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Crystal of the Dark

von

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komplizierte Familienbande

Kapitel 13: komplizierte Familienbande:
 

Wir betreten gemeinsam den hinteren Teil des Raumes, der durch eine große Schwingtür vom Essbereich getrennt ist. Sofort schlägt mir eine Mischung aus Gerüchen entgegen. Teils angenehme, wie der Duft nach gebratenem Fleisch, und weniger angenehme, wie das gekochte Gemüse. Angewidert bleibe ich stehen und bekomme sofort eine Reihe merkwürdiger Blicke zugeworfen.

"Was ist los, Schwesterherz? Du bist plötzlich so blass." fragt Haru, kommt sofort zu mir und legt mir seine Hand auf die Stirn. "Fieber hast du aber keines. Ist dir das alles etwa zu viel?"

Tora lacht kurz belustigt. "Sie hat nichts Ernstes. Aber seit ihrer Metamorphose wird sie kein Gemüse oder Obst mehr gegessen haben. Das schlägt ihr anscheinend auf den Magen."

Mir ist viel zu übel, um darauf irgendetwas zu antworten, auch wenn ich ihm gerade verdammt gerne eine bissige Antwort geben würde! Ein bisschen erinnert Tora mich gerade an Ian. Die Zwei haben auf jeden Fall den gleichen Humor...
 

Erina dreht sich überrascht zwischen dem Essen und mir hin und her. "Wirklich? Dabei ist eine ausgewogene Ernährung doch so wichtig. Und eigentlich gibt es - dem Wolf in uns zum Trotz - eher selten Fleisch. Was machen wir denn jetzt?" Ihr Blick wandert weiter zu meinem Vater, der nur kurz die Schultern zuckt.

"Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Haru, gib ihr deinen Apfel und geh einen Moment mit ihr nach draußen." Väter können so grausam sein...
 

Leise murrend schleift Haru mich mit sich und drückt mir den Apfel in die Hand, den er zuvor in seiner Hosentasche gebunkert hatte. Draußen angekommen sieht er mich fragend an.

"Hast du wirklich nur Fleisch gegessen seither?"

Ich nicke langsam. "Seit meinem Geburtstag ertrage ich den Geruch von gekochtem Gemüse nicht mehr und habe es nicht mehr angerührt. Für Obst gilt das Gleiche." Skeptisch betrachte ich den Apfel und rolle ihn zwischen meinen Händen hin und her. Sonst habe ich ja gerne Obst und Gemüse gegessen aber jetzt habe ich Angst, dass es mir nicht mehr schmeckt.

"Mam hat Recht: Eine ausgewogene Ernährung ist wichtig. Wir müssen bei Kräften bleiben. Schieb den Wolf in dir beiseite und probier einfach den Apfel. Wenn du deinem Magen klar machst, dass du ihn nicht vergiften willst, wird es von ganz alleine besser."

"Du sagst das so einfach. Wieso kümmert es dich eigentlich nicht? Solltest du nicht die gleichen Probleme haben, wie ich?"

"Hatte ich anfangs auch, aber Mam und Dad haben nicht lang gefackelt und mir schon am nächsten Abend jede Menge Grünzeug vor die Nase gesetzt. Du hast ja keine Ahnung wie grausam unsere Eltern sein können, ha ha!" er lacht herzhaft und fährt sich durch sein braunes Haar.

"Sag bloß, sie haben dich gezwungen, das Zeug zu essen?" Ungläubig sehe ich ihn an, doch er lacht nur wieder und zuckt unschuldig mit den Schultern.

"Der erste Bissen ist der schlimmste. Ist der runter, wird es mit jedem weiteren erträglicher, bis der Ekel sich ganz gelegt hat. Und jetzt probier endlich den Apfel, sonst verpassen wir das Essen - ich habe einen mordsmäßigen Kohldampf!"

Ich schlucke schwer. Warum überkommt mich gerade das Gefühl, dass Haru mir die grün leuchtende Frucht auch einprügeln würde, nur damit er pünktlich zum Essen kann? Also erhebe ich zögernd den Apfel und führe ihn an meinen Mund. Leider schnuppere ich auch kurz daran und ziehe das Obst direkt wieder weg, verziehe angeekelt das Gesicht, während Haru nur genervt die Augen verdreht.

"Mensch, Aki. Stell dich nicht so an!" Er schnappt sich den Apfel, teilt ihn mit bloßen Händen, reicht mir eine Hälfte zurück, während er selbst herzhaft in die andere beißt.

Überrascht sehe ich ihn an. Er hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Na also schön. Wie sagt man noch gleich? Nase zu und durch! Ich halte die Luft an und beiße in die süße Frucht. Noch während ich kaue, atme ich automatisch weiter und bemerke, wie das süß-saure Aroma meine Geschmacksrezeptoren kitzelt. Die Erinnerung an die wohlschmeckende Frucht drängt sämtliche Übelkeit zurück und sofort beiße ich erneut zu. Ich habe den Geschmack wirklich vermisst.
 

Haru grinst zufrieden. "Du schuldest mir einen Apfel, Schwesterchen."

"Einen halben Apfel!" korrigiere ich ihn und steige in sein Lachen mit ein.

"Darüber verhandeln wir noch. Denn eigentlich habe ich sogar zwei verdient für die Mühe, die du mir gemacht hast."

Ich boxe ihn empört in die Seite. Er ist einfach unmöglich! Aber ich mag ihn. Und ich möchte meinen Bruder gar nicht anders haben.
 

Gerade als wir uns erheben wollen, hören wir, wie sich eine Gruppe dem Gebäude nähert.

"Das müssen die Anderen sein. Komm." fordert Haru mich auf.

Da wir uns auf der anderen Seite des Gebäudes befinden, kann ich vorerst nur Stimmen hören.

"... mir völlig egal, wer sie ist. Sie muss sich genauso integrieren, wie jeder andere auch!" schimpft eine dunkle Stimme.

"Sie ist die Tochter des Alphas und steht somit, genau wie Haru im Rang über dir! Zeig wenigstens etwas Respekt!" rügt eine zweite männliche Stimme in knurrendem Tonfall.

"Kann mir doch egal sein. Und wenn sie Luzifers Tochter wäre - ich beuge mich keinem Menschen!" ertönt die erste Stimme wieder. Rauer, angriffslustiger.

Es wird unruhig auf dem Kiesweg. Schnelle Schritte und Kampfgeräusche sind zu hören. Haru hält mich zurück und zieht mich wieder hinter den Giebel.

"Narii! Sai! Hört ihr wohl auf damit! Ihr benehmt euch ja wie Kinder." tadelt eine Frau. In ihrer doch eher weichen Stimme liegt eine unglaubliche Dominanz. "Arkor hat dich und Yun aus Mildtätigkeit aufgenommen, euch behandelt wie seine eigenen Kinder und so dankst du es ihm? Du kennst die Gesetze, Sai! Sie hat es sich nicht ausgesucht, in der Irdischen Welt aufzuwachsen. Zeig etwas mehr Respekt."
 

Mit einem Poltern wird die Tür aufgerissen. "Was ist hier draußen los?" fordert mein Vater zu wissen.

Deutliches Knurren wird hörbar, sowie ein strenges Räuspern. Dann erklingt die gedemütigte Stimme des ersten Mannes wieder. Sai, wenn ich das richtig mitbekommen habe. "Gar nichts..."

"Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. Die jetzt aber geklärt ist." antwortet der zweite Mann mit Nachdruck. Schritte erklingen wieder, sowie die Tür, die wieder zugezogen wird.
 

Mit rasendem Herzen stehe ich einfach nur da, unfähig irgendetwas zu sagen oder mich zu bewegen. Mein Appetit ist gänzlich verflogen. Dafür macht sich Angst in mir breit. Angst, die ich nach Harus und Ronis freundlicher Begrüßung fast völlig verdrängt hatte. Angst, nicht akzeptiert zu werden.

"So ein Vollidiot." schimpft Haru neben mir, wirft mir einen besorgten Blick zu und streichelt mir über den Kopf. "Nimm es dir nicht so zu Herzen. Der Holzkopf ist einfach zu impulsiv und hat schon eine Menge durchgemacht. Aber eigentlich ist er ganz okay, wenn man ihn erst einmal besser kennen lernt." er lächelt ermutigend aber viel nützt es nicht.
 

Ich fühle mich elend. Wie konnte ich auch nur einen einzigen Moment lang glauben, ich würde einfach so akzeptiert werden? Auch wenn ich Harus Schwester und das leibliche Kind des Alphapaares bin, war ich doch 21 Jahre nicht hier. Für diese Dämonen bin ich eine völlig Fremde, die einfach so in ihr Rudel eindringt und sich dreist auf den höchsten Stuhl neben der Führung breit macht, ohne jemals auch nur einen Finger dafür gekrümmt zu haben. Sai hat jeden nur erdenklichen Grund, mich zu hassen. Ich kann es ihm nicht einmal verübeln. Vermutlich würde ich sogar genauso denken wie er.

"Aki?" Die Stimme meines Bruders klingt besorgt, doch ich schaffe es einfach nicht, eine unbekümmerte Miene aufzulegen.

"Sai hasst mich." stelle ich stattdessen nur resignierend fest.

"Er ist misstrauisch. Es hat ein halbes Jahrhundert gedauert, bis er und Yun wieder auf freundliche Gesichter trafen. Sie gehörten ursprünglich nicht zum Rudel, musst du wissen. Damals haben sich nicht alle Familienverbände zusammengeschlossen. Einige zogen die Isolation vor, und Sai und Yun sind Kinder aus eben solchen Verbänden. Allerdings sind außerhalb der Stadt die Sitten rauer. Und ihr Rudel hat sehr weit draußen gelebt. Es soll Übergriffe gegeben haben. Nicht nur von Schatten, sondern auch von anderen Dämonen und sogar Engeln, deren Herzen verdorben waren. Sai hat viele Leben genommen, um das von Yun zu beschützen und wurde dafür aus seinem vorherigen Rudel verbannt. Wir können uns kaum vorstellen, was da draußen vor sich ging."

"Es gibt also selbst unter den Dämonen und Engeln solche Monster? Ich dachte, zu solch grausamen Taten wären nur Menschen fähig."

"Nein. So etwas gibt es überall. Wenn sich Finsternis in einem Herzen breit macht, wird die Seele ins Verderben gestürzt. Die Folgen sind Hass, Gewalt und Grausamkeiten. Aber mach dir keine Sorgen: Sai würde nie die Hand gegen Arkor oder Erina erheben. Er liebt sie. Auf seine eigene, merkwürdige Art und Weise. Und mit der Zeit wird er seine feindselige Haltung dir gegenüber auch fallen lassen."

Ich ringe mich zu einem Lächeln durch und nicke.
 

Erneut wird die Tür aufgerissen und jemand kommt direkt auf uns zugelaufen.

"Hier seid ihr. Es gibt essen. Kommt endlich, die Stimmung ist ohnehin schon angespannt genug." Ein junger Mann mit wilden, blonden Haaren und fliederfarbenen Augen steht vor Haru und blickt erst ihn und dann mich an, bevor ein verschmitztes Grinsen seine Züge erhellt. Er streckt mir seine Hand entgegen. "Du musst Aki sein. Ich bin Riyo. Du hast uns echt lange warten lassen." Sein Grinsen wird breiter.

Zögerlich ergreife ich die mir dargebotene Hand und sofort schüttelt er sie eifrig. Riyo. Ich versuche den Namen zuzuordnen. Wo gehörte er noch gleich hin?

"Du bist Ronis Bruder, oder?" frage ich vorsichtig und er nickt knapp, wirft Haru einen schnellen Blick zu und zieht eine Grimasse.

"Ich hoffe, meine Schwester hat dich nicht zu sehr überfahren. Sie ist immer etwas... übereifrig, wenn..."

"Lasst uns endlich rein gehen, mir knurrt der Magen!" unterbricht Haru den Blonden.

"Du bist ziemlich unhöflich, weißt du das, Haru?" mahne ich ihn und die Jungs lachen.

"Er hat ja Recht. Außerdem wird deine Mutter zur Furie, wenn nicht bald alle am Tisch sitzen. Und glaube mir, DAS willst du nicht erleben."

Riyo und Haru flankieren mich, jeder eine Hand in meinem Rücken und schieben mich eiligen Schrittes zurück in das kleine Gebäude..
 

Kaum betreten wir den Raum, verstummen alle Gespräche und sämtliche Blicke kleben an mir. Ich fühle mich mehr als unbehaglich, doch die Jungs schieben mich erbarmungslos weiter zum Tisch. Sollte ich mich nicht vielleicht erst einmal vorstellen, bevor ich mich ganz dreist hinsetze? Doch die Entscheidung wird mir von meiner Mutter abgenommen, die mich auf meinen Stuhl platziert und dann in die Runde lächelt.

"Ich denke nicht, dass ich noch viel sagen muss. Ihr alle habt mittlerweile mitbekommen, dass unsere Tochter wieder nach Hause gekommen ist. Ich hoffe natürlich sehr, dass sich Aki schnell einlebt. Und jetzt lasst uns essen. Ich höre einige laut knurrende Mägen." Sie wirft Haru einen amüsierten Blick zu und setzt sich dann selbst hin.

"Tch, von wegen nach Hause gekommen... Das hier war doch nie ihr zu hause." zischt es vom anderen Ende des Tisches und sofort rebelliert alles in mir.
 

Ich muss nicht aufsehen, um zu wissen, dass es Sai war, der diese Worte gesprochen hat. Am Liebsten würde ich einfach aufspringen und die Sache hier und jetzt mit ihm klären. Er hat nicht das Recht, so über mich zu sprechen! Auch wenn ich seine Haltung durchaus nachvollziehen kann. Oder ist das das Alphablut in mir, das ihn maßregeln will für sein vorlautes Mundwerk? Eigentlich ist das gerade völlig egal. Mein Blut kocht - und er ist schuld daran!

"Das will ich überhört haben, Sai." knurrt es finster zurück und endlich sehe ich auch, zu wem diese Stimme gehört, die ihn schon vor dem Gebäude gemaßregelt hat: Narii. Mein Onkel. Unter dem dunkelblonden Schopf mit den leicht gewellten Haaren, schaut ein Paar dunkelblauer Augen finster zu Sai herüber, der zwei Plätze von ihm entfernt sitzt. Zwischen den beiden sitzt nur noch Riyo, der alles andere als glücklich aussieht, zwischen den Fronten sitzen zu dürfen.

"Haru..." stupse ich meinen Bruder mental an.

Er schaut kurz auf, sein Blick huscht zur Seite, dann wieder zu mir. "Du hast wirklich gute Ohren, Aki. Selbst ich habe es kaum gehört. Aber du darfst dich nicht aufregen! Ich weiß, er bringt dein Blut gerade zum Kochen aber noch ist es nicht deine Aufgabe, ihn für seine unbedachten Worte zu bestrafen."

"Es ist verdammt schwer! Warum macht es mich so wütend? Abgesehen von der Tatsache, dass es verflucht verletzend ist..."

"Weil er deine Position in Frage stellt. Er fordert dich mehr oder weniger heraus und als ranghöherer Wolf willst du natürlich klar stellen, dass er gefälligst nach deiner Pfeife zu tanzen hat und nicht auf deiner Nase. Ignoriere es."
 

Ich lege die Stirn in Falten. Ich soll meine Instinkte ignorieren? Das ist schwerer, als in diesen blöden Apfel zu beißen! Zumal ich deutlich Sais Blicke auf mir spüre. Seine türkisfarbenen Augen funkeln bedrohlich unter seiner schwarzen Mähne zu mir herüber und nur mit größter Anstrengung widerstehe ich dem Drang, einfach über den Tisch und ihm an die Kehle zu springen.
 

Dann flutet eine mächtige Aura den Raum und ich kann sehen, wie sie Sai in die Mangel nimmt. Ich folge ihr und lande bei meinem Vater, der dem Jüngeren gerade einen vernichtenden Blick zuwirft. Nur ein einziges Wort verlässt Arkors Mund, aber allein seine bedrohlich, tiefe Stimme lässt mich innehalten, auch wenn es nicht für mich bestimmt ist.

"Jiyu!" Sais wahrer Name...

Alle Anwesenden halten in ihrem Tun inne und beobachten gebannt das Szenario. Sai wirft meinem Vater einen verunsicherten Blick zu. Obgleich er mutig das Kinn in seine Richtung reckt, scheint er nicht darauf auf zu sein, meinen Vater noch weiter zu verärgern.

Selbst meine Mutter scheint durch Sais Verhalten mir gegenüber gekränkt zu sein - ihr Blick spricht Bände!

"Das gemeinsame Essen soll dazu dienen, die Bande zwischen uns zu stärken, und nicht um Machtkämpfe aufzutragen!" schimpft sie. "Hebt euch eure Energien für die Schatten auf!"

Betreten schaut Sai auf seinen Teller und auch ich wende meinen Blick von ihm ab. Es wird nicht besser, wenn ich ihn weiterhin anstarre. Aber mein Hunger ist endgültig vergangen.
 

Von links legt sich plötzlich eine blasse Hand auf meine und als ich aufsehe, werde ich von einer Frau mit strahlend grünen Augen und hellblauen, langen Haaren angelächelt.

"Du solltest etwas essen, junge Aki. Auch wenn dir diese Situation etwas auf den Magen schlägt, darfst du nicht vergessen, dass wir alle unsere Kräfte brauchen." Ich erkenne ihre Stimme als die wieder, die Sai und meinen Onkel vorhin gerügt hatte.

Mein Blick huscht einmal über den Tisch. Neben Narii sitzt eine Frau mit braunen Haaren und rehbraunen Augen - meine Tante. Zu ihrer Rechten sitzt Roni. Daneben, und Sai gegenüber, sitzt eine junge Frau, die ich in der Irdischen Welt vielleicht auf 17 geschätzt hätte, wenn überhaupt. Ihre blauen Haare sind zu zwei niedlichen Zöpfen gebunden und ihr gerade geschnittener Pony hängt ihr in ihre Augen, die rot leuchten. Ob das Yun ist? Dann kann die Frau, die mich gerade so warmherzig anlächelt, eigentlich nur noch Miri sein. Toras Mutter. Was logisch wäre, da er ihr direkt gegenüber sitzt. Und uns gerade sehr interessiert beobachtet.
 

Um nicht unhöflich zu sein, nicke ich meiner Sitznachbarin kurz zu und zwinge mir ein paar Bissen hinter. Obgleich das Essen vorzüglich schmeckt, stellt sich noch immer kein Appetit ein. Klasse! Sai hat es wirklich geschafft, mir mein erstes Essen mit meiner Familie zu versauen - und ich befürchte, es wird nicht das letzte gewesen sein.

Diese Reibereien strengen mich schon jetzt an. Tora hatte Recht: Nicht er ist mein größtes Problem, sondern der Schwarzhaarige! Das wird mich noch eine Menge Nerven kosten. Aber wie kann ich mich behaupten, wenn derartige Streitigkeiten sofort von meinem Vater unterbunden werden?
 

Nachdenklich stochere ich in meinem Essen umher. Es muss doch eine Möglichkeit geben, diesem Hitzkopf zu beweisen, dass ich nicht seine Feindin bin.

"Wenn du so weiter machst, kannst du dein Essen bald trinken, Schwesterchen." dringt Harus belustigte Stimme in mein Bewusstsein.

Augenblicklich rutsche ich mit der Gabel ab, welche ein quietschendes Geräusch auf dem Teller verursacht. Ist das widerlich! Ich hasse dieses Geräusch. Mit einem leisen Knurren funkle ich meinen Bruder böse an, doch er lacht nur leise auf.
 

Irgendwie geht der Rest des Essens komplett an mir vorbei. Erst, als Haru mir eine Hand auf die Schulter legt, schrecke ich hoch und bemerke, dass alle anderen schon gegangen sind. Fragend sehe ich meinen Bruder an.

"Wo sind denn alle hin?"

"Du Träumerin! Die sind längst ins Haus gegangen aber du trödelst hier noch immer herum."

"Passiert denn jetzt noch irgendetwas? Ich bin gerade so überhaupt nicht in der Stimmung für weitere gemeinsame Aktivitäten." gebe ich ehrlich zu.

"Kann ich verstehen. Es steht nichts mehr an. Wir haben ein bisschen Freizeit. Miri, Roni, Sai und Yun werden nachher auf Patrouille gehen."

Erleichtert atme ich aus. Ich muss also für eine Weile nicht mit Sai in einem Gebäude hocken.

Haru nimmt mir den Teller vor der Nase weg und bringt ihn in die Küche. Danach hakt er sich grinsend bei mir ein und wir schlendern zurück zum Hauptgebäude.
 

"Ich bin mir sicher, das mit dir und Sai betut sich noch. Vielleicht haben wir ihn nur auf dem falschen Fuß erwischt. Du solltest versuchen, mit ihm zu reden. Wie gesagt, er ist eigentlich kein schlechter Kerl." fängt Haru an und grinst dabei unentwegt.

Ich stoße einen gedehnten Seufzer aus. "Wenn du meinst."

Wir steigen die Treppen hoch und als ich aufsehe, starren mich hasserfüllte, türkise Iriden an. Danke auch! Soviel dazu. Von wegen, Sai und kein schlechter Kerl. Pah!

"Oh, wollt ihr euch noch einmal frisch machen, bevor ihr los müsst?" Sorglos und noch ein wenig naiv klingt die Stimme der jungen Frau, die uns entgegen strahlt.

Ihre zwei kleinen Zöpfe wippen fröhlich auf und ab, als sie auf mich zukommt.

"Wir sind gar nicht dazu gekommen, uns richtig zu begrüßen. Ich bin Yun." Die Blauhaarige streckt mir ihre Hand entgegen, ein ehrliches Lächeln ihre Lippen zierend.

Ihr Lächeln ist eindeutig ansteckend und so heben sich auch meine Mundwinkel und ich ergreife die mir dargebotene Hand. "Ich bin Aki. Freut mich, dich kennen zu lernen."

"Ganz meinerseits. Wir müssen leider los aber eventuell haben wir später einmal Gelegenheit, uns ein bisschen zu unterhalten. Natürlich nur wenn du magst."

"Klar, gerne." antworte ich ihr begeistert. Vielleicht bekomme ich einen besseren Draht zu Sai, wenn ich mich erst einmal mit Yun anfreunde. Auch wenn dieser so gar nicht erfreut aussieht. Sein stechender Blick ruht die ganze Zeit beharrlich auf mir. Als würde er nur darauf warten, dass ich etwas Falsches sage oder tue, damit er mir an die Gurgel springen kann.

Die Beiden gehen an uns vorbei, da nehme ich all meinen Mut zusammen und fordere mein Glück heraus.

"Sai? Ich hoffe sehr, dass wir auch einmal miteinander reden können." Gedanklich schlage ich mir mit der flachen Hand vor den Kopf. Was für eine bescheuerte Aussage! Aber gesagt, ist gesagt. Also halte ich ihm auffordernd meine Hand hin, doch er mustert diese nur abfällig und wirft mir einen kalten, desinteressierten Blick zu.

Dann verengen seine Augen sich zu Schlitzen. Doch der finstere Blick, den er jetzt aufgesetzt hat, gilt nicht mir. Ich schaue über meine Schulter und sehe Haru an, der den Schwarzhaarigen fixiert. Seine Miene ist, bis auf sein festgetackertes Grinsen, völlig unbewegt.

Nach kurzer Zeit schnaubt Sai verächtlich und wendet sich ab. "Vergiss es!"

Yun sieht zwischen uns hin und her, verbeugt sich dann schnell und murmelt eine Entschuldigung. "Er meint es nicht so."

"Doch, Yun! Ich meine es ganz genau so! Lass uns gehen." Damit verschwindet er die Treppe hinunter, ohne sich noch einmal umzudrehen, während seine Gefährtin ihm eilig folgt.
 

Haru schlägt kräftig gegen den Holzpfeiler neben sich. "So ein Sturkopf!"

Erschrocken fahre ich zu ihm herum. Sein sonst so beständiges Grinsen ist aus seinem Gesicht gewichen und reiner Ärger zeichnet sich auf seinen Zügen ab.

"Er hat nicht direkt mich gemeint, als er sagte 'Vergiss es', oder?" frage ich vorsichtig nach.

"Nicht direkt, nein. " Dann herrscht Schweigen.

Ich sollte es mittlerweile gewohnt sein, keine ausführlichen Antworten zu bekommen, aber gerade bei Haru hätte ich gedacht, dass er nicht so verschlossen ist. Ein wenig kränkt es mich schon.

Betrübt gehe ich weiter zu meinem Zimmer und als ich mich auf mein Bett werfe, stelle ich überrascht fest, dass Haru es mir gleich tut. Warum ist er mir gefolgt? Und warum wirft er sich wie selbstverständlich auf MEIN Bett?!
 

"Mam hat mir mal erzählt, dass es eigentlich nie geplant war, dass sie noch einmal schwanger wird." ergreift er nach einer Weile das Wort. "Nach den vielen Verlusten in der großen Schlacht und der Trauer um ihre verstorbenen Kinder, wollte sie dieses Leid nie wieder erleben. Und dann vor etwa 60 Jahren fand sie Sai und Yun mitten im Nirgendwo. Schwer verletzt und halb verhungert stellte der Sturkopf sich gegen unsere Mutter. Er dachte, sie wolle Yun etwas antun. Das konnte er natürlich nicht zulassen. Aber er war so schwach, dass er kurz darauf ohnmächtig wurde und erst wieder zu sich kam, nachdem sie hierher gebracht wurden. Unsere Eltern kümmerten sich um die zwei Streuner wie um ihre eigenen Kinder. Vor allem Sai war zu Beginn sehr still und misstrauisch. Doch je länger er beim Rudel blieb, umso mehr öffnete er sich endlich." Haru blickt mich eindringlich an. "Was ich dir jetzt erzähle, muss unter uns bleiben. Niemand außer mir und unseren Eltern weiß davon."

Meine stumme Zustimmung mit einem Nicken gebend, warte ich gebannt, was nun folgt.

"In ihrem früheren Rudel hatte Sai es geschafft, sich bis an die zweite Position hochzukämpfen. Nur noch das Alphatier stand im Rang über ihm, und der respektierte den jungen Hitzkopf wie einen eigenen Sohn. Als Sai 91 Jahre alt war, wurde Yun geboren. Sie war allerdings ein rangniedriger Wolf, schwächlich und klein. Sie wurde von den anderen Mitgliedern des Rudels stets ausgegrenzt. Außer von Sai. Von Anfang an war er an ihrer Seite. Er beschützte sie vor den älteren Jungwölfen, trainierte mit ihr und bereitete sie auf das vor, was sie zu ihrem 21. Geburtstag erwarten würde. Doch soweit sollte es nicht kommen. Die beiden verliebten sich ineinander und bereits im Alter von 17 Jahren verwandelte Yun sich das erste Mal."

"Was? Aber das heißt ja, dass... die Beiden... also... hätte Sai das nicht umbringen müssen?" Oder hat Ian mir da etwas völlig Falsches erzählt?

Haru lacht leise. "Unter normalen Umständen schon. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben, diesen Moment des völligen Kontrollverlustes zu umgehen. Und ich werde ganz sicher nicht fragen!"

Verständlich. Auch wenn es mich schon interessieren würde.

"Jedenfalls kam dadurch allerdings auch heraus, dass die Zwei eine Beziehung führen, was dem Alpha ganz und gar nicht zusagte. Er stellte Sai vor die Wahl: Entweder das Rudel oder Yun. Aber egal wie er sich entschied, Yun würde für ihre frevelhafte Tat bezahlen."

Geschockt weiten sich meine Augen. "Aber warum denn das? Ein Wolf verliebt sich doch nur einmal!"

"Das tut dort draußen nichts zur Sache. Liebe ist hinderlich. Nur Wölfe gleichen Ranges dürfen untereinander verkehren. Wäre Yun stark gewesen und hätte in absehbarer Zeit eine ranghöhere Position für sich beanspruchen können, wäre das damals vielleicht anders ausgegangen. Aber das war sie leider nicht."

"Also hat Sai mit ihr das Rudel verlassen?"

"Das hatte er vor. Er wollte mit Yun zusammen weg. Irgendwohin, ein eigenes Territorium suchen, eine eigene Familie gründen. Doch es kam ganz anders..." Haru, der die Arme hinter seinem Kopf verschränkt und mich bisher angesehen hatte, schließt nun die Augen und atmet tief durch. "Der Alphawolf wollte einen starken Kämpfer wie Sai nicht verlieren und so machte das Rudel Jagd auf die Beiden, um Yun zu töten. Um sie zu retten und zu beschützen, hat er viele Leben genommen. Er hat sein gesamtes ehemaliges Rudel auf dem Gewissen."

Ich halte den Atem an. Er hat ein ganzes Rudel ausgelöscht? Nur um die Frau zu beschützen, die er liebt. "War das denn wirklich notwendig? Ich meine, hätte er die anderen nicht einfach nur verletzen und dann weiterziehen können?"

"Ein ganzes Rudel war hinter ihnen her. Jeden Angreifer, den er nicht ausgeschaltet hätte, hätte ihm bald darauf wieder im Nacken gesessen. Er hatte keine andere Wahl. Diese Wölfe hatten ihm keine andere gelassen..."

"Wie schrecklich..."

"Nachdem die Gefahr durch ihr altes Rudel endlich vorüber war, stolperten sie von einer Gefahr in die nächste. Angriffe von Schatten, Übergriffe durch gefallene Engel oder verdorbene Dämonen standen bald an der Tagesordnung. Natürlich wurde Yun mit der Zeit dadurch viel stärker und heute ist sie eine geschickte und gefährliche Jägerin, dennoch ist es zu zweit beinahe unmöglich lange da draußen zu überleben. Etwa 50 Jahre sind sie umher geirrt, bis sie hier her kamen. Na ja, und im Laufe der Jahrzehnte hatte Sai sich wieder Hoffnungen gemacht, im Rang aufzusteigen. Denn das Alphapaar hatte ja keine eigenen Kinder und Arkor hatte ihm immer wieder versichert, dass er Sai als seinen Sohn ansah."

Betrübt lasse ich den Kopf in mein Kissen sinken. Ich ahne, wohin das führt.

"Und dann wurde Erina doch schwanger. Sais anfängliche Freude wandelte sich schnell in Eifersucht und dann in Angst. Er befürchtete, erneut verstoßen zu werden und zog sich immer mehr von den anderen zurück. Das blieb natürlich nicht unbemerkt. Unsere Eltern führten lange Gespräche mit den Beiden, sicherten ihnen zu, dass sie ein fester Bestandteil des Rudels wären und Sai arrangierte sich irgendwie damit. Während meiner Kindheit war Sai immer an meiner Seite, wie ein großer Bruder. Wir hatten uns schnell angefreundet und ich hatte nie das Gefühl, dass er mir meinen Platz streitig machen wollen würde. Er schien wirklich damit klar zu kommen, lediglich als mein Leibwächter zu dienen, statt selbst in eine Führungsrolle zu schlüpfen. Ich weiß nicht, in wie weit ihm bewusst war, dass du eines Tages wieder zum Rudel zurückkehren würdest, nachdem du in die Irdische Welt gegeben wurdest. Fakt ist jedoch, dass er sich seit unserem 21. Geburtstag anders verhält. Alle redeten nur noch davon, dass du bald nach Hause kommen würdest, dabei kannte dich niemand. Und doch sprach jeder von dir, als wärest du schon Jahrhunderte Teil dieses Rudels und nur mal eben für ein paar Wochen unterwegs gewesen. Er war der Einzige, der deiner Rückkehr nichts abgewinnen konnte."

"Es ist doch offensichtlich, wieso das so ist. Sai hat sein Leben lang für eine bestimmte Position gekämpft. Ich nicht. Und doch bin ich das heimkehrende Prinzesschen, das mit offenen Armen empfangen wird. Ich habe all das, was er sich immer gewünscht hat. Aber ich habe nie etwas dafür tun müssen." Eine gewisse Bitterkeit fließt in meine Worte mit ein. Ich kann es nicht verhindern.

"Als er und Yun uns vorhin im Flur begegnet sind, habe ich ihn zuerst gebeten, dir wenigstens eine Chance zu geben, doch er hat abgelehnt. Dann habe ich ihn daran erinnert, dass er dir zumindest einen gewissen Respekt zu zollen hat, da er ja im Rang unter dir steht. Das hat dann seine Reaktion heraufbeschworen."

"Das ist die Kurzform, oder?"

"Du willst die vollständige Fassung nicht hören, glaub mir, Aki." Sein Blick huscht zu mir und ein freches Grinsen zeichnet sich auf seinen Zügen ab.

Ich erwidere sein Grinsen. Es ist mir viel lieber, wenn er lacht, als wenn er so todernst ist, wie im vorangegangen Gespräch. Immerhin verstehe ich jetzt Sais Beweggründe. Auch wenn ich noch immer keine Ahnung habe, wie ich zu ihm durchdringen kann.
 

Ein Klopfen an meiner Zimmertür lässt uns beide aufsehen und im nächsten Moment streckt unsere Mutter ihren Kopf herein.

"Hier seid ihr also. Wir wollen los. Den Herrn der Unteren Welt lässt man lieber nicht allzu lange warten."

Etwas verwirrt blinzle ich und schaue zwischen Erina und Haru hin und her. Der Herr der Unteren Welt?

Und dann macht es 'Klick'.

Luzifer.

Ich soll nach dem desaströsen Essen nun auch noch dem mächtigsten Dämon dieser Welt vorgestellt werden? Ob ich das noch irgendwie abwenden kann?

"Na komm, Schwesterchen. Wenn er heute jemanden beißt, dann mich. Denn allem Anschein nach habe ich das Treffen mit der Walküre verbockt. Er wird arg übel drauf sein. Vielleicht heitert ihn dein Gesicht ja etwas auf, also komm ja nicht auf die Idee mich da allein zu lassen!" scherzt mein Bruder und zieht mich hinter sich her.
 

Auf dem Flur begegnet uns Roni, die uns kurz mustert. "Aki, du willst doch nicht ernsthaft in den Klamotten in die Große Halle? Das kann nicht dein Ernst sein!" Dann schweift ihr Blick zu Haru. "Und du solltest dir besser auch etwas Vernünftiges anziehen, Haru. Ein Hemd oder irgendetwas anderes, dass nicht so viel Haut zeigt."

Ich werfe einen Blick zur Seite. Was ist so schlimm daran, wenn er seinen durchtrainierten Körper zur Schau stellt? Oder fallen dann alle weiblichen Dämonen in Ohnmacht? Bei der Vorstellung muss ich kurz kichern, was Haru völlig falsch interpretiert.

Unzufrieden knurrt er mich an und verschwindet in seinem Zimmer, während Roni mich eine Tür weiter schleift in ihr Reich.

Vor ihrem gigantischen Kleiderschrank bleibt sie stehen und hält mir ein süßes schwarzes Kleidchen mit Herzausschnitt hin. Geschockt sehe ich sie an. Das Teil werde ich unter gar keinen Umständen anziehen!

Doch sie strahlt nur von einem Ohr zum anderen. "Es ist perfekt! Tante Erina meinte auch, dass es dir stehen würde. Also los, zieh dich um. Luzifer lässt man besser nicht warten."

Fassungslos starre ich meine Cousine an. Das muss ein Albtraum sein! Kann mich bitte jemand wecken?!



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