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Gefallene Engel

von

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Gefallene Engel

Nichts ist von Dauer - Nicht einmal der Tod.

(Das Kabinett des Doktor Parnassus)
 


 

Sie kommen. Ich kann sie hören. Fast lautlos gehen sie mit ihren Stiefeln über den Schutt. Er knirscht nicht einmal unter ihrem Gewicht, es ist als würden sie schweben.

Ich versuche den Atem anzuhalten, damit sie mich nicht finden, doch es gelingt mir nicht. Unkontrolliert röchle ich weiter und treibe mit jedem stoßartigen Luftzug, der über meine Lippen kommt, noch mehr Blut aus der Wunde in meinem Brustkorb. Um die Hand darauf zu drücken, um die Blutung zu stillen, habe ich nicht mehr genug Kraft.
 

Verzweifelt sehe ich zu Seiko, meiner besten Freundin, die reglos neben mir auf dem Boden liegt während eine einzelne Fliege gierig die Flüssigkeit von ihren starren Augen saugt. Sie ist tot, Seiko meine ich, ebenso mein Truppenführer, und alle anderen unseres kleinen Bergungstrupps. Einfach so wurden von einem Reiter der Apokalypse getötet.
 

Als ich daran denke, spielt sich die Szene, wie ein alter Film, vor meinem inneren Auge ab.

Er kommt aus dem Nichts. Ich sehe, wie Körper durch die Luft fliegen, wie Senri in der Mitte einfach so zerrissen wird. Ich selbst stehe regungslos da, wie ein Stock und rühre mich nicht. Zu erschrocken bin ich, zu ungläubig über das was da, direkt vor mir, passiert.

Es ist meine zweite Woche auf dem Schlachtfeld, und ich bin nicht hier um zu kämpfen. Ich kann es nicht mal sonderlich gut. Ich bin Krankenschwester, keine Kriegerin. Ich berge Verwundete, helfe Menschen in Not.

Und während mir all diese sinnlosen Gedanken durch den Kopf schleichen, reist es mich nach oben und ich wirble herum wie eine Spielzeugfigur, die ein übermütiges Kind aus Jux und Tollerei in den Himmel geworfen hat.
 

Dann klatsche ich wie ein Sandsack, ungelenk und ungebremst, auf den Boden. Auf ein Stück Stahlbeton, das wohl aus einem der umstehenden Gebäude gebrochen ist und dessen Stahlstäbe nun brach, völlig frei, nach oben ragen.

Mühelos durchdringen sie mein Fleisch, dringen durch den Rücken in mich ein und verlassen mich durch Bauch und Brust wieder. Ich spüre wie sie, durch die Wucht, meine Rippen zerbrechen. Dann knallt mein Kopf auf den Stein und verliere ich kurz das Bewusstsein.
 

Als ich die Augen öffne, bin ich noch immer auf den Stahl gespießt, doch nun habe ich Gesellschaft. Seiko liegt neben mir, nur wenige Schritte entfernt, das Genick in einem erschreckend unnatürlichen Winkel verdreht, die schönen großen Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, aus ihrem Mund läuft Blut.

Wir starren uns an, und doch nicht. Denn ihr Blick geht durch mich hindurch, nimmt mich nicht wahr. Als ich begreife, dass sie tot ist, beginne ich unkontrolliert zu schluchzen.
 

Seiko, meine liebe, sanfte Seiko ist nicht mehr. Nur ihr Körper liegt hier neben mir, in der Mittagssonne, eines Tages mit strahlend blauem Himmel.
 

Stunden ist das jetzt her, denn mittlerweile ist die Sonne fast bis unter den Horizont gewandert und am Firmament zeichnet sich ein wunderschönes Abendrot in den herrlichsten Rot- und Orangetönen ab. Meine späten Versuche aufzustehen und zu fliehen, sind gescheitert. Ich komme einfach nicht auf die Beine, denn sobald mein Leib sich zwischen den Metallstangen bewegt, wird der Scherz unerträglich und ich falle zurück. Und nun, wo ich hören kann, dass sie kommen, möchte ich einfach nur noch hier auf der Stelle sterben.
 

Es sind keine Menschen, die kommen um uns zu retten. Kein Mensch geht so, keine menschliche Stimme klingt so sanft und doch so gefährlich. Wäre ich doch nur nicht so schwach und mein Kopf nicht so schwer, könnte ich mich doch nur verteidigen.

Mit jeder Sekunde, die verstreicht ,schwindet mehr und mehr mein Bewusstsein. Ich habe viel Blut verloren, vermutlich genug um bald den Löffel abzugeben, aber wahrscheinlich ist genau dieses Blut der Grund für ihr Kommen. Hier muss es für sie riechen wie auf einem Bankett, mit mir als Hauptgang.

Als ich daran denke, erschaudere ich kurz. Wenn ich diesen Krieg schon nicht überlebe, dann nicht um als Futter- und Energiequelle für einen dieser Blutsauger zu dienen.
 

Lange bleibt mir der Gedanke allerdings nicht im Kopf, denn wohlige Taubheit breitet sich in mir aus. Es ist wie als hätte ich mit einem Mal Zuckerwatte im Kopf und als der Schmerz in meiner Seite endlich abebbt, umspielt ein geradezu beschwingtes Lächeln meine bleichen und blutleeren Lippen.
 

Wo ist oben, wo ist unten? Ich weiß es nicht mehr und plötzlich ist es mir auch völlig egal. Ich genieße nur noch die schönen Farben des letzten Sonnenlichts. Jeder klare Gedanke, weicht einem Sinnlosen, Unnützen oder versiegt, ehe er richtig aufgekommen ist in den immer wirrer werdenden Bildern die durch meinen Kopf schwirren. Meine Eltern, meine geliebte Oma und Seiko an all sie denke ich. Wie das Wetter wohl im Himmel ist?
 

Immer öfter fallen mir die schweren Lider zu, immer schwerer wird es, sich darauf zu konzentrieren zu Atmen. Hören kann ich schon seit einigen Minuten nichts mehr.
 

Und plötzlich sehe ich sie, den Engel. Sie beugt sich über mich, sie ist wunderschön. So klein, so zart, wie Seiko. Die blauen Löckchen, die sanft ihr Gesicht umspielen, wippen als sie sich zu mir herab beugt.

„Hallo Engel“, versuche ich zu sagen und beginne zu kichern, als nur einige gelallte Laute über meine Lippen kommen.

Auch sie sagt etwas, aber ich höre ihre Stimme nur wie ein leises Summen. Sie ist so hübsch, so phantastisch, so unwirklich schön.
 

Ich will sie anfassen, durch ihr Haar streichen. Und als ich zitternd meine schwere Hand nach ihr ausstrecke, die sich anfühlt, als wäre sie eingeschlafen, greift sie danach und streicht vorsichtig darüber.

Sie ruft jemanden. Ich sehe wie sie ihren Kopf dreht, wie ihr Haar in der Drehung schwingt. Dann tritt jemand neben sie.
 

Ich blinzle erneut viel zu lange, spüre kaum wie sie meine Hand los lässt und eine andere Größere an ihre Stelle tritt. Ein zweiter Engel steht vor mir. Er ist so anders und doch so schön wie der Erste. Was er wohl sagt?

Als er mir seinen Arm an die Lippen legt, fange ich wieder zu kichern an und etwas flüssiges läuft träge in meinen Mund. Ich schlucke es und mein Körper erschaudert.
 

Schlagartig kehrt das Gefühl in meine Glieder zurück. Ich schnappe nach Luft und jedes Geräusch das ich höre ist mit einem Mal so laut, dass es in meinen Ohren schmerzt.

Meine Adern verbrennen in meinem Leib, meine Lungen sind zu klein, zu eng, für die Luft die ich bräuchte um atmen zu können. Panisch reiße ich die Augen auf und schreie vor Schmerz und Entsetzen über das, was hier gerade passiert.
 

Das sind keine Engel!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  RenaAlgernon
2018-05-02T12:45:33+00:00 02.05.2018 14:45
Oh bitte schreib weiter! Ich muss unbedingt wissen wie es weiter geht😀


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