können wir uns morgen sehen?“, durchbrach Ash die Stille. Er war es diesmal, der etwas schüchtern auf den Boden sah. Misty musste lächeln. „Klar!“, stimmte sie ihm zu, wodurch er sofort seine Selbstsicherheit zurückgewann. „Geht das auch mit deinem Lover klar?“ „Ash!“, schrie sie, für diese Uhrzeit eindeutig zu laut, durch den Flur und schlug ihm dabei auf die Schulter. „Deine Nummer ist noch aktuell, oder?“, fragte er und sah ihr diesmal in die Augen. Das brachte sie sofort wieder etwas aus dem Konzept, weshalb sie nur ein zögerliches Ja herausbrachte. „Gut, dann warte morgen einfach auf eine Nachricht von mir, ja.“, mit einem Augenzwinkern setzte er sich in Bewegung. Nach ein paar Schritten drehte er sich nochmals um. „Gute Nacht, Misty.“, dazu setzte er das wohl schönste Lächeln auf, das er hatte. Misty sagte nichts mehr und winkte ihm nur noch kurz zu. Sie trat in ihr Zimmer und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Seit wann war Ash dieser Frauenversteher und schien alles richtig zu machen?! Woher hatte er diese Selbstsicherheit? So gedankenverloren, wie sie an der Tür stand, bemerkte sie gar nicht, wie sie von ihren drei Schwestern erwartungsvoll angesehen wurde. „Und? Spucks aus, Misty!“, fragte Violett, da die Orangehaarige keine Anstalten machte, von sich aus etwas zu sagen. „Was und? Nichts natürlich, was soll schon sein?“, gab Misty in einem etwas zu unhöflichen Ton zurück, worauf Daisy empört das Wort ergriff. „Hör mal, Misty. Dieser Typ namens Ash Ketchum, der sich in sämtlichen Geschichtsbüchern verewigt hat, hat dich, Misty Waterflower auf dem Weg hierher ins Zimmer mit seinen Blicken ausgezogen, wieder angezogen und dann erneut ausgezogen! Das hat doch jeder Blinde gesehen. Er hat dich von oben bis unten durchgescannt. Haare, Gesicht, Brust, Bauch, Po, Beine. Einfach alles!“ „Besonders an deinem Po ist er ein paar Mal hängen geblieben, Misty.“, warf Violett ein und zog eine Augenbraue nach oben. „Bei diesem Hinter auch kein Wunder, Violett.“, bestätigte Daisy ihre Schwester. „Haltet die Klappe. Und redet mir nichts ein.“, antwortete sie trotzig. „Misty ... Kleines. Hör doch mal auf uns. Wir wissen doch, dass du seit Jahren in diesen Typen verknallt bist. Wir wollen dir damit sicherlich nichts Böses. Und wenn diese Blicke nicht eindeutig waren. Der kleine Ashi ist eben auch erwachsen geworden.“, wieder wurde eine Augenbraue als verstärkende Geste angehoben, diesmal von Daisy. Misty kam ins Grübeln. Waren seine Blicke so eindeutig und auffällig? Sie hatte sich stets vor Ash gehalten. Beim Laufen, im Aufzug … sie hatte nie seine Blicke bemerkt. Und eines musste sich Misty eingestehen, wenn es um solche Sachen ging, kannten sich ihre Schwestern wirklich bestens damit aus. Umso länger sie darüber nachdachte, umso mehr hellte sich ihr Gesicht auf. Hatte Ash wirklich mehr für sie übrig als Freundschaft? Er war den ganzen Abend über nett zu ihr gewesen, er war nicht nachtragend wegen dem Finale, sondern wollte anscheinend einfach nur Zeit mit ihr verbringen. Wenn man die einzelnen Puzzleteile richtig zusammensetzte, konnte man schon diverse Schlüsse ziehen, die Daisy und Violett Recht gaben. Mit einem strahlenden Lächeln begab sie sich in ihr Zimmer. Lily, Violett und Daisy mussten kurz Lachen. Danach verschwanden sie im Bad, immerhin war für sie der Abend noch jung.

Gedankenspiele

Misty konnte nur ganz schlecht schlafen. Zu aufgeregt war sie. Also verschwand sie zu früher Stunde bereits im Bad. Wie bereits gestern machte sie sich etwas sorgfältiger fertig. Dabei behielt sie jedoch Ashs Worte im Hinterkopf. Sie wollte nur frisch und gut aussehen, und gut hieß nicht, sich das gesamte Gesicht zu übermalen.

Unschlüssig sah sie in den Spiegel und begutachtete die Person, die ihr gegenüberstand. War diese Person wirklich sie? Nachdenklich und unzufrieden stand sie da. Würde sie Ash so gefallen? Misty kam auf den Schluss, auf den alle Frauen nach dem ersten Mal kamen. Egal, ob es die abendliche Garderobe war, oder eben die Schminke auf dem Gesicht: Nein! So konnte sie Ash nicht treffen. Die Frage war nur, war das schon zu viel Schminke? Oder sollte sie sich vielleicht nur etwas anders schminken? Misty stand planlos im Bad und konnte sich nicht entscheiden, als eine völlig verschlafene Lily das Bad betrat. „Misty? Spinnst du jetzt vollkommen? Es ist 6:30 Uhr morgens und du stehst im Bad und machst dich fertig? Wir sind erst vor zwei Stunden heimgekommen, da kannst du hier doch nicht so einen Lärm machen.“, nuschelte sie verschlafen und konnte dabei kaum die Augen offen halten. „Ich bin doch gar nicht laut! Sag mir lieber, was ich auftragen soll. Ash sagte, er steht auf Natürlichkeit.“, erwartungsvoll hielt sie ihr zwei verschiedene Döschen hin. Lily nahm beide und musste sie aus ungefähr fünf Zentimeter Entfernung begutachten, um sie erkennen zu können. „Auf Natürlichkeit? Was hat er denn zu dir gesagt, als du gestern bei ihm warst?“, es hatte den Anschein, als könne Lily noch nicht entziffern, welche Dosen sie gerade in der Hand hielt und wolle so noch etwas Zeit herausholen, um ihre Entscheidung zu treffen. „Ein Kompliment für mein Aussehen hat er mir nicht gemacht, wenn ich mich recht erinnere. Was könnte das bedeuten?“, kam es nun etwas hysterisch von der Orangehaarigen. „Misty, Ash ist dein bester Freund. Ich kann dir diese Frage nicht beantworten. Wenn er sagt Natürlichkeit, dann trag so wenig auf wie möglich, du hast sowieso die beste Haut von uns vieren.“, Lilys Beratung war beendet, und so schlurfte sie unverrichteter Dinge wieder aus dem Bad und ließ Misty mit ihrer endgültigen Entscheidungsfindung allein.

Also noch mal von Anfang an. Nachdem sie sich abgeschminkt hatte stand sie wieder unschlüssig vor dem Spiegel. Sie hatte ein genaues Bild von sich vor Augen. Doch nachdem sie angefangen hatte, sich zu schminken, und in ihr sofort wieder Zweifel aufkamen, ob Ash das wirklich gefallen könnte, warf sie ihren Plan über den Haufen und schminkte sich letztendlich ganz anders, als sie es wollte.

„Ash kommt es doch sowieso nicht darauf an, das muss jetzt so passen.“, gab sie etwas verzweifelt von sich. Ihr Wunschergebnis ist nicht herausgekommen. Sie musste ein paar Mal korrigieren, doch zu viel war es nun auch nicht. Jetzt hieß es nur noch auf Ashs Nachricht warten. Es war gerade kurz vor acht Uhr. Sie könnte frühstücken gehen. Doch vor lauter Anspannung würde sie wahrscheinlich eh nichts hinunterbekommen. Wie also nun die Zeit totschlagen? Sie trat auf den Balkon und blickte hinaus auf das weite Meer. Was könnte sie nun in ihrem Zimmer anstellen? Lange überlegen musste sie dazu gar nicht, denn sie hörte ihr Handy vibrieren. Sie stürmte zurück ins Zimmer, nahm ihr Smartphone und las:

<Bin gerade frühstücken. Komm in 30 Minuten in meine Suite! XXX>

Misty fielen die Augen aus. So direkt kannte sie ihren besten Freund gar nicht. Und dann noch die drei X. Misty bekam Hitzewallungen, ihr Herz drohte zu platzen. Wie sollte sie nur diese 30 Minuten überstehen? Jetzt war sie sich sicher. Ash musste auch auf sie stehen. Das konnte doch nicht zweideutig ausgelegt werden. Oder? Misty versuchte die Nachricht ohne die Liebesbrille zu lesen. So, als wäre sie gar nicht in Ash verliebt. Wie würde sich dann diese Nachricht lesen? Nicht viel anders. Es musste einfach so sein. Misty sprang in ihrem Zimmer auf und ab. Solange, bis aus dem anderen Schlafzimmer ein lautes ‚Ruhe‘ von Daisy zu hören war. Leise, aber dennoch voller Vorfreute schlich sie zurück in ihr Zimmer und drohte beim Warten zu explodieren.
 

Exakt pünktlich stand sie vor Zimmer Nummer 1070. Unsicher klopfte sie an. Nach einem kurzen Augenblick wurde die Tür von Ash geöffnet. Sie strahlte ihm ins Gesicht. Er lächelte nur etwas schief und bat sie herein. Er hatte wieder kein T-Shirt an und es sah so aus, als hatte er diesmal auch nicht vor sich eines drüberzuziehen. Misty traute sich ihn aber nicht auf seinen Oberkörper anzusprechen. Ash hatte einen ernsten Blick aufgelegt, als sie in der Zimmermitte stehen blieben. Sofort ergriff er bestimmend das Wort.

„Du fragst dich wahrscheinlich, wieso ich dich bereits jetzt zu mir in die Suite bestellt habe. Weißt du … Rocko ist jetzt für zwei bis drei Stunden nicht da und da dachte ich mir …“, er trat auf Misty zu. Direkt vor ihrem Gesicht machte er halt. Er hauchte seinen Satz zu Ende. „… ich hol mir einfach eine neue Zimmergenossin.“

Er küsste sie. Einfach so, ohne Vorwarnung. Misty riss die Augen auf, als sich seine Lippen auf ihre legten. Abwehrmaßnahmen? Dazu war sie nicht im Standen. Sie ließ es geschehen. Kurz darauf ließ er von ihr ab, sah ihr tief in die Augen. Oh mein Gott, seine Augen. Sie wurde gepackt, nicht von ihm, sondern von ihrem Verlangen, den Mann, den sie schon so lange liebte, zu berühren, bei sich zu haben, seine Nähe zu spüren. Sie griff ihm in den Nacken, zog ihn zu sich und verwickelte ihn in einen leidenschaftlichen Kuss. Ihre Gefühle, ihr Körper, ihr Herz, ihr Kopf, alles spielte verrückt. Er hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer. Er setzte sich aufs Bett, während sie ihre Beine um seine Hüfte geschlungen hatte. Alles war perfekt. Der Zeitpunkt war gekommen. Sie ließ von ihm ab und sah ihm erneut tief in die Augen. „Ich liebe dich, Ash!“, konnte sie nur flüsternd hauchen, da ihr vom Küssen die Luft wegblieb. Sie wollte ihn gar nicht antworten lassen und ihn sofort erneut in einen leidenschaftlichen Kuss ziehen, doch Ash hielt sie davon ab. Sie fragte sich was er hatte, als sie in sein Gesicht sah. Ashs Augen wurden riesig. Verwundert packte er Misty an der Hüfte und hob sie von sich herunter, stellte sie wieder auf den Boden. Danach stand auch er auf, stellte sich vor sie hin und sah sie ziemlich verwirrt an. Nach kurzer Denkpause schüttelte er den Kopf. „Liebe? Du liebst mich? Misty … sorry … aber ich dachte es geht hier nur um das eine … mehr nicht.“

Mistys Herz brach in unendliche viele Teile. Nein, ihre gesamte Welt, ihr gesamtes Leben brach in unendlich viele Teile. Ash ließ ihr nicht einmal Zeit zum Nachdenken. Grob schubste er sie vor sich her. Erst aus dem Schlafzimmer, dann Richtung Tür. Auf den letzten Metern versuchte sie sich dagegen zu wehren. „Aber … aber, Ash …“, brachte sie nur sehr gebrochen heraus. „Nichts aber … ciao, Misty!“ Und da flog auch schon die Tür zur Suite krachend zu.
 

Misty schreckte hoch. Ihre Augen waren größer, als die eines Lepumentas. Was zur Hölle war das gestern gewesen?! Hatte sie sich seit dem Rauswurf von Ash in ihr Zimmer verkrochen, den gesamten Tag geheult und war irgendwann eingeschlafen? Sie sah auf ihr Handy, das auf dem Nachttisch lag und am Ladekabel hing. 10:37 Uhr. 5 Nachrichten und ein Anruf in Abwesenheit. Alle von Ash. Hatte er ihr nach seinen Auftritt gestern wirklich noch geschrieben? Mit zittrigen Händen öffnete sie die Nachrichten. Um sie zu lesen, musste sie sich die Tränen aus den Augen wischen. Sie hatte sogar im Schlaf geweint. Erst jetzt konnte sie das Geschriebene auch erkennen.

<7:55: Möchtest du mit mir frühstücken?>

<8:03: Gestern war schön gewesen, freu mich auf den Tag mit dir>

<8:16: Bin fertig mit frühstücken, vielleicht können wir morgen zusammen gehen>

<9:28: Ich nehme an, du schläfst noch :P>

<10:02: Schreib mir einfach, sobald du wach bist :)>

Der Anruf war vor sechs Minuten. Misty las die Nachrichten viermal, fünfmal, sechsmal durch. Äußerst irritiert sah sie auf ihr Handy und dann aus dem Fenster. Als sie dann erneut die Nachrichten durchlesen wollte, fiel es ihr wie Karpadorschuppen von den Augen. Das Datum! Gestern war sie mit Ash am Strand gewesen. Ein zweites Mal war sie noch gar nicht bei ihm, das war alles nur ein äußerst realistischer Traum. Misty fiel völlig fertig zurück in ihre Schlafposition und musste lachen. Einfach nur laut lachen. Doch die Freudensprünge, die ihr Herz machte, wurden sogleich wieder kleiner, bis sie vollends verebbten. Ok, es war also nur ein schlechter Traum, doch was war, wenn er wirklich nur darauf aus war? Wenn er wirklich nur das Eine wollte? Sofort wurde wieder die Liebesbrille aktiv. Sie las sich nochmals seine Nachrichten durch, und kam zu dem Schluss, dass er niemals so etwas und so viel schreiben würde, wenn er nur auf das Eine aus wäre. Oder? Einerseits machte Liebe zwar blind, doch andererseits würde sie jetzt doch nicht das Zweifeln anfangen, nur weil sie solch einen Unfug träumte.

Sie begab sich ins Bad. Diesmal würde sie nicht solange brauchen. Sie wusste nun genau, wie sie sich schminken würde. Nur die Augen ein wenig, mehr nicht. Sie würde auch kein schickes Sommerkleid anziehen. Roter Bikini, gelbes bauchfreies Top, Jeansshorts, Ballerinas. Basic. Sie glaubte, so würde sie Ash am besten gefallen. Ihr schlechter Traum hatte auch etwas Gutes. Sie besann sich auf die einfachen Dinge. Ash wollte nicht mit einem schicken Sommerkleid den Tag verbringen, oder mit einer überschminkten Tussi. Er wollte mit IHR den Tag verbringen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Ash sich derart geändert hatte. Er war irgendwie immer noch derselbe kleine Ash, der mit ihr auf Reisen war. Und genau mit dieser unbekümmerten Misty von damals wollte er etwas unternehmen. Und die sollte er auch bekommen. Sie nahm ihr Handy und schrieb ihm zurück. Sie wäre jetzt fertig, wohin solle sie kommen. Es dauerte keine zwei Minuten, da bekam sie schon eine Antwort, so, als hätte er nur auf ihre Nachricht gewartet.

<11:07: Bin in der Suite, du kannst gerne vorbeischauen, wenn du möchtest. Rocko ist gerade nicht da, kommt aber bald wieder>

Sofort musste sie an ihren Traum denken. Das konnte doch nur ein dummer Zufall sein. Sie überlegte dennoch kurz, um ihn dann aber zuzusagen. Sie würde ganz nüchtern an die Sache herangehen. Völlig selbstbewusst und auf alles gefasst, machte sie sich auf.
 

Sie klopfte an der Tür. Es dauerte kurz, doch sie vernahm Bewegungen in der Suite. Ash nahm die Klinke in die Hand. Er atmete nochmal tief durch, bevor er freudestrahlend die Tür öffnete. Misty, die wartend auf den Boden sah, schreckte hoch. Sie sah sein Lächeln, allerdings nur für einen Bruchteil einer Sekunde. Seine Mimik änderte sich schlagartig. Es sah so aus, als wäre er überrascht. Prüfend scannte er sie von oben bis unten. Misty wurde etwas mulmig. Sie hätte sich wohl doch schicker anziehen sollen, Ash gefiel es überhaupt nicht, wenn man nach seinen Blicken ging. Zu guter Letzt blieb er bei ihrem Gesicht stehen. Misty war verunsichert. Doch Ash kramte sein Lächeln hervor, das er anfangs aufgelegt hatte und nahm Misty damit ihre Unsicherheit. „Du siehst umwerfend aus, Misty. So, wie ich dich kenne.“, durchbrach Ash die Stille. Misty sagte nichts darauf und sprang ihn in die Arme, um ihn zu begrüßen. Sie drehten sich um 180 Grad, sodass Misty in der Suite wieder zum Stehen kam. Sie begaben sich zur Couch, setzten sich hin und sahen sich einen kurzen Augenblick einfach nur an, ohne ein Wort zu sagen. Man erkannte die Bewunderung, die beide füreinander übrig hatten. „Und? Was möchtest du unternehmen? Ich dachte an ein Restaurant in der Innenstadt, um zu Mittag zu essen. Das Frühstück hast du ja verpasst.“, sagte er neckisch. Misty war das etwas peinlich, weshalb sie verlegen wegsah und leicht errötete. „Das würde mir gefallen, ja.“, gab sie zu und ließ den Teil mit dem Frühstück bewusst unbeantwortet.

Sie wollte das Ganze nüchtern und unaufgeregt angehen und durchziehen. Doch mit jeder weiteren Minute schnellte ihr Puls schon wieder nach oben. Wie sollte sie diesen Tag nur überleben? Ash stand auf und reichte ihr die Hand, um sie mithochzuziehen. Wieder so eine kleine Geste, die Misty um den Verstand brachte. Und wieder musste sie sich die Frage stellen, seit wann er diese kleinen Kniffe raushatte, die Frauenherzen höher schlugen ließen. Machte er es bei jeder so? Hatte er bereits so viel Erfahrung mit dem anderen Geschlecht gesammelt, dass solche Dinge für ihn zur Routine wurden? Oder stellte er sich nur bei ihr, Misty Waterflower, so derart klug an, dass sie ihm am liebsten um den Hals fallen und nie mehr loslassen wollen würde? Sie hoffte, dass sie darauf noch eine Antwort bekommen würde, doch zuerst gab es ein leckeres Mittagessen, da das Frühstück bereits ausgefallen war.
 

„Oh. Entschuldigst du mich kurz?“, sie ließ Ash gar keine Antwortmöglichkeit und huschte schnellen Schrittes davon. Sie hatten soeben die Lobby betreten, als sie an der Rezeption ein bekanntes Gesicht wiederfand. Roberto. Er schien auszuchecken, da er zwei Koffer im Schlepptau hatte. Misty schlich sich von hinten an, während er auf die Rezeptionistin wartete, die gerade ein Telefonat führte. „Hey, Roberto. Gehst du etwa schon? War heute dein letzter Tag?“, tippte sie ihn an der Schulter an und fragte einfach drauf los. „Hey, du bist es. Ja, sieht wohl so aus. Ich wollte dich nicht mit Belanglosem stören, während du mit deiner Berühmtheit unterwegs bist.“, Roberto klang etwas angefressen, doch als er in Mistys Gesicht sah, musste er sich sofort verbessern. „Sorry, war nicht so gemeint. Als du mir das Bild aus deinem Portmonee gezeigt hast, wusste ich sowieso, dass ich wohl keine Chance haben würde. Von daher nichts für ungut.“, gab er etwas niedergeschlagen zu. Misty fühlte sich irgendwie schuldig. „Tschuldige für die falschen Hoffnungen, Roberto, aber ich bin leider schon vergeben … und das schon mein Leben lang.“, sie fasste sich unbewusst ans Herz und drehte sich zu Ash um, der nachdenklich, jedoch grinsend aus einem Fenster in den Himmel sah. Was er wohl gerade dachte?

„Ist nicht dein Fehler, Misty. Ich hoffe für dich, dass er dasselbe fühlt wie du, damit du glücklich wirst.“, Roberto erhielt in dem Moment seinen Ausweis von der Rezeptionistin zurück und setzte sich ohne Verabschiedung in Bewegung. Misty indes dachte an seine Worte, die in ihr nachhallten. Hoffentlich würde er dasselbe fühlen, damit sie glücklich wird. Als sie sich ihm wieder zuwenden wollte, um sich bei ihm für die netten Worte zu bedanken, war dieser bereits am Ausgang angelangt. Die elektronische Schiebetür schloss sich hinter ihm und weg war er. Sie musste lächeln, während sie nur auf die geschlossene Schiebetür starrte, als sie Ashs Hand sanft auf ihrer Schulter spürte. „Na, hast du dich von deinem Lover verabschiedet?“, zog er sie erneut damit auf. Stürmisch drehte sie sich herum, krallte sich an sein T-Shirt und schüttelte ihn kurz durch. „Ash, hör auf damit! Er ist nicht mein Lover, verstanden!“, schrie sie durch die Lobby. „Ok, ok, ich hab’s ja verstanden. Lass uns lieber Essen gehen.“, lachte er, packte sie an der Hand und zog sie mit nach draußen.
 

Mit Ash in ein Restaurant zu gehen um zu Mittag zu essen stellte sie sich irgendwie leichter vor. Kaum waren sie aus dem Hotel, nahmen lästige Papparazzi die Verfolgung auf. Es waren nicht viele, doch sie störten dennoch die Privatsphäre der beiden. Ash merkte, das Misty gleich platzen würde, sollten sich diese Fotografen nicht sofort verziehen. Daraufhin wandte sich der Vierfach-Champion an die nervigen Verfolger. „Leute, bitte … ihr habt doch jetzt euer Foto, oder? Diese hübsche Dame und ich wollen nur einen kleinen Happen essen, mehr nicht. Von daher wäre es nett, wenn ihr uns nun etwas Freiraum geben würdet.“, sprach er ruhig, aber dennoch bestimmend an. Dass es immer einen Unverbesserlichen gab, war eigentlich klar. Denn jemand wollte es wieder genau wissen und fing sofort an Fragen zu stellen. „Ash Ketchum, kennen sie ihre Begleitung schon länger? Darf man das als Date ansehen? Oder sind sie sogar schon einen Schritt weiter und sind mit ihr liiert?“

Ash schmunzelte, nachdem er diese lächerliche Frage gestellt bekam. „Wenn sie etwas genauer hinsehen würden, würden sie nicht solche unnötige Fragen stellen. Recherchieren das nächste Mal etwas präziser, dann bekommen sie vielleicht eine Antwort. Wenn sie uns nun entschuldigen würden.“, Ashs Tonfall zeigte doch tatsächlich Wirkung. Die Papparazzi schienen sie nicht weiter zu verfolgen, als sie um die nächste Ecke bogen.

Jetzt, da sie endlich Zeit zu zweit hatten, hakte sie sich bei Ash ein und strahlte mit der Sonne um die Wette. Sie war einfach nur froh, dass sie zusammen essen gehen würden. Misty lachte ab und zu, wenn sie an die Frage des Fotografen dachte. Durfte man das als Date ansehen. Durfte man? Sah es Ash so? Wohl eher nicht. Dazu fehlte das romantische Feeling. Dennoch freute sie sich riesig darüber. „Hast du einen Plan, wo du essen gehen möchtest?“, fragte die Orangehaarige den scheinbar planlos umherlaufenden Ash. An seinem Orientierungssinn hatte sich offenbar nichts geändert. Stellte sich die Frage, ob das bei seinem Hunger ebenso war. „Das Teak City wollte ich ansteuern. Feinste Johto-Küche, das wird dir gefallen. Es muss hier auf jeden Fall irgendwo sein.“, er legte einen Finger auf seine Lippen, drehte sich einmal im Kreis und überlegte, in welche Richtung er als nächstes gehen würde. Misty hoffte nur, dass das nun der richtige Weg war, da sie langsam wirklich Hunger bekam.
 

Ja, sie hatten das Teak City Restaurant wirklich noch gefunden. Es war köstlich, wie Misty fand. Und auch Ash hatte es sichtlich geschmeckt. Auch wenn sie wiedermal ab und an gestört wurden, in dieser Art und Weise konnte sie es verkraften. Wenn zum Beispiel kleine Kinder ganz schüchtern zu ihnen an den Tisch kamen und Ash flüsternd fragten, ob sie ein Bild machen oder ein Autogramm haben durften. Das fand sie süß. Auch ein paar Teenager kamen an den Tisch. Einer wollte wohl besonders cool vor seinen Freunden dastehen und fragte Ash, wer seine geile Alte war, die er im Schlepptau hatte. Er blieb er ganz ruhig und hatte genau die richtige Antwort parat. „Wenn du mal nach Azuria City kommst, kannst du es ja mal in der ansässigen Arena versuchen, dann weißt du welche geile Alte ich dabei hab. Wobei … lass es lieber bleiben. Du wirst haushoch verlieren und weinend aus der Arena rennen.“, er klopfte ihm dabei tröstend auf die Schulter. Nun fühlte er sich nicht mehr so cool, besonders, da seine Freunde sich kaum mehr vor Lachen halten konnten, nach Ashs Satz. Um ihn dennoch eine versöhnliche Antwort zu geben, flüsterte er ihm noch zu, dass es die Arenaleiterin Misty sei, nachdem sich die Gruppe ihre Autogramme abgeholt hatten und dabei waren, wieder zu gehen.
 

Misty und Ash befanden sich auf dem Rückweg. Der Arenaleiterin lag etwas auf dem Herzen, dass sie nicht vermochte anzusprechen. Wenn man es genau nahm, waren es zwei Dinge. Einerseits war das ihr vorletzter Tag. Morgen um diese Zeit würde sie mit ihren Schwestern im Bus zum Flughafen sitzen, während Ash noch genüsslich in seiner Suite relaxen konnte. Sie wollte nicht gehen. Aber nicht weil der Urlaub so schön war, sondern weil sie Ash dann womöglich für eine unbestimmte Zeit nicht sehen würde. Doch es war unausweichlich, weshalb sie überlegte, ob es besser wäre, es ihm zu sagen, oder ihm diesen Fakt zu verschweigen und still und heimlich morgen Mittag aus dem Hotel verschwinden sollte, damit ihr der Abschied nicht ganz so schwer fallen würde. Während sie sich diese beiden Möglichkeiten durch den Kopf gehen ließ, stellte sie fest, dass beide Lösungen einfach nur schlecht waren. Ein Gespräch mit Ash war bei diesen intensiven Gedankengängen kaum möglich, was dieser natürlich bemerkte. „Misty, alles in Ordnung bei dir? Du wirkst so still. Hat dir das Essen nicht geschmeckt?“, stellte er fürsorglich seine Fragen. Misty sah ihn nur traurig an. Es sei alles OK, sagte sie. Ash nahm ihr das nicht ab, bohrte jedoch nicht nach und legte seinen Arm um ihre Schulter, als sie betrübt ihren Blick abwandte. Eine Träne rann ihr die Wange hinunter und tropfte auf den heißen Asphalt. Diese Situation machte sie fertig. Womit wir bei der zweiten Sache wären, die Misty unterjochte. Früher wollte sie es nicht glauben. Als er ohne sie auf Reisen war, wollte sie es sich ausreden. Doch bei jedem erneuten Treffen bekam sie die Bestätigung ihres Herzens. Doch erst seitdem Ash im gleichen Hotel war gestand sie es sich ein. Sie liebte Ash. Schon immer, wie sie bereits Roberto gestand. Ihr wurde es jedoch erst jetzt wirklich bewusst. Sie wollte nicht, dass er sie mit einem anderen Typen sieht. Sie wollte immer gut für ihn aussehen, keinen Fehler vor ihm machen und stets einen guten Eindruck hinterlassen. So hatte sie sich nicht einmal früher angestellt. Sie hatten sich schon länger nicht mehr gesehen und jetzt waren sie in einem reifen Alter, in dem man die Liebe etwas anders anging, auch wenn sie Situationen hatte, in denen sie sich wie ein junger frisch verliebter Teenager fühlte.

Ihre Tränenspur auf der Wange konnte man mittlerweile nicht mehr erkennen. Sie drehte ihren Kopf Ash zu, der sie mit einem breiten Grinsen ansah. Sie ließ sich kein Lächeln entlocken. Sie konnte es gerade nicht. Eher machte sie sich darüber Gedanken, ob es ein schlechtes Zeichen war, dass Ash seinen Arm nur um ihre Schulter gelegt hat, und nicht um ihre Hüfte, das für sie ein eindeutigeres Signal gewesen wäre. Stattdessen plagte sich ihr Gehirn mit der Frage herum, ob er nur Freundschaft für sie übrig hatte, oder ob da womöglich doch mehr sein könnte.
 

Misty verabschiedete sich vom schwarzhaarigen Pokémon-Meister mit einer flüchtigen Umarmung, um dann schnellen Schrittes Richtung Zimmer zu verschwinden. Ash blieb etwas ratlos in der Lobby zurück. Auch er machte sich so seine Gedanken, was dieser plötzliche Stimmungswechsel bei seiner besten Freundin zu bedeuten hatten. Misty hingegen ließ mal wieder eine Tür zuknallen. Es war die Zimmertür, hinter der sie haareraufend zu Boden sank und einen lauten Verzweiflungsschrei von sich gab. Dass Lily ebenfalls im Zimmer war, bemerkte sie erst danach. „Alles klar bei dir, Misty? Du warst doch mit Ash aus, oder nicht?“, vermutete sie vollkommen richtig. „Ja … ich weiß einfach nicht weiter, Lily. Freundschaft, Liebe, oder gar nichts von beiden?“, seufzte Misty.

Auch Ash betrat seine Suite, schloss die Tür jedoch leise hinter sich. Er war kaum einen Schritt gegangen, da trat ihm Rocko gegenüber. „Wo hast du Misty gelassen?“, sein ernster Blick durchbohrte Ash. „In ihrem Zimmer. Alles war gut, bis sie auf dem Rückweg plötzlich total abwesend und traurig war. Ich kann mich nicht erinnern irgendetwas Falsches gesagt oder getan zu haben. Was soll ich nur tun?“, seufzte auch der Schwarzhaarige. „Du wirst jetzt sofort zu ihr gehen und sie fragen, ob und wann ihr das nächste Mal etwas unternehmt.“, befahl ihm sein bester Freund. Er kannte sich in solchen Sachen aus, keine Frage, aber sofort? Das fand Ash etwas übertrieben. „Ich werde noch etwas warten, dann frag ich sie, Mister Frauenflüsterer.“, sagte er gespielt abfällig. „Na also, geht doch.“
 

Es war kurz nach vier Uhr nachmittags. Ash hatte etwas länger als eine Stunde gewartet. Er traute sich nicht so wirklich. Sie würde vielleicht denken, er rannte ihr hinterher, drängt sich auf, ließ ihr keine Freiräume. Misty dachte natürlich dasselbe, wie sollte es auch anders sein. Dabei waren sie doch auch noch beste Freunde. Welch eine verzwickte Lage. Niemand wusste so recht einen Ausweg aus dieser Situation. Und morgen würde Misty abreisen. Sie kämpfte immer noch mit ihrem Gewissen, ob sie ihm davon erzählen sollte oder nicht. Ja, nein, ja, vielleicht … sie lag in ihrem Bett und starrte die Decke an, als es an der Tür klopfte. Ash hatte sich überwunden und stand vor ihrer Tür. Misty machte nur einen Spalt auf, gerade so, dass ihr Kopf heraus lugte. „Hey Misty, ich wollte fragen, ob du am Abend noch etwas unternehmen möchtest, oder bist du schon anderweitig verplant?“, fragte Ash unsicher und errötete sogar ein wenig. Mistys Kopf verschwand, sie wandte sich Lily zu, die immer noch in ihrem Bett lag und ein Buch las. Sie bemerkte Mistys Blick und nickte heftig mit dem Kopf und formte ein lautloses ‚Mach!‘ mit ihrem Mund. Ash hatte etwas ins Zimmer gespitzt und sah etwas verwirrt auf Lily, die daraufhin abrupt aufhörte und mit ihrem Finger auf die Tür zeigte. Misty verstand und drehte sich schlagartig wieder um und steckte ihren Kopf aus der Tür, um Ash daran zu hindern, weiter ins Zimmer zu sehen. „Klar, gerne, Ash. Was möchtest du machen?“, strahlte Misty, die sich wirklich über diese Anfrage freute, jedoch immer noch ihren Entscheidungskampf zu bewältigen hatte. „Wir könnten in Badesachen zu Abend essen und dann an die Poolbar gehen. Was hältst du davon?“, fragte auch Ash mit einem freudigen Grinsen im Gesicht, dem anzumerken war, wie sehr er sich über die Zusage der Orangehaarigen freute. „Hört sich klasse an, Ash.“ „Ich werde dich zum Essen abholen.“, wieder legte er langsam den Rückwärtsgang ein, ging ein paar Schritte, um sich dann nochmal umzudrehen und sie mit dem ehrlichsten Lächeln anzusehen, das Misty innerlich sofort zum Schmelzen brachte. Reiferes Alter? Anders mit Liebe umgehen? Oder eben doch die junge verliebte Teenagerin, die für ihren Romeo schwärmt. Diesmal ließ Misty die Tür ganz langsam ins Schloss fallen. Verträumt sah sie geradeaus durch das Zimmer und aus dem Fenster. „Wow, Ash muss seine Sache ja richtig gut machen.“, stichelte Lily lachend und freute sich für ihre Schwester.
 

Der Kellner räumte gerade die Teller vom Tisch. Ash und Misty bedankten sich höflich. „Kannst du mir sagen, wieso wir immerzu komisch angesehen werden?“, fragte Misty mit vorgehaltener Hand, als sie ihre Stühle unter den Tisch schoben, um sich zur Poolbar aufzumachen. „Keine Ahnung. Der Hype um mich scheint in diesem Hotel zum Glück etwas abgeflacht zu sein. Doch wieso uns alle so komisch ansehen … ich weiß es nicht.“, ratlos zuckte er mit den Schultern.

Misty wagte den ersten Schritt ins Wasser. Sie ging voraus und merkte nicht, wie Ash sein T-Shirt auszog und es sich um den Hals warf. Als sich beide im Wasser befanden, drehte sie sich um, um ihm etwas zu sagen. Unwillkürlich blieb ihr Blick auf Ashs Oberkörper, speziell dem Bauch, hängen. Er bemerkte das gar nicht, da er schon die Bar fixiert hatte und lief sie fast um. Gerade noch vor ihr konnte er abbremsen, musste sich dabei jedoch an ihr festhalten. Ash schaltete nach dem Beinahe-Ungeschick schnell und gab ihr einen beabsichtigten Schubs mit, der sie ins Wasser fallen ließ. Er lachte herzhaft, als Misty wie ein begossener Pudel wieder auftauchte. „Ash! Jetzt bin ich von oben bis unten nass. Was sollte das?“, gab Misty entsetzt von sich, während sie ihre langen orangenen Haare wie einen Lappen auswrang. Ash lachte immer noch. „Komm schon, Misty. Wir sind in einem Pool. Da wird man eben nass. Außerdem stehen dir nasse Haare doch wunderbar.“, sah er sie dabei herausfordernd an. Sein Kommentar löste in ihr mal wieder etwas aus, sie wusste nur nicht genau was. Oder waren es nur zu viele Dinge auf einmal? War es das Kribbeln über sein indirektes Kompliment? Oder Trauer, weil es ihr letzter Abend war und sie nicht noch länger hier mit ihm bleiben konnte? Oder war es wirklich einfach nur Wut, weil er sie ins Wasser geschubst hatte? Sie konnte es nicht einordnen, beschloss trotz ihrem innerlichen Chaos zurück zu feuern und spritzte ihm eine Ladung Wasser ins Gesicht. Sein Lachen verstummte kurzzeitig. Perplex sah er sie an, nur um dann einen erneuten Angriff zu starten. Er stürmte auf sie zu, packte sie an der Hüfte und schmiss sie ein Stück in die Luft. Mit einem lauten Schrei tauchte sie wieder ins Wasser ein. Ash lachte mal wieder nur und begab sich zur Bar. Doch Misty machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Sie sprang auf seinen Rücken. Instinktiv hielt er sie an ihren Beinen fest, sodass er sie Huckepack nahm. Nun musste auch Misty lachen. Sie nahm sich sein T-Shirt, das noch um seinen Hals hing und schwang es durch die Luft wie ein Lasso. „Auf zur Bar, mein edles Ross!“, daraufhin brachen beide in großem Gelächter aus. Ash konnte sich kaum auf den Beinen halten, schaffte es dennoch die letzten Meter zur Poolbar ohne Unfall zu überstehen.

Misty und Ash unterhielten sich prächtig. Das ganze hatte wirklich etwas von einem Date. Auch wenn sie es nicht als solches deklarierten. Das Ambiente passte aber auch wunderbar. Es war mittlerweile dunkel geworden, nur noch die Bar und der beleuchtete Pool spendeten Licht. Es tummelten sich nur noch wenige Gäste hier herum. So konnten die beiden ein herrliches Gespräch führen. In der überdachten Bar lief ein Fernseher, dem sie bisher keine Sekunde Aufmerksamkeit schenkten. Zu vertieft waren sie in ihrer Konversation. Doch Ash wurde plötzlich hellhörig, als er seinen Namen aus dem Munde der Nachrichtensprecherin vernahm. Auch Misty bemerkte dies und wandte sich zum kleinen Bildschirm, der in einer oberen Ecke hing, um.

„… dass der junge Mann aus Alabastia viele Verehrerinnen hat, ist wohl bekannt. Doch nun hat es eines dieser Fangirls wahrhaftig geschafft, sein Interesse zu wecken und hat mit ihm einen schönen Tag in Abidaya City verbracht. Doch wer genauer hinsieht, erkennt in dem Mädchen mit den orangenen Haaren nicht nur irgendeinen Groupie. Nein, es ist niemand geringerer als Misty, die Arenaleiterin aus Azuria City! Schade für all die anderen Mädels, die sich Hoffnungen gemacht hatten, aber gegen diese Schönheit kommen wahrscheinlich nur die Allerwenigsten an.“

Typisch Klatsch-Nachrichtensendung. Misty sah entgeistert den Bildschirm an, während Ash nur Schmunzeln musste. Auch der Barkeeper, der die beiden ansah, während der Bericht lief, musste grinsen. Er stellte sein Glas ab, das er gerade abtrocknete und kramte eine Zeitung aus irgendeiner Ecke hervor. Er lag ihnen die Zeitung wortlos auf den Tresen und zwinkerte Ash zu. Danach nahm er wieder sein Glas und trocknete es fertig ab. Während Misty den Bericht noch nicht ganz fassen konnte und immer noch geschockt auf den Fernseher sah, begann der Schwarzhaarige aus dem Zeitungsbericht vorzulesen. „Glück im Spiel, kein Pech in der Liebe.“, so die große Überschrift des Artikels. Mit dabei war natürlich ein Bild der beiden. Ash hatte seinen Arm um ihre Hüfte und zeigte mit seiner anderen Hand in irgendeine Richtung. Währenddessen lehnte er seinen Kopf etwas zu Misty, um ihr etwas zu sagen. Ash hatte die Szene sofort vor Augen. Das war gestern am Strand. Er deutete in den Himmel, um Misty das Sternbild des Frigometri zu zeigen. Er musste zugeben, dass diese Pose schon einiges hergab. Aber was konnte man anderes von einer Klatsch-Zeitung erwarten? Doch Fotografen hatte er gestern gar nicht bemerkt. „Erst gewinnt er seinen vierten Titel, dann geht es in den Liebesurlaub mit Arenaleiterin Misty Waterflower aus Azuria City.“, las Ash die zweite kleinere Überschrift. Als Misty das hörte riss sie ihm wütend die Zeitung aus der Hand. „Was steht da?!“, sie lief rot an, jedoch nicht vor Wut. In ihren kühnsten Träumen war sie mit Ash Ketchum im Liebesurlaub, doch wir sind hier in der Realität. Äußerst verlegen las sie den Artikel durch. Ash dachte, man konnte nicht noch roter anlaufen, doch Satz für Satz, den sie las, schien sie einen dunkleren Rotton anzunehmen. „Misty, bleib locker, das ist doch nur …“, wollte Ash seine Begleitung beschwichtigen, während ihre Augen hastig von Satz zu Satz sprangen. „Noch nicht!“, fauchte sie sofort. Ash lachte nur etwas und ließ sie fertig lesen.

Entsetzt klatschte sie die Zeitung auf den Tresen. „Unglaublich, diese Papparazzi! Was erlauben sich diese penetranten Störenfriede?! Die haben uns einfach am Strand abgelichtet. Ich glaub das nicht!“, Misty war außer sich vor Wut. Ash musste nur schmunzeln und blickte auf den Fernseher in der Poolbar. Doch dieser war mittlerweile schwarz. Er sah zum Barkeeper, der ihm zuzwinkerte und mit einer Kopfbewegung auf Misty zeigte. Ash verstand und lächelte ihm wohlwissend zurück. Der Mann hinter dem Tresen hat den Fernseher beabsichtigt ausgeschalten, da er sah, wie sauer Misty über die Berichterstattung der beiden war. Die Sendung berichtete wohl noch weiter über den Pokémon-Meister und die Arenaleiterin, weshalb er vorsichtshalber ausschaltete.

Misty schien sich noch nicht so wirklich beruhigt zu haben. Ash langte es jedoch langsam. Er wollte einen netten Abend mit Misty verbringen, doch so war das nicht möglich. Er entriss ihr die Zeitung, die vor ihr lag, faltete sie und schmiss sie dem Barkeeper zu. Danach legte er eine Hand auf ihre Schulter und redete ihr gut zu. „Misty, denkst du nicht auch, es reicht jetzt mit dem Herumgefluche? Wir wollen doch einen schönen Abend miteinander verbringen, lass die Idioten doch schreiben was sie wollen.“, nachdem er ausgesprochen hatte wuschelte er ihr kurz durch ihre noch nicht ganz getrockneten Haare. Sie zuckte etwas zusammen, unternahm jedoch nichts dagegen. „Du hast ja Recht. Doch wieso lässt dich das so kalt, Ash?“, grummelte sie ihm zu. „Misty … lass uns das Thema jetzt einfach vergessen, ok?“, seine Miene war am Anfang ernst, hellte sich aber schnell auf, um ihr am Ende des Satzes mit einem freundlichen Lächeln entgegenzublicken. Die Orangehaarige verstand immer noch nicht, wieso Ash sich dieses Zeug gefallen ließ, ohne auch nur ein bisschen wütend auf diese Berichterstattung zu sein. Wollte er, dass man dachte, sie wären zusammen? Mistys Herz pochte automatisch schneller. Ash textete sie mittlerweile über ein komplett anderes Thema zu, doch sie war geistig abwesend und versuchte eine Antwort auf ihre Frage zu finden. Wieso könnte Ash das wollen? Wieso hatte er nichts dagegen, dass man sie für seine Freundin hält? Mistys Gedanken drifteten völlig vom Thema ab. Sie wusste noch nicht einmal, welches er überhaupt begonnen hatte, nachdem sie eigentlich gesagt hatte, sie wolle es auf sich beruhen lassen. „ … und dann fand ich mich plötzlich in einer Höhle wieder … Misty? … Misty? Alles klar bei dir? Hörst du mir zu?“, er fuchtelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht herum. Erst nach ein paar Sekunden erwachte sie aus ihrem geistigen Koma. „Ähm was? Wie war das? Sorry, Ash, ich bin etwas abgedriftet.“, verlegen kratzte sie sich am Hinterkopf. Normalerweise Ashs ‚Markenzeichen‘. „Ich hab´s gemerkt. Dich lässt das wohl nicht los, wie?“, Ash traf sofort den Nagel auf dem Kopf. Wieder legte Misty den Kopf schief und kratzte sich am Hinterkopf, ohne ein Wort zu sagen. Für Ash war das natürlich Bestätigung genug, weshalb er kurz lachte. „Schon in Ordnung. Wenn dich das Thema so beschäftigt, dann los. Sag mir, was dich deshalb so sehr bedrückt.“, redete Ash verständnisvoll auf seine Gesprächspartnerin ein. „Also …“, begann Misty und führte sofort ein paar Fragen aus.
 

Sie quatschten noch eine gefühlte Ewigkeit. Irgendwann tief in der Nacht, als selbst der Barkeeper die beiden allein zurückgelassen hatte und der Poolbereich menschenleer war, wateten auch sie durch das Wasser, um zurück ins Hotel und in ihre Zimmer zu gelangen. Misty hatte nicht herausbekommen, wieso Ash nichts dagegen hatte, dass die ganze Welt nun glaubte, dass sie ein Paar wären. Dabei war genau das die Frage, auf deren Antwort sie am meisten brannte. Doch er umging eine eindeutige Auskunft jedes Mal. Leise ließ sie ihre Zimmertür ins Schloss fallen, da ihre Schwestern schon alle im Bett lagen. Sie mussten morgen früh raus, um auszuchecken. Sie hatte ihm nicht gesagt, dass das ihr letzter Abend war. Auf dem Weg in ihr Schlafzimmer rann ihr eine stille Träne über die Wange. Das war gerade das letzte Mal, dass sie sich für eine lange Zeit sehen würden, da war sie sich sicher. Bereits auf dem Weg zu ihren Zimmern, den sie noch gemeinsam gegangen waren, wurde sie traurig, betrübt, unglücklich. Und das, obwohl sie gerade einen wundervollen Abend mit dem Menschen verbracht hatte, den sie so gern hatte, dem sie ihr Herz versprochen hatte, auch wenn er es nicht wusste. Ash verabschiedete sich ganz normal von ihr. Sie wollte ihn schon gar nicht mehr umarmen, und tat dies deshalb nur halbherzig und flüchtig. Zu groß war ihr Schmerz des Abschiedes. Sie war froh, dass sie ihre Tränen so lange zurückhalten konnte und nicht schon auf dem Flur das Flennen angefangen hatte. Und nun lag er drei Stockwerke über ihr, dachte womöglich, dass sie morgen einen ähnlichen Tag verbringen konnten, wie heute, dabei würde sie sich ohne ein Wort aus dem Staub machen. Sie wusste, es war ungerecht ihm gegenüber, doch sie wusste sich nicht anders zu helfen. Doch eins wusste sie. Es würde eine äußerst schwere Nacht für sie werden.

Surprise! Surprise?!

Misty drehte sich zum 837. Mal um. Schlaf? Mittlerweile ein Fremdwort für sie. Dabei befand sie sich doch im Urlaub. Und schon waren ihre Gedanken wieder bei dem Grund, wegen dem sie sich nun das 838. Mal umdrehte. Im Urlaub war sie nur noch wenige Stunden, dann würde sie die Heimreise antreten. Und das schlimmste war, er wusste davon nichts. Sie sah zum 312. Mal genervt auf ihren Wecker. 4:26 Uhr. Um 10:00 Uhr mussten sie ausgecheckt sein. Davor musste sie noch diverse Kleinigkeiten zusammenpacken. Zum Frühstück würden sie gar nicht mehr gehen, das wurde zuvor so ausgemacht. Misty war es Recht, so konnte sie wenigstens nicht auf Ash treffen. Doch sie musste diese Gedanken jetzt endlich loswerden, damit sie einschlafen konnte. Irgendwann etwas später sollte ihr dies auch gelingen.
 

8:49 Uhr. Viel zu spät zum Aufstehen. Doch Misty lag immer noch in ihrem Bett und murmelte nur mürrisch etwas vor sich her. Im Zimmer der Waterflowers war bereits mächtig Betrieb. Daisy, Violett und Lily wuselten durchs Zimmer um ihre Sachen wiederzufinden. Typisches Mädelszimmer. Beinahe über jeden Stuhl hingen Klamotten, die man ja vielleicht nochmal anziehen könnte. Wem welches Oberteil, welche Hotpants oder irgendein anderen Kleidungsstück gehörte, wurde in mühevoller Kleinstarbeit herausgefunden. Die Stühle leerten sich, während ein Stuhl immer voller wurde. Mistys Klamotten wurden dabei natürlich herausgefiltert und auf den Stuhl, der ihrem Schlafzimmer am nächsten war, aufgehäuft.

Langsam quälte sie sich aus dem Bett. Auf die Uhr hatte sie noch nicht gesehen. Sie brauchte ewig bis sie sich ein Top und Shorts angezogen hatte. Erst dann warf sie einen übermüdeten Blick auf den Wecker. Ihre Augen sprangen auf, die Kruste, unter denen sie begraben waren, zersprang. Sie kreischte laut, um dann vom ersten in den sechsten Gang zu schalten. Sie stürmte aus ihrem Zimmer und blieb neben dem Stuhl mit ihren Kleidungsstücken stehen. „Wo sind meine Klamotten?! Schnell!“, hysterisch sah sie in die verdutzten Gesichter ihrer Schwestern. „Direkt neben dir auf dem Stuhl.“, ergriff Daisy das Wort. Ohne etwas zu sagen nahm Misty den gesamten Berg und verschwand wieder in ihrem Zimmer. Nach zehn Minuten kam die Orangehaarige mit zwei Koffern wieder aus ihrem Zimmer. Die Beulen, die sich vorne an den Koffern abzeichneten, ließen darauf schließen, dass sie alle Klamotten einfach irgendwie hineingestopft hatte. „Verdammt, mein ganzes Hygienezeugs muss ja auch noch da rein.“, verzweifelt ließ sie ihr Gepäck stehen und verschwand im Bad. Auch dort standen nur noch ihre Sachen, die sie in zwei Kulturbeutel presste, um diese dann wiederum in ihre Koffer zu stopfen.

Für einen letzten Kontrollgang durchs Zimmer hatten die Vier noch Zeit. Als die Tür das letzte Mal zufiel war es 9:47 Uhr. 13 Minuten um auszuchecken, das sollte reichen. Abgehetzt schlurfte Misty hinter ihren Schwestern her. Seit sie sich nicht mehr im Zimmer befand, sah sie sich an jeder Ecke paranoid um. Ash durfte sie auf keinen Fall sehen. Ungeduldig wartete sie an der Rezeption. Violett hatte gerade als letzte ihrer Schwestern ausgecheckt. Jetzt fehlte nur noch Misty. Sie reichte ihren Personalausweis der Dame am Empfang, die plötzlich etwas verwirrt in ihren PC schaute. Misty bemerkte das nicht, da sie sich erneut umsah, ob Ash hier irgendwo herumschlich. Konnte das nicht etwas schneller gehen? Sie hatte doch keine Zeit. „Tut mir Leid, Miss Waterflower, aber hier scheint etwas nicht zu stimmen.“, merkte die Rezeptionistin verwundert an. Misty war voller Adrenalin. Sie wollte schnellstmöglich aus diesem Hotel verschwinden. „Was?! Wie kann das sein?! Was passt nicht? Wieso kann ich nicht auschecken?“, hysterisch und penetrant fragte Misty nach und lehnte sich dabei über die Empfangstheke, um einen Blick in den PC zu erhaschen. Sie hatte sich heute Morgen sowieso nicht geduscht, aber so langsam spürte sie eine feine Schweißschicht auf ihrer Haut. Sie war angespannt. Äußerst angespannt. „Hier steht, sie checken heute nicht aus. Welches Zimmer hatten sie denn?“, fragte die Dame höflich, musste sich jedoch auch schon, aufgrund Mistys aufdringliches Verhalten, anstrengen keinen anderen Ton einzuschlagen. „Wie, ich checke nicht aus?! Wie kann denn das sein? Ich bin mit meinen Schwestern hier, ich muss mit ihnen auschecken! Meine Zimmernummer lautet …“ „1070.“, fuhr ihr eine bekannte Stimme dazwischen. Währenddessen schlang sich von hinten ein Arm um ihre Hüfte. „Ihre Zimmernummer lautet 1070, Madam.“, wiederholte die Stimme ihre Worte. Ohne sich umzudrehen hinterfragte sich Misty diese Antwort. 1070? Sie fing an am ganzen Körper zu zittern. Ihre sowieso schon schweißige Haut verwandelte sich in einen Sturzbach. Eine Schweißperle rann ihr die Nase hinunter und löste sich an deren Spitze, um auf den Boden zu tropfen. „Wieso so angespannt, Misty?“, hauchte er ihr sanft ins Ohr. Gänsehaut. Überall. Sie wusste längst, wer seinen Arm um sie gelegt hatte, sie wusste nur noch nicht wieso. Sie sagte nichts. Sie konnte nichts sagen. Ihre Körperspannung ließ gerade keine Bewegung zu. Die Wartezeit erdrückte sie. Das einzige, das sie wahrnahm, war das Hämmern auf der Tastatur der Rezeptionistin. „1070, da haben wir es ja. Richtig, in der Suite wurde gestern ein neuer Gast eingetragen. Es handelt sich um eine Umbuchung. Deshalb checken sie heute auch nicht aus, Miss Waterflower.“, erklärte die Dame in einem freundlichen Ton. Dabei sah sie jedoch den Mann neben ihr an, zu dem sich Misty immer noch nicht umgedreht hatte. Mit einem wohlwissenden Grinsen zwinkerte er der Rezeptionistin zu. Misty verstand nicht so wirklich. „Wie jetzt?“, sie konnte überhaupt keinen klaren Gedanken fassen. Was hatte das zu bedeuten? „Misty, du nimmst jetzt deine Koffer, übergibst sie einen Pagen, damit der dein Gepäck auf Zimmer 1070 bringen kann. Und dort wirst du noch eine Weile mit mir und Rocko bleiben.“, Ashs Worte klangen in ihr nach. War das ein Scherz? Wohl kaum. Nachdem sie das realisiert hatte, drehte sie sich wie vom Bibor gestochen um und sprang ihm in die Arme. „Ist das dein Ernst, Ash?“, fragte sie aufgekratzt, während Ash sie immer noch in die Luft hielt. „Klar, was sonst. Komm mit, dann frühstücken wir erst einmal.“, er ließ sie wieder auf den Boden zurück. Plötzlich wurde sie sauer und schlug ihn auf die Schulter. „Kannst du mir das nicht früher sagen, du Idiot?!“, doch sie konnte ihre Fassade nicht aufrechterhalten und fing das Lachen an. „Überraschung.“, Ash streckte ihr nur die Zunge heraus.

Lily, Daisy und Violett hatten das ganze Schauspiel natürlich mitverfolgt. Neidisch verabschiedeten sie sich von ihrer Jüngsten. Dann übergab Misty ihre Koffer an die Hotelmitarbeiter und begab sich mit Ash zum Aufzug, der sie in den richtigen Stock bringen sollte. Auf dem Weg dorthin wurde Misty nachdenklich und wieder etwas wütend. Jetzt hatte sie sich alle Gedanken umsonst gemacht. Die Horrornacht hätte sie sich auch sparen können. Doch ihre Stimmung schlug sogleich um, als sie merkte, wieso sie nach wie vor hier war. Horrornacht hin oder her, diese Überraschung ist Ash mehr als geglückt. Derartiges hätte sie nie von ihm erwartet. „Woher wusstest du …“, fragte sie den Schwarzhaarigen neugierig. „Als ich dich gestern gefragt hab, ob du abends noch etwas unternehmen möchtest, konnte ich im Zimmer schon sehen, wie eure Koffer bereit standen. Ich hab daraufhin an der Rezeption nachgefragt und sofort die Umbuchung beantragt. Ich hätte sowieso bis zu drei Freunde mitbringen dürfen, also war es gar kein Thema, dass du ab sofort in der Suite untergebracht bist.“, gab Ash freudig Auskunft über seinen genialen Schachzug. Misty strahlte einfach die ganze Zeit über, da sie es immer noch nicht so recht begreifen konnte, was Ash da für sie getan hatte. Nun konnte sie wieder spekulieren, welche Bedeutung sie dieser Geste zukommen lassen sollte. War das ein eindeutiges Zeichen, dass Ash womöglich so etwas wie Liebe für sie empfand, oder konnte man das schlicht und ergreifend unter Freundschaftsdienst ad acta legen? Als sie die Suite betrat war ihr das für den Moment herzlich egal. Sie war hier natürlich schon einmal, doch nun war sie hier nicht nur kurzzeitig zu Gast, sondern jetzt würde sie hier wohnen.

Ihre Koffer standen an der Wand. Die Pagen hatten ihr Gepäck bereits hochgebracht. Ash fragte sie, welches Schlafzimmer sie beziehen wolle. Sie begutachtete daraufhin alle Schlafzimmer. Anhand der Klamotten konnte sie Ashs Zimmer natürlich eindeutig ausfindig machen. Sein Bett bot Platz für zwei Personen, weshalb sie sich in ihren Gedanken schon ausmalte, hier mit ihm zu schlafen. Dies als Antwort zu geben traute sie sich natürlich nicht. Doch eines war klar. Zwischen den zwei Schlafzimmern, die noch frei waren, nahm sie das, das direkt neben Ashs Zimmer lag. Also trug zu sogleich ihre Koffer in ihr auserwähltes Reich und schmiss sie auf das Bett. Ihre Klamotten, die sie heute früh einfach hineingestopft hatte, riefen förmlich danach, wieder ausgepackt zu werden.

„Ash, nur mal so nebenbei … ähm, wie lange bleibe ich mit dir und Rocko eigentlich noch hier?“, rief sie durch die Suite, während sie ihre Tops aus den Haufen Anziehsachen heraussuchte und zusammenfaltete. „Sieben Tage, beziehungsweise sechs Nächte kriegst du zu deinem üblichen Urlaub oben drauf, Misty.“, sagte Ash ganz ruhig, der im Türrahmen lehnte und Misty bei ihrer Arbeit begutachtete. Die Orangehaarige schreckte hoch, da sie Ash hier nicht vermutet hatte. „So lange?!“, antwortete sie mit großen Augen. Sie bemerkte sofort Ashs unschlüssigen Gesichtsausdruck. Er wusste nicht so wirklich was er darauf antworten sollte. Wollte Misty keinen Urlaub mit ihm verbringen? Sofort stellte sie ihre Frage richtig. „Versteh das nicht falsch, ich bin nur verwundert. Umso länger, umso besser.“, strahlte sie ihm nun entgegen. Ash lächelte und trat zu Misty ans Bett. „Ich helf dir ein wenig.“
 

Eine Türe fiel ins Schloss, als Ash Mistys letztes Top im Kleiderschrank verstaute. Ash war sehr verwundert, wie viele Klamotten seine beste Freundin in zwei Koffer verstauen konnte. Der überdimensionale Kleiderschrank sah gut gefüllt aus. „Ich trage meine Kulturbeutel ins Bad, in Ordnung?“, ließ sie ihrem schwarzhaarigen Helfer wissen. „Die nehme ich dir ab, wenn das in Ordnung ist.“, sagte Rocko, der gerade ins Zimmer gekommen war. Misty war so überrascht, dass sie sich ihre Hygienetaschen einfach abnehmen ließ. Ein leises Danke stotterte sie verdutzt vor sich hin. Ash drängte sich mittlerweile hinter ihr auf. Gehetzt schob er Misty vor sich her, bis beide auf der riesigen Dachterrasse standen und die schöne Aussicht aufs Meer genossen. „Schon einen Plan, was wir heute machen könnten?“, fragte er sie, ohne sich zu ihr zu drehen. Sein Blick fiel starr auf den weiten Horizont, unter dem sich das leuchtend blaue Meer ausbreitete. Irritiert sah sie ihn an. „Ähm, nein. Eigentlich würde ich gerade in einem Bus zum Flughafen sitzen, von daher hatte ich für heute keine Pläne. Doch du hörst dich so an, als hättest du für mich mitgeplant.“, ihr irritierter Gesichtsausdruck wich einem Vorfreudigem. Ash musste schmunzeln und lehnte sich nicht mehr ans Geländer. Stattdessen stand er direkt vor ihr und sah ihr mit einem breiten Grinsen ins Gesicht. „Eigentlich wollte ich dich damit ein weiteres Mal überraschen, doch ich muss es dir einfach sagen. Wir werden jetzt frühstücken und danach werden wir Tauchen gehen. Hier ganz in der Nähe gibt es ein wunderschönes Korallenriff, das wir etwas näher erkunden werden. Was meinst du?“, als Ash sein Vorhaben preisgab, glaubte Misty aus allen Wolken zu fallen. Ash Ketchum hat etwas so wundervolles vor? Mit IHR?! Ihre azurblauen Augen glitzerten heller als jeder Diamant. Freudestrahlen sprang sie ihm in die Arme und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Natürlich, Ash!“
 

Misty, Ash und eine dritte Person betraten über einen kleinen Steg das Boot, das sie zum Tauchgebiet bringen sollte. Der Dritte im Bunde war der Kapitän und Tauchführer. Rocko kam nicht mit. Er wusste um Ashs Vorhaben und gönnte ihm und Misty die Zeit zu zweit, weshalb er im Hotel blieb. Ash und Misty wurden schon während ihrer gemeinsamen Reise oft darauf angesprochen, welch ein süßes Paar sie abgeben würden. Nun sind ein paar Jahre ins Land gezogen und es hatte sich scheinbar nichts daran geändert. Natürlich sah das auch Rocko so und wünschte sich ein Happy End für die beiden. Wobei man natürlich nicht von einem Ende sprechen konnte, dazu musste es erst einmal anfangen.

Die beiden saßen auf einer Bank im hinteren Teil des kleinen Bootes. Eine erfrischende Brise blies in ihre Gesichter. Ash legte einen Arm um ihre Schultern. „Erinnert dich, das Ganze an etwas?“, flüsterte er ihr ins Ohr. Misty errötete daraufhin ein wenig. Das war aber wohl auch daran, dass sie immer noch sehr aufgekratzt war, weil sie immer noch nicht wirklich realisieren konnte, was Ash hier für sie geplant hatte. Konnte sie das als eindeutigen Hinweis dafür nehmen, dass auch er, der vierfache Pokémon-Champ in sie verliebt war? Oder bestätigte das zumindest sein gesteigertes Interesse, das die Grenzen der Freundschaft überschritt und in die Richtung der Verliebtheit ging? Misty hatte Ashs Frage unbeabsichtigt schon wieder aus ihrem Kopf verbannt, da sie Antworten auf andere Fragen suchte. „Misty? Bist du noch anwesend, oder möchtest du einfach nur die Aussicht genießen?“, fragte Ash immer noch in einem freundlichen Ton nach. Es schien so, als könnte diesen Tag heute nichts vermiesen. „Entschuldige bitte, ich kann immer noch nicht so recht fassen, was wir hier machen. Ich freu mich so sehr.“, sprühte Misty vor Freude. Und das war echte Freude. Die Freude, die man einfach an all den Menschen in der Umgebung abgeben musste, weil man sie nicht zurückhalten konnte. Da nur Ash und der Kapitän gerade in der Nähe waren, der Kapitän jedoch beschäftigt war, bekam eben Ash die volle Breitseite von Mistys Freude ab. Auch Ash war einfach nur glücklich gerade. Das lag jedoch vor allem an dem Menschen, der neben ihm saß. „Freut mich, dass dir mein Einfall gefällt. Doch erinnert dich, das Ganze vielleicht an etwas?“, wiederholte Ash seine Frage. Misty legte ihr Gesicht in Falten und grübelte. „Jetzt wo du es sagst. Es erinnert mich sehr stark an unsere gemeinsame Zeit während wir auf den Orange-Inseln waren.“, gab Misty nostalgisch als Antwort. Ash wollte genau auf diese Zeit anspielen. Weshalb würde er Misty erst später verraten. Sein Plan ging jedenfalls auf, denn sie quatschten die restliche Fahrt bis zum Korallenriff ausschließlich über ihre damalige Reise auf den Orange-Inseln.
 

Das Boot stand schon länger mitten im Ozean und wurde nur von den seichten Wellen etwas hin und her geschaukelt. Etwas weiter weg konnte man eine Sandbank entdecken, ansonsten hatte man nur Wasser um sich, egal wohin man sah. Es war dieses wunderschöne hellblaue Tropenwasser, das man ringsherum erblicken konnte. An der Stelle, an der das Boot stand, glitzerten auch andere Farben durch die Wasseroberfläche. Rosa, Grün, ein wenig Gelb, das Korallenriff.

Der Kapitän und Tauchführer half Misty und Ash beim Anziehen ihrer Neoprenanzüge und Anlegen der Ausrüstung. Erklären brauchte er nichts mehr, da sich Misty teilweise besser auskannte, als er. Wenn es um sowas geht, konnte man Misty als Wasser-Arenaleiterin eben nicht viel vormachen. Dementsprechend hörte sie auch gar nicht auf das Gefasel des Kapitäns und ließ sich rückwärts einfach über Bord fallen. Sie packte Ash im letzten Moment und zog ihn so mit sich.

Sie tauchten in eine völlig andere Welt ein. Das Wasser war so klar, dass man so viel auf einmal sah, man wusste gar nicht wo man zuerst hingucken sollte. Stetig tauchten sie ab, um dem Korallenriff näher zu kommen. Ash stellte sich hierbei noch etwas unbeholfen an, immerhin war das für ihn keine alltägliche Angelegenheit, wie für Misty. Er hätte sich auch gerne noch ein paar Tipps vom Tauchführer geben lassen wollen, doch Misty riss ihn einfach mit ins Wasser. Sorgen machte er sich allerdings keine, Misty kannte sich bestens aus, das wusste er. Sie warf einen Blick auf ihren Tauchpartner und musste kichern, sofern es die Maske zuließ, aufgrund der komischen Bewegungen, die Ash machte, um sich fortzubewegen. Sie streckte eine Hand nach ihm aus und lächelte ihm dabei zu. Der Schwarzhaarige bemerkte es zuerst nicht, da er zu sehr damit beschäftigt war, sich auf seine Schwimmbewegung zu konzentrieren. Doch als er neben sich eine Hand wahrnahm hielt er kurz inne, lächelte Misty ebenfalls zu, um ihr zu signalisieren, dass er ihre Hilfe gerne annahm und ergriff ihre Hand. Misty deutete mit ihrer anderen Hand auf ihre Flossen, um Ash zu zeigen, dass er ihr einfach nachmachen sollte. Und tatsächlich ging es mit Mistys Technik nun viel schneller voran. Hand in Hand tauchten sie zum Korallenriff ab. Schon bald entdeckten sie die verschiedensten Pokémon. Lampi und Lanturn spendeten zusätzliches Licht, obwohl es aufgrund des klaren Wassers immer noch sehr hell war. Ein Schwarm Seemon schwamm an ihnen vorbei, aus sicherer Entfernung beobachteten sie ein Tandrak, gut getarnt versteckten sich Mamolida im Riff, während ein paar Galapaflos daraus auftauchten und Richtung Oberfläche schwammen. Auch ein altertümliches Relicanth erblickten die beiden. Misty Wasserpokémonherz schlug mal wieder höher. Allerdings wusste sie auch, dass an ihrem erhöhrten Puls nicht allein die Pokémon Schuld waren. Instinktiv sah sie zu Ash hinüber, in dessen Gesicht man die pure Begeisterung erkennen konnte, da ihm dieser Anblick aus wunderschönem Korallenriff und Pokémon sichtlich erstaunte. Er merkte Mistys Blick nicht, die leicht schmunzeln musste und sich wieder auf die Suche nach Pokémon begab.

Obwohl sie nicht miteinander reden konnten, genossen sie die gemeinsame Zeit unter Wasser. Sie untersuchten das Korallenriff genauestens und wurden immer wieder von etwas anderem in den Bann gezogen. Misty zog Ash am Arm, als diese ein Corasonn entdeckt, zweifelsohne eines ihrer Lieblingspokémon. Es erinnerte sie natürlich an ihr eigenes, das sie über alles liebte. Unglaublich schön war auch der Schwarm Lumineon, den die beiden gemeinsam entdeckten. Es war ein schönes Schauspiel, wie der dunkelblaue Haufen immer wieder neongelb aufleuchtete und sich schließlich verstreute, als Ash und Misty den Pokémon zu nahe kamen. Doch das Highlight, des Tauchgangs waren die zwei verspielten Südseepokémon Saganabyss, die eine ganze Weile um die zwei Tauchenden umherschwammen und sich erst mit einem Schwarm Liebiskus verabschiedeten, der Ash und Misty beim Auftauchen überholte. Für kurze Zeit sahen sie nur noch Rosa. Zwei Saganabyss und tausende Liebiskus befanden sich um ihnen und schwammen mit ihnen um die Wette. Ein wundervoller Anblick.
 

Misty und Ash tauchten Hand in Hand auf, nahmen ihre Masken ab und grinsten sich an. Der Kapitän war noch nicht besänftigt und keifte die beiden sofort an, was ihnen einfalle, seine Anweisungen zu ignorieren und einfach so abzutauchen. Doch wie bereits auf der Hinfahrt erwähnt, konnte ihnen nichts und niemand diesen Tag verderben. Ohne ein Wort zu sagen stiegen sie zurück aufs Boot und entledigten sich ihrer Ausrüstung. Geschafft ließ sich Misty auf die Bank nieder, während der Kapitän zornig eine Antwort erwartete. „Bleiben sie locker. Ich bin Wasserpokémontrainerin und war schon etliche Male Tauchen. Außerdem sind wir ja wieder heil auf ihrem Boot, also wozu die Aufregung?“, stellte Misty klar. Der Mann wollte erneut ansetzen, doch Ash ließ sich neben Misty auf die Bank fallen und ergriff zuerst das Wort. „Das sehe ich genauso. Meine Partnerin hier kennt sich bestens aus. Sie hätten sich wirklich keine Sorgen machen müssen.“, Misty wurde nach Ashs Satz leicht rot. Ihr schmeichelte Ashs Aussage sehr, da er sie sonst nur selten derart lobte. Zumindest war das früher so. Doch hier im Urlaub hatte er des Öfteren solch schöne Worte für sie übrig. Insgesamt hatte sie das Gefühl, sie lernte momentan einen ganz neuen Ash kennen. Allein schon dieser Tauchausflug. Welcher Ash aus den letzten Jahren wäre mit ihr allein Tauchen gegangen? Wohl keiner. Auch deshalb stellte sie sich die Frage, ob das heftige Kribbeln im Bauch die alten Gefühle waren, oder sie sich hier komplett neu verliebte.
 

Tauchen war anstrengend. Auch deshalb schliefen Ash und Misty auf der Rückfahrt ein, als sie auf der Bank saßen. Als das Boot am Steg anlegte, wartete Rocko bereits, der die beiden abholen sollte. Er zog fragend eine Augenbraue hoch, als er aufs Boot sah. Ash hatte seinen Arm um Misty gelegt, während sie mit ihrem Kopf auf Ashs Schulter lehnte und ihre Hand auf seinen Oberschenkel ruhte. Sie hatten sich jetzt doch nicht wirklich ihre Gefühle während des Tauchausflugs gestanden, oder? Rocko beschloss nicht nachzufragen und klatschte einmal laut in die Hände. „Aufwachen ihr beiden! Ich sollte euch doch abholen, oder etwa nicht?“, Misty schreckte hoch und nahm beschämt ihre Hand von Ashs Oberschenkel. Ash hingegen war die Ruhe selbst und richtete sich nur ganz langsam auf. In welcher Position die beiden geschlafen hatten wusste er wahrscheinlich gar nicht. „Was? Schon zurück? Das ging aber schnell.“, sagte der Schwarzhaarige im verschlafenen Ton und streckte sich erst einmal.
 

Ash klagte auf dem Weg zurück ins Hotel über Bauch- und Kopfschmerzen. Misty kannte das. Nicht jeder Körper kam sofort mit dem Wasserdruck zurecht. Sie fühlte mit Ash, da auch sie auf ihren ersten Tauchgängen ähnliches durchleben musste. Während Rocko fuhr, setzte sich Misty zu Ash auf die Rückbank und kümmerte sich liebevoll um den Pokémon-Meister. „Du siehst mir etwas blass um die Nasenspitze aus, Ash Ketchum. Du gehst schön ins Zimmer und ich bring dir etwas vom Abendessen mit, in Ordnung?“, sagte die Orangehaarige fürsorglich und hielt ihre Hand an seine Stirn, um zu sehen, ob er Fieber hatte. Zum Glück war dies nicht der Fall. Doch augenblicklich danach, ließ er seinen Kopf auf ihre Schulter sinken und schloss seine Augen. Misty entlockte der Anblick des ruhenden Wuschelkopfs auf ihrer Schulter ein kleines Lächeln. Sie strich ihm noch eine Strähne aus dem Gesicht und platzierte ihre Hand abermals auf seinen Oberschenkel.
 

„Hier wären wir, Herr Pokémon-Meister. Wir bringen dich noch mit hoch und dann legst du dich erst einmal hin.“, Mistys fürsorgliche Worte erwärmten die Gegend um Ashs Herz. Ihre Art mit ihm umzugehen fand er einfach nur süß. Da würde wohl jeder Mann gerne krank werden, wenn sich solch eine Krankenschwester um jemanden kümmern würde. Im Aufzug herrschte Stille, Misty sah den Schwarzhaarigen durchgehend besorgt an. Auch wenn er es wirklich nett von Misty fand, sie musste es nicht übertreiben, er lag ja nicht im Sterben. Er spielte einen Huster vor, um sich von ihr Wegzudrehen, damit sie sein aufkommendes Lächeln nicht sah. Er fand es einfach zu herzerwärmend, wie sehr sich Misty um ihn kümmerte. Dazu ihr völlig ernster und besorgter Blick, Ash konnte sein Lächeln irgendwann nicht mehr zurückhalten. Zum Glück ging die Tür auf und wenig später fiel eine Tür wieder zu. „Du legst dich hin, Rocko und ich essen eine Kleinigkeit und ich werde dir etwas mitbringen, damit wir dich wieder etwas aufpäppeln können, ja?“, Misty ließ wirklich keinen Zweifel an ihrer Fürsorglichkeit aufkommen. Ash nickte nur und begann sich Richtung Schlafzimmer zu bewegen. Auch für Misty und Rocko war das das Zeichen aufzubrechen. Ash hatte sich noch nicht ins Bett gelegt, da hörte er, wie die Zimmertüre wieder ins Schloss fiel. Sein Spiel war beendet. Er rannte zur Zimmertür und legte ein Ohr an. Er hörte Schritte, die immer leiser wurden. Und er hörte zwei sprechende Personen, deren Gespräch er schon bald nicht mehr mitverfolgen konnte, da es immer unverständlicher wurde. Ash hetzte zurück und begann, die Terrasse umzustellen.

Rocko und Misty saßen am Esstisch im großen Saal und quatschten miteinander. Rocko quatschte eindeutig mehr, weil Misty damit beschäftigt war, ihr Essen so schnell wie möglich in sich hineinzuschaufeln. „Misty, mach doch mal langsam. Wir sind hier bei keinem Wettbewerb, du wirst sowieso auf mich warten müssen.“, gab Rocko tiefenentspannt von sich. Er war natürlich im Plan seines Freundes eingeweiht. „Aber Ash geht es schlecht, wir müssen uns doch um ihm kümmern.“, widersprach Misty ihren ehemaligen Reisegefährten. „Er hat nur etwas Bauch- und Kopfschmerzen, mehr nicht. Du kennst doch Ash, von sowas lässt er sich doch nicht unterkriegen.“, versuchte der Braunhaarige Misty dazu zu bewegen etwas langsamer zu essen.

Rockos Handy vibrierte. Sicherheitshalber warf er einen Blick darauf. Ein entgangener Anruf von Ash. Sein Zeichen. „Misty, was hältst du davon, wenn wir unser Essen ebenfalls mit hochnehmen und mit Ash gemeinsam essen?“, fragte er Misty, während er sich noch etwas wunderte, wieso Ash so schnell war. „Das ist eine sehr gute Idee! Wieso sind wir nicht gleich darauf gekommen? Zum Glück hab ich bisher nur die Vorspeise gegessen.“, wunderte sich Misty über ihre Einfallslosigkeit und sprang schlagartig auf. Während sie das Essen für Ash und sich einpacken ließ, kramte Rocko sein Handy hervor und schickte seinem Freund einfach nur einen Punkt als Bestätigung und gleichzeitig als Zeichen, dass sie gleich kommen würden.
 

Die reflektierenden Stahltüren des Aufzuges gingen auf und Misty stürmte sofort los, obwohl sie drei Warmhalteboxen in den Armen hielt. Rocko durfte sie nicht verlieren und spurtete hinterher. Kurz vor der Zimmertür zur Suite 1070 konnte er sie endlich zügeln. „Misty, warte doch mal. Hast du Ash eigentlich diese rote scharfe Soße mitgebracht? Die findet er doch so lecker.“, fragte Rocko nach. „Rote scharfe Soße? Da war keine rote scharfe Soße. Und seit wann isst Ash überhaupt scharf?“, Misty war etwas verwirrt ob der neuen Essgewohnheiten ihres besten Freundes. „Nimm meine Warmhaltebox, dann werde ich noch ein wenig davon holen.“, perfektionierte er damit Ashs Plan. Wie bereits beim Tauchen ließ er den beiden ihre Zeit. Ash bat ihn darum und er sah keinen Grund, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen. Er ermutigte Ash eher dazu, diese Schritte in die, für Rocko, richtige Richtung zu gehen. Also stellte er seine Box auf die anderen drei, die Misty bereits in den Armen trug und verschwand wortlos. Etwas konsterniert und ahnungslos sah sie Rocko hinterher, doch dann stellte sie die Boxen auf den Boden, zog ihre Karte durch das Lesegerät und öffnete die Tür.
 

Mit den Boxen in den Händen betrat sie einen dunklen Raum. Nur angenehmes Kerzenlicht flackerte ihr entgegen. „Ash?“, fragte Misty unschlüssig ins Zimmer. Sie bekam keine Antwort. Sie stellte ihre Essensboxen auf einer Kommode ab und folgte dem Weg, der ihr durch die Kerzen gezeigt wurde. Unsicher wagte sie Schritt für Schritt durch die dunkle Suite. Ihr Herz drohte zu explodieren, so aufgeregt war sie. Was hatte Ash vor? Was hatte er geplant? Und vor allem, was sollte die ganze Aufmachung. Sie malte sich bereits sämtliche Szenarien in ihrem Kopf aus. Nicht nur ihr Herz stand kurz vor dem Ausfall, auch ihr Bauch drohte, aufgrund der ganzen Smettbo zu platzen. Und schließlich stand sie vor der großen Tür zur Dachterrasse. Schockstarre. Ihr ganzer Körper war unbeweglich. Auch die Smettbo in ihrem Bauch und ihr Herz standen still. „Hey, Misty.“, gab Ash etwas verlegen von sich, als er seinen Stuhl zurückschob und aufstand. Vor ihm war ein wundervoll gedeckter Tisch, auf dem ein luxuriöses Essen serviert war, Kerzen … War das ein Date? „Ich … ich dachte … dir geht’s nicht gut, Ash.“, stotterte Misty perplex vor sich her. Sie wusste mit der momentanen Situation noch nicht wirklich umzugehen, da sie nicht wusste, auf was Ash abzielte. „Ich muss gestehen, dass das nur gespielt war. Irgendwie musste ich dich ja aus dem Zimmer bekommen, um das hier vorzubereiten.“, beichtete Ash und sah Misty dabei nicht an. Wohl auch, damit sie seinen roten Schimmer im Gesicht nicht erkennen konnte. Normalerweise würde Misty nun sauer werden, doch der Anblick der gesamten Szenerie ließ es einfach nicht zu. Sie brauchte dennoch kurz, um ihre nächsten Worte zu wählen. „Ash … wozu das Ganze?“, fragte sie immer noch leicht abwesend, ging jedoch auf ihren besten Freund zu. „Setz dich doch bitte erst einmal, Misty.“, bat er sie freundlich und schob ihr wie ein Gentleman den Stuhl zurecht. Misty quittierte das mit einem Lächeln. „Wo hast du dieses Luxusmenü her, Ash? Das sieht nicht aus, wie die Gerichte, die es unten im Saal gibt.“, fragte Misty, als sie auf den Teller sah. „Extra für uns beide anfertigen lassen. Ich hoffe du hast noch nicht allzu viel im Saal gegessen.“, Misty wurde immer nervöser. Was führte Ash im Schilde? Und wie hat er es geschafft, das alles in so kurzer Zeit herzurichten? Er musste doch schon im Voraus diverse Vorkehrungen getroffen haben, um all das zu schaffen. War Ash das wirklich zuzutrauen? Nach den neu gewonnen Eindrücken, während der letzten paar Tage, war es das allemal. Sie sah ihm ins Gesicht. Er hatte ein ehrliches Lächeln aufgelegt. Sie ebenso und versank dabei in seinen Augen. Sie hatte schon immer Gefühle für diesen Mann, beziehungsweise damals für diesen Jungen. Und immer, wenn sie drohten zu versiegen, stellte er irgendetwas an, damit sie neu aufflammten. Sei es nur eine Postkarte von einem weit entfernten Ort. Ab und zu schaffte er es sich zu melden. Doch die letzten zwei Jahre kam nur noch ein Anruf. Sie dachte nun wäre es vorbei, immerhin war sie jetzt 21 Jahre und war wohl zu alt dafür, an der Jugendliebe von einst festzuhalten. Sie ging in diesen Urlaub und traf Roberto. Er war nett und charmant, zeigte offen sein Interesse an ihr. Doch schnell stellte sie fest, dass ein anderer Mann in ihrem Kopf es nicht zuließ, sich neu zu verlieben. Und dann kam dieser Mann auch noch in ihr Hotel. Allein der erste Tag an dem sie sich sahen und nicht miteinander sprachen, zerfraß sie. Doch hatte sie erst einmal begonnen, wieder Zeit mit ihm zu verbringen, waren alle Zweifel verschwunden. Nein, eher noch schaffte er es, zu den alten Gefühlen, die Misty bereits für ihn hegte, neue entstehen zu lassen. Ash hatte sich verändert. Krass verändert, und zwar positiv. Auch er zeigte ein gesteigertes Interesse an ihr. Davon hatte sie doch all die Jahre geträumt. Und jetzt saßen beide bei einem Candle Light Dinner, das von Ash vorbereitet wurde. Eigentlich fehlte nur noch der alles entscheidende Schritt. Doch Misty war nervös und wusste nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte. Noch nicht? Vielleicht legte sich ihre Anspannung mit dem Fortschreiten dieses Abends. Sie hoffte es inständig.
 

Ash schaffte es mit seiner lockeren Art, Misty Stück für Stück ihre Nervosität zu nehmen. Er verhielt sich einfach genauso, wie er es immer tat. Er zeigte der Arenaleiterin, dass sie sich nicht anders geben musste, nur weil hier romantisches Feeling aufkommen könnte. Eine gewisse Restanspannung war Misty jedoch nicht zu nehmen. Sie wollte wissen, wofür das Ganze. Ash merkte das natürlich und musste seinen Mut zusammennehmen, um nun den entscheidenden Schritt zu machen. „Bist du fertig? Hat es dir geschmeckt?“, er gönnte sich eine letzte Pause, bevor er seinen Plan in die Tat umsetzen würde, räumte die Teller ab und begab sich in die Küche, um diese abzustellen. „Danke, es war köstlich, Ash.“, ließ Misty verlauten, als er gerade durch die Tür in die Suite schritt. Danach war Misty einen kurzen Augenblick allein. Ihr Blick streifte den Horizont. Die Sonne war nicht mehr zu sehen, stattdessen ließ der Mond und die Sterne das Meer weißlich glitzern. Vereinzelte Wolken hingen noch am Firmament und wurden ebenso angestrahlt, weshalb es aussah, als würden leuchtende Wattebausche in der Luft schweben. Sie genoss den Anblick und vergaß für kurze Zeit die Anspannung, die sie den ganzen Abend nicht losließ. Doch ihr Puls schoss von 0 auf 180, als Ash zurückkam und das Wort ergriff. „Schau dir das mal genau an, Misty.“, erschrocken wandte sie ihren Kopf Ash zu. Was hielt er da in der Hand? Er legte es vor Misty auf den Tisch und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. „Was ist das, Ash?“, fragte Misty mal wieder unschlüssig. „Falte es doch mal auf.“, gab er Misty ihre Instruktionen. Misty befolgte Ashs Anweisung und hatte plötzlich eine riesige Karte einer fremden Region vor sich. „Eine Karte? Wieso zeigst du mir eine Karte?“, Misty suchte die Karte nach einem Ort ab, den sie womöglich schon mal gehört hatte, doch Fehlanzeige. Ash sah nicht auf das aufgefaltete Blatt Papier, sondern sah Misty durchdringend in die Augen. Die Orangehaarige merkte dies zuerst nicht. Sie fragte Ash nochmal, wieso er ihr eine Karte vorlege, weil er noch keine Antwort darauf gegeben hatte und sah ihn nun an. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, kramte er in seiner linken Hosentasche nach etwas. Als er es gefunden hatte, setzte er die zwei Gegenstände auf eine Stadt im Süden der Region. Mistys Augen weiteten sich. Ihr Herz würde nun wohl jeden Pulsmesser sprengen. Da standen zwei Figuren. Die eine war ihr Mistyköder, den sie Ash vor etlichen Jahren geschenkt hatte. Die andere Figur war ein Ashköder, der genauso süß aussah, wie ihrer. Komischerweise verstand sie den Zusammenhang sofort. Ungläubig sah sie Ash in die Augen. „Du … wirklich?“, Misty brachte in ihrem Zustand absolut keinen Satz heraus. Zum Glück formulierte Ash seine Frage, damit Misty eine normale Antwort geben konnte. „Misty, ich wollte dir diese Frage schon etliche Male stellen, doch irgendwie hatte sich das nie ergeben. Doch jetzt, wo ich die Möglichkeit ergreifen kann, wollte ich sie auf jeden Fall nutzen und dich fragen, ob du womöglich Lust hättest, mich auf einer neuen Reise in eine für uns völlig neue Region zu begleiten?“, Ash wurde rot wie eine Tomate, während er seine Frage stellte. Doch er wandte seinen Blick nicht von Misty ab und sah ihr durchgängig ehrlich in die Augen. Misty verarbeitete seine Worte in ihrem Kopf. Immer wieder hallten sie nach, und immer wieder stellte sie sich die Frage, ob er das gerade wirklich gesagt hatte. Nach guten 20 Sekunden Stille sprang sie auf, sodass ihr Stuhl hinter ihr umkippte und stürmte um den Tisch auf Ash zu. Dieser stand eher reflexartig auf, um ein Unglück zu vermeiden und ließ Misty in seine Arme springen. „Ja, Ash! Ja, ich will! Ich will auf jeden Fall!“, Mistys ließ ihrer Ekstase freien Lauf. Die Arenaleiterin befand sich immer noch in Ashs Armen, zappelte jedoch wild umher und konnte ihr Glück kaum fassen. Nach etlichen Pirouetten setzte er sie zurück auf den Boden. Misty war immer noch nicht zu bändigen, packte ihn im Nacken und gab ihm im Eifer des Gefechts einen Kuss auf die Lippen. Kurzzeitig ließ es Ash zu, um sie dann jedoch leicht geschockt von sich zu drücken. Auch Misty realisierte ihre Tat und hielt sich entsetzt die Hand vor dem Mund. „Entschuldige bitte, Ash …“, sie wollte weitersprechen, doch Ash schnitt ihr das Wort ab. „Nein, nein, Misty. Du hast es versaut …“, Mistys Augen wurden wieder einmal riesig, während sie Ash zuhörte. Was hatte sie da gerade getan? Ihre Gefühle waren vollkommen mit ihr durchgegangen. „…, denn eigentlich wollte ich dir noch eine zweite Frage stellen …“, sprach Ash weiter und ließ Misty hochschrecken. Sie war kurz davor sich umzudrehen und aus dem Zimmer zu stürmen, doch als Ash verlegen das Wort ergriff und alles andere als sauer zu sein schien, horchte sie gespannt zu. „Ich möchte mit dir nicht als meine beste Freundin auf diese Reise gehen, Misty … denn ich habe mich verliebt. Schon vor langer Zeit, und es muss jetzt endlich raus, dieser Gefühlsstau der letzten Jahre, weshalb ich diese Reise mit dir als Paar antreten will, Misty. Du und ich. Ich liebe dich.“

Konnten Mistys Augen noch größer werden, als sie es sowieso schon waren? Ja, sie konnten. Das war gerade aber auch das einzige Körperteil, das sie bewegen konnte. Alles andere setzte aus. Herz, Gehirn, Arme, Beine … alles. Sie konnte Ashs Worte gerade nicht fassen. Ein zweites Körperteil nahm seine Arbeit wieder auf. Die Tränendrüse. Misty rann nicht nur eine Träne hinunter. Ihre Wangen verwandelten sich sofort in einen Wasserfall. Doch bevor Ash sie fragen konnte, was er falsches gesagt oder getan hatte, legte sie sich erneut in seine Arme. Es entlud sich auch ihr Gefühlsstau der letzten Jahre. Es kam alles auf einmal hoch. Und doch schaffte sie es während ihres Gefühlsausbruchs etwas zu sagen. „Ich liebe dich, Ash!“, gab sie heulend von sich, während er sie fest an sich drückte und sie sich in seinen Rücken krallte.

Ein geschichtsträchtiger Abend II

Es war ein Jahr vergangen, seitdem Ash die Einall-Liga gewonnen hat. Danach trat er einen Urlaub an, der sein weiteres Leben verändern sollte. Er traf seine beste Freundin Misty wieder. Wobei sie für ihn schon damals weitaus mehr als nur seine beste Freundin war. Sie war die junge Frau, in der er sich schon vor Jahren verliebt hatte. Und wie durch ein Zufall wählte er genau das Hotel aus, indem auch Misty gerade Urlaub machte.

Letztendlich verlängerte er eigenwillig den Urlaub der Orangehaarigen, ohne sie davor zu fragen. Da sie jedoch sehr ähnlich wie Ash dachte, sprang sie innerlich im Dreieck, statt sauer zu sein. Wer würde auch schon eine kostenlose Urlaubsverlängerung mit seinem besten Freund ablehnen? Was Misty nicht wusste, war Ashs Plan hinter der ganzen Sache. Eigentlich wollte er Misty erst am letzten Abend fragen, ob sie mit ihm eine neue Reise antreten würde, doch sofort der erste Tag war derart perfekt, dass er sogleich die Chance ergreifen musste, völlig egal welches Risiko für den Resturlaub dadurch bestand. Es hatte sich gelohnt. Die beiden Liebenden fanden endlich zueinander und verbrachten einen wundervollen Urlaub miteinander. Sogleich zog sie mit in Ashs Zimmer, so, wie sie sich es an jenem Morgen, als sie das erste Mal die Suite als Bewohnerin betrat, ausgemalt hatte.
 

Und nun stand er genau dort, wo er vor einem Jahr auch stand. An der Spitze einer regionalen Liga. Ash hatte soeben die Kalos-Liga gewonnen und schrieb fleißig weiter an seinem Legendenepos. Den Status einer lebenden Legende hatte er sowieso schon inne. Und nun gewann er seinen fünften Titel. Sämtliche Medien würden wieder auf ihn fliegen, auf Ash Ketchum, der Koryphäe schlechthin wenn es ums Kämpfen ging. Doch etwas hatte sich verändert. Er stand nun nicht mehr allein auf dem Treppchen. Er war nicht mehr allein auf dem Siegerfoto. Mit der rechten Hand reckte er einen goldenen Pokal in die Höhe, mit dem linken Arm hatte er Misty eng umschlungen und gab ihr einen Kuss. Dahinter stand sein Pokémon-Team. Nur wenige Kameras konnten diesen Moment wirklich einfangen, da der Konfettiregen mal wieder die Sicht erschwerte. Doch den beiden auf dem Siegertreppchen war das natürlich egal. Sie genossen den Augenblick der Zweisamkeit, auch wenn sie sich in einem proppenvollen Stadion befanden.

Jeder sprach nur noch vom Pokémon-Traumpaar. Ash Ketchum, der mittlerweile Fünffach-Champion und Misty Waterflower, die ehemalige Arenaleiterin aus Azuria City und Wasserpokémonspezialistin. Man konnte sie beinahe als Pokémon-Glamourpaar bezeichnen. Doch sie hatten ihr Leben eigentlich kaum geändert. Es lief alles genauso ab, wie auf ihrer allerersten Kanto-Reise, nur, dass etwas mehr Trubel um die beiden herrschte, egal wo sie aufkreuzten. Und natürlich hatte sich noch etwas verändert. Sie gingen als Paar auf diese Reise. Anfängliche Zweifel, ob das klappen würde gab es beiderseits. Doch sie harmonierten perfekt. Sie agierten als eingespieltes Team, so, als wären sie nie getrennt gewesen, nachdem sie die Johto-Region bereist hatten. Das machte die Reise um einiges schöner. Und wie man sieht, sprang am Ende der nächste Titel für Ash dabei heraus.
 

Ash stellte einen Bilderrahmen auf den Kaminsims. Es war das Siegerfoto, auf dem er Misty einen Kuss gab, während er sie im Arm hielt und er mit der anderen Hand den Pokal in den Himmel streckte. Langsam wurde es eng über dem Kamin, er musste die anderen Bilder bereits enger zusammenschieben. Doch das Bild musste einfach hierher. Er stellte es genau in die Mitte, sodass es einem sofort ins Auge fiel. „Also jetzt darfst du jedenfalls keinen Titel mehr holen, sonst passt das Bild nicht mehr auf den Sims.“, neckte Misty ihren Freund. „Haha, sehr witzig, Misty.“, gab er gespielt sauer zurück, lächelte danach jedoch sofort und gab ihr einen Kuss. „Misty, Ash, fresst euch nicht gegenseitig auf. Kommt lieber zum Abendbrot und esst etwas von meinem Essen.“, sagte Delia, die aus der Küchentüre spitzte. „Mom!“, entgegnete Ash mit hochrotem Kopf, setzte sich jedoch sofort in Bewegung. Misty lachte nur.

Während des Essens hatte Delia jede Menge Fragen an Misty und Ash. Doch welche Frage brannte einer fürsorglichen Mutter, wie Delia es war, natürlich am meisten auf der Zunge? „Und, meine Lieben? Wisst ihr schon, wohin es euch als nächstes verschlägt?“, fragte sie, während sie automatisch einen traurigen Blick auflegte. „Wir werden noch ein paar Tage hier bleiben und dann werden wir uns vorerst eine Pause in Azuria City gönnen. Fünf Titel müssen vorerst reichen.“, lachte Ash am Ende des Satzes. „Ach, in Azuria City? Davon weiß ich noch gar nichts.“, Misty war kurz verunsichert, wie Ash darauf kam, dass sie vorerst in der Arena bleiben würden. Als sie jedoch kurz darüber nachdachte, fand sie diese Idee eigentlich gar nicht so schlecht. „Klar machen wir das. Es wird uns auch mal gut tun, wenn wir nicht ständig auf Achse sind.“, zwinkerte Ash Misty zu, stand auf und gab ihr einen Kuss im Vorbeigehen. Umso länger die ehemalige Arenaleiterin über diese Idee nachdachte, umso besser gefiel sie ihr. Das bedeutete ganze viel Zeit zu zweit, ohne nervenden Rummel um ihre Personen. Das konnte nur schön werden. Darauf freute sie sich. „Ok, abgemacht. Ich freu mich drauf.“, sie drehte sich Ash zu, der an der Spüle stand und schenkte ihm ein glückliches Lächeln. Er erwiderte es, ging auf sie zu und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. „Das wird eine wundervolle Zeit, Misty.“
 


 

Ende
 



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Kommentare zu dieser Fanfic (16)
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Von:  Blue_StormShad0w
2016-09-18T15:18:45+00:00 18.09.2016 17:18
Tag auch.
Ein guter Schluss war das.
Jetzt auch noch fünffacher Champion, Ash wird sich von Paparazies kaum noch retten können. Sein Privatleben wird bestimmt auch noch in den Medien stehen. Vor allem über seine Beziehung mit Misty.
Doch das wird ihm und Misty wohl ziemlich egal sein.
Die Beiden werden nun ihr gemeinsames Glück genießen.
Auf jeden Fall eine tolle Story. Hat echt spaß gebrachte sie zu lesen.
Also dann, vielleicht liest man ja was wieder von dir.
Bis dahin, ciao!
Von:  Kaninchensklave
2016-09-18T10:28:32+00:00 18.09.2016 12:28
ein Tolles Ende

nun hat Ash seinen fünften Titel hat erstmal vor sich eine längere Auszeit zugönnen
aber wohl auch ein Haus zu Kaufen oder zu Bauen, nur hat er da wohl weniger
mitsprache Recht als Misty

aber es wird auch Zeit das sich ash niederlässt und sesshaft wird denn
insgeheim Plant er wohl Hochzeit und Familie
und eine eingene arena als Kampfkoryphäe

GVLG

P.s.
Ich freue mich schon auf dein nächstes AAML Projekt ;)
Von:  Kasumi05
2016-09-17T07:27:38+00:00 17.09.2016 09:27
ich mag deine story wirklich sehr
sorry das ich nicht zu jedem kapitel was geschrieben habe, aber offt habe ich sie erst abends aufm handy gelesen
ich mag diese story wirklich, du hast echt talent und man merkt das es dir spaß macht
zu erst dachte ich bei den ersten kapiteln (NEIN!!! WAS MACHST DU NUR)
aber das legte sich ja zum glück schnell, so das viele ash und Misty zeiten da wahren und hoffentlich auch noch kommen werden
ich freue mich auf jedenfall sehr auf deinen nächsten part :D
LG Kasumi :D
Antwort von:  True710
18.09.2016 12:05
Dankeschön :)
Diese Story hat wirklich Spaß gemacht, ja :)
Und die Ash-Misty-Zeiten habe ich anfangs natürlich bewusst unten gehalten ;P War also alles so geplant =)
Von:  Blue_StormShad0w
2016-09-15T12:34:01+00:00 15.09.2016 14:34
Guten Tag.
Ein sehr gutes Kapitel.
Drei Überraschungen für Misty.
Erst die Umbuchung, dass sie mit Ash noch etwas Zeit hat. Der anschließende Tauchgang und zum Schluss das Essen bei Kerzenlicht.
Hat mir sehr gefallen.
Antwort von:  True710
18.09.2016 12:03
Vielen Dank :)
Auch Ash gibt sich ab und zu eben mal etwas Mühe ;D
Von:  Kaninchensklave
2016-09-15T09:58:54+00:00 15.09.2016 11:58
ein süßes Kap

na da hat Ash ganze Arbeit geleistet und Misttys schlafzimmer wird quasie zu einem anziehzimmer umfunktioniert
denn jetzt wo sie eins sind, wird sie das Bett nicht mehr brauchen, da sie Ihr Ashkissen hat ;)

nun aber nicht nur auf Misty hat eine überraschung gewartet, denn auch auf Ihre Schwestern wird eine Warten
und sei es nur ein mehr als Großzügokrer Gutschein ür Ihren Lieblings Klamotten Laden, den Ash ebnenfalls besorgt hat und durch die Post hat zu kommen lassen, so kommen sie auch darüberhin weg die Arena mal wieder selber Leiten zu können xD

GVLG
Antwort von:  True710
18.09.2016 12:02
Danke :)
Das hast du richtig erraten ;D
Der Rest bleibt wohl dem Vorstellungsvermögen überlassen ;P
Von:  Blue_StormShad0w
2016-09-10T12:03:06+00:00 10.09.2016 14:03
Tag auch.
Ein langes und sehr gutes Kapitel.
Es hat mir sehr gefallen es zu lesen. Die Beiden kommen sich näher und es scheint alles bestens für sie zu laufen. Und dann verheimlicht Misty Ash, dass es der letzte Urlaubstag für sie war.
Bin schon gespannt, wie es weitergehen wird.
Also dann, ciao!
Von:  Kaninchensklave
2016-09-10T11:46:25+00:00 10.09.2016 13:46
ein Tolles Kap

nun das Ahs nichts dagegen hatte war kalr immerhin
fühlt er das selbe wie Misty und Roberto hat sich seine Niederlageauch eingestanden denn mit Ash kann er nicht mit halten
weder bei den Pokémon noch in der Liebe denn sein herz gehört Misty wie ihres Ihm gehört
nur leider wissen beide noch ncihts davon

ach es würde mich nicht wundern wenn Rocko zufällig shcon ungeplant früher abreisen muss und Misty noch agr nicht zurück
möchte so kann man das eine mit dem anderen locker verbinden
beide verbirngen weiterhin zewit zusammen
und haben erst mal nur unschuldigen Spaß xD

GVLG
Von:  Blue_StormShad0w
2016-09-07T16:11:36+00:00 07.09.2016 18:11
Nabend.
Super Kapitel mal wieder.
Endlich haben sich die Beiden ausgesprochen.
Das Misty ihre Schwester Daisy killen wollte kann ich mir gut denken. Die hat wohl noch nie was von Briefgeheimnis gehört.
Und Ash zeigt - wenn auch nur Heimlich - Interesse für Misty.
Bin neugierig, was nächstes Mal passiert.
Also dann, ciao!
Von:  Kaninchensklave
2016-09-07T15:11:39+00:00 07.09.2016 17:11
ein Tolles Kpa

nun haben sich AAML ausgesprochen und es kann nur mehr Berg aufgehen
denn früher hätte Ash Daisy für sowas erwürgt dohc er ist erwachsen geworden
und nur eines hat sich nicht verändert seine Gefühle für Misty wie denn auch,
denn sie haben soviel zusammen erlebt und es heisst ja
was sich liebt das neckt sich xD

GVLG
Von:  Blue_StormShad0w
2016-09-04T12:11:39+00:00 04.09.2016 14:11
Guten Tag.
Wieder ein gutes Kapi.
So! Jetzt ist die Katze aus dem Sack. Ash weiß nun das Misty im selben Hotel ist.
Sein Konkurent lest aber auch nicht gerade locker.
Auf das kommende Gespräch zwischen den Beiden bin ich sehr gespannt.
Also, ciao!


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