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Das Geheimnis der Kleeblattinsel

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Buch 2 - Kapitel 10

Buch 2 – Kapitel 10

Aus den Chroniken der Kleeblattinsel:

„Es ist geschafft! Die erste Hürde ist genommen. Unsere Retter haben in Marrakesch das letzte Kartenstück sicher gestellt. Shermine und Mandara haben sich ihnen ebenfalls angeschlossen. Möge ihnen Fortuna weiterhin ihre Gunst erweisen und möge Iduna weiterhin ihre schützende Hand über sie halten.“

Jelenas Palast auf der Kleeblattinsel

Es war ein sonniger Morgen auf der Kleeblattinsel. Jelena war gerade aufgewacht. Seit ihr Liebster zusammen mit den anderen Auserwählten aufgebrochen war, schlief sie nicht mehr so gut wie früher. Die grausamen Bilder, die Jelena in ihren Träumen heimgesucht hatten, waren zurückgekehrt. Die erste Königin Oamarus streckte sich. Dann stand sie auf und trat vor den Spiegel. Und was Jelena sah, gefiel ihr gar nicht. Ihre schönen brünetten Haare waren an einigen Stellen bereits grau. Es klopfte an der Tür des königlichen Schlafgemachs.

„Einen Moment noch!“, rief Königin Jelena.

Rasch zog sie sich ihren roten Morgenmantel aus Chinaseide an.

„Herein!“, sagte die Königin.

Ihr persönlicher Diener betrat den Raum.

„Was gibt es, Jean-Pierre?“, fragte Jelena.

„Mylady, eure Cousine, Königin Wioletta, ist gerade eingetroffen. Sie wünscht euch zu sehen.“

Die erste Königin der Kleeblattinsel nickte.

„Ich zieh mich schnell an, Jean-Pierre. Sag meiner Cousine, dass ich gleich bei ihr bin.“, sagte Jelena.

10 Minuten später kam Jelena in den Audienzsaal, wo Wioletta, die dritte Königin Oamarus auf sie wartete. Die beiden Cousinen umarmten sich.

„Es gibt Neuigkeiten von unseren Liebsten.“, sagte Wioletta.

„Wie geht es ihnen?“

„Sie sind wohlauf.“, sagte Jelenas Cousine. 258

„Iduna sei Dank! Ich mach schon seit Monaten kaum ein Auge zu.“

„Frag mich mal, Cousine. Eliska und Shakira geht es nicht anders.“, sagte Wioletta.

„Gibt es sonst noch was neues, Wioletta?“

„Sie haben Marrakesch vor zwei Tagen verlassen. Jetzt sind sie an Bord der RMS Olympic unterwegs nach Puerto Barrios in Guatemala.“, sagte Wioletta.

Puerto Barrios, Guatemala, 3. Oktober 1916, 9:45 Uhr Ortszeit

In der Hafenstadt Puerto Barrios herrschte an diesem Morgen ein derart geschäftiges Treiben, dass niemand auf die kleine Reisegruppe achtete, die den englischen Passagierdampfer verließ, der um 9:35 Uhr im Hafen angelegt hatte. Die RMS Olympic, betrieben von der White Star Line, war ein imposanter Anblick. Mit ihren 269,04 m Länge war sie größer, als die meisten anderen Passagierschiffe im Hafen. Die Schlepper waren, verglichen mit der Olympic, die reinsten Nussschalen. Die vier gelben Schornsteine stachen schon von weitem ins Auge.

Die kleine Reisegruppe hatte am Bahnhof von Puerto Barrios einen Zug bestiegen, der sie nach Melchor de Mencos bringen sollte, da diese Stadt am nächsten an der alten Mayametropole Tikal, dem eigentlichen Ziel ihrer Reise, gelegen war. Der Zug bestand aus drei Wagen und wurde von einer Schmalspurlokomotive, amerikanischer Bauart, aus dem Hause Baldwin gezogen.

Von dort ging es mit Eselskarren weiter zur alten Mayametropole. Die Reise dorthin dauerte drei Tage, sodass die Gruppe erst am 6. Oktober in Tikal eintraf. Doch nun war guter Rat teuer. Denn wo sollte man den Opal suchen? Da die alte Mayastadt mehrere Tempelkomplexe umfasste, glich die Suche nach dem Edelstein der Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Doch plötzlich geriet Shermine ins Wanken und wäre fast gestürzt, hätte der Schwede sie nicht aufgefangen.

„Ist alles in Ordnung, Shermine?“, fragte er vorsichtig.

„Es geht.“

„Was ist passiert?“, fragte Mandara ihre ältere Schwester.

„Ich hatte gerade eine Art Vision.“

„Was hast du gesehen, Shermine?“, fragte Jewgeni.

„Ich sah den Stein den wir suchen. Er war in einer Art Grabkammer.“ 259

„Hast du auch das Gebäude gesehen, Shermine.“, fragte Phil Taylor.

Shermine zeigte auf einen Tempel.

„Dieses da.“, sagte sie.

„Das ist Tempel IV.“

„Gehen wir rein.“, sagte Mandara.

„Wir sollten aber vorsichtig sein.“

„Wie sieht es eigentlich mit Fackeln aus?“, fragte Dirk in die Runde.

„Wir werden keine brauchen. Das wird uns den Weg weisen.“, sagte Shermine und entzündete ein kleines Irrlicht.

„Ich wusste gar nicht, dass du über magische Kräfte verfügst.“

„Nicht nur ich habe welche. Meine Schwester Mandara besitzt ebenfalls magische Kräfte.“, sagte Shermine zu Lars.

Mandara ergänzte: „Leider reichen unsere Kräfte nicht aus, um unser volles Potenzial zu entfalten.“

Unterdessen hatte Shermine dem Irrleicht den Befehl gegeben, sie und die anderen zum Versteck des Feueropals zu führen. Das kleine Licht sprang die Stufen des Tempels hoch, und die anderen folgten ihm. Es kostete schon einiges an Kraft, um die steile Treppe zu bezwingen, die zum Allerheiligsten des Bauwerks führte: Dem Dachtempel auf der Pyramidenspitze. Oben angekommen verschwand das kleine Irrlicht sofort im Inneren des Heiligtums. Es führte die kleine Gruppe einen langen Korridor entlang, ehe es an einer Weggabelung stehen blieb. Jewgeni, der Russe fand einen kleinen Zettel mit einer Notiz auf dem Boden, den er aufhob. Die anderen sahen ihn fragend an.

„Was steht auf diesem Fetzen Papier?“, fragte der Deutsche.

„Ich les mal kurz vor. Hier steht: „Nur Shermine, darf den Feueropal berühren.“

Das Irrlicht hatte inzwischen seinen Weg fortgesetzt. Allerdings hatten die Worte auf dem Zettel die Auserwählten und die beiden Frauen so verwirrt, dass keiner diesen Umstand bemerkt hatte. Erst als das kleine blaue Lichtwesen wütend zwitschernd über der kleinen Gruppe schwebte, begriffen die Gefährten, was los war. Sie waren gerade im Begriff wertvolle Zeit zu vergeuden.

Shermines Irrlicht führte sie und ihre Freunde einen weiteren Gang entlang, bis es vor einer Steintür stehen blieb. Auf dieser Tür war ein großer ovaler Stein eingemeißelt. 260

„Hinter dieser Tür muss der Feueropal versteckt sein.“, sagte Dirk Hemmler.

„Was macht dich da so sicher?“

„Das Symbol auf der Tür, Jewgeni.“, sagte Dirk.

„Es könnte auch eine Falle sein.“

Diese Warnung kam von Phil Taylor. Der Deutsche drehte sich zu ihm um.

„Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Aber wir müssen es versuchen.“

Mandara trat nach vorne und berührte mit ihrer linken Hand sanft den Stein. Wie von Zauberhand glitten die beiden Hälften des Steins auseinander. Aus der Kammer dahinter glomm ein rotes Leuchten. Dirk Hemmler wollte den Raum betreten, doch Shermine hielt ihn zurück.

„Nicht so schnell. Ich habe ein ungutes Gefühl. Lasst mich und Mandara gehen.“, sagte sie.

Der Deutsche atmete tief durch. Dann schüttelte er den Kopf.

„Ungern.“, sagte er dann.

„Es wird zu gefährlich, wenn wir alle gehen. Ihr habt eine Aufgabe zu erfüllen. Meine Schwester und ich haben nichts mehr zu verlieren.“

Noch ehe Dirk Hemmler etwas sagen konnte, hatte sich Shermine von ihm abgewandt und war auf die Kammer zugegangen. Ihre Schwester folgte ihr. Die vier Freunde blieben zurück. Eine Zeitlang sagte keiner ein Wort.

„Ich hätte Shermine und Mandara nicht gehen lassen dürfen.“, brach Dirk Hemmler das Schweigen.

„Die beiden werden schon wissen, was sie zu tun haben. Außerdem darf nur Shermine den Feueropal berühren. Vergiss das nicht, Dirk.“

Jewgeni hatte diese Mahnung an den Deutschen gerichtet.

Die vier Auserwählten warteten, was anderes blieb ihnen nicht übrig. Nach einer halben Stunde, die den vier wie eine Ewigkeit vorkam, kehrten die beiden Schwestern zurück. Shermine trug auf ihren Händen den Opal, Oamarus Heiligtum. Die vier Freunde waren erleichtert, sowohl den Stein, als auch die beiden Schwestern zu sehen.

„Ein Glück, dass euch nichts passiert ist.“, sagte Lars.

„Wie meine Schwester schon sagte: Wir haben nichts zu verlieren.“

Der Russe schaltete sich in die Konversation ein. 261

„Jetzt, wo wir den Stein haben, sollten wir schleunigst von hier verschwinden.“, sagte Jewgeni.

„Du hast Recht. Machen wir, das wir wegkommen.“

Puerto Barrios, Guatemala, 12. Oktober 1916, 15:45 Uhr Ortszeit

Im Hafen von Puerto Barrios herrschte wieder geschäftiges Treiben. Passagiere, die eine Fahrt über den Atlantik buchen wollten, standen an den Schaltern der jeweiligen Reedereien Schlange. Im Hafen lagen gleich drei große Transatlantikliner. Es waren die France der Compagnie Générale Transatlantique, die Aquitania der britischen Cunard Line und die Imperator der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft. Die France war mit ihren 214 Metern das kleinste der drei Schiffe, während Aquitania und Imperator über 270 Meter lang waren.

Gerade wurde der deutsche Transatlantikliner für die Rückfahrt nach Hamburg fertig gemacht. Die Passagiere gingen an Bord, während ihr Gepäck von den HAPAG-Leuten an Bord gebracht wurde. Die beiden Ladekräne vorn und achtern nahmen Proviant und Kohlen an Bord. Um 16:00 Uhr lief die Imperator aus. Nun begannen die Vorbereitungen zum Auslaufen der France. Auf diesem Schiff schiffte sich die kleine Reisegruppe ein, die am Morgen mit dem Zug in Puerto Barrios eingetroffen war.

Dieser Reisegruppe hatte sich ein Mann an die Fersen geheftet, der sich in Melchor de Mencos aufgehalten hatte. Er trug einen schwarzen Anzug, darüber einen hellbraunen Ledermantel. Dazu trug er einen braunen Krempenhut aus Leder. Den Kragen seines Mantels hatte der Fremde hochgeschlagen, um seine Hörner zu verbergen. Denn es war niemand anderes als Tosh Kamar, der wieder in seiner Verkleidung als Toshiro Kamaru auftrat.

Die kleine Gruppe ging gerade an Bord des französischen Luxusliners, als Mandara den Fremden in der Schlange entdeckte. Rasch warnte sie die anderen.

„Er ist immer noch da.“, sagte sie.

„Wer?“

„Der Mann, dem wir begegnet sind, als wir in Melchor de Mencos den Zug hierher genommen haben. Jede Wette, er verfolgt uns.“, sagte Shermines Schwester zum Engländer.

„Wer mag er wohl sein?“

„Keine Ahnung. Aber mein Instinkt sagt mir, das er Böses im Schilde führt.“, sagte Mandara. 262

Shermine wandte sich an ihre Schwester.

Was macht dich da so sicher?“, fragte sie.

„Du kennst mich Schwester. Ich weiß genau, dass ich mich bei dem Kerl nicht irre. Frag mich nicht wieso.“

Um 17:30 Uhr lief die France aus Puerto Barrios aus. Tosh Kamar, alias Toshiro Kamaru, hatte sich in seine Kabine zurückgezogen. Für ihn war der Zeitpunkt, sich den Auserwählten zu erkennen zu geben, noch nicht gekommen. Damit würde er warten, bis sich die France auf dem Panamakanal befand. Doch es stellte sich die Frage, wie er an die an die Gruppe herankommen sollte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Die übrigen Passagiere und die Besatzung des französischen Luxusliners waren immer irgendwo auf dem Schiff unterwegs, und konnten ihm dazwischen grätschen. Warum, in Idunas Namen, mussten diese Transatlantikliner immer so groß sein?

Auch beim Abendessen ließ er sich blicken. Denn es galt, für Nervosität bei den Freunden zu sorgen. Irgendwann mussten sie einen entscheidenden Fehler machen, der ihm den Feueropal in die Hände spielen würde. Und wenn Tosh Kamar das Allerheiligste in seinen Händen hielt, dann würde er den Opal an der tiefsten Stelle des Ozeans dem Ozean überantworten. So hatte er es sich zumindest vorgenommen.

Nach Einbruch der Dunkelheit ging die kleine Gruppeauf das Achterdeck an die frische Luft. Tosh Kamar folgte ihnen. Er wollte nicht mehr warten, bis sich das Schiff auf dem Panamakanal befand. Außerdem bestand so die Möglichkeit den Auserwählten und den beiden Frauen einen derartigen Schrecken einzujagen, damit sie in aller Hast und Eile den Opal über Bord warfen.

Mandara stand an der Heckreling und starrte auf das Kielwasser der France. Jewgeni, der Russe, stand neben ihr. Shermine saß mit Lars Eric Holm, dem Schweden und dem Deutschen Dirk Hemmler auf einer Bank. Nur einer fehlte. Es war Phil Taylor, der Engländer. Er beschattete Tosh Kamar. Ihm war klar geworden, dass Mandara mit ihrer Vermutung Recht hatte. Und er ahnte warum. Der Fremde wollte den Feueropal, sonst hätte er sich kaum die Mühe gemacht, ihn und seine Gefährten zu beschatten.

Tosh Kamar trat aus einer Seitentür auf das Achterdeck des französischen Schiffes.

„Konbanwa, Mesdames et Messieurs.“, sagte er freundlich.

Shermine drehte sich zu ihm herum.

„Wer sind sie?“, fragte sie dann. 263

„Gestatten sie, dass ich mich vorstelle? Mein Name ist Tosh Kamar. Aber in dieser Welt, können sie mich ruhig Toshiro Kamaru nennen.“

Der Schwede meldete sich zu Wort.

„Was verschafft uns die Ehre, dass sie uns mit ihrer Anwesenheit beehren?“, fragte Lars Eric Holm.

„Ist ihnen meine Gesellschaft etwa lästig?“

„Das haben sie gesagt. Also, was wollen sie wirklich?“, fragte der Schwede noch einmal.

Und dieses Mal war sein Tonfall etwas unfreundlicher. Tosh Kamar musste also mit der Wahrheit rausrücken.

„Sie und ihre Freunde haben etwas in ihrem Besitz, das mir gehört. Händigen sie es mir aus, und ich lasse sie gehen.“, sagte er.

„Den Feueropal?“

„Das haben sie sehr richtig erkannt, Holm San.“, sagte Tosh Kamar.

„Und was machen sie, wenn sie den Opal haben? In den Tempel zurückbringen werden sie ihn sicher nicht.“

„Natürlich nicht. Ich werde ihn an der tiefsten Stelle des Ozeans ins Meer werfen. Dann ist er auf immer verloren, und die Kleeblattinsel wird für immer in den Fluten versinken. Ich will Rache. Und ich lasse mich nicht darum betrügen.“, sagte der böse Herrscher.

„Und die vier Königinnen?“

„Was soll mit ihnen sein, Mr. Holm? Sie werden mit ihrer schönen Insel untergehen. So einfach ist das.“, sagte Tosh Kamar.

Lars Eric Holm wollte schon zu einer Erwiderung ansetzen, als Phil Taylor hinter dem Bösen auftauchte.

„Können sie mir mal verraten, worum es hier geht?“, fragte der Engländer Tosh Kamar.

Dieser wollte zu einem Schlag ausholen, als er „Sofort“, sagte.

Doch er bekam einen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn gegen eine der Metallstreben prallen ließ, die die Stahldecke und die darüber liegende Etage stützten. Tosh Kamar taumelte nach hinten, wurde aber vom Engländer am Kragen seines Mantels gepackt, und bekam noch einmal einen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn gegen die Strebe davor beförderte. 264

Phil Taylor verpasste ihm einen Schlag in die Magengrube, ehe er ihn mit einem „Und Klick Klack, Köpfchen ab“ an die Trennwand beförderte.

Tosh Kamar blieb erst mal am Boden liegen.

„Das werden sie noch bereuen, Taylor San. Das schwöre ich ihnen.“, sagte er.

„An deiner Stelle würde ich mal den Ball flach halten, du Strolch.“

„Seien sie nicht so vorlaut. Ihr wisst wohl nicht, mit wem ihr euch hier anlegt.“, sagte Tosh Kamar.

Doch dann wurde er von Dirk Hemmler unsanft auf die Füße gezogen und bekam einen Schlag ins Gesicht, der ihn wieder zu Boden schickte.

„Ärztliche Diagnose: BRETT VORM KOPF!“, sagte der Deutsche.

Jewgeni kam dazu.

„Probleme?“, fragte er.

„Nur diese nerv tötende Hämorride, da.“

„Den sind wir gleich los, Lars.“, sagte der Russe.

Dann zog er Tosh Kamar an seinem linken Ohr auf die Füße.

„Lümmel dich hier nicht so auf dem Decksboden rum, Durak.“, sagte Jewgeni.

Dann folgte etwas, womit niemand gerechnet hatte. Der Russe warf den Bösen eiskalt lächelnd über Bord.

„Do svidaniya, Arschloch.“, sagte Jewgeni.

Mit einem lauten Klatschen schlug Tosh Kamar auf der Wasseroberfläche auf.

„Den wären wir los.“, sagte Lars Eric.

„Fragt sich nur, wie lange.“

In seinem Palast wütete Tosh Kamar. Er hatte gehofft, die Auserwählten und die beiden Frauen mit seiner drohenden Art einzuschüchtern, aber dieser Engländer, Phil Taylor, hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber nicht nur er. Auch den anderen dreien gebrach es nicht an Mut. Das machte es schwieriger, den Opal für immer verschwinden zu lassen. Aber noch war nichts verloren. Die France würde zwar erst noch durch den Panamakanal fahren müssen, aber das dauerte auch wieder ein paar Tage. Im Moment arbeitete die Zeit für den bösen Herrscher.

An Bord der France 265

Die Freunde und ihre weiblichen Begleiterinnen hatten sich in ihre Kabinen zurückgezogen. Die Begegnung mit Tosh Kamar hatte ihnen die Laune verdorben. Der Schlaf kam schnell, und mit ihm die bösen Träume. Shermine wachte mitten in der Nacht mit einem lauten Schrei auf. Sie saß senkrecht im Bett und kalter Schweiß lief über ihre Stirn. Ihr Atem ging stoßweise und ihr Puls raste. Ihre Schwester Mandara war durch den Schreckensschrei ihrer älteren Schwester erwacht.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie Shermine.

„Nein. Ich habe die Insel gesehen, zu der wir unterwegs sind. Und ich habe einen Riesenkalmar mit einem roten Hummer auf dem Rücken gesehen, der aus den Tiefen des Ozeans aufgetaucht ist. Das Tier hat einen Strudel entfacht, der die Insel in die Tiefe gezogen hat.“

„Wie viel Zeit bleibt uns noch, Schwesterherz?“, fragte Mandara.

„Ich weiß es nicht.“

Jelenas Palast auf der Kleeblattinsel

Die vier Königinnen hatten sich im Besprechungszimmer von Jelenas Palast versammelt. Königin Jelena, die erste Königin der Kleeblattinsel, eröffnete die Zusammenkunft.

„Gibt es Neuigkeiten?“, fragte sie in die Runde.

„Unsere Liebsten sind auf dem Weg hierher. Sie haben den Feueropal gefunden. Jetzt sind sie an Bord der France.“

„Wo befindet sich das Schiff jetzt, Eliska?“, fragte Jelena ihre Schwester.

„Die France befindet sich zurzeit an der Einfahrt zum Panamakanal. Sie dürfte den Pazifik innerhalb der nächsten vier Tage erreichen.“

„Wann würde sich Tosh Kamars Fluch erfüllen, Wioletta?“, fragte die erste Königin ihre Cousine.

„In acht Tagen, Cousine.“

„Das würde bedeuten, dass unsere Freunde erst im letzten Augenblick die Insel erreichen.“, sagte Jelena.

„Immer vorausgesetzt, Tosh Kamar legt ihnen keine weiteren Steine in den Weg.“

An Bord der France, Dienstag, 10. Oktober 1916

Der französische Luxusliner hatte den Panamakanal hinter sich gelassen, 266

und war auf dem Weg nach Los Angeles. Doch auf Höhe der Kleeblattinsel, lief eines der Wellenlager heiß. Phil Taylor, der sich damit auskannte, bot dem Kapitän seine Hilfe bei der Reparatur an, wenn dieser die Insel ansteuern würde. Der Kapitän lehnte ab, bot aber an, die Freunde am Riff abzusetzen.

Als der französische Luxusliner die Insel erreicht hatte, ließ der Kapitän ein Boot zu Wasser, und die Besatzung brachte die kleine Gruppe an Land. Danach kehrte das Boot um und fuhr zur France zurück. Die kleine Gruppe stieg den Strand hinauf und stand bald vor dem Palmenhain. Dirk Hemmler, der als erster auf der Insel angekommen war, erinnerte sich, dass im Zentrum der Insel die magische Quelle war, die jedem ewige Jugend verlieh, der aus ihr trank. Wioletta hatte sie ihm gezeigt. Zielstrebig führte der Deutsche die anderen zu dieser Quelle. Die Schwestern sahen einander fragend an. Schließlich ergriff Shermine das Wort.

„Warum hast du uns hierher gebracht, Dirk?“, fragte sie den Deutschen.

„Du hast doch gesagt, dass du und deine jüngere Schwester über magische Kräfte verfügt, die noch nicht ganz entfaltet werden können. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, wird euer ganzes magisches Potenzial freigesetzt, sobald ihr in dieser Quelle gebadet habt.“

„Also ich könnte ein Bad vertragen. Nach all dem Trubel.“, sagte Mandara.

Shermine nickte. Dann entkleideten sich die beiden Schwestern und stiegen zögerlich in die Quelle. Sie hatten Angst, dass sie sterben würden, wenn sich ihre magischen Kräfte voll entfalteten. Zuerst kribbelte es ein wenig, als das Wasser die Haut der beiden Frauen berührte. Doch je tiefer Shermine und Mandara in den Teich gingen, wurde das Kribbeln heftiger. Als die beiden Schwestern bis zu den Hüften in der Quelle standen, fing das Wasser an zu lumineszieren. Und bevor Shermine und ihre jüngere Schwester überhaupt wussten, was passiert war, war es auch schon wieder vorbei.

Nachdem sich Shermine und Mandara wieder angezogen hatten, machte sich die kleine Gruppe auf den Weg zum Tempel. Sie hatten die Quelle gerade verlassen, als eine gigantische schwarze Spinne ihnen den Weg versperrte. Es war Kankra, eines von Tosh Kamars Geschöpfen. Sie war so hoch, wie ein dreistöckiges Wohnhaus und hatte Beine, wie Säulen. Das mächtige Tier wollte sich auf den Russen stürzen, da wurde es von einem Ball aus magischem Feuer getroffen, den Mandara abgefeuert hatte. Gegen die Flammen hatte Kankra keine Chance.

Es war früher Nachmittag, als die Gruppe dann endlich den Tempel erreicht hatte. Denn Tosh Kamar hatte ihnen noch mehr seiner dunklen Kreaturen entgegen geworfen. So unter anderem eine riesige Kobra, die jedoch von Shermine mit einem Energieblitz in die ewigen Jagdgründe geschickt wurde. 267

Als die vier Auserwählten und die beiden Schwestern auf den Vorplatz des Tempels kamen, wartete dort ein wütender Tosh Kamar. Der dunkle Herrscher kochte innerlich vor Zorn, weil einfach nichts so lief, wie er es sich das vorgestellt hatte.

„Ich kann es nicht leugnen, ihr anmaßenden Sterblichen, Iduna war euch gewogen. Aber euer Glück endet hier. Denn es ist undenkbar, dass ihr mich um meine Rache betrügt.“, sagte er.

„Wie wärs, wenn du einfach mal dein vorlautes Mundwerk hältst, du Armleuchter.“

„Keine Beleidigungen, Holm San. Sonst kannst du was erleben.“, sagte Tosh Kamar.

Shermine und Mandara warfen sich einen kurzen Blick zu. Dann nickte die jüngere der beiden Schwestern. Aus dem Nichts ließen sie erst einen Blitz vom Himmel zucken, dem ein ohrenbetäubender Donnerschlag folgte, der Tosh Kamar aus dem Gleichgewicht brachte. So schnell es ging, erklommen die sechs Freunde die Treppe zum Dachtempel an der Spitze der Pyramide. Bevor sie den Tempel betraten sah sich Mandara noch einmal um. Am Horizont sah sie die Sonne untergehen, und den Himmel blutrot färben.

„Wir sollten uns beeilen, Freunde. Die Sonne geht unter.“, sagte sie.

Die vier betraten den Tempel und Dirk Hemmler suchte nach dem Stein, mit dem Opal über dem Feuer. Er brauchte nicht lange, bis er ihn gefunden hatte. Er drückte darauf und wie vor 304 Jahren öffnete sich die Tür, die den Weg zur heiligen Kammer versperrte. Die Gruppe ging hinein. Doch wie damals wurde der Zugang zu dem Raum durch die Feuerwand versperrt. Es war Lars Eric Holm, der diese Falle deaktivierte. Dann ging die kleine Gruppe in den Raum. Shermine ging auf die Empore zu, auf der die Schale stand, in der der Feueropal zu ruhen pflegte.

Während Shermine den Edelstein aus dem Beutel nahm, den sie die ganze Zeit bei sich getragen hatte, tauchte aus den Tiefen des Ozeans Tosh Kamars Geschöpf, der Riesenkalmar auf. Das Tier durchbrach die Wasseroberfläche und wühlte mit seinen Fangpeitschen wieder die See auf. Seine Schreie hallten über die ganze Insel. Dann verschwand der Kalmar wieder unter der Meeresoberfläche und schwamm einmal um die Insel. Ein Sog bildete sich, der aber noch nicht stark genug war, um die Insel zu verschlingen.

Gerade als der Kalmar seine zweite Runde beenden wollte, legte Shermine den Opal in die Schale. Ein mächtiger Donnerschlag ertönte, dessen Echo sogar noch unter Wasser zu hören war. Tosh Kamar stieß einen lauten Schrei der Wut aus und verschwand wieder in seinem Korallenpalast auf dem Boden des Ozeans. 268

Es war bereits Mitternacht, als die vier Auserwählten zusammen mit den beiden Schwestern an Jelenas Palast ankamen. Die Wachposten, die die mächtige Doppeltür flankierten, kreuzten ihre Speere.

„Es darf niemand mehr eintreten.“, sagte einer.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Königin Jelena kam ins Freie. Als sie Phil Taylor und die anderen erblickte, hellte sich ihr Gesicht auf. Dann wandte sie sich an die beiden Wächter.

„Lasst Phil und seine Freunde eintreten. Ich möchte nicht, dass unsere Retter die Nacht unter freiem Himmel verbringen müssen. Ein Sturm zieht auf. Ihr solltet lieber auch Schutz suchen. Ich will euch nicht verlieren.“, sagte die erste Königin Oamarus.

„Sie macht sich mehr Sorgen um ihre Männer, als um sich selbst. Ich muss zugeben, auch wenn es gegen alle Vernunft ist, ich mag diese Königin.“

Dieser Gedanke schoss Mandara durch den Kopf.

Die Freunde waren Jelena gerade in den Palast gefolgt, und die Wachen hatten nun dahinter Posten bezogen, da brach das Unwetter los. Blitze zuckten vom Himmel, denen laute Donnerschläge folgten. Die vier Königinnen und die sechs Reisenden hatten sich in der Bibliothek versammelt. Draußen war wieder der Riesenkalmar aufgetaucht und schlug mit seinen Fangpeitschen auf das Wasser.

„Tosh Kamar wird wiederkommen.“, sagte Jelena.

„ Was macht dich da so sicher, Sweetheart?“

Die erste Königin Oamarus drehte sich zu ihrem Liebsten um.

„Dieses Mal ist die Sache noch mal gut für uns ausgegangen, Liebling. Doch Tosh Kamar gibt nicht so schnell auf. Ihm fällt garantiert etwas Neues ein, um sich an uns zu rächen.“, sagte sie dann. 269



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