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Blue Wolve

von

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Sermon and Hope


 

1
 

Verwundert beobachtet Kitty, wie sich Kurt nach dem Frühstück wegteleportiert. Stunden später taucht der Blauhäutige dann zum Mittagessen wieder auf. Dabei scheint er von einer erstaunlichen Ruhe und Zufriedenheit umgeben zu sein, wodurch sie sich nur noch mehr fragt, wo er war und was in aller Welt er getan hat. Allerdings will die Brünette nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und ihn geradeheraus danach fragen. Womöglich fühlt er sich sonst bei irgendetwas ertappt. Könnte ja immerhin sein, dass er etwas macht, von dem niemand weiß – das vielleicht sogar verboten ist? Andererseits fragt sich die junge Frau in dem Fall, ob es dann nicht doch besser wäre, es zu wissen und Nightcrawler so vor Schaden zu bewahren. Eine äußerst verzwickte Sache...
 


 

2
 

Eine Weile hält sie sich zurück und beobachtet das Verhalten des Elfen immer wieder. Die meiste Zeit des Tages verbringt er völlig normal und unauffällig mit Logan, und somit mit seiner Ausbildung. Er sagt dem Älteren auch praktisch immer, wohin er geht, wenn sie sich zwischendurch einmal trennen – und sei es nur, um die Toilette aufzusuchen. Von daher müsste Wolverine doch ganz sicher wissen, wohin Kurt am letzten Sonntag verschwunden ist?
 

Am Samstag gelingt es ihr schließlich, den Vielfraß allein zu erwischen, als er gerade dabei ist, eine längst überfällige Reparatur an seinem Jet vorzunehmen. Nightcrawler hat derweilen ein Gespräch mit Charles und wird daher nicht so schnell wieder zurück sein, was den Krieger schon etwas wurmt, hilft der Elf ihm doch sonst immer begeistert bei solchen Sachen. Kurt mag zwar nur drei Finger haben und in einem stinkenden Zirkus aufgewachsen sein, aber er ist dafür ziemlich geschickt im Umgang mit Werkzeugen.
 

Zielstrebig nähert sich Kitty daher dem Jäger, der sich umständlich und schon ziemlich mit Öl beschmiert in den engen Maschinenraum zwängt, wobei es wahrlich so aussieht, als würde er jeden Moment feststecken. „Hey, Logan.“, gibt sie von sich. Der Angesprochene macht sich jedoch nicht die Mühe sie anzusehen oder seine Arbeit zu unterbrechen, es wäre auch viel zu umständlich. Nur ein brummendes Schnüffeln wirft sein Echo durch den kleinen Metallvogel. „Hey, Kitty.“, erwidert er schließlich, nachdem er sich sicher ist, dass sie es ist.
 

„Kann ich dich mal was fragen?“, setzt sie wieder an. „Reich mir mal den 7/8 Maulschlüssel!“, tönt er und streckt blind die Hand in ihre Richtung aus. Suchend schaut sich Shadowcat auf dem fahrbaren Werkzeugwagen um, der neben der Leiter steht, auf der sich der zu kurzgeratene Kanadier befindet. Es dauert einen Moment, ehe sie in dem dort herrschenden Chaos findet, was er verlangt. Nachdem sie ihm den Maulschlüssel gereicht hat, bekommt sie allerdings keine weitere Reaktion von ihm. Er brummt nur irgendetwas Unverständliches in sich hinein.
 

„Logan?“, fragt die Brünette daher erneut. „Verdammter Mist!“, schimpft der Schwarzhaarige nun in sich hinein und ein dunkler Fleck zähflüssigen Öls läuft träge an seinem Hemd herab. „Klammer!“, faucht er schon fast und streckt erneut fordernd die Hand aus. Leicht genervt verdreht Kitty die Augen, greift nach dem Gewünschten, gibt es Wolverine aber nicht. Stattdessen phast sie sich in den beengten Maschinenraum hinein und erscheint so direkt von dem ölverschmierten Gesicht des Älteren. Es wirkt überaus grotesk, ihren geschmeidigen Körper von endlosen Kabeln, Drähten und Stützbalken förmlich durchbohrt zu sehen, auch wenn es bei weitem nicht das erste Mal ist, dass Logan so etwas zu sehen bekommt. Dennoch zuckt er bei ihrem plötzlichen Auftauchen heftig zusammen, versucht instinktiv zurückzutreten und knallt dabei wuchtig mit dem Hinterkopf gegen den Rand der schmalen Luke. Zähneknirschend unterdrückt er einen Schmerzlaut und knurrt zornig. Dieses Geräusch wird kurz darauf aber von einem überraschten Laut erstickt, als ihm ein warmer Schwall Öl aus der gerissenen Leitung mitten ins Gesicht spritzt.
 

Die Brünette weiß beim Anblick des begossenen Jägers nicht, ob sie lachen oder lieber wieder verschwinden soll. Schließlich siegt aber die Schadenfreude und sie schmunzelt leicht schuldbewusst in sich hinein, während sie etwas ungeschickt die Klammer an der Ölleitung befestigt und somit den anhaltenden Fluss gnädiger Weise unterbricht. „Unglaublich witzig, Kindchen!“, schimpft Logan nicht ganz so ernst, wie sie erwartet hat und wie sein Gesicht vermuten lässt, und windet sich dann aus dem Zwischenraum heraus, um sich das Gesicht abwischen zu können. Noch leicht grinsend folgt ihm die Jüngere.
 

„Was sollte das denn?“, fragt Wolverine schließlich und schmeißt das verschmierte Handtuch auf den Werkzeugwagen. „Du hast mir gar nicht zugehört...“, schmollt Kitty ein bisschen. „Tja, ich hatte da ein kleines Problem, wie du vielleicht bemerkt hast, und leider keinen Nerv für dich.“, grummelt der Angesprochene etwas. Shadowcat schmollt noch ein bisschen mehr, woraufhin sich das Gesicht des Kriegers unweigerlich wieder entspannt. Kindern kann er nun einmal nicht lange böse sein. Er seufzt schwer. „Okay, was gibt es denn so Dringendes?“, fragt er. „Ich wollte dich fragen, ob du weißt, wohin Kurt jeden Sonntag verschwindet?“ Mit großen Kulleraugen sieht sie ihn an, weshalb Logan leicht irritiert die Stirn in Falten legt.
 

„Nee, keine Ahnung. Warum fragst du ihn nicht selbst?“ Enttäuschung schlägt sich auf ihrem Gesicht nieder. „Weil es vielleicht etwas Verbotenes ist...“, setzt Kitty an, wodurch Wolverine nur ein schroffes Lachen von sich gibt. „Der war gut! Als könnte der Elf überhaupt auf solche Ideen kommen.“, grinst er kopfschüttelnd. „Aber wenn dem nicht so ist, warum weißt du dann nicht, wo er hingeht? Er sagt dir doch sonst immer alles!“, behaart sie trotzig. „Er sagt mir nicht immer alles und das will ich auch gar nicht. Sonst würde mir der Schädel von all dem Bibelmüll, den er den ganzen Tag so von sich gibt, reihenweise platzen! – Aber etwas Verbotenes tut er ganz sicher nicht. Womöglich aber etwas Privates? Denken wir mal nach. Was auch immer er macht, er tut es, meiner Meinung nach, jeden Sonntag zur selben Zeit. Bei der Regelmäßigkeit muss es etwas fast schon Offensichtliches sein...“ „Du meinst, wie in die Kirche zu gehen?“, fragt sie skeptisch. „Genau! Findet so was nicht jeden Sonntag statt? Ich hab davon keine Ahnung. Ist zu lange her, dass ich so ein Ding aus diesem Grund von innen gesehen habe. Und deswegen sagt er es mir wahrscheinlich auch nicht, weil ich ihn sonst nur wieder damit aufziehen würde. Außerdem ist Sonntag unser freier Tag. Er kann machen, was er will, ohne sich bei mir rechtfertigen oder abmelden zu müssen.“
 

Etwas ratlos zuckt die junge Frau mit den Schultern. Sie weiß zwar schon, dass sonntags in vielen Kirchen Messen abgehalten werden, doch als Jüdin ist sie sich nicht sicher, wie genau das bei Katholiken vonstattengeht. Zudem ist sie immer wieder überrascht, wie unterschiedlich Kurts und ihr Glaube doch ist, obwohl er sich doch auch so sehr gleicht. Allerdings wurde Kitty in das alles hinein geboren und hatte keine wirkliche Wahl, weshalb sie ihren Glauben auch nicht mehr wirklich ausübt, nur in schwere Stunden des Trostes wegen darauf zurückgreift. Im Gegensatz zu Nightcrawler, der sein ganzes Leben nach den göttlichen Regeln der Bibel aufzubauen versucht und sich aus freien Stücken dafür entschieden hat.
 

„Wenn er nie mit dir darüber gesprochen hat, weißt du wahrscheinlich auch nicht, wo sich die Kirche befindet, zu der er immer geht, oder?“, fragt Shadowcat wenig hoffnungsvoll. „Nee, keinen Schimmer. Und die einzige Kirche, die mir je bewusst hier in der Gegend aufgefallen ist, befindet sich etwa eine Meile die Straße runter. Hab aber keine Ahnung, ob die katholisch oder sonst was ist. Ist aber in jedem Fall nicht zu übersehen. Das Ding ist so dermaßen weiß, dass einem die Augen schmerzen.“, erwidert Logan nachdenklich, mit leicht gerümpfter Nase. „Okay, trotzdem danke. Vielleicht schau ich da einfach mal vorbei...“, murmelt sie schon fast und verlässt den zu kurzgeratenen Kanadier dann einfach wieder. Schulter zuckend macht sich Wolverine wieder an die Arbeit.
 


 

3
 

Am nächsten Morgen ist Sonntag und Kitty beendet ihr Frühstück mit einer gewissen Eile, da sie gern vor Kurt an der Kirche sein möchte, was einem echten Kunststück gleichkommt. Schließlich kann sich der Teleporter innerhalb eines Sekundenbruchteils durch den Raum bewegen, während sie zu Fuß gehen muss. Allerdings macht ihr das nicht wirklich etwas aus. Das Wetter ist einfach herrlich für einen kleinen Spaziergang, selbst wenn sie nicht die Lösung des Rätsels finden sollte. Logan hatte aber in jedem Fall recht. Die Kirche ist wirklich nur knapp eine Meile vom Anwesen der X-Men entfernt und sie ist so weiß, dass ihr die Augen davon schmerzen.
 

Das Gebäude, dessen Eingang von römischanmutenden Säulen umgeben wird, wirkt mit seinem reinen Glanz richtiggehend fehl am Platz – nicht nur hier, sondern in ganz Amerika, wenn nicht gar der ganzen Welt, wie ihr scheint. Es kommt ihr eher so vor, als wäre es hier einfach so hierhin gebeamt worden – aus einer anderen Dimension, jenseits aller bekannten Sterne und Welten, in der es nichts Schlechtes, nichts Dunkles zu geben scheint. Das Weiß leuchtet praktisch von innen heraus und kein einziger Schmutzfleck verunstaltet die Fassade, ganz so, als wäre die Kirche gerade erst fertiggestellt worden und kein Lebewesen hat sie bisher betreten oder auch nur angeschaut. Würde in ganz New York der Strom ausfallen, würde dieses Gebäude dennoch in der Dunkelheit strahlen und den verwirrten Menschen den Weg weisen, so wie der Stern von Bethlehem den drei Königen den Weg zum Jesus-Kind wies. Falls es wirklich einen Gott gibt, der hoch über ihnen in den Wolken sitzt, dann würde sich Kitty nicht wundern, wenn er dieses Bauwerk selbst von so hoch oben erblicken könnte. Es ist auf seltsame Weise wunderschön und dennoch irgendwie erschreckend. So ähnlich würde sie sich wohl das Schloss der Eiskönigin vorstellen, die ihr als kleines Kind den ein oder anderen Alptraum gebracht hat. Umgeben von Unmengen Schnee muss die Kirche hingegen kaum zu sehen sein und diesen Anschein nur noch bekräftigen.
 

Ungewollt gleitet ein kalter Schauer ihren Rücken hinab und sie schüttelt sich leicht, obwohl es ein angenehm warmer Vormittag ist. Lange kann sie sich jedoch nicht mit dem Gedanken befassen, da nimmt sie etwas Dunkles wahr, das plötzlich vor der Kirche auftaucht. Als sie genauer hinschaut, erkennt sie, dass es sich dabei um Kurt handelt. Also ist das hier wohl ein Volltreffer! Vorsichtig und gebückt hockt Nightcrawler hinter einer der Säulen und blickt sich verstohlen um, ob ihn jemand sehen könnte. Die Türen der Kirche sind bereits geschlossen, obwohl bis zum Beginn der Messe eigentlich noch mindestens zehn Minuten Zeit sein sollten. Das scheint auch den Elfen leicht zu verwundern. Flink huscht er zur Tür hinüber und betrachtet einen dort angebrachten Zettel, woraufhin er etwas ratlos wirkt. Dennoch erklimmt er anschließend die blütenweiße Wand, wie eine überaus große Spinne, und verschwindet in einem kleinen Fenster unterhalb des Dachs, auf dem sich ein schmuckvoller Glockenturm befindet.
 

Die Neugierde der Brünetten wird dadurch nur noch mehr entfacht. Geschwind huscht auch sie zu den Stufen hinüber und liest den Anschlag. Er verkündet, dass hier heute eine Hochzeit stattfinden und die Messe erst anschließend abgehalten wird. Kittys Augen werden ganz groß. Eine Hochzeit? Oh, wie wundervoll ist das denn? Welch ein Glück sie doch hat, ausgerechnet heute hergekommen zu sein! Vorfreudig hüpft sie von einem Bein aufs andere. Allerdings bedeutet eine Hochzeit auch eine geschlossene Gesellschaft, wie ihr dann klar wird. Andererseits muss es einen Platz geben, von dem aus Kurt wöchentlich die Messe beobachten kann, ohne gesehen zu werden. Mit Sicherheit ist dort auch noch ein Eckchen für sie frei. Sie muss den Blauhäutigen nur finden.
 

Prüfend sieht sie sich daher um, ob sie auch niemand beobachtet, und phast dann in die Wand hinein. Sie landet zu ihrem Glück direkt hinter einem riesigen Blumengesteck und blickt sich daher fasziniert in dem großen Saal um, der sich vor ihr ausbreitet. Auch im Innern der Kirche herrscht die strahlend weiße Farbe vor. Die Bänke sind zudem mit fast schwarzem Ebenholz eingefasst. Ein dunkelroter Teppich verläuft den Mittelgang bis ganz nach vorn zum Altar entlang. Alles ist festlich geschmückt. Überall finden sich Blumen und Girlanden. Der Altar ist präzise mit kleinen Punktstrahlern ausgeleuchtet und aus hellem Buchenholz gefertigt. Dahinter befinden sich aufwändig gestaltete Buntglasfenster, die verschiedene Bibelszenen und Symbole zeigen, durch die das Sonnenlicht einen fast schon mystischen Schein in allen Regenbogenfarben auf den Altar wirft. Die Hochzeitsgäste haben sich bereits fein herausgeputzt auf den Bänken verteilt und tuscheln leise miteinander. Ein Priester in seiner reich verzierter Festrobe steht auf dem Altar und lässt den Blick über seine Schäffchen schweifen. So wie es aussieht, wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis Braut und Bräutigam die Bildfläche betreten.
 

Auf einer kleinen Erhöhung neben dem Altar steht eine prachtvolle gold-weiß gestaltete Orgel, deren Spieler nun sanft die Tasten anschlägt, um die Gäste auf das Bevorstehende einzustimmen. Noch ist es allerdings nicht der Hochzeitsmarsch, doch Kitty ist sich sicher, dass er als nächstes ertönen wird. Von daher sollte sie schnell herausfinden, wo sich Kurt versteckt hat und sich zu ihm gesellen. Suchend schaut sie sich um, kann aber nichts entdecken. Andererseits wird sich der junge Mutant ganz sicher auch ziemlich gut verstecken, damit ihn niemand sieht und dadurch Panik bekommt.
 

Nach einem Moment entdeckt sie eine Tür neben dem Eingang, durch die ganz sicher das Brautpaar treten und sie dann sehen wird. Vielleicht kommt sie von da aber auch dorthin, wo sich Nightcrawler versteckt? In jedem Fall muss sie sich beeilen. Geduckt verlässt Shadowcat ihre Deckung und verschwindet in dem angrenzenden Flur. Hier sieht sie weitere Türen. Eine ist tatsächlich das Brautzimmer. Eine andere führt zu einer Empore hinauf, die sich links und rechts des großen Salles befinden. Das wäre sicher ein ziemlich guter Platz, selbst wenn sie den Elfen nicht finden sollte. Die Empore ist von einem weißen, engmaschigen, reich verzierten Holzzaun umgeben, der sie unsichtbar machen wird, es ihr aber ermöglicht, alles dort unten zu beobachten.
 

Eilig phast sie sich durch diese Tür und erklimmt dann leise die Stufen zur Empore, während unter ihr nun tatsächlich der Hochzeitsmarsch einsetzt und der Bräutigam seinen Platz am Altar einnimmt. In wenigen Augenblicken wird die Braut vortreten, und das will sie auf keinen Fall verpassen. Schnell phast sie sich durch eine weitere Tür und steht dann direkt auf der Empore linker Seite. Auch hier oben ist alles so dermaßen weiß, dass es richtiggehend unwirklich erscheint. Daher ist es auch absolut nicht schwer, Nightcrawler in der hintersten Ecke hocken zu sehen. Aufgeregt tippelt sie zu ihm hinüber und hockt sich neben ihn.
 

Verständlicherweise erleidet der Blauhäutige dadurch fast einen Herzstillstand, ehe er bemerkt, dass es sich nur um Kitty handelt. „Kätzchen?! Was, in aller Welt, machst du denn hier?“, flüstert er atemlos. „Ich habe dich gesucht. Doch jetzt sei bitte still, die Braut kommt!“, flötet die junge Frau aufgeregt und kann dabei kaum stillsitzen. Ihre Augen leuchten wie die eines Kindes am Weihnachtsmorgen. Verwundert legt Kurt die Stirn in Falten und betrachtet sie einen Moment. Dann lächelt er sanft und blickt ebenfalls hinunter.
 

Erst in der Pause zwischen der Hochzeit und der Messe erhebt Nightcrawler wieder das Wort. „Was machst du wirklich hier,Kätzchen?“ „Wie ich schon sagte, ich habe dich gesucht.“, erwidert sie noch immer mit seligem Ausdruck in den Augen. „Warum?“, fragt der Jüngere. „Naja. Ich wollte wissen, was du jeden Sonntag machst, wenn du still und heimlich verschwindest, und Logan konnte es mir nicht sagen. Er meinte aber, dass du vielleicht in die Kirche gehst.“, gibt sie zurück. „Und bei all den vielen Kirchen in New York hast du es tatsächlich geschafft meine zu finden?“, will er nur noch irritierter wissen. „Zum Glück nicht. Aber das hier war die einzige Kirche, die Logan kannte, und ich dachte mir, ich fange damit einfach mal an.“, meint sie Schulter zuckend. „Soso. Ist deine Neugierde damit jetzt also befriedigt?“, meint er lächelnd. „In jedem Fall! Ich hätte mir wohl keinen besseren Tag dafür aussuchen können. Die Hochzeit war so unglaublich schön! Wann ist die nächste?“
 

„Nun, eigentlich finden Hochzeiten normalerweise nur unter der Woche oder am Samstag statt. Das heute war eine Ausnahme, weil es sich um die Tochter eines Politikers gehandelt hat, der dafür die ganze Kirche gemietet hatte, um möglichst ungestört zu sein. Von daher kann ich es dir nicht sagen. Es war die erste Hochzeit, die ich hier überhaupt gesehen habe, weil ich ja eigentlich nur zur Messe oder an Feiertagen herkomme.“, erwidert Kurt entschuldigend. „Oh, wie Schade...“, schmollt Kitty leicht. „Mach dir nichts draus. Die Messe ist auch sehr schön. Alle zwei oder drei Wochen findet dabei auch immer eine Taufe statt. Das ist oftmals recht amüsant, wenn die Babys keine Lust darauf haben. Zwar ist dann alles nicht so aufwändig geschmückt, aber in ihren weißen Kleidchen sehen die Kinder wie kleine Engel aus.“ „Hm, dass klingt auch hübsch. Vielleicht komme ich ja noch ein paar Mal mit, um es mir anzusehen. Wenn du nichts dagegen hast, selbstverständlich.“ „Du bist jederzeit herzlich willkommen!“, versichert ihr der Elf ehrlich erfreut, während unter ihnen die Messe beginnt.
 


 

4
 

Am nächsten Sonntag teleportiert sich Nightcrawler zusammen mit Shadowcat zur Kirche. Erneut beziehen sie heimlich Position auf der Empore und blicken auf das Geschehen unter sich hinab. Zu Kittys sichtlicher Enttäuschung findet jedoch keine neuerliche Hochzeit statt. Was sie sich durch Kurts Worte ja hätte denken können, aber dennoch war die leise Hoffnung in ihr vorhanden. Nicht einmal eine von denen von Nightcrawler angedeuteten Taufen zeigt sich ihnen heute. Sie stößt ein stummes Seufzen aus. Da kann man wohl nichts machen. Dennoch will sie dem Elf die Messe nicht verderben und bleibt bei ihm hocken. Vielleicht ist das Ganze ja doch nicht so trocken, wie sie es sich in ihrer diesbezüglichen Unwissenheit oder Erinnerungen aus ihrer Kindheit vorstellt?
 

Der Priester ist zwar nicht mehr der Jüngste und er wirkt etwas unsicher, als er sich zum Altar begibt, doch seine Augen sind strahlend, offen und zeugen von einer Energie, die kaum zu glauben ist. Trotz seiner ältlichen Haltung wirkt er dadurch äußerst fähig und angergiert. Seine Gemeinde betrachtet ihn voller Ehrerbietung und Vorfreude. Als der schwarzgekleidete Mann nun die Stimme erhebt, ist sie so kraftvoll und durchsetzungsfähig, wie die eines strengen Lehrers. Und dennoch wirkt sie unfassbar sanft, richtiggehend liebevoll. Als die Brünette kurz den Blick zu dem Blauhäutigen neben sich schwenkt, kann sie in seinem Gesicht die gleiche Begeisterung erkennen, die auch die Leute auf den Bänken ergriffen hat. Noch kann sie selbst dem wenig abgewinnen und kommt sich daher schon etwas fehl am Platz vor. Sie spielt sogar etwas mit dem Gedanken, nächsten Sonntag nicht mehr herzukommen und Kurt zu bitten, ihr doch Bescheid zu geben, sollte eine Taufe oder Hochzeit stattfinden. Würde sie damit die Gefühle des Elfen verletzen? Da ist sie sich nicht ganz sicher, verdrängt den Gedanken aber erst einmal, um der Predigt zu folgen, damit Nightcrawler nicht merkt, wie abgelenkt sie ist.
 


 

5
 

Wohlwollend betrachtet Pater James seine versammelte Gemeinde einen Moment lang. Stillschweigend zählt er Gesichter und ist wie immer sehr zufrieden, bezüglich des zahlreichen Erscheinens seiner Schäfchen. Gewichtig schlägt er seine große Bibel auf, überfliegt kurz den dargelegten Text und blickt dann wieder die vor ihm sitzende Menge an. Als er den Mund öffnet, schallt seine überraschend kräftige Stimme durch den ganzen Saal und dringt in die Seelen und Herzen der Anwesenden ein, um ihnen die Worte des Herrn tief zu verinnerlichen.
 

„Liebe Brüder und Schwestern, unsere heute Predigt steht unter dem Titel der zweiten Todsünde, der Habgier!“, verkündet er fast schon unheilvoll, woraufhin die versammelten Leute ein fast schon erschrockenes Seufzen ausstoßen. „Hierzu möchte ich zu erstmal ein paar Worte aus der heiligen Schrift an euch richten.“, flüchtig senkt er den Blick in das große Buch, um gleich darauf wieder aufzuschauen. „Wir haben nichts in die Welt mitgebracht, und wir können auch nichts aus ihr mitnehmen. Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen. Wer aber reich werden will, gerät in Versuchung und Schlingen, er verfällt sinnlosen und schädlichen Begierden, die den Menschen ins Verderben und in den Untergang stürzen. Denn die Wurzel aller Übel ist die Habsucht. Nicht wenige, die ihr verfielen, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich viele Qualen bereitet.“, rezitiert der Pater und schweigt dann einen Moment, um es wirken zu lassen. Wieder geht ein beinahe angstvolles Raunen durch die Menge, die ganz seinen Worten verfallen zu sein scheint.
 

Für Kitty ist das zwar alles etwas fremd, auch wenn es im jüdischen Glauben viel Gleiches gibt, aber selbst sie kann nicht abstreiten, dass dieser Mann durchaus etwas Mitreißendes an sich hat, was es schwer macht, ihm nicht zuzuhören. Kurt neben ihr wirkt völlig gefangen, fast so, als wäre er hypnotisiert worden. Dadurch fragt sich die junge Frau schon ein bisschen, ob er überhaupt mitbekommen würde, wenn sie jetzt aufstehen und einfach gehen würde. Leicht schmunzelt sie in sich hinein. Nein, dass wäre wirklich gemein. Und das Ganze ist nun bei weitem nicht so schlimm, wie sie es sich vielleicht hätte vorstellen mögen. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie sich davon bekehren lässt oder dergleichen, und daher will sie schon an ihrem Plan festhalten und nicht mehr zur Messe mitkommen. Wie Logan schon sagte, ist so was etwas ziemlich Privates und so soll Kurt es auch ungestört genießen können.
 

„Das sind Worte des alternden Apostel Paulus an seinen Schüler Timotheus. Paulus hat seine Erfahrungen mit Menschen gemacht, die der verfluchten Sucht nach Geld verfallen sind: Sie wurden von ihrer Gier aufgefressen, verlieren alle Freude an Gott, haben kein Mitgefühl mehr mit ihren Mitmenschen und stürzen unweigerlich ins eigene Verderben. Dabei ist es eigentlich so leicht, die entscheidende Einsicht zu gewinnen, die dem Strudel der Habgier entkommen lässt: Du kannst nichts mitnehmen, das letzte Hemd hat keine Taschen. Aber irgendwie kann man dieses Wissen doch auch wieder verdrängen, es wirkt jedenfalls kaum.“, führt James weiter aus und mustert seine Gemeinde mahnend. „Weh euch, die ihr seid reich; denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“, zitiert er nun wieder aus der Bibel. Die Menschen hängen gebahnt an seinen Lippen, wie man es sonst wohl nur aus schlechten Filmen her kennen mag.
 

„Jesus malt im Gleichnis das Schicksal des Habsüchtigen nach dem Tode aus. Es ist töricht, seine Lehre als Drohbotschaft zu verunglimpfen und totzuschweigen. Unser Leben auf der Erde ist endlich, nach dem Tod beginnt das ewige Leben, dessen Unendlichkeit unsere besten Kräfte jetzt schon mobilisieren sollte. Das letzte Hemd hat keine Taschen! Wir können nichts mitnehmen! Einzig unsere guten Taten nehmen wir mit. Sie sind gleichsam die Währung, mit dem im Reich Gottes gehandelt wird. Mit der praktischen Nächstenliebe bauen wir an unserer Zukunft...“
 

Während die Menge und auch die beiden X-Men gefangen in seinen Worten sind, merkt keiner von ihnen, wie sich die großen Türen der Kirche langsam öffnen und zwei junge Männer richtiggehend hineinschleichen. Der Priester ist sich dessen aber durchaus bewusst, hat er doch als Einziger einen direkten Blick auf den Eingang. Er denkt sich allerdings nichts Besonderes dabei. Es kommt immer mal wieder vor, dass ein paar Schäfchen verspätet zur Messe erscheinen. Von daher ignoriert er die Tatsache erst einmal. Dennoch huscht für eine Sekunde leichte Skepsis über seine Augen hinweg, sind ihm die beiden Männer doch völlig fremd. Ungerührt spricht er trotz alledem seine Predigt zu Ende und entlässt seine Gemeinde dann in diesen sonnigen Mittag hinaus.
 


 

6
 

Lächelnd schüttelt James die Hände jedes einzelnen seiner Gemeindemitglieder, als sich diese geordnet zur Tür hinausbegeben. Schlussendlich sind nur noch die beiden Fremden übrig, die abermals seine Aufmerksamkeit erwecken. Langsam erheben sie sich von der letzten Bank und schlendern dann großspurig auf den Geistlichen zu. „Na, Pater, was geht ab?“, fragt er der eine lässig. Zwischen seinen grinsend entblößten Zähnen klemmt keck ein Streichholz. Er trägt zudem eine schwere Lederjacke mit unzähligen Nieten und Reißverschlüssen. Seine blankpolierten, schwarzen Motorradstiefel hallen dumpf auf dem roten Teppich. Kichernd folgt ihm sein Kollege in einer ganz ähnlichen Kluft, nur das er unablässig ein Sturmfeuerzeug aufschnappen lässt.
 

Sichtliches Unbehagen kommt in dem Älteren hoch und er weicht unbewusst einen Schritt zurück. „Die Messe ist zu Ende, von daher würde ich die Herren bitten jetzt zu gehen.“, setzt er nervös an. Von der Empore aus beobachten die beiden X-Men das Geschehen. Für sie wirkt es ganz so, als wenn das kein gutes Ende nehmen wird. Verständlicherweise ist Kurt bei solch einem Frefel außer sich. Sie müssen etwas unternehmen, dass ist ihm klar. Das denkt sich auch Kitty. Doch was? Die beiden Typen wirken nicht gerade ungefährlich, was die junge Frau nicht unbedingt sonderlich stört. Als X-Men sind sie immerhin darauf trainiert Konfrontationen einzugehen, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Sie könnte sie mit Sicherheit auch irgendwie außer Gefecht setzen. Allerdings glaubt sie nicht, dass Nightcrawler die beiden ungestraft davonkommen lassen würde. Bisher hat sie ihn noch nie so erzürnt gesehen, und es ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis er alles vergisst und etwas Dummes macht, was vielleicht nicht einmal verwunderlich wäre, wo doch Logan sein Lehrer ist und der Kanadier nicht gerade ein Vorzeigebeispiel für Beherrschung und logisches Handeln ist.
 

Wenn sie Kurt allerdings sehen, werden sie sofort wissen, dass er ein Mutant ist und das könnte ein großes Problem , nicht nur für die beiden X-Men, nach sich ziehen, sondern im schlimmsten Fall alle Mutanten wieder einmal als etwas Schlechtes abstempeln, wie es in der Vergangenheit schon mehrfach der Fall war. Und das wäre genau das, was die X-Men immer zu vermeiden gedenken, versuchen sie doch nur, sich irgendwie in die Gesellschaft einzufügen, die sie von vornherein ablehnt. Untätig wird der Elf die Szene aber ganz sicher nicht verlassen wollen. Also muss ihr etwas einfallen, um das Ganze so schnell und unauffällig wie möglich durchzuziehen.
 

Während sie nahezu fiberhaft überlegt und Kurt dabei an Ort und Stelle zu halten versucht, spitzt sich die Szene unter ihnen nur noch weiter zu. „Haste gehört? Der Pater will uns loswerden!“ „Yeah, das ist aber gar nicht nett von ihm. Das kostet!“ „Genau, also her mit der Kohle aus der Kollekte, Freundchen!“ „Sonst blüht dir was!“, verkündet der zweite Kerl, steckt sein Feuerzeug weg und zieht stattdessen ein Schnappmesser aus seiner Jacke. Mit einen hellen Plink!, das sich im großen Saal erschrecken laut anhört, springt es aus dem Schaft heraus. „Oh, gütiger Gott...“, entkommt es James hilflos. „Der kann dir auch nicht helfen, Alterchen!“, tönt der Typ mit dem Streichholz im Mund und zieht ebenfalls ein Messer. Drohend kommen die beiden ihm immer näher.
 

„Kitty!“, fleht Nightcrawler sie eindringlich an. „Ja, ist ja gut! Ich werde sie entwaffnen und du schaffst sie dann weg.“, bestimmt Shadowcat kurzerhand. Eilig steht sie auf, phast sich durch das Geländer der Empore und landet dann genau vor den beiden Kerlen auf dem Boden. Überrascht zucken diese einen Schritt zurück, ehe sie breit zu grinsen beginnen. „Schluss mit dem Unfug!“, gebärt sich die Brünette. „Na sieh mal einer an, was wir da Nettes haben!“, flötet der eine und leckt sich vielsagend über die Lippen. Sein Kumpel grinst so dreckig, dass Kitty ein angewiderter Schauer über den Rücken jagt. „Wenn du brav bist, kriegst du was ganz Tolles von mir, Süße!“ „Vergiss es! Ich will nur eine Sache von euch beiden.“, meint sie grimmig. Eine Sekunde später phast sie ihre Finger durch die Hände der beiden Männer und versucht ihnen damit die Messer abzunehmen.
 

Erschrocken reißen die zwei die Augen auf. „Scheiße, was soll das?“ „Die ist ein Scheiß-Mutant!“, entkommt es ihm stockend. Hilflos lassen sie die Messer los und weichen vor ihr zurück. „Wir wollen keinen Ärger mit dir, Schätzchen...“, gibt der Typ mit dem Streichholz von sich, wobei seine Stimme einen Tonfall angenommen hat, als fürchte er, er hätte sich nun mit irgendetwas von ihr angesteckt und könnte jeden Moment ebenfalls mutieren. Herzlichst lächelt ihnen die junge Frau entgegen. „Oh, mit mir bekommt ihr keinen Ärger, Jungs.“, flötet sie vergnügt und gibt Kurt damit sein Stichwort.
 

Dieser teleportiert sich hinter die beiden Männer und legt ihnen die Hände auf die Schultern. „Den Ärger gib es von mir, Freunde!“, knurrt er zornig und verschwindet sogleich mit den Gaunern in einer beißenden Schwefelwolke. Sekunden später tauchen die drei wieder auf. Schnell wird die beiden Typen klar, dass sie nun vom Dach des Glockenturms baumeln. „Scheiße!“ „Was soll der Mist?“ „Ihr hättet pünktlich sein und euch die Predigt anhören sollen, Freunde. Dann wüsstet ihr jetzt, dass Habgier eine Todsünde ist.“, ertönt auf einmal eine düstere Stimme über ihnen, die unter normalen Umständen keine Ähnlichkeit mit der Tonlage des friedfertigen Elfen hätte. Angestrengt wenden sie den Blick hinter sich und stellen mit Entsetzen fest, dass sie von einem blauen Teufel im Genick festgehalten werden!
 

„Um Gottes willen...“, entkommt es dem einen stockend, während sein Kumpel nur noch blasser wird. Zornig beginnt Nightcrawler zu knurren. „Wag es nie wieder den Namen des Herren in den Mund zu nehmen, elender Sünder!“ „Werd‘ – werd‘ ich nicht...“ „Und wagt es ja nicht noch einmal diese Kirche zu betreten, denn sonst werde ich wirklich wütend!“, faucht Kurt, wie eine streitsüchtige Katze, und teleportiert sich wieder mit ihnen davon. Einen Wimpernschlag später finden sie sich im Stadtpark wieder. Kurt kauert auf der Spitze eines Fahnenmastes, der in der Mitte eines großen Teichs steht. „Merkt euch meine Worte: Gott sieht alles und bestraft eure Sünden!“, raunt ihnen der Blauhäutige entgegen und lässt sie dann einfach ins kalte Wasser fallen. Noch ehe die zwei wieder an die Oberfläche kommen, ist der schaurige Teufel auch schon wieder verschwunden und die Gauner sich nicht sicher, ob sie sich das Ganze vielleicht nur eingebildet haben, weil sie vor der Aktion ein paar Pillen eingeworfen hatten...
 


 

7
 

Derweilen versucht der Priester irgendwie wieder Worte für das zu finden, was sich gerade vor seinen Augen abgespielt hat. Langsam dreht sich die Brünette zu ihm herum. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragt sie leicht besorgt, woraufhin James erleichtert die angehaltene Luft ausstößt. „Ja, Kindchen. Es geht mir gut und das habe ich nur dir zu verdanken!“, strahlt er begeistert und streckt ihr unbedarft die Hände entgegen, um die ihren zu ergreifen, obwohl er gerade gesehen zu glauben schien, dass dieses Mädchen die zwei Gauner durch bloße Berührung hat verschwinden lassen. Doch seine Erleichterung ist im Augenblick zu groß, um sich darüber ganz im Klaren zu sein. Etwas verlegen lässt Kitty es geschehen. „Oh, aber nicht doch! Das war nicht nur allein mein Verdienst...“, setzt sie an. Kaum wahrnehmbar hört si hinter sich in der dunklen Ecke des Eingangs, wie Kurt wieder zurückkommt und das Geschehen still beobachtet.
 

Innerlich hadert sich mit sich. Nightcrawler gebührt ebenfalls Dank und diesen würde sie ihm nur zu gern zuteilwerden lassen. Allerdings weiß sie beim besten Willen nicht, wie der Pater darauf reagieren würde, wenn plötzlich ein blauer Teufel vor ihm steht. Es ist eine echte Zwickmühle. Andererseits können sie sich nicht für den Rest ihres Lebens verstecken. So etwas ist vollkommen unmöglich, auch wenn der Elf das vielleicht manches Mal anders sieht. Bei seinen Erfahrungen nur allzu verständlich, dennoch...
 

„So?“, fragt der alte Mann verwundert, hat er doch außer dem Mädchen niemanden gesehen. „Ja. Mein Freund hat die beiden Männer weggebracht. Haben Sie das nicht bemerkt?“, fragt sie vorsichtig. Einen Moment schweigt der Geistliche. „Ich habe irgendetwas bemerkt und dann waren die beiden plötzlich weg. – Doch sie haben dich als Mutant beschimpft und da dachte ich, dass du etwas mit ihrem Verschwinden zutun hattest...“ „Nein. Ich habe ihnen lediglich die Messer abgenommen. – Aber ja, ich bin ein Mutant und mein Freund ebenfalls. Von daher würde ich gern wissen, ob Sie ein Problem damit haben? Wenn ja, werden wir selbstverständlich sofort gehen.“, flehend betrachtet sie ihn.
 

Ein etwas unsicheres Lächeln ziert seine Lippen, dennoch hält er weiterhin sanft ihre Hände umfasst. „In meinen Augen sind wir alle Geschöpfe Gottes. Und die Tatsache, dass die Welt euch als Mutanten beschimpft, macht mir nur deutlich, dass es etwas gibt – einen großen Plan des Herrn –, dessen Weg ihr schon beschritten habt, wogegen wir noch darauf warten müssen, uns dort einfügen zu können. Von daher habe ich kein Problem mit Mutanten, solange sie mir wohlgesinnt sind. Und ich denke, ich kann noch viel weniger gegen irgendeinen von euresgleichen haben, wenn ihr ungerührt meine Messe und dieses Haus Gottes betretet, um eurem Glauben nachzugehen, mein Kind.“ „Das freut mich wirklich zu hören. Allerdings muss ich gestehen, dass ich nicht so sehr Ihrem Glauben folge. Ich bin eigentlich Jüdin. Ich habe lediglich meinen Freund begleitet, der dafür aber mit ganzem Herzen Eurem Rufen folgt.“ „Das freut mich wirklich zu höre, mein Kind. Aber wo ist dein Freund denn jetzt? Ich würde mich zu gern auch bei ihm bedanken.“
 

„Er ist hier. Dort hinten im Schatten. Er ist allerdings sehr scheu. Wenn Sie ihn sehen, werden Sie verstehen, warum. Es ist nicht zu übersehen, dass er ein Mutant ist und hier vielleicht gar nicht hergehören mag...“ Ihre Stimme klingt regelrecht entschuldigend, wie er feststellt, weshalb er sich nicht sicher ist, was ihn erwarten könnte. Im Laufe der letzten paar Jahre hat er öfter mal Mutanten gesehen, besonders wenn sie Schlagzeilen gemacht haben, was sich bei ihresgleichen kaum vermeiden lässt. Einige davon sahen schon speziell aus oder konnten die unglaublichsten Dinge vollbringen. Dennoch hat man ihnen stets auch ihre Menschlichkeit angesehen. Also denkt er nicht, dass ihn dieser Junge abschrecken kann. „Denkst du, dass er dennoch zu uns kommen würde?“
 

Vorsichtig wendet Kitty den Blick zum Eingang. Ganz tief dort in den Schatten kann sie kurz Nightcrawlers Augen funkeln sehen. „Ich denke schon, dass er das möchte, oder es sich zumindest wünscht.“ „Gut, dann sollten wir ihn zu uns kommen lassen.“ James tritt zwei Schritte näher zum Eingang hin und verweilt dann. „Junge...“, fängt er an. „Er heißt Kurt.“, fügt Shadowcat leise hinzu. „Sehr gut! Kurt, möchtest du nicht zu mir kommen, damit ich mich bei dir für die Hilfe bedanken kann?“, die grenzenlose Güte in seiner Stimme treibt dem Elfen fast die Tränen in die Augen. Undeutlich kann der Geistliche sehen, wie sich etwas tief in die Schatten zu bewegen scheint.
 

„Ich – ich würde gern herüberkommen. Doch ich fürchte, dass Sie sich vor mir erschrecken werden. – Ich – ich wirke hier doch sehr fehl am Platz...“, erwidert der Blauhäutige traurig aus der Dunkelheit heraus. „Oh, denke so etwas nicht, mein Sohn. Wie ich deiner Freundin...“ „Kitty.“, wirft besagtes Mädchen ein, woraufhin der Ältere verstehend nickt. „Wie ich Kitty schon gesagt habe, sind mir alle Wesen Gottes gleichermaßen willkommen. Und ich habe auch schon den ein oder anderen Mutanten gesehen. Also musst du dich nicht scheuen.“
 

Eine ganze Weile tut sich nichts und die Brünette denkt schon, dass Nightcrawler es einfach nicht übers Herz bringen kann. Dann löst sich plötzlich ganz langsam und tief am Boden gehalten – wie ein pirschendes Raubtier oder ein sehr ängstlicher Hund – eine Gestalt aus den Schatten. Je mehr sich von ihm zeigt, desto größer werden die Augen des Priesters. So etwas hat er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen – höchstens in schrecklichen Alpträumen, die ihn verfolgten, als er sich noch nicht sicher war, ob er das Priesteramt überhaupt ausüben kann, ob sein Glaube dafür stark genug ist. Der junge Mutant sieht aus wie ein blauer Teufel. Keine Frage wirkt er damit völlig unpassend in einer so reinen Kirche, wie dieser hier, und James kann nur froh sein, dass seine Gemeinde schon gegangen ist. Würden sie ihren geistlichen Führer mit so einem Wesen sprechen sehen, würden sie wahrlich vom Glauben abfallen, völlig egal, dass Kurt ihn gerade gerettet hat oder nicht. Nervös betrachtet ihn Kitty, gleichermaßen mustert sie auch Kurt, der jederzeit zur Flucht bereit scheint und damit wieder genauso aussieht, wie damals, als er sich versucht hat, Charles zu nähern.
 

„Heiliger Vater...“, entkommt es James ungewollt flüsternd, er kann es einfach nicht unterdrücken, so sehr er es auch versucht. Er schluckt schwer. ‚Welch Prüfung erlegst du mir auf, oh Herr?‘, geht es ihm durch den Kopf, ohne zu wissen, dass Kurt ganz ähnliche Gedanken hat. Bei seinen Worten verharrt Nightcrawler nahezu erschrocken, setzt sich auf allen Vieren nieder und ringelt den langen Schweif wie eine übergroße Katze um sich. Ein tiefes Flehen liegt in den seltsam leeren, gelben Augen des Jungen, die aber so viel Güte und Furcht gleichermaßen auszustrahlen scheinen.
 

Etwas hilflos lässt Kitty den Blick zwischen den beiden hin- und herwandern und hofft inständig, dass das die richtige Entscheidung und alles gut für sie ausgehen wird. Andernfalls blüht ihnen nicht nur von Charles jede Menge Ärger.
 

Leicht unsicher sucht der Geistliche ihren Blick, gibt ein tonloses Seufzen von sich, ehe er sanft lächelt und sich wieder ins Gedächtnis ruft, was die beiden gerade Gutes für ihn getan haben. Mutanten mögen manchmal furchteinflößend oder sogar böse und gefährlich sein, aber diese zwei sind es ganz sicher nicht. Von daher sollte er sich keinesfalls von Äußerlichkeiten abschrecken lassen und auf sein Herz vertrauen, seinen Glauben. Wenn Gott ihm einen blauen Teufel als Schutzengel schickt, dann ist es so und er sollte dankbar dafür sein!
 

Langsam setzt er nun einen Schritt vor den anderen und nähert sich bedächtig dem Elfen. Nightcrawler zuckt leicht zusammen, verharrt jedoch auf seiner Position und macht sich selbst klar, dass dies nicht nur für den Priester eine göttliche Prüfung ist, sondern auch für ihn selbst. Daher versucht er sich zu entspannen. Seine leuchtend gelben Augen mustern den näherkommenden Mann sehr genau. Die dreieckige Spitze seines Schweifs zuckt nervös herum. Genau für solche Arten von Begegnungen hat er jeden Tag, seit seiner Ankunft hier, bis zur völligen Erschöpfung trainiert und gelernt und dies ist nun eine weitere Prüfung, die es zu bestehen gilt. Und Kurt ist sich sicher, dass es bei weitem nicht so schlimm werden wird, wie die Rettung von Dr. Cooper damals im Dschungel.
 

„Hab keine Angst, mein Sohn. Du hast etwas Gutes getan und dafür möchte ich mich herzlich bei dir bedanken.“, setzt James an und bleibt dann etwa einen Meter vor dem X-Man stehen, als er merkt, wie unbehaglich diesem zumute zu sein scheint. Dem Älteren fällt es auch wahrlich schwer, den Blick von der seltsamen Gestalt seines Retters abzuwenden und genau das löst sicher auch dessen sichtliches Unbehagen aus.
 

„Ich meine nicht, dass ich einem solchen Auftrag aus eigener Kraft gewachsen bin und mir irgendetwas selbst zuschreiben kann. Gott ist es, der mir die Fähigkeit dazu geschenkt hat.“, erwidert Nightcrawler bescheiden und deutet eine Verbeugung an. Lächelnd tritt der Priester näher heran und streckt die Hände aus. „Ich wünsch dir, dass du erfahren mögest, dass alles, woran du gelitten hast, nicht vergeblich gewesen ist, und dass dir Kräfte zuwachsen, deine Begabungen zu entfalten und die Beziehungen zu Menschen heilvoll und fruchtbar zu gestalten.“, entgegnet er ihm liebevoll. Auf Kurts Gesicht breitet sich ein scheues Lächeln aus. Ganz vorsichtig ergreift er die dargebotenen Hände und lässt sich von dem anderen Mann dann aufhelfen. Die Güte und Herzlichkeit in den braunen Augen scheinen grenzenlos und lassen den Elf all seine Bedenken verlieren.
 

Vielen Dank, Vater!“, meint der Teleporter ergeben. Und obwohl sich James nicht ganz sicher ist, was die fremden Worte des Jungen bedeuten, findet er die Antwort doch in dessen offenem Gesicht. „Mein Dank gilt ganz dir, Kurt. Es war sehr mutig von euch beiden, euch diesen Rabauken in den Weg zu stellen und meine Kirche zu beschützen. Von daher danke ich euch im Namen des Herrn und meiner gesamten Gemeinde. Möge Gott euch auf all euren Wegen begleiten und stets über euch wachen!“
 

Wenig später verlassen die beiden Mutanten zufrieden und glücklich die Kirche und machen sich wieder auf den Weg nach Hause, bereit für ein neues Abenteuer, das sicher nicht lange auf sich warten lässt!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wir haben nichts in die Welt mitgebracht, und wir können auch nichts aus ihr mitnehmen. Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen. Wer aber reich werden will, gerät in Versuchung und Schlingen, er verfällt sinnlosen und schädlichen Begierden, die den Menschen ins Verderben und in den Untergang stürzen. Denn die Wurzel aller Übel ist die Habsucht. Nicht wenige, die ihr verfielen, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich viele Qualen bereitet.
(1. Timotheus Kapitel 6, Vers 7-10)

Weh euch, die ihr seid reich; denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten.
(Lukas Kapitel 6, Vers 24)

Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.
(Matthäus Kapitel 19, Vers 24)

Ich meine nicht, dass ich einem solchen Auftrag aus eigener Kraft gewachsen bin und mir irgendetwas selbst zuschreiben kann. Gott ist es, der mir die Fähigkeit dazu geschenkt hat.
(2. Korinther Kapitel 3, Vers 5)

Ich wünsch dir, dass du erfahren mögest, dass alles, woran du gelitten hast, nicht vergeblich gewesen ist, und dass dir Kräfte zuwachsen, deine Begabungen zu entfalten und die Beziehungen zu Menschen heilvoll und fruchtbar zu gestalten.
(1. Korinther Kapitel 9, Vers 1-18) Komplett anzeigen

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