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Error 503 - Service Unavaiable

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Error 503 - Service Unavaiable

Es war das laute Schrillen seines Handys, welches Orange aus seinen aufkeimenden Gedankengängen riss. Sofort holte er sein Mobiltelefon hervor und blickte auf den Bildschirm, beim Anblick der Nummer wurde ihm gleich wärmer zumute.

„Hallo, Pink, alles in Ordnung bei dir?“, wollte Orange sofort von ihm wissen, kaum, dass er den Anruf angenommen hatte.

„Natürlich. Bei mir ist alles super und bei dir? Du hörst dich schon besser an als vor zwei Wochen.“

Grinste Orange vor sich hin und begann, in die Richtung seines Tresens zu laufen. Dort blieb er stehen, lehnte sich auf die plastikartige Oberfläche und behielt den Eingang seines Geschäftes im Auge.

„Muss doch, ich meine, ich kann doch mein Geschäft nicht ewig stillstehen lassen, wie sieht das denn gegenüber den Kunden aus? Zumal sie auch von niemandem beraten werden wollen, der ihnen ins Ohr niest … nein, nein, das muss nicht sein. Aber zum Glück hat mir Blues Rezept geholfen, damit war die Erkältung schnell kein Thema mehr.“

Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen, Orange nutzte die Gelegenheit und ging zur Eingangstür hinüber. Um besser erkennen zu können, was sich möglicherweise vor seinem Laden abspielte. Doch niemand näherte sich dem Gebäude oder lief daran vorbei. Nach wie vor war das Ticken seiner Wanduhr das einzige Geräusch, welches zu hören war und nicht von ihm selbst verursacht wurde.

„Sag mal, Pink …“

Orange blickte erneut durch die Fensterscheiben seiner Eingangstür, doch alles, was er zu sehen bekam, waren einzelne Eiskristalle, die sich auf dem Glas gebildet hatten. Als Orange mit den Fingern danach tastete, fühlte sich die Scheibe kühl an.

„Also, das ist jetzt vielleicht eine seltsame Frage, aber ist bei dir heute Abend auch so wenig los? Man könnte fast meinen, irgendwo in Cyber City gibt es gerade was umsonst und deshalb kommt keiner“, sagte Orange und versuchte es wie einen Witz klingen zu lassen. Weder ihm noch Pink entlockte es ein Lachen.

„Nein, um ehrlich zu sein, bei mir ist heute auch weniger los als sonst. Nun gut, vielleicht veranstalten diese komischen Musiker irgendwo ein Konzert. Oder die Queen hat wieder irgendwas angestellt. Vielleicht auch beides.“

Orange lauschte Pinks lauten Überlegungen und begann damit, in seinem Geschäft die einzelnen Gänge abzulaufen. Blickte vereinzelte Produkte an, als würde sich die Ursache für den plötzlichen Abriss des Kundenstroms in den Regalen verstecken. Gleichzeitig warf er immer wieder einen Blick zurück zur Eingangstür, sobald es ihm möglich war.

„Aber normal ist das doch nicht? Ich meine, wir haben immerhin Freitagabend, da kommen die meisten Kunden zu uns. Zwischen Vormittag und Nachmittag war alles wie immer, aber seit ein paar Stunden … nichts los. Noch nicht mal die Stammkunden lassen sich blicken.“

„Du hast recht, normal ist das nicht. Auf der anderen Seite, unter der Regentschaft von Queen, was ist da schon normal? Ich würde mir nichts dabei denken.“

Pinks Stimme wirkte fest und überzeugend.

„Die kommen morgen wieder und holen das nach, was sie heute verpasst haben. Glaub mir, so sind die Kunden doch immer. Egal, ob Lightner oder Darkner, am Ende sind sie, was ihr Konsumverhalten angeht, alle gleich.“

Für einen kurzen Moment schwieg Pink, doch Orange unterbrach ihn nicht. Stattdessen stellte er sich an seinen Tresen, betrachtete seine zweite Kasse und fuhr mit dem Finger über das Display. Ein wenig Staub hatte sich an der Kuppe gesammelt. Orange rieb sich die Finger, bis der Staub verschwunden war. Es ärgerte ihn, dass ihm nicht schon eher aufgefallen war.

Doch wie lange war es her, dass er sie aktiv benutzt hatte? Bestellungen waren schon auffällig lange keine mehr aufgegeben worden. Dennoch, Orange musste etwas dagegen unternehmen. Selbst wenn es die Kasse war, die die Kunden nie zu Gesicht bekamen.

„Da fällt mir ein, hast du es schon gehört? Die Gerüchte, meine ich?“

Orange, der sich auf den Weg zum Personalbereich gemacht hatte, blieb für eine kurze Zeit stehen. Sein Handy wanderte von einer Hand in die andere, bevor er weiterging.

„Ja, davon habe ich gehört, mancher meiner Kunden waren sehr gesprächig darüber“, sagte Orange, während er mit seiner rechten Hand den Drehknopf betätigte.

„Angeblich sollen heute Lightner erschienen sein, mehrere sogar.“

Seine Hand suchte den Lichtschalter und wurde sofort fündig. Ein kurzes Flackern, dann hüllte die Deckenlampe den gesamten Raum in ein angenehmes, helles Licht.

„So unglaublich es klingt, aber … es soll nicht nur ein Gerücht sein, Orange. Einer meiner Kunden behauptet felsenfest, sie gesehen zu haben. Gut, er ist nicht gerade der zuverlässigste, was Informationen angeht, aber ich denke nicht, dass er so weit gehen und sich derartige Dinge ausdenken würde.“

Orange durchsuchte seine Schränke und wurde schließlich fündig. Er entschied sich für den pinken Wischlappen.

„Stell dir mal vor, Orange, Lightner in unserer Cyber City! Ist das nicht aufregend! Ich habe zwar keine Ahnung, wie sie aussehen, mein Kunde meinte nur, sie wären anders … aber direkt bei uns! Ob Queen das schon weiß? Ich hoffe nur, sie kommt dann nicht wieder auf dumme Gedanken.“

Orange schüttelte mit dem Kopf, mit gemischten Gefühlen versuchte er zu lächeln, was ihm nur wenig gelang.

„Naja, wer weiß, vielleicht hat sie sich ja auch gebessert? Immerhin ist sie nicht mehr so schlimm, wie sie es mal war.“

„Auch wieder wahr.“

Erneutes Schweigen, welches Orange sofort ausnutzte. Das Telefon auf die Seite gelegt, sog sich der Wischlappen unter dem Strahl des Wasserhahns voll, bevor er mit voller Kraft ausgewrungen wurde.

Erneut mit dem Telefon am Ohr und dem feuchten Lappen in der Hand, ging Orange zurück in seinen Verkaufsraum und begann, die Kasse so gründlich wie möglich zu säubern.

Er wartete noch für einen kurzen Moment, ob Pink sich noch äußern würde, doch es kam nichts. Orange wischte das letzte Staubkorn vom Display, bevor er den Lappen auf die Seite legt.

„Warum genau hast du mich eigentlich angerufen, Pink? Hattest du Langeweile? Wolltest du mir das mit den Lightnern sagen? Oder gab es keinen richtigen Grund dafür?“

Aus dem oberen Hörer erklangen schlagartig hastige Geräusche, offenbar war Pink ebenfalls anderweitig beschäftigt gewesen, während sie miteinander geredet hatten. Dann konnte Orange ein Schnalzen mit der Zunge vernehmen, als wäre Pink der wahre Grund für seinen Anruf gerade erst wieder eingefallen.

„Du hast ja recht. Aber ich hatte einen Grund, um dich anzurufen; und nein, es war keiner der Gründe, die du genannt hast. Zumindest nicht alle davon. Ich wollte nur mal wissen, ob du mal wieder Lust hättest, mit mir in der Bar rumzuhängen. Haben wir schon lange nicht mehr gemacht.“

Den Lappen noch immer in der Hand, hob Orange seinen Blick. Nach wie vor gab es keinerlei Kundschaft zu sehen, was ihm die nötige Zeit gab, über Pinks Angebot nachzudenken. Er versuchte sich daran zu erinnern, wann sie zuletzt zusammen ein Glas gehoben hatten, doch er scheiterte. 

„Orange, bist du noch dran?“

„Ja, bin ich, ich habe nur nachgedacht.“

Orange senkte seinen Blick wieder, beendete sein Werk an der Kasse und legte den Lappen zur Seite.

„Ganz ehrlich, es ist wirklich lange her, dass wir zusammen mal in einer Bar gesessen und uns über alles Mögliche unterhalten haben. Jetzt, wo du es erwähnst… ich würde mich gerne freuen. Wann?“

Ein kurzer Blick auf die Uhr des Handydisplays, bevor er weiterredete.

„Hast du auch in einer halben Stunde Feierabend?“

„Klar doch! Meinetwegen könnten wir jetzt schon gehen, aber du weißt doch …“

„Ja, Addisons können niemals das Geschäft eher schließen und sich so einen grandiosen Deal entgehen lassen. Oder gar die Kundenbindung verlieren, weil diese vor dem geschlossenen Laden stehen und sich umorientieren müssen.“

Beide begannen zu lachen, es dauerte nicht lange, bis sie sich wieder beruhigt hatten.

„Nein, aber mal im Ernst, ich würde mich wirklich freuen, dich wieder zu sehen. Außerhalb von Plakaten und Werbeanzeigen.“

Das brachte Orange zum Lächeln, er stützte sich mit dem Ellenbogen am Tresen ab, seinen Laden beachtete er nur noch geringfügig.

„Soll ich dich dann abholen, oder wie machen wir das?“, wollte er von Pink wissen. Doch dieser hatte andere Pläne.

„Glaub mir, es ist besser, wenn ich dich abhole, dann ist der Weg zur Bar viel kürzer. Bevor du zuerst zu mir läufst und wir dann die ganze Strecke wieder zurücklaufen. Ich hol dich einfach ab … oh, Moment, ich glaube, ich bekomme gleich Kundschaft rein. Sieht nach einem Pärchen aus, vielleicht kann ich denen den einen oder anderen Ring verkaufen. Bis später, ich rufe dich dann noch an!“, sprach Pink die letzten Worte schnell aus. Dann wurde das Telefonat abrupt beendet.

Doch Orange nahm es ihm nicht übel. Stattdessen steckte er sein Handy zufrieden in sein Inventar und brachte den Lappen wieder zu der Spüle, aus der ihn zuvor entnommen hatte.

Als er in seinen Laden zurückkehrte, blickte er zu seiner Wanduhr hinüber, um noch einmal die Uhrzeit nachzulesen. Es waren nur wenige Minuten vergangen, aber es bestand die Möglichkeit, dass auch sein Geschäft von jemandem aufgesucht werden könnte. Vielleicht würde Pink sogar so nett sein und seine Kunden nach einem erfolgreichen Verkauf zu ihm rüberschicken? Dafür würde er sogar seinen Laden noch ein wenig länger offenlassen, falls es nötig war. Orange nahm sich vor, die erste Runde auszugeben, sollte Pink ihm diesen Gefallen tun.

Bis dahin würde er sich um die letzten Dinge in seinem Laden kümmern, die es noch zu erledigen gab.

 

~

 

Orange warf noch einen letzten Blick in das dunkle, leere Geschäft, bevor er den Schlüssel ins Schloss steckte und mehrfach umdrehte. Der Türgriff fühlte sich kalt an, als wäre er seit Stunden in einem Kühlschrank gelegen, doch Orange fand keine Erklärung dafür. Spielte sein Verstand ihm einen Streich? Oder irgendwelche Darkner, wie Spamton oder Queen? Doch so richtig wollte Orange sich damit nicht befassen, es gab wichtigere Dinge, auf die er sich konzentrieren wollte.

Entgegen seinen Hoffnungen war doch kein einziger Kunde mehr aufgetaucht, weder rein zufällig noch auf Pinks Empfehlung hin. So hatte er die Zeit genutzt und begonnen, den Laden bereit für den Feierabend zu machen. Lediglich mit der Kasse hatte er bis zum Schluss warten müssen, bevor er einen tagesaktuellen Bericht im System eintragen konnte. Trotz der Flaute am Ende war er mit der Gesamtsumme seiner Einnahmen mehr als zufrieden.

Orange verstaute den Schlüssel in seinem Inventar und holte sein Handy hervor. Sein Klingelton war aktiviert, dafür sorgte er stets, damit ihm niemals, zu keiner Zeit ein Telefonat entgehen konnte. Wer wusste, ob es nicht der Deal des Jahrhunderts war, der auf der anderen Seite der Leitung auf ihn wartete?

Im Augenblick war es der Anruf von Pink, welchen er mit wachsender Anspannung erwartete. Pink war üblicherweise immer der pünktlichste unter den Addisons, und auch der zuverlässigste. Doch ausgerechnet jetzt ließ er ihn hängen. Der Tag hatte schon eine seltsame Wendung in Oranges Augen genommen und nun kam dieses merkwürdige Verhalten hinzu.

Orange blickte sich um, um sicher zu gehen, dass ihm Pink nicht entgehen sollte, doch aus keiner Richtung konnte er ihn kommen sehen. Dann sah er auf sein Handy zurück und drückte auf das Icon der Telefon App. Diese verzeichnete jedoch keinen neuen Anruf, weder einen frisch eingehenden noch einen, den Orange auf wundersame Weise verpasst haben könnte.

Orange schickte sein Handy in den Standby-Modus und steckte es zurück in sein Inventar. Dass Pink weder erschienen war noch telefonisch zu ihm Kontakt aufgenommen hatte, war etwas Ungewöhnliches, aber nichts Unmögliches. Immerhin hatte Pink Kundschaft erwähnt, die seinen Laden aufgesucht hatte. Möglicherweise war es ein sehr gewinnbringendes Gespräch und er hatte schlicht die Zeit vergessen. Ein Kunde, der sich mehr ausgiebig über Pinks Auswahl an schönem Schmuck beraten ließ und damit mehr Zeit in Anspruch nahm als jemand, der genau wusste, was er suchte.

Orange gönnte es Pink von Herzen, dennoch hoffte er, dass sein Freund und Kollege sich nicht mehr allzu lange Zeit lassen würde. Denn so viel Verständnis er dafür hatte, wollte er nicht seinen gesamten Feierabend damit verbringen, vor dem Geschäft zu warten.

 

Zehn Minuten vergingen, zwanzig Minuten vergingen. Orange schritt vor seinem Geschäft auf und ab. Hätte er es nicht besser gewusst, kam er sich vor wie ein ungeduldiger Kunde, des er kaum erwarten konnte, dass die Ladentüren so schnell wie möglich wieder geöffnet werden würden. Doch er wusste es besser. Das Einzige, was er nicht wusste, war, warum Pink ihn weder angerufen noch sich zu ihm gesellt hatte. Von ihm fehlte nach wie vor jede Spur.

Und langsam kam es Orange mehr als seltsam vor. Immerhin war es Pinks Einladung gewesen und dieser hatte darauf bestanden, dass er Orange vor seinem Laden abholen würde.

Erneut blickte Orange sein Handy an, wie schon so oft in den letzten Minuten. Bereits zwei Neustarts hatte das Gerät hinter sich, da Orange jede Möglichkeit, woran es scheitern könnte, ausschließen wollte. Doch niemand rief ihn an oder schrieb ihm eine Nachricht. Orange seufzte sein Gerät an, an der Situation änderte sich nichts.

Obwohl er sie gerade erst geschlossen hatte, öffnete er die App zum wiederholten Male und suchte Pinks Nummer aus seinen Kontakten heraus. Für einen kurzen Moment schwebte sein Daumen über dem grünen Hörer, er stellte sich vor, dass genau in dem Moment Pinks Anruf endlich reinkam, dieser sich ausführlich entschuldigte und sie sich dann endlich treffen würden. Doch das passierte nur in Oranges Wunschvorstellung, die Realität sah anders aus.

Dann drückte er den Hörer, hielt sich das Handy ans Ohr und begann zu lauschen. Das Telefon schien offensichtlich zu läuten … und zu läuten, und zu läuten.

Doch niemand ging ran.

Verwundert nahm Orange sein Handy wieder herunter und kontrollierte den gesamten Bildschirm, er hatte sehr guten Empfang, sein Anruf ging durch, er wurde nur von niemandem angenommen. Irgendwann gab das Handy von allein auf und als die elektronische Stimme ihm mitteilte, dass „der Anrufer ist derzeit nicht erreichbar“ wäre, legte Orange auf.

Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg kommen.

Und wenn Pink ihn nicht abholen kam, dann musste Orange das in die Hand nehmen. Ob es nun ein Umweg für ihn war oder nicht, war ihm mittlerweile egal.

 

Als Orange langsam durch die Straßen der Stadt schritt, fiel es ihm erst so richtig auf. Da sein Geschäft sich in einer Fußgängerzone befand, hatte er es nicht mitbekommen. Doch jetzt, da er an einer großen Hauptstraße entlangging, wurde ihm zum ersten Mal bewusst, wie still die Stadt auf einmal geworden war. Die vielen Autos, die fast täglich in beiden Richtungen für einen stockenden Verkehr sorgten; und alle zwei Tage einen massiven Stau verursachten, waren verschwunden. Als hätte sich unter ihnen ein Loch aufgetan, dass sie alle verschlungen hatte. Nur wenige, einzelne Autos konnte er in der Ferne hören.

Doch auch Fußgänger waren keine unterwegs. Außer Orange befand sich kein weiterer Darkner auf dieser Straße oder auf dem Gehweg, was ihm mehr als merkwürdig vorkam. Er konnte es sich auch nicht erklären, wie es dazu gekommen war. Es beruhigte ihn zu wissen, dass es nicht nur in der Gegend rum um sein Geschäft so ruhig gewesen war. Doch gleichzeitig verpasste ihm diese ungewohnte Leere leichte Magenschmerzen. Sein Gefühl meldete sich, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

Sein Weg führte ihn nach einer Weile von der Hauptstraße weg zu der einen oder anderen Seitenstraße, mal mehr, mal weniger gut beleuchtet. Doch auch hier traf er auf niemanden und je mehr er sich seinem Ziel näherte, desto seltsamer kam es ihm vor.

Auch spürte er, wie die Temperatur um ihn langsam abnahm; eine Gänsehaut bildete sich auf seiner Haut. Er rieb sich mit den Händen über die Arme, denn trotz der langen Ärmel konnte er die immer kälter werdende Luft deutlich spüren.

„Was ist denn hier los?“, murmelte er leise und sah sich um. Er konnte niemanden erkennen und doch hatte er das Gefühl, als wäre jemand in der Nähe. Als würde ihn jemand beobachten und gar still verurteilen. Oranges Blick durchforstete die Umgebung; die Arme um sich geschlungen, als könnte er damit seine Verteidigung erhöhen. Auch versuchte er auf verdächtige Geräusche zu achten, doch ihm kam nichts zu Ohren. Cyber City war ruhig, zu ruhig und mittlerweile viel zu kühl.

Während sein Blick hin und herwanderte, trugen ihn seine Beine durch eine halbbeleuchtete Gasse. Nur das Licht diverser Reklameschilder und Werbetafeln sorgten dafür, dass man einigermaßen die eigenen Beine erkannte, bevor man über diese stolpern konnte. Orange wurde das Gefühl nicht los, als würden Blicke auf seinem Rücken haften und so schritt er schneller durch die Gasse. Seine Brust senkte sich immer stärker, und fast wäre er in eine weiße Wand gelaufen, als er um die nächste Ecke bog. Erschrocken hielt er den Atem an, bevor er irritiert von der Wand zurückwich.

Hatte sie schon immer dort gestanden? Oder wurde sie erst vor kurzem hier aufgezogen? Orange konnte sich nicht daran erinnern, dass es an dieser Stelle jemals eine Wand gegeben haben könnte.

 

Dann warf er einen genauen Blick auf die seltsame Wand … nur, dass es keine Wand war. Erst jetzt, als er sich nicht mehr direkt davor befand, sondern wenige Schritte davon entfernt, sah er, dass das Objekt viel kleiner war als vermutet. Mit viel zu vielen Ecken und Kanten, etwas seltsames und doch ein vertrauter Anblick.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Orange erkannte, was oder wen er vor sich hatte. Seine Pupillen erweiterten sich und er stieß geschockt seinen Atem aus, den er bis eben gehalten hatte.

„Ambyu-Lance? Bist du das?“, sprach er den Darkner an, der über und über mit einer festen Schicht Eis überzogen war. Die Spritzennase mehrfach verbogen, mit weit aufgerissenen Augen und die Glieder von sich gestreckt schwebte Ambyu-Lance vor ihm wie eine groteske Statue. Wie eine Parodie seines Selbst. Der kleine lilafarbene Reflexhammer, mit denen sich dieser Ambyu-Lance von den anderen unterschied, lag daneben auf dem Boden, bedeckt mit einer kleinen Frostschicht.

Vorsichtig streckte Orange seine Hand aus und legte sie auf das Eis.

„Was ist mir dir passiert? Wer hat dir das ange… Autsch!“

Sofort zog Orange seine schmerzende Hand zurück, seine gesamte Handinnenfläche hatte sich binnen Sekunden rot gefärbt. Mit zusammengekniffenen Zähnen betrachtete Orange seine Hand, dann wieder das Eis. Offenbar reichte die bloße Berührung aus, um sich einen Eisbrand zu holen. Schockiert blickte Orange nun wieder den eingefrorenen Darkner an. Er hatte das Eis nur für wenige Sekunden mit seiner Hand angefasst, und sich sofort daran verletzt. Wie es wohl war, vollkommen von diesem schrecklichen Eis umgeben zu sein, es an jeder offenen Hautstelle oder noch die Kleidung hindurch spüren zu können … Orange hoffte, dass Ambyu-Lance davon nichts mehr mitbekam. Dass ihm die Gnade eines schnellen Tods gegönnt worden war.

Mit den Tränen kämpfend, starrte Orange einen seiner treusten Stammkunden an. Vor wenigen Tagen noch hatten sie zusammen gelacht, und sich über die neuesten Heil-Items, die auf den Markt gekommen waren, ausgetauscht. Wie vielen Darknern damit geholfen und ihr Leben vereinfachen werden könnte.

Ambyu-Lance dagegen konnte niemand mehr helfen, sein Leben war auf drastische Art verkürzt worden. Von einem Mörder, der genauso kalt und hart war wie das Eis, dass er erschaffen hatte.

Die gesunde Hand auf den Mund gepresst, stolperte Orange mehrere Schritte zurück, nur mit Mühe gelang es ihm, sein Mittagessen bei sich zu behalten. Immer wieder und wieder würgte es ihn; es kostete ihn sehr viel an Willenskraft, bis sein Körper sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Sich die Feuchtigkeit aus den Augen wischend, sah Orange sich noch einmal um.

Wer oder was auch immer Ambyu-Lance vereist hatte, würde sicherlich nicht davor schrecken, es noch ein weiteres Mal zu tun. Wenn es nicht bereits geschehen war.

 

Seinen Blick von dem vereisten Darkner abwendend, drückte Orange seine verletzte Hand an sich und ging eiligen Schrittes den Rest des Ganges entlang. Er kam zu einem kleinen Platz, welcher gerne für Reklametafeln und andere Werbemittel benutzt wurde.

Für den kurzen Moment, den er zum Durchqueren des Ganges gebraucht hatte, lag in seiner Seele die Hoffnung, dass das mit Ambyu-Lance doch nur eine einmalige Sache gewesen wäre.

Ein Blick auf den Platz und den umliegenden Gehwegen vernichtete diese Hoffnung in Sekunden.

Mehrere Darkner erschienen in seinem Sichtfeld, weitere Ambyu-Lance, aber auch andere Bewohner von Cyber City hatten an dem unbekannten Mörder ihr eiskaltes Ende gefunden.

Poppups, zusammengedrückt zu einer flachen Masse, hatten viel mehr mit einer Tiefkühlpizza gemein als mit lebendigen Lebewesen.

Virovirokuns, die vereist über dem Boden schwebten. Ihre erschrockenen Gesichter im Angesicht des Todeskampfes ließen Orange erahnen, was ihre letzten Gedanken gewesen sein könnten.

Am meisten verstörte ihn der Anblick der kleinen Maus, die einen der Virovirokuns begleitet haben musste. Er kannte die beiden, sie waren oft in das Café gekommen, welches Orange auch eine Zeit lang mit Freude besucht hatte. Maus war in die Höhe gesprungen, ihr ganzer Körper hatte sich vor Schreck verzerrt. Doch auch das hatte sie nicht davor bewahrt, in einer kalten Hülle aus Eis ihr Ende zu finden.

Entsetzt drückte Orange seine Hände zu Fäusten zusammen, bevor er sie unter Schmerzen wieder öffnete. Als er seine Handfläche ein weiteres Mal inspizierte, unter dem hellen Licht einer Straßenlaterne, sah er das Stück Haut, welches ihm an seiner Daumenwurzel fehlte. Vermutlich hing es immer noch an dem Fleckchen Eis fest, welches er zuvor berührt hatte.

Schnell sah Orange sich um, versuchte herauszufinden, ob jemand allein war oder ob sich noch jemand auf dem Platz befand. Sein Blick wanderte über den gesamten Platz, um den möglichen Täter zuerst sehen zu können, bevor er von diesem entdeckt werden konnte. Jedoch konnte er außer den vereisten Darknern nichts sehen und abgesehen von der Stille nichts hören. Der Täter hatte den Tatort offensichtlich bereits wieder verlassen.

Doch wer immer ihnen das angetan hatte, würde auch auf ihn keine Rücksicht nehmen. Fieberhaft schlich Orange über den Platz, in der stillen Hoffnung, möglicherweise doch einen Überlebenden zu finden, doch je mehr Bewohner er fand, desto mehr schwand dieses kleine Bisschen. Dieser kleine Lichtblick, an den er sich so verzweifelt geklammert hatte.

Während er sich an eine Wand stellte, um zumindest eine Schwachstelle weniger zu haben, überlegte er, an wen er sich wenden könnte. Sein erster Gedanke wäre im Normalfall Ambyu-Lance gewesen, damit dieser die Wunde an seiner Hand heilen konnte. Doch Ambyu-Lance war dazu nicht mehr in der Lage.

Verzweifelt rutschte Orange die Wand hinab und ließ sich auf seinen Hintern fallen.

Wir sind Addisons, wir machen nichts als Werbung. Und den Verkauf diverser Handelsartikel.

Zum ersten Mal hasste er dieses Credo; und die Limitierung seiner Kräfte. Was nützte es ihm, im Handel geschickt zu sein, wenn er nicht einmal den simpelsten Heilzauber beherrschte? Er würde nicht mit seiner Haut um weniger Schmerz verhandeln können.

Wieder wischte Orange sich Feuchtigkeit aus den Augen, als seine Gedanken weiterwanderten. Über alles nachdachte, was er bisher gesehen hatte, und zog seine Schlüsse daraus. Das Resultat war ein Gedanke, der ihm immer wieder und wieder in den Sinn kam. Ein Gedanke, der ihm nicht schmeckte. Mit klopfendem Herzen stand er auf; und begann sich über den Platz zu schleppen. In der Hoffnung, dass er nicht bereits zu spät war.

 

Als er ihn fand, blieb erst sein Herz stehen, dann seine Beine. Welche augenblicklich nachgaben und ihn zu Boden sinken ließen. Seine Augen füllten sich mit Tränen und er gab sich keine Mühe mehr, sie zurückzuhalten. Er hatte keine Kraft mehr dazu.

Wer auch immer die Darkner eingefroren hatte, denen er auf dem gesamten Weg begegnet war, hatte auch vor Pink nicht Halt gemacht. Die linke Hand ausgestreckt, mit stark zusammengekniffenen Augen und den Mund weit aufgerissen, also wollte er in seinem finalen Moment vor Angst schreien.

Dies holte Orange für ihn nach, er brüllte seinen Schmerz in die stille Stadt hinein, doch niemand antwortete. Doch nichts hätte Orange in dieser Sekunde egaler sein können.

Er unterdrückte den Drang, Pinks tiefgefrorene Überreste zu berühren, er wusste, was das tödliche Eis mit seiner Haut in kürzester Zeit anstellen konnte.

Schwer atmend blickte er Pink an. Vor wenigen Stunden hatten sie noch miteinander telefoniert, Pläne für den Restabend geschmiedet und sich auf ihr baldiges Wiedersehen gefreut. Doch so hatte Orange es sich ganz und gar nicht vorgestellt.

Vor seinem besten Freund kniend, rang Orange um Atem und es gelang ihm nur sehr langsam, ein Mindestmaß an Fassung zurückzugewinnen. Sich so weit zu beruhigen, dass er aufstehen und sich von der Szene entfernen konnte. Er musste weg, in die Sicherheit seiner Wohnung flüchten. An einem Ort, wo ihn niemand finden oder gefährden könnte. Der Drang zurückzublicken, noch einmal Pink zu sehen war groß, doch er unterdrückte es mit aller Gewalt. Er würde ihm nicht helfen können, niemand würde das. Da wäre es Pink mehr geholfen, wenn Orange sich so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone brachte.

 

Mit schnellen Schritten ging Orange Straße für Straße, Gang für Gang entlang. Teilweise musste er sich umdrehen und wieder zurücklaufen, zu wenig konnte er sich darauf konzentrieren, wohin seine Beine ihn trugen. Alles, was er unterwegs zu sehen bekam, waren weitere Darkner, eingefroren für die Ewigkeit. Orange verlor schon fast die Hoffnung, noch auf andere lebende Wesen in dieser Stadt stoßen zu können.

Doch dann sah er sie, zwei ihm unbekannte Fremde, die mehr als merkwürdig aussahen. Anders als alle Bewohner von Cyber City, die Orange bisher kannte und liebte. Die eine Person hatte eine blaue Haut, wie auch blaue Haare und schien unbeteiligt herumzustehen. Die andere Person hatte merkwürdige Antennen auf dem Kopf, wie ein langes weißes Kleid, welches bis zum Boden hinunterreichte.

Oranges Gedanken begannen zu rasen. Er war sich sicher, dass es sich bei den merkwürdigen Fremden um die Lightner handeln musste.

Zu einer anderen Zeit, in einer anderen Situation hätte er sie nur zu gerne in sein Geschäft eingeladen, um ihnen das eine oder andere Angebot machen zu können. Oder über die Ironie gelacht. Endlich bekamen sie Besuch von Wesen aus der Lichtwelt, worauf viele von ihnen sich schon lange gefreut hatten. Und ausgerechnet dann trieb ein eisiger Mörder sein Unwesen!

Mit schnellen Schritten überbrückte Orange die Distanz zu den beiden, blieb aber, um sie nicht zu verschrecken, wenige Schritte vor ihnen stehen.

„Hey, ihr seid doch Lightner, nicht wahr? Ihr solltet euch sofort verstecken! Oder am besten wieder in eure Welt zurückkehren. Hier ist es nicht mehr sicher, für niemanden, nicht einmal für euch … hört ihr mir überhaupt zu?“

Erst jetzt schienen die beiden Fremden ihn zu bemerken und drehten sich in seine Richtung. Die Person mit der blauen Haut starrte ihn schweigend an, öffnete den Mund, entschied sich jedoch recht schnell dagegen, etwas zu erwidern.

Die weibliche Begleitung dagegen schien eher bereit zu sein, auf Orange einzugehen. Dabei sah sie durch Orange hindurch, mit einem Blick so leer, dass ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief.

„Schau mal, Kris, noch ein Gegner. Soll ich ihn auch einfrieren?“

Sofort stolperte Orange zurück, er konnte kaum glauben, was er gerade aus dem Mund des weiblichen Lightners gehört hatte. Wollte sie etwa…?

Doch bevor er etwas sagen, oder sich weiterbewegen konnte, hob sie ihre Arme ein kleines Stück und schloss ihre Augen. Ihre Begleitung dagegen versteckte sich hinter einem Schild. Orange konnte noch das helle Leuchten in ihren Händen sehen, das Funkeln mehrere Eiskristalle. Er konnte spüren, wie sich eine kalte Schicht über seinen gesamten Körper ausbreitete. Gleichzeitig brannte seine Haut, als hätte ihn jemand in eine lebendige Fackel verwandelt. Seinen letzten Gedanken widmete er Pink, seinem besten Freund, größtem Konkurrenten und schlaustem Geschäftspartner.

Danach spürte und fühlte er gar nichts mehr.



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