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Schattenspiel

von

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Schattenspiel

Die Luft in dem kleinen Zelt war stickig und warm. Es roch nach gebrannten Mandeln. Das aufgeregte Geplapper eines Backfischs, brachte Marten dazu die Hände zu Fäusten zu ballen. Konnte die dumme Göre nicht einfach ihren Mund halten?

Es war schon unangenehm genug zwischen so vielen Menschen eingequetscht in einem überhitzten Zelt zu sein. Er wusste, dass er übertrieb. In das Zelt passten vielleicht dreißig Menschen, wenn sie sehr gequetscht saßen, dennoch waren es viel zu viele für Martens Geschmack.

Warum nur, tat er sich das schon wieder an?

Seit er die Vorführung das erste Mal gesehen hatte, war er jeden Tag mindesten einmal hingegangen. Und das, obwohl er nur zum Jahrmarkt gegangen war, weil seine Kommilitonen ihn mitgeschleift hatten. Dennoch war er schon wieder hier und gab sein weniges Geld für ein Schattenspiel aus, anstatt zu lernen!

Das Rascheln von Stoff lenkte seinen Blick auf den Assistenten, des Schattenspielers. Es handelte sich um einen großen, breiten Mann mit dümmlichem Gesichtsausdruck, welcher nun die Lampen im Zelt hinter dem Publikum löschte. Stille breitete sich aus, wie verschüttete Tinte. Nur das knisternde Rauschen eines Kalklichts war zu vernehmen. Dunkelheit hüllte die Zuschauer in einen Mantel. Eine kühle Brise strich um Martens Knöchel. Eigentlich müsste der Strahl der Laterna Magika die Dunkelheit im Zelt teilen, wie eine Schere, doch das einzige Helle, war die von hinten beleuchtete Leinwand, vor der das Publikum verteilt saß.

Eine tiefe, leicht raue Stimme bat um Aufmerksamkeit. Mit blumigen Worten feierte sie ihr Publikum und pries die zu erwartende Geschichte an. Bis jetzt hatte der Schattenspieler in jeder Vorführung ein anderes Märchen erzählt.

Ein kalter Schauer lief über Martens Rücken als auf der hellen Fläche die Worte „Der Schatten. Ein Hans Christian Andersen“ erschien. Es war als schrieben sich die schwarzen Buchstaben von selbst. Marten hielt dieses Märchen für eine seltsame Wahl. Und obwohl er es kannte, zog die Stimme ihn in ihren Bann. Sie vertrieb das Gelächter und Gejauchzte der Jahrmarktsbesucher aus dem Zelt, bis sie alles war, was noch im Inneren erklang. Marten lauschte ihr aufmerksam, während seine Augen dem Schattenspiel auf der Leinwand folgten.

Schattenbilder formten sich auf der weißen Fläche. Sie flossen ineinander über, während sie die Geschichte wiedergaben. Dunkelheit in den unterschiedlichen Abstufungen malte Umgebung und Charaktere auf die Leinwand in einer unglaublichen Tiefe. Sie hüllte ihn ein, gaben ihm gar das Gefühl auf eine schwarz-weiße Miniaturlangschaft zu blicken. Alles wirkte beunruhigend plastisch. Die fließenden Bewegungen der Schattengestalten waren hypnotisierend. Marten vergaß, seinen Unmut über das junge Mädchen und sein Unbehagen über die Enge. Er fieberte mit dem Helden mit, nur um sich am Ende der Geschichte seine Arme um seinen Oberkörper zu schlingen. Ihn fröstelte und sein Herz klopfte ein wenig schneller als sonst. Eine vage Unruhe erfüllte ihn. Die Idee, dass Schatten leben könnten, nistete sich in seinem Kopf ein, obwohl er sich sicher war, dass das der Realität widersprach.

Schatten wuchsen an der Leinwand empor undbildeten einen Vorhang bildeten, der sie verhüllte. Undurchsichtige Dunkelheit umringte Marten. Er fühlte sich wie ein im Keller eingesperrter Junge, dessen Kerze erloschen war.

Unerwartet grell flutete Helligkeit das Zelt. Vor der Leinwand befand sich noch immer der schwarze Vorhang. Langsam schwang der luftige Stoff und gab den Blick auf eine schlanke, hochgewachsene Gestalt in schwarzem Gehrock frei. Der Mann trug einen Zylinder auf dem schwarzen Haar. Das einzige Farbige an ihm waren seine Augen, doch war ihre Farbe kaum auszumachen, irgendetwas Helles.

Wie nach jeder Aufführung überlegte Marten erneut, wie der Schattenspieler diese Vorführung zu Stande brachte. Er kannte einige Vorführungen mit der Laterna Magika. Er war mit der Technik vertraut genug, um zu wissen, welche optischen Effekte sich damit zaubern ließen. Zumindest hatte er das gedacht, bis er diese Schattenspiele gesehen hatte.

Mit einer eleganten Verbeugung verabschiedete sich der Schattenspieler von seinem Publikum, das zusammengekauert auf den wackeligen Holzbänken hockte. Nur langsam kam Bewegung in die Leute. Irgendjemand rief:“ Bravo!“ Der Ruf war zu laut, zu überenthusiastisch. Wie auch immer er es bewerkstelligte, der Schattenspieler ließ sein Publikum mit einem leichten Unbehagen zurück, einer Ahnung, dass die Welt anders und bedrohlicher war, als gedacht. Zumindest ging es Marten so, dennoch gerade das zog ihn wieder und wieder in dieses Zelt.

Der Ruf hatte den Bann gebrochen. Applaus brandete auf. Eine weitere Verbeugung, dann wies der Schattenspieler auf die anderen Attraktionen des Jahrmarktes hin. Kleidung raschelte, Füße scharten, Menschen erhoben sich. Stimmen wisperten, einige sprachen laut auf einander ein, ihnen allen war ein schriller Unterton gemein. Marten blieb sitzen und sah den Leuten zu, wie sie das Zelt verließen. Er hatte sich extra auf einen Platz nahe der Zeltwand gesetzt, um sitzenbleiben zu können. Hin und wieder linste er zum Schattenspieler hin, der noch immer vor der Leinwand ausharrte und sein Publikum beim Verlassen des Zeltes beobachtete.

Wie ein Gewicht legte sich der Blick des Mannes auf Marten, als der letzte Zuschauer gegangen war. Marten spürte Wärme in seine Wangen aufsteigen. Er zwang sich den Schausteller unverwandt anzusehen. Der Mann legte den Kopf schräg als lausche er auf etwas. Seine Mundwinkel hoben sich. Unvermittelt kam Bewegung in ihn. Mit ausgreifenden Schritten kam er auf Marten zu, blieb vor ihm stehen und musterte ihn scheinbar amüsiert.

Marten runzelte die Stirn.

Eine bleiche Hand wurde ihm entgegengestreckt. „Silas Siebensprung. Und mit wem habe ich die Ehre?“ Die tiefe Stimme streichelte Martens Ohren. Er schluckte. Nun da er so direkt vor ihm stand, war Silas noch beeindruckender. Obgleich die Schattenspiele Marten verstört hatten, so hatten sie ihn doch ebenso fasziniert. Insbesondere der etwa gleichaltrige Mann, der sie veranstaltete, hatte seine Neugier geweckt. Die Ruhe und Eleganz, welche er ausstrahle, wenn er am Ende der Vorführung vor dem Publikum stand, imponierte Martens.

„Marten Karfunkel.“, stellte er sich vor. Die Hand war kühl, der Griff jedoch fest.

„Sie waren in jeder Vorstellung, sagen sie mir, was führt sie her?“ Silas Blick war interessiert und doch hatte Marten das Gefühl, er würde durchschaut.

„Die Schatten“, sprudelte er hervor, hielt inne und rieb sich die Schläfen. Er hatte etwas ganz anderes sagen wollen. „Sie sind seltsam. Sie verhalten sich falsch, der Physik widersprechend“, fügte er hinzu.

„Ist das so?“ Um Silas blaue Augen bildeten sich Lachfältchen, als ein breites Lächeln auf seinem Gesicht erblühte. Marten starrte auf dieses Lächeln, es war so ganz anders als der ernste, imposante Gesichtsausdruck von zuvor.

„Ja.“

„Hat ihnen schon mal jemand gesagt, dass sie zu viel sehen?“

„Sie sind der Erste.“

„Erstaunlich. Mit ihrer Beobachtungsgabe hätte ich gedacht, sie wären schon früher in Bedrängnis geraten. Sie leben gefährlich.“

„Das ist mir neu.“ Während des Gesprächs hatte sich Kälte um Martens Knöchel gesammelt. Nun glitt etwas Kaltes, Glattes in sein Hosenbein. Er zuckte zusammen. Seidiges Dunkel schlängelte sich an ihm empor, fesselte ihn. Martens Hände stießen gegen einen kühlen, dehnbaren Stoff. Er war in Schatten gewickelt, wie eine Fliege im Netz einer Spinne.

Silas beugte sich vor, seine Hand legte sich unter Martens Kinn und zwang ihn den Kopf zu heben. „Sie leben, Schatten leben. Sie denken anders als wir. Dennoch sind sie lebendig und können domptiert werden. Sie sind meine Haustiere“, erklang die tiefe Stimme an seinem Ohr.

Martens Nackenhaare stellten sich auf. Sein Herz flatterte wie ein gefangener Vogel in seiner Brust.

„Nun kennst du mein Geheimnis. Was wirst du tun?“ Silas Atem strich über Martens Haut.

„Tun, was meinen… meinst du?“ Erst bei seiner Antwort merkte er, dass Silas zum Du übergegangen war.

„Genau das: Was wirst du tun?“

„Was kann ich schon tun.“ Um zu demonstrieren, was er meinte, zappelte Marten hilflos in seinen Schattenfesseln. Schweiß ran ihm dabei eisig das Rückgrat hinab. Ihm war deutlich bewusst, dass er in Silas Gewalt war und sein weiteres Schicksal von dessen Laune abhing.

„Und, wenn ich dich gehen ließe?“

Marten schnaubte. „Wer glaubt schon wilde Geschichten über lebendige Schatten. Man würde annehmen, ich hätte zu tief ins Glas geschaut!“

„Exakt. Du bist klug und vergeudest deine Zeit dort, wo du gerade bist.“

„Wie bitte?“

„Geflicktes Jackett, abgewetzte Schuhe, das weist daraufhin, dass du ein Student bist. Höchstwahrscheinlich etwas Wissenschaftliches oder Jura. Du könntest viel mehr sein.“

Marten starrte Silas entgeistert an. Hatte er etwas verpasst oder hatte sich die Richtung des Gesprächs gerade abrupt geändert?

„Na, was ist? Neugierig darauf, was es außerhalb der Wissenschaft noch gibt?“ Sacht strich ihm Silas über die Wange. „ Na komm schon. Du lechzt nach Wissen und sehnst dich nach Abenteuern. Gib es ruhig zu, denn du könntest das alles haben. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.“ Silas beugte sich vor. Warme Lippen streiften Martens Stirn. Einen Moment nur, dann wirbelte Silas herum und stolzierte Richtung Leinwand. Daneben hielt er inne und wandte sich noch einmal um. „Deine Antwort, Morgen, du findest mich den ganzen Tag hier!“ Mit diesem Befehl ließ er Marten allein zurück.

Marten schauderte, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und bemerkte, dass seine Schattenfesseln verschwunden waren. Steif erhob er sich. Wie ein Schlafwandler verließ er das Zelt und wanderte zu seinem kleinen Kämmerchen. Dort angekommen fiel er ins Bett.
 

Am nächsten Morgen war er davon überzeugt, dass er am Tag zuvor zu viel getrunken hatte und in der Vorstellung eingeschlafen sein musste. Trotzdem kitzelten ihn Silas Worte. Sie kamen ihm zu den unmöglichsten Momenten in den Sinn. Mehrfach glaubte er, das Thema abgehakt zu haben, nur um sich dabei zu ertappen, wie er erneut an das Geschehen des vorherigen Tages dachte. So versuchte er eine Erklärung dafür zu finden, anstatt dem Professor in seiner Vorlesung zu lauschen. Konnte er das wirklich erlebt haben? Waren lebendige Schatten real? Wenn ja, wie kommunizierte Silas mit ihnen? Weshalb betrachtete er sie als seine Haustiere? Und warum zum Teufel hatte er ihn geküsst?

Er achtete kaum auf den Weg, als die Vorlesung beendet war und er zum Mittagessen ging. Gedankenverloren rührte er in seiner ekeligen Erbsensuppe, welche er erstanden hatte, obwohl er Erbsen gar nicht mochte. Er brauchte Antworten. Er musste einfach wissen, was Silas gemeint hatte!

Klappernd fiel der Löffel in die Suppe. Und es gab nur eine Möglichkeit sie zu bekommen! Marten sprang auf. Er brauchte die Antworten und zwar sofort! Ohne sein Tablett wegzubringen lief er aus der Mensa. Geradeso außerhalb des Gebäudes begann er zu rennen. Als er bei der ersten Straßenecke angekommen war, war er außer Puste. Er verringerte sein Tempo von Rennen zu schnellem Gehen. Zu seiner Erleichterung war der Jahrmarktsplatz nur drei Straßen vom Campus entfernt aufgebaut. Dort angekommen, hetzte er an allen anderen Ständen vorbei auf das schwarze Zelt mit dem Schild „Schattenspiele. Moritaten und erbauliche Erzählungen“ zu.

Es war geschlossen, die letzte Vorstellung war schon angekündigt, die Zeit dafür aber noch nicht gekommen. Hastig sah Marten sich um. Er streckte den Rücken durch, nahm die Schultern zurück und schob das Zelt auf, so als gehöre er dort hin.

Dunkelheit umfing ihn. Kühle Schleier strichen über seinen Körper. Ein Zischeln wisperte in seinen Ohren. Knisternd wurde eine der Petroleumlampen angezündet. Warmes Licht beleuchtete Silas Gesicht. Das Lächeln darauf hieß Marten willkommen.

„Du hast dich also entschieden, die Welt wie du sie kennst hinter dir zu lassen und ein Leben voller Schatten zu führen.“ Es war eine Feststellung.

Marten nickte, denn Silas sprach die Wahrheit. Er würde alles hinter sich lassen und Silas in dessen Welt folgen. Dennoch schien eine laute Antwort erforderlich. „Ja, werde ich.“

„Gut.“ Silas trat neben ihn und legte ihm einen Arm um die Taille. „Ich denke wir werden hervorragend miteinander auskommen. Lass mich dich den anderen vorstellen.“ Doch anstatt loszugehen, drehte sich Silas und beugte sich zu Marten hin. „Darf ich?“

Es war Silas Frage, die Marten dazu brachte, die Distanz zwischen ihnen zu überbrücken und den Schattenspieler zu küssen. Die leicht trockenen Lippen auf seinen zu spüren, fühlte sich genau richtig an. „Ich dachte immer Liebe auf den ersten Blick wäre eine Fiktion“, murmelte Marten.

„Ist es auch. Du bist mir aufgefallen, weil du ständig wiederkamst und mein Tun so genau beobachtet hast. Da habe ich ein wenig nachgeholfen.“

„Ernsthaft?“ Leichtes Entsetzen machte sich in Marten breit.

„Ein wenig. Ich habe nur deine Neugier geweckt. Der Rest war Glück.“

„Manipulator!“

„Schausteller!“

„Wie du meinst. Schattenspieler bist du doch nur für dein Publikum, was bist du wirklich?“

„Glaubst du mir, wenn ich Schattendompteur sage?“

„Ich glaube dir eine ganze Menge, warum nicht auch das.“

„Das sind gute Voraussetzungen. Also versuchen wir es miteinander.“

„Und wenn es schiefgeht?“

„Verfütter ich dich an die Schatten.“

„Du scherzt!“

„Finde es heraus.“

„Oh, das werde ich ganz bestimmt.“

„Wie wahr.“ Silas Lächeln, brachte Marten dazu sich zu fragen, ob er gerade dabei war einen riesengroßen Fehler zu begehen. Sanfte Lippen berührten ihn auf der Stirn und er schob seine Bedenken beiseite. Er wusste, er verhielt sich wie eine dieser naiven Heldinnen in kitschigen Romanzen, dennoch sein Entschluss stand fest. Er hatte sein Schicksal freiwillig besiegelt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe die Geschichte hat gefallen. Weder Horror noch Romantik gehören zu meinen Stärken beim Schreiben. Die Geschichte war insofern eine große Herausforderung für mich.

Liebe Grüße

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Futuhiro
2017-02-05T17:01:00+00:00 05.02.2017 18:01
Hey, das Ende ist fies. O_ó)/
Was ist mit den Schatten? Ich will mehr über diese lebenden Schatten erfahren. Die Geschichte klingt wie der Prolog zu einem riesigen Fantasy-Roman, mit einer komplexen Welt voller Wunder und interessanter Charaktere. Das macht so furchtbar neugierig! (und am Rande bemerkt: Grusel muss nicht immer blutrünstig sein. Ich fand das hier ZIEMLICH gruselig.)

Ich feiere mal wieder den Ausdruck. Diese Story zeichnet so wortgewaltige Bilder. "Stille breitete sich aus, wie verschüttete Tinte." ... "Sie verhalten sich falsch, der Physik widersprechend." ... Uaah, ich liebe den Schreibstil. ^^


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