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Falter-chans Schreibstube, Episode 5: Erzählperspektiven II – warte, _dein Name_! Fanfiction, Schreibstube, Schreibtipps, Schreifalter

Autor:  Kore

Oder: das Drama mit dem Reader-Insert.


Willkommen zurück in Falter-chans Schreibstube! Wie immer gilt das Disclaimer:

bei Falter-chans Schreibstube geht es um Ratschläge zur Verbesserung von Qualitätsproblemen, die im FF-Archiv häufig sind. Es geht weder darum, die Leser zu großen Literaten zu machen, noch darum, Autoren, Fandoms, Schreibstile oder FFs schlecht zu machen oder zu demütigen. Der Weblog spiegelt allein die Meinung der Verfasser wieder. Schreiben ist natürlich eine Kunst, und Kunst ist flexibel – aber Qualität gibt’s halt trotzdem.


Heute widmen wir uns mal einem etwas fortgeschritteneren Thema, also leg das Popcorn weg und schalt dein Hirn ein =D


Trends sind etwas seltsames. Sie kommen aus dem nichts, sie machen kaum bis gar keinen Sinn, und fünf Jahre später ist man sich sicher, dass da irgendwelche Opiate im Spiel gewesen sein müssen, weil freiwillig hätte man DAS sicher NIE angezogen. Oder das gehört. Oder das für einen coolen Tanz gehalten. Und dabei trägt man doch längst wieder das, hört dieses, und liest jenes. Und ganz ehrlich, manches davon ist doch eigentlich recht cool (manches. Nicht alles).


Solche Trends befallen nun nicht nur Musik, Kleidung und Sprache (ist 'cool' überhaupt noch cool?), sondern treten tatsächlich auch in der Welt der FFs auf. Ein solcher Trend waren zB Internat-FFs, das Wort 'Opale' für Augen, oder die berühmt-berüchtigten Ahnen/Wesen/Seelenpartner-Tests für Harry. Aber um die soll es hier nicht gehen, sondern um einen anderen, jüngeren Trend: Reader-Insert.


Was ist Reader-Insert?

Einfach ausgedrückt: eine Du-Perspektive, in der das Du keinen Namen hat, da der Charakter den Leser darstellen soll – jeden Leser.

Und was ist eine Du-Perspektive?

Technisch betrachtet handelt es sich dabei um einen personalen Erzähler, der sich aber eben an den Charakter wendet, von dem er erzählt, statt an den implizierten Leser. Bildlich vorstellbar ist das am besten als eine innere Stimme mit eigenem Bewusstsein. Hier ist die Welt der Geschichte nach innen aber immer noch abgeschlossen: die innere Stimme erzählt/kommentiert für den Charakter, und der Leser ist nur ein zufälliger, unsichtbarer Zeuge.

Im Reader-Insert verschmelzen nun der Charakter und der implizierte Leser – oder sie sollten es zumindest per definitionem. Das heißt, dass der Unterschied zwischen den beiden Stilen sehr klein ist, und man beim Schreiben eines Reader-Inserts meist sehr darauf achten muss, nicht ins normale Du abzudriften. Denn ganz ehrlich: Du-Perspektiven sind super, aber wenn Reader-Insert drauf steht, sollte schon auch Reader-Insert drin sein.

Also, worauf sollst du als Autor jetzt achten? Nun, eigentlich nur auf eine Sache: Mut zur Lücke. Aber weil das so groß und wichtig ist, setzen wir doch das kleine PS an den Anfang, damit es nicht übersehen wird.


PS: Zeit

Wie oben gesagt, der Du-Erzähler ist sozusagen eine Stimme im Kopf des Charakters, die kommentiert, was durch seine Augen/Ohren wahrnehmbar ist. Dieses Bild legt schon nahe, dass eine solche Geschichte eigentlich in der Gegenwart erzählt werden sollte. Wenn du Präsens-Erzählungen nicht magst, ist das natürlich ok, aber Falter-chan legt dir nahe, dir dann genau zu überlegen, warum. Warum Vergangenheit? Im Normalfall wird das darauf hinauslaufen, dass die Geschichte aus irgendeinem Grund ein Flashback ist, und dann ist die Zeit gerechtfertigt. Besonders bei Reader-Inserts ist das aber ziemlich schwierig zu bewerkstelligen – der Leser sitzt schließlich JETZT vor dem Bildschirm, und will sich JETZT in die Geschichte hineinversetzen. Man fühlt sehr selten im Imperfekt.


Damit aber zurück zum eigentlichen Thema.

Mut zur Lücke

Wie gesagt, ein Reader-Insert ist eine Du-Perspektive ohne Namen. Aber mehr noch: da der Leser (jeder Leser!) sich in den Du-Charakter hineindenken können soll, muss der Charakter auch jedem potentiellen Leser entsprechen. Heißt: keine Charaktereigenschaften, keine Marotten, kein Aussehen, streng genommen nichtmal ein Geschlecht. Das... wird jetzt natürlich etwas schwierig, denn während es technisch möglich wäre, eine solche Geschichte zu schreiben, wäre es ein ziemlich schwieriges Experiment, und das Ergebnis wohl eher moderne Kunst als eine massen- und YUAL-taugliche FF. Und wir wollen ja Leser, so als Autoren.

Und was macht man jetzt? Nun, man macht es so weit, wie man sich als Autor damit wohl fühlt. Und wenn das zu wenig ist, nimmt man eben das Label Reader-Insert raus, und übt erst noch etwas normale Du-Perspektive (die ist eh schon schwer genug).

Hier, in im Schwierigkeitsgrad aufsteigender Reihenfolge, ein paar Anhaltspunkte:


Namen – ähnlich wie beim Ich-Erzähler musst du im Du den Namen deines Charakters außerhalb von direkten Reden eigentlich nie erwähnen. Dieser Teil ist also recht einfach, denn direkte Reden lassen sich leicht in indirekte umwandeln.


„Hallo, ich heiße _______“, sagst du. → Du grüßt und sagst ihr deinen Namen.

„Hey, ________, komm doch mal her!“ → Sie ruft dich zu sich.


Gleichzeitig birgt die Namens-Umschreibung aber auch die größten Gefahren für deine Du-Perspektive, denn nichts unterbricht den Lesefluss so effektiv wie eine _________ - nur ein gut gemeintes (hier Namen einsetzen) funktioniert noch schlechter.


Aussehen – grundsätzlich ebenfalls kein großes Problem, solange das Aussehen nicht handlungsrelevant wird. Und das kannst du ja verhindern, denn du bist – tadaa – der Autor. Um das Aussehen zu anonymisieren, flüchtest du dich wie schon beim Namen in die Indirektheit oder in allgemeine Aussagen.


„Ich liebe das Blau deiner Augen“ → „Ich liebe die Farbe deiner Augen“ oder „Ich liebe deine Augen“


Denn jeder Mensch hat Augen (zumindest jeder, der von einem Computerbildschirm ablesen kann). Fast alle Menschen haben außerdem Hände, Haare, Hälse etc, halte dich also an diese universellen Dinge, und beschreibe den Charakter so wenig wie möglich im Detail. Das widerspricht zwar sehr vielen Autor-Reflexen, braucht also Training, ist aber durchaus möglich.


Eigenschaften – hier wird’s schwierig. Jeder Mensch reagiert in bestimmten Situationen anders, darum ist es so gut wie unmöglich, einen Charakter zu schreiben, in dem sich jeder wiederfinden kann – besonders, wenn dieser Charakter aktiv an der Handlung teilnehmen soll. Und irgendwie schreibt keiner Reader-Inserts über Charaktere, die nie mit ihrer Welt interagieren. Also was tun?

Nun, in der Schule haben wir alle gelernt – 4 ist immer noch besser als 5. Wer braucht schon ne 1. Fang also klein an: gib deinem Charakter keine herausstechenden Eigenschaften. Die wenigsten Leser wissen, wie es ist, ein Vergewaltigungsopfer zu sein, also lass die dramatische Vergangenheit weg. Die wenigsten Leser lieben Innereien, also gib deinem Charakter keine ausgefallene Lieblingsspeise. Gib im am besten gar keine Lieblingsspeise. („Deine Mutter hat dein Lieblingsessen gekocht“ funktioniert schließlich auch.) Und so weiter. So kannst du dich langsam vorarbeiten, auf dem Weg zum absoluten Everybody.


ACHTUNG! Beim Reader-Insert geht es nicht darum, ein Abbild deines Lesers zu schreiben. Es geht darum, einen Charakter zu schreiben, mit dem dein Leser sich identifizieren kann – denn Reader-Insert ist eine Koproduktion. Die Hälfte des Textes schreibt der Leser in seinem Kopf! Indem du in deinem Charakter große weiße Flächen freilässt, wo anderenfalls Charakterisierung hingekommen wäre, lässt du dem Leser mehr Raum für seine eigene Fantasie, und das ganze funktioniert als das, als das es gedacht ist.


Das war Falter-chans Input zum Thema Reader-Insert. In zwei Wochen gibt’s nochmal Kommaregeln (weil das eine mal hat ja nicht gereicht =P), und in vier Wochen dann den dritten Teil unserer kleinen Erzählperspektiven-Reihe.

Bis dahin einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Datum: 28.12.2013 11:40
Wünsch euch auch nen guten Rutsch!
Hat mir gefallen. Mal sehen vielleicht schreib ich das ja auch mal. Glaub ich aber eher weniger.
Wäre übrigens cool, wenn ihr vielleicht literarische Beispiele hättet, Bücher oder ähnliches. Meistens festigt sich solches Wissen ja auch durch kontinuierliches Lesen. Ein bisschen wie bei Hausaufgaben.

LG Saku^^
Es gibt viele Gründe, alles beim Alten zu lassen, und nur einen einzigen doch endlich etwas zu verändern: Du hältst es einfach nicht mehr aus!
Hans Curt Flemming
Avatar
Datum: 28.12.2013 13:07
Dankeschön =)
Bzgl Beispiele: ich hab drüber nachgedacht, aber das Problem ist - Reader Insert ist (meines Wissens nach) tatsächlich ein reines FF-Phänomen. Ich weiß von keinem veröffentlichten Werk (Roman, Geschichte oder sonst was), das ihn verwendet hätte, und auf FFs zu verweisen wäre mir seltsam vorgekommen. Falls aber jemand etwas reinlesen will: Animexx hat Schlagworte (richtig geschriebene Schlagworte sind falsch geschriebenen vorzuziehen), und auf fanfiction.net gibt's eine Community dazu. Ein breites Spektrum kritisch zu lesen bringt oft mehr als ein 'absolut richtiges' Beispiel zu kopieren. Jeder Autor sollte schließlich seinen eigenen Stil finden.
Aber wenn du wirklich ein positives Beispiel von mir hören willst (und ich vetternwirtschaftlich Werbung für Kollegen machen darf): Shizana hat letztens eine recht gute geschrieben.
2+2=

Malec. Because yes, we ship hands.
Datum: 28.12.2013 21:49
Ein Beispiel wäre Zoran Drvenkars "DU", ein Roman, der genauso arbeitet. Allerdings ist in jedem Kapitel ein anderer "Du" und dementsprechend wird damit nicht auf den Leser abgezielt.
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