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Shapeless Dreams

[Atem center]
von

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Seine Sünde

Atem drehte sich grummelnd um und begab sich in Richtung des Weingartens, wo die Weinreben bereits Früchte trugen und im feuchtwarmen Klima gut gediehen. Neugierig lief er zwischen den Reben umher und betrachtete die Pflanzen genau. Er wollte keine Früchte verspeisen, sondern hielt seine Augen auf, um kleine Lebewesen zu entdecken. Wenn er etwas Glück hatte, würde er vielleicht einen Skarabäus sehen.
 

Ich wünschte, ich dürfte in die Unterstadt oder zum Nil. Wie gern würde ich mal ein echtes Krokodil sehen. Einen Skarabäus, der nicht aus Holz geschnitzt oder Stein gehauen wurde. Oder gar einen Heiligen Ibis! Aber ich bin noch nicht volljährig und als zukünftiger Pharao darf ich solche kindischen Gedanken gar nicht haben, sinnierte Atem vor sich hin und ging vor eine der Pflanzen in die Knie, schien den Boden, der erst vor wenigen Stunden bewässert wurde und noch feucht war, genau zu observieren. Mahaad stand nur wenige Schritte hinter ihm und hinterfragte sein Tun nicht.
 

„Ich habe gehört, dass es am Wasserbecken in letzter Zeit öfter Frösche geben soll“, sagte er eher beiläufig. Atem zuckte kurz zusammen.
 

„Pah, wen interessieren schon Frösche? Ich studiere die Weinreben und gehe sicher, dass die nächste Ernte gut ausfällt und wir weiterhin süßen Wein haben!“
 

„Natürlich tut Ihr das, mein Prinz.“ Mahaad musste sich das Grinsen verkneifen.
 

„Aber ich sollte vorsichtshalber einen Blick auf das Wasserbecken werfen, um sicherzugehen, dass“, er machte eine kurze Pause und suchte nach den richtigen Worten, ehe er weitersprach, „alles in Ordnung ist und keine groben Verschmutzungen sich dort befinden. Frösche sollten sich lediglich in den Palastgärten aufhalten und nicht in unserem Badebereich!“
 

„Ihr habt vollkommen Recht, mein Prinz. Sollten sich dort Frösche aufhalten, werde ich sie für Euch einfangen und an ihren Platz zurückbringen“, kam es folgsam von dem Brünetten, der sich leicht verneigte und immer noch mit einem amüsierten Grinsen kämpfte.
 

„Genau! Alles hat seinen Platz und die Weltordnung muss bewahrt werden. Als zukünftiger Herrscher ist dies nur eine kleine Herausforderung für mich, die mich auf meine späteren Aufgaben als Hüter der Maat vorbereiten wird. Mit Spaß hat das nichts zu tun“, brodelte es aus dem jungen Prinzen hervor, der etwas zu schnell in Richtung Ausgang lief und viel zu offensichtlich mit jedem Schritt sein Tempo beschleunigte und es sehr eilig hatte schnellstmöglich beim Wasserbecken anzukommen.
 

Ihr mögt der zukünftige Herrscher des Landes sein, aber auch Ihr solltest das Recht haben, ab und zu die Welt zu sehen und abzuschalten. Priester Akhenaden und Priester Siamun Muran werden sicher wütend werden und ich werde mir eine sehr lange Standpauke anhören müssen, aber das ist es mir wert. Kleiner Prinz... ich werde immer für Euch da sein. Bitte verzeiht mir meine Sünde.
 

Sie betraten den mittleren Teil des Palastes, wo der Gartenhof mit seinem großen Wasserbecken auf sie wartete. Baumreihen an den Seiten boten den Badenden Schatten und sorgten für ein angenehmes Klima. Das Wasserbecken war aus dem Stein geschlagen und war verziert mit bunten Abbildungen ihrer Götter, die Säulen an den Seiten erzählten Geschichten, die von den Taten und Tugenden der Göttern handelten. Atem mochte diesen Ort. Hier konnte er etwas Ruhe finden. Da es früher Vormittag war, würden die meisten Angestellte im Palast nun mit den Vorbereitungen des Mittagessens beschäftigt sein oder die Empfangshalle schmücken, wo doch wichtige Gäste erwartet wurden. Eine Händlerkarawane aus der Stadt Theben, die Opfergaben und Geschenke zum Tempel im Palast brachten, wurde erwartet und würde einige Tage bleiben.
 

Aber Atem interessierte sich dafür nicht. Diese Händler würden nur mit seinem Vater sprechen wollen, welcher sich krank aus seinem Bett quälen würde und mit einem netten Lächeln und seinem warmen Lachen seinen schlechten Zustand überspielen würde. Nachdenklich starrte er das Becken vor sich an, betrachtete die Wasseroberfläche und wartete darauf, dass sich irgendetwas rührte. Mahaad stand wortlos hinter ihm und beobachtete ihn.
 

Woran Ihr wohl denkt, mein Prinz?, fragte sich Mahaad und beobachtete den Jungen vor sich, der verträumt auf das Wasser sah und weiterhin darauf beharrte, hier einen wichtigen Job zu verrichten. Mahaad fand das Verhalten des jungen Prinzen amüsant. Bevor Pharao Akhenamkhanen krank wurde, hatte er sich häufig in Vasen versteckt, um sich vor seinen Pflichten zu drücken. Mittlerweile war er selbstbewusst genug, um sich nicht mehr zu verstecken, sondern mit erhobenem Haupt seinen Unterricht zu schwänzen. Es war lange her, dass er Atem zufällig beim Vorbeigehen in einer Vase erspähte und wenn er ehrlich war, ersehnte er diese Zeiten zurück. Atem war noch ein Kind, welches dazu gezwungen wurde, erwachsen zu werden, um schon bald den Thron zu besteigen und die Aufgaben des Pharaos zu übernehmen.
 

Es ist meine Schuld, dass Ihr so schnell erwachsen werden müsst. Hätte ich Eurem Vater das Geheimnis der Millenniumsgegenstände nicht verraten, dann wäre er niemals so krank geworden. Ich allein trage die Schuld an seinem Zustand.
 

Mahaad biss sich auf die Unterlippe. Es war seine Schuld. Und somit seine Verantwortung. Mahaad hatte es Akhenamkhanen versprochen. An seiner statt würde er über Atem wachen. Niemals würde er die Dankbarkeit vergessen.
 

Es war der Pharao selbst, der seinen geschwächten Körper aus dem herabgestürzten Haus gezogen hatte und ihn in seine schützenden Arme nahm und nicht mehr losließ. Mahaad hatte kaum mehr Erinnerungen an sein altes Leben als Dorfbewohner. Er hatte seine gesamte Familie in nur einer Nacht verloren. Ihre Lehmhütten und Felder wurden in Brand gesteckt und er hörte die Männer, die mit ihren Pferden achtlos über Frauen und Kinder galoppierten und in ihrem Wahnsinn alles zerstörten, was ihnen in die Finger kam. Ängstlich hatte er um Hilfe gerufen, doch als das Haus durch die Flammen in sich hinein brach, hatte er das Bewusstsein verloren.
 

Am nächsten Morgen rief er nach Hilfe. Qualm und Asche lag in der Luft. Das Atmen fiel ihm schwer. Er flehte bei den Göttern um Gnade und versprach, sein Leben, sofern die Götter es ihm gewährten, von nun an nur noch in die Hände der Götter zu legen und ihnen zu dienen. Seine Stimme wurde leiser. Seine Beine waren eingequetscht und es war ihm nicht möglich sich selbst zu befreien. Das einzige, das er tun konnte, war auf Hilfe zu warten und die Götter anzuflehen, sein Leben zu verschonen. Erneut hörte er galoppierende Pferde und für einen Moment machte sich Todesangst in ihm breit. Waren diese Fremden zurückgekehrt, um nun auch ihn zu töten?
 

Leise schluchzend drückte er seinen Kopf in seine flachen Handflächen und stieß erneut ein Gebet gen Himmel. Zwei große, warme Hände griffen nach ihm und er spürte, dass die Last von seinem Körper wich und der Schmerz langsam verschwand. Ängstlich öffnete er die Augen und sah die Augen eines Mannes, die ihn mit endloser Güte und Sanftheit betrachteten.
 

„Wie ist dein Name, mein Junge?“, fragte der Mann und nahm ihn nun auf den Arm und schenkte ihm ein liebevolles Lächeln.
 

„Ich bin Mahaad“, flüsterte er und biss sich ängstlich auf die Unterlippe. Wer war dieser Mann? Vorsichtig wandte er seinen Blick umher und erkannte die Soldaten der Hauptstadt.
 

„Ich bin Pharao Akhenamkhanen. Von nun an werde ich über dich wachen, mein Junge. Du magst deine Familie verloren haben, doch die Götter haben dein Flehen erhört und mich direkt zu dir gebracht. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Ich werde dich beschützen“, waren seine Trost spendenden Worte. Von diesem Tag an hatte Mahaad sein Leben als einfacher Bürger hinter sich gelassen und sich dem Studium der Magie verschrieben. Tagtäglich lernte er neue Zaubersprüche und schwor treu und loyal seinem Pharao zu dienen.
 

Dennoch konnte er nicht verhindern, dass der Krieg gegen die Fremden, die grausam und erbarmungslos die äußeren Bezirke attackierten, ausbrach. Pharao Akhenamkhanen wollte jegliches Blutvergießen vermeiden. Mahaad war noch ein Kind, doch es war selbst für ihn offensichtlich, dass die Priester und der Pharao verschiedene Vorstellungen dessen hatten, was zu tun war. Priester Akhenaden pochte darauf, dass ein Gegenangriff angebracht war, doch der Pharao sprach sich vehement dagegen aus und wies an, dass sie stattdessen Botschafter schicken sollten, um so einen Friedensabkommen zu verhandeln. Die Botschafter kamen nicht zurück. Der Pharao wiederholte diesen Fehler und schickte ein weiteres Mal starke Krieger mit einer Botschaft los.
 

Tage vergingen. Dieses Mal kam einer der Krieger zurück. Nur ein einziger Mann, der einen Sack über seine Schultern geworfen hatte. Sofort machten die Menschen ihm Platz, als er dem Thronsaal näher kam. Erschöpft fiel er vor seinem Pharao auf die Knie und übergab ihm mit zittrigen Händen den tiefrot verfärbten Leinensack. Er brachte keinen Friedensvertrag, sondern die abgetrennten Köpfe seiner Kameraden. Ein Abkommen und weitere Verhandlungen waren gescheitert. Hunderte, gar tausende Menschen waren ihrem Feind – den Hethitern aus dem Osten – bereits zum Opfer geworden und selbst die frommsten Bürger begannen an ihrem König zu zweifeln. Akhenamkhanen starrte geistesabwesend die Köpfe seiner Soldaten an. Er brauchte einige Sekunden, um sich von diesem Schock zu erholen. „Verständigt ihre Familien und beerdigt ihre Überreste“, lauteten seine weiteren Anweisungen.
 

„Bruder! Das kann doch nicht alles sein?!“, schoss es aus Akhenaden heraus.
 

„Wir werden uns verteidigen, wenn es nötig ist. Sie provozieren uns mit Absicht, um uns vom Palast wegzulocken. Doch ich werde ihr Blutvergießen nicht mit noch mehr Blutvergießen und Gewalt beantworten“, sagte der Pharao ruhig. Akhenaden und die anderen Priester zogen sich zurück. Mahaad hörte ihnen aus der Ferne zu und senkte den Blick.
 

Als die fremden Krieger der Hauptstadt immer näher kamen und bereits die mittleren Bereiche der Stadt attackiert wurden, wurde ein Gegenangriff notwendig. Akhenamkhanen war am Boden zerstört. Sämtliche Versuche den Frieden zu bewahren und diesen Konflikt ohne weiteres Töten zu lösen, waren gescheitert und nun war der Feind in ihrer Hauptstadt eingebrochen und stand vor den Palastmauern, während die verzweifelten Schreie der Bürger Tag und Nacht über Kemet lagen. Zu spät für einen Gegenangriff. Der Großteil ihrer Soldaten war zu schwer verwundet, unausgebildet oder bereits gefallen. Es sah schlecht aus. Sämtliche Gebete wurden nicht mehr erhört.
 

Akhenaden schlug vor einen Zauberspruch aus dem Millenniumsbuch zu nutzen und die Millenniumsartefakte in die Welt zu bringen. Niemand hatte dieses mysteriöse Buch jemals entziffern können, doch Akhenaden hatte Jahrzehnte seines Lebens mit der Übersetzung verbracht und überzeugte den Pharao davon, ihm zu vertrauen. Im Angesicht der Tatsache, dass die Hauptstadt und somit ihr geliebtes Kemet – Land der Götter und gesegnet von ebendiesen – fallen würde, blieb dem Pharao nichts anderes mehr übrig, als sich auf seinen Bruder zu verlassen und ihre Palastmauern weiterhin zu verteidigen. Inmitten der Nacht brach Akhenaden auf. Sieben Nächte und 99 Seelen, zudem reinstes Gold als Träger für diese Macht aus einer anderen Welt, waren die geheimen Zutaten für diese Artefakte, die den Frieden bringen sollten.
 

Nur die Auserwählten der Millenniumsartefakte erfuhren die schreckliche, barbarische Wahrheit hinter ihrer Erschaffung und ihre ursprüngliche Bedeutung. Die Millenniumsartefakte brachten Frieden und Macht und Akhenaden stellte sicher, dass niemand außer den sechs Priestern erfuhr, dass Menschen für diesen Sieg wissentlich geopfert wurden. Hätte sein Bruder Akhenamkhanen gewusst, dass lebendige Opfer vonnöten waren, hätte er mit alles in seiner Machtstehende verhindert, diese Artefakte in diese Welt zu bringen. Akhenaden schwor, dass er seinem Bruder niemals die Wahrheit sagen würde und befahl den Hohepriestern absolute Geheimhaltung.
 

Kemet ging siegreich aus der Schlacht hervor. Dadurch, dass der Pharao so lange gezögert hatte und an einen friedfertigen Diskurs geglaubt hatte, hatten tausende Menschen ihr Leben verloren. Der Krieg war vorbei, die Hethiter endlich vertrieben, doch was blieb war Reue. Zwei Jahre vergingen. Das Land litt immer noch unter den Auswirkungen des Krieges und der Wiederaufbau ging nur schleppend voran.
 

In den äußeren Bezirken kam es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die derartig ausarteten, dass Soldaten geschickt werden mussten, um die Raufbolde auseinanderzubringen und gegebenenfalls ins Verlies zu stecken. Ein Widerstand bildete sich. Hass gegen die Krone. Gegen den König, der die Zerstörung in Kauf nahm und erst in den Kampf zog, als sein eigenes Leben in Gefahr geriet. Akhenamkhanen hatte den Kampf gescheut und schwor auf den Frieden, auf die Macht der Worte und sah seinem Volk beim Sterben zu. Dabei war es immer der Pharao der das Heer anführte und als erster in den Kampf ging.
 

Alle anderen Pharaonen hatten mutig auf dem Schlachtfeld gekämpft und ihr Heiliges Land verteidigt, doch Akhenamkhanen hatte seinen Palast nicht mal verlassen. Als die richtigen Gefechte ausbrachen, hatte er sich zurückgezogen und viele enttäuschte Bürger verbreiteten Gerüchte, die selbst den Palast erreichten.
 

Als Mahaad zum nächsten Träger des Millenniumrings erkoren wurde, wurde er in das Geheimnis der Artefakte eingeweiht. Ungläubig starrte er den goldenen Ring an. Es war seine jugendliche Naivität, die ihn dazu antrieb, sich in jener Nacht an den Pharao zu wenden und ihm die Wahrheit zu enthüllen. Stimmen aus dem Ring sprachen zu ihm und er hatte das Gefühl, dass irgendetwas oder gar jemand versuchte, seinen Verstand zu vernebeln und ihn auf eine andere Seite zu ziehen. Er wusste, dass das Opfer, das gebracht werden musste, vonnöten gewesen war und es waren eben jene Seelen, die ihn in ihrem Hass und ihrer Abscheu zu verderben versuchten. In seiner Furcht der Bosheit des Millenniumrings zu unterliegen, brauchte er jemanden zum Reden. Und so offenbarte er dem unwissenden Pharao, was er niemals hätte erfahren dürfen.
 

Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Pharao den Jungen vor sich an. Seine Unterlippe bebte, sein Körper zitterte und er fiel auf die Knie. Laut schluchzend drückte er sein Gesicht auf den harten Stein unter sich und flehte das Puzzle an seinem Hals um Gnade an.
 

„Verzeiht mir! Verzeiht mir! Ich habe nichts davon gewusst!“, schluchzte er.
 

Schon bald darauf wurde der Pharao schwer krank und sein einziger Sohn Atem würde die Thronfolge übernehmen. Mahaad gab sich die Schuld für die Krankheit des Pharaos, denn hätte er seinen Mund gehalten und geschwiegen, hätte dieser niemals erfahren, auf welch grausame Art und Weise die Artefakte in diese Welt gerufen worden waren. Sie brachten ihnen den Frieden, waren im Gegenzug aus Blut geschmiedet. An ihnen haftete die Sünde selbst. Hätte Akhenamkhanen gewusst, welches Opfer gebracht werden musste, hätte er dies niemals zugelassen. Reue und Schuld lasteten von nun an auf den Schultern des Herrschers.
 

Mahaad versiegelte seine eigene Magie und hielt den Wahnsinn des Rings allein mit seiner Willenskraft und seinem Pflichtgefühl zurück. Die Stimmen versuchten jeden Tag aufs Neue, ihn auf ihre Seite zu ziehen, doch er widerstand ihnen.
 

„Mahaad... warum weint Ihr?“, hörte er die Stimme des jungen Prinzen, die ihn aus seinen Erinnerungen zog.
 

„Verzeiht, mein Prinz. Ein solches Verhalten ist unangebracht. Bitte bestraft mich“, kam es von dem jungen Magielehrling, der demütig auf die Knie ging und sich verneigte. Atem war 12 Jahre alt und noch viel zu jung und unerfahren, um den Thron zu besteigen. Es war einzig und allein seine Schuld, dass Akhenamkhanen in diesem schlechten Zustand war.
 

„Ich werde Euch nicht bestrafen. Aber ich befehle Euch, mir zu sagen, was der Grund für Eure Tränen ist.“
 

„Was ist, wenn ich mich diesem Befehl widersetze?“
 

„Ihr sagtet, dass Ihr mir treu ergeben seid. Wenn Ihr das ernst meint, werdet Ihr mir vertrauen und mir sagen, was Euer Herz belastet. Ich bin nicht so einfühlsam wie mein Vater und man sagt mir nach, dass ich taktlos sei, doch ich bin auch kein Monster.“
 

Atem setzte sich an den Rand des Wasserbeckens und ließ seine Beine ins Wasser hängen, seufzte zufrieden, als er das kühle Nass auf seiner Haut spürte.
 

„Setzt Euch zu mir und leistet mir Gesellschaft“, meinte er dann, sah den Älteren jedoch nicht an und fixierte das Wasser vor sich, beobachtete die Wellen, die er mit der Bewegung seiner Beine ins Leben rief. Mahaad konnte von der Seite erkennen, dass das Gesicht des jungen Prinzen rot geworden war und er sich schämte, seine Gefühle offen zu zeigen. Kein Wunder, wie er fand. Immerhin hatte man dem jungen Prinzen von klein auf gelehrt, seine Gefühle nicht zu zeigen, da er somit seine Schwächen preisgab und sich angreifbar machte. Da Akhenamkhanen seit Jahren ans Bett gefesselt war, sodass Atem hauptsächlich von seinen Lehrmeistern unterrichtet wurde und die meiste Zeit mit diesen verbrachte, waren es eben diese, die den jungen Prinzen stark prägten.
 

Gebelk war ein Folterer, der den jungen Prinzen in Strategie und Politik unterrichtete. Priester Siamun war der Berater des Pharaos und erkundigte Atem ständig über das Wohlbefinden seines Vaters und stand ihm mit Rat und Tat zur Seite. Mahaad kannte die anderen Lehrer des Prinzen nicht, hatte aber gehört, dass diese ebenfalls sehr streng waren und selbst die kleinsten Fehler bestraften. Es war also nicht verwunderlich, dass der Prinz den Unterricht schwänzte und sich eine Auszeit wünschte. Als Schüler der Magie und nächster Träger des Millenniumrings hatte er hauptsächlich mit den Priestern zu tun und wurde auf seine zukünftigen Aufgaben vorbereitet. Man lehrte ihm die Magie und das Beschwören mächtiger Ka-Bestien. Sobald er den Ring erhielt, würde auch er sich eigene Schüler suchen und diese unterrichten.
 

„Mein Prinz?“, fragte Mahaad unsicher nach und legte den Kopf leicht schief.
 

„Ich wiederhole mich ungern, Mahaad“, knurrte Atem zwischen zusammengebissenen Zähnen.
 

Minutenlang saßen sie nebeneinander und sprachen kein einziges Wort.
 

„Vollkommen egal, was alle anderen sagen, mein Prinz, ich glaube daran, dass Ihr ein großartiger Herrscher werden werdet. Ich glaube an Euch.“
 

„Da seid Ihr der einzige. Sie alle wollen, dass ich genauso werde wie er. Ich bin ich. Ich weiß nicht, ob ich diese Bürde tragen oder ob ich dieser Rolle jemals gerecht werden kann“, murrte Atem und schwang seine Beine in die Luft, sodass das Wasser in die Höhe spritzte und sie beide nassmachte.
 

„Ihr habt großes Potential, mein Prinz. Ihr habt keinen Grund an Euch zu zweifeln. Euer Vater ist stolz auf Euch und ich bin es auch.“
 

„Was ist, wenn ich dieses Land nicht führen kann? Mein Vater hinterlässt mir ein gespaltenes Land und ich muss mit eiserner Hand regieren, wenn ich eine weitere Spaltung verhindern will. Gebelk sagte, dass die Unruhen davon kommen, dass mein Vater zu sanftmütig war und jetzt nimmt ihn keiner mehr ernst. Ist das wahr? Ist mein Vater... wirklich Schuld daran, dass so viele Menschen sterben mussten?“
 

„Mein Prinz! Das ist doch absurd! Euer Vater hat alles getan, um den Frieden zu bewahren“, begann Mahaad, wurde jedoch unterbrochen.
 

„In dem er auf seinem Thron saß und darauf hoffte, dass seine Worte den Feind erreichten? Viele Angestellte des Palastes haben Freunde und Familie verloren, weil mein Vater gezögert hat. Die meisten Sklaven im Palast waren ehemalige Bürger, die die Steuern nicht mehr entrichten konnten. Nicht gerade wenige verübeln ihm seine Schwäche und ich bin es, der seine Fehler gerade biegen muss! Wäre mein Vater als Anführer in die Schlacht gezogen, hätten die Götter ihm zum Sieg verholfen, doch er hat seine Soldaten vorgeschickt“, kam es von Atem, der den Brünetten nun mit hasserfüllten Augen ansah.
 

„All unsere Ahnen haben stets für den Frieden gekämpft! Ihre Geschichten prägen die Außenmauer des Palastes und an allen Wänden innerhalb des Palastes sehe ich ihre Blicke auf mich ruhen. Egal, wo ich hingehe, sie alle sehen mich an und erinnern mich daran, dass ich kein Feigling sein und niemals vom Weg abkommen darf.“
 

„Aber niemand sagt, dass Ihr genauso handeln müsst. Euer Vater wollte einen friedvollen Weg einschlagen und...“ Erneut unterbrach Atem ihn.
 

„Weil er vom Weg der Maat abgekommen ist und sich im Palast verkrochen hatte, haben die Götter uns bestraft. Er wurde krank, weil er nicht gekämpft hat und Angst hatte. Selbst die Sklaven reden über sein Versagen und wer bin ich, dass ich es ihnen verüble? Ich darf die Fehler meines Vaters nicht wiederholen. Ich muss Recht und Ordnung zurückbringen und im Namen der Maat für Gleichgewicht im Volk sorgen, doch sie alle erwarten von mir, dass ich genauso werde wie mein Vater und im gleichen Atemzug wollen sie, dass ich anders handle als er.“
 

„Habt Ihr Angst, mein Prinz?“
 

„Nein. Ich bin der Prinz. Ich darf keine Angst haben. Ich bin stolz und mutig.“
 

„Und wenn Ihr nicht der Prinz wärt, sondern jemand anders?“
 

Atem antwortete nicht, senkte stattdessen den Blick.
 

„Ihr habt große Fußstapfen zu füllen, mein Prinz. Aber Ihr seid nicht allein. Ich stehe hinter Euch. Und auch die sechs Priester unterstützen Euch. Auch der Anwärter für den Millenniumsstab ist Euch treu ergeben. Seth wird ein formidabler Priester sein und Eure Entscheidungen stützen. Ich kann verstehen, dass Ihr unsicher seid und dass Ihr diese Gefühle nicht zeigen wollt, aber seid Euch im Klaren, dass die Götter und wir Priester zu Euch stehen werden. Jeder einzelne von uns ist bereit, unser Leben für Euch zu lassen“, sagte er und lehnte sich näher an den Prinzen.
 

Ich war es, der Euren Vater in diese Krankheit trieb und ich werde es sein, der Euch an seiner statt beschützen wird. Wie viel Zeit auch vergehen mag, ich werde für immer loyal an Eurer Seite stehen und Euch in Zeiten der Not unterstützen. Habt keine Angst, mein Prinz. Ihr seid wie ein kleiner Bruder für mich und es ist mein eigenes Begehren Euch zu dienen. Über den Tod hinaus, bis in alle Ewigkeit.
 

„Glaubt Ihr, dass ich dieses Land einen kann? Dass ich das, was einst zerbrochen ist, wieder zusammenfügen kann und Kemet im alten Glanz erstrahlen wird?“
 

„Ich glaube an Euch. Niemand anders kann dies. Nur Ihr. Wenn ich Eure Augen sehe, sehe ich ein Feuer, das voller Leidenschaft und Mut brennt. Ihr werdet Euren Weg finden und selbst die Finsternis, die uns bedroht, werdet Ihr allein vertreiben.“
 

„Ich danke Euch, Mahaad.“
 

„Ihr solltet nun wirklich zurückkehren, bevor Euer Lehrmeister noch wütender wird. Ich werde die Schuld auf mich nehmen und ihm alles erklären.“
 

Mahaad zwinkerte, erhob sich und hielt dem Prinzen seine Hand hin.
 

[Kapitel 3]
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SuperCraig
2019-08-06T21:06:57+00:00 06.08.2019 23:06
Hallo Yuugii!

Wie kann es sein, dass eine ganze Nation einfach glaubt, oder hofft, dass ein Kind, auch wenn er bald als volljährig gilt, das zustandebringen kann, was ein Pharao samt Gefolge nicht geschafft hat? Dieser Druck, dieses Leiden, diese Erwartungen - es wundert mich, dass Atem nicht spätestens jetzt, kurz vor dem Antritt seiner Pflichten, einfach zusammenbricht. Er soll geradebiegen, was sein Vater verabsäumt hat. Er erbt die Fehler, soll gleich werden wie er, nur perfekt, sprich, nicht das tun, was sein Vater getan hat.

Ich kann die Beweggründe Pharao Akhenamkhanens nachvollziehen. Auch wenn es vielleicht falsch wirken mag, so ist Krieg nicht die Lösung, die auf Dauer Frieden bringen wird. Wer will außerdem als Kriegsherr in die Geschichte eingehen? Natürlich gibt es Einige, doch meist verblasst die Erinnerung daran oder wird ausgeschmückt, und zwar nicht in die noble Richtung. Egal, was man über Atems Vater denken mag, er ist zumindest bis zum Ende zu seinen Prinzipien gestanden, und hat mit Milde und Güte versucht zu schaffen, was Anderen mit Härte und Strenge nicht gelungen ist.

Ich persönlich befürchte, oder weiß es eher, bedingt durch dich, dass Atem wahrscheinlich das Gegenteil sein wird; streng, und vielleicht gerecht. Strenge ist aber auch nicht der Weg, der dazu anregt, einem Gott zu huldigen. Auch nicht die Wunder, die er verspricht, sondern oftmals sind es Liebe, Gnade, Güte und Milde, die einen in die Arme einer Gottheit treiben. Worte können den Schmerz oft mehr lindern, als materielle Zuwendungen. Ich hoffe für den kleinen Pharao, dass er die richtige Balance finden wird.

Jetzt habe ich das mit Seth erst geschnallt. Damit hat Atem wirklich zwei loyale Unterstützer (in der Theorie zumindest), und einer, der wird, wenn die Story nicht zu sehr abweicht, sein treuester Begleiter werden. Das hast du bereits schön angedeutet, mit der Lebensschuld, die Mahaad gegenüber Pharao Akhenamkhanen zu begleichen hat. Er scheint es auch sehr ernst zu nehmen, und sich wirklich um Atem zu sorgen.

Der Ring, endlich, ich habe schon darauf gehofft, dass er irgendwie versucht, den Geist zu korrumpieren, den Träger schleichend dem Wahnsinn preiszugeben. Dieser langsame Verfall, der bereits hier, im zweiten Kapitel angedeutet wird, genauso wie die Tatsache, dass nicht jeder beliebige Penner die Milleniumsgegenstände tragen kann, das erfreut mich ungemein, denn es ist spannend zu lesen und weckt die Lust auf mehr. Außerdem ist Mahaad einer meiner Lieblingscharaktere, und natürlich ist man da besonders erpicht darauf, zu lesen, wie es weitergeht.

Trotz allem, der Last, dem Dasein als zukünftiger Pharao, hat Atem nicht ganz sein kindliches Dasein ablegen können, was ihm, in meinen Augen, einen natürlichen, echten und vor allem authentischen Charakter verleiht. Wie soll denn auch ein zwölfjähriges Kind, mag es noch so sehr zu Pflicht und Perfektion gedrillt werden, sein urinnerstes Ich ablegen? Ein großes Lob an deine Gedanken dazu, und wie du sie verpackst. Mich persönlich spricht das sehr an, und ich möchte unbedingt erfahren, wie sich der 16-jährige Atem am Ende verhält.

Weißt du, was das Ganze so besonders prickelnd macht? Du lässt den Weg wirklich offen; ich meine, du leitest den Leser schon an, bringst ihn auf die richtige Spur, aber dann kommt wieder irgendetwas, wo man total unsicher ist, und überlegt: Was mag jetzt wohl passieren? Ich bin davon ausgegangen, dass Atem bremst, und die Frösche eben nicht besucht. Genauso, wie den aufkeimenden Gedanken an den Nil, der immerhin Mittelpunkt des ägyptischen Reichs gewesen ist, zu unterdrücken. Auch der Exkurs in die Vergangenheit, das Verstecken in Vasen, ich musste schmunzeln.

Der Dialog zwischen Mahaad und Atem war übrigens sehr schön. Er hat, mit dem Rückblick in die Vergangenheit, eine Symbiose erschaffen, die perfekt in das Bild passt, dass ich vom Anime noch kenne, und das Ganze dabei wieder um einige Facetten bereichert, die mich wieder staunen lassen, was ich alles so verpasst haben könnte. Wunderschön.

"Sie brachten ihnen den Frieden, waren im Gegenzug aus Blut geschmiedet. An ihnen haftete die Sünde selbst." Dieses zweischneidige Schwert, dass die Milleniumsgegenstände darstellen, hat dieser Satz besonders gut eingefangen. Mir hat sich der Gedanke eines Schmiedes aufgedrängt, der am Amboss steht, sein Hammer, genauso wie die Schmiedeunterlage, blutbefleckt, während er unermüdlich das feinste Gold in eine edle Form hämmert. Sehr bildhaft.

Liebe Yuugii, ich weiß gar nicht, was ich dir sonst noch alles schreiben soll. Ich würde wahrscheinlich bei jedem Absatz ein Gespräch mit dir suchen wollen, um herauszufinden, wie weit ich denn daneben lag, was deine Intentionen angeht. Lange Rede, kurzer Sinn:

Dieses Kapitel war wieder großartig, mit dem richtigen Maß an Information, Handlung, Auflockerung durch Umgebungsbeschreibung, Flashbacks, Andeutungen und Heranführen an die nächsten "Protagonisten" bzw. Darsteller, die sich im Verlaufe der Fanfiction als wichtig herausstellen werden. Du schaffst es, harte Fakten mit weicher Umschmeichelung zu versehen, und einen angenehmen Text zu erschaffen, der dem Lesefluss gut tut, und dabei aber zum Nachdenken anregt.

In Vorfreude auf das nächste Kapitel, ganz liebe Grüße

SuperCraig


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