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Until the End

von

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Vorwürfe

Sie wollten sich gleich treffen, um zu proben. Aber er wusste nicht, ob er auch wirklich hingehen sollte. Ein paar Tage waren seit dem Konzert in Cold's Club vergangen. Und seine Stimmung hatte sich seit dem nicht mehr verbessert. Es war genauso gekommen, wie er es befürchtet hatte. Und deshalb saß er jetzt schon eine ganze Weile auf dem Bett seines kleinen, schäbigen Zimmers und dachte nach. Nein, eigentlich versuchte er einen Ausweg für sich zu finden. Er wusste zwar nicht was mit ihm los war, aber ihm war klar, dass es etwas Ernstes war. Es konnte ja nicht normal sein, dass er sich manchmal Tage nach einem Konzert so überflüssig vorkam. So richtig unnütz und einfach nur taub.

Diese Traurigkeit und Taubheit konnte man auch in seinen Augen sehen. Und um sich aus dieser Spirale von Traurigkeit, Verzweiflung und Selbstvorwürfen zu befreien, hatte er angefangen Texte zu schreiben. Sie waren nicht besonders gut, das wusste er, aber für ihn dennoch ein wichtiges Ventil. Und wenn er sich heute einige der alten Texte durchlas, überkamen ihn wieder diese schmerzhaften Erinnerungen. So war es auch bei dem Text, den er schon die ganze Zeit in seinen Händen hielt. Es hatte keinen Titel, aber so war es eh bei den meisten Texten, die er schrieb. Für ihn war ein Titel nicht wichtig. Wichtig waren ihm nur die Worte – und die damit ausgedrückten Stimmungen:
 

Seh' zurück in dieses Loch,

Nur Abscheu, die mich frisst,

Will weitergehen, bleibe doch,

Vergangenheit verfolgt mich ewig...
 

Seh' zurück zu diesem Schein,

Heuchler, Blender kommen her

Ich soll gehorchen, mich verstellen,

Nur ihr Wille, der regiert...
 

Seh' zurück, kann's nicht ändern,

Vergangenheit zerfrisst mich hier,

Will nicht zurück zu diesen Blendern,

Will nur hier weg, nur fort...
 

Aber manchmal war es auch so, dass ihn die Worte nicht mehr erreichten. Sie prallten einfach an ihm ab. Aber war er denn wirklich so kaltherzig geworden? Nein, wahrscheinlich würde er von denmeisten Menschen eher als Sensibelchen bezeichnet werden.

Kiryu dachte nicht mehr gerne zurück an seine Kindheit. Und wäre die Band nicht da, würde er wohl mal wieder auf der Straße sitzen. Er war in keinem sehr guten Elternhaus aufgewachsen. Die meiste Zeit des Tages hatte er auf den Straßen Tokyos verbracht. Zu seinen Eltern hatte er nie ein gutes Verhältnis gehabt. Seit er ausgezogen war und auf eigenen Beinen stand, war es ihm finanziell zwar nie wirklich besser gegangen – eher das Gegenteil – aber er würde dennoch nie zurück wollen. Dafür war einfach zu viel passiert. Yuito war mit ihm im selben Wohnblock aufgewachsen. Sie hatten zusammen die Straßen Tokyos unsicher gemacht als sie noch zur Schule gegangen waren. Aber Yuito hatte ein weitaus besseres Verhältnis zu seiner Familie. Für Kiryu dagegen war die Band jetzt seine Familie.

Er schloss die Augen und lag jetzt ganz ausgestreckt auf seinem Bett. Die Tapete an den Wänden war an einigen Stellen schon verblichen. Ein Tisch mit zwei Stühlen standen gegenüber des Bettes an der Wand unter dem einzigen Fenster im Raum. Ein Bad hatte er auch noch, wenn man dieses Kabuff unbedingt so bezeichnen wollte. Darin befand sich auch so etwas wie eine Dusche, die fast den gesamten Raum einnahm. Aber er hatte fließendes Wasser und meistens auch Strom. Ein paar Tassen, Teller und Besteck gehörten auch zu seinem Inventar – alles sauber gestapelt im Fensterbrett. Der Kühlschrank stand direkt darunter. Ein Stück neben dem Bett stand noch ein Schrank. In ihm befanden sich seine ganzen Klamotten. Seine Wohnung war zwar nicht die

nobelste, aber sauber und ordentlich. Und er musste nur wenig Miete bezahlen.

Er wollte sich nichts vormachen, denn im Grunde lebte er immer noch in den schlechten Verhältnissen, die er schon sein ganzes Leben lang kannte. Und Yuito? Der hatte es geschafft. Er hatte ein geregeltes Einkommen, eine schicke Wohnung und wie es aussah, jetzt auch noch eine Freundin. Alles Dinge, von denen Kiryu bis jetzt nur geträumt hatte. Ob er jemals so weit kommen würde, wie Yuito jetzt war? Er würde so gerne mehr aus seinem Leben machen.

Es klopfte an seiner Tür. Er setzte sich schnell auf seinem Bett auf und bat seinen Gast herein.

„Hi, Kiryu“, grüßte ihn Yuito auch gleich.

„Yuito! Was machst du denn hier?“

„Ich wollte einfach mal nach dir sehen. Hier.“ Yuito reichte Kiryu einen Plastikbeutel.

„Was würde ich nur ohne dich tun?!“

„Ich schätze, du würdest verhungern“, und dann schmiss sich Yuito neben Kiryu aufs Bett.

Kiryu bediente sich gleich mal an einem Sandwich. Er hatte tierischen Hunger. Aber Yuito wunderte das nicht – schließlich war Kiryu dauernd knapp bei Kasse.

„Du kannst mich aber nicht ewig mit durchfüttern“, brachte Kiryu zwischen zwei Bissen heraus. Yuito winkte nur ab: „Ist doch kein Problem.“ Aber Kiryu sah trotzdem nur betreten zu Boden.

„Habt ihr heute nicht Probe?!“, wechselte Yuito dann abrupt das Thema. Kiryu wollte eigentlich nicht darauf antworten. Aber dann sagte er mit einem Seufzen: „Ich wollte eigentlich nicht hin...“

„Nicht hin?!“ Kiryu hatte gewusst, dass Yuito so reagieren würde. Deshalb seufzte Kiryu erneut und nickte vorsichtig. Jetzt würde er sich wieder anhören müssen, dass es doch seine Band war, dass er nicht immer davon rennen könnte, dass er auch mal etwas durchhalten müsste... Und dazu gehörte nun mal auch zu den Proben zu gehen. Aber Kiryu musste sich diese Predigt jetzt schon so oft anhören, dass auch Yuito wusste, dass es jetzt sinnvoller war nichts zu sagen. Also seufzte Yuito einmal tief, stand auf und ging Richtung Tür. Kiryu sah ihm fragend nach, sagte aber keinen Ton. Yuito blieb aber noch einmal an der Tür stehen und drehte sich zu Kiryu um: „Was ist? Kommst du?“, und öffnete die Tür.

„Wohin?“

„Äh... zur Probe?!“ Aber Kiryus Antwort darauf war nur ein fragender Blick. Mit einem erneuten Seufzer ging Yuito zurück zu Kiryu, packte ihn am Arm und zog ihn zur Tür, mit der Begründung: „Du gehst da jetzt hin!“

Eine halbe Stunde später standen sie im Proberaum von Rising Phenix. Aber dieser Proberaum war eigentlich nur ein Keller. Doch zumindest würden sie hier niemanden stören. Als Kiryu und Yuito vor der Tür standen, drangen leise Geräusche durch. Sie probten wohl wirklich. Kiryu hatte ein schlechtes Gewissen... Aber umkehren konnte er jetzt nicht mehr. Außerdem konnte er nichteinfach verschwinden, solange Yuito noch bei ihm war. Die Musik verstummte, als Yuito die Tür öffnete. Taro drehte sich um als er merkte, dass jemand in der Tür stand.

„Kiryu! Bist ja doch gekommen“, sagte er schließlich. Er war nicht sehr begeistert Kiryu zu sehen.

„Hi, Leute“, brachte Kiryu nur heraus und trat noch ein paar Schritte auf sie zu.

„Ich geh dann mal...“ Und schon war Yuito wieder verschwunden.

„Wie kommt's, dass du hier bist, Kiryu?“, stichelte Taro.

„Jetzt lass es gut sein, Taro. Er ist da, also können wir auch weiter proben“, schlichtete Ryo. Haru schwieg. Kiryu wusste genau, dass es das beste wäre sich jetzt zu entschuldigen, oder zu schweigen. Er zog es vor zu schweigen.

Die ganze Zeit herrschte angespannte Stimmung. Die Probe verlief fast reibungslos. Aber das war nur ein äußerer Schein. Die Band kämpfte wieder einmal um ihre Existenz. Und diesmal schien es wirklich ernst zu werden. Nach der Probe blieb Kiryu noch etwas unschlüssig im Raum stehen.

„Ich... Leute, ich... äh...“, druckste er herum.

„Geh nur, Kiryu. Geh nur. Du warst ja schon immer ein Einzelgänger“, fing Taro wieder an.

„Jetzt lass es doch, Taro“, versuchte Ryo wieder zu schlichten.

„Nein, Ryo! Der Kerl soll endlich mal zu dem stehen, was er sagt! Ich meine...“

„Du glaubst ich würde nur weglaufen?“, unterbrach ihn Kiryu. Taro sah mit einem vernichtenden Blick zu Kiryu, der die Frechheit besessen hatte ihn so einfach zu unterbrechen. Aber dann fand er seine Sprache wieder und fuhr fort: „Ja! Ja, ich glaubte, dass du immer wegrennst. Du kommst kaum zu den Proben, du ziehst doch nur dein eigenes Ding durch! Du bist ein Einzelgänger, Kiryu!

Wieso hängst du eigentlich immer noch mit uns ab? ... Weißt du, manchmal zerfließt du regelrecht in Selbstmitleid. Und diesen ewigen Emo- Style kann ich langsam nicht mehr ab!“

„Taro, das reicht jetzt“, klinkte sich Ryo wieder ein.

„Er hat doch aber recht... “, gab jetzt auch Haru von sich. Ryo schien schon am Verzweifeln...

„Denkt ihr wirklich so von mir?“ Kiryus Frage war an alle drei gerichtet, was Ryo etwas verdutzte.

Taro schien schon wieder beleidigt. Und obwohl der Trotz in seiner Stimme mehr als deutlich heraus zu hören war, achtete Kiryu nur auf seine Worte: „Ja, das denke ich wirklich von dir!“ Damit wollte Kiryu nach draußen gehen. Aber an der Tür blieb er doch noch einen Augenblick stehen, als ob er wüsste, dass noch etwas wichtiges gesagt werden würde.

Emo- Style – Taro hatte damit nicht sein Äußeres gemeint. Das würde überhaupt nicht zutreffen. Taro hatte eher Kiryus Einstellung und seine Stimmungen gemeint. Er war zwar nicht depressiv, aber manchmal übermannte ihn einfach diese traurige Stimmung. Er wusste selbst nicht, seit wann genau er das hatte, aber zumindest wusste er seit einiger Zeit, dass es eine Vorstufe von Depression war. Einen Namen hatte die auch, aber den hatte er vergessen. Es war nicht ganz so heftig, aber dennoch nicht zu unterschätzen. Und ausgerechnet das störte Taro. Aber sollte er sich etwa verstellen, nur damit es nicht mehr so auffiel? Irgendwem würde es ja doch wieder auffallen. Und wenn er es schon versuchte, würde er ja doch nur wieder vor sich selbst davon laufen. Und das wollte er nicht mehr. Wenn ihm schon Yuito, und jetzt auch noch die Band vorwarf, er würde vor

allem und jedem – in erster Linie vor sich selbst – wegrennen, würde es wohl auch nicht so gut ankommen sich jetzt zu verstellen... Was er auch tat – es schien nie der richtige, nie SEIN Weg zu sein...

„Wir wissen, dass wir gut sind, Kiryu“, setzte Taro schon wieder an. „Auch ohne dich!“ Das hatte gesessen. Ryo und Haru sahen böse zu Taro. Aber dieser wich ihren Blicken nur aus, indem er weiter zu Kiryu sah. Er wusste, dass Ryo und Haru gleicher Meinung waren. Sie waren wirklich gut, und mit Kiryu als Sänger vielleicht sogar Spitzenklasse. Aber auch ohne ihn würde die Band

existieren. Aber ob sie genauso gut wären wie jetzt, wusste keiner von ihnen zu sagen.

Kiryu verließ ohne ein Wort den Proberaum. Haru wollte ihn noch zurückrufen, aber Ryo hielt ihn mit einem Kopfschütteln auf. Haru war sich allerdings nicht so sicher, ob es wirklich eine guteIdee war Kiryu jetzt allein zu lassen... Vielleicht würden sie es ja irgendwann bereuen...

Kiryu irrte durch die Straßen. Eigentlich benötigte er nur eine halbe Stunde zu Fuß zu seiner kleinen Wohnung. Jetzt war er schon über zwei Stunden in der Stadt unterwegs, aber das war ihm gar nicht klar. Er war die ganze Zeit ziellos umher gelaufen und bemerkte erst jetzt, dass es schon dunkel war. Er sollte wohl besser nach Hause gehen, aber da wartete auch niemand auf ihn. Er suchte sich den nächsten U-Bahnhof und wollte die erste Bahn nehmen, die er kriegen konnte. Er würde eh nicht vor Mitternacht Zuhause sein. Aber das war ihm jetzt auch egal. Sicher dachten alle, er wäre schon längst wieder Daheim. Auf der Treppe zu den Gleisen wurde er von einem älteren Mann angerempelt, aber Kiryu entschuldigte sich trotzdem schnell mit einem „Sorry“. Der Mann war kurz stehen geblieben und sah Kiryu etwas unschlüssig hinterher. Doch dann schien er eine Chance für Was-auch-immer zu sehen und folgte ihm wieder nach unten.

„Junger Mann“, hatte er ihm auf halben Wege hinterher gerufen.

„Ich hab doch gesagt, es tut mir Leid“, stieß Kiryu hervor. Aber sein Verfolger ließ sich damit nicht so einfach abschütteln.

„Ich glaube, ich kann Ihnen helfen.“ Kiryu war stehen geblieben und drehte sich zu dem Mann um, der vier Stufen über ihm auf der Treppe stand. Sein Grinsen gefiel ihm nicht.

„Was wollen Sie?“ Es klang vielleicht etwas unhöflich, aber dieser Kerl schien sich an Kiryus ruppigem Ton nicht zu stören und grinste auch weiterhin dieses komische Grinsen. Als ob er etwas wüsste, das Kiryu verborgen blieb.

„Ihnen helfen!“, erwiderte er und stieg die Treppe langsam zu Kiryu nach unten. Der schwarze Anzug, den er trug, schien altmodisch, aber gut gepflegt. Er hatte graue, fast weiße Haare, die er streng nach hinten gekämmt hatte. Nur der Dreitagebart zerstörte den Eindruck des durch und durch gepflegten älteren Herren. Er war etwas kleiner als Kiryu, aber neben ihm hätte sich auch der größte Hüne noch klein gefühlt. Diese Augen gaben jedem das Gefühl ein kleines unbedeutendes Nichts neben diesem Mann zu sein.

„Wieso?“, fragte Kiryu nach einer kurzen Pause, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam. Er sah diesem komischen Alten die ganze Zeit in die Augen, auch wenn es ihm schwer fiel. Aber auch dieser Mann wich seinem Blick nicht aus. Es war, als ob sie kämpfen würden. Ein Duell, das nur mit den Augen ausgefochten wurde. Wer dem Blick des anderen zuerst auswich, hätte verloren.

„Weil du Hilfe zu brauchen scheinst.“

„Nein, danke. Kein Interesse“, erwiderte Kiryu darauf und wollte sich schon zum Gehen umdrehen. Aber dieser Mann hielt ihn zurück. Wie genau, konnte Kiryu danach nicht mehr sagen. Es war Kiryu ja nicht einmal aufgefallen, dass dieser Kerl in einer sehr vertrauten Form plötzlich mit ihm sprach. Als würden sie sich bereits kennen. Er wusste nur noch, dass etwas in ihm nicht

zuließ, dass er jetzt ging. Dieser Abend würde sein Leben verändern, das wusste er...



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