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Lincolns Geheimprojekt

von

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Planänderungen

„Und deshalb steckte Lenis Hand im Abfluss fest“, beendete Lincoln seine Geschichte. Das bezaubernde Lachen von Ronnie Anne wurde durch den Audi-Ausgang seines Laptops wiedergegeben. Der Bildschirm zeigte, wie sich seine Freundin vor Lachen auf ihrem Bett von einer Seite zu anderen und wieder zurück wälzte. Verträumt beobachtete Lincoln sie dabei.

„Deine Schwestern sind wirklich immer für einen Lacher gut“, antwortete ihm Ronnie Anne, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. Mit ihrer Rechten wischte sie sich eine Lachträne aus ihrem Gesicht.

Schnell bemühte Lincoln sich, wieder einen weniger verräterischen Gesichtsausdruck zu zeigen. Schon eine Weile lang beherrschte seine ehemalige Schulfreundin überwiegend seine Gedanken. Wohl oder übel musste er sich eingestehen, dass er sich ein wenig in sie verliebt hatte. Bestimmte Umstände hatten dazu geführt, dass sie sich schon das eine oder andere Mal geküsst hatten, in erster Linie aber, waren er und Ronnie Anne dennoch nur gute Freunde gewesen. Und bisweilen war er damit zufrieden. Auch deshalb, weil sie immer dann komisch wurde, wenn er vorschlug, mal wieder etwas zusammen zu unternehmen. Nur sie beide alleine versteht sich.
 

In den letzten Monaten hatte er das schon öfters versucht. Doch immer schien Ronnie Anne gerade dann wichtige Pläne mit ihrer Freundin Sid zu haben, wenn er Zeit und Geld dazu hätte, doch mal den Bus oder den Zug nach Great Lake City zu nehmen. Da er sich jedoch nicht wie das fünfte Rad am Wagen fühlen wollte, verwarf er seine Pläne dann meistens, um etwas mit seinen Schwestern oder Clyde zu unternehmen.

Allmählich kam ihm der Gedanke, Ronnie Anne wüsste was in ihm vorging, und versucht darum, alles ihr Mögliche, ihre komplizierte Beziehung beim Status Quo zu belassen. Natürlich kam er deshalb nicht darum herum, zu denken, dass sie seinen Gedanken, vielleicht mehr aus ihre Beziehung zu machen, wenig abgewinnen konnte. Und das kränkte ihn dann doch etwas.

„Das kannst du laut sagen“, antwortete Lincoln möglichst gelassen. Er war tunlichst darauf bedacht, nichts von seiner Gefühlswelt durchblicken zu lassen.

„Zum Glück ging alles gut. Nach einer Weile haben ich und Lana es schließlich geschafft, Lenis Hand freizubekommen und auch ihr Ohrring wurde nicht, auf nimmer Wiedersehen, in die stätische Kanalisation gespült.“

„Schön zu hören. Und was ist seit unseren letzten Chat noch so alles passiert?“, wollte Ronnie Anne sichtbar gespannt von ihm wissen. Bestimmt hatte er noch die eine oder andere unterhaltsame Geschichte auf Lager.

„Nun ja… Clyde hatte neulich so eine verrückte Idee, Loris Herz doch noch für sich zu gewinnen…“

„Ist er immer noch nicht über seine verschmähte Liebe hinweg“, fiel ihm Ronnie Anne gut gelaunt ins Wort. Das könnte wirklich witzig werden.

„Naja… Was soll ich sagen. Clyde bleibt eben Clyde. Als sein bester Freund habe ich ihm natürlich dabei geholfen, seinen Plan in die Tat umzusetzen, auch wenn ich wusste, am Ende würde er hoffnungslos scheitern. Und dabei ist folgendes passiert…“
 

Noch eine gute Stunde lang unterhielten sich die beiden lebhaft miteinander und erzählten sich die unterschiedlichsten Geschichten aus ihrem Alltag. Seitdem Ronnie Anne vor drei Jahren in die Stadt gezogen war, konnten sie sich nur noch selten persönlich treffen. Meistens nur dann, wenn seine Mutter etwas in der Stadt zu erledigen hatte, oder wenn Lori einige Tage von College freigestellt war, zufällig zuhause anwesend und Lust darauf hatte, Bobby zu besuchen.

Immerhin benötigten sie selbst mit den Auto mehrere Stunden von Royal Woods bis Great Lake City. Regelmäßige Besuche bei dem anderen, wie es für gute Freunde üblich war, waren darum keine Option. Aber in Zeiten von Globalisierung und Internet gab es, neben langen Telefongesprächen und Briefwechsel zum Glück auch andere Möglichkeiten. Schnell haben darum sowohl Ronnie Anne, als auch Lincoln den Videochat für sich entdeckt. Natürlich war es nicht dasselbe, wie wenn man wahrhaftig neben dem anderen stand, doch es war nahe dran. Und so kamen sie schließlich zu der Übereinkunft, mindestens einmal pro Woche ein virtuelles Treffen zu vereinbaren. Meistens dann, wenn das Wochenende in greifbarer Nähe war und sie etwas Zeit für sich hatten.

Sowohl Ronnie Anne als auch Lincoln lebten in Großfamilien. Lincoln hatte das vergnügen sich mit zehn Schwestern ein Haus zu teilen und Ronnie Anne lebte unter einem Dach mit ihren Großeltern, ihrer Mutter, ihren Bruder, sowie mit Tante und Onkel, als auch mit ihren drei Cousins und ihrer Cousine. Zeit für sich alleine war also durchaus Mangelware, aber dennoch nicht zu schade, um sie füreinander zu nutzen.
 

„Ronalda, Diner ist fertig“, hörte Lincoln plötzlich die Stimme von Ronnie Annes Großmutter, nachdem er mit seiner Erzählung über eine Tierrettungsaktion zu einem Ende gekommen war, die er mit seiner jüngeren Schwester Lana zusammen unternommen hatte.

„Ich komme gleich“, antwortete seine Freundin, bevor sie sich wieder an ihn wandte:

„Tut mir Leid, Lincoln. Aber ich muss Schluss machen.“

„Kein Thema, Ronnie Anne… Doch bevor du gehst.“ Lincoln kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Jetzt oder nie. Er hatte so viel Spaß mit seiner Freundin, dass er den eigentlichen Grund für seinen Chat beinahe vergessen hatte. Doch kaum hatte er das gesagt, erstarb ihr unbeschwertes Lächeln schlagartig. Von jetzt auf gleich wirkte es gequält, beinahe erzwungen. Lincoln bemerkte den Umschwung ihrer Laune, doch jetzt wo er damit angefangen hatte, wollte er es auch durchziehen.

„Um was geht es?“, wollte sie sichtbar nervös von ihm wissen. Genau die Bestätigung, die er gebraucht hatte.

„Ich habe zwei Karten für eine Zaubershow in Great Lake City. Ein Geschenk von Clyde zu meinem vierzehnten Geburtstag. Also, falls du morgen Abend Zeit hättest, hättest du Lust, mit mir dort hinzugehen?“
 

Mit jedem Wort war der Gesichtsausdruck seiner langjährigen Freundin nervöser geworden. In den letzten Monaten hatte er das schon so oft gesehen, dass er bereits wusste, was bald folgen würde. Doch er verstand es einfach nicht. Wie konnte sich ihre Laune nur von einen Moment auf dem anderen so verändern? Vor kurzem noch, war alles super. Ein unbeschwerter Chat zwischen guten Freunden. Und nun? Wie sollte er das nennen? Invasion der Seltsamkeit? Ja, das war gut. So oder so ähnlich. Es war ja nicht so, dass er Ronnie Anne zu einem Date eingeladen hätte. Am Ende wollte er nur etwas Zeit gemeinsam mit ihr verbringen, doch es sollte wohl nicht sein.

„Das ist wirklich cool“, begann Ronnie Anne furchtbar nervöse. Verlegen strich sie sich eine lose Strähne ihres rabenschwarzen Haares aus ihrem Gesicht.

„Aber ich kann nicht. Sid hat Karten für ein Wrestling Match am selben Abend… In der Arena von Great Lake City, du verstehst? Und das kann ich mir nicht entgehen lassen… Tut mir ehrlich Leid.“

Von Sekunde zu Sekunde wurde Ronnie Annes Verhalten wieder etwas normaler. Bald war sie wieder ganz die Alte. Es war beinahe so, als ob ihr ihre Lügengeschichte – es konnte nur eine gewesen sein – dabei helfen würde, ihre Nervosität zu überspielen. Und ihn sollte es recht sein, selbst dann, wenn es ihn verletzte.

„Oh… Verstehe.“ Obwohl er sein Bestes gab, nicht gekränkt zu wirken, gelang es ihm nicht ganz. Traurig wandte er seinen Blick vom Bildschirm ab, hinunter zu seiner Bettdecke. Doch bevor Ronnie Anne etwas sagen konnte, mahnte ihre Großmutter sie erneut.

„Ich muss jetzt wirklich los... Hat Spaß gemacht“, sagte sie noch, bevor sie ihren Laptop eiligst schloss und so den Chat beendete. Nur das Zeichen für die unterbrochene Verbindung zu seinem Gesprächspartner, das auf seinem Bildschirm aufleuchtete, erinnerte noch an seine Unterhaltung mit Ronnie Anne. Selbst seine gute Laune war plötzlich verschwunden.
 

„Immer dasselbe. Vielleicht sollte ich es aufgeben“, sprach Lincoln zu sich selbst. Traurig schloss er seinen Laptop und ließ sich rücklings auf sein Bett fallen.

„Was mache ich jetzt mit der zweiten Karte?“, fragte er sich in Gedanken, bevor er sich zur Seite rollte und sein Gesicht in seinem Kissen vergrub. Doch kaum hatte er seine Augen geschlossen, um in Selbstmitleid zu baden, klopfte es an seiner Tür.

„Nur zu. Es ist offen“, bat er den unbekannten Gast herein. Viellicht war es Lynn. Immerhin wollte er später an diesem Tag mit ihr zusammen eine Runde durch die Stadt drehen. Obwohl. Lynn klopfte nie.

„Und, Lincoln… Wie ist es zwischen dir und Ronnie Anne gelaufen?“, hörte er zu seiner allgemeinen Überraschung Lori fragen. Inzwischen war seine älteste Schwester schon das dritte Jahr an ihrem Traumcollege, doch der zweite Montag im Oktober stand vor der Tür und somit der Kolumbus-Tag, weshalb Lori ein langes Wochenende vor sich hatte. Lincoln wusste, sie würde heute nachhause kommen, hätte sie aber deutlich später erwartete.

„Lori, du bist schon zuhause? Doch viel wichtiger: Woher wusstest du, dass ich mit Ronnie Anne gechattet habe?“

„Nun ja. Ich habe Lana und Lola unten getroffen und sie gefragt, ob du zuhause bist. Denn ich wollte mich gerne mit meinen Lieblingsbruder unterhalten, den ich ewig nicht mehr gesehen habe.“

„Ich bin dein einziger Bruder“, antwortete Lincoln ihr gut gelaunt. Sein Gemüht hatte sich etwas gebessert. Selbst wenn er nicht immer gut mit ihr ausgekommen war, freute er sich doch darüber, Lori nach mehreren Wochen wieder zu sehen.

„Haarspalterei… Was ich aber sagen wollte: Lola und Lana meinten, du bist oben in deinem Zimmer, hättest aber keine Zeit. Weder für die beiden, noch für mich, weil du mit deiner Liebsten chattest. Da habe ich einfach eins und eins zusammengezählt.“

Natürlich hatten Lola und Lana nichts dergleichen gesagt, doch sie wollte ihren kleinen Bruder etwas aufziehen. Seit Lincoln Ronnie Anne das erste Mal über den Weg gelaufen war, wurde er nicht müde, darauf zu bestehen, dass sie eben nicht seine feste Freundin war, wenn auch immer er darauf angesprochen wurde. Völlig egal, ob es nun seine Schwestern oder seine Schulfreunde waren, die das Gegenteil behaupteten. Keine Reaktion dergleichen von ihm zu erhalten war darum äußerst untypisch. War etwas zwischen den beiden vorgefallen?
 

„Ach ja… Haben sie das“, ergriff Lincoln das Wort. Sein vor kurzem noch fröhliches Gesicht, wurde eine Spur trauriger. Hatte Lori etwa richtig vermutet?

„Ganz ehrlich? Nicht besonders“, beantwortete er schließlich auch ihre Frage von vorhin. Ein betrübtes Lächeln legte sich über seine Lippen.

„Ich mache bestimmt irgendetwas falsch?“ Schneller als er denken konnte hatte er diese Worte schon ausgesprochen, doch bereits wenig später wurden ihm die Konsequenzen bewusst.

„Oh Mist… Das hast du jetzt nicht gehört. Vergiss das ganz schnell wieder. Okay?“ Jahre lang hatte er vehement geleugnet, etwas für Ronnie Anne übrig zu haben. Und jetzt bestätigte er Loris Verdacht einfach so aus heiteren Himmel. Heute war offensichtlich nicht sein Tag.

„Du magst sie also doch?“ Ein fröhliches Lächeln umspielte Loris Mundwinkel. Sie hatte es gewusst. Schon die ganze Zeit.

„Was habe ich gerade gesagt?“

„Ach komm schon, Bruderherz, dass muss dir doch nicht peinlich sein. So rückt die Doppelhochzeit von der ich immer geträumt habe doch noch in greifbare Nähe“, quietschte Lori, wie ein kleines Mädchen an Weihnachten vor sich hin, das gerade einen Berg an Geschenken erblickt hatte.

„Hör endlich auf mit diesem Quatsch!“, rief Lincoln ihr ungehalten entgegen, doch bevor sie etwas sagen konnte fügte er hinzu:

„Darum rede ich mit keiner von euch über meine Gefühle. Jede von euch übertreibt immer maßlos, sobald es um mein persönliches Liebesleben geht… Hochzeit? Das ich nicht lache. Ich schaffe es kaum, sie davon zu überzeugen, etwas gemeinsam mit mir alleine zu unternehmen. Ich hab es wirklich versucht, mehr als nur einmal. Aber immer wenn ich sie zu etwas einladen möchte, kommt sie mir mit irgendeiner Ausrede. Anfangs habe ich ihr ja noch geglaubt. Aber sobald Zufälle sich häufen werde ich stutzig. Ich weiß, sie hat die Vermutung, dass ich mich etwas in sie verknallt haben könnte. Aber warum kann sie nicht einfach sagen: He, Stinker… Tut mir leid, aber lass uns besser einfach nur Freunde bleiben… Ich würde es verstehen, wirklich. Ich hab mich längst damit abgefunden, aber ihre Art mir scharmlos ins Gesicht zu lügen, nur um nichts mit mir unternehmen zu müssen, trifft mich wirklich hart. Wenn wir miteinander chatten ist doch auch alles in Ordnung. Sie lacht über meine Witze, erzählt gerne über ihren Alltag und beschwert sich über ihre Familie. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, sie flirtet mir mit. Doch wenn ich dann das Pech habe, dass sie ihr eigenes, doppeldeutiges Verhalten bemerkt, zieht sie den Schwanz ein. Ganz ehrlich Lori, ich versteh sie nicht… Wirklich nicht.“
 

„Wow, Lincoln… Das war überraschend ehrlich von dir“, ergriff Lori das Wort, als ihr Bruder schließlich zu einem Ende gekommen war. Das er ausgerechnet ihr seine Beziehungsprobleme anvertrauen würde, hätte sie bis vor wenigen Minuten kaum für möglich gehalten. Doch jetzt witterte sie ihre Chance, um mit ihm persönlich ins Gespräch zu kommen. Genauso, wie sie es ursprünglich auch geplant hatte.

„Hast du heute schon etwas vor?“

„Ich wollte mit Lynn eine Runde durch die Stadt laufen… Wieso?“, erkundigte sich Lincoln. Die Verwirrung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Bestimmt hatte er eine andere Antwort erwartet.

Normalerweise konnte Lori es unmöglich lassen, sich in sein Privatleben einzumischen. Das sie Nichts hatte, was sie ihm zu seinem Problem mit Ronnie Anne sagen wollte, erleichterte und enttäuschte ihn zugleich. Ausgerechnet heute hätte er jeden Rat, selbst wenn er noch so albern und unnütz sein sollte, mit Freuden entgegengenommen.

„Du und Sport? Ist das eine Art Scherz, oder hat dich Lynn dazu gezwungen?“, erkundigte sich Lori erstaunt. Sie erkannte ihren Bruder kaum wieder.

„Naja gewissermaßen. Vor einigen Wochen fand in Royal Woods ein Junior Marathon statt, bei dem Lynn unbedingt mitmachen wollte. Doch weil ihr die Motivation dazu fehlte, alleine zu laufen, hat sie mich darum gebeten, ihr Gesellschaft zu leisten. Selbstverständlich erst, nachdem alle unsere anderen Schwestern dankend abgelehnt hatten. Ich wollte ihr einen Gefallen tun, und hab mich darauf eingelassen. Ich dachte mir: Einmal durch die Stadt zu laufen würde mich schon nicht umbringen. Man wie habe ich mich getäuscht. Mit Lynn mitzuhalten war absolut unmöglich und nach unserer Runde war ich so fertig, dass ich, ohne mich vorher zu duschen, hundemüde ins Bett gefallen bin. Doch seltsamerweise hat es mir trotzdem überraschend viel Spaß gemacht, weshalb ich Lynn am nächsten Tag darum gebeten habe, das bei Gelegenheit zu wiederholen. Ich hätte nie gedacht, dass sie sich so darüber freuen würde. Inzwischen rennen wir beinahe täglich einmal durch die Stadt. Immer auf einer anderen Route und immer eine gute Stunde lang. Und das Beste ist, sie hat endlich damit aufgehört, mich ständig dazu zu zwingen, ihr bei ihrem mörderischen Training als Sparringspartner auszuhelfen. Selbst wenn ich doch mal Lust dazu haben sollte, eine Partie Fußball oder Basketball mit ihr zu spielen, ist sie weniger aggressiv. Ich weiß gar nicht mehr, wenn sie mich zuletzt von hinten attackiert hat.“
 

„Du musst noch viel über Mädchen lernen.“ Wieder stahl sich ein fröhliches Lächeln auf ihre Lippen.

„Was soll das den heißen?“, erkundigte sich Lincoln verwirrt. Wie kam Lori jetzt darauf?

„Schau… Lynn ist eine begeisterte Sportlerin. Neben mir die Einzige in unserer Familie. Doch für Golf hat sie nichts übrig. Golf ist kein richtiger Sport, wie sie gerne zu sagen pflegt. Im Gegenzug dazu, kann aber auch ich ihren Lieblingssportarten wenig abgewinnen. Ich falle also, wie auch der Rest unserer Schwestern als ihre Spielpartnerin aus. Und auch du, Lincoln, warst nie ein begeisterter Sportler, sondern lagst lieber gemütlich im Bett, um deine Comics zu lesen. Du als Junge warst aber, nach ihrer verdrehten Logik, immer am ehesten dazu geschaffen, doch noch eine Begeisterung für Sport zu entwickeln. Darum hat sie dich, schon als du noch jünger warst, gerne dazu gezwungen, mit ihr zusammen zu spielen. In der zarten Hoffnung, wenigstens eines ihrer zehn Geschwister für ihre Vorlieben begeistern zu können. Aber gezwungen ist nun mal gezwungen. Ihr muss aufgefallen sein, dass du wenig Spaß daran gefunden hast. Dass du plötzlich aus eigenem Antrieb etwas mit ihr unternehmen möchtest, für das sie sich begeistern kann, und das auch dir Spaß macht. Das hat sie sich sicher bereits dass eine oder andere Mal gewünscht. Völlig klar, dass sie ihre aggressive Art von alleine zurückschraubt, um dich am Ende nicht doch wieder zu verschrecken.“
 

„Hm… Das ergibt irgendwie Sinn. Auf eine verdrehte Art und Weise“, merkte Lincoln an.

„Natürlich tut es das, Dummkopf. Aber denkst du, du könntest Lynn für heute vertrösten? Ich möchte gerne eine Partie Minigolf mit die spielen.“

„Minigolf? Warum ausgerechnet das?“ Wie in den meisten Sportarten war Lincoln auch im Minigolf kein herausragendes Talent. Meistens konnte er sich glücklich schätzen, wenn er den Ball mit drei Schlägen einlochen konnte. Warum sollte Lori also ausgerechnet mit ihm spielen wollen?

„Es hat wohl keinen Sinn es zu verheimlichen. Ich möchte mit dir reden, ganz privat und ohne lästige Zuhörer. Du weißt, wie dünn die Wände in diesem Haus sind. Und der Minigolfplatz bittet sich dazu an... Verstehst du?“

„Also willst du mir doch Tipps zu meinen Beziehungsproblemen geben?“ Natürlich hatte die Sache einen Hacken. Sollte er froh oder verärgert darüber sein?

„Nur wenn du sie auch wirklich hören möchtest. In erste Linie wollte ich allerdings etwas Familienzeit mit dir verbringen. Doch wenn du lieber mit Lynn eine Runde laufen möchtest, dann nur zu…“

Lori unterbrach sich selbst, zog eine Schnute und fügte mit gespielter Trauer hinzu:

„Ich komm damit klar… Ehrlich.“ Wie schon oft zuvor, wenn er etwas anderes vorhatte, versuchte Lori ihn mit ihrer ganz eigenen Art, doch noch für sich zu gewinnen. Ein Trick, der selten sein Ziel verfehlte, und zu dem auch seine anderen Schwestern neigten.

„Ich denke, einmal kann ich sie vertrösten“, antwortete er, sich seinem Schicksal fügende. Ihm ein schlechtes Gewissen einzureden, ob nun mit Worten oder Taten, hatte sich zu seinem Leidwesen bewährt. Meistens konnte Lincoln dann schwer ablehnen.

„Ausgezeichnet. Das ist ohne Witz genau das, was ich hören wollte“, ergriff sie gut gelaunt das Wort. Wie so viele seiner Schwestern es schafften, von jetzt auf gleich von todtraurig zu super gelaunt zu wechseln, war ihm schon immer ein Rätsel gewesen.

„Lass uns gleich los… Ja? Ich warte unten auf dich“, sagte Lori noch, bevor sie sich bester Laune auf den Weg nach unten machte.
 

Lincoln warf einen Blick aus dem Fester. Obwohl es bereits Herbst war, würde heute ein schöner Tag auf ihn und Lori warten. Schnell ging er hinüber zu seinem Kleiderschrank und kramte eine dünne Jacke daraus hervor. Ob nun ein schöner Tag oder nicht, sommerliche Temperaturen würden ihn sicher nicht erwarten. Zügig zog er sich die Jacke über und schritt sodann aus seinem Zimmer. Er schloss die Tür hinter sich, und machte sich eiligst auf den Weg zu Lucy und Lynn, um seine Laufpartnerin darüber zu informieren, dass sie ihre gemeinsamen Pläne ändern mussten. Ohne böse Hintergedanken öffnete er die Tür.

„Lynn, kann ich kurz mit dir…“ Lincoln unterbrach sich selbst, als er seine spotbegeisterte Schwester mit ihrer Unterwäsche bekleidet antraf. Scheinbar wollte sie sich gerade umziehen. Ein kurzer Schreckenslaut war von ihr zu hören gewesen, bevor sie nach einem Oberteil fasste, das auf ihren Bett lag, und es Lincoln entgegenwarf. Reflexartig fing er es mit beiden Armen auf, bevor er sein Gesicht abwandte und die Augen schloss.

„Man, Lincoln. Klopf gefälligst an, bevor du das Zimmer eines Mädchens betrittst“, ergriff Lynn das Wort. Obwohl er sie zu einen schlechten Zeitpunkt erwischt hatte, schien sie sich zum Glück wenig daran zu stören. Er fasste wieder etwas Mut, ließ aber seine Augen geschlossen.

„Sagt ausgerechnet die, die sich nie daran stört, ständig unangekündigt in das Zimmer eines Jungen zu platzen“, antwortete er schlagfertig, bevor ihm ein strenger Geruch in die Nase schoss.

„Ist das etwa dein Sporttrikot?“ Angewidert hielt er Lynns Schmutzwäsche weit von seinem Gesicht entfernt, indem er seine Arme schnellstens weg von seinem Körper streckte. Ihr erheitertes Lachen drang keine Sekunde später zu seinen Ohren durch.

„Das ist etwas völlig anderes, du bist mein Bruder“, erwiederte sie bester Laune, ohne dabei auf seine Frage einzugehen, und zog sich sodann eiligst eine Hose über.

„Und du bist meine Schwester, wo ist da bitte der Unterschied?“, wollte er im nächsten Moment von ihr wissen.

„Das verstehst du nicht“, antwortete Lynn, schüttelte kurz erheitert mir ihrem Kopf und fasste nach einem sauberen Oberteil, um es sich überzuziehen.
 

„Alles klar, du kannst wieder gucken“, fügte sie noch hinzu, bevor sie nach ihrer alten Hose fasste, die auf den Boden lag. Vorsichtig öffnete Lincoln seine Augen. Nicht das ihm Lynn eine Falle stellen wollte. Doch entgegen seiner Vermutung war sie wieder angezogen. Nun trug sie eine blaue Jogginghose und ein weißes T-Shirt mit einer eins auf der rechten Seite. Das letzte Kleidungsstück, das Oberteil zu ihrer Jogginghose, lag noch auf ihrem Bett.

„Also, Lincoln. Was ist los?“, fragte sie ihren Bruder und schritt sodann zu ihm hinüber, um sich ihr Sporttrikot von ihm wiederzuholen. Gerne gab er Lynns verschwitzte Kleidung zurück.

„Es geht um unsere Runde heute… Mir ist da etwas dazwischengekommen. Lori hatte die Idee, mich auf eine Partie Minigolf einzuladen. Und wie soll ich sagen? Ich konnte irgendwie nicht ablehnen.“

„Lori sagst du… Ist sie etwa schon zuhause?“ Misstrauisch beäugte sie ihren Bruder. War das einer seiner Pläne um sich vor ihrer gemeinsamen Runde zu drücken. Doch nichts deutete darauf hin, dass er Lügen würde. In der Regel war Lincoln ein schlechter Lügner, und außerdem schien er Spaß daran zu haben, mit ihr durch die Stadt zu laufen. Warum also, sollte er überhaupt lügen wollen?

„Ja, scheinbar ist sie vor kurzem angekommen.“ Kaum hatte er das gesagt, rief Lori auch schon nach ihm:

„Lincoln, was dauert denn da so lange? Sag Lynn schon, dass du etwas anderes vorhast und schwing deinen Hintern hier runter!“

„Offensichtlich“, kommentierte Lynn im Nachhinein trocken Lincolns Antwort von vorhin. Auf den Gesichtern beider Geschwister zeichnete sich ein schmales Lächeln ab.

„Wie lange wird das denn dauern?“, erkundigte Lynn sich dann bei ihrem Bruder.

„Keine Ahnung… Ein paar Stunden vielleicht.“

„Da lässt sich wohl nichts machen. Dann muss ich heute wohl ausnahmsweise alleine laufen. Morgen laufen wir dafür aber die doppelte Strecke. Einverstanden?“

Lincoln Lächeln verschwand schlagartig, das von Lynn hingegen wurde breiter. Obwohl Lincoln Spaß daran hatte, mit ihr zusammen zu laufen, war er doch bei weitem nicht so fit wie sie. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie den Großteil ihre Freizeit intensiv trainierte. Ihre tägliche Runde mit Lincoln war nur ein kleiner Teil davon. Aber der Teil, der ihr am meisten Spaß machte.

„Ich kann es ja mal versuchen. Immerhin bin ich schon deutlich fitter auf den Beinen, als noch vor wenigen Wochen.“ Lynns breites Grinsen wich bloßem Staunen. Das hätte sie niemals erwartet.

„Schön zu hören. Aber wenn es dir doch zu viel werden sollte, können wir jederzeit eine Pause einlegen. Das ist dir hoffentlich klar.“

„Natürlich. Danke für dein Verständnis… Ähm. Soll ich deine durchgeschwitzte Sportkleidung gleich mitnehmen. Ich muss sowieso runter. Dann kann ich auch gleich zur Waschmaschine gehen.“

„Du bist der Beste… Hier bitte.“ Ohne lang zu zögern drückte sie ihm ihre Kleidung erneut in die Hände. Dieses Angebot würde sie im jeden Fall annehmen.

„Immer wieder gerne“, antwortete Lincoln gequält. Warum bitte, hatte er ihr diesen Vorschlag gemacht?
 

Mit ihrer Schmutzwäsche in den Händen verabschiedete er sich von seiner Schwester und trat sogleich den Weg nach unten an. Wenig später hatte er ihre Kleidung in den Keller verfrachtet, wo die Waschmaschine mangels Alternativen ihren Platz gefunden hatte, und war zu Lori an die Haustür getreten, die bereits ungeduldig auf ihn wartete. Auch sie hatte sich eine dünne, weiße Jacke übergezogen, welche das Wappen ihres Colleges zierte. Ihre Golftasche hatte sie sich lässig um ihre rechte Schulter geschwungen.

„Und sag schon. Wie hat Lynn es aufgenommen?“, erkundigte sich Lori bei ihren kleinen Bruder, sobald dieser neben ihr stand.

„Ganz gut, denke ich.“ Kaum hatte er das gesagt, stürmte Lynn bereits die Treppe hinunter, hinein ins Wohnzimmer.

Inzwischen hatte sie sich auch ihre Joggingjacke übergezogen, sofern Lincoln dass in der kurzen Zeit indem er sie gesehen hatte, beurteilen konnte.

„He, Lana. Lust auf etwas sportliche Betätigung. Lincoln hat den Schwanz eingezogen und mich auf morgen vertröstet“, hörten Lori und Lincoln sie sagen.

„Überraschend gut“, kommentierte Lori die Situation und öffnete die Tür. Noch bevor sie Lanas Antwort vernehmen konnten, waren sie bereits draußen.
 

Stillschweigend gingen sie hinüber zu Loris Wagen. Ein rotes, gebrauchtes Cabrio, aus den späten Achtzigern, das sie ihren Nachbarn, Mister Grouse vor gut drei Jahren für 500 Dollar abgekauft hatte. In mühevoller Handarbeit hatte es Lana anschließend wieder fit gemacht. Bis heute war sie ihrer jüngeren Schwester unheimlich dankbar dafür gewesen.

„Also dann… Legen wir los“, sagte Lori noch, bevor sie in ihren Wagen stieg. Lincoln folgte ihr wenig später und nahm auf den Beifahrersitz Platz.



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