Unverhofft kommt oft
Jonouchi war etwas weggedämmert, während eine der überdrehten Unterhaltungsshows im Fernseher leise gelaufen war, in der die Kandidaten aberwitzige Hindernisparcours absolvieren mussten. Doch er fand keine Ruhe. Immer wieder wachte er zusammenzuckend auf, blickte sich um, bevor er erleichtert wieder in das Kissen zurück fiel. Er atmete tief durch und starrte an die Decke. Wenn er morgen entlassen werden würde, dann würde er drei Kreuze in einem Kalender machen.
"Schätzchen", drang durch die offene Tür eine ihm vertraute Stimme an sein Ohr. Sofort war Jonouchi hell wach und saß aufrecht. Er blickte zweifelnd zum Fernseher. Vorsichtig griff er nach seiner Fernbedienung und schaltete das Gerät aus. Sicherlich hatten seine Sinne ihm einen Streich gespielt.
"Schääätzchen", kam es dieses Mal lang gezogen und mit deutlicher Ungeduld in der Stimme. Der Fernseher war aus und die stumme Hoffnung, dass es doch eine Sinnestäuschung gewesen war, erlosch in dem Blonden.
"Hey, wen muss ich hier flachlegen, um eine Auskunft zu erhalten", hallte es wieder über den Flur. Die Krankenschwester kam aus dem Bereitschaftszimmer, in dem sie gerade mit der Hausapotheke gesprochen hatte, um den Tagesbedarf für die Abendmedikamente durchzugeben. Sie musterte den ungepflegten Mann Mitte Vierzig, der in einem Flanellhemd vor ihr stand, das definitiv eine Wäsche notwendig hatte. Genau wie der Mann eine Dusche dringend brauchte.
"Schätzchen, ich bin nicht deine Kragenweite", meinte er mit einem Grinsen. "Aber vielleicht mach ich für dich eine Ausnahme."
"Ähm... Sie wünschen?", fragte die Krankenschwester verunsichert und leicht angewidert, wobei sie bemüht war, ihren Ekel nicht zu sehr nach außen dringen zu lassen.
"Was ich mir wünsche?", kam es süffisant von dem Mann, als würde er eine anzügliche Unterhaltung mit der jungen Krankenschwester führen. "Glaub mir, Schätzchen, dass möchtest du nicht wissen."
"...", sprachlos sah sie ihn an und wusste im ersten Moment nicht, was sie darauf erwidern sollte. "Vielleicht wenden Sie sich an die Info-Theke im Erdgeschoss."
"Oh, bist wohl so eine frigide Lesbe, die keinen Spaß versteht, was?", kam es spottend von ihm.
"Was wollen Sie denn hier?", kam es etwas resoluter von der jungen Frau.
"Hey, hey ... jetzt nur nicht zickig werden. Ich will zu meinem Sohn!", kam es angespannt von dem Mann mit dem leichten Bierbauchansatz.
"Und der Name ihres Sohnes ist ...?", fragte die Krankenschwester angestrengt weiter, die einen halben Schritt nach hinten wich, da der Körpergeruch des Mannes begann sich zu verteilen.
"Jonouchi", antwortete der Amerikaner genervt und kramte in seinen Taschen, bis er ein Päckchen Red Apple-Zigaretten hervor kramte und eine Zigarette raus zupfte.
"Das Rauchen innerhalb des Krankenhauses ist verboten", wies ihn die Krankenschwester hin.
"Und wer will mich daran hindern, mir die Kippe jetzt anzuzünden?", fragte er mit einem leicht aggressiven Unterton.
"Wenn nötig, der Sicherheitsdienst, Herr Jonouchi", erwiderte nun die junge Frau leicht angesäuert. Also klemmte der Blonde die Zigarette hinter sein Ohr.
"So, jetzt zufrieden? Also, wo ist jetzt der Nichtsnutz?", zischte der Alte ihr entgegen. Die Krankenschwester zögerte. Sie wollte diesen Mann nur ungern zu seinem Sohn lassen, doch rechtlich gesehen hatte sie keine Möglichkeit ihm das zu verwehren. Also blickte sie auf den Zimmerplan, auf dem die Belegung notiert war.
"Ihr Sohn liegt in Zimmer 16, am Ende des Flures", beauskunftete sie ihm schließlich und wollte hinter dem Tresen vorkommen.
"Mach dir keine Mühe, Schätzchen ... geh und lackier dir die Fingernägel oder schmink dich erst mal fertig oder verschaff dir mit 'nem Massagestab ein wenig Entspannung", winkte der Amerikaner ab, wandte sich von der Theke und ging den Flur entlang.
Die Krankenschwester schnappte kurz nach Luft. Also nahm sie den Hörer zur Hand und rief den Sicherheitsdienst, denn irgendwie befürchtete sie, dass das hier gleich sehr schnell eskalieren könnte. Dann folgte sie dem widerwärtigen Mann zum beauskunfteten Zimmer. Dieser war im Türrahmen stehen geblieben und als sie näher kam sah er sie verärgert an.
"Zu dumm den Belegungsplan abzulesen, was?", zischte er sie an.
"Ich muss doch sehr bitten. Ich hab mir ...", wollte sie sich jetzt echauffieren.
"... das Hirn vom Oberarzt rausvögeln lassen?", fiel der Amerikaner ihr ins Wort und vollendete den Satz.
"Sie müssen jetzt gehen", fauchte die Krankenschwester.
"Nicht bevor ich bei meinem Versager von Sohn war. Also Schätzchen, dackel mal ganz fix zurück zur Station und schau noch mal auf den Plan", widersprach der Blonde erbost.
"Nein", entgegnete sie ihm laut und standhaft.
"Ich kann sie auch anzeigen", kam es nun drohend von dem Älteren.
"Weswegen? Wenn, dann zeig ich Sie wegen ihrer sexuellen Belästigung an", gab sie nun erbost Konter. Daraufhin packte der Blonde sie grob an der Schulter und sie schrie erschrocken auf. Doch der Sicherheitsdienst war schon zur Stelle, griff nach dem Handgelenk des Säufers und löste die Hand von ihrer Schulter. Sie taumelte geschockt einen Schritt nach hinten, während der Ältere sofort loskeifte.
"Ich will zu meinem Sohn", schrie er laut. Sie schob sich an ihm vorbei in das Zimmer und sah das Bett verlassen dastehen. Die Infusion ergoss sich auf dem Boden, da die Nadel wohl ziemlich hastig entfernt worden war ohne den Schlauch zu schließen. Der schmale Schrank, in dem die Kleidung des Teenagers gehangen hatte, war leer. Ebenso fehlten seine Schuhe, doch auf dem Boden lag eine einzelne Socke. Das ließ sie vermuten, dass er seinen Vater gehört und das Weite gesucht hatte.
"Scheinbar wollte aber ihr Sohn Sie nicht sehen und ist verschwunden, während sie mich an der Theke so dumm angemacht haben", giftete sie ihn an, bevor sie dem Sicherheitsdienst mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, dass der Herr nun gehen wollte. Unter lautem Protest wurde er von der Station und dem Stockwerk entfernt, während sie zu ihrer Theke zurück eilte. Sie griff nach einer Visitenkarte, die am Korkbrett festgepinnt war, und wählte die Nummer, die darauf handschriftlich vermerkt war.
"Es tut mir leid, aber ich muss Ihnen leider sagen, dass Herr Jonouchi eigenmächtig das Krankenhaus verlassen hatte. Sein Vater ist aufgetaucht und hat sich nach ihm lautstark erkundigt. Daraufhin hat der junge Mann das Weite gesucht", berichtete sie ihrem Gesprächspartner. "Ja, ich verstehe. Natürlich. Es tut mir wirklich sehr leid."
Dann wurde auf der anderen Seite aufgelegt.
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