Zum Inhalt der Seite

Im Himmel ist der Teufel los

Apokalypse Reloaded
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Eine Blasphemie kommt selten allein

Ein kühler Wind wehte und dunkle Wolken waren am Himmel aufgezogen. Es sah verdächtig nach Regen aus und in der Ferne blitzte es bereits. Metatron betrachtete das Wetter in der Ferne mit großer Besorgnis und hatte das Gefühl, als würde sich ihm der Magen umdrehen. Zwar war er schon des Öfteren mal auf der Erde gewesen und kannte die Eigenheiten in diesem Teil der Welt. Aber trotzdem lösten Unwetter immer Nervosität und Magenschmerzen bei ihm aus. Jahrtausende voller schlechter Erfahrungen, die voller biblischer Unwetter gezeichnet waren, konnte man nicht so schnell vergessen. Unsicher stand er auf dem Platz vor der Kirche St. Ignatius und er bekam allmählich kalte Füße. Normalerweise war er immer voller Vorfreude, wenn er hier war und hatte jedes Mal Schmetterlinge im Bauch wenn er daran dachte, Malachiel wiederzusehen. Doch dieses Mal hatte er ein wirklich schlechtes Gewissen. Für gewöhnlich sahen sie sich regelmäßig wenn es Metatrons enger Terminplan zuließ, aber seit einiger Zeit hatte er so viel um die Ohren, dass er die letzten Verabredungen immer wieder absagen musste. Und nun war es knapp zehn Jahre hier, seit er in Hollingsworth vorbeigeschaut hatte. Für Engel und Dämonen war diese Zeitspanne nichts Besonderes, denn sie lebten in einem ganz anderen Zeitgefühl als die Menschen. Hundert Jahre war für sie meist nur eine gefühlte Woche, aber auch nur wenn sie sich außerhalb der Erde befanden. Hier in der Welt der Menschen, wo sich alles in einer rasenden Geschwindigkeit unaufhörlich veränderte, konnte sich das Wahrnehmungsgefühl deutlich verzerren. Dann fühlten sich zehn Jahre schnell wie eine verdammte Ewigkeit an.

Um alles noch schlimmer zu machen, hatte er sich auch nicht mehr bei Malachiel gemeldet und es war sicherlich nicht der beste Zeitpunkt, um ihn ausgerechnet jetzt um Hilfe bitten zu müssen. Aber leider hatte er keine andere Wahl und Malachiel war nun mal zuständig für solche Angelegenheiten. Blieb nur zu hoffen, dass er nicht allzu nachtragend war und die zehn Jahre sich nicht allzu lange für ihn angefühlt hatten. Also atmete er tief durch, sammelte sich und ging schnurstracks zur Eingangstür. Mit einem stummen Stoßgebet versuchte er die Tür zu öffnen, stellte aber fest, dass sie abgeschlossen war. Merkwürdig… Soweit er sich erinnern konnte, war sie nie abgeschlossen gewesen. Oder hatten sich die Dinge noch mehr verändert seit den letzten zehn Jahren?

Metatron seufzte und dachte sich, dass es vielleicht eine kleine Racheaktion von Malachiel für die Vernachlässigung der letzten paar Jahre war. Also klopfte er erst gegen die Tür und rief „Hey Malachiel, mach bitte die Tür auf. Hör mal, es tut mir leid, dass ich dich so lange nicht besucht habe, aber ich brauche wirklich deine Hilfe. Bitte lass uns in Ruhe reden!“

Keine Reaktion folgte. Für einen Moment überlegte Metatron, ob er nicht einfach die Tür mit einem Wunder öffnen sollte, doch da hörte er auch schon, wie das Schloss entriegelt wurde. Als die Tür aufging, war es aber nicht Malachiel, der ihm gegenüber stand. Es war ein etwas hagerer Junge mit brünetten Locken und schlichter, biederer Kleidung. Und als der König der Engel erkannte, dass es sich um einen Dämon handelte, wich er instinktiv einen großen Schritt zurück und verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. Ein Dämon in der Kirche? Wie war das überhaupt möglich? Sämtliche Kreaturen, die der Hölle entstammten, mieden heilige Orte wie die Pest. Ganz zu schweigen davon, dass für sie das Betreten von heiligem Boden sich ungefähr wie eine Runde „Der Boden besteht aus Lava“ anfühlte. Nur mit dem Unterschied, dass alles innerhalb der Kirche für sie aus Lava bestand. Und doch stand dieser Dämon vor ihm und öffnete die Tür, als wäre er hier zuhause.

„Seid Ihr der Besucher von oben?“ fragte er und schaute den Besucher prüfend an. Metatron brauchte jedoch einen Augenblick, damit er sich wieder sammeln konnte. Er ballte die Hände zu Fäusten und machte sich bereit für einen möglichen Kampf. Zwar herrschte über 700 Jahren offiziell Waffenstillstand zwischen Himmel und Hölle, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass Dämonen stets mit Vorsicht zu genießen waren und man sich vor ihnen in Acht nehmen sollte.

„Wer will das wissen und was suchst du in einem Gotteshaus, Dämon?“ fragte er forsch und trat wieder näher heran, um ihm entschlossen die Stirn zu bieten. Auch wenn er für gewöhnlich ein Pazifist war und lieber gewaltlose Lösungen suchte, hatte er nicht vor, irgendwelche Schwächen vor dem Feind zu zeigen. Ganz zu schweigen davon, dass es geradezu an Blasphemie und Provokation grenzte, dass dieser Dämon es wagte, sich in einer Kirche breitzumachen.

Sein Gegenüber schien sich an der ruppigen Begrüßung nicht zu stören und erklärte „Mein Name ist Nazir. Ich bin Malachiels Schüler und sein Haushälter. Er hat mich gebeten, Euch abzuholen.“

Metatron verstand nun noch weniger als vorher und war für einen Augenblick zu verwirrt, um darauf zu reagieren. Zuerst hielt er es für eine ausgemachte Lüge oder einen hinterhältigen Trick, aber würde ein Dämon ihm wirklich eine derart unglaubwürdige Geschichte auftischen? Ganz zu schweigen davon, dass es ihm offensichtlich nichts auszumachen schien, sich auf heiligem Boden zu bewegen. Das sprach zumindest dafür, dass er kein gewöhnlicher Dämon war und da Malachiel manchmal zu verrückten Ideen neigte, war es nicht vollkommen unmöglich, dass dieser Nazir ihm tatsächlich die Wahrheit sagte.

Also beschloss er, sich vorerst mit dieser Erklärung zufrieden zu geben und dem dämonischen Haushälter zu folgen. Sie gingen einmal quer durch den großen Saal vorbei an der Marienstatue und dem riesigen Jesuskreuz zu den Beichtstühlen. Direkt daneben gab es eine kleine unauffällige Tür, die in die hinteren Räume führte, die für die Besucher nicht zugänglich waren. Dort wurden Bibeln, Gesangsbücher, Kerzen und sonstiger Krimskrams aufbewahrt. Außerdem befanden sich dort auch die Schränke mit den Uniformen für die Messdiener. Am Ende dieses Raums gab es noch mal eine Tür, die zum Hinterausgang führte, den nur wenige Meter vom Pfarrhaus trennte. Es war wesentlich einfacher, diesen direkten Weg zu gehen, da man sonst einen großen Bogen um die Kirche machen und dann am Garten vorbeigehen musste, bis man endlich am Ziel war.
 

Während der Seraph Nazir folgte, wunderte er sich, wie es bitteschön sein konnte, dass dieser Dämon sich derart problemlos innerhalb der Kirche bewegen konnte. Selbst die Türgriffe sollten sich für ihn zumindest so heiß anfühlen, dass er sie nicht anfassen würde. Doch all das schien ihm nicht wirklich etwas auszumachen und das widersprach allem, was er bisher über die Bewohner der Hölle zu wissen glaubte. Der Einzige, dem die heilige Kraft dieser Orte nichts ausmachte, war Malachiel und das auch nur, weil er halb Engel war. Aber dieser Kerl, der ihn quer durch das Gotteshaus zum Hintereingang führte, war eindeutig ein Dämon und es ergab absolut keinen logischen Sinn, dass er sich hier so frei bewegen konnte, ohne irgendwelchen Schaden zu nehmen.

Wie so ziemlich alle Engel im Himmel hatte Metatron eine etwas einseitige Sichtweise, was die höllische Bevölkerung betraf. Hauptsächlich der göttlichen Propaganda war es geschuldet, dass die Vorstellung von Dämonen aus moderner Sicht ziemlich diskriminierend und voller Stereotypen war. Um das himmlische Volk daran zu hindern, aus einer Laune heraus aus der Reihe zu tanzen, hatte man die Dämonen gerne als abschreckendes Beispiel genommen. Also wurden sie als sadistisch, hinterhältig, manipulativ und absolut verdorben dargestellt. Um das Ganze abzurunden, hatte man versucht, sie wie Monster aussehen zu lassen, die eher an eine billige und unkreative Abklatsche von H.P. Lovecrafts Gruselkabinett erinnerten. Irgendwann hatte man angefangen, den Dämonen noch mehr negative Eigenschaften zuzudichten. Und so hatte sich das Bild des dummen, perversen und abgrundtief verdorbenen Dämons von hässlicher und frevelhafter Gestalt so eingebürgert, dass sämtliche Engel auch tatsächlich daran glaubten. Dass Dämonen in erster Linie Rebellen waren, die lieber unabhängig blieben als sich nach der Willkür eines unberechenbaren göttlichen Herrschers zu richten, hatte man schon seit langer Zeit vergessen.
 

Metatron hatte außer Luzifer schon seit der Beinahe-Apokalypse keinen einzigen Dämon mehr zu Gesicht bekommen und hatte auch nie mit ihnen verkehrt. Nur während der Beinahe-Apokalypse war er gezwungen gewesen, mit Satan in Verhandlungen zu treten aber das war es dann auch schon. Dementsprechend beschränkte sich sein gesamtes Wissen über die Dämonen der Hölle lediglich auf die ziemlich voreingenommene und nicht unbedingt wahrheitsgetreue Himmelspropaganda. Darum war es für ihn umso schockierender, dass er nun einen Dämon traf, der überhaupt nicht zu diesen ganzen Beschreibungen passte. Und das machte ihm schon ein wenig Angst.

„Wie lange lebst du schon bei Malachiel?“ fragte er misstrauisch, denn er konnte sich nicht wirklich daran erinnern, bei seinem letzten Besuch in Hollingsworth einen Dämon gesehen zu haben. Nazir drehte sich kurz zu ihm um, bevor er die Tür zum Hintereingang aufschloss und antwortete „Seit vier Jahren, also noch nicht allzu lange.“

Sie traten wieder hinaus ins Freie den kleinen gepflasterten Weg entlang bis zum Pfarrhaus. Nazir öffnete die Tür, trat als Erster ein und rief „Meister, ich bin wieder da!“

Metatron folgte als nächstes und schloss die Tür hinter sich. Ein grollender Donner durchbrach die Stille und der Seraph spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. Kurz darauf hörte er auch schon Schritte und als er Malachiel die Treppe hinunterkommen sah, atmete er erleichtert aus und eilte überglücklich auf ihn zu. „Malachiel, bin ich froh dich zu sehen!“

Der etwas müde aussehende Halbengel mit den von Schatten umrandeten Dämonenaugen wirkte im ersten Augenblick nicht allzu erfreut und eher etwas mürrisch. Doch dann entspannten sich seine griesgrämigen Gesichtszüge als er seinen Besucher sah und er empfing ihn mit einer herzlichen Umarmung. „Hast dich ja schon lange nicht mehr blicken lassen, Matt. Hast du eine Ahnung, wie sehr ich dich in all der Zeit vermisst habe?“

Alle Nervosität und Angst war augenblicklich vergessen. Stattdessen war Metatron einfach nur überglücklich, endlich wieder mit seinem Liebsten vereint zu sein und ihn wieder in den Armen halten zu können. Stürmisch küsste er den Halb-Engel und drückte ihn fest an sich. „Tut mir leid, dass ich dich so lange alleine gelassen habe. Ich hätte schon viel früher wieder herkommen sollen.“

„Ja, das hättest du definitiv“, stimmte sein Freund zu und tätschelte ihm beschwichtigend den Kopf. „Ein bisschen weniger Arbeitseifer würde dir mal ganz gut tun. Nimm dir mal ein Beispiel an mir: ich finde immer einen Weg, um mich aus Verantwortungen rauszuwieseln. Naja, ist halt wie’s ist. Hauptsache du bist jetzt da.“

Damit löste sich Malachiel wieder von ihm und schaute zu Nazir herüber, der etwas abseits stand und nicht wirklich wusste, wie er diese Szene einordnen sollte. Malachiel räusperte sich und erklärte „Matt, das ist mein Haushälter Nazir. Wenn er nicht gerade dabei ist, mir meine Schönheitsschläfchen madig zu machen und das angepisste Kindermädchen zu spielen, unterrichte ich ihn als Schüler. Nazir, das hier ist Metatron, Oberaufseher vom heiligen Affenzirkus und göttliche Direkt-Hotline in einer Person.“

Unverschämt wie eh und je, dachte sich derr himmlische Regent und hätte nie im Leben gedacht, dass er diese schonungslosen Frechheiten tatsächlich vermissen würde. Normalerweise würde er sich an solchen Frechheiten stören, aber bei Malachiel konnte er einfach nicht anders, als diese Eigenschaft als beneidenswert und irgendwie auch sympathisch zu finden.
 

Nach der kurzen Vorstellung gingen Malachiel und Metatron nach oben um es sich im Wohnzimmer bequem zu machen. Nazir brachte ihnen Kaffee und etwas Gebäck, ließ sie aber dann alleine um sich um seine Studien zu kümmern. Mit einem gemischten Blick schaute der Seraph ihm nach und wartete, bis die Tür ins Schloss gefallen war bevor er meinte „Ich kenne ja deine Verrücktheiten, aber ein Dämon als Haushälter? Und dann auch noch als Schüler? Erklär mir mal bitte, was das bedeuten soll. Du kannst doch nicht einfach so dem Feind Obdach in Gottes heiliger Stätte gewähren!“

Malachiel zuckte gleichmütig mit den Schultern und nahm sich einen Haferkeks, an dem er bedächtig knabberte. Er war nicht wirklich jemand, der großartig über irgendetwas nachdachte, sondern einfach tat, wonach ihm gerade der Sinn stand. Da es meist immer auf Schlafen hinauslief, geschah es zum Glück nicht allzu oft, dass er sich zu irgendwelchen Verrücktheiten hinreißen ließ.

Aber dieses Mal war es weitaus mehr als bloß ein harmloser Vorfall, den man schnell unter den Teppich kehren konnte. Auf der einen Seite war diese Einstellung ja lobenswert, aber so manchmal machte sich Metatron ja doch Sorgen um ihn. Vor allem wenn es solche Verrücktheiten waren, die sich nicht unbedingt nach Gottes Willen richteten, sondern diesen oft sogar widersprachen. Und manchmal schien es so, als würde Malachiel es allein aus Prinzip machen um zu untermauern, dass er sich nach niemand anderem außer sich selbst richtete, nicht einmal Gott selbst.

Allein die Vorstellung, einen Dämon in einem Gotteshaus herumspazieren und dann noch im Pfarrhaus wohnen zu lassen, war ein unfassbarer Skandal und eindeutig Gotteslästerung, die ernste Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Malachiel konnte von Glück reden, dass Gott offenbar noch nicht Wind von der Sache bekommen hatte. Andernfalls mochte sich der himmlische Regent lieber nicht vorstellen, was dann geschehen würde. Doch der Pseudo-Pfarrer schien sich dafür überhaupt nicht zu interessieren und meinte nur: „Warum nicht? Ich bin ja selbst halb Dämon und diese Kindergartenfehde zwischen Himmel und Hölle ist euer Bier, nicht meins. Eines Tages stand er halt vor meiner Tür und hat mich um Hilfe angebettelt. Und ich brauchte rein zufällig einen Haushälter, so einfach ist die Sache. Wenn Gott wirklich ein Problem damit hat, dann hätte er mich doch schon längst mit einem Blitz abgeschossen oder irgendeine andere biblische Strafe erlassen. Wie du siehst, bin ich noch hier und mir geht es blendend, also scheint es ihn nicht zu stören.“

„Ja aber… warum lässt du ihn auch noch in der Kirche herumspazieren? Ist dir denn nicht klar, dass das eine Beleidigung gegen den Herrn ist und es ernste Konsequenzen haben könnte?“

Doch offensichtlich juckte es seinem Freund kein bisschen und er schien sich auch sonst keinerlei Sorgen darum zu machen. Stattdessen meinte er nur unbeeindruckt „Na und? Ich lass doch jeden Sonntag die ganzen Leute aus dem Dorf in die Kirche rein und keiner da oben beschwert sich. Da macht ein Dämon auch keinen großen Unterschied mehr.“

„Du kannst Menschen nicht mit Dämonen vergleichen!“

„Da hast du Recht“, lenkte Malachiel ein, haute aber gleich die nächste Schippe raus: „Eine Bande von Heuchlern und Lügnern, die allen Ernstes denkt, dass eine Stunde Frömmigkeit am Sonntag ihnen einen Freifahrtschein für die nächste Woche an Gottlosigkeiten gibt, ist allerhöchstens strunzdumm und nicht bösartig. Außer vielleicht die McKilligans. Und was Nazir betrifft: für den leg ich meine Hand ins Feuer, dass er einen besseren Engel abgeben würde als das gesamte Irrenhaus voller Scheinheiliger, das du da oben betreuen darfst. Dabei meine ich insbesondere die Vier vom Stamme Nimm, die sich allen Ernstes Erzengel schimpfen.“
 

Metatron fiel fast die Tasse aus der Hand als er realisierte, was Malachiel da eigentlich andeutete. Zuerst hielt er es für eine Art Scherz und zwang sich zu einem Lachen wobei er meinte „Okay, jetzt hast du mich echt erwischt. Der war echt gut…“ Doch sein Freund stimmte nicht in das Lachen ein, sondern atmete geräuschvoll aus und knabberte den Rest seines Haferkekses bevor er sich seinem Kaffee widmete. Und als Metatron erkannte, dass es kein Witz war, schüttelte er fassungslos den Kopf. „Das ist absolut unmöglich! Du weißt doch, dass Dämonen niemals zu Engeln werden können. So etwas hat Gott nicht vorgesehen und es gibt einen guten Grund, warum sie als Dämonen ihr Dasein fristen.“

„Es gilt nur als unmöglich, weil es bisher keiner versucht hat“, entgegnete der Halb-Seraph unbeeindruckt und schien sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein. „Aber das ist mal wieder typisch für euren ganzen Verein: immer schön von Vergebung und Nächstenliebe predigen, aber nichts davon in die Tat umsetzen. Lass mich dir mal eins verklickern: wenn es tatsächlich unmöglich ist, einen Dämon zu läutern und aus ihm einen Engel zu machen, heißt das bloß, dass Gott doch nicht so unfehlbar ist, wenn er nicht einmal an seine eigenen Worte glaubt, die er uns allen predigen will.“

Metatron biss sich auf die Unterlippe und erschauderte bei diesen Worten. Er kannte Malachiels freches Mundwerk schon zur Genüge, aber diese Gotteslästerungen stießen ihm bis heute noch manchmal sauer auf. „Ich habe es ja verstanden. Aber würdest du bitte damit aufhören, so respektlos über unseren Herrn zu reden? Ich meine es wirklich nur gut mit dir, aber irgendwann werden dich deine Blasphemien noch den Kopf kosten!“

„Jede Wahrheit war mal eine Blasphemie“, entgegnete der Halb-Engel trotzig und trank seinen Kaffee aus. „Und wenn er nicht mit Kritik umgehen kann, beweist er damit nur, wie verdammt unreif er ist. Die Wahrheit ist nun mal hässlich, deswegen will sie ja auch keiner hören. Und zum Glück ist mir das vollkommen Latte. Es wird schon seinen Grund haben, warum Gott mich mit einer großen Klappe geschaffen hat. Aber jetzt mal ernsthaft: was ist eigentlich los mit dir? Du wirkst bedrückt und noch nervöser und paranoider als sonst.“

Der anfangs trotzige und griesgrämige Blick des falschen Pfarrers hatte sich entspannt und war nun von aufrichtiger Besorgnis gezeichnet. Metatron überlegte, ob er ihn gleich mit dem eigentlichen Grund seines Besuchs überfallen sollte. Einerseits schien es nicht so zu sein, als würde Malachiel nachtragend darüber sein, dass sie sich schon so lange nicht mehr gesehen hatten. Aber andererseits kannte er seinen Freund schon gut genug und wusste, dass dieser recht schnell sauer werden konnte wenn er merkte, dass jemand nur mit irgendwelchen Hintergedanken zu ihm kam. Und er wollte lieber nicht riskieren, dass er Malachiel so verärgerte, dass dieser sich einfach aus Trotz weigern würde, ihm zu helfen. Zwar war dieser nicht so kaltherzig und abgebrüht, dass er das tatsächlich durchziehen würde, aber Metatron wollte nicht, dass er dachte, dass sein Liebster ihn nach langer Funkstille nur aus rein geschäftlichen Gründen aufsuchte.

„Es gibt ein paar Probleme im Himmel“, gab er schließlich zu und beschloss, seine Antwort lieber etwas schwammig zu lassen, damit Malachiel nicht den falschen Eindruck bekam. „Vielleicht kannst du mir mit dem einen oder anderen Rat zur Seite stehen, aber erst mal bin ich einfach nur froh, dich wiederzusehen. Um ehrlich zu sein, habe ich selbst deine Blasphemien irgendwie vermisst.“

Etwas skeptisch zog der Halb-Engel die Augenbrauen zusammen, fragte aber nicht weiter nach und beließ es stattdessen erst mal dabei. Er konnte aber nicht umhin, nach kurzer Überlegung festzustellen: „Das größte Problem ist ganz einfach, dass du viel zu weichherzig und inkonsequent bist. König der Engel zu sein ist nichts weiter, als den Aufpasser für einen Haufen unreifer und unselbstständiger Egomanen zu spielen. Du bist die Nanny eines ganzen Königreichs voller Kleinkinder und kleine Kinder tanzen einem auf der Nase rum, wenn man nicht durchgreift. Die machen was sie wollen und nutzen dich bloß schamlos aus, wenn du zu allem Ja und Amen sagst. Das ist auch genau der Grund, warum Engel wie Samael dir ständig den Rang streitig machen.“
 

Ja, da hatte er nicht ganz Unrecht. Metatron wusste ja selbst, dass er viel zu sehr darauf fixiert war, die Harmonie zu bewahren und das führte nicht selten dazu, dass man ihn nicht allzu sehr respektierte. Aber er brachte es einfach nicht übers Herz, gemein zu anderen zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass er auch keine Lust darauf hatte, sich auf das Niveau der Erzengel zu begeben. Er war der Ansicht, dass man Konflikte auch sehr gut mit Sanftmut, Vergebung und Nachgiebigkeit lösen konnte. Immerhin waren das die Werte, die ihm als Engel beigebracht worden waren. „Ja da magst du vielleicht Recht haben“, lenkte er seufzend ein. „Aber das ist nicht das eigentliche Problem. Das Ding ist… wir stecken momentan ernsthaft in der Krise und ich weiß nicht, was wir tun sollen. Die Sache ist nämlich die, dass sich herausgestellt hat, dass Michael das Regelwerk ein wenig zu ernst genommen und viele Menschen aus den banalsten Gründen in die Hölle geschickt hat. Nun ist die Hölle hoffnungslos überfüllt und das Personal reicht nicht aus.“

„Na und?“ fragte sein Gegenüber desinteressiert und begann sich am Ohr zu kratzen. „Seit wann juckt mich denn bitteschön der Personalmangel in der Hölle? Ich bin Mediator und kein Jobvermittler für Seelenfolterknechte. Mein Job ist es bloß, dafür zu sorgen, dass die Welt nicht in einem psychedelischen apokalyptischen Desaster untergehen wird, das sich ein durchgeknallter Prophet aus dem Ärmel geschüttelt hat, nachdem er das falsche Gras geraucht hat.“

„Ja aber die Krise betrifft doch auch den Himmel und wenn wir nichts tun, wird früher oder später Krieg ausbrechen“, rief Metatron verzweifelt. „Wenn Satan erfährt, dass dieses Durcheinander nur zustande kam, weil das Regelwerk wegen einer bürokratischen Panne seit Ewigkeiten nicht mehr aktualisiert wurde, wird er uns auf die Barrikaden gehen. Dann haben wir endgültig die Apokalypse vor der Haustür. Und ich weiß nicht was ich tun soll. Wenn ich das Regelwerk einfach so ändern lasse, könnte ich Gottes Zorn heraufbeschwören und es würde in einer Katastrophe enden. Und wenn ich gar nichts tue, dann haben wir bald eine Meute wütender Demonstranten aus der Hölle vor dem Tor.“
 

Mit einem tonlosen und kurzen „Hm“ lehnte sich Malachiel in seinem Sessel zurück und faltete nachdenklich die Hände. Draußen durchzuckte ein greller Blitz den düsteren Himmel und ein donnerndes Grollen bebte durch das Haus. Kurz darauf prasselten auch schon die ersten Regentropfen gegen die Fensterscheibe. „Warum fragst du nicht einfach Gott um Rat? Er hat die Regeln aufgestellt, also kann er sie auch abändern. Problem gelöst!“

Der himmlische Regent seufzte geschlagen und erkannte, dass es keinen Sinn mehr machte, dieses Geheimnis länger für sich zu behalten. Alles andere würde die ganze Sache nur noch komplizierter machen und wenn Malachiel nicht die Wahrheit erfuhr, konnte er ihm auch nicht entsprechend helfen. Um sicherzugehen, dass auch niemand zuhörte, prüfte Metatron nach, ob sie von irgendjemandem abgehört wurden oder jemand allgemein in hörbarer Reichweite war. Da aber weder von himmlischer noch von höllischer Seite aus irgendjemand hinhörte, beugte sich Metatron zu seinem Freund vor und wies ihn mit einer Handbewegung, näher zu kommen. Dieser fragte gar nicht erst nach und tat einfach, wie ihm geheißen wurde. „Da gibt es ein Problem…“, murmelte der Seraph leise. „Ich kann Gott nicht mehr hören. Er spricht nicht mehr zu mir.“

„Oh…“, meinte sein Gegenüber knapp und schien nicht einmal sonderlich geschockt oder überrascht zu sein. Er hob nur die Augenbrauen und schien etwas ernüchtert über diese Nachricht zu sein. „Dann hat er also die Daddy geht mal eben Zigaretten holen-Masche abgezogen? Ist ja ganz klasse. Mal ganz im Ernst: warum genau tanzt ihr alle noch mal nach seiner Pfeife?“

„Das ist nicht witzig, Malachiel!“

„Stimmt. Wenn es witzig wäre, dann könnte ich wenigstens darüber lachen“, räumte der arbeitsunwillige Mediator ein. „Aber heißt es nicht, dass Gott im Himmel wohnt? Soweit ich weiß, lebt er doch an einem Ort, der einfach nur als höchstes Heiligtum bekannt ist. Hast du dort mal nach dem Rechten gesehen?“
 

Natürlich war Metatron diese Idee schon längst gekommen. Vor langer Zeit war es sogar Gang und Gebe gewesen, dass jeder Engel mal persönlich bei ihm vorbeischaute. Entweder um Anweisungen entgegenzunehmen, oder einfach nur um einen kurzen Plausch zu halten. Damals war Gott noch richtig gesellig und unterhaltsam gewesen. Aber da sein Menschen-Projekt leider nicht so wirklich in die gewünschte Richtung verlaufen war und es so einige Zwischenfälle und Pannen gab, hatte sich sein Gemüt etwas verschlechtert. Und das war noch sehr gelinde ausgedrückt. Je mehr die Menschen aus der Reihe tanzten und Gott sowohl metaphorisch als auch wortwörtlich den Mittelfinger zeigten, umso gereizter und eigenbrötlerischer wurde er. Irgendwann hatte er einfach keine Lust mehr gehabt, sich mit irgendjemandem abzugeben, ganz gleich ob es Mensch oder Engel war. Also hatte er sich quasi verbarrikadiert wie ein pubertierender Teenager in der rebellischen Phase und nur noch durch Metatron gesprochen. Seitdem hatte ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen und da man nie sagen konnte, ob Gott zu Geselligkeiten aufgelegt war, hatte man ihn lieber in Ruhe gelassen. Ganz zu schweigen davon, dass die Tür zum Heiligtum von keinem Engel geöffnet werden konnte.

Nachdem Metatron Malachiel die Kurzfassung dieser Situation geschildert hatte, kratzte sich dieser etwas verständnislos am Kopf und meinte „Also damit ich es recht verstehe: Gott spricht zu niemandem mehr, keiner hat ihn seit Längerem gesehen und auch sonst gibt es kein Lebenszeichen von ihm… Sag mal Matt, bist du wirklich sicher dass er nicht vielleicht… naja… das Zeitliche gesegnet hat?“

Erschrocken weiteten sich die Augen des Seraphs als Malachiel diese Vermutung aussprach und faltete die Hände wie zum Stoßgebet. „Um Himmels Willen, Malachiel. Mal bloß nicht den Nietzsche an die Wand! Wenn solche Gerüchte die Runde machen, dann würde Satan nicht lange fackeln und den Himmel stürmen! Dann hätten wir die Hölle auf Erden!“

„Ja das wäre unpraktisch, vor allem weil ich den Saustall dann wieder für euch aufräumen darf“, stimmte der Halb-Engel nickend zu. „Heißt also im Klartext: wir können uns nicht auf Gott verlassen, sondern müssen selber gucken, wie wir klarkommen. Für mich ist die Sache recht simpel: ändere doch das Regelwerk und lass es einfach drauf ankommen. Wenn Gott beschließt, die beleidigte Diva zu spielen, ist das doch nicht dein Problem. Aber so wie ich dich kenne, willst du das lieber nicht provozieren, sondern erwartest allen Ernstes von mir, dass ich in der Lage bin, euer Problem zu lösen, ohne irgendwelche Gesetze abzuändern.“

Jetzt wo er es so sagte, klang das tatsächlich nach einer ziemlich bescheuerten Idee. Schuldbewusst senkte Metatron den Blick und murmelte leise „Tut mir leid, dass ich dir das alles aufbürde“. Es war wirklich viel, was er von Malachiel erwartete. Aber andererseits hatte dieser bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass er in der Lage war, Lösungen für die schwierigsten Probleme zu finden, indem er ganz unkonventionelle Wege ging. Vielleicht lag die Antwort ja direkt vor der Nase und er war einfach zu blind um sie zu sehen. Genau aus diesem Grund brauchte er ja Hilfe, weil er schlichtweg keinen Durchblick mehr hatte.

Entnervt seufzte der Pseudo-Pfarrer und gab sich geschlagen. „Oh Mann, ich hab echt keine Lust auf diesen ganzen Mist. Aber wenn du mich mit diesen Kulleraugen so ansiehst, kann ich ja wohl schlecht nein sagen. Für heute lassen wir es aber gut sein. Du bist gerade erst angekommen und ich möchte wenigstens ein bisschen die Zeit mit dir genießen, bevor du wieder abhaust.“

Mehr konnte Metatron wohl fürs Erste nicht erwarten. Er war ja schon froh genug darüber, dass Malachiel bereit war, ihm zu helfen. Da musste er wohl oder übel etwas mehr Zeit und Geduld mitbringen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Charly89
2020-10-03T17:24:49+00:00 03.10.2020 19:24
Hach wie schön XD
Ich habe mehrfach herzlich gelacht.

Außerdem wurde ich in meiner erst Einschätzung bestätigt: ich mag Malachiel :3 Jetzt sogar noch mehr, wie bei seinem ersten Auftritt XD Er ist so gnadenlos ehrlich und realistisch - toll :D


Zurück