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Heartbeat

von

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Vergangenheit

Ich zog die Mutter fest, sodass das gesamte Motorrad wippte und sah, langsam genervt, zu Crow. „Jetzt hör endlich auf, dich zu entschuldigen. Ich hab dir schon nach dem ersten Mal im Krankenhaus vergeben.“

„Das sagst du so einfach“ antwortete er geknickt. Verschränkte dabei seine Arme und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Werkbank. „Dass du mal ein paar Tage nicht arbeitest, dafür braucht es schon einiges.“

Ich verdrehte die Augen, widmete mich wieder dem Verdeck. „Jetzt bin ich doch wieder in der Werkstatt. Es ist auch gar nicht viel passiert. Du hast doch meine Aussage gelesen.“

Ein Schnaufen war zu hören. „Ich schwör dir, wenn der Kerl hops genommen wird, wenn ich im Dienst bin, mach ich ihn einen Kopf kürzer!“

„Und verlierst dann deinen Job“ gab ich zu bedenken, während ich die Verbindungen kontrollierte.

„Das gibt höchstens eine Verwarnung und Bürodienst.“

Nun sah ich doch wieder auf und sah ihn mahnend an. Er zuckte mit den Schultern.
 

Das Geräusch eines sich nähernden Motorrads war zu hören. Dem Klang nach ein Kunde hoffte ich, denn so sollte ein Motor nicht klingen. Abwartend beobachtete ich den Eingang der Werkstatt. Tatsächlich tauchte einen Augenblick später eine Maschine samt Fahrer auf. Ich zog die Handschuhe aus und warf sie zu meiner Jacke, während ich auf den Neuankömmling zuging. Als er seinen Helm abnahm, hielt ich überrascht inne. Der Mann mit den schulterlangen, blonden Haaren kam mir bekannt vor. „Breo“ entkam es mir.

Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er den Helm unter den Arm klemmte und auf mich zukam. „Dann habe ich wohl bleibenden Eindruck hinterlassen, wenn du dich an meinen Namen erinnerst“ bemerkte er zufrieden.

„Ähm… ja. Tut mir Leid, dass ich nicht angerufen habe, ich war ein paar Tage krank.“

Er winkte ab. „Schon gut, wirklich. Ich wusste ja, dass du eine Motorradwerkstatt hast und hab im Internet gesucht. Ich brauche wirklich dringend Hilfe mit meiner Maschine.“ Kurz hielt er inne und grinste schief. „Halte mich jetzt bitte nicht für einen Stalker.“

Ein Schmunzeln konnte ich mir nicht verkneifen. Dezent schüttelte ich den Kopf. Meine Werkstatt war nur eine von vielen. Außerdem war sie mit zwei Mitarbeitern eher winzig. Es hat sicher etwas gedauert, sie im Internet zu finden. „Was ist denn das Problem?“

„Was nicht?“ sagte er seufzend. Sah zu seiner Maschine. „Ich hab das Gefühl, das einzige was noch richtig funktioniert, ist der Blinker.“

Auch ich sah zu seinem Motorrad, umrundete es. Optisch sah es sehr gepflegt aus. „Eine Kawasaki 900 Z1“ stellte ich fest, fuhr mit den Fingern über das Leder der Sitzbank. Wahnsinn. Solche Räder sieht man nicht oft.

„Gutes Auge“ bemerkte er und ließ mich wieder zu ihm sehen. „Mein Großvater hat sie damals gekauft, als er in meinem Alter war. Ist alles, was ich noch von ihm habe. Deswegen will ich sie unbedingt solange wie möglich in einem guten Zustand behalten.“

Ich nickte verstehend, sah flüchtig durch die Werkstatt. In den letzten Tagen war einiges liegen geblieben. „Eilt es sehr?“ fragte ich.

„Nein, ich komme auch eine Weile ohne aus. Denkst du, dass du irgendwie an Originalteile kommst?“

„Bei den Verschleißteilen kann ich dir keine Garantie geben, aber das bekommen wir schon irgendwie hin, keine Sorge.“

Ein fröhliches Grinsen erhellte sein Gesicht. „Klasse! Kann ich dich zum Dank vielleicht zu einem Kaffee einladen?“

„Ich habe doch noch gar nichts gemacht“ bemerkte ich belustigt.

„Dann eben einfach so. Ich kann dich doch nach deiner Schicht abholen.“

„Hm. Heute nicht, aber wenn du morgen Zeit hast, gern.“

Ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. Sein Lächeln wurde breiter. „Gern. Dann bis morgen“ sagte er mit einem Zwinkern. Wieder salutierte er locker mit zwei Fingern und verabschiedete sich. Ich schmunzelte. Was für eine seltsame Marotte.
 

Ich schob sein Motorrad zu den anderen in der Warteschlange und wollte mich dann meinem aktuellen Projekt widmen. Doch kurz vor der Maschine hielt ich inne. Crow sah mich mit einem breiten Grinsen an. Er war so still, dass ich ihn völlig vergessen hatte. „Was schaust du so?“ fragte ich skeptisch, nahm mir einen Schraubenschlüssel von der Halterung an der Wand.

„Ich hab dich nur ewig nicht flirten sehen.“

Vor Schreck rutschte mir das Werkzeug aus der Hand und fiel klirrend zu Boden. „Was?!“

Er krümmte sich vor Lachen, brauchte einen Augenblick, um mir eine Antwort zu geben. Währenddessen griff ich mir meine Handschuhe und hob den Schraubenschlüssel auf. „Jetzt mal ehrlich“ sagte er immer noch belustigt. „Das ist, als würde man ein Einhorn sehen. Und dann macht ihr auch noch ein Date aus. Ich freu mich für dich, ehrlich.“

„Das ist kein Date“ verteidigte ich mich. Irgendwie war mir die ganze Sache peinlich.

„Mhm. Ihr flirtet und trefft euch morgen auf einen Kaffee. Was soll das sonst sein?“

„Ich habe nicht geflirtet“ entgegnete ich trotzig. Stutzte. Oder doch? Hat er…?

„Wie kann man gleichzeitig so schlau und so schwer von Begriff sein?“ fragte er fast schon verzweifelt. „Woher kennt ihr euch überhaupt?“

Während ich mich wieder dem Motorrad widmete, gab ich ihm meine Antwort. „Ich habe ihn letzten Samstag in diesem Club kennengelernt.“ Einen Moment war es still, was mich wieder aufsehen ließ. Crow grinste schon wieder so dümmlich. „Was?“

Er schüttelte nur den Kopf. „Ich fasse es nicht, dass du tatsächlich jemanden aufgerissen hast.“ Ich verdrehte die Augen, widmete mich wieder meiner Arbeit. „Ach komm schon! Du kannst das Thema doch nicht einfach beenden! Was lief denn da zwischen euch? Der Kerl scheint doch genau dein Typ zu sein.“

„Mein Typ?“ hakte ich zweifelnd nach, während ich meine Arbeit noch einmal kontrollierte.

Er zuckte mit den Schultern. „Groß, motorradaffin, freundlich. Außerdem sieht er gar nicht so übel aus.“

„Findest du?“ fragte ich belustigt. „Ich kann mich nicht erinnern, je so eine Unterhaltung mit dir geführt zu haben.“

„Weil ich den Anfang deiner Beziehungen nie mitbekommen habe“ entgegnete er fast schon beleidigt. „Du redest ja nie über solche Dinge.“

Das Heulen des Motors hallte von den Wänden meiner Werkstatt wider. Zufrieden schaltete ich die Maschine wieder ab. Endlich springt sie wieder an.

„Was hast du heute eigentlich noch vor?“ fragte er plötzlich. Fragend sah ich ihn an. „Naja, du hast doch vorhin gesagt, du kannst dich erst morgen mit diesem Breo treffen. Warum nicht heute?“

„Ich treffe mich mit Jack, warum?“

Überrascht musterte er mich. „Hm… Nichts, nur… Warum? Ich meine, er hat dich jahrelang ignoriert, und jetzt trefft ihr euch wieder? Versteh mich nicht falsch, ich bin ihm echt dankbar, dass er dich aus der Scheiße gerettet hat, aber ich kann den Kerl nicht mehr einordnen.“

„Er hatte wegen seiner Krankheit doch einiges durch in der Zeit. Vielleicht ist er in der Hinsicht wie ich.“ Ich atmete angespannt aus. Vor zwei Jahren hatte ich jeden, der mir nahestand, auf Abstand gehalten. Und das, obwohl mir meine Freunde nur helfen wollten. Mein Blick verlief sich ins Leere, als mich die Erinnerungen von früher einholten.

„Ja, aber jetzt scheint es ihm ja wieder gut zu gehen. Ich habe gehört, dass er bei der Qualifikation für die nächste Saison dabei ist.“

Jetzt sah ich doch wieder auf. Ich wusste nicht warum, aber mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Die MotoGP war schon immer unser Traum, aber er stand kurz davor, ihn sich zu erfüllen. Und das trotz allem, was passiert war. Eine wohlige Wärme breitete sich in meinem Körper aus, ließ mich schmunzeln.

Crow sah mich unschlüssig an, schließlich schnaufte er belustigt. „Oh Mann. Dich hat es ja echt erwischt.“

Jetzt war es an mir, ihn irritiert anzusehen. Doch er beließ es dabei.
 

~*~
 

Ich zog den Reisverschluss meiner Jacke höher und vergrub meine Hände in den Jackentaschen. Für Anfang März war es immer noch verdammt kalt, aber zumindest regnete es nicht mehr. Dafür war die Luft wie gereinigt und ich nahm ein paar tiefe Atemzüge. Sah nach oben in den sternklaren Himmel. Was für ein schöner Abend. „Hey“ erklang eine bekannte Stimme und ließ mich zu ihr sehen. Jack hatte seine Hände in den Taschen seines langen Mantels vergraben. Sein Blick wirkte unschlüssig.

„Hey“ erwiderte ich. „Deine Nachricht hat mich wirklich überrascht. Was wolltest du denn mit mir besprechen?“

Tief atmete er durch, bedeutete mir mit einem Kopfschwenk, ihm zu folgen. Ich kam seiner stummen Aufforderung nach und wir steuerten den nahegelegenen Park an. „Wie geht’s dir?“ fragte er irgendwann in die Stille.

„Ich bin wieder fit. Und… Danke nochmal. Ohne dich hätte das übel für mich enden können.“

Seine gesamte Haltung spannte sich an. Er sah stur geradeaus, als er mir seine Antwort gab. „Also hat der Kerl dir wirklich irgendwas untergejubelt?“

Ich nickte. „KO Tropfen. Aber wie gesagt, ich bin wieder fit. Er wird polizeilich gesucht und hat dank Crow in so ziemlich jedem Club der Stadt Hausverbot.“ Angestrengt atmete er aus, sagte aber nichts. „Was ist mit dir?“ wollte ich wissen. Irritiert sah er mich an, also formulierte ich meine Frage anders. „Ich habe gehört, du willst dich für die neue Saison qualifizieren. Geht’s dir wieder gut? Du hattest doch diese Sache mit deinem Herzen.“

„Ja, geht schon. Eine Weile stand es auf der Kippe, aber seit meiner letzten OP geht’s wieder bergauf.“

Ich schmunzelte. „Freut mich, dass du deinen Traum nicht aufgegeben hast und ihn dir jetzt erfüllen kannst.“

„Unseren Traum“ verbesserte er mich, sah mich ernst an. „Warum bist du damals ausgestiegen? Du warst der beste Fahrer der WSBK. Dein Gefühl für die Bikes ist der Wahnsinn. Jeder Sponsor hätte dich mit Kusshand genommen. Also, warum bist du nicht mit mir gewechselt?“

Überrascht betrachtete ich ihn. Irgendwie wirkte er… verletzt. Ob ihn das damals gekränkt hat? „Du kennst den Grund.“

Er schnaubte, sah wieder auf den Weg vor uns. „Bruno. Schon klar.“

Ich blieb stehen, ballte meine Hände zu Fäusten. Ernst sah ich ihn an, als er sich zu mir umdrehte. „Ist es so schwer zu verstehen, dass ich mich gegen eine Fernbeziehung entschieden habe? Wir waren frisch verheiratet und ich wäre über Monate von ihm getrennt gewesen. Saison für Saison. Ich habe mit ihm die Werkstatt aufgebaut, war glücklich. Vielleicht habe ich meinen Traum dafür aufgegeben, aber das war meine eigene Entscheidung! Mein Leben gefiel mir. Als Rennfahrer hätte ich kaum noch Zeit für uns gehabt. Warum ist das so schwer für dich zu verstehen?!“

Ich blinzelte den Schleier der aufkommenden Tränen beiseite. Kurz war ich geneigt einfach zu verschwinden, doch er sprach weiter. „Weil du, verdammt nochmal, auf die Rennstrecke gehörst! Das war dein Leben. Was hält dich noch hier?“

„Was?“ erwiderte ich verwirrt.

„Ist mir nicht entgangen, dass du deinen Ring nicht mehr trägst.“
 

Mein Herz raste. Ungläubig starrte ich ihn an. War es das, was er mit mir besprechen wollte? Hatte er in dieser Nacht gesehen, dass ich den Ring nicht mehr trug, und wollte mich zur Qualifikation überreden? Flüchtig schüttelte ich den Kopf und wandte mich ab. Wollte einfach nur Abstand zu ihm. Doch ich kam nicht weit, da hielt er mich am Arm fest und hinderte mich daran, weiterzugehen. „Lass los!“ zischte ich, versuchte ihn erfolglos abzuschütteln.

Er seufzte. „Schon gut, tut mir leid.“

Ich gab meine Gegenwehr auf und musterte ihn. „Was willst du?“

Wieder ein leises Seufzen, er gab mich frei. Lächelte gequält. „Ich wollte die Sache von damals aus der Welt schaffen. Stattdessen schaffe ich es schon wieder, dich zu verletzen. Ich bin echt nicht gut in solchen Dingen.“

Das beantwortete mir meine Frage auch nicht, also sah ich ihn abwartend an.

Tief atmete er durch, sein Blick wurde durchdringend. „Also schön. Von vorn. Ich wollte mich entschuldigen, dass ich mich damals wie ein Idiot aufgeführt habe. Nicht nur die Sache mit den Rennen. Auch, dass ich dich jahrelang ignoriert habe. Am Anfang war ich wirklich sauer, weil du alles aufgegeben hast. Aber irgendwann hab ich es verstanden. Ich hab deine Nachrichten trotzdem ignoriert, weil mir mein Stolz im Weg stand. Als die Sache mit meinem Herzen so schlimm wurde, dass ich keine Rennen mehr fahren konnte, hat es das Ganze nicht besser gemacht. Nach der letzten OP, als es anfing mir besser zu gehen, wollte ich meinen verdammten Stolz runterschlucken, aber ich habe es nie geschafft.“ Sein Blick senkte sich, seine Haltung fiel immer weiter in sich zusammen. „Ende letzten Jahres wurden mir die Augen geöffnet. Ich wollte einfach, dass mein Leben wieder wie vor dieser ganzen Scheiße wird. Nur hatte ich keine Ahnung, wie ich dich ansprechen sollte, oder ob du das überhaupt wollen würdest. Schließlich hatte ich das letzte Mal vor über zwei Jahren was von dir gehört. Als… ich in dieser Nacht gesehen habe, dass du keinen Ring mehr trägst, hatte ich Hoffnung, dass vielleicht wirklich alles werden könnte wie früher.“ Wieder ein tiefes Seufzen. „War wohl nur eine Wunschvorstellung. Klar, bist du sauer. Und natürlich verstehe ich, dass du nicht alles stehen und liegen lassen kannst, nur weil ich dich darum bitte. Tut mir echt Leid.“
 

Die Momente verstrichen, in denen ich ihn einfach nur anstarrte. Noch nie hatte ich es erlebt, dass er sich irgendjemandem so öffnete. Langsam überwand ich die kurze Distanz und legte meine Hand beruhigend auf seinen Unterarm. Traurig sah er auf. „Ich bin nicht sauer auf dich“ stellte ich klar. „Noch bis vor zwei Jahren habe ich selbst alle Hilfe abgeblockt, also weiß ich, wie du dich fühlst.“

Lange sah er mich an. Ich hätte mich in seinen unergründlichen Augen verlieren können. „Was ist eigentlich passiert?“

Ich ließ meinen Arm wieder sinken, mied seinen Blick. Ein seichter Windstoß umspielte meinen Körper, ließ mich frösteln. Aber nicht allein durch die Kälte. Die Erinnerungen, die ich glaubte überwunden zu haben, drängten sich in mein Bewusstsein. „Bruno ist tot.“

Scharf zog er die Luft ein, aber ich wagte es nicht, aufzublicken. „Tut mir leid“ erwiderte er plump, doch ich wehrte ab.

„Schon gut. Mittlerweile habe ich Frieden damit geschlossen. Nur manchmal ist es immer noch schwer. Ich sehe ihn heute noch in ganz alltäglichen Situationen vor mir. In der Werkstatt oder zuhause. Aber es wird besser.“

„Hm… Wie ist es denn passiert?“

Ich sah auf, musterte ihn unentschlossen. Aber er wirkte ehrlich interessiert. „Vor… zwei Jahren. Da war er auf dem Weg nach Hause, als ein heftiger Regen aufzog.“ Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, atmete tief durch. „In einer Kurve auf der Landstraße hat er die Kontrolle über sein Motorrad verloren. Der entgegenkommende LKW tat sein Übriges.“ Wieder mied ich seinen Blick, versuchte nicht in der Erinnerung zu ertrinken. „Die nächsten sechs Wochen hatte ich Hoffnung, dass er wieder aufwacht. Jeden Tag saß ich im Krankenhaus an seiner Seite, aber er rührte sich einfach nicht. Nur die Maschinen, an denen er angeschlossen war, sagten mir, dass er noch lebte. Zumindest bis mir die Ärzte klarmachten, dass er Hirntot wäre und nie wieder aufwachen würde.“ Meine Hände zitterten. Immer klarer sah ich Bruno, wie er so blass unter Verbänden in diesem verfluchten Bett lag. Angeschlossen an zahllose Maschinen. Da war nichts mehr von der Lebensfreude, die er immer ausstrahlte. Doch dann fiel mir etwas ein, und ein trauriges Lächeln kämpfte sich in mein Gesicht. „Es hätte ihn sicher glücklich gemacht, wenn er wüsste, dass er nach seinem Tod einige Leben retten konnte.“

„Wie meinst du das?“ fragte er behutsam.

Ich sah ihn wieder an. Auch in seinen Augen meinte ich Schmerz zu erkennen. „Organspende“ sagte ich knapp. „Fünf Leuten konnte er an seinem Todestag das Leben retten. Mit einigen stehe ich in Kontakt.“

„Ich dachte, das wäre komplett anonym.“

Ich nickte, sah wieder hoch zu den Sternen. Ihr Anblick hatte etwas Tröstliches. „Schon, aber es gibt eine Initiative des Transplantationszentrums. Durch die kann man anonym Kontakt zu den Angehörigen des Spenders, oder andersherum herstellen. Das Ganze läuft über Briefe. Letztes Jahr, in der Weihnachtszeit, habe ich das genutzt. Es hat mir geholfen mit Brunos Tod klarzukommen, als ich erfahren habe, dass diese Menschen überlebt hatten.“ Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. „Vier von ihnen haben mir geantwortet.“

„Was stand in deinen Briefen?“ fragte er rau.

Das ließ mich wieder zu ihm sehen. In seinem Blick lag eine tiefe Traurigkeit, dabei war er überhaupt nicht betroffen. Es überraschte mich, dass er sich das so zu Herzen zu nehmen schien. „Hauptsächlich habe ich über Bruno geschrieben. Was für ein Mensch er war. Und, dass sie diese Chance nutzen sollten, die er ihnen durch seinen Tod gegeben hat. Das… war mir vor allem bei dem Patienten wichtig, der sein Herz erhalten hat. Schließlich lebt durch ihn immer noch ein kleiner Teil von Bruno weiter.“ Ein belustigtes Schnaufen entkam mir. Langsam wanderte mein Blick auf den Kiesweg. Einen kleinen Stein kickte ich weg. „Kitschig, ich weiß. Aber die Vorstellung hat mir gefallen.“

„Du hast recht, es ist kitschig“ sagte er. Ich sah ihn wieder an. Ein kleines Lächeln lag auf seinen Lippen und aus einem mir unerfindlichen Grund spürte ich eine wohlige Wärme in mir. „Aber irgendwie passt das zu dir. Du hattest schon früher manchmal so romantische Anwandlungen.“

Auch ich musste lächeln und boxte ihn gegen die Schulter. „Und du hast schon früher immer einen auf unnahbar gemacht. Dabei steckt hinter deiner harten Schale eigentlich ein guter Kern.“

Er zuckte mit den Schultern, intensivierte sein Lächeln. „Das streite ich ab“ sagte er, sah mich dann aber ernst an. „Aber sag mal… könntest du dir mein Angebot nicht durch den Kopf gehen lassen?“

„Welches Angebot?“

„Wieder in den Rennsport zurückzukommen. Die Qualifikation ist nur Formsache. Mein Sponsor würde sich ein Bein rausreißen um dich an Bord zu haben, glaub mir. Ich meine… Jetzt, wo Bruno tot ist, gibt es doch keinen Grund mehr, oder?“

Ich stutzte. „Und die Werkstatt? Ich habe nur einen Mitarbeiter. Der ist zwar absolut fähig, aber allein schafft er die ganzen Aufträge nicht. Mal ganz abgesehen von der Buchhaltung.“

„Such dir einen zweiten Mitarbeiter, lern ihn an. Aber gib deine Träume nicht für etwas auf, an dem dein Herz nicht hängt.“

Ein kleines Schmunzeln konnte ich mir nicht verkneifen. „Wer hat jetzt romantische Anwandlungen?“

„Ich meine es ernst, Yusei. Überleg es dir.“

„Schon klar. Es ist auch nicht so, dass ich es mir gar nicht vorstellen könnte, aber ich muss realistisch bleiben. Ich kann nicht alles aufgeben, was ich mir in den letzten Jahren erarbeitet habe.“
 

Wieder dieser unschlüssige Blick, doch dann erhellte ein Funkeln seine Augen. Er seufzte und im nächsten Moment spürte ich warme Lippen auf meinen. Ich riss die Augen auf, konnte mein schnell schlagendes Herz kaum beruhigen. Seine Hand wanderte in meinen Nacken, intensivierte die sanfte Berührung. Die Wärme, die meinen Körper einhüllte, war so angenehm. Langsam senkten sich meine Lider und ich erwiderte den sanften Kuss. Mein Verstand schien sich aufzulösen, während ich seinen Atem in meinem Gesicht spüren konnte. Seinen Duft intensiv wahrnahm. Doch dann verschwanden die weichen Lippen. Ich öffnete meine Augen. „Überleg es dir bitte“ sagte er leise, löste sich von mir. Mein Herz beruhigte sich auch nicht, als er bereits verschwunden war. Auch die Hitze in meinem Gesicht blieb. Ich wusste nicht, wie lange ich so dastand und auf die Stelle blickte, an der verschwunden war. Und noch weniger konnte ich begreifen, was gerade geschehen war.



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