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Der Glasgarten

von

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Chain

Chain
 


 

Finn fühlte sich hundeelend, er spürte wie sein Herz gegen den Brustkorb hämmerte, wie jeder dieser Schläge in Kopf und Bauch widerhallte.

Ihm war kalt, dennoch schwitzte er wie verrückt. Seine Kleidung klebte bereits unangenehm am Körper und seine Haare fühlten sich feucht im Nacken an. Er kramte einen Haargummi aus seiner Hosentasche hervor und band sie zusammen. Von sich selbst angewidert fuhr er sich mit der rechten Hand über den Nacken und wischte sich den feuchten Film an der Hose ab. Ihm fielen dabei seine bläulichen Fingerspitzen auf.

Das war neu. Er hatte sich noch nie derart krank gefühlt. Zittrig ballte er seine Hände zu Fäusten um die Durchblutung anzuregen was aber nur einen kurzen Effekt zur Folge hatte.

Müde ließ er sich auf den Stuhl in der Umkleidekabine sinken, versuchte die Druckpunkte zu finden um seinen Kreislauf wieder in Ordnung zu bringen. Das funktionierte nur bedingt und hatte lediglich zur Folge, dass ihm nun auch noch eine heftige Übelkeit zuzusetzen begann. Er beugte sich nach vorne um das lähmende Gefühl sich übergeben zu müssen in den Griff zu bekommen. Der Würgereiz und der Geschmack der Galle in seinem Rachen ließen ihn sich vergeblich nach einem geeigneten Gefäß für den Inhalt seines Magens umsehen. Er schluckte Galle und Speichel, der sich im Übermaß zu produzieren schien und konzentrierte sich auf sein Atemtraining. Eine gefühlte Ewigkeit später beruhigte sich sein Körper und Finn lehnte sich vorsichtig an die Kabinenwand. Er legte den Kopf in den Nacken und sah in das grelle Licht nach oben, langsam schloss er die Augen und genoss die momentane Beschwerdefreiheit.
 

„...to. Kaito!“ Erschrocken öffnete er die Augen, nur um sie aufgrund der Helligkeit schnell wieder halb zu schließen. Brad stand in der Tür um ihn einer kritischen Musterung zu unterziehen. Das was ihm geboten wurde schien ihm nicht zu gefallen so gewittrig wie dessen Stirn gefurcht war.

„Du wartest hier“, wurde er angewiesen und Finn fühlte sich noch elender. Wollte er nicht eine Entlastung für den Hellseher sein? Eine Unterstützung auf die er bauen konnte?

Und die viel drängendere Frage war doch: brauchte der Hellseher überhaupt seine Hilfe? Er hatte sich in sein Leben gedrängt und war ihm nur eine Last. Das was Finn gewollt hatte war so nicht eingetreten. Gar nichts davon. Kiguchi war gestorben, er selbst weit von seiner früheren Form entfernt, die Kinder getrennt, der Clan nicht zerschlagen, Rosenkreuz auf dem Vormarsch...
 

Zwischenzeitlich hatte Finn nicht viel zu tun, er hing seinen trüben Gedanken nach und kam zu keiner schnellen Lösung um der Vielzahl von Problemen Herr zu werden. Ihm drängte sich immer mehr der Gedanke auf, dass er keine Lust mehr hatte. Was wäre es schön mit Brad auf eine einsame Insel abzuhauen und sich nur um sie beide kümmern zu müssen. Um ihr Verhältnis zueinander – so es denn eins geben würde...

Er neigte den Kopf zur Seite und traf auf sein Spiegelbild. Sein Gesicht wirkte fahl und einige schwarze Strähnen hingen wie traurige Kontraste um sein Gesicht herum. Er schwitzte und mit Sicherheit begann dieser Schweiß langsam unangenehm zu riechen.

Nie waren ihm sein Auftreten und sein Aussehen offenbar gleichgültiger gewesen als in der Nähe des Amerikaners. Als ihm das bewusst wurde verzog er das Gesicht zu einem ironischen Lächeln. Vielleicht lag es daran? Fand Brad ihn nicht mehr attraktiv genug? Oder war es nur weil er bisher nur Ärger gemacht hatte? Weil er zu schwach war um ihm nützlich zu sein.
 

Es dauerte bis Brad zurückkam. Finn hob die Lider einen Spalt breit und sah nur verschwommen dessen Beine, die in diesem fantastisch aussehenden Anzug steckten. Die Schuhe gefielen ihm. Finn schloss nach dieser Bestandaufnahme die Augen wieder.

Die körperliche Erschöpfung wollte ihn mit aller Macht in den Schlaf ziehen, als er das bemerkte öffnete er sie schnell wieder. Brad stand nun vor ihm.

„Du siehst krank aus, Kaito.“

Die Worte kamen mit der für ihn so typischen Gefühlskälte aus dem Mund des Amerikaners, aber die Berührung der Hand an seiner Wange löste wärmende Geborgenheit in ihm aus. Kaito ließ seinen Kopf in dieses Gefühl fallen und schloss die Augen wieder.

„Mir geht’s nicht gut. Tunnelblick“, flüsterte Finn.

„Sieht danach aus als müsste ich einen Krankenwagen rufen.“

Eine schlichte Feststellung die Finn die Augen komplett öffnen ließ. Er hob eine Hand und legte sie auf das Handgelenk welches zu der Hand gehörte die immer noch seine Wange hielt. „Nein.“

Er packte das Handgelenk fester und machte Anstalten sich aufzurichten. Schwindel erfasste ihn wieder und er verhielt einen Moment. Brad ließ ihm Zeit und sich jeden Laut verbietend stand er mit seiner Hilfe auf.

Sie gingen in angemessenem Tempo zum Wagen und Finn ließ sich in den Beifahrersitz fallen. Erneut senkten sich seine Lider und er schloss das grelle Licht des Tages aus. Er bekam nur am Rande mit wie Brad ihn anschnallte. Retrospektiv betrachtet war es also doch nicht gegangen....
 


 

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Brad ließ den Wagen an und fuhr aus dem Parkhaus. Der schnellste aber längere Weg nach Hause würde über die innerstädtische Autobahn führen die mit einer moderaten Geschwindigkeitsbegrenzung aufwartete.

Er stellte das Radio aus und betrachtete sich Asugawa hin und wieder während er sich in den laufenden Verkehr einfädelte.

Der Anblick des Mannes in der Kabine hatte ihm erneut aufgezeigt wie sehr er sich von ihm beeinflussen ließ. Er wollte keine Nähe zulassen, oder sie auf ein Minimum des Notwendigen begrenzen, was ihm aber nicht zu gelingen schien. Ganz im Gegenteil tat er Vieles um ihn in seiner Nähe zu wissen. Er hätte ihn Schuldig überlassen können, aber er hegte die Befürchtung dann nicht mehr genügend Kontrolle über die Situation zu besitzen.

Wie er sich vertrauensvoll in seine Hand begeben hatte war für Brad ein überraschend intensiver Moment gewesen. Es war ihm schwer gefallen ihn zu unterbrechen.

Er wusste um seine Schwäche, denn Menschen die ihm vorbehaltlos vertrauten zogen ihn magisch an.
 

Er wies den Bordcomputer an Schuldigs Nummer zu wählen, der ging auch sofort ran.

„Probleme?“

„Nicht wirklich.“

Was hieß, dass er Schuldig aus seinem Kopf heraushalten konnte, vor allem weil dieser nicht wusste wo genau Brad unterwegs war.

„Wir kommen zurück. Asugawa ist zusammengeklappt.“

„Warum bringst du ihn nicht in die Klinik?“

Brad wollte aus verschiedenen Gründen diesem Vorschlag nicht nachkommen. Er wollte keinen außer Nagi in der Klinik haben, das würde die kommende Lage nur komplizierter machen als sie ohnehin werden würde. Wobei...

„Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Kluft zwischen den beiden Kawamoris und dem verlorenen Sohn überwunden wäre.“

„In Bezug auf?“

„Es herrscht eine gewisse emotionale Distanz zwischen den beiden.“

„Das ist nicht verwunderlich.“

Schuldig schnaubte.

„Warum gehst du darauf ein? Du bezahlst ihn dafür, dass er Asugawa behandelt, wenn er es denn nicht freiwillig tut. Was ich stark in Zweifel ziehe.“

„Der Doc ist mir hierbei nicht wichtig.“

„Du willst Asugawa vor seinem Vater schützen?“

„Ich vermeide lediglich einen Interessenkonflikt.“

„Welcher Interessen? Deiner?“ Schuldigs Worte hörten sich geradezu hoffnungsvoll an. Brad wusste in der Tat nicht warum das so war.

„Ich traue diesem Mann nur bedingt. Ich glaube ihm, dass er es bereut seinen Sohn an Chiyo abgetreten zu haben, aber er hat wenig dafür getan um diesen Umstand zu verändern.“

„Du kaufst ihm sein Rumgeheule nicht ganz ab“, sagte Schuldig.

„Nicht im Geringsten. Er verschweigt uns immer noch etwas und das so gut, dass selbst du ihm nicht dahinter kommst.“

„Ich habe ihn gelesen, allerdings nur das was uns brennend interessiert hat.“

„Und das ist der Knackpunkt an der Geschichte.“

„Du bist scheinbar über das familiäre Verhältnis zwischen dem Doc und Asugawa gestolpert.“

„Und habe dabei nicht weiter nachgeforscht.“

„Weil es deine Neugier für den Moment befriedigt hat.“

„Du unterstellst ein absichtliches Ablenkungsmanöver?“

„Ein auf dich zugeschnittenes noch dazu.“

„Kann sein. Soll ich den Doc noch einmal lesen?“

„Nein, solange Nagi dort ist halte ich das für zu unsicher.“

„Aber du lässt Nagi dort und verweigerst Asugawa Hilfe von diesem Arzt weil du diesem nicht gänzlich traust?“ Unglaube waberte durch Schuldigs Stimme.

„Ich habe meine Gründe.“

Schuldig schwieg einen Moment. Er hörte wie der Telepath tief einatmete als müsse er jemandem der schwer von Begriff war eine Tatsache zum wiederholten Mal erklären.

„Brad sag doch einfach, dass du nicht willst, dass ein anderer Mensch ihn anfasst oder ihn auch nur ansieht. So etwas nennt man dann Eifersucht und Verlustangst, oder auch Besitzgier. Hast du Angst, dass er sich seiner Familie zuwendet und sich darauf besinnt, dass es besser wäre zu Vater und Bruder zurückzugehen als dich vergeblich anzuhimmeln und sich deiner Launen und Gefühlskälte auszusetzen?“

„Du hast so ein Glück, dass wir nur telefonieren“, presste Brad zwischen den Zähnen hervor.

„Hör ich da ein Zähneknirschen?“

„Mir zu unterstellen ich hätte Launen, Schuldig, ist eine äußerst lachhafte Behauptung.“

„Aber eine gewisse Gefühlskälte ist nicht ganz so abwegig?“

Brad meinte eine andere Stimme zu vernehmen, die davor warnte ihn weiter zu reizen. Das konnte nur Fujimiya gewesen sein – Schuldigs Außenstelle für Vernunft.

Brad sah zu Asugawa hinüber, der schien von dem absurden Gesprächsverlauf nichts mitzubekommen. Es barg eine trügerische Sicherheit in der Nähe eines Spions zu glauben dass dieser schlief. Brad lächelte schmal über diesen Gedanken und richtete seinen Blick wieder nach vorne.

„Beurteilst du meinen Charakter nachdem was ich wie und wann äußere?“

„Nein. Durch deine Taten, oh großes Orakel“, salbte Schuldig seine Worte mit einer geradezu lächerlich unterwürfigen Färbung.

„Und welche Taten weisen mich ihm gegenüber als Gefühlskalt aus?“

Schuldig schien zu überlegen und das lange. Auf Brads Gesicht erschien ein ironisches Lächeln.

„Naja... du hast ihn in den Keller gesteckt, da unten ist es... ungemütlich.“

„Ich habe dir erklärt warum das nötig war. Weitere Gründe?“

„Ach keine Ahnung“, platzte Schuldig dann der Kragen, der Telepath hörte sich erneut ungeduldig an. „Fick ihn doch endlich!“

„Geschlechtsverkehr ist nicht die Lösung für jedes Problem“, erwiderte Brad ungerührt über diesen Lösungsvorschlag.

„Es würde seine...momentane Verfassung nur verschlimmern.“

„So ein Quark. Durch was denn bitte?“

„Durch den falschen Eindruck, den eine körperliche Annäherung dieser Art hervorrufen würde.“

„Körperliche Annäherung?“, fragte Schuldig eindeutig angewidert von dieser Umschreibung.

Brad knurrte ungehalten. „Schuldig, Sex würde das falsche Signal senden, geht das in deinen lustorientierten Schädel endlich rein?“

„Welches Signal denn? Dass du scharf auf ihn bist? Dass du ihn kaum ansehen kannst ohne ihn verschlingen zu wollen? Du bist so voller Zorn, und Wut auf ihn und gleichzeitig willst du ihn dir greifen, ihn in die nächste Wand ficken. Du willst ihn würgen und ficken gleichzeitig. Brad du willst sein Inneres nach außen kehren...du...willst alles von ihm, denn...“

„Sei still. Ich verstehe was du mir sagen willst. Und es heißt an die Wand ficken, nicht in die Wand ficken“, unterbrach ihn Brad mit einem sardonischen Lächeln.

Schuldig schnaubte.

„Ich meinte IN die...“, fing Schuldig dann an. „Lenk nicht ab, Brad!“, bemerkte Schuldig die nur zu offensichtliche Finte. Zu schade, dass Schuldig sich dadurch nicht von dem eigentlichen Thema ablenken ließ. Er wusste um sein Unvermögen positive Gefühle zuzulassen oder sie so zu zeigen, dass der Verursacher diesen Umstand für sich verbuchen konnte.

„Ist Fujimiya in deiner Nähe?“, fragte er Schuldig.

„Nein. Er ist raus zu Kudou. Warum?“, fragte dieser unwirsch.

„Hat die Empathie seit Osaka das nächste Level erreicht?“

Für einige lange Augenblicke war es still zwischen ihnen.

„Ich...ich... bin mir nicht sicher“, holperte Schuldig die Worte hervor und Brad ahnte Unsicherheit in dem Mann aufkommen. Seine Empörung von vorhin war wie weggeblasen.

„Was fühlst du in Asugawas und meiner Gegenwart?“

Schuldig ließ sich Zeit mit der Antwort.

„Ähm... ich weiß nicht ob es Gedanken sind, ob ich Gestik und Mimik interpretiere oder ob es tatsächlich empathische Signale sind.“

Brad schwieg, seine Frage war noch nicht beantwortet und Ausflüchte würden dem plötzlich hasenfüßig gewordenen Mann jetzt nicht zur Flucht verhelfen.

Doch vielleicht war es keine Feigheit von Schuldig sondern der Mangel an der Fähigkeit, dass was er mit der Empathie aufzunehmen schien in Worte zu fassen.

Jei sah Farben, vielleicht war es bei Schuldig anders.

„Beschreib es mir“, forderte er deshalb.

Schuldig seufzte geplagt auf und Brad schmunzelte.

„Sexuelle Lust auf beiden Seiten. Deine grenzt an Besitzgier, seine zeigt sich mir sinnlicher. Deine ist scharfkantig, gerade und seine sehr verschlungen, vielschichtiger. Während bei dir nur eine Ebene vorhanden ist sind es bei ihm viele.“

„Ebenen?“

„Keine Ahnung, ich kann es nicht anders sagen. Brad, das sind keine visuellen Eindrücke eher sensorische, allerdings gekoppelt mit meinen kognitiven Fähigkeiten. Als würde sich etwas anderes als mein telepathisches Verständnis nach einem anderen Individuum ausstrecken, es ist eine Art Auflagerung.“

Brad spürte Ärger in sich.

„Brad... kann auch sein, dass ich es projiziere, ich weiß es nicht. Was ich weiß ist, dass es zwischen euch heftig knistert.“

„Eine Projektion deiner Gefühle für Fujimiya auf uns?“

„Kann sein.“

„Dann stell es ab. Eine Beeinflussung durch einen ungeübten Empathen mit höherklassigen telepathischen Fähigkeiten ist gefährlich. Es würde dich destabilisieren.“

„Wenn ich wüsste ob es das ist würde ich es abstellen, zumal ich keine Ahnung hätte wie ich es anstellen sollte. Wir reden hier über eine Möglichkeit, Brad.“

„Kann Jei dir weiterhelfen?“

„Das bezweifle ich. Er kann sich selbst nicht abschirmen, wie soll er mir dabei helfen etwas bewusst zu steuern?“

Brad schwieg.

„Überprüf die Systeme“, wechselte Brad das Thema.

„Ja, sicher doch“, meinte Schuldig über diesen Wechsel wenig erbaut.

Brad unterbrach die Verbindung und streifte dabei mit einem Blick die zusammengesunkene Gestalt neben sich. Wenn Asugawa in der Klinik war, wie hoch lagen dann die Überlebenschancen von Nagi?

Vielleicht im gesunden Zustand, nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Er wäre ein weiteres Opfer. Und er war nicht bereit noch jemanden den Hunden zum Fraß vorzuwerfen. Nicht ihn. Strategisch gesehen wäre es ein billiges Opfer, da er kaum in der Lage war zu kämpfen, er war nutzlos für sie im Augenblick.

Nagis Vergangenheit und sein Status verhalfen ihm zu einer Überlebenschance. Asugawa hatte diese nicht.

Persönlich gesehen wäre dieses Opfer nicht nur unnütz sondern in seiner eigenen Moralvorstellung nicht hinzunehmen. Der Mann war krank und Brad konnte nicht einschätzen ob es die Auswirkungen der fehlenden Substanz war oder die Verletzungen der letzten Tage die ihm zusetzten.

Ein Opfer und einen Verlust konnte er hinnehmen, jede weitere Schwächung ihrer Gruppe käme einer möglichen Kapitulation sehr nahe. Und soweit war es noch nicht. Sie hatten ihn in dieses Spiel gezwungen, selbst Schuldig wollte auf die große Bühne, hatte dabei aber nicht bedacht wie hässlich es werden würde. Er würde die Verluste so gering wie möglich halten, aber ob es reichen würde?
 

Brad brauchte über eine halbe Stunde um am Grundstück anzukommen und den Wagen in die Garage zu fahren.

Er stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür. Schuldig kam gerade in die Garage als er den Gurt öffnete und Asugawas Beine aus dem Auto hob. „Er ist richtig zusammengeklappt?“

„Nein. Aber er war nahe dran. Er war wohl weniger bereit für einen Ausflug als ich dachte“, gab Brad zu.

„Kunststück, die letzten Tage waren für unseren Spion kein Zuckerschlecken gewesen. Die Schnitte von Kudou sind frisch, dazu die Verletzungen die diese kranke Tussi von Sin ihm beigebracht hat und das fehlende Zeug...“

Brad brummte etwas Zustimmendes, aber für Schuldig hörte es sich eher grimmig an. „Brad... das war erst vor Kurzem gewesen!“, fühlte sich Schuldig bemüßigt, diesen Punkt noch einmal zu verdeutlichen.

Schuldig sah zu wie Brad nach dem Puls tastete. „Zu schnell“, sagte er.

„Höre ich da Besorgnis?“

Schuldig konnte es nicht lassen den Amerikaner zu ärgern, doch dieser schien seine Worte entweder nicht gehört oder einfach ignoriert zu haben. Offenbar war er besorgt, auch wenn sich Brads Stimme wie so oft unterkühlt anhörte. Schuldig hatte gelernt zwischen den Zeilen zu lesen.

Zügig öffnete Brad die Anzugjacke, das schwarze Hemd war feucht. „Die Verbände sind durch und er schwitzt, er ist eiskalt. Das Hemd ist klatschnass.“

„Bring ihn rein, ich komm gleich nach“, sagte Schuldig versöhnlich und ging zum Kofferraum um ihn zu öffnen.

Brad richtete Asugawa auf und hob ihn vom Sitz. Sein Kopf fiel teilnahmslos auf Brads Schulter, der linke Arm glitt nach außen weg. Schuldig sortierte im Vorbeigehen diesen auf Asugawas Schoß und Brad trug ihn ins Haus.
 

Vom Flur aus kam ihnen Ran mit einem Küchentuch auf der Schulter entgegen.

Er sah Brad und Asugawa nach. „Nicht in den... “, brüllte Schuldig den beiden nach, verstummte dann aber, als er sah wie Brad nach unten in den Keller abbog.

„Unbelehrbar“, nuschelte Schuldig, bevor er Ran einen Kuss auf die Schläfe gab, da dieser schon wieder ein finsteres Gesicht zog. Unwetterwarnung der höchsten Stufe war das für Schuldig. „Was hat er mit ihm gemacht?“, kam auch schon der erste Ausläufer daher.

Schuldig wähnte sich in der Pflicht der Schadensbegrenzung.

„Nichts, Asugawa ist in einem Laden halb zusammengeklappt, war wohl doch nicht so fit wie wir dachten.“

Schuldig stellte die Papiertüten auf dem Esstisch ab.

„Er kann es gut verbergen, wenn sein Vater noch nicht einmal etwas davon mitbekommen hat.“

Ran ging wieder zum Herd um die Temperatur zu regulieren.

„Er hat uns beiden weisgemacht er sei eine scharfe Frau auf ellenlangen Beinen und hat mit Brad auf Teufel komm raus geflirtet. Klar kann er jedem alles vormachen, wenn er will.“ Schuldig lugte in die Tüten.

„Für dich ist wohl nichts dabei, hmm?“ Ran klapste ihm auf den Hintern und lehnte sich an ihn.

Schuldig spürte Rans Sehnsucht nach körperlicher Nähe bereits seit Tagen, er suchte sie nur viel zu selten derart Offensiv wie jetzt. Viel zu schweigsam war er selbst wenn sie nur zu Zweit waren.

„Nein, leider nicht“, sagte Schuldig mit hängenden Mundwinkeln. „Ich bring die Klamotten mal runter...’, verkündete er dann mit plötzlich besserer Laune.

„Mach das später, lass die beiden allein. Crawford steht drauf angeschlagene Männer zu pflegen.“

Schuldig grinste und hob stattdessen Banshee hoch, der das gar nicht zu gefallen schien, wie sie ihre Krallen nach ihm ausstreckte.
 

Brad legte Asugawa auf dessen Bett und begann damit ihn auszuziehen. Diesem Mann wieder so nahe zu kommen und ihn derart willenlos auf diesem Bett liegen zu haben war für ihn erneut eine Belastungsprobe.

Es erinnerte ihn viel zu sehr daran wie er ihn fast nackt an sich gespürt hatte kurz nachdem er Superbia ins Jenseits geschickt hatte. Diese Augen die tiefschwarz vor Lust ihn in seinen Bann gezogen hatten...

Brads Hand lag an der blassen Wange und er zog seinen Daumen von den trockenen Lippen, sowie er bemerkte wie er darüber streichen wollte.

Er wollte so viel mehr tun als nur über diese samtige jetzt kühle Textur zu streichen. Diese Lippen waren...

Er atmete tief durch, riss sich von dem verführerischen Anblick los und stand auf um den Raum in Richtung ihres kleinen Waffenarsenals zu verlassen. Dort angekommen öffnete er die Paneele und zog zwei Aluminiumkoffer hervor.

Damit ging er zurück zu Asugawa. Rasch zog er ihn aus und sah zu wie sich sofort eine Gänsehaut über den Körper ausbreitete. Finn bewegte sich unruhig, wachte aber nicht auf.

Als er ihn ausgezogen hatte und bemerkte wie er erneut in der Betrachtung der Haut versank und die Schriftzeichen berührten wollte, riss er sich von dem Anblick los und hob die schmutzige Kleidung auf. Selbst der Kragen der Jacke war feucht, die Haare im Nacken waren nass geschwitzt.
 

Er ging ins Badezimmer im Erdgeschoss, ignorierte Schuldigs neugieriges Gesicht im Flur und wurde Tsukiyono gewahr der gerade das Haus mit zwei Farbeimern betreten hatte und auf die Treppe zusteuerte. Er musste endlich mit dem Jungen über ein paar grundlegende Dinge reden. Und er musste sich eine Endlösung für dieses Problem einfallen lassen...
 

Im Badezimmer öffnete er einen der Schränke und zog eine Plastikwanne hervor. Diese füllte er mit warmem Wasser und nahm einige Waschlappen und Handtücher mit sich. Sämtliche Schränke waren im Haus in die Wände integriert und lediglich mit Glas oder Holzpaneelen zu schließen. Das ersparte ihnen bei einem Umzug Schränke auseinanderbauen zu müssen. Und es verschaffte zusätzlichen Raum. Er liebte dieses Haus, es aufzugeben würde ihm schwer fallen.

Zurück bei Asugawa öffnete er die Koffer, und begann zunächst die feuchten Verbände abzulösen, die Nahtstellen waren in Ordnung vom Punkt abgesehen, dass zu viel Feuchtigkeit über ihnen lag.

Brad setzte sich neben Asugawa, beugte sich über ihn und drehte das Gesicht zu sich. Sanft wusch er Asugawa den Schweiß von der Stirn, strich ihm mit den Fingerspitzen die Haare zur Seite. Lange, dunkle Wimpern lagen auf der blassen Haut.

War es nur ein dämlicher Zufall gewesen, der sie in diesem Café aufeinander treffen hatte lassen? Nur ein Zufall, dass sie nebeneinander gesessen hatten? Nur ein Zufall, dass das Mädchen sein Eis ausgerechnet auf seiner Hose verloren hatte?

Brad schmunzelte, während er daran zurück dachte. Dem Gesicht welches in seiner Attraktivität nun vor ihm lag war der Schreck deutlich anzusehen gewesen. Heute wusste er, dass es nicht das Eis auf der falschen Hose der Grund für die riesigen Augen gewesen war.

Er hatte sich diesen Mann aufgrund der Unvereinbarkeit ihrer beider Welten aus dem Kopf geschlagen. Und jetzt hatte sich herausgestellt, dass sie beide in der gleichen Welt zuhause waren. Welche Ausrede hatte er jetzt?

Er kniff die Lippen zusammen und seine Augen ließen das Gesicht aus ihrem Fokus.
 

Er begann seine Arbeit erneut und wechselte die Verbände, wusch Asugawa vorsichtig und ermahnte sich währenddessen nicht ständig in der Betrachtung des einen oder anderen Körperteils zu versinken. Er sagte sich dabei, dass es nur die Schriftzeichen waren die ihn interessierten. Denn...

Brad betrachtete sich eine Sichel genauer. Sie schienen unterbrochen zu sein. Jede Silbe schien wiederholt unterbrochen zu sein. Ein Muster?

Er verbat sich ihn über Gebühr zu berühren, dennoch strich er über eine Sichel am Oberschenkel und zog die Haut dabei leicht auseinander. Was war das für eine Tätowierung?

Einige der Worte, die er entziffern konnte meinte er in ihrer Bedeutung zu erkennen, aber sie wirkten falsch. Was genau falsch daran war konnte er nicht sagen.

Über diesen Punkt nachdenkend deckte er Asugawa mit einer Decke zu und brachte die Schüssel ins Badezimmer zurück um sie zu säubern und zu verstauen.

Sein Weg führte ihn danach in die Küche. „Holst du mir von Jei Kleidung für ihn?“

Schuldig sah auf als er gerade dabei war den Tisch zu decken. „Klar, aber wart ihr nicht gerade einkaufen?“

„Nicht ausreichend.“

Schuldig verzog das Gesicht skeptisch ob dieser dürftigen Antwort.
 

Brad ging wieder hinunter. Er sah sich um. Der Raum, den er Asugawa zugeteilt hatte war karg und staubig und er warf seine Anzugjacke eher achtlos über eines der Regale. Der perfekte Raum für einen Teil seiner Vergangenheit die er besser im Staub gelassen hätte. Aber so war das eben – sie holte einen immer ein ob man wollte oder nicht.

Nur... war es kein Zufall, dass er gerade diesen Raum ausgewählt hatte, es war der perfekte Ort um etwas, dass einem wichtig war zu verstecken.
 

Sein Blick fiel wieder auf Asugawa und er stand so lange dort und betrachtete ihn. Bis Schuldig kam und die nur angelehnte Tür öffnete hatte er seine rechte Hand neu verbunden, die durch die Waschaktion nass geworden war. Die Wunde schmerzte hin und wieder, war jedoch in einem guten Zustand.

Schuldig reichte ihm ein Shirt und eine kurze Schlafanzughose mit Herzchen darauf. Brad hob nur eine Braue, dieses Kleidungsstück gehörte mit Sicherheit nicht Jei.

„Ran hasst sie“, Schuldig zog ein unschuldiges Gesicht und zuckte mit den Schultern.

„Unnötig das zu erwähnen.“

Er erwiderte diese zur Schau getragene Unschuldsmine mit einem Blick in Richtung Tür. Schuldig hob einlenkend die Hände und schlich wieder hinaus.

„Ruf mich wenn das Essen fertig ist“, rief Brad ihm nach und Schuldig winkte nur.
 

Die Tür fiel ins Schloss und Brad ging wieder zum Bett. Asugawa hatte die Beine angezogen und fror augenscheinlich. Nun mit dieser erlesen ausgewählten Bekleidung würde das sicher nicht besser werden. Er fädelte die Arme in das Shirt und zog es ihm dann über den Kopf. Brad hielt Asugawas Kopf im Nacken und als er den Stoff über das Gesicht führte, mit der anderen Hand übernahm, musste Asugawa aufgewacht sein, denn er befand sich im Fokus zweier dunkler Augen die ihn beobachteten. Dann sagte er etwas und Brad verstand die halb verschlafene Stimme kaum. „Was meinst du?“, fragte Brad sich zu ihm hinunterbeugend.

„Aus...zieh..n... nicht an...ziehn...“, murmelte Finn und schloss die Augen wieder. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln.

Brad hob die Augenbrauen. „Ist dir zu warm?“ Hatte er Fieber? Brads Hand tastete über die Stirn und die Brust. Zu heiß fühlte sich der Körper nicht an.

Asugawa seufzte zufrieden als Brads Hand zu seinem Bauch strich und schließlich den Kontakt unterbrach.

Asugawas Hand hielt seine auf, die sich die Hose greifen wollte. „Nicht...geh...“, murmelte er und drehte sich dann auf die Seite als hätte er nichts gesagt. Brad befreite seine Hand und fädelte die Hose über die langen Beine. Dann zog er sie über die Hüfte.

Schwarzer Grund und rote Herzchen in unterschiedlichen Größen, nicht Brads Geschmack. Er deckte den Mann wieder zu, löschte das Licht und verließ den Raum. Danach schloss er die Tür von außen und ging ein paar Schritte bis er anhielt.

Er hatte noch Zeit bis zum Essen. Und er hatte noch Zeit bis er mit Tsukiyono reden wollte. Und Zeit bis sie sich besprechen wollten.

Vielleicht zehn Minuten?

Seine Anzugjacke war noch in diesem Raum. Er sollte sie holen.

Unschlüssig stand er da und schloss für einen Moment die Augen.

Wer würde es schon bemerken?

Er kümmerte sich nur um ihren Gast, der noch verletzt war.

Er hatte eine Verpflichtung ihm gegenüber.
 

Brad ging wieder zurück, er ließ das Licht aus und schloss die Tür. Seine Schritte trugen ihn zu dem Bett, er entledigte sich seiner Schuhe, lupfte die Decke und schob sich hinter Asugawa. Fürsorglich dirigierte er Asugawas Kopf auf seinen Oberarm. Seine linke Hand legte sich behutsam auf die Flanke, von dort kroch sie über die kühle Haut um unter den Körper zu kommen, er hob ihn leicht an und schob ihn etwas zur Seite um mehr Platz auf dem Bett zu haben. Seine Hand strich sanft über den Bauch, die Verbände hinauf bis zur Mitte der Brust dort blieb sie liegen. Ein Schaudern ging durch den Körper und Asugawa drängte sich leicht an ihn, drehte den Kopf um ihm näher zu kommen. Brad bettete sein Gesicht an Asugawas Schopf.

Er schloss die Augen und genoss den unterschwelligen Duft nach Minze, den dieser verströmte. Fujimiyas Shampoo und Finns eigener Geruch waren eine verführerische Kombination. Er zog ihn dichter an sich. Sein Körper reagierte trotz der auferlegten Disziplin auf dieses unbewusste anschmiegen, auch wenn er sich sagte, dass Asugawa nur nach Wärme suchte. Diese konnte er ihm geben.

Die Hitze, die er gerade in sich fühlte würde er nur zu gern mit ihm teilen.

Seine Nase strich über die Schläfe und blieb dort liegen. Brads Augen öffneten sich leicht und mit diesen halb geschlossenen Lidern blieb er liegen, wachte über Asugawa, lauschte den langsam tiefer werdenden Atemzügen und spürte den sich beruhigenden Herzschlag unter seiner Hand nach. Immer noch viel zu schnell, aber nicht mehr ganz so flattrig.

„Wir haben keine Zeit mehr“, sagte er leise. Er sollte ihm ein oder zwei Abschiedsgeschenke geben. Eines, dass Asugawa zu schätzen wusste... eines, das ihm eine Option einen Ausweg bereit hielt.
 


 

o
 


 


 

Sie fanden sich alle zum Essen ein. Zum ersten Mal saßen Schwarz und Weiß an einem Tisch und es ging hoch her. Brad sah sich das Spektakel, das Tsukiyono mit Kudou veranstaltete mit einem Stirnrunzeln an. Irgendwann kamen sie dann zu einer Diskussion über den Clan, wenig produktiv befand Brad, der eher auf konstruktive Besprechungen stand als sinnloses und ineffektives Geplänkel während des Essens. Er hielt sich raus.

Seit er aus dem Keller gekommen war fühlte er sich viel zu entspannt, als dass ihn irgendetwas im Moment negativ belangen konnte.

„Hast du etwas von Manx gehört?“, fragte Fujimiya dazwischen, an ihn gerichtet. Der Japaner saß neben Eve, die sich gerade etwas Suppe nachholte und an den Herd trat.

Brad dachte über die Frage nach. „Nein. Sie hätte sich längst melden sollen.“

„Wo ist diese Mistratte Asugawa?“, fragte Kudou, der ihre Ankunft nicht mitbekommen hatte. Entgegen der Worte, war die Färbung der Frage weit weniger gehässig.

„Er schläft“, beeilte sich Schuldig. „Und... Blondie, bevor du fragst, ja er ist hinüber... und ja... wir gönnen ihm die Auszeit.“

„Schon gut, schon gut...“, lenkte Kudou ein und stopfte sich seine Nudeln in den Mund.

„Ich frag ja nur“, brabbelte er mit halb vollem Mund. „... weil ich immer davon ausgegangen bin, dass ein Gefangener von Schwarz weit weniger Nachsicht zu erwarten hätte.“

„Wir machen keine Gefangenen“, sagte Brad.

„Und was ist er dann?“

„Freier Mitarbeiter?“, bot Schuldig an.

Omi schnaubte. „Er hat Nagi dazu getrieben sich zu verausgaben...“, fing er an.

„Naoe hat das selbst zu verschulden“, berichtigte Brad.

Keiner hielt dagegen. Omi schien noch nicht fertig zu sein.

„Und was war mit Schuldig und China? Er wäre beinahe draufgegangen. Und jetzt ist alles verziehen?“

„Er wird eine Woche den Hausputz übernehmen, das wird ihn lehren etwas sorgfältiger in seiner Planung vorzugehen“, gab Ran den Oberlehrer und sah Omi mit diesem speziellen Blick an, der ihm sagen sollte, dass er es gut sein lassen sollte und er zu wenig von der Thematik wusste um darüber reden zu können.

Omi sah die Älteren am Tisch an und wurde sich des Gedankens nicht erwehren, dass sie tatsächlich mehr wussten als Nagi und er.

„Was ist passiert während wir beim Doc waren?“

Schuldig wollte gerade antworten als Brad ihm dazwischen fiel, er klappte den Mund wieder zu.

„Das besprechen wir später.“ Er erhob sich und ging hinüber zu den Schränken, er holte eine Schale heraus und stellte sie auf einen der freien Plätze. Kurz darauf erschien eine abgerissene Gestalt im Türrahmen. Alle Augen richteten sich auf die traurig ins Gesicht hängenden Haare, auf das müde wirkende zerknautschte Gesicht und auf die Shorts.

Schuldig erfuhr einen bösen Klapps auf den Hinterkopf von seinem persönlichen Folterer zu seiner Linken. Ein wimmernder Klagelaut löste sich aus seinem Mund und verließ seine Lippen.
 

„Gehört das Teil dir?“, flüsterte es zerbrochen über die blassen Lippen des Mannes, der immer noch im Türrahmen stand. Lasziv, dahingegossen, zum Anbeißen, befand Schuldig. Irgendwie war dieser Mann – neutral betrachtet - eine permanente Versuchung. Wie konnte Brad da nur widerstehen?

Schuldig korrigierte seine Gedanken als er eine Hand auf seinem Oberschenkel spürte die ihn warnend drückte. Oha, da hatte wohl jemand Lunte gerochen. Sein Daumen hob sich und zeigte hinter sich. „Seine“, erwiderte er verspätet auf Asugawas Frage. Vielleicht lehnte Asugawa doch nicht lasziv am Türrahmen, aber er hatte eben eine unnachahmliche Art sich in seiner Umgebung zu bewegen, die irgendwie katzenhaft und weder hölzern noch typisch aufgesetzt wirkte. Er sah einfach überall... zum Anknabbern aus.
 

„Setz dich“, kam es kühl von Crawford und alle sahen zu ihm, sodass Schuldig das Gefühl überkam die Temperatur würde gerade um ein paar Grad nach unten fallen. Er musste etwas gegen diese unangenehme Stille tun, die sich ausgebreitet hatte und fing damit an Tsukiyono und Kudou auf die Nerven zu gehen. Ran ließ es zu, da er wohl die Maßnahme für ebenso angebracht hielt. Er stand auf und stellte Asugawa eine Flasche Wasser und ein Glas hin.

Brad füllte die Schale mit der Miso und stellte sie Asugawa hin. Schuldig reichte ihm ein Paar Essstäbchen. Finn bedankte sich im Stillen für das Mahl und fing unter den auf ihn gerichteten Augen an langsam zu essen. Er fühlte sich extrem unwohl unter diesen Blicken, erwiderte sie aber nicht. Er aß still vor sich hin und irgendwann nahmen sie die Gespräche wieder auf und schienen das Interesse an einem müden Mann zu verlieren, der seine Suppe in Zeitlupengeschwindigkeit aß. Selbst das machte ihn müde. Er hörte ihren Theorien über den Clan nur mit halbem Ohr zu, viel zu interessant fand er das Essen, das in Schalen und Platten vor ihm stand.

Sehnsüchtig sah er auf die leckeren Nudeln, mit dem Fleisch und dem Gemüse. Und da waren auch noch Wan-tan...

‚Hey, was ist los, Herzchen?’, erdreistete sich Schuldig, während er seine Nudeln in sich schaufelte.

Finn ignorierte die Anspielung auf seine Beinbekleidung.

‚Ich hab Hunger’, jammerte Finn und schielte zu Schuldig und dessen riesig erscheinenden Nudelberg.

‚Dann iss.’

‚Ich bin zu müde.’

‚Du bist ziemlich hinüber und... gierig.’

Finn trank einen Schluck der Suppe. Sie war sehr schmackhaft und sie tat ihm gut. Trotzdem sah er... gierig auf den Nudelberg, den Schuldig gerade dezimierte. Er hatte das Gefühl seit einer kleinen Ewigkeit nichts Ordentliches mehr gegessen zu haben.

Schuldig linste zu Brad, der sich gerade wieder setzte. ‚Hey Großer, dein Fohlen hat Kohldampf, ist aber zu fertig um sich die Nudeln einzuverleiben...’

Schuldig grinste.

‚Und was soll mir das jetzt sagen, Schuldig?’

‚Was habt ihr im Keller gemacht?’

‚Nichts.’

‚Du warst lange dort unten.’

‚Die Erneuerung der Verbände hat einiges an Zeit beansprucht.’

‚Glaub ich nicht.’

‚Ist mir egal.’

‚Huch, so nachsichtig mit mir und meiner Neugierde?’

Schuldig war ehrlich erstaunt.

‚Sag ihm er soll bei der Suppe bleiben, wenn er heute Abend nicht mit dem Kopf dauerhaft über einer Toilettenschüssel hängen möchte.’

Schuldig richtete es Finn aus und dieser verzog traurig einen Mundwinkel. Das hatte er befürchtet. Aber wenigstens hatte er durch einen Hellseher Gewissheit, dass es so kommen würde. Ein tröstlicher Umstand.

Nach und nach zerstreuten sich alle wieder, Schuldig und Ran hatten wohl das Küchenregiment übernommen, also begannen sie abzuräumen, während Finn immerhin bei seiner zweiten Portion Suppe war.

Von irgendwoher hörte er Gelächter und das Plätschern von Wasser. Musik wurde laut und Finn vermutete den Rest der Meute am Pool.
 

Brad hörte es auch, beschloss aber den Teams eine Auszeit zu gönnen. Heute Abend würde es ohnehin ein Ende haben und morgen würden sie ein paar Dinge, die sie besprechen würden in die Tat umsetzen.

Brad saß weiter am Tisch und beobachtete Asugawa. Er hätte das Stunden lang tun können, wie ihm auffiel. Es beruhigte ihn zu wissen wo dieser Mann sich herumtrieb. Am besten in seiner Nähe und am besten so handzahm wie jetzt. Seine Gesichtsfarbe war immer noch blass, sah aber nicht mehr ganz so fahl aus.
 

Finn hatte unterschätzt wie aufreibend es sein konnte von diesen schwefelgelben Augen beobachtet zu werden. Warum trug er nicht diese braunen Kontaktlinsen? Der simple Akt der Nahrungsaufnahme konnte verdammt anstrengend werden wenn dieser Mann einen im Visier hatte.

Finn räusperte sich unwohl. „Hast... hast du nicht etwas zu tun?“, fragte er als die Stille endlich durch Schuldigs und Fujimiyas verbalen Schlagabtausch abgelöst wurde. Schuldig hatte wohl etwas verbrochen, was geahndet werden musste. Finn hatte nicht alles mitbekommen, da er zu sehr damit beschäftigt war, diesen sezierenden Blick auszuhalten. Wie es wohl war wenn diese dämonischen Augen seinen nackten Körper betrachteten? Er wusste nicht ob er diesem Blick lange standhalten würde.

Nachdem er Superbia über die Klinge springen hatte lassen, war er so aufgeputscht gewesen, dass er sich darüber kaum Gedanken gemacht hatte, jetzt jedoch in der Normalität des Alltäglichen schlug sein Herz einen Tick zu schnell wenn er in diese Augen sah.

„Nein, habe ich nicht.“

Brads Mundwinkel verzogen sich zu einem gemeinen, wissenden Lächeln.
 

Finn trank gerade den letzten Rest seiner Suppe leer, ließ dabei den anderen nicht aus den Augen. Dieser wusste offenbar genau was er in ihm anrichtete.

Das schwarze Haar fiel dem Hellseher leicht in die Stirn, das linke Auge wurde durch eine der dunklen Haarsträhnen geteilt und wirkte darum nur umso dämonischer auf ihn. Finns Gedanken drohten in eindeutig sexueller Absicht abzudriften.

Er erinnerte sich an den Geschmack seiner warmen Haut, die den Teint eines Südländers besaß. Lateinamerika vielleicht? Dazu dieser fantastische Körper, den nur ein Mann haben konnte der regelmäßig mehrere unterschiedliche Sportarten pflegte. Kickboxen, wie er schon am eigenen Leib erfahren durfte. Und Laufen... oder doch Schwimmen, wenn er den Schultergürtel betrachtete, der sich unter dem Hemd abzeichnete. Wieso trug Brad nur gerade jetzt dieses perfekt sitzende weiße Hemd? Finn unterband ein leises Seufzen und sah wieder in seine leere Schüssel hinein. Seine Hände hatte er aus einem guten Grund in seinen Schoß gelegt, denn dort regte sich bereits ein sichtbares Zeichen seiner Begierde nach diesem Mann.

Begierde? Pah, das war eindeutig reine Gier, mach dir doch nichts vor, meckerte er sich selbst an.

Du kannst doch kaum mehr atmen in seiner Gegenwart. Du willst dich ihm mit allem was du hast entgegenwerfen und hoffst dabei noch während du abhebst dass er dich auffängt. Wider besseren Wissens. Du wirst ins Leere springen und tief fallen.

Finn seufzte unterdrückt über so viel Selbstmitleid und kaschierte diesen laut gewordenen langen, tiefen Atemzug mit einem Räuspern. Das hörte sich selbst in seinen Ohren frustriert an.

Diszipliniert wie er war hatte er zwar nicht seine Gedanken, aber dieses verräterische Stück in seinem Schritt gut unter Kontrolle, auch wenn es im Augenblick einen hinterhältigen Aufstand probte.
 

Die Sehnsucht diesen Mann näher zu kommen war ungebrochen, ihn nicht berühren zu können war schmerzhaft.

Wenn das hier alles so weiter geht sterbe ich noch an gebrochenem Herzen, dachte er geplagt.

Nachdem er Superbia getötet hatte war es so einfach gewesen zu ihm zu gehen und ihn für sich zu beanspruchen, doch jetzt schien es unüberwindbare Barrieren zu geben. Alle in diesem Haus hatten ein Auge auf ihn. Wie konnte er es sich erlauben dem Hellseher näher kommen zu wollen? Seine übliche Masche um jemanden zu verführen wagte er nicht abzuziehen, zumal sie unehrlich war und Brad sie sicher durchschauen würde. Finn wollte keine billige Abwechslung für ihn sein, oder nur jemand bei dem er Druck abbauen konnte. Wenn er sich derart frivol an Brad heranmachen würde, dann war klar was er bekommen würde: Sex. Bestimmt guten Sex, so viel wusste er schon. Nur war es nicht das was er eigentlich wollte.

Das was er wollte...

Er sah wieder hoch in die auf ihn gerichteten Augen.

Er wollte in diesem Blick ertrinken, wollte, dass diese Augen ihn begehrten, dass er der Einzige war, den sie sahen. Wie hatte er all die Jahre im Hintergrund bleiben können? Allein Brads Gefährlichkeit hatte ihn davon abgehalten. Sein Ruf hielt viele davon ab sich dem Hellseher zu nähern.

War er deshalb zu SZ gegangen um nicht die Nachfolge derer anzutreten, die manipuliert, erpresst und getötet worden waren, nur für einen Blick in die Zukunft?

Chiyo hatte ihm damals viele Geschichten der Hellseher und ihrer Schicksale erzählt. Er hatte sich geschworen, dass Brad niemals in Ketten in absoluter Finsternis gehalten werden würde um seine Hellsicht zu verstärken. Brad selbst hatte sich fast unnahbar gemacht. Nur kamen jetzt Rosenkreuzer um ihn zu jagen. Das war eine gänzlich andere Herausforderung und Finn befand das Verhalten des Hellsehers als viel zu ruhig. Er sorgte sich um ihn, um diese Ruhe, die für ihn so falsch wirkte. Wie gerne würde er jetzt aufstehen und um den Tisch gehen, sich zu ihm beugen und ihn küssen.
 

Doch er musste warten bis Brad zu ihm kam. Aber wann würde das sein? Vielleicht nie.

Finn erhob sich umständlich von seinem Platz und kam sich elend vor.
 

„Zieh dich an, wir treffen uns in einer Stunde oben“, sagte Brad und Finn nickte.

Er verließ die Küche und ging in den Keller zurück, er brauchte noch eine Mütze voll Schlaf bis die große Fragerunde anstehen würde. Vielleicht würde er wieder davon träumen, dass Brad bei ihm lag und er sich an diese Wärme schmiegen konnte.
 

Schuldig hatte unterdessen das kleine Blickduell beobachtet und war seiner Arbeit nur abgelenkt nachgekommen, was Ran sehr gestört hatte.

Brad saß noch ein Weilchen am Tisch und trank seinen Kaffee aus.

„Ihn so anzuheizen und dann wegzuschicken scheint dir zu gefallen“, konnte sich Schuldig nicht verkneifen.

„Ist das deine kleine Rache für Sophie?“

„Ich weiß nicht wovon zu redest“, behauptete Brad ernsthaft und stand auf. Er verließ die Küche und Schuldig brummte nur ein „arroganter Arsch“ hinter ihm her.

„Ach, und wenn du es sagst ist es okay?“, fragte Ran müßig und lächelte in sich hinein, während er die Spülmaschine anwarf.

„Naja...“, versuchte sich Schuldig zu rechtfertigen und fing eine lamentierende Argumentation über sein näheres Verhältnis zu Brad an, er konnte sich jedoch des Verdachts nicht erwehren, dass Ran ihm gar nicht mehr zuhörte...
 

Brad ging zunächst zum Pool an dem es sich der Rest der Truppe mit ein paar Getränken gemütlich gemacht hatte. Seine Schwester wurde als erste auf ihn aufmerksam.

„Wir müssen das Grundstück für einen Taifun rüsten, die ersten Ausläufer bekommen wir heute Nacht zu spüren. Es wird gelegentlich heftig regnen. Könnt ihr das übernehmen, ich muss kurz mit Tsukiyono sprechen.“

Eve stimmte zu und Brad trat den Rückzug an.

Er sah im Eingangsbereich Omi auf der Treppe sitzen.

„Ich muss mit dir sprechen. Komm mit“, wies Crawford ihn an und Omi musste seine Wut zähmen um ihn nicht anzuschreien. Omi fühlte sich rastlos und unruhig, weil mit Nagi nichts vorwärts ging. Sie wollten ihn doch abholen und nun?

Und was wollte der arrogante Arsch schon wieder von ihm? Er hatte das Geplänkel zwischen Ran und Schuldig natürlich mitverfolgt. Wie treffend die Aussage von Schuldig doch war.
 

Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch erhob er sich und folgte Crawford in das Zimmer das Nagi und ihm als Koordinatoren zur Verfügung gestellt worden war. Mehrere Monitore spulten ihre Programme zur Entschlüsselung des Kristalls ab und Omi stellte mit einem schnellen Blick fest, dass alles zu seiner Zufriedenheit lief. Der langgestreckte Raum beheimatete im hinteren Teil einen riesigen Tisch an dem alle Platz fanden. Brad ging zu der Fensterfront aus kugelsicherem Glas und sah durch die Lamellen hinunter in den Garten. Omi kam näher und fläzte sich in einen der Sessel vor seinem Hauptrechner.

Nagis spezieller Sessel samt Visus lag seinem Gegenüber.
 

„Was willst du?“
 

Brad ließ sich Zeit mit seiner Antwort.
 

„Ist es so wie du es dir mit Nagi vorgestellt hast?“, fragte er dann und Omi sah mürrisch auf. Der Amerikaner hatte ihm den Rücken zugedreht und er durchbohrte diesen mit einem bösen Blick.
 

„Ach du meinst wir tollen nicht über die mit Blumen übersäte Wiese und halten uns an den Händen während die Sonne hoch vom Himmel strahlt? Ja klar das stört mich schon“, ätzte er.
 

„Ich will eine ernste Antwort.“
 

„Was du willst geht mir am Arsch vorbei, Crawford“, fuhr Omi auf und der Frust über die Situation mit Nagi und seine Besorgnis brachen sich bahn.
 

„Ich will wissen ob du dich nach dieser Aktion weiter an ihn binden willst oder ob du dich besser gleich von ihm fern hältst wie ich dir bereits zu Beginn dieser unseeligen Liaison vorgeschlagen habe.“
 

Omi sprang auf und sein Zorn traf auf Crawfords entspannte Miene.

„Hast du das etwa kommen sehen und ihn trotzdem für diesen Einsatz DAS auferlegt?“

Omi wurde mit dem wolfsähnlichen Lächeln bedacht das er von früher kannte und verabscheute.

Er starrte ihn in plötzlich bitterer Erkenntnis an. „Du hast es kommen sehen“, stellte er fest. „Und es nicht verhindert?“, fragte er leise.
 

Brad ging auf ihn zu, eine Hand lässig in der Hosentasche verborgen und blieb vor ihm stehen. Omi rührte sich nicht. Wie grausam war der Kerl eigentlich?
 

„Hättest du es denn verhindern können?“, fragte Brad in diesem einschmeichelnden harmlosen Tonfall.
 

„Ich hätte es verhindert!“, sagte Omi voller Abscheu.
 

Brad hob eine Braue und atmete tief ein. Dann schüttelte er fast schon nachsichtig den Kopf. Das konnte der Junge doch nicht wirklich annehmen. Oder doch? Nagi war eine teuflische, infernalische Waffe in den falschen Händen. Nach allem was Tsukiyono mit Naoe erlebt hatte wagte er es immer noch diese Behauptung aufzustellen?

„Das ist geradezu lächerlich dumm“, sagte Brad und trat wieder ans Fenster zurück. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und wandte sich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung – neuerdings- dem Beobachten seiner Schwester zu. Der Junge musste endlich begreifen, dass Nagi kein normaler Mensch war und auch nicht so zu behandeln. Weshalb war es so schwierig das zu akzeptieren?

Brad versuchte es auf eine andere Weise.
 

„Setz dich wieder“, sagte er ruhig.
 

„Einen feuchten Dreck werde ich tun! Warum soll ich das? Damit du mich mit deiner großkotzigen Art auf mich herabsehen kannst?“, hob sich Omis Stimme erneut über den normalen Gesprächston und die blauen Augen blitzten voller Zorn. „Setz du dich doch!“
 

„Ich bevorzuge es zu stehen...“, sagte Brad abgelenkt als er zusah wie Kudou und seine Schwester einen der Sonnenschirme schloss und sie ihn abtransportierten.

„... denn ich möchte meiner Schwester zusehen“, erwiderte Brad in Gedanken der vergangen Zeit mit ihr nachtrauernd. Er würde sie bald wieder verlassen.
 

Omis Wut verpuffte fast gänzlich als er die ruhigen Worte hörte und den Mann dort wie hypnotisiert in den Garten blicken sah. Der Amerikaner ließ sich von seiner Wut nicht provozieren, sondern stand nur gelassen da und lächelte in den Garten hinunter.

Er ließ ihn aussehen wie ein bockiges Kind mit dem man ruhig und besonnen zu Werke gehen musste. Führte er sich so auf?
 

Ohne es wirklich zu bemerken saß er wieder und wäre beinahe aufgesprungen als er diesen Umstand erkannte, doch Crawford fing bereits mit seiner vermeintlich kleinen Rede an. Weshalb zum Teufel verströmte dieser bescheuerte Amerikaner nur das Flair eines ultimativen autoritären Anführers? Warum taten die Menschen was er von ihnen wollte?

„Was weißt du von Naoe?“

Omi sah auf. Nach einer Ansprache hörte sich das nicht an. Eher nach einer Frage. Einem richtigen Gespräch.
 

Damit hatte er nun nicht gerechnet. Ganz und gar nicht. Und Omi zog die Beine auf den Sessel und presste die Sohlen seiner Sneaker aneinander. „Nicht viel. Du hast ihn irgendwo aufgelesen, ihn dann naja...“, druckste er herum. Meine Herren was für ein Gespräch würde das hier werden? Wieder die Überprüfung seiner Fähigkeiten als Schwiegersohn?

„... wie einen Vater aufgezogen. Naja er war bei SZ und die Kathedrale stürzte ein...“, er stockte wieder. Ja, was wusste er denn von Nagi? Und war das wichtig?
 

„Was ist so wichtig an der Vergangenheit? Was zählt ist doch das Jetzt und die Zukunft. Siehst du das anders?“
 

„Nein. Aber ich hätte es anders sehen sollen.“
 

Ach, doch nicht unfehlbar, der Herr Hellseher, frotzelte Omi in Gedanken.

„Ich könnte dir noch erzählen, dass er keine Freunde hat und was er genau studiert und dass sein Projekt Geschichte ist nach dem Ganzen was hier abgeht. Aber darauf willst du sicher nicht hinaus“, schloss er selbst etwas frustriert.

Er fuhr sich durch die blonden Haare und stützte den Kopf auf seine Hand.

„Weißt du denn mehr?“, fragte er betont gelangweilt um nicht den Anschein zu erwecken er wäre neugierig. Aber das wäre eine unzulängliche Umschreibung seines Gemütszustandes. Er war frustriert, sauer, hilflos und er wollte Nagi einfach nur berühren, ihn in den Arm nehmen. Er sehnte sich nach ihm.
 

Der Amerikaner hatte sich an die dekorative Stahlstrebe des breiten Fensters gelehnt, die Arme immer noch verschränkt, die Ärmel seines makellosen weißen Hemdes ohne Knitterfalten hochgekrempelt und sah noch immer hinunter in den Garten. Es war drückend heiß draußen und dieser Kerl zog stets Anzughosen und langärmlige Hemden an. Schwitzte der Typ eigentlich nie? Die Stimme des Amerikaners jedoch ließ darauf schließen dass seine Gedanken jetzt nicht mehr bei seiner Schwester weilten, sondern weit in der Vergangenheit.
 

„Ich war damals selbst noch nicht alt. Gerade zwanzig und mein Mentor bei SZ schickte mich zu einem Einsatz. Ich sollte einen der führenden Köpfe von SZ zu einer außerordentlichen Inspektion seines Außensitzes in Rio de Janeiro begleiten. Reine Routine und ich war eher so etwas wie eine nette Begleitung denn ernste Schutzfunktion. Er schmückte sich mit mir und meinen Fähigkeiten und er wollte mich im Auge behalten.“
 

„Wer war dieser ER?“
 

„Such dir einen der drei aus die ihr kalt gemacht habt“, sagte Brad immer noch mit dieser ruhigen Erzählstimme.
 

Omi hob die Brauen und verzog das Gesicht nachdenklich. Es war also nicht wichtig wer es war, schon klar.

„Ihr wart also beide in Rio...“
 

„Im Endeffekt spielt es keine Rolle wo wir waren. Es hätte jede große Stadt sein können“, fuhr Brad fort.

„Sie sind alle gleich.

Der Besuch sollte über eine Woche dauern. Mir gefiel es dort. Bereits am ersten Tag kam es zu Unstimmigkeiten.“ Brad entsann sich seines Zuhörers und wandte das Gesicht ihm zu, sah ihn für einen Moment aufmerksam an und setzte sich dann in einen großen Ledersessel.
 

„Damit du das verstehst muss ich...“
 

„Ich kapiers schon Schwarz, ich bin entgegen der geläufigen Meinung deinesgleichen intelligent“, murrte Omi bei dieser Eröffnung.
 

„Halt deinen vorlauten Schnabel. Du hast nicht die geringste Ahnung“, sagte Brad mit wenig Enthusiasmus hinter seiner Rüge. Er hatte seinen Unterarm auf den Tisch gelegt und spielte mit einem Kugelschreiber zwischen den Fingern herum, sah aber zum Fenster hinaus.
 

Omi bemerkte die Müdigkeit und auch die Brisanz hinter diesem letzten Satz. Er bezog sich nicht auf ihn... nein er bezog sich auf so vieles das den Amerikaner umwehte.
 

„Damals rivalisierte SZ mit einer anderen großen Gruppe PSI. Es gab strenge Regeln, doch bei der Rekrutierung neuer Mitglieder verbog SZ diese Regeln gerne und wenn es nicht bemerkt wurde war es ohnehin einerlei wer sich wen einverleibte. Der in Südamerika postierte Handlager von SZ war für diesen Zone zuständig um neue Mitglieder zu... sagen wir werben.“
 

„Werben? Hört sich an als wären sie eher gefangen genommen worden“, sagte Omi scharf und fühlte sich an seine eigene Vergangenheit erinnert.
 

„Dem war auch so. Sie wurden durch Späher ausfindig gemacht, ihre Familien ausradiert, ihre Vergangenheit gelöscht und sie SZ in den Rachen geworfen. Ihre neue Familie nahm sie mit offenen Armen auf und sorgte für sie. Von den Kindern abgesehen deren Familien ohnehin nichts mit ihnen anfangen konnten. Selbst diese löschte SZ aus um die Neulinge nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Es waren schließlich alles Gottes Kinder und sie waren in seinem Auftrag auf dieser Erde.“
 

Omi fiel dazu nichts ein. Er wusste wirklich nichts wie Crawford gesagt hatte. Das war grausam. Diese Welt war grausam in der Schwarz gelebt hatten. Aber es war leider auch nichts Neues. Die Geschichte hatte ihnen gezeigt, dass Kinder ohne Schutz Freiwild waren.
 

„Thomas Straud war ein erfahrener Telepath und schon lange im Orden. Eine berüchtigte Vergangenheit rankte sich um ihn, doch nur mehr die Alten wussten genau um was es wirklich gegangen war. Eines dieser Gerüchte besagte, dass er der Sohn von Richard Miller war, einem der drei Spitzen des Ordens. Allerdings hatte Miller nie eine Verwandtschaft bestätigt und so verlief sich auch dieses Gerücht. Ein anderes besagte er hätte einst einen Gefangenenaufstand angeführt.
 

Er war der Gebietsleiter der Sektion Südamerika und dort für die Rekrutierung zuständig. Ich war Richard Miller zugeteilt und Straud war nervös als wir dort eintrafen. Zunächst dachte ich es wäre die Anwesenheit von Miller die Straud ungehalten und zornig gegenüber seinen Angestellten agieren ließ. Doch am Tag darauf war mir klar warum er sich die Blöße gab und seine Nervosität nur schlecht verbergen konnte.

Straud hielt sich einige der PSI, die er rekrutierte als persönliche Diener. Er war ein starker Telepath und somit auch in der Lage PSI problemlos zu unterwerfen. Allerdings war es seine Aufgabe alle Neulinge sofort nach Europa weiterzuleiten.

Er hatte sich aber zur persönlichen Erbauung einige behalten.“
 

„Will ich wissen was diese persönliche Erbauung beinhaltete?“, fragte Omi mit erstickter Stimme.
 

„Nein, das willst du nicht. Nicht von mir. Deine Fantasie reicht sicher dafür aus, mehr als meine. Straud hatte jedoch kein sexuelles Interesse an den männlichen Kindern“, erwiderte Brad und zerstreute die Befürchtungen des jungen Mannes in diese Richtung. Sicher war es sich in diesem Punkt bis heute nicht. Straud war ein Sadist, ob dieser Wesenszug von ihm auch sexuell ausgelebt wurde konnte Brad nicht mit Bestimmtheit sagen, es lag jedoch nahe.
 

„Straud kennzeichnet außergewöhnlicher Ehrgeiz und der Hunger nach Macht. Er ist intelligent, hat aber kein Gefühl für die Belange anderer. Und seine Frustrationstoleranz ist extrem niedrig anzusiedeln. Weshalb der unangekündigte Besuch von Miller ihn fast schon haltlos machte. Er prügelte einen Angestellten halb tot weil er ihm nicht rechtzeitig die Tür öffnete als er Miller und mich im Schlepptau durch das Anwesen führte. Miller schickte ihm einen telepathischen Befehl von dem Angestellten abzulassen um nicht noch mehr Zeit mit diesem sinnlosen Beispiel seiner eigenen Unzulänglichkeit zu verschwenden. Straud hat den Mann mehrmals getreten als er bereits bewusstlos am Boden lag. Ich konnte damals auf Millers Gesicht Abscheu und Enttäuschung erkennen als wir weitergingen.“
 

„Und ich dachte immer Schuldig sei der Psychopath“, sagte Omi als Brad eine Pause machte.

„Schuldig?“ Brad veränderte seine Haltung und sah Omi an.

„Schuldig ist gegen Thomas Straud ein Unschuldslamm. “ Brad lächelte spöttisch über diesen Vergleich.

„Straud kam mir vor wie ein unbeherrschtes Kind, dem seine Spielzeuge weggenommen wurden. Wenn wir es nicht verhindert hätten dann wäre der ganze Komplex samt der noch vorhandenen Kinder in Flammen aufgegangen so jähzornig war er. Straud hatte sich einen kleinen Hofstaat aufgebaut ohne eine Kontrollinstanz und herrschte tyrannisch über sein kleines Reich. Als Richard Miller herausfand, dass er auf eigene Faust die Kinder manipulierte zog er alle Informationen aus Strauds Gedächtnis und schickte ihn nach Europa zurück. Miller hatte die Befürchtung, dass Straud sich seine eigene kleine Armee aus PSI aufbauen und einen Aufstand anzetteln wollte. Ob dem so war weiß ich nicht.

Der Alte fand heraus, dass eines der Kinder von Straud aus der Gruppe entfernt worden war. Und auch als welchen Gründen dies geschehen war. Straud hatte versucht ihn unter Kontrolle zu bringen und der Junge hatte diese Kontrolle nach kurzer Zeit stets durchbrochen. Was dazu geführt hatte, dass Straud andere Mittel einsetzte und der Junge sich immer stärker dagegen gewehrt hatte. Was anfangs nur simple einfache Telekinese war wurde durch andauernde Erniedrigung und Misshandlung zu etwas erschreckend Starkem. Schlussendlich konnte er mit dem Kind nichts mehr anfangen und die Behandlung die er ihm angedeihen hat lassen hätte sein Todesurteil bedeutet. Unser Kommen musste ihm kurz vor unserer Ankunft angekündigt worden sein und so wollte er das Problem schnell loswerden, er setzte ihn auf einem der Müllberge aus. Er hatte ihn halbnackt und gefesselt weggeworfen. Sein Zustand war wohl so miserabel, sodass Straud davon ausgegangen war der Junge würde binnen Kürze sterben. Miller sagte, es sei ein starker Telekinet und ich solle mich auf die Suche nach ihm machen. Er würde nicht lange unentdeckt bleiben und wir mussten diese Chance nutzen um als Erste zum Zug zu kommen.“
 

Brad sah wieder nach draußen. Er schwieg einige Augenblicke lang und Omi hielt den Atem an und entließ ihn langsam.
 

„Ich fand das Kind mittels meiner Fähigkeiten genau an dem Platz an dem ich ihn Tage zuvor in einer Vision gesehen hatte. In der Zwischenzeit war Richard Miller zusammen mit Straud abgereist. Ich sollte mich um das Kind kümmern und mit ihm nachreisen.“
 

Omi hatte Entsetzen ergriffen. Sie steuerten hier auf etwas zu von dem er sich nicht sicher war ob er es hören wollte, oder sich damit auseinandersetzen wollte und konnte. Sein Magen rebellierte. Er saß wie versteinert auf seinem Sitz, die Hände in seine Fußknöchel geklammert und starrte blind vor Tränen auf den Amerikaner. Seine eigene Vergangenheit drohte sich mit Erinnerungen in dieses Gespräch zu drängen.
 

„Nagi hatte nur ein langes Shirt an, das wie ein schmutziges Kleid an ihm wirkte, als ich ihn im strömenden Regen mitten in der Nacht in einer Gasse fand. Er saß dort zusammengekauert und verschmutzt und hob nicht einmal den Kopf als ich vor ihm stehen blieb. Jeder Wirbel stach deutlich sichtbar auf seinem Rücken durch das nasse weiße Stück Stoff heraus. Sein Kopf wirkte auf dem ausgemergelten Körper viel zu groß.

Ich war mir damals nicht im Klaren darüber wie stark Nagi tatsächlich war aber ich ahnte dass ich behutsam mit ihm umgehen musste. Ich wusste nichts über ihn und vor allem nicht wie stark der Schaden den Straud angerichtet hatte war. Noch bevor ich ihn ansprechen konnte packte seine Hand meinen Fußknöchel.

‚Wirst du mir weh tun?’, fragte er mich ruhig, mit einer Kälte in der Stimme die selbst ich damals noch nicht mein eigen nennen konnte. Ich wollte antworten aber noch bevor ich das erste Wort sprechen konnte fand ich mich an der anderen Hauswand wieder. So ging das eine Zeitlang bis ich dachte mir jeden einzelnen Knochen im Leib gebrochen zu haben. Irgendwann ließ er mich nicht mehr aufstehen.
 

In der Zwischenzeit konnte ich es auch nicht mehr. Ich lag dort und blutete eine unbekannte Zeit vor mich hin bis er mich aus seiner geistig abwesenden Beobachtung ließ, aufstand und wegging. Ich wählte den Notruf und kam in ein Krankenhaus. Von dort aus in eine Privatklinik bis ich erst nach einigen Wochen genesen war und die Klinik verlassen konnte.

Miller zeigte sich unbeeindruckt und sagte ich solle ihm das Kind bringen. Egal wie.

Nachdem ich wieder hergerichtet war ging die Suche von vorne los. Doch dieses Mal war es etwas einfacher, denn ich wurde verfolgt.

Als ich es bemerkte suchte ich mir einen ruhigen unbelebten Ort und wartete. Ich hatte etwas zu Trinken und zu Essen dabei und machte es mir auf meiner Decke bequem.

Es dauerte mehrere Stunden als er sich herangetraut hatte. Er sah mich nur an. Sein Blick war mit dieser dumpfen, kränklichen fast schon toten Leere gefüllt. Er trug lediglich zerschlissene kurze Hosen, sein Oberkörper war schmutzig, ebenso seine Füße, sein Körper stank nach Dreck und Schlimmerem. Der Körper glich einem verhungernden Kind, das lange keine Nahrung mehr zu sich genommen hatte. Er war in dieser Welt verloren gegangen und keiner außer mir machte sich die Mühe ihn zu suchen.

„‚Wirst du mir weh tun?’, fragte ich ihn.“
 

Crawford musste in Erinnerung daran schmunzeln.
 

„Er schüttelte langsam den Kopf, blieb aber wo er war.

‚Sagst du was ich tun muss?’

‚Um etwas zu Essen zu bekommen?’, fragte ich ihn in meiner grenzenlosen Naivität, da ich damals so wenig von ihm wusste, beinahe nur etwas weniger als jetzt.“ Brad fuhr sich in einer unbewusst zerstreuten Geste über die Stirn.
 

„Er antwortete nicht, sondern sah mich nur mit diesem Blick an, der seinen Hunger verriet. Ich dachte es wäre der Hunger nach Essen, nach Schutz.

‚Sag mir was ich tun muss’, wiederholte er im gleichen Tonfall. Ich versuchte mit ihm zu sprechen aber er blieb wo er war und tat gar nichts.

Also sagte ich ihm was er tun sollte. Ich sagte ihm er solle zu mir kommen und sich hinsetzen, was er ohne zu zögern tat. Er griff nicht nach dem Essen sondern starrte mich nur an. Es war gleichzeitig beängstigend und verwirrend. Erst als ich ihm sagte, er solle essen tat er es. Er tat alles was ich ihm sagte. Und nur das.
 

Ich war überfordert mit der Situation. Ich dachte mir, dass der Job für mich erledigt wäre wenn ich ihn nach Europa mitnehmen würde. Was ich tat, aber selbst SZ konnten an seinem Verhalten nichts ändern. Er aß, badete, schlief, wann immer ich es ihm auftrug. Du kennst ein ähnliches Verhalten von Jei. Nagis Zustand war damals erschreckend für mich gewesen. Was Straud ihm damals angetan hat und danach geschehen war weiß weder Schuldig noch ich bis heute. Ob die Trias es gewusst haben? Ob Richard Miller Straud bestrafte? Könnte sein, vor allem im Hinblick darauf, dass sie Nagi ab diesem Zeitpunkt mit Samthandschuhen angefasst und seinen Verstand bis auf gelegentliche Scans in Ruhe gelassen haben.
 


 


 


 

Fortsetzung folgt...
 

Vielen Dank!
 

Gadreel



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