Zum Inhalt der Seite

The Wild Child

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Auf der Suche

Als ich Maridunum sah, war die Sonne noch nicht einmal den halben Nachmittagshimmel entlanggewandert. Die Tore standen weit offen, fremde Pferde standen im Hof. Alles war so, wie damals, als König Gorlan um die Hand meiner Mutter angehalten hatte. Wenn es wieder ein König oder ein Fürst war, der mit dieser Absicht gekommen war, brauchte ich mich nicht zu sorgen, denn sie würde ihn genau so wegschicken, wie alle anderen auch.

Doch als ich mich nach hinten mit meinem Pony in den Stall schlich, wartete Cynric bereits auf mich.

Ohne etwas zu sagen sattelte er mein Pony ab und half mir, es mit Stroh abzureiben. Ich wagte nicht, nach dem Besuch zu fragen, der gekommen war, sondern schwieg.

"Geh jetzt in die Küche und hol' dir was zu essen", sagte Cynric schließlich.

Ich nickte. "Ja, gut." Doch anstatt zu gehen, fragte ich: "Wer ist gekommen, Cynric?"

"Vortigerns Wölfe haben das Königreich Lothian überfallen und ausgeschlachtet...", er schüttelte den Kopf, "Ein weiterer König ohne Königreich. Vortigern hat Agravain von Lothian in seinen Rat berufen. Dein Großvater und er sind alte Freunde und deshalb hat er die Gemahlin und die jüngsten Kinder des Königs aufgenommen. Nichts, was dich kümmern sollte."

"Wieso nicht?"

"Weil das Dinge sind, mit denen sich Erwachsene beschäftigen - Könige und so... Dein Großvater reitet morgen auch zum Rat des Hochkönigs. Und jetzt geh Abendessen!"

Als ich mich auf den Weg in die Küche machte, dachte ich darüber nach, was Cynric gesagt hatte.

standen Pferde und Reiter im Hof; doch die meisten Soldaten und Tiere gehörten zu meinem Großvater. Es war offensichtlich, dass er seine Abreise plante.

So weit ich mich erinnern konnte, hatte mein Großvater Maridunum nicht mehr verlassen, nur Boten und seine Edlen hatten Nachrichten überbracht und waren an den Hof des Hohen Königs gegangen, um dort zu berichten. Ich konnte mir Maridunum ohne die Anwesenheit des Königs einfach nicht vorstellen, denn er hatte immer hier her gehört.

Es gab Dinge, über die niemand sprach, aber über die jeder bescheid wusste. Der Hohe König Vortigern hatte seinen Thron nur aus einem Grund halten können: nachdem er König Arthur getötet hatte, heiratete er die Schwester des sächsischen Häuptlings Hegal und um auf die sächsische Unerstützung gegen alle Feinde zusätzlich zählen zu können, ließ er die Sachsen nun in Großbritannien wüten, wie es ihnen gefiel - Vortigern selbst hatte sie nicht mehr unter Kontrolle. So hatten die Sachsen in den letzten Jahren ganze Königreiche geplündert und Könige heimatlos gemacht.

Cynric hatte Recht, es ging mich wirklich nichts an, mit der sich Könige beschäftigten, aber keine Kinder.

Doch ich wurde hellhörig, als ich das Gelächter von Dinias, Briga und ihrer Bande hörte, die anscheinend im Säulengang irgendein Spiel spielten. Es überraschte mich, dass sie bei der Dunkelheit noch so nahe an der königlichen Halle solchen Lärm veranstalteten; wahrscheinlich war der König mit seinen Gästen beschäftigt und Dinias und seine Anhänger feierten ihr persönliches Fest.

Ich dachte daran, dass Cynric mir indirekt zu verstehen gegeben hatte, dass ich mich nicht im Palast sehen lassen sollte. Deshalb wollte ich lieber in die Gesindeküche gehen, um mir mein Abendessen zu holen, denn inzwischen machte sich der Hunger bemerkbar. Ich warf noch einen letzten Blick auf Dinias, Briga und die anderen Kinder; sie rannten in alle Richtungen davon, wahrscheinlich spielten sie Verstecken und Suchen. Es tat mir nicht wirklich leid, dass ich nicht mitspielen konnte; ich hatte schon immer alleine meine eigenen Spiele gespielt. Mit anderen Kindern zusammen, dachte ich, könnte man bestimmt nicht die Feen und Elfen suchen und an schönen Sommertagen das Wassertier unter der Brücke sehen und den Geistern in den Bäumen lauschen.

Niemand bemerkte mich, als ich zu den Gesinderäumen schlich und darüber war ich froh. Der Schein der Fackeln im Säulengang richte nicht bis dorthin, deshalb sah ich kaum, wohin ich lief, aber ich kannte mich so gut aus, dass ich mich auf Maridunum fast überall blind zu Recht fand.

Der Gesindetrakt war ein flaches, einstöckiges Gebäude aus Stein und Lehm, das ein Stück entfernt vom Eingang des Säulengangs lag.

Gerade wollte ich hineingehen, als ich einen sich bewegenden Schatten in meiner Nähe entgegen. Ich hielt den Atem an und drehte mich langsam um. So hatte ich mir immer vorgestellt, dass sich eine Fee an Menschen anschlich. Es war keine Fee, sondern ein Mensch; ein Kind - ein bisschen größer als ich mit großen, bernsteinfarbenen Augen - starrte mir entgegen. Niemand von uns sagte ein Wort, bis Briga rief: "Dian! Wo bist du?"

Das Mädchen, das Briga Dian gerufen hatte, drehte sich um und rannte zum Säulengang zurück.

Ich kannte niemanden, der Dian hieß; wahrscheinlich war sie mit der Königin von Lothian gekommen, schätzte ich.

Es war ein seltsames Treffen gewesen mit dem Mädchen namens Dian. Als ich an diesem unter dem Fenster bei meinem Birnbaum saß, suchte ich in der Dunkelheit nach den Wesen aus dem Feenvolk, die ich dort draußen vermutete.
 

Am nächsten Morgen war ich wach, noch bevor die Sonne am nebligen Himmel vollkommen aufgegangen war. Der Himmel in der Ferne färbte sich sanft rosa rötlich und orangefarben. Die ersten Vögel zwitscherten auf den Bäumen ihren morgendlichen Gruß und fiepten aus ihrer kleinen Kehle heraus. Ich war hinaus in den Gesindegarten gegangen. Unter meinen Füßen spürte ich das vom Morgentau nasse Gras, die Luft war noch kühl. Ich beugte mich hinunter, um das Gras näher zu betrachten; ich sah keine Elfen, nur ein Spinnennetz, das der Morgentau sichtbar gemacht hatte und einen organfarbenen Käfer. Vorsichtig ließ ich den Käfer auf meinen Finger krabbeln und war so beschäftigt damit, dass ich nicht bemerkte, wie jemand hinter mich trat.

Ich drehte meinen Kopf abrupt um und sah in das Gesicht eines Mädchens, das etwas älter war als ich. Sie hatte ein schmales Gesicht, lange haselnussbraune Haare mit einem hellen Schimmer.

Ich musterte die Fremde. "Du heißt Dian, nicht?"

"Ja." Sie nickte. "Und dein Name ist Mynona, oder? Sie haben's mir gestern Abend erzählt."

Wenn meine Base ihr etwas über mich erzählt hatte, dann erwartete ich, dass sie mich genau so mied, wie alle anderen auch, weil sie glaubte, ich hätte den bösen Blick. Doch sie sah mir direkt in die Augen und hielt meinem Blick stand.

"Ich komme aus Lothian; ich bin die Tochter von König Agravain."

"Dann... dann seid Ihr eine Prinzessin?"

Moravik hatte mir immer schon seit ich denken konnte Manieren eingebläut, wie ich mich gegenüber Königen, Königinnen, Prinzen, Prinzessinnen, Fürsten, Lords und Ladies und dergleichen verhalten sollte und deshalb versuchte ich mich aufzurichten, doch ich verlor auf den Fußballen das Gleichgewicht und fiel zurück auf den weichen Boden.

Dian lachte mich an. "Ach, meine Amme hat gesagt, Prinzessin nennen kann man sich leicht. Deshalb muss man darauf achten, dass man sich wie eine Prinzessin benimmt. Sie haben gesagt, dein Vater sei ein Dämon. Stimmt das? Meine Amme hat mir von dem Blick erzählt und von Wesen mit Zauberkräften."

Als ich nichts darauf sagte, sprach sie weiter: "Sie mögen mich auch nicht; aber ich hab ihnen wohl auf wenig Grund dazu gegeben. Glaubst du, sie denken bald auch, dass ich Zauberkräfte habe? Kannst du zaubern?"

"Wenn sie wissen, dass dein Vater ein König ist, werden sie dich bestimmt mögen."

Dian winkte ab. "Aber ich mag sie nicht. Ich bin eine Prinzessin und ich habe gelernt, mich anders zu benehmen. Sie nennen sich nur so. Meine Amme hat gesagt, ich soll mir die Natur genau ansehen. Hast du das Zweite Gesicht?"

"Ich weiß nicht." Morgens ließ ich mich schwer für etwas begeistern, und so verstand ich auch nicht recht, was in diesem Moment vor sich ging.

"Du siehst viele Dinge, die andere nicht sehen, weil du sie sehen willst, nicht? Hast du schon mal eine Fee gesehen? Einmal, als ich Fieber hatte, dachte ich, dass ich eine gesehen hätte. Meine Stiefmutter hat aber gemeint, das sei nur ein Fiebertraum gewesen."

"Im Wald kannst du sie sehen, behaupten die Leute im Dorf. Aber die Feen zeigen sich nicht jedem. Ich glaube, die Angelusglocken im Dorf machen ihnen Angst. Und die Kruzifixe und Kreuze - ich fürchte mich zumindest vor ihnen."

"Wirklich? Ich finde es auch ein bisschen unheimlich, was der Priester immer murmelt, und fürchte mich davor."

"Ich fürchte mich nicht vor vielen Dingen."

"Das dachte ich mir."

"Wieso?"

"Deine Base hat gesagt, du seiest ein Dämon aus den Hügeln." Sie zog den Ärmel ihrer blassgrünen Tunika nach oben und zeugte mir ein seltsames Armband mit Verziehrungen.

"Wozu ist das?"

Sie streckte mir den Arm mit dem Schmückstück entgegen und ich berührte mit meinen Fingerspitzen vorsichtig die Zeichen.

"Meine Amme hat es mir gegeben, um mich vor den Dämonen zu schützen; sie sagt, dass sie sich vor Eisen fürchten. Du aber nicht, also kannst du kein Dämon sein."

"Findest du das etwa schade, dass ich kein Dämonenspross bin?" Ich musste lachen.

"Nein, den..." Sie sah Richtung Palast und meinte dann: "Ich muss gehen. Bis später, Mynona."

Gerade hatte sie kehrt gemacht und wollte zurück zum Palast laufen, das rief ich: "Myrlin."

"Wie?"

"Man nennt mich Myrlin, wie den Falken."

"Gut, Myrlin!"

Dian musste noch viel lernen. Doch das traf auch auf mich zu und in mancher Hinsicht gab es einige Dinge, die wir einander zeigen konnten; eigentlich kannten wir beide diese Welt voll mystischer Wesen und Märchen, aber man kann immer mehr von ihr entdecken und über sie erfahren.
 

Als ich ein paar Tage danach wieder zu Galapas reiten wollte, standen zwei Sänften und ein paar Pferde im Hof. Meine Mutter und Olwen wollten zur Ostermesse in die Klosterkapelle von St. Petrus gehen.

Und obwohl es nur ein Besuch war, wäre ich trotzdem lieber in Maridunum geblieben. Ich war früher schon ein paar Mal mit meiner Mutter dort gewesen und damals hatte ich es immer so gut wie möglich vermieden, lange in der Kapelle zu bleiben. Nicht nur die Kreuze, sondern auch der Priester, die Schwestern und all das andere waren für mich Grund genug, den Ort zu meiden. Doch dieses Mal war ich wohl zu alt, um mich zu verstecken.

Ich wollte nicht eingesperrt und angekettet werden, wie die Affen im Garten meines Großvaters.

Die letzten Tage war ich Dian nicht mehr begegnet, sondern war früh morgens zu Galapas gegangen und erst spät abends wiedergekommen, weil ich immer noch Cynrics Warnung in Erinnerung hatte.

Doch als wir am Ostermorgen ins Kloster ritten, erzählte sie mir von Lothian und den Orkney-Inseln - ihrer Heimat.

"Dort wird es im Winter fast nie hell und im Sommer geht die Sonne kaum unter", erzählte sie.

"Das stelle ich mir seltsam vor. Und was ist im Herbst und um Frühling?"

Olwen und die Königin von Lothian - Dians Stiefmutter - reisten in einer Sänfte, zusammen mit den anderen Edelfräulein, aber zu meiner Überraschung ritt meine Mutter selbst auf einem Pferd und unterhielt sich so angeregt mit einem der Männer aus Lothian, dass sie mich kaum wahrnahm.

Ich wünschte mir, dass wir nie ankommen würden, denn ich wusste, was alles folgen würde: zwei schier endlose Messen, Predigten und dergleichen, die strengen Blicke der Äbtissin und der anderen Schwestern des Ordens. Aber ich konnte mich nicht verstecken, auch wenn meine Angst vor diesem Gefängnis unerträglich war und beinahe jeden Knochen in meinem Leib zum Bersten zu bringen schien.

Die Reise dauerte natürlich nicht ewig. Als wir ankamen, läuteten die Glocken gerade zur Nachmittagsmesse, auch Leute aus den umliegenden Dörfern waren gekommen.

Der Priester las zuerst lateinisch aus der Bibel vor, doch ich hörte nicht hin, was er sagte, sondern rutschte unruhig auf der harten Kirchenbank hin und her, bis Moravik mich wieder zwang, still zu sitzen. Meine Mutter, Olwen, Königin von Lothian und auch Calmachs Frau knieten direkt vor dem Altar, Olwens Sohn wurde von einer Kinderfrau gehalten, genau so wie Calmachs Tochter, die beide noch zu klein waren, um lange niederknien oder stehen zu können. Auch Dian war bei ihnen, so saß ich bei Moravik und ein paar anderen Sklaven, die mitgekommen waren.

Als der Priester anfing, die Ostergeschichte aus walisisch zu erzählen, schnitt die Holzkante der Bank in meine Schenkel, weil ich zu klein war, um meine Füße auf den Boden zu stellen. Zuerst schob ich meine Hände dazwischen und fing dann wieder an, zu zappeln.

"Myrlin, bleib sitzen und hör zu, jetzt sollst du einmal deine Ohren aufsperren, also tu es auch!", zischte Moravik.

So gut es ging, versuchte ich den Schmerz zu ignorieren und an etwas anderes zu denken. Die Zeit kroch zäh dahin. Ich dachte an Galapas und Demetrius, dann an Cynric und den König, die gerade bei Vortigern, dem Hohen König waren - und überall dort wäre ich lieber gewesen als in der Klosterkapelle.

Die Bilder vor meinen Augen verschwammen, ich wurde müde und obwohl es mitten am Tag war hörte ich die leise Musik der Sterne, die ich im Hypokaustum gehört hatte. Neue Bilder begannen vor meinen Augen aufzuflammen, wie in Galapas Kristallhöhle.

Zuerst hörte ich Stimmen. Sie kamen von draußen. Draußen? Nein, ich war nicht mehr in der Kapelle, sondern an einem anderen Ort. Ich war auch nicht wirklich da, aber ich sah diesen Ort. Das Meer rauschte dort, Wellen schlugen gegen eine Steinklippe. Und oben auf dieser Klippe standen Menschen. Sie standen alle um einen Haufen Holz herum. Dann erkannte ich etwas Weißes auf dem Holzhaufen liegen und wusste, was es war: eine Beerdigung. Der Leichnam lag in weiße Tücher gehüllt da; ein Mann in einem blauen Umhang trat mit einer Fackel vor und entzündete das Feuerholz damit. Ein paar der Umstehenden begannen zu schluchzen und laut zu klagen. Ich hörte Stimmen undeutlich wispern, die Gesichter dieser Menschen wurden etwas deutlicher, aber dann verschwamm wieder alles vor meinen Augen, auch alle Geräusche um mich herum verklangen...

Gerade empfingen die Königin und ihr Gefolge die Kommunion, als ich wieder klar denken konnte. Ich fühlte mich zu schwach, um auch nur einen meiner Knochen zu bewegen, ich fühlte mich seltsam leer. In diesem Moment ließ der Priester den Silberkrug mit Wein fallen; der rote Saft durchtränkte das weiße Tuch auf dem Altar. Olwen und Calmachs Frau stießen schrille Schreie aus, Dianas Gesicht nahm einen seltsam amüsierten Ausdruck an und nur meine Mutter drehte sich einen Augenblick um und sah mich überrascht an, wandte ihren Kopf dann aber schnell wieder ab, so als hätte sie irgendetwas erschreckt.

Plötzlich fühlte ich mich, als müsse ich mich übergeben. Niemand achtete auf mich, also stand ich vorsichtig auf und ging nach draußen, ohne dass mich jemand aufhielt. Und kaum hatte ich die Kappelle verlassen, musste ich mich übergeben.
 

Erst, als die Sonne unterging und den Himmel in tiefes Rot tauchte, verschwand das Gefühl wieder und stattdessen wurde es abwechselnd heiß und kalt. Trotzdem wollte mir nichts anmerken lassen, als wir zurückritten, denn je weiter das Kloster wieder hinter uns lag, desto sicherer fühlte ich mich wieder. Es war für mich schon immer kein besonders schöner Ort gewesen, und in gewisser Weise fühlte ich mich dort gehetzter, als in Maridunum, die Blicke der Nonnen, die ständige Wispern der Gebete und das unabbrechende Widerhallen der Choräle schienen seltsam unheimlich.

Als die Sonne untergegangen war, wurden Fackeln angezündet, damit die Königin und ihr Gefolge ihren Weg fortsetzen konnten und noch so bald wie möglich den Hof erreichen würden. Ich sah an den Himmel und beobachtete den Mond; dem zufolge, was Galapas mir erzählt hatte, wurde er wieder zu einer Sichel.
 

Sobald wie möglich ritt ich wieder zu Galapas und erzählte ihm von meinem Traum während der Messe. Er hörte mir zu und schien mir zu glauben, aber als ich wollte, dass er es mir erklärte und mir sagte, was es bedeuten könne, schwieg er zuerst und meinte dann, er wisse nichts. Er gab sich nicht einmal besondere Mühe, mich überzeugend anzulügen, aber die Tatsache, dass er mir nicht sagen wollte, was er wusste, war eine Art Warnung für mich und ich fragte auch nicht weiter, obwohl der Traum nachts wiederkam und ich in meinem Kopf ständig sah, wie er sich überholte. Manchmal kam es mir vor, als erkenne ich mehr Gesicht, als seien die Farben deutlicher, aber er verflog jedes Mal wieder auf dieselbe Weise. Wahrscheinlich war es doch nur ein Traum; nichts weiter.

Ich versuchte gar nicht erst, meiner Mutter davon zu erzählen. Je länger die Tage wurden, desto öfter ritt sie wieder nach St. Johann und da mein Großvater nicht da war, hielt sie niemand auf.

Dinias und Briga begannen währenddessen, wilde Pferde zähmen zu wollen und jagen zu gehen.

Im Gegensatz zu den beiden oder gar mir hatte Dian weniger Freiheiten. Morgens musste sie bei ihrer Stiefmutter und ihren Damen in der Halle sitzen und spinnen, nachmittags durfte sie den Palast nicht ohne angemessene Begleitung (ihre Amme und zwei Soldaten) verlassen. Einmal blieb auch, aber noch bevor die Sonne im Zenit stand, scheuchte mich Moravik aus der Halle, mit der Erklärung, ich sei zu alt, um wie ein Kind im Sommer dort zu spielen.
 

Oft stellen Kinder über jene Dinge, die ihnen am wichtigsten sind, keine Fragen. Instinktiv scheinen sie zu wissen, dass hier etwas ist, das ihr Begriffsvermögen noch übersteigt. Doch insgeheim nähren sie ihre Phantasie, bis jenes Unfassbare alle Grenzen sprengt und wie Zauber oder auch ein Nachtmahr über ihrer Seele liegt.

So war es bei mir mit der Kristallhöhle. Nie hatte ich zu Galapas von meinem ersten Erlebnis dort gesprochen. Ja, fast verschwieg ich mir selbst, was dann und wann in Licht und Feuer vor mir auftauchte. Träume, beschwichtigte ich mich: Erinnerungen jenseits aller Erinnerungen, ein eigentümliches Spiel der Phantasie - wie jene Stimme, die mir Gorlans Namen verraten hatte oder jener Blick, dem das Gift in der Aprikose nicht verborgen geblieben war, und auch jene Erscheinung in der Kapelle während der Ostermesse.

An einem frostklirrenden Wintertag ritt ich wieder einmal den gewohnten Weg. Vor dem Maul meines Ponys wölbte sich die Atemluft wie Drachenhauch. Das Tier, kleiner, walisischer Grauschimmel, den ich stolz Raven nannte, trottete rasch dahin und verfiel schließlich in Trab. Er gehörte zu jener Rasse von Gebirgsponys, die wild in den Hügeln leben und sich manchmal mit Pferden römischer Herkunft kreuzen. Sie sind zäh und schnell und sehr schön mit ihrem schmalen Kopf, den kleinen Ohren und dem kräftig gebogenen Hals. Raven war von meinem Vetter Dinias gefangen und gezähmt worden. Nach anderthalb Jahren schonungslosen Reitens hatte Dinias dann genug gehabt und wollte lieber einen richtigen Hengst. Unter mir benahm sich Raven zuerst recht störrisch, aber bald verlor sich seine Furcht vor mir und nach dem harten, ruckenden Zuckeltrab, den ich von meinem früheren Pony gewohnt war, schien seine Gangart geradezu seidenweich.

Inzwischen hatte ich hier im Tal auch einen Unterschlupf für mein Tier gefunden. Am Felsen unterhalb der Höhle wuchs ein Weichdorndickicht, in dessen Mitte Galapas Steine aufgeschichtet hatte. Die Rückwand bildete der Fels selbst. Äste und Adlerfarn formten ein dichtes Dach, und dieser kleine Stall bot dem Tier, zumal im Winter, eine warme Zuflucht, auch blieb es fremden Augen verborgen.

Ich führte Raven in den Verschlag, nahm ihm Sattel und Zaumzeug ab und warf ihm das Futter aus der Satteltasche vor. Dann zog ich einen kräftigen Ast vor den Eingang und klomm rasch den Weg zur Höhle empor.

Galapas war nirgends zu sehen, konnte jedoch noch nicht lange fort sein, denn in dem offenen Metallofen, der innen beim Eingang stand, lag noch Glut. Ich schürte sie, bis die Flammen emporzüngelten, und ließ mich dann ganz in der Nähe mit einer Schriftrolle nieder. Eine Verabredung hatte ich mit Galapas für heute nicht getroffen, aber da mir viel Zeit blieb ließ ich die Fledermäuse in Frieden und las eine Weile still für mich.

Im Laufe der Zeit war ich schon oft allein in der Höhle gewesen, so konnte ich nicht sagen, warum mich gerade an diesem Tag Neugierde trieb. Jedenfalls legte ich die Schriftrolle beiseite, ging an dem verdeckten Spiegel vorbei und spähte hinauf zu dem Felsspalt, durch den ich bei meinem ersten Besuch in Galapas' Höhle geflüchtet war. Ob sie wirklich so aussah, wie ich sie in Erinnerung hatte? Ob die Kristalle und die in ihnen funkelnden Bilder (der Drache und das Mädchen) wohl nichts waren als Ausgeburten meiner erregten Phantasie? Irgendetwas Unnennbares, Neugier und doch mehr als Neugier, trieb mich jetzt. Rasch kletterte ich auf den Felsabsatz und spähte, mich auf Hände und Knie niederlassend, durch den Spalt.

Die innere Höhle war tot und kalt. Nicht der geringste Schimmer vom gezüngelten Feuer fing sich darin. Vorsichtig kroch ich vorwärts, bis meine Hände auf die scharfen Kristalle trafen. Ja, es gab sie. Sie waren nur allzu wirklich. Mit wachsamen Augen und Ohren gegen Galapas' überraschende Rückkunft gewappnet, glitt ich rasch wieder hinaus, griff nach meinem Umhang, den ich neben dem Feuer abgelegt hatte und kletterte und kroch eilends durch den Spalt in die innere Höhle zurück, wo ich den Umhang ausbreitete.

Und so ließ es sich hier verharren. Still lag ich und lauschte auf das vollständige Schweigen ringsum. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Mattes graues Glimmern kam von den Kristallen, doch von jenem zauberischen Licht, dass damals geglüht hatte, fand sich keine Spur.

Plötzlich spürte ich einen leichten Hauch kalter, bewegter Luft, die selbst bis zu mir in dieses Verlies drang. Und dann hörte ich Schritte, die sich über eisiges Felsgestein näherten...

Als Galapas wenige Minuten später in die Höhle trat, saß ich beim Feuer, in der Hand mein Lehrbuch, der Umhang lag neben mir ausgebreitet.

Erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit legten wir unsere Bücher beiseite. Doch immer noch machte ich keine Anstalten zu gehen. Das Feuer loderte jetzt. Wärme und flackerndes Licht erfüllten die Höhle. Eine Zeit lang saßen wir schweigend.

"Galapas, ich möchte dich etwas fragen."

"Ja?"

"Erinnerst du dich an den Tag, an dem ich das erste Mal herkam?"

"Sehr deutlich."

"Du wusstest, dass ich kam. Du hattest mich erwartet?"

"Habe ich das gesagt?"

"Ja, das hast du, und du weißt es auch. Aber wie konntest du nur

von mir wissen?"

"Ich sah dich ja in der Kristallhöhle."

"Oh, gewiss. Du hattest den Spiegel so gedreht, dass das Kerzenlicht auf mich traf, und du sahst meinen Schatten. Aber das meine ich nicht. Woher wusstest du, dass ich an jenem Tag das Tal heraufkam?"

"Eben diese Frage habe ich dir beantwortet, Myrlin Llaw. Ich wusste es, weil ich dich, ehe du zur Höhle kamst, im Spiegel sah."

Wir sahen einander schweigend an. Zischelnd flackerten die Flammen zwischen uns. Ich nickte stumm. Es war ein Geheimnis, dass ich längst schon geahnt hatte. Nach einer Weile sagte ich: "In der Kirche, da habe ich den Spiegel nicht gehört, um sehen zu müssen. Aber es war ein anderes Gefühl... Wirst du's mir zeigen?" Er musterte mich einen Augenblick und erhob sich dann: "Es wäre wohl schon vor einer Weile an der Zeit gewesen Komm mit!"

Ich gehorchte. Galapas zündete eine Talgfalke an; das Licht erhellte den hinteren Teil der Höhle.

"Enthülle den Spiegel."

Ich zog am darüber gebreiteten Tuch. Wolligweich fiel es mir in die Arme und ich legte es auf Galapas' alte Truhe an der Wand.

"Jetzt klettere auf den Felsabsatz und lege dich hin."

"Auf den Felsabsatz?"

"Ja. Leg dich auf den Bauch mit dem Kopf zum Spalt, so dass du hineinsehen kannst."

"In die Kristallhöhle selber soll ich nicht?"

"Nimm deinen Umhang, damit du nicht auf dem kalten Stein verharren musst."

Halb schon auf dem Fels drehte ich mich um und sah, dass er lächelte.

"Du weißt also bescheid, Galapas?"

"Ja, ich weiß, dass du vorhin in der Kristallhöhle warst. Aber eines Tages werde ich dir selbst mit dem Blick nicht mehr folgen können. Ein größerer Geist als der meine wird dich dann leiten müssen. Jetzt lege dich hin und beobachte still."

Ich streckte mich auf dem flachen, breiten Felsstück aus, Kopf auf den gebeugten Arm gestützt, Blick auf den Spalt gerichtet.

Galapas sagte leise: "Schalte deine Gedanken aus. Ich halte die Zügel in der Hand. Noch ist dies nicht für dich. Beschränke dich aufs Schauen."

Ich hörte, wie er zur Wand ging: Er trat zum Spiegel.
 

Die innere Höhle war größer, als ich angenommen hatte. Sie streckte sich so weit empor, dass mein Blick der Windung nicht mehr folgen konnte. Der Boden wirkte glatt, wie flachgeschliffen durch langen Gebrauch. Und selbst mit den Kristallen hatte ich mich getäuscht. Das Glimmern, das den Schein der Fackeln widerspiegelte, kam von Wasserlachen auf dem Boden und von einer feuchten Quelle an der Wand, über die ein riesiger Quell zu rieseln schien.

Die Fackeln: In Felsrisse waren sie gezwängt, billiges Zeug, minderwertiger Plunder, der trübe in stickiger Luft brannte. Und obwohl es eisig kalt war, arbeiteten dunkle, große Männer bis auf einen schmalen Lederschurz, mit nackten Leibern. Schweiß strömte ihnen über Schultern und Rücken, während sie auf den Felsen loshackten, stetes, unablässiges Pochen, das nicht den leisesten Laut hervorrief. Muskeln spannten und ballten sich. Auf dem Boden, mit dem Rücken lang in die Wasserlachen gestreckt, lagen zwei Männer, die mit kurzen, kräftigen Hieben nach oben auf den tief überhängenden Fels einhämmerten. Auf dem Handgelenk des einen sah ich die schweißglänzende Narbe eines Brandmals.

Von hartem Husten geschüttelt, krümmte sich einer der Arbeiter zusammen und raffte sich, einen scheuen Blick über die Schulter werfend, sofort wieder hoch. Heller wurde es in der Höhle. Von einer quadratischen Öffnung, hinter der ein gewundener Tunnel aufschimmerte, näherte sich Fackellicht.

Schmutzverkrustet und halbnackt erschienen vier Knaben, die große Körbe trugen. Hinter ihnen kam ein Mann in braunem, feucht verflecktem Gewand. Er war es, der die Fackel trug. In der anderen Hand hielt er eine Schreibtafel, auf die er mit gerunzelten Brauen starrte, während die Knaben mit ihren Körben zu der Felswand liefen und abgehauenes Geröll hineinfüllten. Der Mann, Vorarbeiter offenbar, trat zu ihnen und betrachtete die Felswand mit hocherhobener Fackel. Dankbar für die kurze Atempause bildeten die Arbeiter einen Kreis um ihn. Einer der Männer sprach. Er deutete auf die behauene Wand und dann auf jene Stelle am anderen Ende der Höhle, von der unablässig Wasser rieselte.

Die Knaben schleppten ihre gefüllten Körbe fort. Der Mann im braunen Gewand zog achselzuckend eine Silbermünze hervor und schleuderte sie mit geübter Bewegung in die Luft. Die Arbeiter reckten die Hälse. Und fügsam nahm der Mann, der mit dem Vorarbeiter gesprochen hatte, wieder seine Hacke in die Hand und schwang sie gegen den Fels. Unter seinen Hieben öffnete sich ein Spalt und klaffte auf, weiter und weiter. Wirbelnd stürzte Erde hinein und das Licht erlosch. Und nach dem herabrasselnden Staub kam das Wasser.
 

"Hier, trink das," sagte Galapas, "Ein Gebräu von mir. Wird dir gut tun. Trink nur."

"Danke Galapas. Die Höhle ist ja wirklich aus Kristall. Im - im Traum sah ich sie eben ganz anders."

"Denk jetzt nicht daran. Wie fühlst du dich?"

"Eigenartig. Ich kann's nicht erklären. Bis auf die Kopfschmerzen fehlt mir nichts, aber ich fühle mich ausgesogen. Wie ein leeres Schneckengehäuse. Oder nein. Wie ein Schilfrohr ohne Mark. Aber mir ist nicht so schlecht, wie nach dem Traum in der Kirche."

"Ein Spielzeug der Winde. Ja. Komm jetzt ans Feuer."

Als ich wieder auf meinem Platz saß, einen Becher heißen Wein in der Hand, fragte er: "Wo warst du?"

Ich berichtete ihm, was ich gesehen hatte, aber als ich ihn dann um eine Erklärung dafür bat, schüttelte er den Kopf. "Ich fürchte, dass ich dir damit nicht dienen kann. Ich weiß selbst nicht, was es zu bedeuten hat. Aber du musst jetzt aufbrechen. Du hast wahrscheinlich keine Ahnung, wie lange du dort gelegen und geträumt hast. Der Mond steht bereits am Himmel."

Ich erhob mich. "Schon? Dann wird man im Palast wohl nach mir suchen. Sicher ist das Abendessen schon vorbei."

"Noch sucht niemand nach dir. Denn inzwischen ist einiges geschehen, wie du selbst herausfinden wirst. Sorge dafür, dass du nichts versäumst."

"Wie meinst du das?"

"So, wie ich's sage. Setze alles daran, den König zu begleiten. Hier, nimm deinen Umhang." Er warf ihn mir zu.

"Der König verlässt Maridunum wieder? Er ist doch gerade erst zurückgekommen!"

"Ja, doch er gehr nur für eine Weile. Wann er zurückkehren wird weiß ich allerdings nicht."

"Er wird niemals bereit sein, mich mitzunehmen."

"Nun, das ist deine Sache. Deine Geister, Myrlin Llaw, werden dich nur begleiten, wenn du ihren Weg wählst und was du suchst wirst du erst wissen, wenn du's am richtigen Ort gefunden hast. Und dazu gehört Mut. Wickle dich in deinen Umhang ein, ehe du gehst. Draußen ist es kalt."

"Mut," murmelte ich. Davon hatte ich, bei den Göttern, nicht sehr viel. Trotzdem gehorchte ich. "Galapas, während ich mir bei meinem Traum von Sklaven in einem dummen Bergwerk Kopfschmerzen geholt habe, hast du gesehen, was wirklich geschieht. Wann bringst du mir endlich bei, zu sehen, was du siehst?"

"Nun, deine erste Probe kannst du gerne haben. Wenn du dich mit deinem Pony nicht beeilst, sehe ich, dass dich die Wölfe fressen."

Er lachte wie über einen gutgelungenen Scherz. Ich lief rasch aus der Höhle, um Raven zu satteln.
 

Die Sichel des Mondes warf nur ein fahles Licht über den Pfad. Ungeduldig tänzelte Raven und strebte mit gespitzten Ohren heimwärts, so dass ich Mühe hatte, das Tier im Zaum zu halten, denn der Weg war vereist und ich hatte Angst vor einem Sturz. Doch Galapas' Warnung drang mir immer noch in den Ohren und so ließ ich mein Pony geschwinder traben, als eigentlich ratsam war - bis wir dann bei der Mühle auf den Treidelpfad gelangten.

Doch endlich hatte ich freie Sicht und trieb Raven zu vollem Galopp an. Als wir uns der Stadt näherten sah ich, dass irgendetwas im Gange war. Hinter der Stadtmauer, mit ihren längst geschlossenen Toren, flammte überall Licht. Fackeln loderten, Stimmen und Schritte hallten. Vor dem Tor, das zu den Stallungen führte, glitt ich aus dem Sattel. Doch wenn ich erwartet hatte, mich ausgesperrt zu finden, so fand ich mich angenehm getäuscht. Denn kaum stand ich, als schon das Tor aufschwang und Cynric, eine abgedunkelte Laterne in der Hand, mich hineinwinkte.

"Ich habe dich kommen hören. Den ganzen Abend liege ich schon auf der Lauer. Wo hast du bloß gesteckt, du wildes Wechselbalg. Hast heute wohl ganzen besonderen Schabernack ausgeheckt, was?"

"Oh, natürlich. Hat schon jemand nach mir gefragt? Hat man mich schon vermisst?"

"Nicht, dass ich wüsste. Die haben heute etwas anderes im Kopf als dich. Gib mir den Zügel, damit ich Raven erst einmal in der Scheune unterstelle. Im großen Hof herrscht mir jetzt zu viel Treiben."

"Wieso, was ist denn los? Der Lärm ist ja meilenweit zu hören... Ist ein Krieg ausgebrochen?"

"Nein, aber dazu kann er durchaus noch kommen. Heute Nachmittag traf die Botschaft ein, dass der Großkönig sich auf dem Weg nach Segontium befindet, wo er ein oder zwei Wochen lagern wird. Morgen wird dein Großvater zu ihm reiten. Und daher ist hier alles in heller Aufregung."

"So ist das also." Ich folgte ihm in die Scheune, wo er das Pony absattelte, während ich aus einem Haufen einen Strohwisch zog, damit er das Tier abreiben konnte. "König Vortigern in Segontium? Wozu?"

"Um Köpfe zu zählen, heißt es." Er lachte heiser auf und begann das Pony mit Stroh zu bearbeiten.

"Dann spricht man also von Krieg?"

"Von Krieg spricht man, seit Mordred in der Bretagne sitzt. Die Jahre kann man an dir abzählen, Myrlin-bach. Mordred soll jetzt auch noch Truppen von der Kaiserin in Byzanz im Rücken haben. Abertausende Krieger aus Ostrom heißt es... Es gibt Dinge, über dir man besser nicht spricht."

Ich nickte. Auch wenn niemals laut davon gesprochen wurde, wusste doch jeder, wie der Hohe König auf den Thron gelangt war: Während König Arthus mit seinem Sohn Mordred Krieg führte und die Tafelrunde immer machtloser wurde, sammelte Vortigern Gefährten, allen voran die barbarischen Sachsen, um sich und griff schließlich in den Krieg ein. Zwar vertrugen sich Vater und Sohn wieder, um den verräterischen Vortigern in seine Schranken zu weisen, doch dieser tötete Arthus, und Mordred und der klägliche Rest treuer Ritter mussten fliehen. Seit dem flammte Jahr für Jahr erneut das Gerücht auf, er und seine Gefährten säßen in Benwick, und der edle Lancelot, der einst der treueste und tapferste Ritter Arthus' war, bewaffne sie; dass Mordred nach Athen gegangen sei; dass er Mietling des Ostkaisers sei oder sein Freund Percival den Gral gefunden habe; dass er mit einer viertausend Mann starken Streitmacht die britische Insel erobern und brandschatzen würde, oder dass er friedlich wie ein Erzengel käme, um die Angelsachsen ohne einen Schwertstreich von den Ostküsten zu vertreiben.

Doch über fünf Jahre waren nun inzwischen vergangen und nichts war geschehen. Alles Gerede vom Kommen des neuen Pendragon glich jetzt eher einer Legende - so, wie man etwa vom zweiten Erscheinen Jesu Christi sprach, obschon meine Mutter, als mich diesen Vergleich wiedergab, vor Zorn außer sich geriet.

"Oh ja", sagte ich, "Mordred kommt wohl wieder einmal, nicht wahr? Aber im Ernst, Cynric: Was will der Großkönig in Nordwales."

"Das habe ich doch gesagt. Um vor dem Frühjahr seine Verbündeten zusammen zu trommeln, er und seine angelsächsische Königin", sagte Cynric und spuckte aus.

"Warum tust du das? Du bist doch selbst ein Angelsachse."

"Das ist lange her. Jetzt lebe ich hier. Schließlich war es doch dieses flachsköpfige Luder, dass Vortigern zu seinem Verrat angestiftet hat. Aber wie dem auch sei. Du weißt do gut wie ich, dass die Nordmänner wie die Heidefeuer über das Land schwärmen, seit sie im Bett des Hohen Königs liegt. Wenn sie so ist, wie man sagt, dann wird keiner seiner erstgeborenen Söhne lange genug am Leben bleiben, um nach ihm den Thron zu besteigen." Leise sprechend warf er bei seinen letzten Worten einen verstohlenen Blick über die Schulter. Dann spuckte er wieder aus und machte das Zeichen. "Nun, all dies weißt du ja - oder solltest du wissen. Aber wenn man natürlich seine ganze Zeit in den Wäldern oder bei den Geistern der Hohen Hügel verbringt..."

"In den Hohen Hügeln?"

"Ja, so sagt man allgemein. Aber mich interessiert das nicht. Nur eines lass dir gesagt sein, du wildes Kind: jeder Vater würde die das ausprügeln - sogar ich." Er lachte. "Herum mit dir!", befahl er dem Pony und begann, es auf der anderen Seite mit Stroh trocken zu reiben, "Es heißt, dass die Angelsachsen wieder im Norden von Rutupiae gelandet sind, und diesmal sind ihre Forderungen selbst für Vortigern zu hoch. Im kommenden Frühjahr wird ihm nichts übrig bleiben, als zu kämpfen."

"Und mein Großvater an seiner Seite?"

"Darauf hofft er natürlich. Lauf jetzt, wenn du noch etwas zu essen möchtest. Niemand wird dich bemerken. Als ich vor einer Stunde was wollte, war in der Küche der Teufel los."

"Wo ist mein Großvater?"

"Keine Ahnung", er blickte mich schräg über den Pferderumpf hinweg an, "Warum möchtest du das denn wissen?"

"Weil ich mir ihm ziehen will."

"Hah!", machte er und warf dem Pony ein paar Häcksel hin. Es klang nicht gerade ermutigend.

"Was ist denn dabei, wenn ich mit nach Segontium möchte?"

"Gar nichts, möchte ja selber mal gerne dort hin. Aber wenn du mit dem Gedanken spielst, den König darum zu bitten, dass er dich...", er brach ab und fuhr dann fort: "Natürlich ist es langsam an der Zeit, dass du aus den Wänden hier hervorkriechst und dich ein wenig im Lande umschaust. Und vor allem, dass du das nicht ganz alleine machst und andauernd ausreißt. Bloß wie? Da liegt der Hase im Pfeffer. Den König würde ich an deiner Stelle lieber nicht fragen."

"Warum denn nicht? Er kann ja nicht mehr tun, als es mir abschlagen."

"Beim Jupiter, was für ein kleiner Grünschnabel. Nicht mehr tun...? Wenn ich dir einen Rat geben darf, dann lass die Finger davon. Und versuch's auch nicht bei Calmach. Zwischen ihm und seiner Frau hat's gerade gekracht - das ist mit ihm nicht gut Kirschen essen. Außerdem meinst du das ja auch nicht im Ernst."

"Ich werde nur Antworten finden, wenn ich am richtigen Ort suche."

"Schon recht. Aber manchmal sollte man sich überlegen, ob man diese Antworten auch wirklich will. Möchtest du ein christliches Begräbnis?"

"Mal sehen... ich bin noch nicht getauft, ich kann's mir noch aussuchen."

Er lachte. "Du scheinst ja zu allem entschlossen. Na gut. Aber stärk dich erst, bevor du zum König gehst."

"Das will ich tun", sagte ich und ging, um etwas zu essen aufzutreiben. Später schlüpfte ich in meine beste Tunika und machte mich auf die Suche nach meinem Großvater...
 

Ich fand ihn in seinem Schlafgemach, wohlig auf seinem Stuhl ausgestreckt, vor einem prasselnden Holzfeuer, seine beiden Jagdhunde lagen zu seinen Füßen. Zu meiner Erleichterung war Calmach nicht bei ihm. Aber auf einem zweiten Stuhl sah ich eine Frau, Olwen, wie ich zuerst glaubte. Doch dann sah ich, dass es meiner Mutter war. Überrascht lächelte sie mich an. Einer der Wolfshunde pochte mit dem Schwanz auf den Boden, der andere öffnete glotzend ein Auge und schloss es wieder. Mein Großvater musterte mich mit zusammengezogenen Brauen, sagte jedoch freundlich: "Komm doch schon herein. Es zieht ja erbärmlich. Mach die Tür zu."

Ich gehorchte und trat näher ans Feuer. "Darf ich Euch sprechen, Sir?"

"Nun, was möchtest du denn? Hol dir einen Schemel und setz' dich." Ich rückte den Schemel, der bei meiner Mutter stand zwischen die beiden Stühle und nahm Platz.

"Nun, ich habe lange nichts mehr von dir gesehen. (Er meinte damit, ich hatte mir lange keine Dummheiten mehr erlaubt) Studierst du immer noch fleißig?"

"Ja, Sir." Und da es heißt, dass Angriff die beste Verteidigung ist, kam ich ohne Umschweife zur Sache: "Ich ritt heute Nachmittag aus, und..."

"Wohin?"

"Den Fluss entlang, ohne besonderes Ziel, nur um mich im Sattel zu üben."

"Was ja auch nichts schaden kann."

"Ja, Sir. Aber dadurch habe ich erst später erfahren, dass ein Bote hier war. Es heißt, dass Ihr Maridunum morgen wieder verlasst, Sir?"

"Weshalb fragst du?"

"Weil ich mit Euch reiten möchte."

"Ja, höre ich recht? Warum denn auf einmal?"

Ein wahrer Wirbel von Antworten schoss mir durch den Kopf, aber welche war die richtige? Aus dem Augenwinkel gewahrte ich, dass meine Mutter mich mitleidig beobachtete. Mein Großvater wirkte gleichermaßen ungehalten, wie belustigt. Ich entschloss mich, die Wahrheit zu sagen: "Weil ich noch nie von Maridunum weg war und gerne mehr von Britannien sehen möchte."

"Weißt du denn auch, dass es nach Segontium geht? Das ist kein fröhliches Jagdtreiben, sondern ein langer und harter Ritt, bei dem schlechte Reiter nichts zu suchen haben."

Nur mit Mühe hielt ich dem durchdringenden Funkeln seiner Augen stand. "Ich habe viel geübt Sir. Und ich habe jetzt auch ein besseres Pony."

"Ja, Dinias' abgelegter Schinder. Ha! Das zeigt doch, wie du einzuschätzen bist. Nein, ich nehme keine Kinder mit!"

"Dann bleiben also auch Dinias und Briga hier?" Meine Mutter schien zusammen zu zucken. Der Kopf meines Großvaters fuhr zu mir herüber, seine Faust ballte sich um die Armlehne des Sessels doch er schlug nicht zu. "Dinias kann ich dort gebrauchen."

"Und Briga? Darf sie Euch begleiten?"

Atemlos begann meine Mutter auf mich einzureden, doch eine Handbewegung meines Großvaters brachte sie zum Schweigen. Er musterte mich mit wachem, aufmerksamem Blick. "Briga ist mir als Braut von großem Nutzen, und der Gemahl auch, den ich für sie dort finden werde. Und du?"

Ich sah ihn an. Einen Trumpf hatte ich noch und den musste ich nun ausspielen.

"Bis jetzt war ich Euch wohl nie sehr nützlich, Sir", begann ich langsam, "Aber hat man Euch nicht gesagt, dass ich Angelsächsisch genau so spreche wie Walisisch, und dass ich Griechisch lesen kann und dass mein Latein besser ist, als das Eure?"

"Myrlin...", hob meine Mutter an, doch ich achtete nicht auf sie. "Ich hätte auch noch Bretonisch und Cornisch hinzufügen können, doch dafür werdet Ihr in Segontium wohl kaum Verwendung haben."

"Nun", sagte mein Großvater sarkastisch, "dann nenne mir doch einmal einen Grund, warum ich mich mit König Vortigern in einer anderen Sprache als Walisisch unterhalten soll? Schließlich kommt er doch aus Guent."

Aber der Klang seiner Stimme verriet mir, dass ich gewonnen hatte. Ich senkte den Blick vor den erbarmungslosen blauen Augen und fühle mich wie nach einer siegreichen Schlacht. Dann holte ich tief Luft und sagte sehr ergeben, sehr bescheiden: "Ich wüsste keinen, Sir." Er lachte schallend auf und stieß mit dem Fuß spielerisch gegen einen der beiden Jagdhunde zu seinen Füßen.

"Nun, vielleicht rollt trotz deines Aussehen noch etwas von unserem Blut in deinen Adern. Immerhin hast du den Mut, dem alten Löwen sogar in seiner Höhle die Stirn zu bieten. Also gut, du darfst mitkommen. Wer ist dein Knecht?"

"Cynric."

"Der Angelsachse? Befiehl ihm, alles zum Abritt vorzubereiten. Wir brechen beim ersten Morgengrauen aus. Nun, worauf wartest du noch?"

"Ich möchte meiner Mutter nur gute Nacht sagen." Rasch erhob ich mich von meinem Schemel und trat zu ihr. Als ich sie küsste, schaute sie überrascht auf. Es geschah selten genug.

Hinter mir sagte mein Großvater schroff: "Du ziehst nicht in den Krieg. In drei Wochen bist du wieder zurück. Und nun mach, dass du fort kommst."

"Ja, Sir, Vielen Dank. Und gute Nacht."

Draußen stand ich, gegen die Wand gelehnt, fast eine volle Minute, wahrend mein wild hämmerndes Herz sich allmählich beruhigte und der Knoten von Übelkeit nach und nach aus meiner Kehle wich. Ich werde nur Antworten finden, wenn ich am richtigen Ort suche... und dazu gehören Mut und Verstand. Ich schluckte hart, wischte mir den Schweiß von den Händen und lief davon, um Cynric zu suchen.
 

Und so verließ ich Maridunum zum ersten Mal. Ein einzigartiges Abenteuer, wie mir damals schien: Inmitten der Schar, die Calmach und dem König folgte hinauszureiten in frostiger Frühe, während die Sterne noch am Himmel blinkten. Ein eigentümlich schweigsamer Zug von Männern und Frauen, die noch halb im Schlaf schienen, während in eisiger Luft der Atem vor ihrem Munde wölkte und die Hufe der Pferde auf den steinigen Straßen Funken schlugen. Kalt klang selbst das Klirren des Zaumzeugs, und ich war so durchgefroren, dass ich kaum die Zügel in meinen Händen fühlte. Erregt tänzelte mein Pony, und ich glaubte, das einzige, was mich im Sattel hielt, war die Angst, in Schmach und Schande zurückgeschickt zu werden.

Mein Großvater hatte offensichtlich keine Verwendung für mich, und so blieb ich wieder einmal mir selbst überlassen, inmitten der großen Schar von Kindern und Bediensteten. Einzelgänger, der ich war, hatte ich unter Gleichaltrigen keine Freunde. Gelegentlich mischte ich mich unter die Menge, welche die beiden Könige umdrängte. Später sollte ich dankbar dafür sein, dass sich weder Calmach noch mein Großvater an meine Existenz erinnerten und ich Vortigern somit nie vorgestellt wurde.

Segontium, von den Walisern Caer-yn-ar-Von genannt, weil es gegenüber der Meerenge von Mona, der Druideninsel, liegt, erstreckt sich ähnlich wie Maridunum um die Mündung eines Flusses, des Seint Rivers. Eine halbe Meile entfernt lag eine alte Römerfestung, die Vortigern wieder instand gesetzt hatte.

Unterhalb dieser Festung befand sich eine zweite Wehr. Diese hatte, soweit ich weiß, Macsen, der Großvater des Ermordeten Constantinus erbaut. Jenem Constantinus war damals ein sächsischer Wolf namens Uriens auf den Thron gefolgt, nachdem er den rechtmäßigen Erben, Constantinus' Bruder Ambrosius, vertrieben hatte. Jedoch hatten die wilden irischen Stämme aus Eriu Britannien danach so schlimm heimgesucht, dass Vortigern der Sachse und Ambrosius Aurelius sich damals verbündeten. Ambrosius überlebte Vortigern und behauptet sich gegen dessen Söhne und bestieg letztlich den Thron des Großkönigs von Britannien. Als er starb wurde der Feldherr der Stämme, der Pendragon, Ambrosius' Neffe, Uther zum Großkönig. Was danach geschah, die Geburt des großen König Arthus von Camelot und die Geschichte der Ritter der Tafelrunde wurde Legende. Doch die Legende endete mit der Schlacht bei Salsbury, als Arthus ermordet wurde. Und schließlich gewann Vortigern mit dem Blutbad bei Ynis Witrin den Herrscherthron.

Die Landschaft war in Segontium großartiger als in Südwales, doch in meinen Augen wirkte sie eher abstoßend denn schön. Möglich, dass sie sich im Sommer in sanftes Grün kleidete, doch als ich sie in jenem Winter zum ersten Mal sah, stiegen hinter der Stadt die Hügel wie Sturmwolken hervor mit schieferblauen, schneebedeckten Kämmen und grau gesäumten Rändern aus kahlem und winddurchtostem Gehölz. Und hinter ihnen und über sie hinweg ragte der riesige umwölkte Gipfel des Moel-y Wyddfa, den die Angelsachsen jetzt den Schneeberg nennen, die höchste Erhebung ganz Britanniens und die Heimstatt der Götter. Vortigern residierte in Macsens Turm, während sein Heer (und in jenen Tagen hatte er stets um die tausend Krieger bei sich) oben in der Festung untergebracht waren. Die edlen meines Großvaters befanden sich beim König im Turm. Der Tross, zu dem ich gehörte, fand ein gutes, wenn auch etwas kaltes Quartier beim Westtor der Festung. Über mangelnde Rücksichtnahme konnten wir uns nicht beklagen. Vortigern, mit meinem Großvater entfernt verwandt, schien tatsächlich darauf aus ,Verbündete zusammenzutrommeln'.

Er war ein großer Mann mit breitem, fleischigem Gesicht und dichtem, borstigem Schwarzhaar, in dem sich erste graue Strähnen zeigten. Und schwarze Härchen wuchsen ihm auch auf den Händen und aus den Nasenlöchern. Seine Königin hatte er wohlweißlich nicht bei sich - aus wohlerwogenen Gründen, wie Cynric meinte, Angelsachsen seien hier nicht willkommen.

Die Tage verliefen recht gleichförmig. Meistens jagten die Könige mit ihrem Gefolge bis zum Sonnenuntergang und kehrten dann zu zur Festung zurück. Nichts geschah, ich hörte nichts, was mir in irgendeiner Form auch nur das geringste gebracht hätte. Später begannen die Könige und ihre Ratgeber dann ihre Unterredung, während die Trosse sich mit Würfelspiel die Zeit vertrieben. Dann kam der Tag, an dem wir wieder zur Heimkehr rüsteten, und der Hohe König begleitete uns ein Stück des Weges mit einer hundertköpfigen Schar.

Als die Sonne ihren Gipfelpunkt erreicht hatte, kamen wir zu der Stelle, wo der Großkönig von uns scheiden sollte. Hier trafen sich zwei Flüsse und die Schlucht öffnete sich zu einem weiten Tal, das von hohen, schneeüberkrusteten Felswänden flankiert wurde. Der große Fluss schleppte hochgeschwollene, braune Fluten von geschmolzenem Schnee in Richtung Süden. Dort, wo die beiden Wasserläufe sich vereinigten liegt eine Furt und auf der anderen Seite führt eine gute Straße nach Tomen- y- Mur.

Nördlich von dieser Furt hielten wir und unsere Anführer strebten auf eine geschützte Mulde zu, die von drei Seiten von dich bewaldeten Hängen umschlossen war. Hier blieben wir um zu essen und zu rasten. Die Könige, ihre Edlen nicht weit von sich, saßen ein Stück abseits. Und so überließ ich es Cynric, ein Auge auf Raven zu haben und kletterte ich zwischen den Bäumen, außer Sichtweite der anderen, zu einer Senke, wo ich ganz allein für mich sitzen konnte. Einen sonnenwarmen Felsbrocken im Rücken, hörte ich von der anderen Seite her gedämpfte Männerstimmen und gelegentliches Lachen, das klirrende Geschirr der grasenden Pferde, das rhythmische Schweigen und Murmeln der Krieger, die sich mit Würfelspielen die Zeit vertrieben, während ihre Könige voneinander Abschied nahmen. Über mir kreiste ein Falke durch die kalte Luft, und bronzefarben schimmerte die Sonne von seinen Schwingen wider.

Ich dachte an Galapas und das Funkeln seines bronzenen Spiegels. Und abermals tauchte die Frage in mir auf: Warum hatte er darauf bestanden, dass ich mit meinem Großvater nach Segontium zog?

Plötzlich hörte ich dicht hinter mit Vortigerns Stimme: "Hier entlang. Und sagt mir doch, was Ihr denkt."

Verdutzt fuhr ich herum und sah nur den Fels und begriff, dass Vortigern und der Mann, mit dem er sprach, sich auf der anderen Seite befanden.

"Fünf Meilen, heißt es, in jede Richtung..." Die Stimme des Hohen Königs klang jetzt leiser. Er schien sich zu entfernen. Ich hörte Schritte auf vereistem Untergrund: raschelndes Laub und das Knirschen benagelter Stiefel auf Stein. Rasch erhob ich mich und spähte vorsichtig über den Fels. Ins Gespräch vertieft schritten Vortigern und mein Großvater langsam durch den Wald davon. Unwillkürlich zögerte ich. Was konnten sie einander noch Wichtiges zu sagen haben, nachdem in der Abgeschlossenheit von Macsens Turm zu vertraulicher Aussprache ausgiebig Gelegenheit gewesen war? Dass Galapas mich geschickt hatte, um die beiden jetzt zu belauschen, konnte ich mir nicht recht vorstellen. Warum aber sonst? Oder hatte mich etwas ganz anderes hier her geschickt?

Widerstrebend entschloss ich mich, ihnen zu folgen. Doch schon beim ersten Schritt packte mich eine harte Hand. "Wo, zum Teufel, willst du hin?", zischte Cynric zu mir. Ich schüttelte ihn von mir ab.

"Verdammt Cynric, du hast mich zu Tode erschreckt. Was geht es dich an, wo ich hinwill?"

"Ich habe auf dich auszupassen."

"Niemand hat mehr auf mich aufzupassen. Oder hat dir jemand den Auftrag dazu gegeben?", ich sah ihn scharf an, "Bist du mir schon früher gefolgt?"

Er lächelte."Die Mühe hab ich mir nie gemacht. Oder hätt' ich's etwa tun sollen?"

Ich ließ nicht nach. "Hat dir jemand den Auftrag gegeben, mich heute zu beobachten?"

"Nein. Aber hast du nicht gesehen, wer hier gerade entlang gegangen ist? Vortigern und dein Großvater! Und falls du dich Absicht haben solltest, ihnen ein wenig nachzuspionieren, so überleg dir das lieber noch einmal."

"Ich will ihnen doch nicht nachspionieren", log ich, "Ich möchte mich hier nur ein bisschen umsehen."

"Tu das lieber woanders. Sie haben ausdrücklich angeordnet, dass das Gefolge unten wartet. Und das wollte ich dir sagen, weiter nichts. Offenbar liegt ihnen viel daran, miteinander unter vier Augen zu sprechen."

Ich setzte mich wieder. "Also gut, du hast mir's gesagt. Und jetzt geh bitte. Wenn's Zeit zum Aufbruch wird, kannst du mich ja rufen."

"Ich soll gehen? Damit du ihnen nachschleichen kannst, sobald ich dir den Rücken zudrehe?"

Ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. "Hast du nicht gehört, Cynric? Du sollst mich allein lassen!"

Er sagte trotzig: "Ich kenne dich doch, Myrlin-bach. Wenn du so dreinschaust wie jetzt, dann liegt irgendetwas in der Luft. Bloß nichts Gutes. Und schon gar nicht für dich. Was hast du vor?"

"Gehorche!", sagte ich wütend.

"Kehr nicht die Königsenkelin gegen mich heraus, Myrlin-bach. Ich will dich nur vor einer Tracht Prügel bewahren. Sonst nichts."

"Ich weiß, Cynric. Tut mir leid - mir ging da etwas durch den Kopf." Genau in diesem Moment schoss ein Vogel - eine Taube - dicht an meinem Kopf vorbei, gefolgt von einem Falken Die Taube flog über das dichte Gestrüpp, der Raubvogel ihr nach. Plötzlich schlug die Taube einen Haken, schwebte nur eine Handbreit über dem scharfen Gestrüpp, doch der Falke stürzte sich auf sie und stürzte mit seiner Beute zu Boden.

"Komm, Cynric!", rief ich und lief den Vögeln nach. Cynrics Widersprüche verstand ich nicht, da ich sofort losrannte und so blieb ihm nichts anderes übrig, als mir zu folgen. Barfuss sprang ich über den Waldboden, schnitt mir die Fußsohlen an Dornen und spitzen Steinen auf, doch kümmerte mich nicht darum. Ich war es gewöhnt und das Auftauchen des Falken hatte mein Gemüt so sehr erregt, dass ich es gar nicht wahrnahm.

Den Falken und die Taube lagen dicht neben einer Felswand, die Ringeltaube in einer Blutlache, der Falke unbeweglich daneben, doch noch lebendig. Cynric ging auf die Tiere zu, während ich die Felswand mit den Augen absuchte. Da lag er, von dichtem Gestrüpp verborgen und kaum mehr erkennbar: der Eingang in die Höhle!

"Du kannst die Vögel hier lassen, Cynric. Sie liegen auch später noch hier. Mach jetzt bitte eine Fackel und komm' mir dann nach."

"Ich hoffe, du weißt, was du tust, Myrlin-bach."

Vorsichtig kletterte ich in die kleine Mulde und schlug mit Hilfe meines Dolches einen Weg durch das Gestrüpp vor dem Eingang.

Die Höhle selbst war kleiner, als ich gedacht hatte. Ein schmaler Gang nur, aber er schien in einem größeren Hohlraum zu münden. In der Dunkelheit erkannte ich nicht mehr, mit meinen nackten Füßen merkte ich, dass der Boden nicht nur feucht, sondern auch schlammig und schmierig war. Cynric folgte mir, mit einer Behelfsfackel aus altem Tuch und Waldgeäst. Ich war für mein Alter inzwischen gewachsen, konnte aber noch in dem niedrigen Gang aufrecht gehen, Cynric war nicht wesentlich größer, musste sich aber schon leicht bücken. Wir liefen schweigend weiter in die Höhle hinein, der Boden wurde feuchter und ich musste darauf achten, nicht auszurutschen. Bald schon wurde der Gang höher und breiter und schon nach einer Weile war es ein wahrer Tunnel, durch den wir schritten. Schweigend gingen wir voran, doch nach ein paar Metern im Inneren wurde unser Weg von einem Haufen Geröll und Steine blockiert.

"Hier kommen wir nicht weiter!" Cynric hielt seine Fackel höher.

"Lässt du dich davon etwa aufhalten?"

"Wenn der Schacht einstürzt..."

"Er ist all die Jahre nicht eingestürzt... Wieso dann jetzt? Wenn du gehen willst, dann geh Cynric, ich werde dich nicht zwingen, hier zu bleiben. Aber lass mir die Fackel da!"

"Nein, Myrlin-bach", war alles, was er sagte und begann, ein paar Felsbrocken aus dem Weg zu schieben.

Ich kletterte über das Geroll, wobei ich mir an spitzen Kanten und Ecken die Füße aufschnitt, und was dahinter lag war mir nur allzu bekannt.

Sie war genau so, wie ich sie in Galapas' Spiegel gesehen hatte, die Höhle. Nur brannten jetzt keine Fackeln mehr an den Wänden, kein einziger Mann arbeitete mehr. Als Cynric mit der Fackel näher trat, erkannte ich auch den Quell. Die Wände waren feucht und anders als in meiner Vision hatte sich der kleine unterirdische See schon ausgebreitet. So stand ich eine Weile da, betrachtete wortlos diesen Ort. Es war für mich der Beweis, dass ich wirklich noch diesen anderen Blick hatte, doch was es bedeutete blieb mir verborgen.

Draußen lag immer noch die Taube, um sie herum ihr Blut. Der Merlinfalke saß ein Stück weiter im Geäst, bewegungslos und betäubt. Sein Gefieder hatte er aufgeplustert, um sich warumzuhalten.

"Pass auf, Myrlin-bach, der Falke ist schon ausgewachsen. Er wird dich mit seinen Krallen verletzten."

"Ja, Cynric." Ich schob den Ärmel meiner Tunika so gut es ging über meinen Handknöchel und setzte den Falken darauf. Er war nicht schwer verletzt, soviel konnte ich dort schon feststellen. Nur die Schwanzfedern waren etwas eingeknickt.

Dann sagte Cynric etwas, das er noch nie gesagt hatte: "Komm, Myrlin Llaw."
 

Der Falke machte bei der Heimreise keine Anstalten, davonzufliegen und auch in Maridunum fand er einen Platz auf dem Baum vor meinem Fenster, nachdem ich ihn gesund gepflegt hatte. Ich rief ihn Merlinus, schließlich war er ein Merlinfalke.

Im Palast herrschte nach der Rückkehr des Königs eine seltsame Stimmung: alle spekulierten und tuschelten darüber, was mein Großvater und Vortigern besprochen hatten, als sie alleine in den Wald hinaufgelaufen waren.

Ein offenes Geheimnis war allerdings Calmachs Streit mit meinem Großvater: nachdem der älteste Sohn von Vortigern gestorben war (wahrscheinlich hatte ihn seine sächsische Stiefmutter vergiftet, weil sie ihre eigenen Söhne auf den Thron setzen wollte), hatte sich sein zweitältester Sohn Vortimer gegen seinen Vater gestellt und rüstete nun zum Kampf, um die Sachsen endgültig zu bekämpfen, anstatt mit ihnen Geschäfte zu machen, wie es sein Vater tat, und dann selbst Großkönig zu werden.

Vortimer war natürlich um einiges jünger als Vortigern, und das und noch einiges andere schien Calmach nun davon zu überzeugen, sich mit unseren Soldaten auf Vortimers Seite zu schlagen.

Mein Großvater jedoch lehnte diese Idee strickt ab und bestand darauf, Vortigern den Rücken zu schützen - auch gegen Vortimer, wenn es sein musste.

Und genau darüber lagen die beiden nun im Zwist. Calmach wollte sich Vortimer anschließen, mein Großvater aber Vortigern treu bleiben.

Auch wenn es riskant war, versteckte ich mich oft in Nischen und Winkeln, während die beiden und ihre Berater sich besprachen und lauschte ihren Plänen und ihren Ideen. Mit fast schierer Verzweiflung saugte ich alles auf, was ich mir merken konnte, ständig mit der Angst, erwischt zu werden.

Aus irgendeinem Grund war mir bewusst, wie wichtig diese Entscheidung sein würde. Aber ich wusste dafür nicht, warum gerade für mich.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  paladin
2005-02-15T18:03:42+00:00 15.02.2005 19:03
Deine FF ist echt genial!
*sich überlegt,was sie noch sagen könnte*
Naja, weiß nicht, sie ist einfach komplett gut...


Zurück