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Aschenregen

von

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Abschied, Abschied

Eine Woche darauf stand Linus zusammen mit seiner Mutter und Horatio am Hauptbahnhof von Hohendamm. Alrun redete mit Horatio, drückte ihm noch einen Beutel extra in die Hand. Vermutlich war Essen darin und Horatio bedankte sich dafür. Es wäre alles doch gar nicht nötig gewesen und so weiter und so fort. Linus war sich sicher, dass er einfach nur unglaublich dankbar darüber war, denn dem Blick nach zu urteilen, den er in den Beutel warf, hatte er jetzt schon wieder Hunger.

​​Er war schnell gesund geworden. Das oder er hatte seine Erkältung gut vor Linus und Alrun verstecken können. Und dann war da auch noch das Ding mit der Clanverwaltung gewesen, die Horatio freiwillig ein Ticket nach Rubrica bezahlt hatte. „Als Start, Hilfe für Geflüchtete und so“, hatte er gemeint und dabei an die Decke geschaut. „Ich bin ja auch aus 'nem Clan. Da gibt es halt ja die Verträge und blah, ich hab das auch echt nich' alles verstanden. Beamte können echt kein klares Tribunisch reden und Hostisch noch weniger.“

Linus hatte das so hingenommen und nicht weiter nachgefragt. Es hätte ihn interessiert, aber er respektierte, dass Horatio nicht darüber reden wollte.

„Ich werd' euch auf jeden Fall schreiben!“, versprach Horatio laut genug, dass Linus sich auch angesprochen fühlte. „Vor allem Ihnen, Frau Alrun, ich kann's nur immer und immer wieder sagen – ich mein', Linus war der, der mich vor'm grummeligen Kapitän gerettet hat, aber letztendlich zahlen Sie ja die Miete, aye?“ Er grinste dabei und Alrun erwiderte es.

„Ich bin vielleicht eine Mutter, aber wohl kein Monster, Horatio, ich weiß nicht, ob es irgendwo Menschen gibt, die eiskalt genug gewesen wären, dich vor die Tür setzen. Und wenn ja, dann will ich die nicht kennenlernen.“ Sie klopfte Horatio auf die Schulter, der ein paar Zentimeter kleiner war als sie. Alrun war generell eine sehr große Frau, nur ein paar Zentimeter unter eins achtzig und damit auch nur wenig kleiner als Linus selbst.

„Außerdem“, fügte sie mit vorgehaltener Hand hinzu und kicherte sinister, „ist es bis jetzt auch noch nicht vorgekommen, dass Linus mitten in der Nacht jemanden mit nach Hause schleppt.“ Jetzt rubbelte sie Linus über den Oberarm, der darauf gar nicht anders reagieren konnte, als eine Grimasse zu ziehen.

Horatio lachte. Linus wusste nicht, ob er lachte, um ihr die Reaktion zu geben, die sie sehen wollte, oder weil er das tatsächlich lustig fand.

„Wird schon, Linus. Ich komme einfach öfter mal nach Hohendamm.“

„Ich bitte darum“, sagte Linus trocken. Horatio gluckste.

„So, Jungs. Horatio.“ Alrun nickte ihm zu. „Die einzige Schuld, die du hast, ist, dich hier zu melden, wenn du angekommen bist, verstanden?“

„Aye, Sir!“, meldete sich Horatio mit dazu passender, militärischer Geste.

„Die Adresse habe ich dir gegeben – Güte, habe ich das?“ Sie begann, ihre Tasche abzutasten.

„Haben Sie“, sagte Horatio lachend, ehe er wieder zu Linus schaute. „Und nochmal vielen Dank an dich, wirklich. Irgendwann sehen wir uns wieder und dann mach' ich es gut, ich versprech's dir.“

Linus nickte und schaffte es zu lächeln. „Sicher, ja.“ Er fand es gar nicht nötig, dass Horatio irgendetwas wieder gut machte. Aber wenn er das wollte, auch, um sein Gewissen zu bereinigen, dann war es vielleicht besser so.

Eigentlich hätte er noch mehr sagen können. Ihm Glück auf seinem weiteren Weg wünschen, Zuversicht, seine Schwester zu finden, dass es ein gutes Ende hatte, für ihn und für alle anderen. Aber Horatio wurde immer traurig, wenn es um Familie ging. Daran wollte er ihn nicht erinnern.

Der Hauptbahnhof von Hohendamm war überfüllt mit Menschen und der Zug, der nach Rubrica durchfuhr, laut Anzeige ausgebucht. Alrun hatte erwähnt, dass im Zentrum bereits seit einer Woche reger Betrieb herrschte. Es war so stürmisch drüben in Sysdale, die gesamte Provinz Eart war in Aufruhr und ihren Nachbarprovinzen Dwinnis und Midland ging es nicht anders.

​​​​​​Weder Hostis noch Tribunus schafften es, die Seewege vollends zu kontrollieren. Irgendwelche Lücken gab es immer, durch die sich Leute hindurch quetschen konnten, um den Unruhen in der Heimat zu entkommen. Und Hohendamm lag an einer Meerenge sehr nah an Sysdale. Der Weg war hier am kürzesten.

Die Fahrt nach Rubrica würde lang dauern. Hohendamm, Hauptstadt der Provinz Luchtal, war eine der achtundzwanzig tribunischen Provinzen und auch noch eine der größeren. Auf gerader Strecke waren es mehr als zweitausend Kilometer bis nach Rubrica, wo die tribunische Gesamtregierung saß, am äußeren Rand von Tribunus' Nordosten. Von dort aus war man schneller in Hostis' Hauptstadt als in Hohendamm.

Horatio würde mehr als vierundzwanzig Stunden im Zug verbringen, doch seine Laune schien davon nicht negativ beeinflusst zu werden. Ganz im Gegenteil, offenbar hatte er seinen Optimismus im Lauf der letzten Woche wiederfinden können.

„Gute Reise“, sagte Linus schließlich leiser, als er vorgehabt hatte. Der Schaffner pfiff gerade die Leute vom Gleis zurück, als der Zug einfuhr. „Viel Glück.“

„So viel ich kriegen kann!“ Horatio grinste breit. „Und ich werd' garantiert nichts vergessen, gar nichts, verlasst euch drauf!“ Er salutierte überschwänglich.

Die Zugtüren öffneten sich und Leute stiegen aus. Die drei gingen ein paar Schritte zur Seite, damit sie nicht im Weg standen. Alrun wirkte nervöser als Horatio.

Den Beginn seiner Reise hatte der Zug in Kaw gemacht, in jener Stadt, aus der immer nur Leute kamen und in die keiner wollte, denn niemand wollte nach Kaw. Angeblich war es die miserianische Stadt mit der höchsten Suizidrate und wenn man sich die Wetterberichte der Gegend so anschaute, war dieses Gerücht auch gut verständlich.

„Na dann“, sagte Horatio, als schließlich alle Leute durch waren und das Einsteigen begann. Er schulterte jene Tasche, die Alrun ihm gefüllt hatte, immerhin hatte er bei seiner Ankunft in Hohendamm gar nichts dabei gehabt.

„Sag Bescheid, wenn du angekommen bist.“ Alrun zog ihn in eine Umarmung. Horatio wirkte überrascht, aber nicht abgeneigt. Ein wenig verwirrt erwiderte er sie, löst sich anschließend und schaute zu Linus.

Linus jedoch bewegte sich nicht, weil er die Motivation nicht fand, die Hände aus den Taschen zu nehmen. „Komm gut nach Rubrica und so“, nuschelte er und lächelte schief. Eigentlich wollte er richtig lächeln und so, wie Alrun ihn anschaute, erwartete sie auch mehr, doch er tat es nicht.

„Werd' ich, werd' ich.“ Er seufzte leise und schaute zur Tür, wobei sein Lächeln kurz bröckelte. Doch gleich darauf schaffte er wieder, es aufrecht zu erhalten.

„Eine gute Reise, wenn du überfallen wirst, verhau denjenigen mit der Tasche!“, rief Alrun, als Horatio zum letzten Mal die Hand hob, um anschließend im Zug zu verschwinden. Linus sah ihn durch das Fenster noch einmal kurz. Er war dabei, sein Abteil zu suchen, war aber zu abgelenkt, um noch einmal nach draußen zu schauen.

„Vielleicht sehen wir ihn mal wieder“, sagte Alrun, die immer noch auf die Tür schaute.

„Hm“, kam es von Linus nur. Ja, ja, schon. Irgendwie. Im Grunde genommen kannten sie ihn gar nicht wirklich. Er hatte jetzt nur eine Woche lang bei ihnen gewohnt.

Linus drehte ab und lief auf die Unterführung zu, um endlich aus den Menschenmassen verschwinden zu können. Heute war es grässlich voll am Hauptbahnhof und jetzt, da Horatio nicht mehr da war und der Zug gleich abfuhr, merkte Linus, wie nervös ihn das eigentlich machte.

Er hatte die Hände in den Jackentaschen vergraben und durch die Kälte den Hals eingezogen, sodass sein Schal seinen Mund bedeckte. Sein zweiter, den anderen hatte er Horatio überlassen, damit der überhaupt etwas hatte.

Wind wehte durch die Unterführung und verursachte ein pfeifendes Geräusch. Deshalb und wegen der vielen Menschen, hatte Linus Probleme, seine Mutter zu verstehen, als diese zu ihm aufholte.

„Ich wünsche ihm wirklich, dass er den Weg zu seiner Familie findet“, sagte sie. „In solchen Zeiten ist es nicht gut, auf sich allein gestellt zu sein.“

Er sagte nichts, schaute nur auf dem Boden, zu den Zigarettenstummeln und alten Kaugummis dort.

„Es ist, als hätten sie für Hohendamm einen Räumungsbefehl erteilt“, redete Alrun weiter. „Alles, was genug Geld hat, flieht weiter ins Inland. Dabei hört sich das, was drüben gerade passiert, gar nicht so schlimm an? Anderseits, vermutlich kriegen wir auch gar nicht alles mit, wir sind ja auch nur auf die Medien angewiesen – wobei, ich meine, so wie unser Präsident drauf ist, nimmt der alles, was in Hostis passiert und lässt es von den Medien noch schlimmer darstellen, als es ist. Zumindest hat er das in der Vergangenheit schon oft genug gemacht.“

Dewin - Linus' Vater - war oft in Hostis gewesen und hatte selbst berichtet, was eigentlich los war. Gerade war er aber am falschen Ende von Miseria, um erzählen zu können.

An den Wänden der Unterführung klebten Plakate der Reform. Jener Partei, die Tribunus und auch die gesamte Union seit der Einigung leitete, auch wenn sie seit sehr langer Zeit nichts mehr reformiert hatten. Abgebildet waren Großmeister, tribunische Kampfmagier in ihren blau-weißen Uniformen, verängstigte Bürger schützend. Lasst die Kälte des Nordens nicht in eure Herzen.

„Linus?“

„Hm?“

Seine Mutter ließ sich einen Moment Zeit, ehe sie weiterredete. „Weißt du, so ganz theoretisch könnten wir grad auch gehen, dein Vater ist immerhin nicht da. Wir haben Verwandtschaft an der Grenze zu Anjerun. Weißt du noch, wie waren einmal dort, vor... fünfzehn Jahren?“

„Erwartest du, dass ich mich daran noch erinnere?“, erkundigte er sich trocken, woraufhin sie ihm mit dem Ellenbogen in die Seite knuffte.

„Ich wollte es nur gesagt haben“, meinte sie. „Dein Großonkel im Übrigen.“

„Hm.“ Er hatte keine Ahnung, von wem sie sprach. Familie war so ein Ding, dem er lieber aus dem Weg ging. Seine Eltern waren in Ordnung, Geschwister hatte er keine, aber bei Familienfeiern suche er bereits Wochen vorher für Ausreden, um nicht erscheinen zu müssen.

„Tu nicht so desinteressiert, Linus“, ermahnte sie ihn. „Du merkst doch selbst, was hier vor sich geht. Und wenn es nur das ist, dass du nicht noch einmal auf Arbeit durftest seit dem Attentat.“

„Hm“, wiederholte er. „Keine Ahnung. Stress an der Grenze gab es doch immer mal.“

„Stress an der Grenze, vielleicht. Aber das dort ist etwas anderes. Falls du dich nicht erinnerst, die haben letzte Woche den Zaren gesprengt.“

„Ja, haben sie halt einen neuen.“ Er zuckte mit den Schultern. Eigentlich war es ihm auch nicht egal, aber er wollte nicht mit seiner Mutter darüber reden. Vor allem nicht jetzt.

Alrun seufzte laut. „Ich dachte, du wärst langsam alt genug, um dich nicht mehr so gegen alles zu stemmen. Und vor allem, dir der Lage bewusst zu sein und dich nicht nur in deine eigene, kleine Welt zurück zu ziehen.“

Doch von ihm kam wieder nur ein „Hm“. Die Sache bereitete ihm auch schon ohne das Gerede seiner Mutter Kopfschmerzen. Zwei Tage nach dem Attentat hätte er wieder zur Arbeit erscheinen sollen, doch als er dort angekommen war, hatte ihn Bosch geradewegs wieder nach Hause geschickt. Es würde erst wieder losgehen, wenn sich die Lage beruhigt hatte. Seine Reederei hatte von der Hafenverwaltung nicht die Erlaubnis bekommen, ihre Schiffe auf See zu schicken, sie wären nicht gut genug ausgerüstet. Der hostischen Grenze solle man als Fischerboot derzeit nicht zu nahe kommen. Bosch würde sich dann melden, hatte er gesagt, und einen Brief schicken, wenn es weiter ging. Linus hatte nichts dagegen, zu Hause zu sein. Selbstverständlich, die Situation war nicht in Ordnung, aber er ging gern nicht arbeiten.

„Ich möchte nicht, dass du das auf die leichte Schulter nimmst.“

Linus starrte geradeaus. „Mach ich nicht.“ Doch, tat er. Gerade zumindest. War ihm auch egal.

Während seine Mutter sich weiter über ihn beschwerte, schaltete Linus einfach ab. Dafür fiel ihm bereits der dritte Großmeister auf, den er heute zu Gesicht bekam. In wichtigen Grenzstädten wie Hohendamm war eigentlich immer in Kampfmagier stationiert, zumindest hatte Alrun das mal erzählt. Aber das man den auch einmal sah, das war selten. Linus versuchte, das Clanabzeichen zu erkennen, doch der Großmeister stand zu weit entfernt, auf der anderen Seite des Bahnhofseingangs. Wie eine Statue, unbeweglich und wachend.

Schließlich seufzte Linus laut. Er wusste selbst, dass es übertrieben war. „Keine Angst, ich zieh bald aus.“

„Und von welchem Geld, wenn ich fragen darf?“, erkundigte Alrun sich scharf und stemmte die Hände in die Hüften. „Dein Vater und ich, wir unterstützen dich gern, Linus, wirklich. Aber ich kann dir nicht alles vorlegen, irgendwann musst du auch mal allein was hinbekommen.“

„Hm“, brummte er nur erneut. Er hatte keine Luft, mit ihr zu streiten. Nicht jetzt und nicht darüber. Warum konnte sie dieses Thema nicht zusammen mit allen anderen sein lassen und aufschieben, auf den einen passenden Moment, der nie kommen würde?

„Du sagst immer nur, was du nicht machen willst und was du nicht kannst.“ Die beiden stiegen in eine der Straßenbahnen vor dem Hauptbahnhof. Die Tram war voll und Linus wäre es lieb gewesen, würde ihn seine Mutter nicht vor so vielen Leuten zusammen falten, sodass er seinen Kopf weiter in seinen Schal zurück zog wie eine Schnecke. „Ich frage mich, ob du überhaupt zufrieden sein kannst, vielleicht habe ich in den letzten siebzehn Jahren zu viel für dich getan.“

Linus starrte die ganze Fahrt über die gleiche Werbung an der Straßenbahntür an, um Alrun nicht zuhören zu müssen und vor allem, um die Blicke der anderen Fahrtteilnehmer nicht zu spüren. Ihm wurde warm. Irgendwie dauerte die Fahrt länger als sonst immer.

„Du bist zu besorgt“, sagte er, als sie aus der Tram stiegen, und bereute es sogleich. Für gewöhnlich machte er alles schlimmer, sobald er den Mund öffnete – wenigstens war es nicht mehr weit bis nach Hause.

„Zur besorgt? Erklär mir bitte, wie man in einer solchen Situation zu besorgt sein kann, Linus.“ Ihm war ihre Lautstärke unglaublich peinlich. „Ach nein, was rede ich eigentlich. Du hörst mir weder zu noch redest du mir, Hostis fletscht die Zähne und du...“

„Der Norden wird im Norden bleiben“, seufzte er laut. „Als ob Hostis und Tribunus nicht in den letzten fünfzehn Jahren sich oft genug angefeindet hätten, oh Sadnaval.“ Doch selbst der allmächtige Schicksalsgeist konnte ihm in dieser Situation nicht weiterhelfen.

„Der Zar wurde ermordet.“ Ihre Stimme klang nich ein bisschen schärfer als zuvor.

„Von irgendwelchen Irren, Hostis hat interne Probleme deshalb, nicht externe.“ Obwohl es noch hundert Meter bis zur Haustür waren, kramte er schon einmal seinen Schlüssel hervor, um möglichst beschäftigt zu wirken, was seine Mutter jedoch nicht davon abhielt, weiter zu reden.

„Stell dich bitte nicht blöd und auch nicht blind!“

„Ich kann dich nicht hören, ich kann dich nicht hören, ich kann dich nicht hören“, dachte er sich immer und und immer wieder, einem Mantra gleich, und hoffte, dass dieses innere Summen die Stimme seiner Mutter verdrängte. Es funktionierte nur spärlich.

„Bitte, Mama. Jetzt nicht“, versuchte er, sie endlich zum Schweigen zu bringen.

„Nicht 'Mama, jetzt nicht', Linus, du bist fast siebzehn Jahre alt und solltest langsam erwachsen genug dafür sein, dich mit einer gewissen Reife mit solcherlei Dingen auseinander zu setzen!“

Er öffnete die Haustür, hielt sie ihr aber nicht auf, sodass sie Alrun fast vor der Nase zufiel.

„Linus!“, rief sie laut und empört, doch er reagierte nicht darauf. Er ging voran, um schnellstmöglich in die zweite Etage und die Wohnung zu kommen. „Bleib stehen!“ Doch sie musste erst noch die Post aus dem Briefkasten holen. Während sie unten also noch weiter zeterte, schloss er oben schon einmal auf, zog seine Jacke aus und schnappte sich eine der Katzen, die ankam um ihn zu begrüßen. Ihr weiches Fell hatte eine beruhigende Wirkung.

Und selbst wenn er mit seiner Mutter da sitzen und sich um die Sicherheit seines Landes bangen würde: Ändern konnten sie nichts, sollte etwas passieren. Was nicht der Fall sein würde. Der letzte Krieg war über hundert Jahre her und hatte Tribunus im Westen, Arma im Süden und Agmen im Osten zu einer Union geeinigt, an der Hostis nicht hatte teilhaben wollen. Und so war es seitdem und so würde es auch bleiben. Zumal Linus bezweifelte, dass es Alrun im tiefsten Inneren darum ging, dass ihr Sohn sich zu wenig mit der aktuellen Weltpolitik auseinander setzte. Sie war ohnehin seit einem knappen Jahr sehr schlecht auf ihn und seine Meinungen und Entscheidungen zu sprechen, seit er seine Bewerbungen verhauen hatte.

Grave auf seinem Arm miaute ihn an. Linus miaute zurück. Als dann Alrun hoch kam und die Tür fiel zu laut ins Schloss fiel, vergrub Linus sein Gesicht im Bauchfell seines Katers und pustete hinein. Er hörte das Tier schnurren.

„Was ist nur alles falsch mit dir?!“, ächzte Alrun. „Du bist keine dreizehn mehr, ich dachte du...!“

Sie verstummte abrupt, als sie einen der Briefe öffnete. Linus war das egal. Er setzte Grave auf dem Boden ab und ging in die Küche, um sich einen Tee zu machen. Draußen war es viel zu kalt und seine Mutter hatte ihm Kopfschmerzen verpasst und ihn müde gemacht.

„Du musst dich bis nächste Woche Mittwoch bei der Clanverwaltung melden“, sagte Alrun und klang wesentlich ruhiger als zuvor noch.

„Was ist denn nun schon wieder?“, fragte er genervt, ohne sich dabei zu ihr umzudrehen. Vermutlich füllte er gerade viel zu viel Tee in das Sieb, aber es war ihm egal. Es würde ekelhaft bitter werden, sodass man das Koffein noch stärker als sonst heraus schmecken konnte. Aber zumindest würde das zu seiner derzeitigen Laune passen.

Seine Mutter antwortete nicht. In dem Fall war es ihm egal, dann war es nicht wichtig. Vielleicht hatte die Clanverwaltung ausnahmsweise nichts daran auszusetzen, dass ihre Familie mit dem Clan kaum etwas zu tun hatte. „Verfall der Kultur“ hatte einer von denen einmal gesagt, dabei hatte sein Vater, der nicht einmal Clanmitglied war, in den letzten fünf Jahren vermutlich mehr zum Erhalt der Kultur beigetragen als der gesamte Clan in den letzten zwanzig.

Das Wasser kochte und er goss es in die Kanne. Zucker und Milch gab er nicht hinzu. Er wollte bitteren Tee, da brauchte er letzteres nicht, und Zucker machte es klebrig. Neben ihm begann wieder, Grave sich mit ihm zu unterhalten. Linus machte kurz mit. Aria saß auf dem Fensterbrett und schaute ihnen dabei zu.

Alrun legte den Rest der Post auf dem Küchentisch ab. „Sie wollen Bluttests machen. Aufgefordert dazu sind alle Clanmitglieder zwischen sechzehn und fünfundzwanzig Jahren. Es ist...“

„Was ist?“ Seine Stimme klang ungewohnt schneidend und er fand selbst, dass es ihr gegenüber unfair war, doch im Moment wollte er einfach nur seine Ruhe haben.

„Eine Art... Einzugsbefehl.“

Nun drehte er sich doch zu ihr um und schaute sie fragend mit zusammen gezogenen Augenbrauen an.

„Also, wenn deine Bluttests positiv ausfallen...“ Ihre Stimme hörte sich fürchterlich leise an.

Linus seufzte und zuckte mit den Schultern. „Dann können wir ja beruhigt sein, weil wir beide wissen, wie meine Blutwerte aussehen.“ Daraufhin nahm er die Kanne, eine Tasse und ging in sein Zimmer. Grave folgte. Er könnte sich einmal wieder an sein Instrument setzen. Gestern war ein Paket von seinem Vater angekommen, der ihm neue Saiten geschenkt hatte. Allerdings war Linus zu faul gewesen, diese aufzuspannen.

„Linus, du solltest...“

„Es ist Samstagnachmittag. Ich geh am Montag gleich am Morgen hin, ja, ich weiß. Bis später.“

Anschließend schloss er die Tür und hoffte, für die nächsten paar Stunden nichts mehr von seiner Mutter zu hören.



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