Kapitel 4
„Was?“
Ungläubig sah sie den Arzt an, als sie es erfuhr. Sie hob die Hand zu einer sprachlosen Geste, während er sie überglücklich in den Arm nahm und lachte. „Sie werden zweifache Eltern“ wiederholte der Arzt und nahm den Aktenordner von seinem Tisch. Er öffnete ihn und nahm ein Röntgenbild heraus, wo man ihre Gebärmutter sehen konnte. Sie hatte immer noch eine Hand zitternd vor ihrer Brust, während sie mit der anderen das Foto annahm. Es war ein graues Bild, aber man sah deutlich zwei kleine Wesen darauf. Sie waren zusammengekrümmt und noch recht unförmig, doch beide waren drauf, schienen sich an ihren winzigen Händchen festzuhalten.
„Aber sie sagten, es wäre bloß eines...“ sagte sie leise, immer noch überwältigt von der Nachricht. „Nun ja.. Um ehrlich zu sein, es waren von Beginn zwei, aber eines schien kurz vorm absterben zu sein... ich wollte vorsichtig sein, denn das Andere war zwar auch sehr schwach, aber hatte bessere Voraussetzungen, wenn ich dafür das Tote entfernt hätte. Aber es geht beiden absolut gut und, wie es aussieht, verstehen sie sich jetzt schon.“ Er lachte und sie brach in Tränen aus, zur Hälfte vor verspäteter Angst, zur Anderen vor Erleichterung. Auch er sah kurz geschockt aus, sah dafür aber noch liebevoller auf das Röntgenbild.„Was werden sie, wissen sie das schon?“ fragte er, ohne den Blick von den kleinen Wesen zu nehmen. „Jungen. Zwei kleine, prächtige Jungen.“
Ich weiß es noch, als wäre es heute, als unsere Mutter uns davon erzählt hatte. Wir waren... drei? Sie hatte jedenfalls sehr verniedlichend zu uns geredet und wir kamen uns ziemlich dumm vor. Aber man kann es ihr auch nicht verübeln. Woher sollte sie es auch wissen? Unsere Eltern sahen uns ja schon seltsam an, als unsere ersten Worte nicht Mama, Papa oder etwas ähnliches waren und das wir in unglaublicher Geschwindigkeit das Sprechen lernten. Und auch, das wir unsere Namen absolut nicht akzeptieren, das sie uns nachträglich umtaufen ließen, hat sie sehr verunsichert. Doch nun ist alles in Ordnung, sie haben sich an uns gewöhnt und wir an sie. Was sonst noch passiert ist...?
Wir haben uns mal heimlich an den Computer unseres Vaters gesetzt und versucht, herauszufinden, was mit uns geschehen war. Ich wurde erwürgt im Bett mit geöffneter Kleidung gefunden, Kei hatte sich von meinem Balkon gestürzt. Die Polizei dachte, ein Jugendlicher hätte sich unter einem Vorwand Zugang zu meiner Wohnung verschafft, mich versucht, zum Sex zu bewegen und mich, als ich mich wehrte, getötet. Entsetzt über seine Tat hätte er sich danach von meinem Balkon gestürzt. Wir konnten uns ein Grinsen nicht verkneifen, es kam uns einfach zu witzig vor, was die Polizei in einer Tat von Liebe alles hineininterpretieren konnte.
Naja, dann war da noch Kei. Er hat starke Probleme, sich wenigstens ein wenig wie ein Kind zu verhalten und unauffällig zu sein. Aber ich kann ihn verstehen. Spätestens mit 12, wenn wir offiziell unsere Pubertät haben, können wir endlich wieder wir sein.
Ich freu mich jetzt schon drauf...