Sichtwechsel (Shiharu)
7 Sichtwechsel (Shiharu)
Schüttelnd wachte ich aus meinem Schlaf und schreckte sofort hoch. Es war noch früher Morgen und die Sonne würde noch einige Stunden brauchen um über den Horizont zu klettern. Schweißgebadet wischte ich mir über mein Gesicht und schloss gequält die Augen. Wie lange würde ich noch so erwachen?
Diese Träume waren ein Grund, warum ich oft tagelang keinen Schlaf suchte und diesen Job gewählt hatte, bei dem man wenig an Schlaf dachte. Dadurch waren meine Nerven zwar immerzu gespannt, aber das war besser, als von diesen Dingen zu träumen.
Mit Schwung stieg ich aus dem Bett, duschte und cremte mich anschließend ein. Die markanten Stellen meines Körpers, betrachtete ich dabei nur wenig. Danach richtete ich mein krauses Haar halbwegs und schlüpfte dann in meine Dienstuniform. Die Schlüssel meines Wagens und der neuen Wohnung, die ich erst gestern bezogen hatte, lagen bereit und zusammen mit meiner Dienstmarke verließ ich die Wohnung.
Es war viele Jahre her seit ich das letzte mal in Tokio war. Einiges hatte sich verändert und doch kannte ich noch immer die belebten Straßen, die gut besuchten Parks und die dunklen Ecken in der so manche Gefahr drohte.
Doch genau dafür war ich hier. Es gab eine Bitte nach Übernahme des Inspektorenposten, da der amtierende Inspektor in die Nähe von Yokohama versetzt werden sollte. Außerdem gab es einen interessanten Fall wodurch ich kurzfristig zusagte. Heute war mein erster Dienst und mir wurde das Revier gezeigt und der amtierende Inspektor stellte mich den wichtigsten Personen vor.
Wenn diese nur wüssten, wer ich war, dachte ich gerade und las dann die Unterlagen um mich über den Brandstifter zu informieren. Es gab ein paar interessante Fakten. Immer wieder denselben Ort an dem das Feuer ausbrach, es waren immer reiche Leute. Meine Augenbraue zuckte, als ich dies las und schnell schüttelte ich das unangenehme Gefühl ab. Reiche Menschen konnten grausam sein. Geld eröffnete so manch unmenschliche Tür.
Ich klappte die Akte zu und sah auf die Uhr, als ich das Rauschen des Funkgerätes hörte. Neugierig ging ich auf den Gang, um dem Notruf zu lauschen. Normalerweise waren diese für die Streifenpolizisten gedacht, doch diesmal ging es um das, was meinen ersten Fall als Inspektorin beinhalten würde. Ein neuer Brand war gelegt worden.
„Ms Sakurai! Wir müssen los!“, entschied mein Vorgänger und ich nickte ihm zustimmend zu. Er fuhr uns im Streifenwagen zum Tatort und als wir ausstiegen sahen wir die riesigen Flammen. Es konnte mich nur wenig schockieren, hatte ich schon oft Flammen gesehen und gespürt, aber dennoch war es beeindruckend.
Das Feuerwehrteam war umfangreich und alle waren unheimlich gut eingespielt. Es dauerte nur wenige Stunden, bis sie das Feuer gelöscht und das Haus abgesichert hatten. Mr Suto, mein Vorgänger, ging auf einen der Feuerwehrmänner zu der sich gerade aus dem Haus gestohlen hatte. Dieser zog seinen Helm ab und schnappte kurz nach Luft.
Ebenso wie ich, denn sein Aussehen war ungewöhnlich. Sein silbernes Haar schimmerte in den rotierenden Signallichtern der Einsatzfahrzeuge und seine Augen strahlten in einem ungewöhnlich hellen und satten Goldton.
Eilig unterdrückte ich meine Aura noch weiter. Er durfte mich nicht erkennen und ich wollte kein falsches Licht auf mich werfen. Niemand dürfte erfahren wer ich war. Doch ich würde herausfinden wer dieser Mann war. Mit meinem vollen Selbstvertrauen, welches ich mir schwer erarbeitet hatte, schritt ich an Suto vorbei und stellte mich dem Silberhaarigen vor.
Er war der Hauptfeuerwehrmann und Diensthabende bei allen Bränden. Seine Statur war beachtlich kraftvoll und doch schien er nicht der Hellste zu sein. Ich machte ihm schnell klar, dass ich bald das Sagen haben würde.
Nachdem ich den Posten übernommen hatte, rief ich den Hauptfeuerwehrmann namens Yamata immer wieder an. Er konnte mir keine richtigen Informationen anbieten, aber ich stellte so sicher, dass er sich keine Minute über andere Dinge Gedanken machte. Er sollte den Tatort genau ansehen und mir jede noch so kleine Beobachtung mitteilen.
Nebenbei durchleuchtete ich sein Profil. Das Foto seines Dienstausweises gefiel mir. Die Uniform kleidete ihn stattlich und er sah sehr stark und rechtschaffend in die Kamera. Zudem waren seine Informationen nicht schlecht. Er war ein Jahr älter als ich, zumindest das, was ich angab, und wurde im Winter geboren. Doch was mich sehr wunderte war, dass es keinerlei Informationen zu seinen Eltern gab. Er schien adoptiert, hatte jedoch einen älteren Bruder der im städtischen Krankenhaus arbeitete.
Dies war recht ungewöhnlich, doch ich schenkte dem nicht mehr Beachtung. Schließlich gab es einen Fall der bearbeitet werden musste. Nach meiner Schicht ging ich in die Umkleide des Reviers und zog einen dunklen Jogginganzug an. Diese Kleidung trug ich eher selten, mochte es einfach meine Uniform zu tragen und auch so meine Kurven zu zeigen. Solange ich nicht zeigen musste, was darunter lag.
In bequemen Schuhen fuhr ich die Brandhäuser ab und untersuchte noch einmal die gegebenen Informationen, die ich via Fotos bereits gesehen hatte. Doch bei jedem Tatort fiel mir etwas auf, welches die Kameras nicht erfasst hatten. Ich verzog die Augenbrauen, berührte das Symbol, das auf dem Boden eingebrannt worden war.
Es war ein Auge mit umschlungenen Linien. Grübelnd dachte ich darüber nach, was dies zu bedeuten haben könnte, als ich plötzlich etwas hörte. Knirschende Schritte bewegten sich in dem letzten Brandhaus und aus dem Augenwinkel heraus erkannte ich eine andere Präsenz. Ich fühlte vorsichtig nach der Aura und erkannte sie. Es war die des Feuerwehrmannes Yamata.
Was wollte er hier? Fragte ich mich und versuchte meine Haltung beizubehalten. Mir kam der Einfall, so zu tun als würden mir die Bilder nicht reichen die die Spurensicherung genommen hatte und machte Bilder mit meinem Handy. Ich schlich mich hinaus und beobachtete ihn noch kurz. Er war schnell und geschmeidig in seinen Bewegungen. Dies machte mich nur noch nervöser. Was genau war der?
Nach kurzer Überprüfung fand ich auch heraus, dass man das Zeichen auf den Fotos als Mensch nicht erkannte. Mr Yamata jedoch erkannte sie. Mein erster Beweis, dass er etwas anderes war. So wie ich, gab er seine Erscheinung nicht preis. Wir bearbeiteten den Bericht und da ich seit meinem Dienstbeginn nicht geschlafen hatte, wurde ich immer müder.
Was mir an dem Hauptfeuerwehrmann gefiel waren die kleinen Kämpfe, die wir führten. Er war schnippisch und lockte mich in so manche Falle. Das machte Spaß und ich ärgerte ihn nur zu gerne mit Engstirnigkeit und Arroganz. Ebenso lieferten wir uns richtige Fehden und ich nahm ihn fest. Diese Sache lief kurz aus dem Ruder, als er seine Dienstkleidung ablegen musste, um mit mir ins Revier zu kommen. Ich konnte meinen Blick nur wenig von seinem Körper abwenden. Er hatte einen unglaublich gut trainierten und definierten Muskeltonus. Seine Haut war ebenmäßig und jede Bewegung zeichnete seine Stärke ab.
Diese Beobachtung gab ihm natürlich Anlass dazu mich aufzuziehen, worauf ich nicht einging. Am Ende des Abends, an dem wir den Bericht verfassten, übermannte mich die Müdigkeit auf seinem Schoß. Er war warm, weich und legte seine Arme schützend um mich. Auch wenn ich nicht lange schlief, so tat ich es ohne Alpträume. So hätte ich noch Stunden der Erholung genießen können, aber wir waren kein Paar. Niemand durfte meine Schwäche erkennen und so trennten sich unsere Wege vorerst.
Ich versuchte die Anrufe zu unterlassen. Mittlerweile duzten wir uns und hatten auch die Privatnummern ausgetauscht. So viel Kontakt zu einer anderen Person hatte ich schon ewig nicht mehr gehabt und wenn ich auf dem Display sah, dass er online war, machte mich dies nervös.
Für den Abend, an dem der nächste Brand stattfinden würde, verabredeten wir uns, um gemeinsam den Notruf anzunehmen und so schnell wie möglich dort hin zu fahren. Ich hatte eine Hundertschaft zu befehligen und doch machte ich mir mehr Gedanken darum ihn wiederzusehen. Warum nur?
Um mich von dieser Frage abzulenken, wollte ich etwas zu essen mitbringen, damit wir uns stärken konnten. Ob man dies vielleicht komisch erachten könnte, da wir eigentlich nur Dienstkollegen waren? Egal, seufzte ich. Ich brauchte Ablenkung und wenn ich 24 Stunden auf der Wache verbrachte, warf dies nur unnötige Fragen auf. Ich musste also nach Hause und dort kramte ich den einzigen Topf heraus, den ich besaß. Denn ich konnte nur eine Speise wirklich zubereiten. Und das war Nudelsuppe. Irgendetwas anderes wurde mir nie gezeigt. Ich hatte am Ende auch kein Interesse mehr gehabt kochen zu lernen und stürzte mich lieber in die Arbeit. Ich würde niemals die nette und fürsorgliche Hausfrau sein. Mein Leben würde aus der harten Arbeit im Dienst des Landes bestehen. Fertig.
Da ich keinerlei Lebensmittel im Haus hatte, ging ich einkaufen. Auf dem Weg schrieb ich Yash, dass ich essen mitbringen würde und hatte dabei ein warmes Gefühl auf den Wangen. Was war das nur für eine unbekannte Aufregung in meinem Inneren, wenn ich an ihn dachte. Daran dachte ihm eine Freude zu bereiten.
In einem kleinen Lebensmittelladen fand ich alles, was ich brauchte und trat danach ins Freie. Ein kleiner Spielplatz war in mitten eines Parkers angelegt. Lächelnd beobachtete ich die Idylle, die die Jugend ausstrahlte und deren Eltern, die hofften das dieser Zauber niemals aufhören würde.
Silbriges Haar stach mir in den Augen, da die Sonne herauskroch und sie erhellte. Da sah ich ihn und mir stockte der Atem. Er saß dort, neben einem Mann und redete mit diesem. Vor ihm kroch ein kleiner Junge im Gras und ein kleines Mädchen machte sich von ihm aus auf, um auf dem Spielplatz herumzutollen. Was hatte dies zu bedeuten? Hatte er ein Kind? In seiner Akte stand nichts darüber. Sicher war es das Kind seines Freundes, redete ich mir ein und wendete mich schnell ab. Doch mein Herz schlug schneller. Aus Angst. Angst das er ein wunderbares Leben hatte. Ein Leben in dem ich keinen Platz finden würde.
Am Abend brachte ich die Suppe mit und wir aßen. Die Suppe war schmackhaft aber unausgeglichen. Etwas zu viel Salz, zu wenig Miso. Ich bereute es sie mitgebracht zu haben, doch Yash war ein Gentleman. Ramen waren seine Lieblingsspeise, erklärte sein Kollege der sich rar gemacht hatte und so gelang es mir wohl, trotz des eigenartigen Geschmacks, Freude in seine Augen zu bringen.
Er schlug ein weiteres Essen vor, als der Notruf einging und wir unsere Positionen einnahmen. Seine Routine war unglaublich. Er war schnell, geschickt und zusammen mit seinem Team brachte er dieses Höllenfeuer zum Löschen. Mir lief es eiskalt den Rücken hinab, immer dann, wenn die Flammen erneut versuchten hochzukochen. Doch es war anders, als die Angst die ich vorher vor den Flammen gehabt hatte. Nur weil er darin war, fühlte sich die Angst anders an. Unbehagen machte sich in meinem Magen breit und nachdem es grünes Licht gab und das Gebäude nur noch abgesichert werden musste, ging ich hinein, um nach ihm zu sehen. Natürlich gab ich auch vor, es lag ja wirklich auch in meinem Interesse, dass ich nach der Brandstelle sehen wollte, die für uns relevant war.
Yash packte mich am Arm, zog mich zurück, weil sie noch nicht alles abgesichert hatten. Ich wurde ungehalten und tat einfach, was ich wollte. Kniend besah ich die Stelle, fand das Zeichen erneut und hätte gerne wieder gefragt, ob er es auch sieht, als ich ein knirschendes und krachendes Geräusch hörte. Aus Reflex wendete ich meinen Blick hinauf, in die Richtung, aus der ich es hörte und zog gerade den Atem ein, als ich Hände an meiner Taille spürte, die mich an einen Körper rissen, welcher dann mit mir fortsprang. Meine Lunge entleerte sich als wir zum Stillstand kamen und der Balken neben uns in den Boden krachte. Das Holz splitterte in alle Richtungen, doch Yash schütze mich vollkommen.
Er hatte mich gerettet. Mit einer Schnelligkeit, die nicht unbemerkt bleiben und ihn in Gefahr bringen würde. Er würde seine wahre Identität preisgeben. Nur für mich?
Ich musste handeln. Ein Ablenkungsmanöver planen und so nahm ich ihn vor versammelter Mannschaft fest. Natürlich wehrte er sich verbal und die ungläubigen Blicke aller Beteiligten waren mir sicher. Doch so würde niemand genau darüber nachdenken und vielleicht vergessen, was er getan hatte.
Um es etwas glaubhafter darzustellen und um ihn die Tragweite seines Fehlers aufzuzeigen übte ich mich in Geduld bevor ich ihn verhörte. Ob ihm auffiel das ich allein kam, sogar die Tür verschloss? Ihm somit mein volles Vertrauen schenkte. Es mag unverschämt von mir gewesen sein, dass ich ihm nicht für die Rettung dankte. Aber dafür gab es andere Gründe.
Unser Gespräch begann professionell und immer wieder forderte ich ihn heraus. Würde er mir sein Geheimnis einfach so verraten? Ohne zu wissen, dass ich wusste, was er war? Wie leicht konnte ich ihn in die Gefahr locken, dass die geheime Welt aufflog?
Er hielt sich standhaft, jedoch war er kampferprobt. Sein Ego ließ es am Ende nicht zu, dass ich dieses Spiel mit ihm spielte. Vielleicht wollte er es mir auch sagen. Ich weiß es nicht und fand mich schneller als ich gucken konnte an die Wand gepresst wieder. Er küsste mich, brachte mein Herz zum Flattern und ich spürte das Verlangen mehr von ihm zu bekommen. Ich umschlang ihn, klammerte mich an seinen starken Körper und genoss die Bewegungen seiner Lippen. Wir vertieften den Kuss, ich spürte die Lust aufsteigen und ein Kribbeln im unteren Bauch. Seine Hände wanderten an meinen Beinen hinauf und ich verfluchte augenblicklich das ich einen Rock trug. Er würde sie sehen. Meine Haut. Und so sehr ich es auch wollte, ich musste den Kuss beenden. Er würde mein Geheimnis herausfinden. Das durfte nicht passieren. Niemals.
Auch wenn ich nun wusste, was er war, von seiner Kraft und Schnelligkeit. So durfte er niemals erfahren woher ich kam, was und wer ich eigentlich war. Wir waren uns ähnlich, weswegen ich den Kuss wohl zugelassen und so sehr genossen hatte. Aber nun war Schluss. Ich musste die Zusammenarbeit schnell vorüberbringen. Den Fall beenden. Den Yokai hinter dem Auge finden. Und dann würde ich viel Abstand zu Yash nehmen. Damit er mich vergaß.
Dieser Gedanke stach mir direkt ins Herz, als ich in einen anderen Raum geflüchtet war. Mein Büro kam mir nicht wie der gesuchte Schutz vor, den ich gerade brauchte. Aber den, den ich brauchte, könnte ich nicht bekommen. Nur er konnte mich schützen. Und das ginge nicht, ohne dass ich ihm zeigte, was ich war.