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Daemon 3

Akte Chase
von

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Kapitel 1

[JUSTIFY]Auf den leisen Sohlen meiner Plüschsocken rutschte ich vorsichtig durch die halboffene Schwingtür hinein in das Herzstück des Heims. Während Betty und Anita damit beschäftigt waren, Karotten und Kartoffeln für das Abendessen zu schneiden, duckte ich mich hinter der ersten Arbeitsfläche weg und krabbelte auf allen Vieren zum anderen Ende der Küche, die weißen Fliesen trügerisch glatt unter meinen Fingern. Durch das Loch in meiner Hose spürte ich bei jeder Berührung den kalten Stein.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Mission Sunny-Aufmuntern hatte begonnen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Vorsichtig hob ich den Kopf und spähte über den Rand der Arbeitsfläche zu den beiden Frauen. Anita war die Strenge von den beiden. Sie nutzte ihre treue Küchenkelle wie eine Waffe, wenn sie es für angemessen hielt, was praktisch immer war. Unwillkürlich rieb ich mir über den blauen Fleck, den sie mir letzten Sonntag auf dem Po hinterlassen hatte. Mission Essen-Stehlen stand schon lange auf meiner Liste, aber zum ersten Mal in meiner Karriere als Küchendiebin hatte ich eine echte Motivation.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sunny hatte geweint.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich war ihm nur durch Zufall auf die Schliche gekommen, weil Rock mich eine Rotznase genannt und gewettet hatte, dass ich mich nicht ins Jungenklo traute.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]In der letzten Kabine fand ich Sunny. Der Klang seines Schluchzens lockte mich an, und obwohl ich so schnell wie möglich wieder aus dem Klo verschwinden wollte, zog mich ein unsichtbarer Faden in seine Richtung. Ich klopfte. Das Schniefen und Schluchzen erstarben augenblicklich, als hätte Sunny einen Knopf gedrückt und seine Tränen sofort aufgehört. Die Tür öffnete sich quietschend.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Bei meinem Anblick im Jungenklo öffnete er erschrocken den Mund, die Augen rot und verquollen. Statt etwas zu sagen, schob er mich zur Seite und lief davon.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]In diesem Moment hatte sich mein Missionsziel geändert. Sunny weinte nie. Selbst die älteren Kinder konnten sich seiner guten Laune und seinem ansteckenden Lachen nicht entziehen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Aber heute war Sunny derjenige, der traurig war. Und ich würde dafür sorgen, dass er wieder lächelte, und wenn ich dafür noch so viele Schläge mit der Kelle einstecken musste.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Betty war für weitere Zutaten in der Speisekammer verschwunden. Ich hatte genau eine Minute und zwanzig Sekunden bis sie zurückkehrte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich überprüfte mit einer kurzen Berührung den Zopf, den ich aus meinen schwarzen Haaren geflochten hatte. Bereits eine Woche zuvor hatte Anita auf mich als Diebin geschlossen, weil sie einige meiner Haare gefunden hatte, aber ich lernte aus meinen Fehlern.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Heute würde sie mich nicht erwischen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Leise wie eine Maus (der Name Mouse gefiel mir, aber bislang hatte noch niemand ihn vorgeschlagen—oder überhaupt einen Namen, wenn ich ehrlich war. Anita nannte mich einfach nur Mädchen oder Du da) schlich ich um die Ecke einer Anrichte und versteckte mich hinter einem Stapel Töpfe. Anita stand mit dem Rücken zu mir, beschäftigt damit, die nächste Ladung Kekse in den Ofen zu schieben. Ich hatte nur eine Chance. Mit einem Geschick, das ich mir über das letzte Jahr hinweg schmerzhaft antrainiert hatte, stibitzte ich zwei von den heißen Keksen von der Anrichte, bevor die Köchin sich wieder umdrehte. Ich wickelte meine Beute in meinen Pullover und wich zügig zurück, und prallte geradewegs gegen eine weiche Barriere.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich unterdrückte den erschrockenen Aufschrei und sah stattdessen empor, wo Betty mit erhobenen Augenbrauen auf die deutliche Ausbeulung meines Pullovers blickte. Panisch sah ich zu Anita und der blaue Fleck in meinem Hintern pochte. Wenn Betty mich verpetzte, war es aus.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Mit zitternden Fingern zeigte ich Betty meine Beute. „Für Sunny“, flüsterte ich, so leise, dass Betty meine Lippen lesen musste. Die Härte schmolz aus ihrem Blick. Sie tätschelte meinen Kopf und schob mich hinter sich und hinaus durch die Schwingtür, bevor sie in Anitas Richtung ging und sie in ein Gespräch über ihre Pläne für das morgige Frühstück verwickelte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich stand, verdutzt, mit Keksen im Pulli und mein Glück kaum fassend, in der Freiheit des Flurs und atmete erleichtert aus.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Dann machte ich mich auf die Suche nach Sunny.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich fand ihn im Arbeitszimmer des Waisenhausleiters. Es war dunkel, die Jalousien zugezogen. Unter dem Schreibtisch hörte ich leises Schniefen. Dank seinem dunklen Pulli und der genauso dunklen Haut hätte ich Sunny fast übersehen, wie er dort schniefend seine Augen wischte und versuchte, still zu sein. Seine tiefblauen Augen blitzten erschrocken auf, als ich mich näherte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ohne ein Wort zu sagen, krabbelte ich zu ihm unter den Tisch und zog meine Knie an. Während Sunny mich fassungslos ansah, förderte ich die krümeligen Kekse aus meinem Pullover zu Tage und zeigte sie ihm. Ich grinste ihn an. Und Sunny, die Sonne des Waisenhauses, grinste zurück.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Du bist wie der Waschbär, der nachts das Katzenfutter stiehlt“, sagte er und griff gierig nach seinem Keks.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ein Waschbär?“, fragte ich mit vollem Mund.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Er lachte bei meinem Anblick. „Genauso. Du klaust Anita mit deinen kleinen Händen das Essen unter der Nase weg. Ein kleiner, diebischer Waschbär.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich schnaubte, aber insgeheim glühte mein Herz bei dem Kompliment. Plötzlich wurde Sunnys Stimme ernster.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ein Waschbär. Raccoon.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Raccoon? Mein Mund wurde trocken und ich ließ die Kekse sinken. Ungläubig sah ich in Sunnys Augen, blau wie Kornblumen, wie ein wolkenloser Himmel im Winter. Er sah mich an. Nicht nur das namenlose Mädchen. Sondern das Mädchen, das sich weigerte, sein schwarzes Haar schneiden zu lassen. Das stets mit blauen Flecken von seinen Kämpfen mit den älteren Jungs zurückkam, um sich gleich im Anschluss eine Standpauke vom Waisenhausleiter einzufangen, weil es seine Putzschicht vergessen hatte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Er sah mich.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Raccoon“, sagte er und ich spürte, wie mir heiße Tränen in die Augen schossen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ja“, sagte ich mit zittriger Stimme.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Raccoon“, wiederholte er.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Das bin ich.“ Ich wischte die Tränen weg. „Mein Name ist Raccoon. Mein Name ist Raccoon.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ziemlich langer Name“, sagte Sunny und ich musste prusten. Er hatte mir einen Nimbus gegeben, den Wunsch erfüllt, der mich seit Jahren antrieb, von dem ich gedacht hatte, dass er nie mehr in Erfüllung gehen würde. Und jetzt beschwerte er sich schon darüber.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Grinsend aß ich das letzte bisschen Keks und sagte mit vollem Mund, „Nenn mich Coon.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wie hast du mich gefunden?“, fragte er, als wir fertig gegessen hatten.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich würde dich überall finden“, sagte ich großspurig.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Bist du sicher?“, fragte er.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich hielt inne. Das war falsch. Das war nicht, was er sagen sollte, was er sagen würde.[/JUSTIFY]

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[JUSTIFY]—Wie hast du mich gefunden?[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]—Ich würde dich überall finden.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]—Dann werde ich überall auf dich warten.[/JUSTIFY]

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[JUSTIFY]„Natürlich bin ich sicher“, sagte ich. Das war falsch. So lief dieses Gespräch nicht ab.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Warum hast du mich dann nicht gefunden?!“, schrie Sunny, seine dunkle Haut plötzlich aschfahl, seine Augen nicht blau, sondern weiß wie tote Fischaugen. Ich wich panisch zurück, stieß mir den Kopf am Tisch, nein, an der Kommode.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]In meinem Zuhause bei Annie und John Thynlee.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich stehe vor Annies Leiche, ihr Oberarm halb zerfleischt, die Blutlache unter ihrem reglosen Körper ein roter Spiegel. Ich stehe wie angewurzelt, kann nichts tun, sehe nur dabei zu, wie ein graues Schemen aus Annies Körper schwebt, heller und heller wird und schließlich verblasst. Sie hat etwas gesagt, aber egal wie sehr ich nachdenke, ich kann mich nicht mehr an ihre letzten Worte erinnern.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]John kommt aus dem Wohnzimmer gerannt, sein verzweifelter Schrei erstickt, als ein schwarzes Etwas an mir vorbeispringt, die Wand entlang und sich auf ihn stürzt. Johns Schemen ist dunkler, aber bei meinem Anblick, noch immer unversehrt, senkt sich Blässe über ihn. Seine Stimme hallt durch den kleinen Flur.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Renn weg, Coon! Renn so schnell du ka—![/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Tränen und Schleim laufen ungehemmt über meine Wangen, meinen Mund. Rückwärts stolpere ich zur Tür, behalte das schwarze Monster im Auge, das neongelbe Abdrücke auf dem Teppich hinterlässt.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Es dreht sich im Kreis, bis seine runden Glubschaugen mich finden. Mit gebleckten Zähnen tritt es auf mich zu.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich sollte rennen. Ich weiß es. Aber mein Körper ist wie erstarrt. Nicht bewegen, denke ich. Provozier es nicht, sonst endest du so wie Annie und John. Es bewegt sich halb kriechend auf mich zu, seine spindeldürren Beine angewinkelt wie die einer Spinne. Es kommt näher, bis es direkt über mir steht. Sein Maul öffnet sich, die schwarzen Zähne glänzen im schummrigen Licht der Lampe. Es schnuppert die Luft—[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]—und tritt zurück. Krabbelt an mir vorbei und durch die offene Wohnungstür hinaus in den Hausflur.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich sacke auf die Knie, hole panisch Luft, wieder und wieder, bis mir schwindelig wird, bis ich das Gefühl habe, zu ersticken. Plötzlich stehe ich im Hausflur, umringt von gelben Fußspuren, von schwarzen Monstern in unterschiedlichen Größen, die an mir schnuppern und mich ignorieren.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sunny lebt mit seiner Familie im obersten Stockwerk. Ich stehe vor der Treppe, schaue hinauf ins Treppenhaus. Es wimmelt von Monstern. Der Boden und die Wände sind so dicht mit gelben Spuren übersät, das mir schwindelig wird.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich kann das nicht. Ich kann nicht noch tiefer in diesen Alptraum.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Aber Sunny ist dort oben.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Als wir die Nachricht erhielten, in denselben Wohnblock aufgenommen zu werden, waren Sunny und ich außer uns vor Freude. Zwei Jahre lang spielten wir jeden Tag zusammen, stellten dem Hausmeister zusammen unlösbare Rätsel, kämpften im Park mit Stöcken und den älteren Kindern.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich würde jeden dieser Tage eintauschen, wenn Sunny nur nie hier gelebt hätte. Wenn ich nur nicht in diese Wohnung müsste, um seine Leiche zu suchen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Jeder Schritt die Treppe hinauf bereitet mir körperliche Schmerzen. Die Monster lassen mich in Ruhe, aber sie kommen mir nahe, riechen an mir, lecken über mein Gesicht, meine Hände, blecken ihre Zähne, keifen sich über mich hinweg gegenseitig an wie streitsüchtige Hunde.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich kann kaum atmen. Der Gestank nach verfaulten Eiern ist allgegenwärtig. Mir ist schlecht. Als ich das vorletzte Stockwerk erreiche, muss ich mich an einer Wand übergeben. Der Geschmack von bitterem Erbrochenem bedeckt meine Zunge, während ich mich weiterzwinge, die Hände an das Geländer geklammert.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die Tür zu Sunnys Wohnung taucht vor mir auf. Sie ist aufgebrochen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich muss mich wieder übergeben. Nur Galle dieses Mal. Meine Kehle fühlt sich rau an, meine Augen brennen und kribbeln, meine Beine zittern.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Zwei der schwarzen Monster folgen mir, während ich hineintrete. Sie fauchen und keifen, zerschlagen wahllos Möbel. Ich versuche, nach Sunny zu rufen, aber ich bringe kaum ein Wimmern zustande. In der Küche finde ich Elaine, Sunnys neue Mutter. Ihr Genick ist gebrochen, die Augen glasig und leer. Im Schlafzimmer liegt Robert, ihr Mann, über dessen Glatze wir uns manchmal lustig gemacht haben. Jetzt ist sein halbes Gesicht weggebissen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Noch mehr Tränen. Ich bin so erschöpft. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht weitergehen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Aber ich muss. Ich muss Sunny finden.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Und dann, als ich schon glaube, dass mir der Anblick erspart bleibt, dass Sunny vielleicht nicht zu Hause war, dass er der Attacke entkommen ist, entdecke ich sie.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Eine dunkelhäutige, reglose, blutbefleckte Hand, die aus seinem Kinderzimmer ragt. Ich schlage eine Hand vor meinen Mund. Nein. Ich kann nicht. Ich kann ihn nicht so sehen. Annie und John sind tot. Elaine und Robert sind tot.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sunny ist … Sunny ist …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sunny ist tot.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die Monster zu meinen Seiten geifern, schnappen nacheinander. Gehen aufeinander los. Ich weiche zurück, während der eine die Kiefer weit aufreißt und dem anderen Ungeheuer den Kopf abreißt.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Allumfassende Schwärze umhüllt mich. Ich stehe nicht mehr in Sunnys Wohnung, sondern auf dem Anwesen der Hollands, vor mir ein Daemon so gewaltig wie die Villa hinter ihm. Isaac.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich mache einen Schritt zurück. Vor mir im Kies liegt statt Daniel sein Bruder Isaac, so wie er ausgesehen haben muss, als er starb. Aber wer ist dann der Daemonenkönig?[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ida?“, rufe ich panisch und drehe mich im Kreis. Tom liegt zerfleischt am Boden, Sam neben ihm, Henny ist über ihre Verlobte gebeugt und schreit in purer Verzweiflung. „IDA! IDA!“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Sie steht direkt vor Ihnen, Ms. Thynlee.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Hollands ölige Stimme lenkt meine Aufmerksamkeit zurück auf den gigantischen Daemon, der damit beschäftigt ist, das Anwesen in Schutt und Asche zu legen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Nein“, entgegne ich. „Sie irren sich. Das ist nicht Ida. Das kann nicht Ida sein. Sie würde niemals —“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Der Daemon wendet sich mir zu. „Coon“, dröhnt Idas verzerrte Stimme. „Warum hast du mich nicht gefunden?!“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich habe dich doch gefunden!“, schreie ich verzweifelt zurück. Sunnys Stimme antwortet.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„WARUM BIN ICH DANN TOT?!“[/JUSTIFY]

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[JUSTIFY]Ich erwachte mit einem erstickten Schrei, Augen so weit aufgerissen, dass es schmerzte. Wo war ich? Wo war Ida? Panisch schlug ich um mich, kämpfte gegen die Bettdecke an, in der ich mich verheddert hatte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„IDA!“, schrie ich und fiel halb aus dem Bett. „Ida, wo bist du?!“ Von draußen hörte ich Stimmen, Fußschritte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]… ich bin hier, Coon. ich war nie weg …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ida“, flüsterte ich, im selben Moment, da die Tür zu dem Gästezimmer sich öffnete und Sam hereinschaute, in Jogginghose und Plüschpantoffeln gekleidet. Die Bandage um ihr Auge drückte ihre blonde Lockenpracht zusammen. In der unverbundenen Hand hielt sie einen Staubwedel.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Coon, alles okay?“, fragte sie und trat vorsichtig ein. „Wieder schlecht geträumt?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Erschöpft ließ ich mich zurück in die Matratze sinken.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]… ich habe versucht, den alptraum zu fressen, aber er hörte einfach nicht auf. tut mir leid, coon …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Idas Entschuldigung hallte in meinem Kopf. Nicht deine Schuld. Mein schnell gesendeter Gedanke beruhigte sie nicht im Geringsten.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sam betrat den Raum und ließ sich neben mir auf dem Bettrand nieder. „Was hast du diesmal geträumt?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich rieb mir die Augen. Einige Tränen hatten sich durch die Schlafbarriere in die Wirklichkeit gebahnt. „Erinnerungen, hauptsächlich“, sagte ich, ohne sie anzusehen. „Wie Sunny mir meinen Namen gegeben hat und wie ich ihn in der Wohnung gefunden habe, nach der Attacke.“ Ich öffnete den Mund, um den zweiten Teil zu berichten, aber die Worte blieben mir in der Kehle stecken. Hilflos griff ich nach Idas Präsenz in meinem Kopf und atmete erleichtert durch, als sie mich mit ihrem aufmunternden Lächeln füllte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Bevor du zu Rock gegangen bist, um bei ihm zu leben?“, fragte Sam. Sie kannte die grobe Geschichte bereits, aber ich war froh, dass sie mich trotzdem erzählen ließ. Ich brauchte einen Moment, um in die Wirklichkeit zurückzufinden. Ich konnte den Geschmack von Galle auf meiner Zunge und den schwefligen Geruch in meiner Nase nicht loswerden.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich hatte sonst niemanden“, sagte ich leise. „Er war der einzige aus dem Waisenhaus, den ich halbwegs mochte und von dem ich wusste, wo er lebte.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Coon“, begann Sam und ich sah instinktiv zu ihr. „Du weißt, dass du und Ida hier so lange bleiben können, wie ihr möchtet. Aber ich glaube, es wäre wichtig für dich, noch einmal mit Rock zu reden.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wir haben uns schon alles gesagt“, entgegnete ich sofort und kämpfte die Erinnerungen von unserem Telefonat zurück, damit Ida sie nicht fand. Ich scheiterte kläglich, aber Ida tat mir den Gefallen und hielt sich von den Stimmenfetzen fern.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Bist du sicher?“, fragte Sam. Sie nahm meine Hand. „Ihr habt so viel zusammen durchgemacht und … seit du nicht mehr für ihn arbeitest, fühlt es sich an, als hättest du ein Stück von dir selbst verloren. Ich sage nicht, dass du ihm vergeben sollst. Aber ihr müsst noch einmal miteinander reden. Nicht übers Telefon, sondern Angesicht zu Angesicht.“ Sie lächelte mich schief an und mein Blick blieb an der Bandage über ihrem ruinierten rechten Auge hängen. Ich war Sam so viel schuldig. Ihr und Tom und Henny und Ida.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Seufzend stand ich auf. „Ich gebe ihm noch eine Chance, sich zu entschuldigen“, sagte ich. Idas Zustimmung leuchtete in meinem Hinterkopf auf.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sam klatschte in die Hände. „Wunderbar“, verkündete sie grinsend und ich hatte mit einem Mal das ungute Gefühl, direkt in ihre Falle getappt zu sein. „Er und Mary sind heute nämlich zum Abendessen eingeladen. Hilfst du uns beim Kochen?“[/JUSTIFY]

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[JUSTIFY]Meine Hoffnung, Sam könne sich auf meine Kosten einen gemeinen Scherz erlaubt haben, verpuffte, sobald es an der Tür klingelte. Henrietta öffnete, während Samantha mit Ofenhandschuhen bewaffnet nach dem Braten sah. Ich wischte meine schweißnassen Hände am rauen Stoff meiner Jeans ab.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]… warum bist du so nervös? …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ida hatte gut reden. Sie war nicht im Streit mit Rock auseinandergegangen. Langsam bewegte ich mich Richtung Esszimmer und nahm stocksteif an dem gedeckten Tisch Platz. Das schlimmste war, dass ich selbst nicht wusste, wie ich mich fühlte, oder was ich wollte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich vermisste Rock. Aber dieses Gefühl verblasste neben meiner Enttäuschung. Dass er mich gefeuert hatte, konnte ich noch irgendwie verstehen, aber nicht, dass er es so leichtfertig getan hatte. Ohne nach Alternativen zu suchen, ohne für mich zu kämpfen. Noch schlimmer waren seine Ansichten über Idas Zustand. Solange er glaubte, Ida wäre tot besser dran als so, wie sie jetzt war, konnte ich ihm nicht verzeihen. Am liebsten hätte ich das Gespräch in die Ewigkeit hinausgezögert, aber wie immer machte Sam mir mit ihrer Besserwisserei einen Strich durch die Rechnung. Vermutlich hatte sie auch diesmal Recht. Je länger Rock und ich die Wunde in unserer Beziehung unangetastet ließen, desto schlechter würde sie heilen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Es war genau in dem Moment, da Rock und Mary eintraten.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Einige Sekunden verstrichen, in denen wir einander nur ansahen. Mary war die erste, die sich aus der Starre löste. Ich folgte ihrem Beispiel und erhob mich von meinem Stuhl.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Coon“, sagte sie und bevor ich mich wehren konnte, zog sie mich in eine ruppige Umarmung. Sie ließ genauso abrupt wieder los und gab mir einen Schlag auf den Hinterkopf. „Wo hast du Ida gelassen?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich tippte mir an die Schläfe. „Sie erholt sich.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Marys Augen weiteten sich. „Ida?“, fragte sie ungläubig. Ein Kribbeln in meiner Kehle verriet mir Idas Absicht und ich gab ein stummes Einverständnis. Im nächsten Moment hatte sie die Kontrolle über meine Gesichtsmuskulatur und meinen Sprechapparat übernommen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hallo Mary“, sagte sie mit meiner Stimme und formte meinen Mund zu einem breiten Lächeln, bei dem mir die Wangen schmerzten. „Ich hab‘ dich vermisst!“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Mary stiegen die Tränen in die Augen und sie fiel Ida/mir erneut um den Hals, dieses Mal wesentlich länger. „In was für Gefahren hat Coon dich nur wieder gebracht?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ida überließ mir wieder die Kontrolle und ich verdrehte an Rock gewandt die Augen. Dann fiel mir ein, dass ich immer noch wütend auf ihn war. Meine Miene erstarrte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Mary löste sich von mir und trat zur Seite, um Henny mit der Vorspeise zu helfen. An ihrer Stelle tauchte Sam im Türrahmen auf. Über Rocks Schulter hinweg warf sie mir einen ermutigenden Blick zu.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]… sag wenigstens hallo …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hallo Rock“, sagte ich mit einer Zunge wie Blei. Ich konnte kaum die Worte formen, geschweige denn einen passenden Gesichtsausdruck aufsetzen. Rock blieb, wo er war, die großen, dunklen Hände nutzlos an der Seite hängend. Wie ich wusste er nicht, was er tun sollte. Es waren über sechs Monate vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten, aber es fühlte sich an wie sechs Jahre.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Coon“, sagte er schließlich. „Willkommen zurück.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Willkommen zurück. Ich möchte dir anbieten, zurückzukommen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich bin nicht deinetwegen hier“, sagte ich automatisch. „Wir mussten Ida so schnell wie möglich aus Distrikt 18 rausbringen, das ist alles. Ich werde nicht lange bleiben.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Das verstehe ich.“ Er holte tief Luft. „Coon, können wir kurz unter vier Augen reden?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich wollte nein sagen. Der Gedanke, allein in einem Raum mit Rock gefangen zu sein, ohne Rückzugsort, behagte mir überhaupt nicht. Aber Sam warf mir bereits drängende Blicke zu und ich wusste, dass ich ihm diese Chance, sich zu entschuldigen, nicht verweigern durfte. Also nickte ich knapp und ging voran in das Gästezimmer.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Rock schloss sanft die Tür hinter uns. Ich presste die Lippen zusammen. „Also? Ich warte.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Du hattest Recht“, sagte Rock. „Als wir damals telefoniert haben. Du hast genauso viel für die Hunterbasis getan wie ich. Selbst als ich dich gefeuert habe, hast du mich wegen Harry gewarnt und die Organisation vor dem Bankrott gerettet. Ich kann dir das nicht vergelten. Und ich verstehe, wenn du deinen eigenen Weg gehen und nicht zu uns zurückkehren willst. Aber falls du wieder für mich arbeiten möchtest, bis du jederzeit willkommen.“ Er holte tief Luft, während ich versuchte, das Chaos in meinem Kopf zu zähmen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Idas Freude über Rocks Worte schwirrte wie ein Schwarm Schmetterlinge durch meine Brust, aber ich wollte mich nicht von ihren Gefühlen anstecken lassen. Natürlich freute ich mich, dass er all das gesagt hatte. Ich wünschte nur, er hätte nicht über ein halbes Jahr für diese Erkenntnisse gebraucht.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Weil du für mich gearbeitet hast, habe ich aus den Augen verloren, wie wichtig du mir als Freundin bist“, fuhr Rock ungeachtet meines Schweigens fort. Ich hasste die Tatsache, dass er mich so durchdringend ansah. Wie sollte ich bei diesem Blick hart bleiben? „Wir sind zusammen aufgewachsen. Was ich mit all dem eigentlich sagen will ist … es tut mir leid, Coon. Es tut mir leid, dass ich dich gefeuert habe, obwohl du nichts Falsches getan hat. Und es tut mir leid, dass meine Entschuldigung so spät ist.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich schluckte, rang mit den Tränen. „Rock—“, brachte ich noch hervor, bevor er schon seine breiten Gorillaarme um mich schloss und mich in einer knirschenden Umarmung an sich drückte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Kannst du mir vergeben?“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich krallte mich in sein Hemd, drückte genauso fest zurück, und nickte gegen die Seite seines Kopfes. Stille Tränen liefen über meine Wangen. Mir war nicht bewusst gewesen, wie sehr ich eine Versöhnung gebraucht hatte, aber jetzt löste sich ein riesiger Knoten in meiner Brust und ich konnte endlich freier atmen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Aber es gab noch eine Entschuldigung, auf die ich wartete, und die galt nicht mir. Ich löste mich ruckartig von ihm. „Was ist mit Ida?“, fragte ich.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Seine Augen verdunkelten sich. „Richtig. Mit ihr würde ich auch gerne unter vier Augen sprechen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Derzeit nicht möglich, fürchte ich“, sagte ich. „Ida muss sich noch erholen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Bitte.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich fuhr mir durch die Haare, sah Rock misstrauisch an. Was würde er ihr sagen? Konnte ich ihn mit ihr alleine lassen?[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]… lass mich mit ihm reden …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Du bist noch zu schwach, um meinen Körper zu verlassen.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]… dann leih mir deinen. bitte …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Kurz zögerte ich. Ich hatte Ida noch nie die Kontrolle über meinen gesamten Körper gegeben. Plötzlich fragte ich mich, wie es für sie sein musste, in mir eingepfercht zu sein, ohne Möglichkeit, ihren eigenen Interessen nachzugehen, sie selbst zu sein. Seufzend nickte ich, entspannte meine Muskeln und schloss die Augen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ida durchfuhr meinen Körper wie ein warmer Windhauch, von meinem Mittelscheitel bis hinunter in meine Zehenspitzen. Kurz überkam mich Panik, als mein Körper mir nicht mehr gehorchte, eine andere Präsenz die Kontrolle übernahm, aber ich zwang mich zur Ruhe. Es war nur Ida. Ich vertraute ihr mit meinem Leben.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sie wartete geduldig, bis ich in der Lage war, komplett loszulassen. Dann schlug sie die Augen auf.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich sah Rock wie durch einen grauen Schleier. Alles verschwamm. Als würde ich ihn nicht wirklich sehen, sondern nur die Erinnerung von ihm in diesem Raum. In einem Moment begrüßte Ida ihn, im nächsten saßen wir beide auf dem Bett, Ida/ich mit verschränkten Armen, Rock mit gesenktem Kopf.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Die Stimmen der beiden schwappten gegen mein Bewusstsein wie Gespräche, die man durch eine dünne Wand aufschnappt, einige Bruchstücke gut verständlich, die anderen ein nicht identifizierbares Rauschen und Gemurmel. Ich hatte das Gefühl, dass Ida etwas mit dieser Verzerrung zu tun hatte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Hat Coon dir von unserem Telefonat …“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„… mich davon ferngehalten. Was hast du …“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„… habe begriffen, dass …“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Es muss dir nicht leidtun.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich habe deine Existenz … wie kann ich das jemals wieder …“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Rock, ich verstehe … bitte nicht weinen …“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Weinen? Tatsächlich. In mir selbst versunken beobachtete ich, wie das verschwommene Abbild von Rock sich mit dem Handballen über die Augen wischte. Wie er vornübergebeugt war. Um Vergebung bat. Wie Ida/ich ihn in den Arm nahm, über seinen breiten Rücken und den kahlen Kopf strich. Feuchtigkeit füllte meine Augen. Für einen kurzen Moment verlor Ida die Kontrolle und übernahm mich völlig. In die Ecke meines Bewusstseins gedrängt wurde um mich herum alles schwarz. Die Stimmen verblassten, obwohl ich noch aus irgendeiner Verbindung zu meinem Körper wusste, dass meine Lippen sich bewegten, dass ich nach Luft rang, mein Brustkorb sich erratisch hob und senkte. Ich weinte. Schluchzte. Oder war Ida es, die zum ersten Mal seit ihrem Tod die Möglichkeit hatte, ihr Schicksal zu beweinen?[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich machte mich klein in meinem Gefängnis, ließ die Scham über mich waschen. Ida hatte mir gesagt, dass ihr Tod nicht meine Schuld war. Aber das änderte nichts daran, dass es mein Fehler gewesen war, der ihr die Chance eines normalen Lebens genommen hatte. Egal, wie oft sie mir vergab, würde ich mir das selbst jemals verzeihen können? Ich bezweifelte es.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Und dann, als hätte Ida meine Gedanken gespürt, öffneten sich plötzlich all meine Sinne. Mein Bewusstsein rauschte zurück in meinen Körper und ich sackte kraftlos gegen Rocks Brust. Seine starken Arme hielten mich fest, obwohl meine Beine kribbelten und zitterten. Mir war schwarz vor Augen. Ida hatte mich zu stark kontrolliert. Ich war an der Schwelle zur Ohnmacht.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Plötzlich ertönte ihre Stimme durch meinen Mund, glasklar und unmissverständlich.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Wenn du mich damals gerettet hättest, Coon, dann wärst du jetzt nicht mehr am Leben. Einer von uns beiden musste sterben, damit der andere überlebt. Und es ist mir lieber, dass ich in dieser Form an deiner Seite bleiben kann, als ohne dich leben zu müssen. Es musste so kommen. Es gab nie eine andere Möglichkeit.“ Und mit diesen Worten verschwand Ida aus meinen Gedanken und vermummte sich in einem undurchdringbaren Kokon aus Schutzschilden, die sie gegen mein Eindringen aufbaute. Sie wollte allein sein. So allein sie in dieser Situation sein konnte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Schwer atmend ließ ich mich von Rock zurück ins Esszimmer und auf meinem Stuhl bugsieren. Sam sah uns besorgt an, doch ich winkte ihre Fragen mit einer Handbewegung ab. Ich wollte nicht darüber reden. Dieser Teil des Gesprächs war zwischen Ida und Rock gewesen, nicht zwischen ihm und mir. Ich war nur Teil der Unterhaltung gewesen, weil Ida derzeit noch zu schwach war, um ihren eigenen Körper zu formen. Ich würde die Privatsphäre der beiden so gut es ging respektieren.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Trotzdem beobachtete ich Rock aus den Augenwinkeln, während er sich zwischen Mary und Sam setzte und dankend ein Glas Sekt annahm.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Etwas hatte in der letzten Woche seine Meinung über Ida erheblich geändert. Ich wusste nicht, was es war, aber ich würde es herausfinden.[/JUSTIFY]

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[JUSTIFY]Das Essen war köstlich. Von Sam wusste ich, dass Henny in der Küche kaum in der Lage war, mehr als Spaghetti mit Fertigsauce oder Käsetoast zu kochen, aber Sam liebte es, mit neuen Zutaten zu experimentieren und ihre langen Trainingslagerperioden mit Dosennahrung durch ausgefallene Gerichte Zuhause auszugleichen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Meine beiden Freundinnen übernahmen den Großteil der Unterhaltung, während ich mich von Idas Kontrolle erholte. Das Schwindelgefühl verebbte nach einer Stunde und als wir mit dem Tiramisu fertig waren, schaffte ich es sogar, mich in die Unterhaltung einzubringen. Es war zu diesem Zeitpunkt, da Mary beschloss, sich zu erheben.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Ich möchte euch etwas sagen.“ Sie ergriff Rocks Hand, der ihr mit so viel Wärme in den Augen zulächelte, dass ich sofort wusste, was als nächstes kommen würde. „Rock und ich erwarten ein Kind. Eine Tochter, um genau zu sein.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Sam quietschte und sprang auf die beiden zu. „Rock, du altes Schlitzohr!“, lachte sie und klopfte ihm auf den Rücken, ohne ihren Arm von Marys Schultern zu nehmen. „Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Herzlichen Glückwunsch“, sagte Henny etwas förmlicher, aber mit einem genauso schelmischen Glitzern in den Augen.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich räusperte mich. „Das freut mich sehr für euch.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Marys Blick wanderte zu mir. Ich sah sie genau an. Ihr Bauch war etwas gewölbt, jetzt, da ich darauf achtete, und ihre mokkabraune Haut leuchtete. Die pechschwarzen Locken weigerten sich wie immer, der Schwerkraft zu gehorchen. Nur ein grünes Haarband hielt ihre Stirn frei. Sie sah mich ernst an.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Coon“, sagte sie und wartete, bis auch Sam still wurde. „Rock und ich haben darüber nachgedacht, wer die Patin unserer Tochter werden soll, und wir sind uns beide einig, dass wir dich möchten.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Ich schluckte, um meine trockene Kehle zu befeuchten. Ich hatte mit nichts von dem gerechnet. Nicht damit, dass Mary schwanger war und mich als Patin wollte, nicht damit, dass Rock sich persönlich bei mir und Ida für seine früheren Ansichten entschuldigen würde und ich wusste, dass ich den beiden vergeben hatte.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Mit zitternden Händen nickte ich. „Es würde mich sehr glücklich machen, ihre Patin zu werden. Danke für —“ Ich brach ab. Meine Augen brannten und ich wischte hastig mit dem Handrücken darüber. „Danke für euer Vertrauen“, endete ich schwach und rieb unwillkürlich über mein Bein. Die Verletzung, die ich mir während meiner Rottenexzision mit Daniel Holland zugezogen hatte, war seitdem abgeheilt, aber ich hatte immer noch Probleme, wenn ich zu lange auf den Beinen war. „Aber ich weiß nicht, ob ich je wieder die Top-Hunterin werde, die ich mal war“, sagte ich leise. „Mein Bein —“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Schwachsinn“, mischte sich Sam sofort ein und deutete mit einem Finger auf ihren Augenverband. „Was ist dann mit mir? Wir stecken Verletzungen ein, aber das macht uns nicht gleich zu Frührentnern. Dir tut regelmäßig dein Bein weh? Dann nimm Schmerzmittel oder verhau die Daemonen mit deinem Gehstock. Nichts leichter als das.“[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Was sie gesagt hat“, stimmte Rock schmunzelnd hinzu.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]In meinem Hinterkopf regte sich der Kokon. Ida schielte daraus hervor und durchforstete schnell meine Erinnerungen der letzten zehn Minuten.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]… da ist man einmal nicht da, und verpasst alles wichtige …[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]„Was hältst du davon?“, fragte ich laut, Blick in meinen Schoß gerichtet, damit alle wussten, mit wem ich sprach.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]… das fragst du noch? … Ihre Aufregung wusch über mich und hüllte mich in warmes Licht.[/JUSTIFY]

[JUSTIFY]Grinsend hob ich den Kopf und öffnete die Augen. „Wir sind dabei.“[/JUSTIFY]



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kerstin-san
2020-12-18T16:33:18+00:00 18.12.2020 17:33
Hallo,
 
da musste ich mich doch glatt erst mal wieder in die ersten beiden Geschichten einlesen, ehe ich hier ans Werk gehen konnte, aber jetzt hab ich wieder alles im Hinterkopf^^
 
Ich finds immer toll, wenn es einige Einblicke in Coons Vergangenheit gibt und diesmal sogar was zu ihrer Zeit im Waisenhaus und wie sie zu ihrem Namen kam, das ist ja noch besser - zumindest bis es an die ganzen Leichen geht, das war ja ein ziemlicher Stimmungskiller xD
Ich finds mega interessant, dass die Daemonen Coon so links liegen lassen (immer mal davon ausgehend, dass ihr Traum die Ereignisse tatsächlich abbildet): Weil sie ein Kind ist? Wegen ihrer Gabe, die sie irgendwie spüren können (nicht, dass das viel Sinn machen würde, als Erwachsene bringt ihr da ja auch nichts ein, aber...)? Die Kombination aus beidem?
Oder einfach nur Zufall?
 
Ahhhh und Rock. Ich geb zu, dass ich das wie Coon gesehen habe - man schießt Freunde nicht einfach so in den Wind und sie hat jedes Recht wütend zu sein, aber ich freue mich gerade, dass er probiert mit ihr zu reden und das irgendwie wieder zu kitten. Aber ich habe natürlich die Vermutung, dass nicht alles so rosig bleibt, wie es gerade ist ;)
 
Liebe Grüße
Kerstin


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