Tage wie dieser
Tage wie dieser
Kommen nie wieder
Tage wie dieser
Sollten nie vergessen gehen
Du drehst Dich um und siehst sie wieder
Du drehst Dich um und siehst in Deinem Kopf die alten Bilder
Spürst Du noch immer nichts?
Du siehst das Licht
Irgendwo am Ende
Doch der Augenblick ist jetzt und fließt wie Sand duch Deine Hände
Doch Du hälst Dich
Du hälst Dich an ihm fest
Tage wie dieser
Kommen nie wieder
Tage wie dieser
Sollten nie vergessen gehen
Du sprichst nicht mehr
Und siehst sie wieder
Zerstückelt und Zerstochen
Singen sie leise ihre Lieder
Sprichst Du noch immer nicht?
Sie haben gesagt es würde Regen geben
Doch wir sitzen hier seit Stunden
Trinken Wein
Und sid einfach nur am Leben
Bis unsere Welt zerbricht
Es dunkel ist
Tage wie dieser
Kommen nie wieder
Tage wie dieser
Sollten nie vergessen gehen
Und alles was uns bleibt ist ein neuer Morgen
Du weißt was das heißt
Und alles was uns bleibt ist ein neuer Morgen
Du weißt was das heißt
(Lyrics: Juli - Tage wie dieser)
Es ist seltsam, auf einmal hier zu stehen. Über ein Jahr habe ich mich davor gedrückt, und nun bin ich doch da: am Grab meiner besten Freunde.
Eigentlich hatte ich immer gehofft, ich hätte damit Zeit, bis ich altersmäßig auf die Achtzig zugehe. Und ganz bestimmt hätte ich mir nicht träumen lassen, dass im Wirrwahr meiner Gefühle auch dieses unbestimmte, unfassbare Schuldgefühl mitschwingen würde.
Das Gefühl, an ihrem Tod die Mitverantwortung zu tragen.
So viel lässt sich im Nachhinein sagen über diesen Augustnachmittag, aber alles bleibt besser ungesagt.
Dieser Tod passt nicht zu ihnen, wenn überhaupt, dann hätte es etwas... Besonderes sein müssen. Kein schnöder Autounfall wegen Alkohol am Steuer, Nachwirkungen einer Abschlussparty, auf der man vielleicht etwas übertrieben hat.
Yugi, der außer seinem Weltmeistertitel im Duel Monsters und seiner spektakulären Frisur nun wirklich nichts besonders Außergewöhnliches an sich hatte – sieht man mal von seiner kuriosen Vergangenheit ab – und der sicher genauso ein liebenswürdiger, aber unbedeutender Ladenbesitzer geworden wäre wie sein Großvater.
Duke, der dafür kaum etwas anderes war als auffällig und spektakulär, aber wenn es darauf ankam doch immer gegen Yugi verlor.
Und Tristan, der – nun, der eben Tristan war. Irgendwie immer die Randfigur, aber trotzdem unverzichtbar in unserem Freundeskreis, der Einzige, der dieser ganzen Kartenfuchtelei einfach nicht besonders viel abgewinnen konnte und lieber auf seinem Motorrad durch die Gegend raste, vorzugsweise und zu deinem Leidwesen mit Serenety auf dem Rücksitz.
Solche Leute sterben nicht einfach im Straßenverkehr. Nicht, wenn alles so läuft, wie es soll. Gut, vielleicht Tristan, aber dann doch bitte nicht in einem Auto.
Und sie wären auch nicht gestorben. Wenn ich dabei gewesen wäre. Ich kann sie genau vor mir sehen, wie sie in diesen Sportwagen mit der wirklich geschmacklosen Lackierung steigen, den Duke immer fuhr, wie Yugi noch versucht, die beiden zu überreden, nicht mehr zu fahren. Zu zweit hätten wir es geschafft. Zwar um den Preis, dass uns dann alle als Spaßbremsen oder was weiß ich denn tituliert hätten, aber – sie wären alle noch hier.
Wir wollten mit, beide, du und ich. Aber dann kam dieser Anruf, dass dein Vater mal wieder ins Krankenhaus eingeliefert wurde und meine Tanzgruppe brauchte überraschend einen Turnierersatz wegen Krankheitsausfall... vielleicht wäre alles anders gekommen.
Wenn nicht.
Falls.
Jedenfalls stand ich seit damals – es ist jetzt über ein Jahr her – nie mehr auf der Bühne, und vom Geruch nach Desinfektionsmitteln wird mir auf der Stelle schlecht.
Ein Räuspern holt mich aus meinen Gedanken zurück, das Sonnenlicht, das ich aus den Augenwinkeln auf blondem Haar blitzen sehen kann. Ganz langsam drehe ich mich um. Ich hatte keine Ahnung, das du herkommen würdest. Wenn ich es gewusst hätte, wäre ich an einem anderen Tag gekommen. Eine ganze Weile lang starren wir uns nur an, stellen wohl beide fest, dass wir uns im letzen Jahr verändert haben, aber immer noch die gleichen sind. Äußerlich zumindest.
Ich könnte einfach gehen.
Schweigend an dir vorbeigehen, wie wir das all die Male getan haben, wenn wir uns auf der Straße begegneten. Wir kaufen immer noch beim selben Bäcker ein. Steuern die selben Cafés an, ganz automatisch. Klar, früher sind wir schließlich immer gemeinsam hingegangen.
Und dann unsere Turniere. Ja, ich habe doch tatsächlich angefangen, Turniere zu besuchen, Duel Monsters ernsthaft zu spielen und nicht nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Und du hast es auch nicht aufgegeben.
Soll ich raten warum? Aber nein, ich weiß es ja.
Wir suchen Yugi in unseren Karten, nicht wahr, so ist es doch? Aber da, wo wir ihn hätten finden können, im Gesicht und in den Worten des jeweils anderen, da haben wir ein ganzes Jahr lang weggeschaut.
Wollten nichts sehen, nichts hören.
Dann doch lieber duellieren, wie damals, als alles noch verhältnismäßig in Ordnung war, als sich Probleme noch mit ein paar Karten aus der Welt schaffen ließen. Und wenn alles schief ging, gab es ja immer noch den Pharao und seine Zaubertricks.
Das hilft uns jetzt nichts mehr.
Kein Millenniumsgegenstand der Welt bringt uns unsere Freunde zurück. Nicht mal alle zusammen.
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Es war unerwartet, dich hier zu treffen, das muss ich zugeben.
Und es trifft mich zuerst wie ein Schlag. Fast hätte ich geglaubt, dass du auch tot bist, so gründlich, wie wir uns ignoriert haben.
Du siehst immer noch so aus wie früher, kurzer Rock, Plateauschuhe, Flatterbluse. Und dieser verplant-ungläubige Blick, den du sonst nur in Momenten aufsetztest, in denen du dich unbeobachtet glaubtest.
Ich denke, du hast überlegt, ob du nun Yugi oder den Pharao fragen solltest, ob er mit dir ausgeht.
Soll ich mich nun geehrt fühlen, weil ich dich diesmal so aus der Fassung bringen konnte? Danke, darauf hätte ich gerne verzichtet.
Einer muss schließlich etwas sagen. Wir können nicht weiter schweigen, wenn das helfen könnte, müsste es uns beiden schon besser gehen.
Also fange ich einfach mal an.
„Hi Tea.“
Wie das klingt. Es klingt nach dem Gruß, den wir uns kurz vor Schulanfang noch überhastet zuwerfen, weil ich mal wieder zu spät bin. Oder wie die Begrüßung am Nachmittag, wenn du, die Tasche über der Schulter, vielleicht ein Eis in der Hand, an der Ecke auf mich wartest, weil wir mit Yugi am Laden verabredet sind und zusammen hingehen wollen.
Was ja nun beides vorbei ist.
„Hallo... Joey.“
Und DAS klingt, als hättest du meinen Namen schon halb vergessen, weil du ihn seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt hast. Was vermutlich auch stimmt... falls du dir nicht in der Zwischenzeit einen Hund zugelegt und so genannt hast.
Aber das würdest du nicht tun.
Kaiba schon eher. Aber der hat vermutlich keine Zeit für so was. (Hat er überhaupt Zeit zum Essen und Schlafen?)
Duke eventuell noch, oder Tris, um mich zu ärgern. Nein, die Beiden ja wohl auch nicht mehr. Also kein Hund.
Schweigend gehen wir nebeneinander aus dem Friedhofstor, nachdem ich den armseligen, zerrupften Blumenstrauß, den ich dabei hatte (Tulpen von der Supermarktkasse, zusammen mit ein paar unterwegs gepflückten Löwenzahnblüten) neben deinen gelegt habe.
Schlagen ganz automatisch den Weg zu unserem alten Stammcafé ein, wo wir einen Moment stehen bleiben, uns gegenseitig fragend ansehen und uns dann setzen. Die Bedienung kennt uns offensichtlich noch, kaum zwei Minuten haben wir unsere üblichen Milchshakes vor uns stehen, die mir fast wie Sachen vorkommen, die man in eine Kapsel gesteckt und in eine Zeit geschickt hat, in die sie nicht gehören.
„Was hast du getrieben im letzten Jahr?“
fragst du schließlich zögernd, fast schon, als hättest du Angst vor der Antwort. Recht hast du. Ich kann auch nicht gerade stolz sein auf das, was ich antworten muss.
„Dies und das... ein paar Wochen habe ich mich sogar wieder mit meiner alten Bande rumgetrieben, Autos geknackt, naja, du weißt ja. Aber... davon scheine ich irgendwie kuriert zu sein.“ ich bringe ein müdes Lächeln zu Stande, der Abglanz meines alten Grinsens. „Im Moment arbeite ich bei einem Kumpel meines Dads, genauso versoffen, aber er hat eine Autowerkstatt, wo ich aushelfen kann, und meistens bezahlt er mich sogar. Und du?“
Du scheinst nicht sehr erfreut über diese Frage. Wahrscheinlich ging es dir genauso wie mir, du wusstest nicht so recht, wo du hinsolltest, nur, dass du natürlich nie etwas Illegales anfangen würdest. Nicht du. Nicht Tea Gardner.
„Es war... nichts Besonderes. Meine Eltern hätten mir jetzt auf einmal sogar die Tanzschule bezahlt. Ich glaube, sie wollten mich ablenken... aber ich konnte nicht. Nicht, nach- nach allem, was passiert ist. Stattdessen habe ich mich eben auch so durchgeschlagen... ich hätte weiter zu Hause wohnen können, aber das wäre auch nicht das Richtige gewesen. Im Moment arbeite ich als Sekretärin, in einem Maklerbüro. Etwas Besseres war auf die Schnelle und ohne Richtige Ausbildung nicht aufzutreiben.“
Wir schweigen wieder, irgendwie scheint es das Beste zu sein. Welche Worte könnten schon sagen, was uns umtreibt? Ein Jahr. Ein Jahr, in dem wir uns beide verändert haben. In dem sich alles um uns verändert hat. Das einzige, das sich niemals verändern wird, ist das Bild unserer Freunde, das wir mit uns herumtragen. Wir werden sie immer gleich in Erinnerung haben, egal wie lang sie tot sind, und das ist vielleicht das Einzig Gute an all dem.