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In another life the sea is in the sky (Teil 1)

Searching for the smile of the moon
von

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Das Treiben auf den Straßen und in den Häusern klang nach und nach ab, was die Gelegenheit darstellte, das sich Yi Ling mit einer der Puppen austauschte. Er hatte sich in einer der schmalen Gassen, die von der Hauptstraße abging, verborgen gehalten. Das Problem war nun, eine davon einzeln zu erwischen, fanden sie sich stets in Gruppen zusammen, auf ihrem Rückweg in den Tempel.
 

Somit wäre es das Beste, wenn er eine überwältigen könnte, bevor dies passierte.
 

Yi Ling schlich weiter zu einem Hintereingang eines der Wirtshäuser, und stahl sich hinein. Die Betreiber und auch die verbleibenden Besucher sahen in ihm nichts Ungewöhnliches. Er war nur eine der hübschen Maiden, auf das man ihm das ein oder andere lüsterne Grinsen zuschickte, auf welche er nur leicht lächelte und sich zurückhielt sich nicht zu offensichtlich vor Ekel darunter zu schütteln.
 

Jemand hielt ihn plötzlich am Handgelenk fest, und er fand sich mit einem der angetrunkenen Gäste gegenüber, der sich ebenso nicht scherte, ihn von oben bis unten mit einem gierigen Blick abzugehen. Yi Ling blieb nichts anderes übrig als mitzuspielen, wollte er keinen Aufstand dieses Herrn riskieren. Somit lächelte er weiterhin schüchtern hinter seinem Fächer hervor. Konnte sich aber nur gerade so noch zurückhalten, diesem nicht eine zu verpassen, als dessen Hand von seinem Handgelenk mit einem Male forsch an seiner Hüfte landete und das ungeduldige Grapschen bei ihm wirklich die Nackenhaare aufstellte.
 

Aus dem Augenwinkel erfasste er das Szenario, wie eine der Puppen sich mit jemanden in den zweiten Stock begab, wo die Gästezimmer zu finden wären und er nutzte seine Chance.
 

Er drängte sich flirtend an den Kerl zu seiner Rechten und umklammerte einen Arm von ihm, darauf aus, dass seine Oberweite auch gut dagegen spürbar war, bevor er diesen in Richtung der Treppe mit sich zog.
 

Man folgte ihm willig und mit immer ungezügelteren Händen, die er in einer verlegen wirkenden Geste stets versuchte von sich zu schieben. Doch schien man sich dadurch nur noch weiter motiviert zu sehen und Yi Ling rollte genervt mit den Augen über diese brünstigen Gebärden.
 

Sie erreicht schließlich die Etage und waren somit aus den Augen der anderen Gäste, als er seinen Freier schlicht mit einem gezielten Magieimpuls gegen dessen Stirn, zum Zusammensinken brachte und ihn einfach nur am Boden zurückließ.
 

Die Puppe, die er zuvor beobachtet hatte, und ihre Beute, waren gerade daran ein Zimmer betreten zu wollen.
 

Er näherte sich dem Paar und noch bevor man ihn wirklich registrierte, nutzte er einen der Talismane den er mit Lìn Pòsuǒ´s Elixier beschrieben hatte.
 

Es zeigte sofort seine Wirkung, sank die Puppe, wie eine Marionette ohne Stränge, in sich zusammen.
 

Zum Missfallen ihres Freiers, der schon ansetzte sich lautstark erbosen zu wollen, was vor sich ging, als er diesen ebenso bewusstlos werden ließ.
 

Er schleppte erst ihn in das Zimmer hinein und auf das Bett, bevor er die Puppe ebenso hineintrug und neben ihn legte. Sie aber vorsichtshalber noch mit etwas Magie fesselte.
 

Sie sollte sich nicht wieder erholen, würde sie nicht zur rechten Zeit zurück zum Tempel kommen, da ihre Energie nur für eine bestimmte Zeitspanne ausgelegt war.
 

Doch sicher, war sicher.
 

Was bedeutete, dass er sich wieder nach unten begeben sollte, um sich unbemerkt mit einzublenden.
 


 

Er hatte sich soweit in eine der Gruppen einfügen können, die wirklich nichts weiter tat, als schweigend ihren Weg zu beschreiten. Wie das Gefolge das es war.
 

Demnach musste Yi Ling auch ein Durchatmen unterbinden, als sie ihr Ziel erreicht hatten und es sich nun zeigen würde, ob ihr kopiertes Siegel ihn durch die Barriere bringen würde, ohne aufzufliegen.
 

Er hatte Glück!
 

Er folgte den Puppen in die unterirdischen Kammern, von den er schon gehört hatte, ließ sich aber zurückfallen, um darauf unbemerkt in einen Raum zu huschen, der ihm von Lìn Pòsuǒ vorgegeben worden war.
 

Als er diesen betrat, warteten Lan Zhan und sie schon auf ihn. Auch ihnen war die Erleichterung anzusehen, dass er hatte unbemerkt hier mit hindurchschlüpfen können.
 

„Wieviel Zeit bleibt uns noch?“, fragte er eilig nach, da sie keine unnötigen Verzögerungen riskieren sollten.
 

„Etwas an die zwei (2x15min.)“, meinte Lìn Pòsuǒ unruhig, auf das Yi Ling ihr ein stummes Nicken zukommen ließ.
 

Es war nicht das erste Mal, das er sich mit einem Geist befasste, und er hatte gelernt, dass man diese nie unterschätzen sollte. Schon gar nicht, wenn sie über solch eine lange Zeit auf der weltlichen Ebene ausgeharrt hatten, was immer ein Hinweis dafür war das das, was auch immer sie noch hier hielt, ihnen von enormen Wert erschien und sie sich nicht so einfach davon abbringen lassen würden.
 

Zudem sie ihm zu einem Zeitpunkt gegenüber zu treten gedachten, wo dieser am stärksten wäre. Nun wo er genug Energie hatte sammeln lassen, um seinem Ritual zum Höhepunkt zu verhelfen.
 

Lìn Pòsuǒ meinte, das sich alle Puppen zum gegebenen Moment, um den alten Granatapfelbaum versammeln würden.
 

Seine Chance dem Geist nahe genug kommen zu können.
 

Wenn alles funktionierte, bedurfte es nur ein paar seiner verbesserten Talismane, die er mit einem Teil seines Blutes und einem Teil des natürlichen Qi-Elixiers beschriftet hatte.
 

Das Lìn Pòsuǒ ihnen letztendlich doch genug zu vertrauen schien, das sie Féitián Jué würden helfen können, war mit dieser Geste unmissverständlich und er hoffte wirklich, das er sie nicht würde enttäuschen müssen.
 

In diesem Falle, würden sie wohl alle nicht unbeschadet hier davonkommen.
 

Yi Ling setzte ein bedächtiges Lächeln auf.
 

Auch das wäre nicht das erste Mal, dass er sich in solch eine heikle Situation gebracht hätte.
 

„Bist du dir sicher, dass du es allein wirst handhaben können?“, vernahm er Lan Zhans ernste Stimme und dessen Zweifel ließen sein nüchternes Lächeln in etwas Verspieltes wechseln, worauf ihm ein tadelndes Murren zuteilwurde. „Nimm diese Angelegenheit nicht auf die leichte Schulter, es geht hier nicht nur um dich!“, wies Lan Zhan ihn zurecht, das es ihn ein Seufzen entlockte.
 

„Etwas mehr Vertrauen, hm?“ Lan Zhans Schweigen darauf, zeigte das er sich schwer damit tat.
 

Blieb nur übrig es ihm zu beweisen.
 

Das Schlagen der Tempelglocke schwang durch die Luft; das Zeichen, dass es losging.
 

Yi Ling rückte sich seine Kleidung zurecht. „Ich verlass mich auf euch.“, meinte er nach einem kurzen, versichernden Blick auf Lìn Pòsuǒ, wie auch Lan Zhan, und verließ das Zimmer.
 


 

Im Hof angekommen, reihte er sich mit den Puppen vor dem alten Granatapfelbaum auf und wartete gespannt, was sich ihm nun offenbaren würde. Er hoffte nur, das er auch einen Moment abpassen würde können, um diesem vermeintlichen Geist nahe genug zu kommen, um etwas auszurichten.
 

Er spürte, wie sich mit jedem weiteren Glockenschlag eine befremdliche Aura immer stärker zu manifestieren begann und ihm darüber ein schmerzhaftes Pulsieren durch den Kopf zuckte.  
 

Dann nahm er den rötlichen Schein wahr, den jede der Baumpuppen nun umgab und mit jedem Augenblick kräftiger um diese herum erstrahlte, dass es schmerzhaft wurde direkt hinzuschauen. Doch da er inmitten der Versammlung stand, blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Augen kurzzeitig zu schließen.
 

Das unangenehme Pulsieren intensivierte sich über diesen immensen Strom an Energie den diese abgaben, dass es ihm das Atmen und das Konzentrieren schwer machte.
 

Ein erneuter Blick auf das was um ihn herum geschah und er konnte wage verfolgen, wie das Licht geradewegs zum Baum floss.
 

Womöglich waren es die letzten Ressourcen die die Puppen gesammelt hatten und nun für den großen Auftritt ihrer Herrin dienlich wurden.
 

Für ihn fühlte es sich allerdings an, als würden zwei Seiten ihn in entgegengesetzte Richtungen ziehen wollen, je länger er an Ort und Stelle stand und diesen auch nicht verlassen konnte, wollte er nicht riskieren aufzufallen.
 

Ein Schmerzimpuls, der einer Stichwunde gleich kam, brachte ihn jedoch mit einem gepeinigten Grollen in die Knie, wo er sich krampfhaft eine Hand gegen die Brust drückte, dort wo der Schmerz am intensivsten anschwoll.
 

Er konnte nicht verhindern, dass seine Tarnung für ihn nicht mehr aufrecht zu erhalten war, und er schließlich wieder nur einen Kerl darstellte, der sich zu einer Frau hatte zurechtmachen lassen.
 

War nur zu hoffen, dass man ihn dennoch nicht gleich durchschauen würde.
 

So wie es aussah, schien das Glück ihm da gediegen, standen die restlichen Puppen wie angewurzelt und schenkten ihm nicht einen Moment irgendeine Art von Aufmerksamkeit.
 

Das Glühen verebbte kurz darauf und als es ihm wieder möglich war sich soweit umzusehen, durfte er feststellen, dass er mit dem angewurzelt nicht einmal übertrieben hatte.
 

Je schwächer der Lichtschein, umso offensichtlicher wurde die wahre Form der Puppen, zeigten sich ihre Körper starr und hölzern, als habe jemand sein Leben damit zugebracht diese zu schnitzen.
 

Dann hörte er ein aufgebrachtes, unnatürliches Kreischen.
 

Er hatte sich durch seinen Zustand wohl etwas zu sehr abgelenkt gesehen, konnte er dem ersten peitschenden Hieb eines ast-artigen Armes gerade so ausweichen, nur um sich daraufhin unter Dutzenden mehr hinwegducken zu müssen.
 

Waren ihre Gesichter zuvor noch die von bildhübschen jungen Frauen gewesen, so hatten sich ihre Konturen nun  in bizarrer Weise verzerrt, das sie ganz und gar wie die seelenlosen Kreaturen erschien, die sie waren.
 

Die Puppen mochten sich nicht mehr von ihrem Platz bewegen können, schien mit dem Aussaugen der Energie ihre alte Form zurückzukommen, doch waren sie noch präsent genug, um ihn als einen Eindringling erkannt zu haben und ihn aufhalten zu wollen.
 

Ihr dichtes Beieinanderstehen machte es ihm wahrlich schwer einen Weg an ihnen vorbei zu finden, dass es auch nicht ausblieb das ihn einer der Hiebe erwischte und er spürte, wie es ihm die eine oder andere Wunde riss.
 

Selbst mit einer Waffe, wie einem Schwert, wäre es eine umständliche Sache, konnte er sich so kaum ausreichend bewegen, das er sich daran hielt so nahe am Boden entlang zu stolpern wie es ihm möglich war und somit auch weniger Angriffsfläche zu bieten.
 

Sein Ziel war ein Bestimmtes.
 

Er musste dem Baum erreichen und hoffen, dass Lan Zhan und Lìn Pòsuǒ ihren Teil des Planes hatten durchführen können, während er die Aufmerksamkeit auf sich gezogen sah.
 

„Yi Ling!“ Ah, das war das Zeichen auf das er gewartet hatte.
 

Rasch zog er einen Talisman aus seinem Ausschnitt und mit dem nötigen Worten, verlieh er ihm die Essenz die er benötigte, bevor er ihn einer der Puppen in das entstellte Gesicht schlug.
 

Der Bannkreis offenbarte sich wie Wellen auf dem Wasser, in welches man einen Stein geworfen hatte, gefolgt von einem Chor aus schrillen Gekreische, welches aus jeder einzelnen Puppe hervorstieß, bis diese sich komplett regungslos zeigten.
 

Nichts weiter mehr, als eine störrischen Wall aus Wildwuchs um ihn herum bildeten.
 


 

Wangji erlaubte sich nicht den Luxus erleichtert durchzuatmen, als das Toben der Puppen erstarrte, und ihn wissen ließ, das Yi Ling seinen Ruf, den von ihm gesetzten Bannkreis zu aktivieren, vernommen hatte.
 

Es war das erste Mal, dass er zugeben würde, das ihm seine jetzige Form einen dankbaren Vorteil brachte, konnte er so unbemerkt die ihm zugeteilten Talismane, um den Hof platzieren, so wie sie es zuvor besprochen hatten.
 

Sie mochten die Puppen damit ausgeschaltet haben, doch schien es für den Star des Abends keine Behinderung darzustellen.
 

Etwas das es ihnen noch ein Stück leichter gemacht hätte.
 

Dennoch konnte er nicht abstreiten, das es ein atemberaubender Anblick war der sich ihnen bot, als sie mit ansehen konnten, wie sich der alte Baum nun mit einer vollen Knospe nach der anderen schmückte, die wie ein Feuerwerk aufsprangen um große, prächtige, blutrote Blühten zu offenbaren, deren golden glänzender Stempel dieser Pracht etwas majestätisches verliehen.
 

Erst als auch die letzte Knospe aufgetrieben zu sein schien, zeigte sich der Geist auf welchen sie gewartet hatten.
 

Erschienen die Puppen schon von unverkennbarem Liebreiz, so war die Anmut mit welcher diese Geisterfrau sich schmückte, etwas das man nicht anders als übersinnlich beschreiben konnte.
 

Ihre blasse Haut wirkte wie Mondlicht auf ruhigem Wasser, verlieh ihr dieses kühle, geisterhafte Strahlen.
 

Ihr zartes Gesicht ließ nicht annehmen, dass sich dahinter ein Wesen verbarg, das seit Jahrzehnten die Menschen hier für sich gefügig hielt.
 

Die Frage war jedoch noch immer, aus welchem Grund.
 

Nur glaubte Wangji nicht, das, selbst wenn sie es herausfanden, es weniger kompliziert für sie werden würde.
 

Allerdings wäre es eine Information die ihnen von großen Nutzen in ihrer Mission wäre.
 

Wangji warf einen eingehenderen Blick auf ihr Gewand.
 

Es war so Rot wie die kräftig blühende Krone des Granatapfelbaumes. Verziert mit feinen, goldenen Stickereien, einem langen, eleganten Schweif der äußeren Robe und weiten Ärmeln die beinahe den Boden berührten.
 

Ein Hochzeitsgewand?
 

Ihr Haar war penibel und aufwendig zurechtgemacht, jedoch zierte dies nicht der üppige Schmuck, wie es üblich wäre für eine Braut. Stattdessen trug sie eine Zierte aus dunklem, kunstvoll gearbeitetem Holz, welche filigrane, zarte Blüten zeigte, in deren Mitte Schmucksteine eingearbeitet waren. Diese schienen von schlichtem Wert, war ihr matter Glanz nicht das eines vollwertigen Edelminerals.
 

Ein ebenso aufwendig gearbeitetes Yāopèi (Hüftornament) war an ihrer Schärpe befestigt.
 

Ihr Blick schien in ersten Moment unberührt über die Störung, mit welcher sie empfangen wurde, doch zeigte sie sich sofort missbilligend, als sie Yi Ling erfasste. Dieser gab sich wie immer nonchalant. Etwas von dem Wangji nur zu gut wusste, wie provozierend es sein konnte.
 

„Ah, gū niang, es freut mich endlich ihre Bekanntschaft zu machen.“, meinte er ebenso unbefangen und verbeugte sich dazu noch ein Stück vor dieser.
 

Wangji konnte sich nicht recht entscheiden, ob er diesen Weg der Annäherung als weise empfinden sollte, oder als leichtsinnig.
 

Sie wussten immer noch nicht, womit genau sie es zu tun hatten.
 

Zudem rutschte Yi Lings Auftreten oft viel zu schnell in etwas, das ihn in Schwierigkeiten bringen konnte, indem sich sein Gegenüber entweder deutlich oder subtil gereizt fühlte.
 

Er hatte einfach diese chaotische Art an sich.
 

„Ein schönes Fleckchen haben sie hier unter ihrer Hand.“, versuchte sich Yi Ling weiter, und Wangji war danach vor Anspannung die Luft anhalten zu wollen, als der Geist sich nun plötzlich direkt vor Yi Ling materialisierte und ihm mit ihrem Gesicht so nahe kam, das nur eine Handbreite zwischen ihnen frei blieb.
 

Yi Ling regte sich nicht, lächelte nur weiterhin, als habe er wirklich nur eine hübsche Maid vor sich.
 

„Na, na, nur nicht so stürmisch. Auch wenn ich mich geschmeichelt fühle.“ Er zwinkerte dem Geist verstohlen zu, auf das sie ruckartig wieder Abstand nahm, und abermals missbilligend schaute, als habe dieser sie geradeheraus beleidigt.
 

Yi Ling hatte tatsächlich den Nerv ein Schmollen aufzusetzen.
 

„Hey, unter diesem Fummel und dem Make-up, steckt ein überaus attraktiver Kerl. Nur damit sie es wissen!“
 

Ah, ging es Wangji durch den Sinn und er konnte auch von Lìn Pòsuǒ her einfangen, wie sie entgeistert den Kopf schüttelte über diese unangebrachte Marotte.
 

„Er wird uns wohl eher alle umbringen, als dem Spuk ein Ende zu bereiten.“, wisperte sie darüber hinaus nervös.
 

Doch war alles was passierte, das der Geist sich von Yi Ling abwandte, als wäre er ihre Zeit nicht wert.
 

Yi Ling nutzte seine Chance und zog die Talismane hervor.
 

Rasch fanden diese ihr Ziel und hafteten sich daran, dass der Geist ein aufgebrachtes Fauchen von sich gab und vorerst bewegungsunfähig zu Boden sank. Ein apathisches Zucken brachte deren Gestalt zum Flackern, als wäre sie dabei sich aufzulösen.
 

Wangji fing eine Bewegung von unterhalb Yi Lings ein, doch war es schon zu spät ihn noch zu warnen.
 

Im nächsten Moment war es Yi Ling der einen überraschten, doch nicht weniger gequälten Aufschrei tat, und kurz darauf auf die Knie sank.
 

Wangji war bereits aus seiner Deckung hervorgeeilt, bevor er sich eines Besseren besinnen konnte.
 

Man schien soweit auch keine Kenntnis von ihm genommen zu haben, erreichte er Yi Ling ohne Umstände.
 

„Lan Zhan. Ich war wohl etwas unvorsichtig.“, hörte er diesen feststellen und er lenkte seinen Blick in dessen Gesicht, auf welchem, in Bezug auf seinen Zustand vollkommen unangebracht, ein Grinsen zu finden war.
 

„Was Ist passiert?“, hinterfragte er dessen Hinweis, auf das Yi Ling seine Hand von seinem Bauch zurücknahm.
 

Das er in seiner derzeitigen Form kein Problem hatte auch im Zwielicht ausreichend zu sehen, ließ ihn somit erkennen was diesem wiederfahren war.
 

Wurzeln.
 

Wurzeln, die hinterrücks durch die Linke Seite seines Unterleibs gestoßen waren. Einzeln nicht dicker als junger Efeu, doch so zusammengeflochten und nach vorn ausreichend verjüngt, dass es einer Lanze gleichkam.
 

Jeder Strang zeigte sich daraufhin unruhig, primitiv lebenshungrig ihn seinem Winden und Wachsen, dass es die Wunde immer weiter aufbrach.
 

Ein kratziges Lachen drang zu ihnen heran, und mit einem steigenden, unwohlen Gefühl konnte Wangji verfolgen, wie sich der Geist trotz der Talismane zu sammeln schien und diese damit nach und nach zum Zerreißen brachte.
 

Ihnen blieb kaum noch Zeit etwas zu unternehmen, oder sich zurückzuziehen, um sich neu zu organisieren.
 

Etwas raffte den Geist plötzlich wieder in eine aufrechte Position, und er erkannte die kräftigen, zahlreichen Wurzelstränge die diesen trugen.
 

Nein, es sah eher so aus, als wären sie ein Teil von ihm.
 

Wangji schaute auf den mächtigen Baum zurück und er glaubte zu verstehen.
 

yù nǚ?! Eine Baum-Jungfer.“, kam Wangji die Erkenntnis in einem Tadel über sich selbst, hatten sie sich durch die alten Erzählungen zu sehr darauf versteift, es mit einem irrsinnigen Geist zu tun zu haben.
 

„Sieht so aus.“
 

Nun da sich ihr Ziel verschoben hatte, brachte dies auch ihren gefassten Plan zum Erliegen.
 

Der Baum.
 

Ihn müssten sie bis auf die letzte Wurzel entfernen, um versichern zu können, dass nichts mehr von dessen Einfluss übrig bliebe.
 

Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit für sie drei allein.
 

„Wir werden nichts ausrichten können.“
 

„Ah Lan Zhan, niemand braucht deinen Pessimismus.“, raunte Yi Ling und es war ihm unverständlich wie dieser versuchte dennoch so zu tun, als hätten sie noch ein Ass im Ärmel, das alles würde zum Guten wenden können.
 

Er selbst fühlte sich wiederholt nur unbrauchbar, das es ihn nahezu zornig machte mit anzusehen, wie Yi Ling sich trotz seines Zustandes nun versuchte wieder aufzurichten. Er sich nicht so simpel geschlagen zeigen wollte.
 

Gū niang…“, brachte dieser mit schwerer Stimme hervor, der aber ebenso etwas Mokantes inne wohnte.
 

„Mit so einem ungastfreundlichen Verhalten, ist es kein Wunder das man sie hat sitzen lassen.“
 

Yi Ling brachte sich in einen Lotussitz und schaute mitleidig über seine Anklage.
 

„Welcher Mann möchte schon so eine unkultivierte Frau an seiner Seite haben. Was würden die Leute sagen?“ Er schüttelte theatralisch seinen Kopf und Wangji hörte das aufgebrachte Zischen, dass die Baum-Jungfer von sich gab.
 

„Eine Schande für jeden guten Hausha…“ Sein Satz blieb ihm im Hals stecken, hatte sich die Jungfer der Talismane entledigen können und ihn mit einem aufgebrachten Hieb erwischt, der ihn blutspuckend wieder komplett zu Boden geschickt hatte.
 

Spindelige Finger legten sich um Yi Lings Hals, während man ihn mit zornerfüllten Augen anstierte.
 

„Wie kannst du es wagen unsere Liebe zu verspotten!“, fauchte diese ungehalten und mit einer wallenden, blutdurstigen Aura versehen.
 

„Solch eine Anmaßung, von solch einem erbärmlichen Geschöpf!“ Sie beäugte ihn sich abfällig.
 

„Nichts weiter als verrottendes Fleisch.“, spie sie ihm in das immer aschfarbener werdende Gesicht, das es auch Yi Ling ein geisterartiges Aussehen verlieh.
 

„Er wird nicht zurück kommen…“, brachte Yi Ling mit einem angestrengten Krächzten hervor.
 

„LÜGEN!“ Es war ein Kreischen, das in den Ohren schmerzte.
 

„Er versprach es mir! Zur ersten Hälfte des Mondes der Granatapfelblüte.
 

Er versprach mir den Blick auf die himmelblauen Felder seines Dorfes!
 

Er versprach mir den Sternen-Wasserfall zu zeigen.
 

Er versprach mir, mich zur Frau zu nehmen.
 

Er versprach mir eine Familie!“
 

Mit jedem Versprechen, das sie ihm zitierte, festigte sich der Griff um Yi Lings Hals ein Stück mehr.
 

Das war also ihr Antrieb.
 

Sie wartete auf eine verschollene Liebe.
 

Ließ deswegen womöglich den alten Baum in dieser üppigen Fülle und passionierten Farbe erblühen, um an ihr Versprechen zu erinnern. Das sie noch immer daran festhielt. Das sie auch jetzt noch auf ihn wartete und dieses Monument ihrer Liebe das erste wäre, was er sehen würde, sollte er hierher zurückkommen.
 

Es festigte die Wahrscheinlichkeit, dass sie all diese Menschenopfer benötigte um genug Energie für ihr jährliches Ritual zu bekommen. Das es genug Gewalt kostete den gesamten Ort unter Verschluss zu halten war eine Tatsache, dass es nicht verwunderte, wenn sie für diesen Höhepunkt einfach mehr Nahrung benötigte.
 

Doch zeugten all diese Versprechen ihres Geliebten auch davon, dass sich dieser nicht im Klaren gewesen zu sein schien, das es sich bei seiner Herzdame um einen Naturgeist handelte.
 

Es wäre nicht möglich, sie von ihren Wurzeln zu trennen, um ihr die Welt zu zeigen.
 

Liebe war wirklich ein Spiel ohne greifbare Logik. Ob nun für Mensch, yāoguài oder vom Himmel Geweihte.
 

Wangji war über diese Gedanken zurück zu Lìn Pòsuǒ gesprintet, die das Ganze mit schreckgeweiteten Augen verfolgte, das er ihr einen der übrigen Talismane entziehen konnte, und eilig wieder zurückhuschte.
 

Mit einem kräftigen Sprung und geglückter Koordination brachte er den Talisman an dem Arm an, der Yi Ling gefasst hielt. Ein überraschtes Zischen und der Arm zog sich rasch zurück.
 

Yi Ling sank kraftlos nach hinten und regte sich nicht.
 

„YI LING!“ Keine Antwort.
 

Wangji spürte seinen Unmut über die gesamte Situation weiter in sich aufkommen.
 

Mit einem weiteren Sprung landete er direkt auf dessen Brustkorb, drehte seine Rückseite zu ihm und verpasste ihm einen Tritt mit seinen Hinterläufen ins Gesicht.
 

Ein schwaches Stöhnen von Yi Ling folgte und Wangji atmete einmal tief durch.
 

Dass es Erleichterung war, würde er nicht zugeben.
 

„Lan Zhan…kannst du nicht etwas sanfter sein….“, murrte dieser in seiner üblichen Manier, als er seine Augen ein stückweit geöffnet hatte.
 

Wangji kam nicht dazu etwas darauf zu erwidern, packte ihn etwas und beförderte ihn ruckartig in die Luft, auf das er hart auf dem Boden aufschlug.
 

Es war genug für diesen schwächlichen Körper, um ihn nahezu bewusstlos werden zu lassen.
 

Dennoch versuchte er bei Sinnen zu bleiben.
 

„Lan…Zhan…“ Yi Ling hatte sich etwas aufgerafft und klang aufgebracht besorgt.
 

„Noch solch eine niederträchtige Kreatur.“ Der Talisman an ihrem Arm hatte sich bereits wieder aufgelöst, doch schien ihre Rage sich verstärkt zu haben.
 

Nicht wirklich verwunderlich.
 

Sie griff nach ihm und zeigte ein sadistisches Lächeln.
 

„Wie leicht es wäre ihm das Genick zu brechen, nicht wahr? Nichts anderes sollte mit solch widerspenstigen, dreisten Unruhestiftern geschehen.“ Wangji spürte das Überdehnen seines Genicks und rechnete jeden Moment mit seinem Ende.
 

Es war ehrenvoller, als von einem wilden Hund gerissen zu werden, sagte er sich.
 

„Warte! Ich kann ihn für dich finden. Deinen Geliebten. Nur tu ihm nichts.“ Wangji glaubte nicht das Yi Ling noch wirrsinniger werden könnte, als er es sonst schon war.
 

Doch erreichte dieser mit seiner Finte tatsächlich, das man etwas von ihm abließ, wenn auch nicht gänzlich freigab.
 

„Versuche nicht dich durch verlogene Versprechen, deinem hier gefundenen Ende zu endziehen.“, ließ ihn die Baum-Jungfer wissen, doch glaubte Wangji das sie es dennoch nicht komplett abtun konnte.
 

„Tue ich nicht.“ Yi Ling erschien selbstsicher, nur würde es ihn auf lange Sicht nichts bringen.
 

Wie sollte er jemanden finden der seit gut hundert Jahren schon verstorben sein mochte?
 

„Es gibt einen Weg.“ Sie schaute skeptisch aber schien der Wunsch ihm glauben zu können immer mehr zu überwiegen. Er hatte sich ihrer größten Sehnsucht zugewandt, auch wenn es nur eine Ablenkung war.
 

Sie tauchte nun direkt wieder vor Yi Ling auf, der ihren argwöhnischen Blick fest erwiderte.
 

„Belügst du mich, dann wird es sein Leben kosten. 12 shíchen (ca.24 Stunden), nicht mehr.“ Yi Ling nickte akzeptierend.
 

„12 shíchen.“ Darauf schaute dieser zu Wangji und lächelte erschöpft aber zuversichtlich.
 

„Keine Sorge, Lan Zhan.“ Ihm war danach die Augen zu rollen. Was versuchte der Kerl ihm Zuversicht zu schenken, wenn so viel auf dem Spiel stand, das sein Leben nicht als erste Priorität gelten sollte.
 

„Yi Ling! Sei kein Narr und nutze die Zeit die du gewonnen hast, um einen anderen Weg gegen sie zu finden. Du bist mir nichts schuldig. Wenn das Schicksal hier das Ende für mich sieht, dann werde ich mich dem beugen.“
 

Yi Ling schüttelte den Kopf.
 

„Immer so dramatisch. Habt ihr in euren himmlischen Hallen nichts anderes gelernt?“, war seine schlichte und aufziehende Antwort darauf.
 

„Ich komme zurück, versprochen.“, meinte er daraufhin an die Baum-Jungfer gerichtet, die sich mit einem abschätzigen Laut auflöste und Wangji mit sich nahm.
 


 

Yi Ling unterdrückte den Aufschrei als die Wurzeln mit einem blutig, schmatzenden Geräusch aus seiner Wunde zurückwischen, und ihn der Schmerz einen Moment taumelig machte, bevor ihm Lìn Pòsuǒ half sich aufzurichten und ihn in die Kammer führte, wo sie zuvor zusammengekommen waren.
 

„Lassen sie mich danach sehen.“, meinte sie als er einen weiteren schmerzerfüllten Laut versuchte zu unterdrücken. „Ich habe keine Zeit. Ich muss wissen, ob es Aufzeichnung über die Instandhaltung des Tempels gibt. Wann er gebaut wurde. Wer daran gearbeitet hat.“, informierte er sie und doch rührte er sich nicht gleich wieder von seinem Platz.
 

„Ihre Verletzung hat Vorrang! Ich werde danach nach solchen Unterlagen schauen. Wahrscheinlich sind sie im Quartier des hier zuletzt Zuständigen. Soweit ich weiß, wurde der Tempel nie richtig genutzt, da die Baum-Jungfer ihn sich kurz nach der Fertigstellung zu Eigen machte.“ Yi Ling raunte überlegend. Wenn dies stimmen sollte, hatte er vielleicht Glück und es würde ihn nicht allzu viel Zeit kosten, diese Information zu bekommen.
 

Lìn Pòsuǒ griff sein Handgelenk und zeichnete etwas mit einer bräunlichen Dinktur darauf. Ein warmes Strahlen ging von dort aus durch seinen Körper und sie legte zwei ihrer Finger auf den Punkt kurz unter seinem Rippenbogen und zeigte sich konzentriert.
 

„Es hilft mir andere Verletzungen ausfindig zu machen, die man oberflächlich nicht wahrnehmen kann.“, erklärte sie ihm und er konnte verfolgen, wie sie kurz darauf ihre Augenbrauen irritiert zusammenzog.
 

„Merkwürdig…“, murmelte sie und Yi Ling erahnte den Grund für ihre Verwirrung.
 

Dann riss sie ihre Augen rasch wieder auf und schaute ihm mit einem erschütterten Ausdruck an.
 

„Wie ist das möglich?“ Seine Antwort war ein tiefes, ergebenes Durchatmen.
 

„Dinge passieren. Entweder man ergibt sich ihnen oder man lernt damit zu leben.“, setzte er nach.
 

„Ja aber, dieses Maß an Yin Energie sollte für keinen Menschen erträglich sein. Und so wie ich es sehe, ist ihr Körper nicht weit davon entfernt tatsächlich darunter zu kollabieren. Ich spüre zwar auch ein Pulsieren von Yang aber unter diesen Umständen wird es früher oder später ebenso erlöschen.“
 

Yi Ling raunte matt über diese Analyse.
 

„Ich bin mir dem bewusst. Aber es ist nichts was ich ändern könnte und ich habe mich damit abgefunden. Ich kann am Ende nur das Beste aus meiner verbleibenden Zeit machen.“
 

Lìn Pòsuǒ schaute mitfühlend, doch strafften sich ihre Gesichtszüge wieder und sie zeigte sich entschlossen.
 

„Dann werde ich für den Moment tun was mir möglich ist.“
 

Sie senkte ein wenig ihren Kopf in einer Geste der Melancholie.
 

„Ich hatte einst auch einen Sohn. Seit dem Tag als ich wusste, dass ich ihn in mir trug, habe ich überlegt, wie ich ihm dieses bevorstehende Schicksal dieser Stadt ersparen könnte. Es mochte egoistisch erscheinen, trotz des Wissens, das dieser Ort ihm ein einziger Käfig sein würde, ihn zu bekommen. Zudem trug ich das Geheimnis dieser Stadt allein. Doch allein sein, wollte auch ich nicht. Mein Mann kam noch vor dessen Geburt bei einem Erdrutsch um, ohne je gewusst zu haben, dass sein Leben nie wirklich das seine war. Ich ließ es schließlich so aussehen, als hätte ich eine Todgeburt. Ich legte meinen Sohn, zusammen mit einem Brief in eine Holzkiste, spannte ein Biberfell darüber und versah es mit einem Talisman der vorgeben sollte, dass es sich um ein lebendes Tier handle und täuschte somit die Überwachung. Ich schickte ihn flussabwärts, einzig mit der innigen Hoffnung, dass man ihn finden und sich seiner Annehmen würde. Ich habe so oft gezweifelt, ob es wirklich das Richtige war, oder ob ich ihn einfach nur in seinen Tod geschickt habe.
 

Doch diesmal, möchte ich nicht zweifeln, sondern daran glauben, das sich alles zu einem Besseren wenden lassen kann.“ Auf ihren letzten Satz hin, hatte sie ihn wieder mit festen Augen angesehen und Yi Ling wusste, dass er nicht enttäuschen durfte.
 

Für sie.
 

Für Lan Zhan.
 

Für die Bewohner hier und für sich selbst.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  RamDamm
2020-12-24T15:39:09+00:00 24.12.2020 16:39
Also ich finde das wirklich super geschrieben und es hat mich gefesselt. Vor allem aber konnte man sich alles gut vorstellen. Und entschuldige bitte noch einmal für den verspäteten Kommentar. Ich hoffe das er diesmal bleibt, auch wenn er nicht mehr genau sagt was ich damals sagte, aber das hatte ich dir ja schon geschrieben.


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