Zum Inhalt der Seite

Liebe, Leid und Leben

Mamorus Jugend
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Irgendwie fühlte Mamoru sich so glücklich und zufrieden wie lange nicht mehr in seinem Leben. Zwar war er total verdreckt, verschwitzt, staubig und roch nach Pferd, aber es störte ihn kein bisschen. Im Gegenteil. Dafür, dass er erst seit kurzer Zeit hier her nach Texas gezogen war, ging es ihm wirklich klasse und er hatte sich wahnsinnig schnell eingelebt.

Er hatte immerhin gerade erst seine ersten Reitstunden gehabt, auf die er wahrlich stolz sein konnte. Nachdem er <sein> neues Pferd Hyperion versorgt hatte, war er mit seinen neuen Freunden im Haupthaus der Mustang-Ranch verschwunden, um ein deftiges Abendessen nach texanischer Art zu genießen. Ricks und Tonys Mutter Mary war eine hervorragende Köchin. Obwohl sich Mamoru insgeheim doch eher für seine Tante entschieden hätte, wenn es drauf angekommen wäre ... aber die verlangte ja nun von ihm, in Zukunft alles selbst zu machen...

Es wurde erzählt, es wurde gelacht, und vor allem wurde gegessen. Mamoru hätte nie erwarten können, dass eine einzige Mahlzeit so reichhaltig sein konnte. Pappsatt schob er den halbvollen Teller von sich und schaute zufrieden in die Runde. Kaum zu glauben, aber alle Andren konnten noch kräftig in sich rein schaufeln.

Mamoru fühlte sich so wohl. Tony, Rick, Fala, Elly, Mary, der Wolf Terra und selbst die Krähe Apollo, die am offenen Fenster auf dem Fensterbrett saß und ihn ohne Unterlass beobachtete, gaben Mamoru das Gefühl, er würde sie schon lange kennen und sie wären auf ewig beste Freunde. Nur ... irgendwas ... oder irgendwer ... fehlte...

Seit der Ankunft in Amerika vermisste Mamoru, auf Schritt und Tritt von dunklen Schatten und huschenden Bewegungen verfolgt zu werden. Wo mochte das Schattenwesen abgeblieben sein? Er hatte gedacht, es wolle ihm auch auf diesen Kontinent folgen?

Gedankenverloren stützte er seinen Kopf auf seiner Hand ab. Sein Blick landete genau in Falas unglaublich schwarzen Augen. Seit ihrer ersten Begegnung gestern im Stall war sie ihm nicht mehr so nahe gekommen. Und dort hatte das Licht der untergehenden Sonne nicht unbedingt dazu beigetragen, sie einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Doch selbst jetzt, auf die Nähe hin, und unter der hellen Lampe in der Küche, konnte er in diesem tiefen Schwarz keine Pupille ausmachen. Irgendwie fühlte er sich komisch, wenn er in ihre Augen sah. Es fiel ihm jedes Mal sehr schwer zu sagen, ob sie ihn nun ansah, oder an ihm vorbei schaute.
 

Anscheinend hatte der Herr der Erde noch nicht gemerkt, dass es sehr wohl noch in seiner Nähe war. Doch nun, wo es einen Körper aus Fleisch trug, konnte es sich unerkannt in der Welt der Menschen bewegen. Wahrlich, es wurde von diesen unwissenden Sterblichen wie einer der ihren angesehen. Es hatte die Erinnerung der Anderen ein wenig manipuliert. Sie glaubten nun, ihn schon länger zu kennen, als dies eigentlich der Wahrheit entsprach. Das Einzige, das ihn stutzig machte, war die Tatsache, dass es bei einigen Menschen sofort mit der Suggestion Erfolg hatte, und bei anderen fast seine ganze Energie verbraucht hatte, um sein Ziel zu erreichen.

Es hob seinen Blick vom Teller und versuchte, den Herrn der Erde unbemerkt zu beobachten. Dieser schien mit seinen Gedanken momentan ganz woanders zu sein. Doch woran immer er gerade denken mochte, es schien ihn glücklich zu machen. Und es freute sich mit ihm.

Es hatte nun also erfolgreich seine Aufgabe bewältigt, den Herrn der Erde nach Amerika zu bringen. Das hatte für ihn zwei große Vorteile: Der Herr der Erde war so vorerst aus Jedytes Einflussgebiet verschwunden, und der General aus dem Königreich des Dunklen würde Schwierigkeiten haben, ihn hier zu finden und sich für seine Niederlage zu rächen. Und außerdem konnte es sich nun auf seine Suche konzentrieren: die Suche nach dem Kristall, der seine Waffe ICTUS vervollkommnen würde. Es spürte, dass er hier irgendwo sein musste. Aber wo? Es schien, als käme die Energie, die ihm so vertraut war, nicht aus einem differenzierbaren Punkt, sondern sei mehr oder weniger allgegenwärtig. Die Macht dieses Kristalls war so groß, dass sie in weitem Umkreis gleichmäßig stark zu spüren war, und sich erst in weiter Ferne allmählich verlor. Aber er war hier! Soviel war sicher. Doch wo sollte es ihn suchen? Befand er sich im Besitz einer Person? Womöglich einer Person, die seine wahre Macht nicht kannte? Oder mochte das gute Stück irgendwo unter Tonnen von Sand begraben sein?

Hoffentlich nicht.

Allmählich drängte die Zeit. Es vermochte nicht zu sagen, wie lange es noch dauern mochte, bis die Feinde ihre Truppen beisammen hatten. Es wusste nur eines: Es musste nun mit doppelter Wachsamkeit bei der Sache sein. Es musste den Kristall finden und zur gleichen Zeit Acht geben, dass dem Herren der Erde nichts geschah. Und wenn die Suche zu lange dauerte, und es durch einen gewaltigen Energieverlust wieder an Materie verlieren sollte, dann konnte der Herr der Erde womöglich die einzige Rettung bedeuten. Seine Kraft konnte verhindern, dass es wieder in den Tiefen der zeitlosen Finsternis versank.

Beide waren auf einander angewiesen.

Nur wusste das die eine Seite noch nicht...

Einzig das Tier an seiner Seite konnte in stillen, einsamen Stunden Trost und Kraft spenden, denn das Tier war nicht so sehr von auswärtigen Energiequellen abhängig wie es. Auch das Tier würde eines Tages vor dem Herrn der Erde sein wahres Gesicht zeigen müssen. Doch - so glaubte es zumindest - dazu war der Herr der Erde noch nicht ganz bereit.

So hieß es also weiterhin hoffen, und suchen, und warten...
 

"Ey, Kleener! Fala!", grölte Rick plötzlich in die Runde. "Wo habt ihr zwo Hübschen eure Augen? Und ich sach noch, da ham sich zwo gesucht und gefunden, wa? Guckt ma', wie rot der wird! Putzig!" Er klopfte sich auf den Schenkel und lachte sich einen.

"Rick!", rief Mamoru aus. Ihn war das alles furchtbar peinlich. "Es ist nicht so wie Du denkst! Ich ... ich hab nur ... ich hab doch bloß ... ähm ... ich hab doch gar nichts gemacht! Ehrlich! Ich würde doch nie mit ihr ... ähm, ich meine ... nicht falsch verstehen, Fala, gell? Ich meine ja nur ... ich ... ich..."

Er hob abwehrend die Hände in die Höhe und wusste beim besten Willen nicht, wohin er schauen sollte. Irgendwann ließ er seine Hände wieder sinken und starrte betreten mit hochrotem Kopf zu Boden. Das amüsierte Rick umso mehr.

"Frederick!", schimpfte Mary. "Lass den armen Jungen doch in Ruhe!"

Mamoru lächelte sie dankbar an. "Ist schon gut."

"Gar nichts ist gut", fuhr sie fort. "Freddy! Lass ihn doch gucken, wohin er will!"

"Aber ich sag doch, ich hab gar nicht...", warf Mamoru ein.

"Das", so stellte Tony fest, "waren so irgendwie die falschen Worte, Mom."

Daraufhin redeten alle zur gleichen Zeit wild durcheinander. Einzig Fala und Elyzabeth hielten sich da fein raus.

Erst, als Apollo mit einem Krächzen seine pechschwarzen Flügel ausbreitete, sich in die Luft erhob und nur knapp über den Köpfen der Anwesenden hinwegflog, schließlich auf Falas Schulter landete und dort nochmals einen kurzen Schrei ausstieß, verstummten alle. Mit einem zufriedenen Lächeln kraulte die junge Indianerin ihr Tier im Nacken.

"Brav, Apollo. Warst auch der Ansicht, dass es zu laut geworden ist, was? Du bist hier der Einzige, der mich versteht."

Beeindruckt verfolgte Mamoru das Schauspiel. "Fala? Darf ich Dir mal eine Frage stellen?"

"Sicher!" Sie lächelte geheimnisvoll, als wüsste sie schon, was als nächstes kommen würde.

"Wie kommt man eigentlich zu einer zahmen Krähe?"

"Die Antwort ist ganz einfach", meinte sie ruhig. "Apollo kam zu mir."

"...Ehrlich?", fragte Mamoru verblüfft nach einer kurzen Pause. "Wie denn?"

Fala hatte wieder diesen ernsten Gesichtsausdruck, den Mamoru so oft an ihr sah. Als sei sie es nicht gewohnt, zu lächeln.

Als sei sie es nicht gewohnt, einfach glücklich zu sein...

"Er kam angeflogen und landete neben mir. Er sah mich aus seinen schönen, schwarzen Augen an, und ich erwiderte seinen Blick. Dann gab ich ihm etwas Brot. Und seitdem weicht er nicht mehr von meiner Seite. Ich kann es nicht erklären. Es ist fast, als seien wir unser Leben lang auf der Suche nach einander gewesen. Die Krähen waren von jeher meine Schutztiere. Man nannte mich Fala, <Die Krähe>. Es soll wohl mein Schicksal sein, meinen Weg Seite an Seite mit diesen Tieren zu gehen."

"Eine schöne Geschichte", meinte Mamoru lächelnd und stützte seinen Kopf in seine Hände.

"Sie ist wahr", sagte Fala mit Nachdruck.

"Ich glaube Dir ja!", antwortete er. "Und wie ist das bei Dir und Terra gewesen, Elyzabeth?"

Elly lächelte sanft. Sie zwinkerte ihn an und erzählte mit monotoner Stimme:

"Er kam angeflogen, landete neben mir und schaute mich an..."

Tony kicherte vergnügt und Rick lachte hemmungslos.

"Ja, klar doch!", meinte er.

Fala warf Elyzabeth nur einen bösen Blick zu, sagte aber kein Wort.

"Aber es war so", beharrte Elyzabeth. Sie lachte kurz auf. Dann wurde sie ebenso ernst wie Fala es gerade noch gewesen war. Eigentlich - so fand Mamoru - waren sich die beiden doch ziemlich ähnlich. Er verstand nicht so recht, warum die beiden nicht mit einander auskamen.

"Hey, jetzt erzähl ma' richtig", forderte Rick. "Ich weiß nämlich auch noch nich, wie det zustande gekommen is."

Elly nickte ruhig.

"Terra kam tatsächlich angeflogen. Oder eher angefallen. Er war auf einem Felsen herumgeklettert. Ich schätze, er ist abgerutscht. Jedenfalls landete er schwer verletzt zu meinen Füßen. Ich habe ihn versorgt und mich um ihn gekümmert. Er hat sich mir gegenüber auch gar nicht feindlich benommen. Ich glaube eher, er hatte mehr Angst vor mir als ich vor ihm. Als er wieder laufen konnte, ist er erst mal auf Abstand gegangen. Doch allmählich hat er sich mehr und mehr an mich heran getraut. So sind wir nach und nach zu Freunden geworden. Ich weiß nicht, was mit seinem Rudel war. Jedenfalls bin ja ich jetzt für ihn da. Gell, Süßer?"

Terra lag neben dem Tisch und schaute sie aus großen, dunklen Augen an. Dann gähnte er und legte seinen Kopf auf seine Pfoten.

"Er weiß det bloß nich zu schätzen, wa?", lachte Rick.

"Sieht so aus", murmelte sie bestätigend. Dann stützte sie ihre Ellenbogen auf dem Tisch auf. "Leute, was machen wir heute noch? Ich persönlich würd ja Orendaham vorschlagen. Wir könnten schön unsren Spaß haben. Was meint ihr?"

Darauf warf Tony ein:

"Ja, ich hab gehört, da hat was Neues aufgemacht. Ich glaub, ne Bar oder weiß-der-Kuckuck-was. Der Name lautet <Tenebrae>. Also, es würde mich ja schon reizen, da mal nen Blick reinzuwerfen. Wollen wir?"

"Tenebrae...", murmelte Fala nachdenklich und fuhr dabei mit den Fingern sanft über Apollos Gefieder. "Der Name kommt mir eigenartig vor..."

"Wieso eigenartig?", fragte Rick nach.

Mamoru antwortete an ihrer statt:

"Das Wort <Tenebrae> stammt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie <Dunkelheit, Finsternis, Düsternis>, oder auch <Dämmerung, Nacht, Blindheit, dunkler Ort, Unklarheit> und all so was."

Die anderen warfen sich alarmierte Blicke zu. Plötzlich lag eine Spannung in der Luft, als würden die Anwesenden etwas wissen, das Mamoru nicht wusste. Als würden sie in diese Übersetzung etwas Ungeahntes hineininterpretieren können.

"Dunkelheit?", fragte Tony mit finstrem Gesichtsausdruck nach. "Was meint ihr, Leute, könnte das bedeuten, dass ... na, ihr wisst schon."

"Du meinst...?", fing Fala einen Satz an, warf dann einen flüchtigen Blick auf Mamoru und biss sich dann auf die Lippe.

"Ihr wisst, was ich meine?", fragte Tony und sah in die Runde.

"Jepp", antwortete Rick mit einem Nicken. "Ich weiß, wasde meinst. Deine Befürchtung is ... dieser Ort ... is'n Puff."

Fala und Tony klatschten sich zur gleichen Zeit seufzend gegen die Stirn.

"Hoffnungslos", sagten sie im Duett.

"Tschuldigung", meldete sich Mamoru zu Wort, "aber was soll es sonst sein?"

"MÄNNER!", antworteten die beiden jungen Frauen zugleich in herablassendem Ton.

"Ja ... WAS DENN SONST??? Ein Totengräber? Eine Firma für Sonnenschirme? Oder für Rollläden? Oder ein Laden, wo man Tinte kaufen kann? Oder Sonnenbrillen? Oder Vampirartikel? ...Dunkelheit ... was kann man damit noch assoziieren? Vielleicht ne Dunkelkammer, wo man Fotos entwickelt?"

Mamoru schaute nachdenklich drein.

"Also...", meinte Tony staunend, "Fantasie hast Du ja..."

Dann wandte sie sich Fala wieder zu. "Sicher, dass Du ein mieses Gefühl bei der Sache hast? Wie macht sich das bemerkbar? Kannst Du das mal etwas näher beschreiben?"

"Ähm", machte Mamoru, "was ist los?"

Rick erklärte es ihm:

"Manchma' kann Fala ... nu ja ... die Zukunft ... im Voraus erahnen. Wenn se meint, det se 'n mieses Gefühl hat, dann kann's sein, wer komm' hin und einer rutscht aus und landet aufer Fresse, wa?"

Darauf schenkte Tony ihm ein zuckersüßes Lächeln. "Brüderchen, Du kannst Dich ja so gewählt ausdrücken!"

Rick grinste. Dann zog er einen Kaugummi aus seiner Hosentasche, entfernte das Papierchen und steckte sich die Süßigkeit in den Mund.

"Nun ja", so meldete sich Fala endlich wieder zu Wort, "so ganz sicher bin ich mir da auch nicht. Es ist nur ... ich gebe es ungern zu, aber es ist wie Rick gesagt hat. Kann sein, es ist nur was Banales. Kann aber auch sein, da wird was Großartiges noch kommen. Und ob es großartig gut oder großartig schlecht ist, weiß ich nicht. Es muss auch nicht unbedingt sein, dass es heute der Fall ist. Vielleicht nächste Woche. Vielleicht nächsten Monat. Oder vielleicht nächste Stunde, wer weiß das schon? Aber ... ich kann es nicht erklären ... allein der Name macht mich schon nervös. Auch ohne die Übersetzung zu kennen wäre ich misstrauisch."

"Wat schlägste also vor?", erkundigte sich Rick kaugummikauend.

Fala dachte kurz nach. "Ich sage, wir reiten hin und sehen uns die Sache mal aus der Nähe an. Wenn's gefährlich wird, hauen wir ab."

"...falls wer dann noch abhau'n können, wa?", warf Rick ein. Trotzdem war er derjenige, der zuerst aufstand. Er streckte sich, bis seine Gelenke knackten. Dann sagte er:

"Okay, Leute. Wer nich wagt, der nich gewinnt, wa? Kleener, Du kommst mit."

"Und wann soll ich, Deiner Meinung nach, wieder zu Hause erscheinen?", fragte Mamoru in skeptischem Ton nach.

Rick zwinkerte ihm zu. "Ich kann mich erinnern an irgend wat von wegen <eigenes Zuhause> und <Selbstständigkeit> oder so. Deine Alten müssen lernen, dassde allmählich erwachsen wirst und nu ma' jetzt anfängst, inner Gegend herumzuziehen, wa? Also mach Dir ma' keinen Kopf, Kleener. Wenn wat is, ich steh grade."

"Ob Du dafür grade stehst oder nicht, wird meiner Tante recht egal sein. Und mein Name ist immer noch Mamoru..."

"Dann zieh doch hier ein", bot der Cowboy an.

Erst herrschte Stille im Raum. Alle, wirklich alle starrten Rick aus großen Augen an.

"Meinst Du das ernst?", fragte der Herr der Erde.

"Absolut", meinte Rick. "Platz is jedenfalls da."

Mamoru seufzte nachdenklich. Schließlich antwortete er:

"Ich bin eigentlich ganz froh, dass ich den Umzugsstress endlich hinter mir hab. Und ich weiß nicht so recht, ob das nicht vielleicht ne Nummer zu groß für mich ist, hier in so 'ne Art Riesen-WG einzuziehen. Danke für das Angebot, aber ... vielleicht später einmal, ja?"

Mamoru lächelte ihn dankbar an.

"Na gut", meinte Rick nickend. "Ich erinner Dich nochma' dran, wa? Okay, Leute. Dann würd ich ma' sagen: Schwingen wer uns in die Sättel!"

"YEAH!", grölten alle als Antwort. "AUF GEHT'S!"

"Aber zuerst", warf Tony ein, "geh ich noch aufs Klo."

"Ich geh mir die Haare kämmen", verkündete Elly.

"Ich muss Apollo noch schnell füttern", erklärte Fala.

"Und ich geh mir ne andere Unterhose anziehen", meinte Rick.

Alle starrten ihn an.

Er zuckte mit den Schultern und zwinkerte.

"Vielleicht isses ja doch 'n Puff! Dann kann ich ja da nich erscheinen wie's letzte Dreckschwein!"

"...Also ... Freddy ... wirklich! ...Schäm Dich!", sagte Mary augenrollend.

Nein, Freddy schämte sich nicht. Er lachte bloß. Und Mamoru kam nicht umhin, mit ihm zu lachen. Und bald stimmte jeder ein.

Rick meinte noch zu Mamoru:

"Geh schon mal in den Stall und bereite Deinen Hyperion vor. Wir kommen dann nach."

Und damit verschwanden alle in verschiedene Richtungen. Einzig Mary blieb kopfschüttelnd zurück und wandte sich seufzend dem Abwasch zu.

"Was hab ich da in die Welt gesetzt?", stöhnte sie leise.

Doch das hörte schon keiner mehr.
 

Das Geschöpf, nicht Mensch, noch Gott, aber den Menschen nicht unähnlich, trat eilig aus der Welt der Menschen. Das schwarze Gewand flatterte um die Beine dieses außergewöhnlichen Wesens. Raschen Schrittes lief die Person durch uralte Ruinen, weitaus älter als die Menschheit selbst. Zerbröckelte Mauern aus weißem Marmor säumten die Straßen, ebenso wie verfallene Tempel, Säulen, Häuser und Statuetten. Diese uralte Stadt des gefallenen Reiches lebte schon lange nicht mehr. Seit dem großen Krieg war alles hier der Verwüstung anheim gefallen. Nur wenige Gebäude waren noch als das zu erkennen, was sie einst gewesen waren.

Nur ein Bereich dieser gigantischen, uralten Stadt war einigermaßen intakt geblieben. Im Zentrum dieses magisch geschützten Areals stand der gigantische, schwarze Palast aus Obsidian, der einst, vor langer Zeit, das Zentrum der Welt gewesen war. Hoch oben, auf dem höchsten Turm, war aus weißem Marmor, der aus dem ganzen Schwarz deutlich herausstach, das alte, königliche Wappen eingelassen:

Das Symbol der Erde.

Ein gleichförmiges Kreuz, dessen abwärts weisender Balken am unteren Ende mit einem Kreis verbunden war, der wiederum die gleiche Größe wie das Kreuz hatte.

Doch das Geschöpf richtete die Schritte nicht auf diesen alten Palast zu, sondern drehte kurz zuvor ab und kam schließlich zu einem großen Tempel ganz in der Nähe des Palastes. Über dem Eingang des Gebäudes war eine große, runde Sonne aus Gold angebracht, deren ebenfalls goldene Strahlen in alle Richtungen rings um das metallisch glänzende Rund herum wiesen.

Das Wesen betrat den Tempel mit schwer keuchendem Atem. Im Inneren des Gebäudes, vor einem langen, weißen Obelisken, kniete ein junger Mann. Seine Haare waren ebenso weiß wie der Marmor, aus dem der Tempel bestand. Auch die Uniform des Mannes war von weißer Farbe. Schon bald erhob er sich aus seiner knienden Haltung und drehte sich zu der Person in Schwarz um. Er lächelte ein wenig. Doch er tat es auf eine Art und Weise, die deutlich zeigte, dass er große Kenntnis vom Bösen und von etlichen uralten Geheimnissen dieser Welt besaß, und sich große Sorgen machte wegen all dem, was noch kommen mochte.

"Du bist zurück gekehrt", stellte er fest. "Du warst lange nicht mehr hier."

Er und das Wesen umarmten sich.

"Ich kann auch nicht lange bleiben", gestand die Person, die nun die Kapuze ihres weiten, schwarzen Gewandes zurückschlug. "Die Menschen werden sich bald fragen, wo ich bleibe."

Die Mänaden, die wunderschönen, treuen Dienerinnen dieses geheiligten Ortes, die sich bislang noch im Verborgenen gehalten hatten, traten nun heran und grüßten das Geschöpf untertänig. Dann brachte eine von ihnen einen goldenen Kelch mit süßem Nektar und überreichte ihn der in Schwarz gehüllten Person. Diese nahm dankend an und trank einige Schlucke.

Derweil verschwand das Lächeln wieder aus dem Gesicht des Mannes und tiefe Falten der Sorge traten auf seine Stirn.

"Hast Du ihn gefunden?", fragte er.

Das Geschöpf nahm den Becher von den Lippen und schüttelte den Kopf. Dann hielt es inne und zog die Augenbrauen zusammen. Es zuckte mit den Schultern, sagte "vielleicht", und trank weiter.

"Vielleicht?", der Mann hob skeptisch eine Augenbraue an. "Du weißt, dass das hier kein Spiel ist, Eos. Bleib bitte ernsthaft. Hast Du ihn gefunden oder nicht?"

"Ich bin mir noch nicht ganz sicher", antwortete die Person, die mit dem Namen Eos angesprochen worden ist. "Ich muss es ganz genau wissen. Ich will ... ich kann nicht riskieren, mich zu irren."

"Der Kristall?", fragte der Mann nach.

"Reagiert nicht auf ihn", antwortete Eos. Sie gab den leeren Becher wieder zurück, und die Mänade verschwand damit. "Aber das muss nichts heißen. Wir können nicht sicher sein, dass das <Herz der Erde> ein Indikator dafür ist, dass ich ein Mitglied der alten Königsfamilie vor mir habe. Es war nur eine Idee. Wer garantiert, dass es auf diese Weise klappt? ...Aber ich habe immerhin ein eigenartiges Gefühl..."

Der Mann nickte verstehend.

"Wir sollten uns beeilen, und unseren Prinzen bald finden", antwortete er. "Allmählich wird der Feind übermächtig. Ich befürchte, wir werden nicht mehr genug Zeit finden, all unsre alten Truppen wieder zu erwecken, ehe die erste Großoffensive unserer Gegner gestartet wird."

Er legte seine Hand auf den weißen Obelisken, vor dem er gerade noch gekniet hatte.

"Ich werde weiterhin hier am Gebetsturm bleiben. Wir brauchen jetzt jeden Beistand, den wir kriegen können. Du, Eos, musst zurück in die Welt der Menschen. Finde heraus, ob der Junge, den Du gefunden hast, der Auserwählte ist. Finde ihn und erwecke ihn."

"Ich werde mein Bestes tun", antwortete Eos leise. Sie wandte den Blick ab und seufzte betrübt.

Der Mann kam ihr einen Schritt näher und legte tröstend seine Arme um sie.

"Ich weiß, dass es schwer für Dich ist", sagte er. "Ich verlange sehr viel von Dir. Ich verlange, dass Du Deinem Schicksal entgegen trittst ... und Du kennst Dein Schicksal bereits. ...Es tut mir so Leid für Dich..."

"Oh, Helios", schluchzte sie, "mein Bruder!"

Doch sie nahm sich zusammen, so gut sie es nur konnte. Sie wischte sich hastig durch die Augen und versuchte, tapfer zu lächeln.

"Ich tue es für die Rettung der Welt", flüsterte sie. "Und für unseren Prinzen. Und für unser geliebtes, altes Reich Elysion."

"So ist es gut", ermutigte sie Helios. "Steig auf den Pegasus, er trägt Dich zurück in die Welt der Menschen. Er wartet bereits draußen auf Dich. Ich werde für Dich beten. Und ich werde dafür beten, dass Du den Herren der Erde bald finden wirst. Ich bin sicher, Du wirst ihn erkennen. Du wirst seine Macht spüren, wenn er sie einsetzt. Und jetzt geh. Und hüte den Kristall! Wir wissen nicht, wer alles danach strebt, ihn in seinen Besitz zu bringen!"

"Ich werde wachsam sein, ich verspreche es!"

Damit verabschiedete sich Eos von ihrem Bruder. Helios sah ihr nach, bis sie aus dem Tempel verschwunden war. Dann kniete er wieder vor dem weißen, marmornen Obelisken nieder und betete.

Eos trat aus dem Sonnentempel und sah den Pegasus auf der Straße stehen. Das weiße Pferd mit den gefiederten, weißen Flügeln und dem golden schimmernden Horn auf der Stirn sah ihr bereits geduldig entgegen.

Eos trat zu ihm, fuhr ihm sanft über das weiche Fell und flüsterte:

"Du, treuer Pegasus, wirst Dein Schicksal bald mit dem meines Bruders verbinden müssen. Doch das darf ich ihm noch nicht sagen. Niemand sollte zu viel von seiner Zukunft wissen. Nur mir wird manchmal dank des Lichts der Sonne ein kleines Stück der Zukunft erhellt. Denn ich bin Eos, die Tochter des Sonnenkönigs Sol, Priesterin der Sonne, Herrin über die Sonnenfinsternis, über die Schatten und über die schwarze Seite des Lichtes. Ich bin die Hüterin über all das, über das mein Bruder Helios, als die weiße Seite des Lichtes, nicht wachen kann. Ich bin nicht Mensch, noch Gott, und doch heilig."

Damit schwang sie sich auf den Rücken des sagenumwobenen Wesens und flog auf ihm davon, über das alte, zerstörte Atlantis hinweg, das einst die prachtvolle Hauptstadt der Welt Elysion gewesen war, bis in die Welt der Menschen hinein.
 

Als die anderen endlich in den Stall kamen, war Mamoru gerade damit beschäftigt, seinem Galiceno Hyperion die Trense anzulegen.

"Howdy!", grüßte er. Für die Anderen war das wie das Kommando zum Loslachen.

"Kleener", grölte Rick lauthals, "Du wirst eines Tages noch 'n richtiger Cowboy werden, ich seh's schon kommen. Allerdings..."

Er kratzte sich an seinem stoppeligen Kinn.

"...was Dir noch fehlt, is det passende Outfit. Du brauchst 'n Hut und 'n Paar Stiefel samt Sporen, und dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus, wa?"

"Dafür bräuchte ich aber eine gewaltige finanzielle Subvention", überlegte Mamoru schmunzelnd.

"Ich mach Dir det Angebot gern nochma', Kleener", meinte Rick grinsend. "Zieh hier aufe Ranch, dann kannste hier auch arbeiten. Und ich muss Dich nich dauernd morgens holen und abends wieder abliefern."

"Nett gemeint, Rick, aber gönn mir noch etwas Zeit zum Nachdenken, ja? Bitte."

Damit wandte sich Mamoru wieder dem Pferd zu und schloss die Schnallen an den ledernen Riemen des Zaumzeugs.

Er führte Hyperion nach draußen, stieg auf und gewöhnte sich allmählich wieder an den Sattel, während er darauf wartete, dass die Anderen ihre Pferde sattelten. Irgendwie fühlte es sich für ihn schon recht eigenartig an, auf einem Pferd zu sitzen. Es war ein Gefühl bislang ungeahnter Geborgenheit und Vertrautheit.

Nach und nach traten seine Freunde aus dem Stall: Erst Fala mit Nolcha, dann Elly mit Gabriel, dann Tony mit Diablo, und zum Schluss Rick mit Elvis. Gemeinsam ritten sie dann vom Gut, der Kleinstadt Orendaham entgegen. Terra und Apollo blieben ausnahmsweise auf der Ranch zurück.

"Wir sind wie die Musketiere!", stellte Tony fest. "Nur halt zu fünft ... und ohne Degen!"

Darauf fügte Elyzabeth bissig hinzu:

"Und ohne Zusammenhalt ... gell, Fala?"

Die Indianerin strafte sie mit einer bitterbösen Miene, gab allerdings keinen Kommentar ab.

"Hey, ihr Beiden, kein Streit!", ging Mamoru sofort dazwischen.

Elyzabeth und Fala sahen ihn an. Fala schaute zu ihm rüber, als sei sie überrascht und wolle sein nächstes Handeln abwarten; als hätte sie nicht erwartet, von ihm verteidigt zu werden. Doch Elly ... Elly bedachte ihn mit einem Blick, den der junge Herr der Erde beim besten Willen nicht zu deuten wusste. So etwas wie ... maßlose Enttäuschung? ... darüber, dass er auf Falas Seite stand. Ihr trauriger Blick bohrte sich in Bruchteilen einer Sekunde tief in sein Herz und hinterließ eine Reue, als habe er einen jahrelangen Freund geschlagen. Es tat ihm mit einem Male unendlich Leid.

Elly wandte dann ihren Kopf wieder nach vorne und trieb ihren Peruanischen Paso etwas stärker zur Eile. Den Rest des Weges ritt sie einige Dutzend Meter vor der Gruppe. Mamoru wäre gern zu ihr aufgeschlossen, um mit ihr zu reden, aber er hielt es im Moment für besser, wenn sie mal ihre Ruhe hatte.

Schlussendlich also erreichten sie Orendaham und somit auch ihr eigentliches Ziel: die neu eröffnete Bar mit dem etwas außergewöhnlichen Namen <Tenebrae>.

Elyzabeth war bereits abgestiegen. Sie stand annährend reglos vor dem steinernen Gebäude und musterte es ohne jegliche Gefühlsregung auf dem Gesicht. Fast wie zur Statue erstarrt stand sie da im Halbdunkel des zu Ende gehenden Tages. Mamoru liefen bei diesem Anblick eiskalte Schauer den Rücken runter. Es war fast so, als stünde dort ein Feldherr, der sich ehrfürchtig das Schlachtfeld ansieht, ehe es am nächsten Tag um den großen Kampf zwischen Leben und Tod ginge.

<Meine Fresse, was red ich da? Ist doch bloß ne Bar!>, dachte Mamoru so bei sich und schüttelte leicht den Kopf, um seine Gedanken wieder unter Kontrolle zu bringen. <Immerhin>, so dachte er weiter, <scheint sie sich wieder gefangen zu haben. Sie ist jetzt bestimmt nicht mehr sauer.>

Er und die Anderen stiegen von den Pferden ab und banden die Zügel an einer eisernen Halterung fest, an der auch eine Tränke für die Tiere bereit stand.

Dann betraten sie gemeinsam die <Tenebrae>.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2006-04-28T09:28:34+00:00 28.04.2006 11:28
Ein wahsinnig spannendes Kapitel, du hast wohl sehr vie recherchiert, das merkt man....ahc ja Griechische Mythologie ist wirklich sehr faszineirend udn endlcih ahst du wieder etliche Aspekte von früher mit hinein gebracht. Helos....^^

Wie das Symbol der Erde wohl aussieht, den palast hätte ich ja zu gerne mal egsehen!^^

Super, super, super!

Lg^^
Von:  RallyVincento
2006-01-18T13:47:33+00:00 18.01.2006 14:47
Ok meine Rechtschreibung ist jetzt total am Ende ^^v
Was hab ich denn da verzapft...
Von:  RallyVincento
2006-01-18T13:45:35+00:00 18.01.2006 14:45
o.O wow!!!!!

lso wo fang ich an...ahhh ich weiß.
Also am anfagn haäät ich noch gesagt das Vielleicht Fala ES ist aber dann hab ich gedacht das dass vielleicht zu offentsichtlich ist. Aber vielleicht denkst du das ich denke das du denkst das wäre zu offentsichtlich und deswegenm ist es so... *verwirrt ist*

Naja gut aber ich begahlte Fala im Auge und apollo auch.

Und dann kommt da plötzlich Eos die Schwester von Helios die auch irgentwo in der Menschenwelt runhängt. Meine Fresse... und Atlantis... echt sind für ein Kapitel echt viele Infos, die muss man erstmal verdauen.

Aber echt klasse geschrieben^^ weiter so ^^
*knuddel*


Zurück