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What if...

Wenn die innere Welt mit der äußeren kollidiert, sind Parallelwelten nicht mehr fern.
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Musiktipp: Aloe Blacc „Ticking Bomb“ Komplett anzeigen

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Wenn die innere Welt mit der äußeren kollidiert, sind Parallelwelten nicht mehr fern.(F. F. Kovacs)


 

Der Regen trommelte gegen das Glas der Ladenzeilentür, ehe er in dicken Tropfen schwermütig daran hinabrann. Zäh – als hielte er an seiner perlenförmigen Erscheinungsform fest und verweigerte den natürlichen Lauf der Dinge. Etwas, das er auch von ihrer Art gut kannte. Nicht, dass er sich damit je viel aufgehalten hätte. Er war nicht sein Vater. Dennoch erinnerte er sich, dass es sich übertrug. Auf Mischwesen. Wie seinen Bastard. Auch etwas, womit er sich nicht weiter aufgehalten hatte, bis… Das aufgeregte Klimpern ihres Schlüssels vertrieb die Erinnerung aus längst vergangenen Tagen, als sie in ihrer übergroßen Handtasche danach kramte. Der charakteristische Laut, sobald ihre feingliedrigen Finger zielsicher das Schloss fanden, drang über die mit Feuchtigkeit geschwängerte Luft sogar bis hinauf auf das gegenüberliegende Flachdach der ehemaligen Lagerhalle. Keine Kunst für seine Art, den Laut aus den unzähligen Klangfarben des Regens herauszuhören. Einzig seine feine Nase hatte den Kampf gegen die Naturgewalt bereits vor einer geraumen Weile verloren.
 

Sie war gewohnt spät dran, sodass die übliche Aufregung aus dem hinteren Bereich rasch erstarb. Als glaubten ihre vierbeinigen Schützlinge den nächsten Morgen rascher herannahend, wenn sie sich nur rasch schlafen legten. Ihresgleichen war schon immer befremdlich zweigespalten mit so manchen Geschöpfen Mutter Naturs umgegangen – etwas, das er nie bemüht gewesen war, auch nur im Ansatz verstehen zu wollen. Sie hatten es nie abgelegt. Es hatte sich lediglich mit der Zeit verändert, wie so ziemlich alles in ihrer vergänglichen Welt. Nichts, was ihn zu kümmern hatte.

Sein funkelndes Gold erhaschte den abklingenden Zug in der Spiegelung des Mondlichts, als sie sich gen Hauptstraße wendete. Der dicke Schlüsselbund mit dem selbst gefertigten Stoffband verschwand beiläufig in ihre Manteltasche, sodass einzig seine Endfäden von seiner kunterbunten Farbenpracht kündeten. Sie trug generell leuchtende Farben. Etwas, das Menschen zuweilen taten. Solche, die viel lachten, meinte er. Nicht, dass er es sicher wusste. Doch seine Tätigkeit brachte eine gewisse Routine mit sich, welche Rückschlüsse nahelegte. Zwangsläufig. Sie lachte viel – auch mit Interessenten. Auch jetzt wirkten ihre zierlichen Schritte beschwingt, als sie den vertrauten Weg einschlug. Weil ihre Schritte kaum Geräusche verursachten über die Klangfarben der dumpf auf den Asphalt aufschlagenden Regentropfen. Er erhob sich mit dem aufkommenden Wind – im Einklang mit den Schatten der Nacht. Der Regen wie ein Schleier um seine hünenhafte Gestalt.

Instinktiv mummelte sie sich in den pastellfarbenen Wollmantel, während sich ihre zierliche Gestalt geschickt ihren Weg durch das geschäftige Treiben bahnte. Sie hielt dabei eine Grunddistanz zu ihresgleichen – ähnlich wie es seinesgleichen tat. Nun, die meisten davon. Es war nicht das erste Mal, dass es ihm auffiel. Eine Sonderheit, die ihm zuweilen schon begegnet war. Nicht viele ihrer Art zeigten sie. Es erlaubte ihr die Anonymität, in die sich seine Art vor so langer Zeit begeben hatte, dass selbst er nicht mehr wagte, den genauen Zeitpunkt zu benennen. Er war lange schon ohne Bedeutung. Für die meisten seiner Art.
 

Als sie in die weniger belebte Seitengasse einbog, setzte er zu seinem ersten lautlosen Schritt an.

Es war nicht mehr weit – und dennoch blieb ihm ausreichend Zeit. Die nächste Windböe verwischte die Spuren seines übermenschlichen Sprunges über die Dächer. Das ein oder andere raubtierhafte Leuchten, welches doch den Blick hinauf wagte, blieb verhalten in seiner ererbten Finsternis. Niemand hatte sich in seine Angelegenheiten einzumischen. Ein ungeschriebenes Naturgesetz in seiner Welt. Alle folgten ihm, ganz wie die Regentropfen ihrem immerwährenden Kreislauf.

Alles hatte seine Ordnung – in ihrer wie in seiner Welt.

Auch sie befolgte sie. Jetzt gerade. Auf dem Weg zu den Kollegen, mit denen sie sich einen jeden Freitag traf. Eine Routine. Ein Angriffspunkt. Der einzige Abend, an dem sie sich nicht abholen ließ. Nicht, dass sie tatsächlich jemals arbeiten müsste. Ihre Eltern hatten ihr bei Weitem genug Geld hinterlassen. Etwas, das Menschen einst erfunden hatten, um scheinbar niemals damit umgehen zu können. Vielleicht auch etwas, das nie für ihre kurze Lebensspanne und die damit einhergehende begrenzte Sicht auf die Welt geeignet gewesen war. Dass sie also dennoch tagtäglich ihrer Arbeit nachging, war irrelevant für ihn. Relevant war nur, dass sie den schmalen Pfad durch die dunkle Gasse routiniert einschlug – auch an diesem Freitag.

Doch heute Abend blieb sie abrupt stehen – im grellen Schein eines automatischen Lichtes, welches zwar klein, jedoch unnatürlich steril den kleinen Spot um sie herum taghell erleuchtete. Es zwang auch seine raubtierhaften Bewegungen, sich einzugliedern in die Schatten seiner Nacht.

Tatsächlich wagte er den Schritt an ihre Seite – hoch über den Schatten der Dächer, welche sich aneinander zu schmiegen schienen. Erst das erlaubte ihm den ungetrübten Blick auf die Nichtigkeit, in seiner Welt, welche ihren Gang so überraschend gestoppt hatte. Ein Blumentopf. Er stand einsam und verlassen am Hintereingang zu einem der mehrstöckigen Gebäude mit den viel zu kleinen Zimmern für mindestens drei ihrer viel zu kurzen Generationen, ging es nach ihm. In Ihm reckte sich eine einzige Blume, karg und klein, gen viel zu eng beieinander stehende Hausfluchten in den fernen Himmel empor. Tatsächlich gestattete er sich den merklichen Zug, welcher seine Augenlider nur knapp, kaum bemerkbar, aber doch über sein leuchtendes Gold schob. Er verstand nicht, was ihren Blick gefangennahm. Sah die Einzigartigkeit nicht, welche sie in der Unmöglichkeit erkannte, dass etwas so Schönes an einem so widrigen Ort, ohne Licht und mit viel zu hoher Feuchtigkeit, dennoch hervorgebracht werden konnte. Aber er erkannte seine Chance, diesen Abend auch für sich in einen zumindest unterhaltsamen zu verwandeln.
 

Schönheit barg stets etwas Gefährliches in sich. Nicht nur in seiner Welt. Etwas, das Ihresgleichen wohl auf ewig zu ignorieren bereit bleiben würde.

Noch mochte er die Gänsehaut nicht sehen können. Die Feuchtigkeit nahm ihm den Triumph, ihre naturgegebene Angst riechen zu können. Trotzdem war er unverkennbar da. Wach und klar – wie seit jeher. Ihr naturgegebener Urinstinkt, der die Beute vom Jäger trennte. Mochte Ihresgleichen auch irgendwann beschlossen haben, ihn geflissentlich zu ignorieren. Er hatte längst damit begonnen, auch ihr kleines Menschenherz in seinen erbarmungslosen Griff zu schließen.

Er konnte es hören. Einen jeden ihrer Schläge. Wie sie sich immer stärker aufdrängten. Sie zum Aufbruch bewegen wollten. Und wie all die Ihren hatte sie längst verlernt, sie anzuhören. Stattdessen starrte sie wie gebannt auf das wenige Pflänzchen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde durchzuckte ihn die bittere Erkenntnis. Ein Triumph zu leicht verdient für ihn, den Sohn seiner Eltern. Ein Gedanke aus einer anderen Welt zu einer anderen Zeit. Heute lagen die Dinge anders. Warum also nicht das nutzen, was sich ihm bot?
 

Der Wind nahm den verspielten Zug von seinen schmalen Lippen, als er den unnatürlichen Sprung lautlos in die Tiefe tat. Nicht einmal der Sand, welchen der Wind von der Küste verbrachte, knirschte unter seinen Schuhen. Seine Statur streckte sich alsbald schattenhaft nach ihrer grazilen Kehrseite, während er die Magie der Vorfahren seiner Art erinnerte. Einer Schöpfung seinen Willen aufzuzwingen bedurfte zweierlei, mochte sie auch noch so unbedeutend sein: eines gewissen Know-hows und der Konzentration.

Der Grund, warum es dauerte, ehe sich ihm die mächtige Präsens erschloss. Sie war alt. Nicht älter als er, aber in ihrem Vermögen um so vieles weiter. Näher an dem, was er suchte. Viel näher. So nahe und machtvoll, dass sie in seinen angespannten Sinnen aufglomm wie ein Feuerwerk. So präsent, dass sie selbst die zierliche Mädchengestalt wieder aufrichtete, ohne dass die genau benennen hätte können, warum.

Er wusste um seinen fatalen Fehler, noch ehe er die Augen schlagartig öffnen hatte können. Sie hatte längst ihren zierlichen Schritt zurück in das Dunkel seiner Welt getan. Ihr braunes Haar traf seine Schleimhaut wie ein Hieb aus blumiger Frühlingsfrische, noch ehe die Klinge in ihrer fatalen Präzision schmerzhaft durch sein Sinnesnetz surrte.

Im Augenwinkel erkannte er das feinsträhnige Silber, während ihre Silhouette immer weiter in die Schatten entglitt. Es war nicht seines – und doch das Seine – und kam einem Peitschenhieb gleich, als er ihre Weichheit wiedererkannte, lange bevor sich die beiden violetten Male in seine Netzhaut brannten. Auch sie ganz die Seinen.
 

„Du wirst niemals so weit sein“, beantwortete noch seine stumme Frage, ehe das Leben in seinem Gold vor seinem raubtiergoldenen Augenhintergrund erlosch.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich muss gestehen, dass ich schon ewig lange nichts mehr so Kurzes geschrieben habe…
Merkt(e) man, dass der Titel die zündende Idee/das Leitmotiv hinter dem Minitext war?
Beide Versionen ein und des Selben wiedererkennbar?
Eine kleine Gedankenspielerei..., die mich, zugegeben, ordentlich Mut gekostet hat, on zu stellen… Aufregend.

Der Vorteil bei einem Computercrash ist, dass man, sozusagen, rebootet – zumindest scheinen das meine Musen getan zu haben. Dazu ist es vielleicht nett zu wissen, dass ich bereits seit Langem etwas zu Sess und Rin schreiben möchte. Nie kam mir die zündende Idee. Auch nicht, als mir eine der ganz tollen Schreiberinnen hier vor einiger Zeit bereits den Anstoß gab, doch mal was komplett Anderes zu probieren. Fehlanzeige. Gut Ding will Weile haben, heißt es ja so schön, nicht wahr?
Da ich nach den vergangenen Wochen echt schon überreif bin und nach Erholung lechze, konnte ich den freien Abend kaum mehr herbeisehnen. Demnach empfinde ich die Blitzidee gerade nahezu als Belohnung, mit der mich also meine Musen beschenkten.

Ich weiß, ein erster Versuch und kein großer Wurf. Aber, ich bin mal mutig und hoffe, dass es euch, liebe LeserInnen, zumindest angenehm entführen konnte – wenn auch nur kurz?
Ich sehe es mehr als kleine Schreibübung (die, dankbarerweise) im aufregendsten Moment, dem des Entstehens, aufs digitale Papier kommen konnte. Ich hatte meine Gaudi und hoffe, euch, liebe LeserInnen, ein klein wenig aufs Glatteis geführt haben zu können.


Es grüßt lieb und wünscht beste Gesundheit,
Amalia-chan Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Boahencock-
2023-03-20T04:36:57+00:00 20.03.2023 05:36
Gurdmorng!

Es ist dir auf alle Fälle gelungen 😊😊
Sehr schön geschrieben
Es ist Herz zerreißent , traurig mannkann sich gut in die Karakter hinein versetzen.

1A 👍😊
Boa

😼😉😼
Antwort von:  Amalia-chan
22.03.2023 07:23
Liebe Boa,

Vielen lieben Dank für deine Treue und dein Interesse auch hieran.
Es freut mich sehr, dass es dich bewegen konnte.

Lieben Dank für deine Zeit, die du dir für deine Rückmeldung wieder für mich genommen hast.

Sei versichert, es hat mich aufgebaut und sehr erfreut. Ich hoffe, dem bald wieder gerecht werden zu können
Danke für deine Zuspruch und die dringend benötigte Ermutigung, Zeit fürs Schreiben zu erübrigen.

LG
A.-chan
Von: Morgi
2022-10-25T16:53:15+00:00 25.10.2022 18:53
Hallo!

Es ist eine feinfühlige, fast melodramatisch-gezierte Art, mit der du Umgebung und Eigenschaften beleuchtest. Ich bin in das kunterbunte Schlüsselbund verliebt, in die Ehrlichkeit, dass er gar nicht so viel von Menschen weiß und doch jede Regung über einen Kamm schert, bevor er es beurteilt. Dass Rin sich ausgerechnet einen Blumentopf sucht, brachte ihr ein Schmachten meinerseits ein: So typisch! Das ist der Sprung zwischen kindlicher Faszination, Lebenslust und dem Wissen, dass es nichts Großes sein muss, um innezuhalten.
Umso ahnungsloser wirkt sie inmitten des Lichtkegels (auch toll beschrieben!), der mich in der Nähe des Raubtiers eher an einen Präsentierteller erinnerte. Indirekt bekommt man von beiden Alltäglichkeiten untergeschoben, sodass man fast vergisst, wie unheimlich es ist, dass er viel zu viel über ihre Gewohnheiten weiß. Wie bedrohlich, als er sich nähert - und wie vernichtend, als sie entschwindet.
Die Schreibübung, wie du sie nennst, ist atmosphärisch dicht gepackt. Ich glaube übrigens, dass dir Szenerien an der Küste und am Meer liegen, weil es (wie im "Hauch der Vergangenheit") immer ein bis zwei Sätze sind, die das punktgenau einflechten.

Viele Grüße, Morgi
Antwort von:  Amalia-chan
06.11.2022 11:41
Liebe Morgi,
*lach* das nächste ad-hoc-Werk, diesmal mit der eigens gestellten Challenge auf Kommando sozusagen zu schreiben. Freut mich, dass die gezielte Stimmung ach von mir erzeugt werden konnte- und nicht zu viel verloren ging. Es wurde ad hoc gepostet - und nicht wie sonst üblich daran gefeilt tagelang.
Ich muss gestehen, nach all der Zeit wieder ins Fandom einzutreten, war sowohl ein vertrauter als auch befremdlicher Schritt. Dem Erinnern an die Charaktere ging eine intensive Recherche voraus, um sicher zu gehen. Ein Glück kam vieles wieder, aber manches sah ich nach all der Zeit doch auch aus einem neuen Blickwinkel. Ich denke, das war und bleibt das Faszinierende an Charakteren wie Sesshoumaru, ihre Verschwiegenheit. Damit lässt sich vortrefflich spielen. Es freut mich also, wenn es ein "so typisch" hervorrufen kann.

Fandom schreiben bedeutet für mich, Wiedererkennbares einflechten bzw. das bleibt mein Ziel.
Mir wurde bereits nachgesagt, der Regen sei mein Thema/Motiv *lach*, auch hier wieder, ich beschrieb, was sich vor meinem geistigen Auge an Kulisse hochzog, natürlich in Erinnerung an reale Erfahrungen. :)

Danke für das punktgenau. Ich hoffe, das bleibt mir erhalten. Momentan komme ich, fürchte ich, etwas aus der Übung.

Es bedankt sich und wünscht eine angenehme Herbstzeit (hoffentlich auch so sonnenverwöhnt wie bei mir heute im Hohen Norden)

A.-chan
Von:  Vigeta_Lord_d_T
2021-09-25T02:47:57+00:00 25.09.2021 04:47
Glatteis ist gut vom Ende bin ich jetzt komplett überrumpelt. Auch etwas traurig. Hätte eigentlich was ganz anderes erwartet.
Muß aber sagen der os ist dir gut gelungen 😈😈😈😈 .

Ps. Leser
Antwort von:  Amalia-chan
25.09.2021 18:47
Hallo,
erstmal vielen lieben Dank, dass du dir wiedermal die Zeit für meine Schreibselei und für mich genommen hast.
Ja, es war eben mal was Anderes, was ich hier zuließ- getreu des Mottos, öfter mal was Neues. Tut mir natürlich leid, dich da enttäuscht zu haben. Ich hoffe, das nächste Mal ist wieder was für dich dabei. Umso dankbarer bin ich dir, dass du mich dennoch an deinen Eindrücken hast teilhaben lassen. War, wie stets, sehr wertvoll für mich.

Vielen lieben Dank dafür.

Es grüßt,
A.-chan

PPS: ich hoffe, ich hatte LeserInnen geschrieben (wenn ich zu faul bin, Leser und Leserinnen zu schreiben, erlaube auch ich mir das Gendern ;)) Ansonsten bitte ich um Verzeihung, es soll natürlich sowohl die Leser als auch die Leserinnen ansprechen/meinen :)


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