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Hello, Darkness, My Old Friend

von

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I

„Du selbstgefälliges, widerwertiges, soziopathisches Arschloch!“ Yamis Hand prickelte und fühlte sich heiß an, so fest hatte sie das Gesicht seines Gegenübers getroffen. Auf Setos Wange zeichnete sich ein roter Fleck ab. Yami holte tief Luft und füllte seine Lungen zum Zerbersten: „Das wars. Endgültig. Du benebelter Idiot hast alles kaputt gemacht, was wir mal hatten! Aber das eine sage ich dir und ich hoffe, dass du in Zukunft noch oft daran denken wirst: Ich war das Beste, das dir in deinem verkorksten Leben je passiert ist und je passieren wird! Aber du hast es dir selbst versaut. Denn eins weiß ich jetzt ganz sicher: Ohne dich bin ich in jedem Fall besser dran als ich es mit dir je sein werde!“ Als er geendet hatte, betrachtete er Seto mit Genugtuung. Der stand da wie paralysiert, doch in seinem Gesicht zeichnete sich klar ab, wie messerscharf die wenigen Worte in ihn geschnitten hatten. Seine Wangen und Lippen zitterten und er sah verletzlicher und hilfloser aus denn je. Doch Yami hielt dem bemitleidenswerten Anblick mit einem herausfordernden und entfachten Blick stand. Es war zu spät für Mitleid. Zu spät für Versöhnung. Dann endlich fand Seto seine Sprache wieder: „Du hast Recht. Mit allem. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen kann …“ „Du brauchst nichts mehr zu sagen. Deine Einsicht kommt leider etwas spät. Genauso wie meine eigene. Aber besser spät als nie. Ich hoffe, du hast noch lange daran zu verdauen.“ Noch wenige Sekunden sog er das Bild, das sich ihm bot, in sich ein, dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum, verließ das riesige, vor Prunk triefende Haus. Verließ diesen Abschnitt seines Lebens. Für immer.
 

Vor der Villa stieß er mit Roland zusammen, der ihm anbot, ihn nach Hause zu chauffieren. Doch er lehnte nur mit einem Kopfschütteln ab. Draußen regnete es in Strömen. Es war ihm egal. Er nahm seinen Weg durch die Straßen von Domino ohne etwas wahrzunehmen. Der Regen durchzog seine Kleider und Haare und es kam ihm vor, als spülte er diesen vergangenen, vertrackten Lebensabschnitt von seiner Haut. Er fühlte nichts. Als habe er all seinen Schmerz mit seinen Worten ins Setos Gesicht geschleudert und so auf ihn abgewälzt. Und oh, wie er wollte, dass Seto Kaiba Schmerz fühlte. Denselben Schmerz, der ihn selbst solange gequält hatte. Doch jetzt nicht mehr. Und während der Regen sich wie ein Schleier über seine Augen legte, sah er plötzlich klar. Er fragte sich, warum er diesen Schritt nicht schon früher gegangen war. Er war so dumm, naiv und abhängig gewesen. Was nun vor ihm lag, wusste er nicht. Da war nur ein leeres Spielfeld ohne bereits bestehende Figurenkonstellationen. Er hatte das Brett umgeworfen und alles war auf Null gestellt. Und doch ging es ihm besser damit als auf immer und ewig nur kurz vor dem Schachmatt zu stehen. Ob sich Tränen mit dem Regen in seinem Gesicht vermischten, konnte er nicht sagen. Aber er hatte noch nie zuvor so sehr wie heute gewusst, dass er eine richtige Entscheidung getroffen hatte.
 

Er hatte kein Ziel, aber er wusste, dass er einfach hier raus musste. Etwas anderes sehen, sein staubiges Leben in andere Bahnen lenken. Doch wo sollte er hin? Diese Stadt und alles, was mit ihr zusammenhing, saß ihm wie ein Muskelkater in den Gliedern, den er am liebsten loswerden wollte. Es gab keinen Ort, der nicht vor Erinnerungen klebte. Sie lagen wie ein öliger Film über allem, was er sah, während er durch die Straßen lief. Schließlich verlangsamten sich seine Schritte. Ihm war mit einem Mal klargeworden, dass es keinen Sinn machte, weiter durch diese vergiftete Umgebung zu rennen. Er hatte einen entlegenen Ort abseits der Wohnhäuser erreicht, eine kleine Grillhütte mit einer Sitzbank davor. Er ließ sich darauf nieder und ließ zu, dass er seine Gliedmaßen weniger und weniger spürte, dass er die Kontrolle über den Körper verlor, den er zuvor besessen und gemeistert hatte. Er war ganz bei sich und mit einem vertrauten Gefühl wurde sein Geist ins Innere des Milleniumpuzzles gezogen wie ein Flaschengeist in seine Flasche. Er suchte den einzigen Ort auf, an dem er sich sicher fühlen konnte. Einen Ort, der ebenso wie die Welt um ihn herum mit Erinnerungen vollgestopft war. Doch fanden sich hier die einzigen Erinnerungen, die er nicht wie eine alte Haut abstreifen und mit seinem bisherigen Leben hinter sich lassen wollte. Und er wusste, wo er sie suchen musste. Mit traumwandlerischer Sicherheit bahnte er sich seinen Weg durch Treppen, die ins Nichts führten, durch Irrwege und an in Stein gemeißelten Wandgemälden vorbei. Bis er schließlich den kleinen Raum fand, den er suchte. Er öffnete die Tür und wusste, er war nicht allein.
 

~*~
 

„Bakura, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll … versteh mich doch … die Zeiten ändern sich eben einfach. Auch Menschen ändern sich, weißt du? Ich habe mich eben geändert. Und meine … Gefühle auch.“ Es hatte ihn getroffen, ganz so, als hätte Malik ihm die Nase gebrochen. Er würde ihm nie wieder in die Augen sehen können nach alldem, was er ihm heute gestanden hatte. Und nach Maliks niederschmetternden Reaktion darauf. Er hatte einfach nicht mehr an sich halten können. Deshalb hatte er Malik alles gesagt: Wie er für ihn empfand, wie es ihn fertigmachte, dass er ihm keine Beachtung schenkte. Er hatte ihn gefragt, was Ryou hatte, das er ihm nicht geben konnte. Was sich zwischen ihnen denn geändert hatte. Er wollte endlich Gewissheit. Er wusste selbst nicht ganz, was in ihn gefahren war. Nie zuvor hatte er so offen über seine Gefühle geredet und wollte es auch nie mehr tun. Dieser Malik zapfte ihn an wie eine Steckdose und sog seine innersten Gedanken aus ihm heraus.
 

Nun fühlte er sich nur noch leer. Vor Scham, die er empfand, war ihm übel. Malik hatte ebenso beschämt gewirkt und den Kopf gesenkt. Dann hatte er ihm gesagt, was er ohnehin schon gewusst hatte. Dass all seine Hoffnungen Irrlichter waren und dass er Malik an jemanden verloren hatte, der sein Leben auf die Reihe bekam, anders als er selbst. Er konnte nicht sagen, wie lange er hier schon saß. Das Ticken der Uhr dröhnte monströs in seinen Ohren. Alles, was er war, lag in Scherben unter ihm. Er verspürte eine unsagbare Wut darüber, dass er sich von jemandem wie diesem schmierigen Malik so hatte in Besitz nehmen lassen und ihm gegenüber seinen Mann nicht stehen konnte. Er wollte ihm nicht länger ausgeliefert sein. Und nun war es ohnehin vorbei. Er hatte sich bloßgestellt und gedemütigt und ein Teil seines Lebens bröckelte unter ihm weg wie poröses Gestein und würde nie wieder zurückkommen. Und er schaute in die Tiefe, dahin, wo dieser Teil in der Dunkelheit verschwunden war, und fragte sich, was ihm jetzt noch blieb. Alles, wofür er einst gestanden hatte, war umgepolt. Er konnte sein altes Ich nicht mehr wiederfinden und wollte es auch nicht.
 

Er war nicht derselbe, aber es kam ihm vor, als gäbe es für einen anderen, einen neuen Bakura, keinen Platz auf dieser Welt. Wie sollte er sich neu erfinden, woher die Kraft dafür nehmen? Er war nur ein Schatten seines früheren Selbst und wie ein Schatten konnte er in dieser Welt nichts berühren, nichts verändern oder für sich in Anspruch nehmen. Er spürte, wie er langsam zu dem zurückfand, was er auf dem Grunde seiner Existenz einmal gewesen war. Als der Glanz seines neu geschenkten Lebens langsam verblasste und der trügerische Schleier der Verlockungen dieser neuen Zeit sich lichtete, war er nur noch er selbst, ohne Ziel, ohne Vorstellungen einer Zukunft hier in diesem Drecksloch. Doch es kam ihm auch so vor, als weiche der Druck von ihm, der ihn zuvor festgehalten hatte wie ein hartnäckiger Krampf. Er kam zu sich und endlich ließ er ganz los und kehrte diesem Leben den Rücken. Sein Milleniumsring war ein Exil, war nur ein halbes Leben, doch ein Teil seiner Seele kannte einen anderen Ort, an den er sich zurückziehen konnte. Den Ort, den er jetzt mehr als alles andere aufsuchen wollte. Dieser Seelenteil befand sich sogar schon dort. Er konzentrierte sich mit aller Macht darauf und dann schlug er die Augen auf.
 

Er befand sich in einem kleinen Zimmer. Es war dunkel, doch durch ein schmales Fenster brach ein wohliger Sonnenstrahl herein. Er saß auf einem roten Sofa, neben dem ein kleiner Tisch mit einer Lampe darauf stand, die orientalisch anmutete und mit buntem Stoff bespannt war. Ein ebenfalls orientalisch wirkender Teppich lag unter einem runden Holztisch. Alles wirkte beruhigend und nicht aufdringlich. Hier konnte er in Ruhe seinen Gedanken nachgehen ohne von blinkenden und hysterischen Farben oder Eindrücken geflutet zu werden. Hier konnte er sich selbst in Ordnung bringen. Er schloss beruhigt die Augen. Durch die geschlossenen Lider nahm er wahr, wie es kurz heller im Raum wurde; die Tür musste sich geöffnet haben. Dann spürte er eine Hand auf seiner eigenen. Ganz leicht war die Berührung, ohne ihn zu erdrücken. Und eine wohlige Wärme ging von ihr aus. „Ist lange her“, sagte Yamis Stimme neben ihm.



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