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Der Untergang der Isekai

von

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Vorwürfe

Immer wieder döste ich in einen leichten Schlaf. Mana und Yugi unterhielten sich leise, bis sie den Raum schließlich verließen. Die beiden kümmerten sich wirklich rührend um mich. Hätte ich sie nicht gebeten sich zuhause ein wenig auszuruhen, wären sie sicher noch immer bei mir. Auch Fonda sah öfter nach mir als sie vermutlich müsste. Am späten Abend wachte ich auf, weil ich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Doch als ich mich umsah, war niemand im Raum. Plötzlich klopfte es leise, die Tür öffnete sich. Überrascht musterte ich meinen Besucher. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Jesse schnappte sich einen Stuhl und stellte ihn neben mein Bett, mied meinen Blick. „Hallo“ sagte ich, um der unangenehmen Stille ein Ende zu bereiten.

Ein tiefes Seufzen war zu hören, endlich sah er mich an. Schuldbewusst. „Es tut mir leid.“ Ich konnte nichts darauf erwidern, sah ihn nur fragend an. „Die letzten Tage waren eine Tortour für dich. Nicht alles davon lief tatsächlich wie geplant. Das soll keine Ausrede werden, ich will nur, dass du verstehst, warum ich so gehandelt habe.“

Ich stützte mich in der Matratze ab, um mich aufzusetzen. Mittlerweile hatte ich zumindest dafür wieder die Kraft. Jesse beobachtete mich einen Moment dabei, bis er sich das bereitliegende Kissen schnappte, um mir behilflich zu sein. Irritiert bedankte ich mich, doch er nahm wieder Platz, schien seine Gedanken zu sammeln. „Zuerst folgendes: Was ich dir gesagt habe, als ich dich in die Zelle gebracht habe, stimmt nur zum Teil.“ Ich krallte meine Finger in den Stoff meiner Decke. Dieses Gespräch spukte in den letzten Tagen immer wieder in meinem Kopf herum. „Vor 13 Jahren, als Haou dich gefunden hat, entwickelte er tatsächlich den Plan, dich als Späher in die Menschenwelt zu schicken.“

Mein Blick senkte sich, stur sah ich auf meine Hände. „Ich habe doch gesagt, ich mache es“ sagte ich leise. Ich wollte nicht, dass er weiterspricht. Ich wollte nicht wieder das Gefühl haben, als würden seine Worte ein Messer in mein Herz rammen.

„Bitte, sieh mich an.“ Zögerlich sah ich wieder auf. Sein Blick war ernst und durchdringend. „Das ist das Einzige, was tatsächlich der Wahrheit entsprach. Zwar ist dieser Plan auch heute noch der beste, den wir schmieden konnten, aber Haous Fokus liegt nicht mehr auf dem eigentlichen Plan, sondern auf deiner Sicherheit.“ Irritiert schüttelte ich den Kopf. Was will er mir damit sagen? „In den letzten Jahren bist du ihm wichtiger geworden, als er es vermutlich selbst zugeben würde. Abgesehen von Yubel und mir, bist du die Person, der er am meisten vertraut.“ Einen Augenblick senkte sich sein Blick. Seine Stimme hatte einen traurigen Unterton. „Im Moment vertraut er dir wahrscheinlich mehr als mir.“ Er schien in seinen Gedanken versunken zu sein. Ein tiefer Schmerz lag in seinen Augen, doch er atmete tief durch und musterte mich wieder. „Alles, was dir in den letzten Jahren beigebracht wurde, hatte nichts mit deiner Mission zu tun. Auch nicht die Magie. Du solltest das alles erlernen, damit du dich in der Menschenwelt schützen kannst. Das war Haous Wunsch.“

Ich sagte nichts, versuchte in seinem Gesicht eine Lüge abzulesen. Aber er schien mir die Wahrheit zu erzählen. Trotzdem passte nichts davon zu dem, was in letzter Zeit passiert war. „Warum wurde ich dann eingesperrt? Ihr habt gesagt, das war wegen dem Vorfall auf dem Trainingsplatz. Ihr sagtet, dass der König enttäuscht von mir wäre, dass er-“

„Yusei, stopp.“

„Nein! Ich weiß nicht mehr, was Lüge ist, und was davon die Wahrheit! Es ändert nichts daran, dass König Haou mich mein Leben lang belogen hat!“

„Er wollte dich vor der Wahrheit beschützen!“ sagte er laut. Leidend sah ich ihn an. Diese Lügen hat er mir erzählt, damit ich mich besser fühle? Das ist absurd! „Yusei, hör zu. Ich weiß, was ich dir an diesem Tag erzählt habe. Aber das habe ich alles gesagt, weil ich wusste, dass es dich verletzen würde. Ich wusste, dass du dich dann einsam fühlen würdest. Dass Haou die Verantwortung für dich an mich abgegeben hat, geschah nur deshalb, weil ich über Monate auf ihn eingeredet habe. Ich habe gesehen, dass er durch dich oft abgelenkt war. Ich dachte es würde ihm helfen seinen Pflichten nachzukommen, wenn er sich nicht auch noch um deinen Trainingsplan kümmern müsste. Aber das war falsch. Er hat das nie als Belastung angesehen, sondern empfand deine Anwesenheit als angenehm. Dass er dich in meine Obhut gegeben hat, war ein Fehler den er sehr bereut, glaub mir.“

Wieder schüttelte ich irritiert den Kopf. Das kann er nicht ernst meinen. „Warum wolltet Ihr, dass ich mich so furchtbar fühle?“ Nicht nur, dass er mir das alles erzählt hatte. Er hatte mich auch noch von meinen Freunden ferngehalten und mich fast umgebracht, weil ich keinen Zugang zu Wasser hatte.

Wieder dieser schmerzliche Ausdruck in seinem Gesicht. „Dass du stirbst, habe ich nie gewollt. Das war alles ein riesiges Missverständnis, und glaub mir, ich mache mir selbst schon genug Vorwürfe deswegen. Ich wollte dich nur an deine Belastungsgrenze bringen, damit du Magie erlernst.“

„Was?“ flüsterte ich.

„Als Madame Tredwell dich vor einiger Zeit untersucht hat, hat sie keine physische Ursache gefunden, warum du keine Magie ausführen kannst. Sie hat vermutet, dass es eine psychische Ursache geben muss. Also hat sie uns zwei Möglichkeiten aufgezeigt, diese Blockade zu durchbrechen. Jahrelanges Training oder Schocktherapie. Haou war für die erste Möglichkeit, auch wenn wir nicht wussten, ob wir die Zeit dafür hätten. Aber ich habe mich für die radikale Variante entschieden. Ich dachte wirklich, dass es funktioniert.“ Eindringlich sah er mich an. Man konnte ihm die Schuldgefühle an den Augen ablesen. „Das war falsch. Es tut mir leid, dass du das durchmachen musstest, glaub mir. Haou macht mir deshalb schon Vorwürfe, und sich selbst noch mehr.“

„Ihr habt, was Ihr wolltet“ sagte ich leise, mied seinen Blick. Das war alles zu viel auf einmal. „Ich würde jetzt gern allein sein.“

„Was meinst du?“ fragte er irritiert.

„Dass Ihr jetzt geht. Bitte.“

„Nein, das nicht.“ Er legte seine Hand auf meinen Arm, zwang meinen Blick wieder zu ihm. „Was meinst du mit ‚Ich habe, was ich wollte‘?“

„Ich… habe Magie anwenden können“ erwiderte ich konfus. „Dabei habe ich die Zelle unter Wasser gesetzt, das muss König Haou doch gesehen haben.“

„Hm.“ Seine Hand entfernte sich von mir, er lehnte sich in den Stuhl zurück und musterte mich überrascht. „Schon, aber… Wir wussten nicht, woher das Wasser kam. Wir haben angenommen, es wäre von außerhalb eingedrungen.“

„Das muss Euch doch freuen“ sagte ich provokant. „Immerhin ging Euer Plan auf.“

Er seufzte schwer, erhob sich aus dem Stuhl. Langsam ging er zur Tür. „Hass mich, wenn du willst. Ich könnte es dir nicht verübeln, immerhin habe ich dich manipuliert und bewusst leiden lassen. Aber tu mir den Gefallen und verzeih Haou. Er hatte mit der Sache nichts zu tun. Bis gestern wusste er nichts von deinem Zustand.“ Die Tür öffnete sich, doch bevor Jesse nach draußen trat, sah er noch einmal zu mir zurück. „Gute Besserung.“
 

Die Tür fiel leise ins Schloss und ließ Stille zurück. Dann hatte Haou also wirklich von nichts gewusst, was in den letzten Tagen geschehen war? Oder war Jesse einfach nur ein begabter Lügner? Das, was er mir damals erzählt hatte, klang ebenso glaubwürdig. Hatte er das wirklich nur gesagt, um mich zu verletzen? Nur damit ich Magie erlerne? Es klang so verdammt abwegig, aber ich wollte daran glauben, wenn es bedeutete, dass Haou wirklich etwas an mir lag. Meine Gedanken schweiften zu der Zeit vor dem Nebelberg. Er hatte mir immer das Gefühl gegeben, dass ihm etwas an mir liegen würde. Und ich hatte ihn immer sehr geschätzt. Mein Blick fiel auf die Kommode, auf der meine Rüstung säuberlich zusammengefaltet war. Das erste Geschenk, das ich je bekommen hatte. Meine Wangen wurden ganz warm. Warum dachte ich plötzlich an den Moment im Zelt? Als er mich fest umschlungen hatte. In diesem Moment fühlte ich mich geborgen, auch wenn ich nervös aufgrund seiner Nähe war. Ich seufzte, sah aus dem Fenster in die sternklare Nacht. Welcher Haou war der wirkliche? Der, der mir mit einem sanften Lächeln die Rüstung geschenkt hatte? Oder der, der mich vor lauter Enttäuschung gemieden und mich selbst überlassen hatte? Mein Herz hatte sich bereits entschieden. Die Frage war nur, ob es Recht hatte.



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