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Bound in Darkness 2
von

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Abweisung

Harlock entschied, dass sie es hier tun konnten, im Salon. Die Chaise Longue war nicht so bequem wie sein Bett, aber er hatte schon schlechter gelegen. Dass Kei die Tür sabotiert hatte, war kein Hindernis – das Schiff hörte nicht mehr auf Harlock, aber es hörte auf Yama.

Und Yama schmeckte bereits so sehr nach Rotem Bourbon, dass er kaum noch nach Yama schmeckte. Harlock hielt ihn halb an die Brust gedrückt, eine Hand in Yamas Haar vergraben und so die Neigung seines Kopfes vorgebend, um ihn so tief wie möglich küssen zu können. Yama gab sich hin wie ein Kätzchen, den Mund offen und alles erwidernd, was Harlock zu geben hatte. Ihre Lippen waren miteinander versiegelt, Atmen ging nur durch die Nase, ihre Zungen glitten genüsslich umeinander und badeten im Geschmack der exzellenten Spirituose.

Yama seufzte leise und glitt auf seinem Stuhl noch näher an Harlock heran. Gut so. Harlock streichelte federleicht seine Schläfe, schob ihm seine Hüften etwas mehr entgegen. Er musste ganz vorsichtig sein. Yama tat sich schwer damit, seinen Kopf auszuschalten. Harlock wollte nicht, dass Yama sich unwohl fühlte, nicht ein bisschen; er musste ganz sicher sein, das Yama willig war, ehe er versuchen konnte, ihn in Richtung der Chaise zu dirigieren. Er zog sich ein wenig aus Yamas Mund zurück, widmete sich mehr seinen Lippen, stieß nur noch kurz und neckend mit der Zunge vor.

Yama gab ein ganz leises Lachen von sich. Es klang entspannt. „Dieses Zeug“, murmelte er schließlich. „Wie schaffst du es nur, so viel davon zu trinken? Ich wusste nicht, dass so was Starkes überhaupt legal ist …“

Piraten tun keine legalen Dinge, dachte Harlock. „Möchtest du lieber schlafen gehen?“ Er fragte es aus Höflichkeit. Prüfte die Stimmung.

„Jetzt noch nicht.“ Yama war gelöst, aber eindeutig noch Herr seiner Sinne. „Dann würde ich nur grübeln … Es tut gut, mal an nichts denken zu müssen. In letzter Zeit mache ich nichts anderes als denken …“

„Solche Zeiten wird es immer geben, aber sie gehen vorüber.“ Harlock versuchte zu deuten, wie bereit Yama inzwischen war. Er hatte viel Geduld, Disziplin war eine seiner großen Stärken. Eigentlich, das spürte er, brauchte Yama diese Zuwendung; Berührung, Intimität – Grundbedürfnisse des Menschen. Alle Cremitglieder, das wusste Harlock, hatten hin und wieder sexuelle Begegnungen auf dem Schiff, das war ganz natürlich; doch da Yama die Crew anführte, war es für ihn kaum möglich, sexuelle Beziehungen aufzubauen, ohne seine eigene Autorität zu untergraben. Harlock hatte nie eine Lösung für dieses Problem gefunden und war ihm schlicht aus dem Weg gegangen – was ihm leicht gefallen war, wenn er nur an Tochiro dachte. Tochiro war noch immer um ihn, nah, aber unerreichbar, und was sie gehabt hatten, war weder zurückzubringen noch zu ersetzen. Disziplin, ja. Harlock war ein disziplinierter Mann, diszipliniert durch den Schmerz und den Verlust. Keine Ermunterung von Tochiro hatte genügt, um Harlock dazu zu bringen, nach einer neuen Liebe zu suchen. Und er hatte nicht gesucht. Ein Jahrhundert lang hatte er nicht gesucht, und dann … dann hatte er, erzwungen durch das Ritual, mit Yama den Liebesakt vollzogen. Und das hatte etwas in ihm erweckt, das er vor Urzeiten bewusst ins künstliche Koma versetzt hatte.

Plötzlich wollte er wieder Sex. Nicht nur einen Orgasmus, etwas Profanes, das er mit seiner eigenen Hand hätte auslösen können. Sondern Liebe machen. Haut auf Haut, warmen Schweiß, den Geruch und Geschmack des Körpers eines geliebten Menschen. Harlock hatte geliebt, wild, grimmig, leidenschaftlich. Dass eine andere Person diese Gefühle je wieder in ihm auslösen würde, war für ihn undenkbar gewesen.

Doch jetzt hatte er Yama im Arm, ein hämmerndes Herz in der Brust und ein fast schmerzhaftes Pochen zwischen den Beinen.

Yama löste sich von ihm, wie um noch einmal seinen lustvernebelten Verstand zu konsultieren, und sah Harlock offen ins Auge. Harlock blickte ebenso offen zurück. Er wollte nicht verschlossen sein, nicht jetzt.
 

***
 

Yama fühlte sich angenehm entspannt durch den Alkohol. Nicht so sehr, dass seine Sinne oder seine Motorik darunter leiden würden – Harlock hatte nicht versucht, ihn betrunken zu machen, im Gegenteil. Er wollte Yama aufheitern, ihm helfen, zur Ruhe zu kommen. Der Kuss erschien wie eine natürliche Folge ihres Beisammenseins. Körperliche Nähe war etwas, das einem Captain nicht oft vergönnt war und das sie beide nur selten zuließen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Yama versuchte, in Harlocks Ausdruck zu lesen. Seine Züge waren weich, die Narbe an den Rändern ein wenig gerötet durch den beschleunigten Herzschlag. Harlock verbarg sein Verlangen nicht vor ihm. Er ließ Yama alles sehen. Vertraute ihm.

Es fühlte sich plötzlich nicht mehr so unangemessen an. Kurz dachte Yama an seinen Traum, an den Apfel und daran, was er repräsentierte. Seinem Unterbewusstsein war längst klar gewesen, was sein Verstand vehement geleugnet hatte.

„Yama.“ Harlocks Lippen streiften bei diesem Wort seine Ohrmuschel, und Yama bekam eine Gänsehaut. „Würdest du es noch einmal tun wollen?“

Würde ich?, dachte Yama. Er wusste, was gemeint war, und zögerte. „Glaubst du denn, es würde noch mal funktionieren?“ Ohne das Drängen der Dunklen Materie …

„Warum sollte es nicht? Es ist die simpelste, normalste Handlung des Universums. Keine Zauberei.“ Er küsste Yama erneut.

Alles daran fühlte sich an wie Zauberei. Die Wirkung, die ihre Körper aufeinander hatten, glich keiner anderen Erfahrung, die Yama je mit einem Mädchen gemacht hatte. Er war versucht, sehr versucht, dem Drang nachzugeben. Harlocks Hände schwebten bereits an Yamas Seiten, bereit, ihn zu führen. Würde ich? Harlock strahlte keine Dunkelheit aus wie früher, nicht den Hauch von schwarzer Asche, den die Dunkle Materie auf seine Haut geatmet hatte. Er war nun voller Gesundheit und Wärme, ein geschmeidiger und doch starker Mann, der Mann, der Yama seine Freiheit geschenkt hatte. Die herrliche Intimität während des Rituals … das Gefühl, das völlig Richtige zu tun … Yama wollte Harlocks Verlangen nachgeben und sich in ihm verlieren, ganz egal, was auf Garfudias passiert war, ganz egal, was sie beide ihren liebsten Menschen angetan hatten …

Und dann, plötzlich, spürte Yama es. Ganz tief unter Harlocks sanftem Drängen spürte er es, las es unter dem warmen Glanz in seinem Auge. Das Alleinsein. Die Isolation. Frustration.

„Ich kenne es“, hörte er sich leise sagen.

Harlock sah ihn fragend an. „Was meinst du?“

„Einsamkeit. Ich weiß, wie sich das anfühlt.“

Harlocks Blick wurde noch etwas verwirrter, und auch eine Spur ungeduldig. „Ich weiß das auch sehr gut, Yama, glaub mir. Niemand kennt Einsamkeit besser als ich. Worauf willst du hinaus?“

„Du suchst eigentlich etwas anderes. Das hier … das willst du gar nicht wirklich.“

Nun wirkte Harlock fast gekränkt, doch sofort verschwand der Ausdruck hinter der üblichen stoischen Miene. „Warum glaubst du zu wissen, was ich brauche oder was ich will?“ Als Yama nicht antwortete, fuhr er weicher, aber eindringlich fort: „Wir haben es doch schon getan, du und ich. Was ist jetzt anders?“

„Ich kann nicht“, sagte Yama, und es war die Wahrheit. „Mein Körper … Ich bin noch nicht so weit.“

Harlock sah ihn einen Augenblick lang forschend an, dann nickte er und seufzte; der leise Anflug von Verletztheit verschwand zur Gänze aus seiner Körpersprache. Etwas steif zog er sich von Yama zurück und stand auf. „Ich verstehe. Nun, wenn du mich brauchst, dann weißt du, wo du mich findest.“ Er berührte Yama an der Schulter, freundlich, aber unverbindlich, und ging ohne Eile hinaus.

Yama ließ das Kinn auf die Brust fallen. Er fühlte sich plötzlich abgehärmt, überbeansprucht wie ein Kleidungsstück, an dem zu viel herumgezerrt worden war. Vor ihm stand das leere Glas.

Warum war es nicht gegangen? Warum konnte er nicht loslassen? Harlocks Gründe brauchten ihn nicht zu interessieren. Es war nicht richtig, mit seinen verbesserten Sinnen Harlocks Seelenwelt zu durchschnüffeln, nur weil sie einmal offen vor ihm lag. Harlock hatte mit ihm intim sein wollen, hatte versuchen wollen, den Zauber des Rituals zurückzuholen, als einen schönen Augenblick für sie beide. Er hatte nicht vorgehabt, Yama zu benutzen. Warum konnte Yama nicht einfach mitziehen, zumal sein Körper mehr als willig gewesen war? Selbst jetzt ließ die Erektion nur langsam wieder nach. Er mochte Harlock, und warum, das spielte doch gar keine Rolle. Er dachte oft an den Akt zurück; daran, wie Harlock nackt und verletzlich vor ihm gelegen hatte, daran, wie ihre Gedanken sich während des gemeinsamen Höhepunktes vereinigt hatten. Ein solch tiefes Gefühl von Verbundenheit hatte er nie zuvor empfunden. Er sehnte sich danach. Auch wenn es vielleicht nicht aus ihm selbst kam.

Er fühlte Miimes Ankunft, bevor er sie eintreten sah. Ihre langen Beine durchschnitten die Luft wie Seidenbahnen das Wasser. Mit ihr war er immer mental verbunden; sie konnte kommen und gehen, wie sie wollte, und es gab nichts, das er vor ihr geheimzuhalten wünschte. Auch jetzt tat er nichts, um vor ihr zu verbergen, was passiert war. Sie schaute ihn an, und er ließ sie alles sehen: die zarte Röte auf seinen Wangen, das leichte Zittern seiner Fingerspitzen, die noch sichtbare Wölbung in seinem Schritt.

Sie blinzelte langsam. Die silbrigen Nickhäute glitten über ihre winzigen, schlitzförmigen Pupillen und wieder zurück.

„Ich konnte nicht“, sagte er tonlos. „Warum konnte ich nicht? Ich mag ihn, Miime.“

„Ich weiß.“

„Ich kann ihm doch nicht sagen, dass … ich auch nicht weiß, was ich …“ Er gab auf. Es war nicht nötig, sich ihr zu erklären. „Harlock und ich, wir haben uns nie richtig unterhalten über … Dinge. Wir wissen immer noch rein gar nichts über einander. Ich meine, er hat Tausende von Menschen kennen gelernt in seinem langen Leben … Will er das überhaupt noch? Hat er noch echtes Interesse an anderen Menschen? An jemandem wie mir?“

„Obwohl ich ihn lange kenne, länger als ein Leben, musst du diese Antwort selbst finden, Yama. Das müsst ihr beide.“

Sie kam zu ihm und tröstete ihn auf dieselbe unaufdringliche und dennoch zärtliche Art, wie sie es stets bei Harlock getan hatte. Sie legte die Hand auf die Seite seines Kopfes und zog ihn sanft an ihre Brust, und ihre freie Hand begann seine Schläfe zu streicheln. Yama schloss die Augen, lauschte dem ruhigen Schlag ihrer zwei Herzen, eines in der linken, eines in der rechten Brust, und erlaubte es ihrer taukühlen Haut, seine Unruhe zu lindern.
 

***
 

Der Nachgeschmack des Roten Bourbons saß bitter in seiner Kehle. Ich habe mich selbst zum Narren gehalten, dachte Harlock. Hundert Jahre genügen nicht, diese menschliche Schwäche abzulegen.

Es hatte alles danach ausgesehen, als wäre Yama einverstanden. Harlock hatte nichts überstürzt, es war nicht sein Ziel gewesen, Yama um jeden Preis zu verführen, sondern zu ergründen, ob Yama verführt werden wollte. Eine Frage brachte immer zwei Antwortoptionen mit sich, und beide mussten akzeptiert werden. Doch es fiel ihm schwer.

Das Schlimmste war, dass Yama vermutlich Recht hatte. Sie wussten beide, wie sich Einsamkeit anfühlte, und natürlich war Einsamkeit einer der treibenden Motoren hinter Harlocks starkem Bedürfnis nach Nähe. Die Abwesenheit der telepathischen Verbindung löste Gefühle der Isolation in ihm aus, die ihn fast wahnsinnig machten; er hatte Alpträume vom Alleinsein, jede Nacht. Die Leere in seinem Kopf konnte er nicht ignorieren, und Yama hätte diese Leere füllen können, zumindest für einen Moment. Yama hätte seine Droge sein können. Sein Rauschmittel.

Und was dann?

Ich will ihn auf keinen Fall benutzen. Niemand darf Yama jemals wieder benutzen.

Wahrscheinlich war es völlig richtig von Yama, Harlock zurückzuweisen. Sie waren ein lächerliches Paar. Dysfunktional, zu unterschiedlich. Yama war ein junger Mann voller Energie und Entschlossenheit. Seine frühere Liebe war ein hübsches junges Mädchen gewesen, so wie es sich gehörte. Genau das brauchte Yama – ein Mädchen, keinen verbitterten alten Mann. Wie alt war Yama überhaupt, zweiundzwanzig? Kaum ein Erwachsener.

Harlock starrte sein Bett an, groß und leer. Hier hatten sie gelegen in jenem Moment, während die Zeit um sie herum stillstand und Miime in einem tiefen Koma lag, und hatten sich geliebt, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Sie hatten es nicht nur auf eine Art getan, sondern gleich auf mehrere Arten. Er hatte es genossen. Und Yama ebenfalls, das wusste er. Allerdings … und dieser Umstand ließ sich nicht einfach ausblenden … war es in einer Art Trance geschehen. Keiner von ihnen hatte in Frage gestellt, was passierte; sie hatten es einach zugelassen. Ihre Körper, getränkt in Dunkle Materie, hatten allein das Sagen gehabt, über jede Handlung, jede Berührung. Sie waren … wie … ferngesteuert gewesen. Nie hätten sie ohne diese Impulse etwas getan, das so weit außerhalb ihrer Kontrolle lag. Und doch … Wären sie gar nicht Herren ihrer Sinne gewesen, so würde sich die Erinnerung an den Akt falsch anfühlen – bizarr, erzwungen, vielleicht sogar abstoßend. Sie würden vor sich selbst leugnen, dass es passiert war, würden nie darüber sprechen, es hartnäckig verdrängen, voller Scham. Sie würden sich nicht so leidenschaftlich daran erinnern …

Nein, genug davon. Es reichte. Er würde aufgeben, bevor es zu schmerzhaft wurde. Vor dem Ritual hatte er über hundert Jahre lang keinen Sexualpartner gehabt, also würde er es auch schaffen, diese neuen Begierden im Zaum zu halten. Yama hatte Besseres verdient als einen emotionalen Krüppel wie ihn.

Er würde hier allein schlafen. Heute und auch weiterhin.
 

***
 

Am nächsten Morgen hatte Yama große Mühe, sich wieder seinen Aufgaben zu stellen. Er fühlte sich, als hätte er wieder einmal einen Fehler gemacht, den er lange bereuen würde. Doch es half nichts.

„Was weißt du über das Schiff, das uns angegriffen hat?“, fragte Kei, als sie sich zusammengefunden hatten, um den Einsatz zu planen. Yama hatte die Frage kommen sehen; eigentlich hätte er sie unmittelbar nach ihrer Abreise von Garfudias erwartet. Offenbar war er nicht der Einzige gewesen, der eine Weile gebraucht hatte, um das Scheitern seiner Pläne und den Verlust der Obstplantagen zu verwinden.

„Nicht viel, fürchte ich“, sagte er nachdenklich. „Es ist die Astraios, fast baugleich mit der Okeanos. Ich glaube nicht, dass die Flotte viel Zeit hatte, ihr Upgrades einzubauen. Trotzdem macht es Sinn, dass sie das neue Flaggschiff ist.“

„Wer kommandiert sie?“, fragte Yattaran, die Arme über der Brust verschränkt.

„Ich erinnere mich nicht. Es war jemand, den ich nie persönlich getroffen habe. Vielleicht ist er auch ersetzt worden.“ Er überlegte, wer Isora als Flottenkommandeur beerbt haben könnte. Levary war zu alt, Amedes zu jung … Wen gab es da noch? Yamas Hirn weigerte sich, Namen aus seinem früheren Leben auszugraben.

„Und warum haben wir dieses neue Vorzeige-Exemplar und seinen Captain einfach ziehen lassen?“, fragte Yattaran weiter. „Mit ein bisschen Grips hätten wir ihre Skip-out-Koordinaten entschlüsseln können.“

„Und dann?“ Yama fixierte ihn. „Du kennst die Skyraider-Klasse. Wir hätten die Astraios entern und die Crew im Nahkampf Mann für Mann töten müssen, der gleiche Kampf wie mit der Okeanos. Hättest du Lust auf gehabt?“ Er nicht. Überhaupt nicht.

„Er hat Recht“, stimmte Kei zu. „Gegen die Okeanos hätten wir am Ende den Kürzeren gezogen. Auch wenn das neue Schiff weniger erfahrene Männer hat, es wäre kein Spaß geworden.“

Yattaran ließ die Schultern fallen. „Ihr habt ja Recht. Mich wurmt nur, dass sie uns jetzt hinter der nächsten Ecke wieder auflauern werden. Hit-and-run, ihr wisst doch, wie unfair die kämpfen. Ich wünschte, wir könnten sie einfach aus der Ferne erledigen.“

Auch Yama war sicher, dass sich ihre Wege nicht zum letzten Mal mit denen der Astraios und ihrem unbekannten Captain gekreuzt hatten. Doch er musste hoffen, dass sie sich lange genug fernhielten, um nicht auch den zweiten Teil ihres Plans zu durchkreuzen. „Also“, seufzte er, „Tokarga.“

„Aye, Tokarga“, murmelten Yattaran und Kei ziemlich unisono. Niemand mochte den Plan.

„Die Koordinaten, zu denen wir den Sprengkopf geflogen haben, sind noch gespeichert“, sagte Kei. „Dass er sich noch genau dort befindet, ist aber unwahrscheinlich. Tokargas Erdoberfläche hat eine starke seismische Aktivität, das liegt an den vielen unterirdischen explosiven Gasvorkommen, Lavaflüssen, Magmakammern und nicht zuletzt an den Tunneln, die die Mudouwds ins Gestein graben.“

Und Yama hatte geglaubt, es wäre die schlechte Luft gewesen, die zur Aufgabe der Besiedelungsversuche geführt hatte.

„Jedenfalls“, übernahm Yattaran, „kann der Sprengkopf entweder ganz tief im Gestein feststecken, durch den Lavafluss kilometerweit weggetragen worden sein oder durch die Erdbewegungen ganz oben auf einem Hügel liegen, wo wir ihn nur pflücken müssten. Alles etwa gleich wahrscheinlich.“

„Könnte er hochgegangen sein?“, fragte Yama.

„Hochgegangen?“ Yattaran zog die Brauen hoch. „Dimensionenschwingungssprengköpfe wurden erbaut, um Sonnen auszulöschen. Mit einem Satz von zwanzig Stück kannst du einem Stern fast jeder Klasse das Licht ausknipsen. Glaub mir, ein bisschen Lava und Mudouwd-Zähne hält der aus.“

„Es könnte aber durchaus sein, dass wir ihn nicht bergen können“, räumte Kei ein. „Wie Yattaran schon sagte. Wenn er vom Magma abtransportiert wurde und dieses um ihn herum erkaltet ist, müssten wir ihn aus vielleicht kilometerdicken Gesteinsschichten heraussprengen. Das wäre wochenlange Arbeit.“

Wenn die Scanner ihn in so einem Fall überhaupt lokalisieren könnten“, ergänzte Yattaran.

Yama seufzte. „Wir brauchen also etwas Glück.“ Und wir haben es verdient. Sehr sogar.

Kei begann etwas in ihr Pad zu tippen. „Gut, ich schlage folgendes Vorgehen vor: Falls der Sprengkopf frei zugänglich ist, sollten Caruso und Cervus das Trägershuttle erst zu einem sicheren –“

„Ich gehe allein“, unterbrach Yama sie ruhig.

Keis Mund blieb offen stehen.

„Hast du gerade gesagt, du gehst allein?“, wiederholte Yattaran ungläubig.

„Du hast mich richtig verstanden.“

„Bei allem Respekt, das wird nichts!“, empörte sich der Erste Maat. „Der Platz eines Captains ist auf der Brücke!“

„Ich weiß. Aber ich riskiere nicht das Leben eines Crewmitglieds für ein Ziel, das nur meins ist.“ Weiß der Geier, warum Harlock das getan hat.

„Also erstens haben alle hier an Bord das Ziel, es Gaia heimzuzahlen nach alldem, glaub mir. Und zweitens –“

„Ich bin aber der Einzige, dem nichts passieren kann“, fiel Yama ihm gnadenlos ins Wort. Yattaran schloss den Mund, stierte ihn aber weiter trotzig an. Yama hielt dem Blick Stand. „Nenn mir einen von euch, der unsterblich ist, und ich schicke den auf die Mission.“

„Yama.“ Kei legte ihm die Hand auf den Arm. „Du bist nicht unverwundbar. Falls etwas passiert, können wir das Schiff ohne dich nicht fliegen.“

„Nun, solange ich nicht sterbe, werdet ihr einen Weg finden, mich zu retten. Und sterben werde ich nicht.“

„Yama, bitte. Über diese Unsterblichkeit wissen wir zu wenig. Vielleicht ist es gar nicht so …“

Er nahm ihre Hand und löste sie sanft von seinem Arm. „Ich habe es entschieden, Kei. Und ich bin nicht mehr so wankelmütig wie früher. Ich bleibe bei meiner Entscheidung.“

Sie biss die Zähne zusammen. „Der Cap– … Harlock wird das furchtbar finden.“

„Genau deshalb bespreche ich es nicht mit ihm.“

Yattaran schnaubte und zuckte die Achseln. „Ja, bitte, mach es, wie du willst. Du bist der Captain. Aber wenn du am Ende doch tot bist, sag nicht, wir hätten dich nicht gewarnt.“

Und Kei zischte: „Als ob du dich überhaupt genug mit den Sprengköpfen auskennen würdest.“

„Ich habe alles darüber gelesen, was im Speicher ist.“ Yama würde vor ihnen nicht nachgeben. Er war nicht mehr schwach, nicht mehr unentschlossen. Sie konnten keine Argumente liefern, die er nicht aushebeln konnte. Sie würden ihn nicht aufhalten. „Als wir Nummer neunundneunzig installiert haben, wusste ich noch gar nichts darüber. Aber das spielte keine Rolle, denn du brauchtest du mich gar nicht für das Handling des Sprengkopfes, Kei, nicht wahr? Du hast alles allein gemacht. Ich war nur dein Backup. Harlock schickte zwei Leute auf solche Missionen, damit zumindest einer lebendig mit der Ausrüstung zurückkommen konnte.“ Und den anderen versuchte er dann aus Schuldgefühlen zu retten.

Kei bleckte die Zähne. „Rede nicht über ihn, als hätte er ständig unsere Leben aufs Spiel gesetzt!“, fuhr sie ihn an.

„Aber das hat er getan. Er hat den Sprengkopf nicht selbst installiert, obwohl er es problemlos gekonnt hätte“, hielt Yama schonungslos dagegen. „Du hast selbst gesehen, wie mühelos er mir in den Krater gefolgt ist und die Situation korrigiert hat. Er hätte von Anfang an selbst gehen sollen. Ich werde selbst gehen. Bitte akzeptiert es.“

Seine beiden Offiziere musterten ihn mit kühlen, fast gekränkten Blicken. Sein versöhnlicher Ton schien sie nicht erreicht zu haben.

„Wie du willst“, sagte Yattaran schließlich. Kei hielt die Lippen stumm zusammengepresst.
 

Bis sie Tokarga erreichten, war Yama nicht dazu gekommen, sich die Holodisc anzuschauen, die Harlock ihm mitgebracht hatte. Er stellte fest, dass sie noch in seiner Hosentasche war, als er sich für den Einsatz vorbereitete. Noch waren sie nicht tief genug in die Atmosphäre eingetaucht, um die Oberfläche des Planeten nach dem Sprengkopf abtasten zu können, doch es würde jeden Moment so weit sein. Er fragte sich, ob die Gaia-Flotte ihn auf irgendeine Weise beobachtete. Theoretisch war es unmöglich, doch die Gnadenlosigkeit, mit der sie die Plantagen dem Erdboden gleichgemacht hatten, schürte in Yama eine neue Angst. Irgendetwas daran hatte seine Welt ein Stück weiter aus den Fugen geraten lassen. Er hasste sie.

Trost gebracht hatte ihm heute Morgen ein Besuch im Frachtraum, wo das viele Obst in kühlen, trockenen Behältern lagerte. Die Köchin hatte angekündigt, damit köstliche Dinge zubereiten zu können – eine weitere Kunst, die sehr selten geworden war, Wissen, das in Vergessenheit zu geraten drohte. Die Menschen vergaßen ihre Heimat, aber zum Glück nicht alle von ihnen.

Zu diesen gehörte offenbar auch Bouko, Callis Gehilfe, den er ebenfalls im Frachtraum antraf. Statt eines Grußes rief er Yama zu: „Aus jeder diese Früchte lässt sich theoretisch eine neue Pflanze ziehen. Wir müssen nur irgendeine Möglichkeit finden. Wir haben hier viele verschiedene Sorten von jeder Frucht an Bord … Wenn Sie möchten, Captain, kann ich von jeder ein Exemplar auswählen, und wir könnten sie konservieren.“

Yama war dankbar für jeden konstruktiven Vorschlag. „Ja, das klingt gut. Bitte tu das.“

Bouko nickte bestätigend. „Ich habe gehört, dass vor uns eine Mission auf Tokarga liegt.“

„Die liegt nur vor mir. Die Crew bleibt in Bereitschaft, bis ich zurück bin“, informierte Yama ihn. Er hoffte, Bouko würde keine neugierigen Fragen stellen, und er tat es auch nicht.

„Mal sehen, ob ich mir etwas überlegen kann, wie wir die Obstplantagen wieder aufbauen können“, sinnierte er stattdessen. „Vielleicht ist ein Teil des Substrats noch nutzbar, wenn es einige Jahre in Ruhe gelassen wird. Wer weiß, ob sich nicht einige Pflanzen auf Garfudias wieder erholen.“

Yama hielt das für illusorische Träumerei. Allerdings hatte er großen Respekt vor Prof. Callis Wissen. Wenn die beiden zu dem Schluss gelangt waren, dass noch Hoffnung bestand … Kurz dachte er darüber nach, Bouko die Holodisc auszuhändigen, damit sie sie anschauen konnten, während er fort war. Doch er verwarf den Gedanken. Es war nicht so, dass diese Sache eilig war, und außerdem wollte er seine eigenen Ideen spinnen, sobald er Zeit dazu hatte. Er könnte das Material auch mit den beiden Botanikern gemeinsam sichten, sobald der Sprengkopf geborgen war. Bis dahin konnte es warten.
 

„Ich hab ihn“, meldete Cervus ohne große Euphorie in der Stimme.

Tokargas violett umwölkte Oberfläche, die nur aus tiefen Schluchten und schwindelnd hohen Plateaus zu bestehen schien wie eine mit riesigen Gabeln aufgebrochene Kruste, schwebte ihnen entgegen. Yama erinnerte sich plötzlich Wort für Wort, wie Cervus damals die Stelle benannt hatte, an der Harlock den Sprengkopf platzieren wollte: „Östlich des Waidar-Plateaus, südlich der Gimlis-Schlucht.“ Sein Blick suchte die Gegend ab. Er erkannte nichts wieder. „Wo ist er?“

„Zweiunddreißig Grad drei Minuten nördliche Breite, hundertfünfundzwanzig Grad eine Minute westliche Länge. Er … scheint frei zu liegen, nicht im Gestein.“

Innerlich stieß Yama ein erleichtertes Seufzen aus. Kein Freisprengen. „Wie sieht die Umgebung aus?“

„Sieh es dir selbst an, Captain“, forderte Yattaran ihn auf, der neben Cervus auf die interaktive Karte starrte.

Yama trat zu ihnen. Er sah Tokargas Oberfläche in verschiedenene Farben getaucht; die vielen topographischen Unebenheiten machten die Darstellung schwer lesbar.

„So sieht die Stelle für unsere Biosensoren aus“, erklärte Yattaran. „Die Sonaransicht bringt uns nichts zur Gefahrenabschätzung.“

„Du meinst die korrosiven Hochdruckgase?“

„Die sind nicht überall, sonst hätte man wohl kaum versucht, hier Menschen anzusiedeln. Hier, die blaue Fläche zeigt an, dass der Ort stabilisiert ist. Siehst du? Keine Geodynamik. Die violetten Felder hier sind in Bewegung, hohe Temperaturen, vielleicht vulkanische Aktivität. Die grünen Flecken sind Höhlen, in denen sich explosive Gase sammeln. Die gelben sind giftig oder ätzend. Aber alles, was blau ist, ist sicher, da kannst du dich ohne Gefahr frei bewegen.“

Yama betrachtete das Interface. Er wusste nicht, auf welche Weise Tokarga weniger feindlich aussah. „Können wir auch Mudouwds auf der Karte sehen?“

„Nur, wenn wir gezielt nach ihnen suchen. Sonst wäre euer Fast-Unglück damals wohl kaum passiert. Die Haut eines Mudouwds ähnelt in ihrer Zusammensetzung so sehr dem Gestein, dass nur die feinste Einstellung des Bioscanners sie unterscheiden kann.“

„Aber er müsste eine dynamische Umgebung bewirken, oder? Sobald er sich bewegt, wäre er in einem violetten Feld.“

„Natürlich“, seufzte Yattaran. „Aber wenn du dich sowieso in einem violetten Feld befindest, wie du und Kei und der Captain damals, dann nützt das nicht viel als Warnung.“

Yama nickte. „Ich mache mich jetzt auf den Weg zum Hangardeck.“

„Viel Glück“, sagte Yattaran. „Ich mein’s ernst.“



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