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The Final

von

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2.Nacht: Zeitsprung

2. Nacht: Zeitsprung
 

5

Toshiya bestaunte das Gebäude, dass nur ein paar Meter von ihm entfernt war. Die Hütte bestand nur aus Holz, aus einfachsten Materialien und glich wie der Aufbau eines japanischen Shinto-Schreins. Ein Mini-Tempel. Eigentlich sah das Gebäude recht verfallen aus, aber die Gegend war traumhaft. Viel Grün trotz des Herbstes, viel Wasser und wunderbare heiße Quellen an den Berghängen. Ein weißer Nebelschleier durchforstete das Waldgebiet und legte sich wie ein silbriges Gewand um die dicken Fichten und Laubbäume. Lockerer Schnee war weiter oben aufzufinden. Ein langer, steiler Weg führte über den Berg. Und dort befand sich ein marineblauer See, den man als erloschenen Vulkan identifizierte.

Kaoru konnte es kaum erwarten die Innereien zu sehen und rannte sofort zur Doppeltür. Er nahm die Schlüssel, die er ein Glück noch bei sich hatte heraus und schloss damit das Tor auf. Doch das war nicht mal nötig. Er brauchte die Tür nur ein wenig zu drücken. Schon gingen die beiden Seiten knatschend auf und der Geruch von Holz kam ihm entgegen. Ihn wunderte es nicht einmal, dass sein eigener Schlüssel unbrauchbar war.

Kyo stand hinter ihm und dann betraten sie den kleinen Tempel. Der Vokalist suchte nach einem Lichtschalter, doch total unerwartet war keiner aufzufinden. Stattdessen probierte er es mit den Petroleumlampen und einem Feuerzeug.

"Boaaa...", staunte Kaoru und sah sich um. Die lief sofort den Flur entlang und konnte es kaum erwarten, die anderen Räume zu sehen. Sie hatten sogar eine Treppe, die nach oben und wahrscheinlich auf einen zweiten Stock zum Balkon führte.

"Ist das hübsch hier!", kam es sogar von Shinya, der lächelnd die Wände betrachtete und mit seinen Fingern darüber strich. Die Illusion eben an der Brüstung der Veranda hatte er vergessen. Er mochte die alte japanische Kunst und Tradition. Darauf legte er wirklich Wert. Kaoru hatte doch einen ganz schönen Ort ausgesucht.

"Leute, wir haben sogar zu Essen!", kam es Minuten später von Die aus einem hinteren Raum. Toshiya suchte seinen rothaarigen Freund, der die kleine Feuerstelle in der Küche begutachtete und derweil danach in den verfallenen Schränken rum kramte. Völlig überrascht holte er zwei Flaschen Wodka heraus, danach vier Absinth, kaltem Sake und weitere kleine Flaschen Schnaps mit unbekanntem Inhalt.

"Guck dir das an! Der Wahnsinn!", rief Die und zeigte einem ebenfalls erstaunten Toshiya die Flaschen mit Alkohol. Grinsend erhob sich der Gitarrist und öffnete eine Flasche Wodka, den er in kleine Gläschen kippte.

"Hast du mal auf das Verfallsdatum geguckt?" Toshiya zog sich sofort ein Gläschen davon runter, kurz danach auch Kaoru, der die Freude in der Küche bemerkt hatte und alles auf Ex runterspülte. Die Flüssigkeit brannte in seinem Hals und er räusperte kurz, als er das Gläschen wieder auf den Tisch stellte und den Kühlschrank öffnete.

"So schnell vergärt doch kein Alk!", lachte Die.

"Suchen wir mal die Schlafzimmer, müssen ja auch irgendwo sein."

Erfreut betrat Kaoru wieder die große Halle, aus der sie gekommen waren und blieb stehen. Die Sonne schien freundlich herein und als er nach oben sah, bemerkte er erst wie riesig dieser Tempel doch war. Der gesamte Raum war mit rötlich-braunem Holz ausgekleidet, hatte viele Malereien an den Wänden und Farbholzschnitte. Kaoru schloss für einen kurzen Moment die Augen und lauschte in der Umgebung. Toshiya und Die befanden sich noch immer in der traditionellen Küche aber da war noch etwas. Ein Rauschen.

Ein immer lauter werdendes Rauschen, um so länger er hin hörte. Da musste ein Wasserfall in der Nähe sein.

"Kao?"

Shinya verscheuchte Kaorus Gedanke an den Wasserfall in dem er ihn unsicher ansprach.

"Was denn?"

"Ahm... ich wollte nur mal fragen, ob du dir wirklich sicher bist, dass dies unsere... naja Herberge sein soll, ich meine-"

"Shinya-"

"Lass mich bitte ausreden!"

Kaoru nickte verständlich nach einem leisen Seufzer.

"Ich meine, dass hier sieht doch... sehr viel anders aus, als eine Art Hotel, oder etwa nicht? Das hier ist ein Shinto-Schrein, wo Gläubige ihre Gebete aussprechen..."

"Shin, hör mir mal zu, schau mal hier!" Kaoru hielt dem Kleinen sein Schlüsselbund vor die Nase. "Wäre es nicht unsere gewesen, dann wäre ich nie und nimmer mit diesen Schlüsseln herein gekommen."

Shinya ließ die Schultern locker und nahm Kaorus perfekt gespielte Lüge an. "Hm. Du hast recht. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht!"

"Ist okay."

Mit einem milden Lächeln lief Shinya wieder zu einem der Flure, durchquerte sie und Kaoru beschloss ihm zu folgen. Eigentlich hatte der Drummer schon recht. Aber das war ihm vorerst egal. Es interessierte ihn viel mehr, woher das Rauschen kam, welches er die ganze Zeit hörte. Und dann schien die Lösung sich direkt vor Kaoru zu erstrecken. Als Shinya die Schiebetür öffnete, stach ihm ein wunderbarer Ausblick vor Augen. Dort, am alten Holzgeländer stand auch Kyo, der neugierig umher lief und den Oberkörper manchmal hinüber beugte. Kaoru bemerkte erst jetzt, dass Kyo immer noch ziemlich böse humpelte. Sein Bein schien sich wohl doch noch nicht ganz von dem Piranhabiss erholt haben.

Das Rauschen entpuppte sich tatsächlich als ein kleinerer, glitzernder Wasserfall, der von oben in den riesigen Teich unter ihren Füßen mündete. Als Kaoru ebenfalls neben Kyo über die Balustrade blickte, blubberten dicke, rote Karpfen in dem Teich. Und sie sahen gesund aus. Das Wasser war sauber, die Fische lebhaft und das viele Grün um sie herum nach Natur duftend.

"Ich wusste ja nicht, das man hier sogar einen kleinen Innengarten hat.", sagte Kyo erstaunt und zündete sich eine Kippe an, die er am Geländer bequem rauchte.

"Ich auch nicht.", antwortete Kaoru und starrte noch immer fasziniert an die Decke. Die großen Pflanzen wuchsen bis oben an die Decke, die sich mindestens sechs Meter über ihren Köpfen weitete. Efeu rangelte sich an den alten Steinsäulen hoch und weiße Lilien blühten zwischen den hohen Bambussträuchern.

"Ich gehe mich mal oben umsehen."

Kaoru ging wieder zur Tür und öffnete sie. Shinya und Kyo nickten nur und beobachteten weiter hin die Karpfen im Teich, bis das Warumono irgendwann genug hatte. Leader-Sama hörte laute Musik, die wahrscheinlich von Die und Toshiya kommen musste. Ja, die beiden hatten es sich in der Küche bequem gemacht und heckten sicherlich wieder irgend einen Schmarrn aus. Neugierig trat Kaoru die erste Treppenstufe rauf und er zuckte leicht zusammen, als sie anfing zu knarzen. Seine weißen Hausschuhe hielten inzwischen die leicht schmutzigen Füße warm und die Treppe knackte und ächzte bei jedem weiteren Schritt. Schließlich erreichte Kaoru den zweiten Stock und schaute sich nach wie vor um. Die Ebene war rundherum nur von hölzernen Brüstungen gebaut, die Einblick in den unteren Stock gewährten. Bestimmt fünf weitere Türen ließen Kaoru noch neugieriger werden und dann öffnete er eine von ihnen, die hinter einer japanischen Wand versteckt war. Dafür das dieser Tempel ziemlich groß war, schien hier jedoch niemand anderes einen Raum gemietet zu haben.

Staub blies ihm in das Gesicht und er musste husten. Solange, bis sich die geschwächte Raucherlunge von den Fremdkörpern befreit hatte. Erst dann trat Leader-Sama in den unbekannten Raum. Das erste was er sah, waren Bücher über Bücher, verstaubte Regale, alte, kaputte Holztische und Papiere aus Bambusholz. Buddhistische Kunstwerke zeichneten sich an den gläsernen Wandgemälden ab, ein goldener Drache, der mit der Überschrift "Susuki Harunobo-Ryu" versehen war. Kaoru strich mit der Handfläche die verstaubte Zahl dahinter weg und erkannte "1887".

Die Fenster waren ebenfalls verstaubt, sodass das warme Sonnenlicht trübe herein fiel und nun eine unerträglich schwüle Luft herrschte. Interessiert griff Kaoru nach einem Bogen Papier vom Tisch und löste damit erneut eine kleine Staubwolke aus. Es war so, als hätte hier jemand seit Jahrzehnten nicht mehr geputzt.

"Harbour Nagasaki...1854-1856..."

Mit den Zeilen konnte er nicht viel anfangen, der Rest war unleserlich. Da wollte er sogleich an das nächste Blatt gehen, als Toshiya ihn von unten rief. Man hörte schon wieder die knartschende Treppe und der Bassist schaute in die Tür rein.

"He Kao! Du glaubst gar nicht was wir gefunden haben!"

Kaoru ließ von den Papieren ab und folgte seinem aufgebrachten Bandmember über die Treppe in die große Halle. Dort standen auch Shinya, Kyo und Die vor einer weiteren Treppe, die ohne Zweifel nach unten in das Dunkel führte.

"Die und ich haben die hier gefunden! Gehen wir mal runter?!", fragte Toshiya grinsend und zerrte nervig an Kaorus Shirt-Ärmeln herum. Dieser schaute skeptisch durch die Öffnung und ging zurück um seine Taschenlampe aus dem Rucksack zu holen.

"Warum willst du da ausgerechnet runter?! Nur weil es ein Keller ist?", fragte Kyo vorwurfsvoll worauf Toshiya die Arme verschränkte.

"Ich möchte gerne wissen, was da unten ist, Kyo-Chan!"

"Halt's Maul..."

"Willst du mir drohen, Kyo-Chan?"

"Totchi, lass es einfach.", mischte Shinya sich ein, denn er wollte Kyos gereiztes Gemüt nicht noch mehr fördern. Toshiya konnte es einfach nie sein lassen. Kyo gab ihm schließlich auch keine Verniedlichung seines Namens. Obwohl, dass würde Toshiya nur gefallen. Kaoru hielt derweil seinen leuchtenden Strahl in die große, dunkle Öffnung der Treppe und wagte eine Stufe hinunter.

"Kao warte mal!", zögerte Die und Kaoru drehte sich fragend um. "Du kannst doch da nicht allein runter gehen!"

"Tu ich doch nicht. Ihr kommt mit!"

"Hört mal... ich bin sicher, dass wir da nichts zu verloren haben. Wenn-"

"Shin-Chan, hast du etwa Angst?", fragte Toshiya unschuldig und ignorierte Kyos gehässigen Blick von der Seite.

"Und wenn das jemand anderem gehören sollte. Immerhin ist das unsere Prachthütte solange wir uns hier drin aufhalten.", sagte Kaoru entschlossen und stieg weiter hinunter. Die seufzte leise, nahm die Petroleumlampe und folgte ohne Gegenworte seinem Bandleader. Kurz darauf tapste auch Toshiya hinterher, nur Kyo blieb bei Shinya oben.

"Au!"

Kaorus Schmerzensschrei führte dazu, dass Die fast die Lampe fallen ließ.

"Was ist?!"

"Boa... aua... passt auf, hier unten wird es echt... eng... Das ihr euren Kopf nicht stoßt."

"Bist du okay?!"

"Ja..."

Vorsichtig achtete Kaoru darauf, dass er nicht stolperte, als er die letzte Treppenstufe hinunter trat und nun eisig kalten Steinfußboden mit dicker Staubschicht erblickte. Fassungslos blieb er stehen, dann stieß Die ganz tolpatschig an seinen Rücken und hätte die Lampe beinahe wieder fast fallen lassen.

"Ist was?", fragte er verdutzt. Kaoru antwortete nicht, sondern ging weiter auf die verstaubten Regale zu. Dies schien alles eine Art Lager zu sein und auch hier sah es so aus, als wäre seit Jahrhunderten niemand mehr dort gewesen. Schließlich erschien auch Toshiya im schwachen Licht ihrer Lampen und schaute sich um.

"Was ist das hier?", fragte Die, doch Kaoru antwortete auch diesmal nicht. Leader-Sama war so in Erstaunen versetzt, dass er gar nicht mehr merkte, wie jemand ihn ansprach. Toshiya fing leise an zu lachen und er blieb grinsend vor ein paar verdeckten Gegenständen stehen. "Komischer Gerümpel hier."

Kaoru hockte sich in die Knie und nahm vorsichtig die verdreckte Decke von einem Gemälde, ohne eigentlich zu wissen, was sich darunter befand.

"Wow... hier wäre mal Frühjahrsputz nötig...", sagte Die und stellte die Petroleumlampe auf einem kleinen Holztisch ab.

"Hat Shinya wenigstens was zu tun während wir hier sind!", antwortete Toshiya, worauf beide wieder blöd kicherten. Normalerweise müssten sie jetzt just in dem Moment ein Gegenspruch von ihrem Bandleader hören, doch diesmal bekamen sie keine Reaktion.

Als Kaoru sich fasziniert das Gemälde ansah, welches nun vor ihm stand, durchforstete ihn ein merkwürdiges Gefühl. Wieder diese Zahlen. Jedesmal befanden sie sich Anfang des 19. Jahrhunderts rum. Die Gemälde mussten sehr alt sein und bei manchen ließen sich sogar Zahlen des sechzehnten Jahrhunderts heraus lesen.

Das Kunstwerk zeigte einen jungen Mann wohl Anfang zwanzig, einen Japaner adliger Abstammung, da man dies an der hellen, ausgeschmückten Kleidung und dem schicken Hut sehr gut erkennen konnte. Kaoru leuchtete das Bild an und beobachtete es eine ganze Weile, bis Die sich zu ihm hockte. Toshiya spielte mit alten Schreibfedern herum und probierte auf dem ergrauten Papier aus, ob sie noch schrieben.

"Der sieht aber schnike aus.", grinste Die und sah sich ebenfalls das adlige Gemälde an. Ein bronzefarbener Rahmen zierte das Werk und doch stand es hier anscheinend achtlos in der Ecke.

"Muss ein adliger Angehöriger sein. Schau dir nur diese Fetzen an." Kaoru stellte seine Taschenlampe heller. Die fing an nachzudenken.

"Ich finde... er hat große Ähnlichkeit mit wem. Ja, er kommt mir bekannt vor, irgendwo hab ich den schon mal gesehen!"

"Ehrlich? Das überrascht mich jetzt. Das Bild ist um 1915 entstanden."

"Kann auch sein, dass ich das irgendwo mal im Fernsehen gesehen hab, aber er hat wirklich Ähnlichkeit..."

Toshiya sprang auf seine beiden Freunde zu und setzte sich zu ihnen runter. Obwohl es ihn überhaupt nicht interessierte, begann auch er das Bild anzustarren.

"Was macht ihr denn da?", fragte er und Die grinste.

"Uns das Bild anschauen."

"Aha... und wer ist das...?"

"Irgendein Nachkomme der damaligen Kaiserfamilie, denke ich mal.", antwortete Kaoru und wischte mit dem Handrücken die leichten Staubstreifen weg.

"Hee, genau, jetzt weiß ich's!", rief Die freudig und legte Toshiya einen Arm um die Schulter. "Jetzt weiß ich's, an wen er mich so erinnert! An dich, Totchi!"

"Was? Wie bitte?"

"Na der Typ auf dem Gemälde! Zwar läufst du nicht in so schönen Klamotten rum und hast meist auch nicht so ein gepflegtes Aussehen wie da, aber im Großen und Ganzen siehst du ihm wirklich ähnlich!"

"Ach, rede doch nicht! Du machst mich verlegen!"

Kaorus Mundwinkel erhoben sich leicht. "Stimmt. Da muss ich Die Recht geben, irgendwie ist da was dran. Die Nase würde immerhin passen... die Augen auch und der Mund gerade zu perfekt! Totchi, verheimlichst du uns was?!"

Toshiya schaute die Beiden perplex an. "Nein! Hört auf so einen Müll zu labern! Das bin ich nicht!"

Dann erhob er sich lachend und klopfte sich die Jeans ab. Auch Kaoru und Die ließen von dem geheimnisvollen Gemälde ab, als sie urplötzlich ein lautes Knallen vernahmen. So, als würde eine Tür ins Schloss fallen. Die zuckte zusammen und packte reflexartig Toshiyas Arm, der nervös umher blickte, als die Petroleumlampe zu flackern begann. Dann erlosch sie. Durch einen kurzen, kalten Windzug gab die Flamme ihr Leben und Kaoru leuchtete sofort in die Richtung aus der das Knallen kam. Doch weit und breit nichts, eine dicke Ratte schlüpfte so eben in das Loch unter der Kommode und die Schreibfedern, mit denen Toshiya hantierte, lagen noch immer wie vorher da. Die Papiere genau so, die Bücher hatten sich nicht einmal bewegt, gar nichts. Und doch hatte Kaoru die Befürchtung, dass etwas hinunter gefallen sein musste.

"Was war das...?", flüsterte Die vorsichtig und ließ nicht von Toshiya ab. Dieser ging schon mit böser Vorahnung wieder zum Treppenansatz und schaute nach oben.

"Die Luke ist zu.", sagte er und erschrak kurz innerlich, als Kaoru neben ihm stand und hoch leuchtete. "Ich bin mir sicher, Kyo will mir alles heimzahlen!"

"So ein Quatsch...", sagte Kaoru leise, was aber sichtlich ignoriert wurde.

Zögernd trat Toshiya nach oben, duckte sich um sich nicht den Kopf zu stoßen und spürte innerliche Wut in sich. Wut auf Kyo, dass dieser sie wohl so erschrecken wollte.

"Warumono, mach die Tür wieder auf!", rief er und drückte gegen die Holzluke, die sich nicht bewegte. Kaoru und Die warteten gespannt was ihr Bassist dort oben verrichtete, wie er mit aller Kraft versuchte die Tür zu öffnen. Nach ein paar weiteren Versuchen ließ dieser es schließlich sein und schlug ein paar Male gegen das Holz.

"Kyo mach wieder auf!"

"Was? Hat er abgeschlossen?!", fragte Die panisch und folgte Toshiya hoch, bis auch Kaoru hinter her kam.

"Bleib mal locker, vielleicht ist sie nur zugefallen und klemmt!"

"Ich seh nichts, Kao!"

Leader-Sama drängte sich an Toshiya vorbei und drückte zusammen mit ihm gegen die Tür, doch wie erwartet rührte sich nichts.

"Heey!! Shinya!! Macht die Luke wieder auf, bitte!!"

Kaoru fing nun an, die Tür mit dem Körper zu rammen, doch anstatt sie aufzubrechen, knackte nur seine Schulter einmal kurz.

"Ich sag euch, wenn ich hier unten verhunger oder sonst wie, dann schreibt einer von euch mein Testament, okay?", fragte Die schon fast den Tränen nahe, als er mit viel Kraft gegen die Tür schlug. Plötzlich ertönte ein Klicken und die Luke ging auf. Die schaute nach oben, wurde vom Licht geblendet und schaute eine ihm unbekannte Person direkt in die Augen. Wie blaue Kristalle starrten sie ihn kurz an. Der rothaarige Gitarrist schrie entsetzt auf, taumelte nach hinten, fiel auf Kaoru und mit ihm zusammen die halbe Treppe hinunter. Toshiya kreischte automatisch mit und hielt sich die Augen zu. Als er sie zitternd wieder öffnete, sah er wie Kyo fragend vor der Luke stand und neugierig, nichts ahnend rein blickte.

"Was macht ihr denn da?", fragte er unschuldig und Toshiya hüpfte sofort aus dem dunklen Keller. Das Warumono hockte sich vor den Eingang und wurde im nächsten Moment von dem Bassisten angefahren.

"Sollte deine Zusperr-Aktion etwa ein schlechter Scherz sein?!"

"Was willst du...?!"

"Tu nicht so scheinheilig, ich weiß, dass du uns eingesperrt hast!"

"Hab ich überhaupt nicht! Ich hab euch nur schreien gehört und da ist mir klar geworden, dass die Tür irgendwie zugefallen sein muss."

Bevor Toshiya darauf einging, hörte er Shinyas zierliche, lispelnde Stimme. "Das war wirklich so. Wir dachten schon ihr seid da unten einem bösen Geist begegnet. Kyo und ich waren die ganze Zeit in der Küche, bis wir dann.. naja eure Schreie gehört haben."

Toshiya hatte wohl keine andere Wahl als diesen Worten zu glauben. Shinya war sonst ein schlechter Lügner. Ein sehr schlechter sogar.

Inzwischen rappelte Die sich stöhnend wieder auf und half Kaoru die Treppen hoch zu gehen. Leader-Sama hatte sich bei dem blöden Sturz eine kleine Beule am Hinterkopf zugezogen und seufzte vor Schmerzen, als er das helle Tageslicht wieder erblickte.

"Sag mal Daisuke, du hast sie nicht mehr alle... kannst du nicht aufpassen...?"

"Sumi masen, Kao-kun! Aber ich habe mich echt erschrocken! Da stand doch eben jemand am Eingang!"

"Das war Kyo.", mischte Toshiya sich ein und stellte sich gegen die Wand.

"Nein, nein! Das war nicht Kyo!"

"Dann war es Shinya."

"Auch nicht Shin! Es war... irgend jemand anders..."

"Wie sah er denn aus?", fragte Shinya und schaute sich abwechselnd Kyo und Die an. Kaoru rieb sich einmal den Nacken, kletterte aus dem düsteren Keller und legte den Kopf nach hinten. Die strich sich einmal nachdenklich über die Stirn. "Also... ganz merkwürdig. Wie soll ich sagen, blondes Haar, riesige blaue Augen... mehr hab ich nicht gesehen!"

"Vielleicht hast du Hallus.", sagte Kyo. "Hätteste mal vorhin nicht den Alk getrunken, der war bestimmt abgelaufen!"

"Ich hab aber auch welchen getrunken und nichts gesehen.", behauptete Toshiya und gähnte. Die zupfte sich sein Shirt zurecht und tröstete Kaoru, dessen Beule noch immer leicht schmerzte.

"Kann auch sein, dass ich mich in der Aufregung vertan habe und es mir nur einbildete."

Obwohl Die genau diese Worte aussprach glaubte er nicht an sie. Er hatte wirklich was gesehen, doch wie sollte man das den anderen klar machen? Wenn er erzählen würde, er habe einen jungen Mann in seinem Alter gesehen, mit blondem Haar, hellblauen Augen und silbernem Lippenschmuck, gekleidet in einem dunkelblauen Kimono und seltsamer Schminke im Gesicht, dann hielten sie ihn womöglich für verrückt. Er glaubte nicht, dass das am Alkohol lag, den er vorhin getrunken hatte.

Toshiya und Kyo machten sich über Dies Erscheinung lustig, doch Shinya zweifelte gar nicht mal so daran. Auch wenn er sich am liebsten eingeredet hätte, dass die Halluzination nur wegen des Alkohols sei, kam er einfach nicht dazu. Allein dieser Ort, an dem sie sich nun befanden, strahlte eine merkwürdige Atmosphäre aus. So merkwüdig, dass sie nicht zu beschreiben war. Kaoru hingegen glaubte nicht an das was Die sagte. Ganz im Gegenteil. Er regte sich bloß über diesen dummen Sturz auf und gab die Schuld dem Wodka.

"Habt ihr was Interessantes da unten gefunden?", fragte Kyo um die Stimmung ein wenig zu heben und folgte den Anderen in den hinteren Raum zur Küche, wo Shinya mit dem Essen kochen angefangen hatte.

"Hm.", antwortet Kaoru, setzte sich im Schneidersitz an den flachen Holztisch auf das Kissen und nahm Tee entgegen. "Alte Antiquitäten, Gemälde, Bücher, Lampen. Irgend so ein altes Zeug, eigentlich nur Kram."

Kyo hockte sich zu ihm und legte sich flach auf den Boden. "Aha. Und sonst nichts?"

"Nein. Jedenfalls nichts, was interessant sein könnte."

Kaoru bestrafte sich innerlich gerade für diese grandiose Lüge. Natürlich fand er es interessant, allein weshalb da unten so viel alte Sachen herum standen. Er wüsste gerne, woher sie stammten, wem sie gehörten. Und vor allem, wie lange sie dort schon verweilten.

"Da unten sieht es vielleicht aus. Schlimmer als in Toshimasas Wohnung."

"Gut das ich nicht unten war!", sagte Kyo leicht kichernd und etwas schadenfroh, lauschte dem Klimpern Shinyas, der an der Feuerstelle Essen kochte. Er war der Einzige, der mit solchen Dingen vermutlich am Besten zurecht kam. Kochen war meistens Shinyas Sache.

"Ich störe euch ja nur ungern, aber..."

Kaoru sah auf stellte seinen Tee weg und blickte Shinya an.

"Ich hätte da ein Problem und zwar wäre das der Brennstoff. Ich brauche Holz um das Feuer zu zünden."

"Ich sag gleich Toshimasa und Daisuke Bescheid, dass sie welches suchen sollen."

Shinya sagte darauf hin nichts und ließ sich neben Kyo fallen, der gerade ausgiebig gähnte und sich gelangweilt am Bauch kratzte. Stille trat ein und der Tee dampfte schweigend vor sich hin. Irgendwo war Toshiyas Lachen ohne Zweifel zu hören und wo er war, fand man Die ebenfalls. Die Beiden hingen echt nur zusammen und das fand Shinya sehr schön.

Neckend stach der Drummer Kyo kurz mit dem Zeigefinger in die Lende, worauf das Warumono zusammenzuckte und Shinyas leichtes Grinsen registrierte. Ohne eine Reaktion legte der kleine Sänger müde den Kopf auf Shinyas Schoß.

"Schlaf gut."

Kyo kicherte. Kaoru legte sich ebenfalls mit einer Zigarette nach hinten und schaute sich den Raum in aller Ruhe an. Das Holz an den Wänden könnte jeden Moment zusammenbrechen, so alt sah es aus, so verfallen. So hatte er sich eine naturgemäße Fereienhütte zwar nicht vorgestellt, doch es war mal etwas anderes als ein steriles, gefühlloses Hotelzimmer. Kaoru hatte diese seltsamen Emotionen, jedesmal wenn er in die alte Tempeleinrichtung betrachtete. Auch wenn er diesen Einfall immer so gut wie zu verdrängen versucht, kam er einfach nicht davon los, zu überlegen, ob sie nicht doch falsch hier waren. Auch wenn er die passenden Schlüssel dabei hatte.

"Was überlegst du jetzt schon wieder?", fragte Kaoru, als er Shinyas ausdrucksloses Gesicht sah. Zwar wusste er, dass der Drummer nicht gerade der Gesprächigste war, doch wenn er erst einmal ein Thema fand, ließ sich auch Shinya mit reißen.

"Ano... Die sagte doch, er hätte was gesehen, oder?"

Kaoru zog an der Zigarette. Blauer Dunst stieg empor, Kyo kratzte sich einmal an der Wange, bevor er seinen Kopf wieder auf Shinyas Schoß vergrub.

"Hai. Wenn man Wodka aus dem siebzehnten Jahrhundert trinkt, ist es kein Wunder, das er Hallus kriegt.", antwortete Leader-Sama.

"Nein, das meine ich nicht."

Mit großem Bedenken schaute Kaoru Shinya noch genauer an und der Drummer kannte den Blick des Ältesten. Er musste ohne wenn und aber leicht lächeln.

"Ah... du also auch...?"

Shinya nickte. "Vorhin, als wir rein kamen. Ich dachte erst, es wäre ein Besucher oder so, aber als ich mich ein zweites Mal umsah... war er weg. Und ich glaube nicht, dass ich mir das eingebildet habe."

Kaorus Augen wurden leicht glasig und dann fiel die Asche auf seine Hose. "Und er oder sie hat nichts gesagt?"

"Nein, ich habe nur gesehen, dass es ein Mann war. Etwa so groß wie du, vielleicht ein bisschen größer. Er hatte ein aufgeschlagenes Buch in der Hand, dunkelblondes Haar und eine Brille im Gesicht, mehr weiß ich nicht. Und er sah... sehr gebildet aus."

"Oh, dann war das bestimmt ich!", kicherte Kyo, worauf Shinya ihm das Haar leicht durch wuschelte.

"Nee, du warst doch schon längst hinter Kao her!"

Leader-Sama fegte sich angewidert die Asche von der schwarzen Hose und drückte die Zigarette aus. "Vielleicht habt ihr einfach noch schlechte Erfahrungen von gestern Nacht."

Shinya sah seinem Bandleader hinterher, wie er in die Halle ging und sein Gepäck suchte, das vor dem Eingang stand. Dem Drummer war klar, dass er ihm keinen Glauben schenkte.

"Shin, schau mal!"

Shinya drehte sich vorsichtig um und blickte direkt in ein großes Gesicht. Das etwas veränderte Gesicht von Toshimasa Hara. Die hielt ihm grinsend das verstaubte Gemälde vor die Nase.

"Hm? Wo habt ihr das denn weg?"

"Aus dem Keller.", sagte Toshiya. "Daidai sagt, der Typ auf dem Bild habe Ähnlichkeit mit mir."

Kyo hob den Kopf hoch und scannte neugierig die Umrisse. "Ah... gekämmtes Haar, makellose Haut, hübsche Klamotten... das kann nicht Totchi sein."

Toshiyas beleidigten Schmollmund ignorierend legte das Warumono seinen Haupt wieder auf Shinyas Beine.

"Ich finde schon das er so aussieht, oder? Oder, Shin?!", drängte Die den Jüngsten auf. "Schau doch mal genau hin!"

Widerwillig berührte Shinya das Bild mit den Fingerspitzen, spürte die feinen Risse der Ölfarbe und nach einiger Zeit bekam er das Gefühl, als würde ihn die Person genau anstarren, die darauf zu sehen war.

"Es..."

Die schaute über den Ramen und beobachtete Shinya, wie er konzentriert dieses Gemälde betrachtete.

"Shin?"

Shinya sah nicht hoch zu Die, sondern führte weiter mit den Fingerspitzen die Konturen des Bildes nach. Toshiya spielte währenddessen aus Langweile mit Kyo Händeklatschen. Das Warumono hatte die Zigarette zwischen den Lippen geklemmt und schlug die Hände des Bassisten beinahe blau.

"Es...", wiederholte Shinya abermals. "Es ist wunderschön."

Dann sah er auf zu Die und lächelte. "Wer hat es gezeichnet?"

Der Rothaarige zuckte die Schultern. "Keine Ahnung, da steht kein Name. Frag mich was Leichteres."

"Er sieht wirklich aus wie du, Totchi!"

"Was?!", riefen Kyo und Toshiya gleichzeitig verblüfft und drehten sich zu Shinya. Dieser schaute verlegen weg und Die grinste nur. "Hab ich doch gesagt! Wenigstens zwei Leute, die mit mir übereinstimmen!"

Toshiya nutzte Kyos Händeklatschen-Abwesenheit und schlug ihm einmal gewaltig auf die Finger, worauf das Warumono ein überraschtes "Hey" von sich gab und zurück patschte.

"Wollen wir uns mal oben umsehen? Vielleicht gibt's da noch mehr coole Sachen!", schlug Die vor und stellte das große Gemälde mit dem "adligen Totchi" an die Wand neben dem erloschenen Kamin. Shinya erhob sich, glitt in seine rosa Hello-Kitty-Hausschuhe und sah Kaoru dabei zu, wie er sein Gepäck ebenfalls nach oben trug. Der Drummer folgte ihm, merkte, dass Die ihm nicht mehr folgte, sondern wieder bei Toshiya und Kyo rumhing und ging dann allein mit Kaoru die große Holztreppe rauf. Manchmal war das Knarzen wirklich schmerzhaft und es hörte sich fast so an, als leide die Treppe, sobald man sie bestieg.

"Also das hier...", begann Kaoru in einem der hintersten Zimmer. "...würde zum Schlafen ausreichen!"

Shinya folgte der Stimme und schaute in den Raum rein, wo sein Leader die Hände in die Hüften stemmte und den gefundenen Schlafplatz beurteilte. Die mit Bildern beschmückten Wände wurden jedoch von vielen Spinnweben verziert und wie auch in den anderen Zimmern lag eine dicke Staubschicht über die Schränke und Kommoden. Die waren allerdings auch schon zusammengefallen und Porzellanscherben lagen überall verstreut herum.

Neugierig kam Die die Treppe hoch geschlendert und suchte Kaoru und Shinya. Auch wenn man es ihm nicht ansah, war dem fröhlichen Gitarristen dieses Haus nicht ganz geheuer. Nicht, nachdem er diese gruselige Gestalt vor sich eben erblickte.

"Hier wollt ihr schlafen?", fragte er angewidert, als er in verstaubten Raum sah und die Schiebetür ganz beiseite schob. "Vielleicht sollte man hier erstmal sauber machen."

"Ja, denke ich auch.", antwortete Kaoru nachdenklich. "Also, hol die Anderen hoch, ich schau nach ob ich einen Staubsauger finde."

Kaoru ging aus dem Raum in das nächste Zimmer und im nächsten Moment hörten Shinya und Die nur ein erstauntes "Woah". Leader-Sama hatte ein eingefallenes Kämmerlein entdeckt, wo das Dach oben vollkommen durch einen abgeknickten Baum zerstört war und die Sonne unschuldig herein schien.

"Sieht aus wie ein Blitzeinschlag. Aber verbrannt scheint es wohl nicht zu sein.", sagte Shinya und tippelte Kaoru hinterher, der mal wieder seine Neugier nicht unterdrücken konnte. Ja, warum war er eigentlich so neugierig? Normalerweise schnüffelte Toshiya überall rum, aber dieses alte Haus fand Kaoru wunderschön. Irgend etwas hatte das an sich, irgend etwas, dass Leader-Sama erstaunte und völlig in seinen Bann zog. Wie ein dunkler Strudel, als wollten dieses verfallenen Ruinen ihm etwas mitteilen. Shinya fühlte sich genau so, nur er hatte immer noch kleine Zweifel. Und die kamen auch wieder aus dem Nichts. Auch Die war nicht ganz so entschlossen, Kaoru hingegen fand das alles total interessant.

"Toll, und wenn es regnet dann kommt das ganze Wasser hier oben rein!"

Der rothaarige Diru-Gitarrist blickte nach oben in die große Dachlücke. Tautropfen liefen an dem feuchten Holz hinunter und ließ es zusammen mit der Sonne glänzen.

"Diese Beschädigung hat man von draußen gar nicht gesehen.", sagte Kaoru sarkastisch. "Was soll das bitteschön? Ein Ferienhaus, dessen Dach so auf der einen Seite beschädigt ist, dass es rein regnet. Super Urlaubsort hab ich da ausgesucht. Tut mir Leid, Leute."

"Merkwürdig.", flüsterte Shinya. "Ich glaube trotzdem, dass wir an einem ganz falschen Ort sind."

Kaoru gab keine Antwort, kein Kommentar darauf, denn er wusste, das es ihm mittlerweile genauso wie Shinya ging. Das konnte es doch echt nicht sein. Leader-Sama reimte sich nun alles zusammen. Erst die klemmende Eingangstür, die mit normalem Krafteinsatz gar nicht auf ging, dann die dreckigen, teilweise zerstörten Zimmer dessen Einrichtung mit einer zentimeterdicken Staubschicht belegt war, der rattenverseuchte Keller im Untergeschoss, der verwucherte Innengarten voller giftiger Efeupflanzen, die trüben Fenster im ganzen Tempel, die Gemälde aus längst vergangenen Tagen und zu guter Letzt die Berichte von Die und Shinya.

In solch einer Umgebung, war das längst kein Urlaub mehr.

"Da seid ihr ja. Heftig, was ist denn das da?!"

Kyo kam in den Raum und registrierte das weite Loch im Dach.

"Hier ist ein Baum eingefallen, vielleicht durch einen Sturm.", antwortete Shinya, weil Kaoru etwas abwesend da stand und wohl Kyos Frage nicht gehört hatte. "Merkt man auch an der Kälte."

"Im Badezimmer funktioniert das Wasser nicht."

"Was?!", rief Die und auch Shinyas Augen wurden groß. "Kao, hast du gehört, das Wasser geht nicht!"

Kaoru drehte sich um und schaute in drei besorgte Gesichter. "Das habe ich mir fast gedacht. Ich bin mir aber sicher, dass es irgendwo einen Boiler oder so etwas geben muss."

"Totchi sucht schon die ganze Zeit danach.", erwiderte Kyo lässig und ging mit Shinya aus dem feuchten Zimmer. Die folgte ihnen und sie untersuchten mit Toshiya die Brunnen im Erdgeschoss. Kaoru holte tief Luft, stellte sich an die Brüstung des oberen Stockwerkes und sah sich noch einmal das zerfallene Gebäude an. In ihm wurde die Skepsis zunehmend größer. Ihm wurde allmählich der Fehler bewusst, der die ganze Zeit schon in seinem Herzen steckte. Etwas bahnte sich an und Leader-Sama hatte das Gefühl, das es nicht gut war.

Unten klopfte Toshiya neugierig lauschend auf den alten, vergoldeten Wasserhahn, der die ganze Zeit schon komische Geräusche von sich gab. Kyo wurde speiübel als er in die dreckige Toilette schaute. So ein unhygienisches Badezimmer hatte selbst er auf den schlimmsten Flughafentoiletten noch nicht gesehen.

"Wenn ihr das Ding mit Gewalt misshandelt, wird's auch nicht besser."

Die und Toshiya schauten Kyo an, der sie dabei beobachtete, wie sie gegen den Wasserhahn schlugen.

"Und es liegt bestimmt nicht am Hahn selbst."

"Dann versuch du doch mal!", sagte Toshiya daraufhin und wandte sich vom ebenfalls verunreinigten Waschbecken ab. Shinya stand in der Tür und Die schien ihn wohl zuerst bemerkt zu haben, als Toshiya und Kyo eine heillose Diskussion über das Bedienen von Wasserhähnen anfingen. Der Sänger trat zu ihm, versuchte ebenfalls sein Glück, indem er den verrosteten Hahn langsam aufdrehte. Seine Finger schlossen sich um das alte Metall, Toshiya schaute ihm zu.

"Der geht nicht auf! Scheißteil!", fluchte Kyo mit einmal und bat Shinya sich an den Hahn zu vergreifen.

"Sag ich doch! Lass Shinya mal ran!"

Auch Shinya, der von allen die meiste Kraft besaß, schaffte es das verrostete Kupfer ein kleines bisschen zu bewegen. Nicht mal ein Tropfen kam heraus. Um sicher zu gehen, berührte er mit dem Zeigefinger einmal das Porzellanbecken, doch seine Haut blieb trocken.

"Immerhin hat es geklappt, das Ding lässt sich wenigstens schon mal öffnen.", sagte Die runter gezogen.

"Das bringt aber nichts, da vielleicht die Wasserrohre schon so uralt sind, dass das Wasser irgendwo weg fließt.", antwortete Kyo und ging kopfschüttelnd aus dem Badezimmer. Shinya seufzte nur leise und übersah Toshiya, der in dem Gesicht des Drummers ein Lächeln wieder finden wollte, jedoch keines fand.

Ohne weitere Beachtung des Bassisten drehte er sich um und ging. Er war blass. Irgendwas stimmte mit Shinya nicht. Spätestens jetzt wurde Toshiya das klar. Er verhielt sich dermaßen merkwürdig. Diese Schweigsamkeit war nicht mehr normal und total unshinya-like.

Toshiya beschloss, den Anderen zu folgen und verließ den Duschraum. Das der Wasserhahn so eben ein gurgelndes Geräusch von sich gab, hörte er nicht mehr. Eine weinrote Flüssigkeit tropfte in das Becken und glitt langsam aber sicher in den schmutzigen Abfluss hinein.

Der Hahn "blutete".
 


 

6
 

Nachdem sie vergeblich versucht hatten, den ausgetrockneten Brunnen zu wässern, machte Kaoru den Vorschlag, über die Berghänge in der Nähe zu klettern und die heißen Quellen zu besuchen. Die hätten sie vermutlich ganz für sich allein. Der Hang hinter dem Tempel qualmte und der Dunst kroch durch die Baumwipfel. Eigentlich war es ein wunderbarer Ort. Und wieder mussten sie ein wenig von ihrem Gepäck schleppen, der Rest blieb im Tempel zurück.

Der Weg hatte sich doch länger gezogen, als sie dachten, aber bis auf Kyos genervtes Gestöhne beschwerte sich so gut wie Niemand über lästige Felsen oder müde Beine. Nach einiger Zeit meldete sich Kaorus Rücken. Darauf hatte er eigentlich nur gewartet. Kreuzschmerzen zogen sich bis in das Unterleib und manchmal waren sie einfach unerträglich. Toshiya kämpfte sich soeben durch ein enges Baumgestrüpp, als Kaoru leicht einknickte und mit dem Fuß im nassen, matschigen Herbstlaub stecken blieb. Sauer zog er den Treter wieder raus, folgte den Anderen vor ihnen. Manchmal war ihm so, als würde er jeden Moment sterben. Die Rückenschmerzen wurden von mal zu mal intensiver, dann schienen sie zu verschwinden und wie ein stechender Blitz wieder aufzutauchen. Der Berghang war schon verdammt steil. Kaoru hielt kurz an und verschnaufte leise, stützte die Arme auf die Knie. Er blickte auf das leicht goldgelbe Laub und sah plötzlich zwei schwarze, dreckige Gummistiefel vor sich. Langsam glitt sein typischer Leader-Sama Blick nach oben und schaute in Kyos hauchzart lächelndes Gesicht. Er hielt Kaoru die Hand vor die Nase, in der Aufforderung zum Mitziehen. Shinya schaute ebenfalls etwas erschöpft nach hinten, packte seine Sporttasche wieder ordentlich auf die Schultern und wartete. Toshiya und Die hörte man noch leicht vor sich, doch dann erstickten ihre Stimmen hinter dichten Gebüschen. Der Drummer jedoch konnte noch einwandfrei Dies rote Frisur unverwechselbar erkennen.

Kaoru lächelte ein bisschen hämisch, doch dann nahm er Kyos Hand und ließ sich wieder hoch ziehen. Kyo selbst sagte kein Wort, sondern wandte sich dann wieder Shinya zu. Er konnte doch so lieb sein, dachte Kaoru als er Kyo so fröhlich sah. Selten. Selten sah er den sonst meist mürrischen Sänger so entspannt. Nur Leader-Sama hoffte nicht nur, dass er weiterhin so fröhlich war, sondern dass sie wirklich wieder nach Hause konnten. Handys schienen in diesem Gebiet so gut wie unbrauchbar zu sein, aber mit der Hoffnung auf ein mobiles Gerät oberhalb der heißen Quellen zu finden, ging Kaoru weiter und ließ seine Rückenschmerzen erst außen vor.

Die viertel Stunde, die sie über steile Hängen verbracht hatten, mit Badetüchern und Waschzeug im Gepäck, lohnte sich. Toshiya starrte zuerst makellosen, dampfenden Geysiren entgegen. Japan hatte doch wirklich ganz schöne Orte. Und dies war bestimmt einer der Schönsten.

Das heiße Wasser stieg in glitzernem Dunst auf und setzte sich teilweise in japanischen, rosaroten Ahornbäumen fest, bis es sich dann einschließlich in der Luft auflöste. Manche Flächen blubberten einladend und bevor Kyo sich daran machte, das Gepäck beiseite zu stellen, schaute er, ob wirklich niemand Fremdes zu sehen war. Shinya kam auch aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Luft hier oben war deutlich kühler und auf manchen Grasflächen lag sogar Schnee. Ein riesiger Berg, dessen Name sie nicht wussten, erstreckte sich vor ihnen. Und der Berg war wohl oder übel ein erloschener Vulkan.

"Wow... sieht ja krass aus!"

Die grinste erfreut und drehte sich zu Kaoru um, der aufatmend an einem Baum stand.

"Geht's?"

Leader-Sama nickte bescheiden und strich sich über den Nacken.

"Worauf wartet ihr denn?!", rief Kyo ungeduldig und stand auch schon mit freiem Oberkörper in der Kälte. Seine Haut war teilweise sehr blass und Shinya war wohl der Einzige, der noch immer geschockt war, von den kleinen Narben auf der Brust und am Hals des Sängers.

"Was ist, wenn wieder Piranhas da drin auf dich lauern?", fragte er und zuckte die Schultern, während Kyo sich streckte und aufwärmte. Alles, um einmal ordentlich in diesem herrlich klaren, angenehmen Wasser durch zu schwimmen.

"Piranhas gibt es hier nicht."

Alle schauten urplötzlich zu Die, dessen entschlossene Aussage er mit einem Grinsen verdeckte.

"Seh ich auch so!", sagte Kyo als Erster wieder und rannte aufgeregt zum Ufer des Geysirs. Seine Fußspitzen berührten das heiße Quellwasser und schließlich trat er mit dem ganzen Fuß hinein. Schmerz breitete sich bis in seinen Oberschenkel aus, als das nasse Heiß seine leicht getrocknete Bisswunde umspülte.

Kaoru entledigte sich so eben seinem langärmeligen, schwarzen Shirt und sein Gesicht verzog sich vor Schmerzen, als er das Kleidungsstück über den Kopf zog. Toshiya hatte Die in das Wasser geschubst. Kyo war irgendwo untergetaucht und kurze Zeit nicht zu sehen. Sogar Shinya wagte sich in das warme Gewässer, hatte es vorerst sehr heiß geschätzt, doch es war richtig angenehm.

"He Kao!"

Kaoru sah von seinem Handy auf, dessen Empfangsleitung noch immer tot war.

"Komm rein, das ist voll schön.", schwärmte Shinya, nachdem er nun bis zur Gürtellinie in die riesige, silberne Quelle trat. Rund herum war sie mit kleinen Felsen umgeben, der Himmel war grau, von Wolken bedeckt und ungemütlich. Ganz anders als unten, wo die Sonne noch fröhlich schien.

"Toshimasa!", rief Kaoru plötzlich ärgerlich, stand abrupt auf und unterdrückte einen Schmerzensschrei. Toshiya, der sich mit Die ein Wassergefecht lieferte und total durchnässt war, bemerkte nicht, dass Leader-Sama ihn gerufen hatte. Erst als sie sich beruhigt hatten, machte Die ihn darauf aufmerksam. Kaoru stand am Ufer und hielt sein Handy in der Hand.

"Was'n?!", lachte Toshiya fröhlich, konnte jedoch Kaorus Laune nicht aufbessern.

"Du sollst nicht andauernd an mein Handy gehen!", rief er laut, doch Toshiya schaute Die nur fragend an.

"Hä?"

Die zuckte ahnungslos die Schultern, wusste auch nicht Recht, was Kaoru von ihnen wollte.

"Tut nicht so unschuldig, ich weiß, das einer von euch an meinen Uhreinstellungen rumgefummelt hat!"

"Jetzt noch mal...", sagte Toshiya, während er leicht verwirrt aus dem Wasser stieg und seinem Leader gegenüber trat. "Was ist mit deinem Handy?"

"Welcher Idiot hat das Datum verändert?!", fuhr Kaoru ihn wie eine Raubkatze an und hielt Toshiya sein teures Handy vor die Nase. Ohne Zweifel war auf dem Display ein ganz anderes Datum eingestellt, als vorher. Als Die dieses "Phänomen" sah, nahm er erstaunt das Handy in die Hand um dessen Fehler noch genauer zu erkennen.

"Hö? Komisch..."

"Also, wer war das von euch?", fragte Kaoru noch einmal und entnahm dem erstaunten Die das Mobiltelefon wieder. Toshiya grinste verlegen. Wenn er jetzt sagen würde, dass weder er noch Die etwas damit zu tun hatte, dann würde Kaoru ihnen das eh nie glauben. Aber eine andere Wahl hatte er nicht. Toshiya konnte nur das sagen, was der Wahrheit entsprach. Und diesmal schwor er auf den Tod, dass er dieses Handy nicht einmal seit heute Morgen angerührt hatte. Nicht einmal.

"Ähm, ja also, Kao, ehrlich, weder Die noch ich..."

"Toshimasa, lass die Lügerei und sag gleich die Wahrheit, bitte."

"Es ist so! Wir hatten das wirklich nicht! Warum sollten wir außerdem dein Handy verstellen, was ergibt das denn für einen Sinn?!"

Kaoru platzte beinahe vor Wut. "Das fragst du noch?! Du machst auch dumme Sachen, die keinen Sinn ergeben!"

"Aber Kao, Totchi und ich haben Besseres zu tun! Außerdem denken wir uns was Originelleres aus, als so ein lauer Handy-Streich!", lachte Die, brach aber ab, als er sah, wie Kaorus Wut sich langsam in Verzweiflung umsetzte.

"Klasse...", sagte er und drehte sich um. "Mich kotzt das wirklich an. Wenn ich rauskriegen sollte, das auch nur einer von euch irgendwas an meinem Handy-"

"Kao verdammt, wir warn's nich!"

Dies lauter Ton holte sogleich Kyo und Shinya aus dem Wasser, die wohl anscheinend auch ein wenig rumgetobt hatten und sich mit strähnigen Haaren zu ihnen stellten. Kaoru hockte sich, den Anderen den Rücken zugewandt, auf sein Handtuch und legte den Kopf in die Hände.

"Und auch wenn, was können wir dafür, wenn dein Handy nicht mehr funzt und der Empfang weg ist?! Vielleicht ist es ja wegen der Kälte nass geworden oder so! Man sollte eventuell besser auf so was achten!", sagte Toshiya vorwurfsvoll, doch in keiner Weise böse gemeint. Das war auch ein Fehler denn Leader-Sama verstand Vieles manchmal falsch.

"Das musst du gerade sagen!"

Kaoru erhob sich wieder und ging wutentbrannt auf Toshiya zu, drückte ihn einmal fest gegen den nächsten Baum und blitzte ihn mit gefährlichen Augen an. "Du gerade!! Wer hat denn unseren Navigator liegen gelassen?! Die Karte nicht wieder eingesteckt?! Weißt du eigentlich wie wir zurück kommen sollen?! Und weißt du in was für einer Situation ich mich gerade befinde?! Ja?! Weißt du das?!"

Shinya legte Kaoru beruhigt seine Hand auf die Schulter, doch Leader-Sama war so vor Zorn außer sich, dass er das gar nicht merkte. Toshiya sagte nichts, sondern beobachtete mit traurigem Blick die dunklen Augen Kaorus, die mit der Zeit immer glasiger wurden. Und er zitterte leicht. Kyo und Die hielten sich sicherheitshalber daraus, beobachteten jedoch das Szenario.

"Ich hätte gerne gewusst wie es ihr geht. Und sie bestimmt auch... Ach... sorry..."

Kaoru ließ langsam von Toshiya ab, der nur schluckte und langsam den Sinn der ganzen Sache verstand. Er hatte doch glatt vergessen, dass sein Leader-Sama in ein paar Tagen Vater wird. Beschämend, so etwas zu vergessen, auch wo Toshiya Kinder doch so gern hatte.

"Kao... nich weinen..."

Toshiya umarmte Kaoru freundschaftlich und dieser legte nur den Kopf an dessen Schulter, schaute mit leerem Blick auf die nebligen Quellen.

"Tut mir Leid... aber wir haben wirklich nichts an deinem Handy verstellt. Und Mi geht's bestimmt gut. Denk nicht einmal daran, das ihr etwas passiert ist."

Das war etwas, dass Toshiya sehr gut konnte. Eine seiner Umarmungen brachte Kaoru wieder ein leichtes, hoffnungsvolles Lächeln ein.

"Tut mir Leid. Arigato, Totchi."

"Hm. Aber... nicht weinen, ja?"

Kaoru nickte leicht und löste sich dann von Toshiya. Er fühlte sich nun deutlich besser, fragte sich dann aber, wie lange dies wohl andauern würde. Jetzt hatte er ein schlechtes Gewissen. Deswegen, weil er Toshiya grundlos Vorwürfe machte. Doch für die Art des Bassisten allein, war er dankbar. Toshiya war ihm anscheinend trotz des gemeinen Tons nicht böse.

Kyo atmete erleichtert aus und fing an zu quengeln. "Kommt jetzt wieder jemand mit ins Wasser? Es ist kalt!"

Und das sagte er viel mehr um das Thema umzuschlagen. Ihm fiel auf, dass Die während des Vorfalls so bleich wie Kreide wurde. Sogar seine Haare nahmen eine leichte Blässe an, so kam das Kyo wahrlich vor. Konnte aber auch der neblige Dunst gewesen sein. Der Gitarrist saß auf seinem roten Coke-Handtuch und starrte ununterbrochen auf sein silbernes Handy.

"Ey Tosh!", sagte er und alle sahen ihn an. Shinya trug nun ein rosafarbenes Handtuch um die Schultern. "Ich glaube das ist der Beweis, dass wir nichts mit der Sache zu tun haben, oder?"

Er hielt ihnen sein Telefon hin, damit alle gut drauf sehen konnten. Und auf dem Display stand dasselbe Datum wie bei Kaoru. Der 06.08.1944.

"Gibt's doch nicht.", staunte Shinya lächelnd und beschloss genau wie Toshiya sein Handy daraufhin zu prüfen. Geschockt stellten alle dasselbe Ergebnis fest. Kyo lachte sich einen ab, als sie alle wie verrückt über ihre Handy fluchten. Und genau dies, handelte ihm böse Blicke ein.

"Kyo, du hast doch wohl nicht etwas damit zu tun?", fragte Kaoru düster. Kyos Lachen erstickte.

"Ich?! Nein!" Zum Beweis hielt er ebenfalls sein Motorola entgegen und ließ ihnen das Datum anschauen.

"Komisch...", sagte Toshiya und Die fing an zu überlegen. Wie konnte sich ein Handy ein total falsches Datum einstellen und das auch noch bei wirklich jedem Handy? Eine Frage, die niemand beantworten konnte. Toshiya kam mit "Bösen Geistern, die sich einen Spaß erlauben wollten" und Die bestätigte nur seine These, in dem er ihm vorwarf, er wäre der Geist gewesen. Shinya glaubte langsam, er drehe in diesem ganzen Trubel durch. Das zeigte er zwar nicht, aber innerlich glaubte er schon, er würde verrückt werden, solange er weiter hier blieb. Das war doch alles seltsam. Und warum ausgerechnet dieses Datum? Kyo verzog sich wieder zurück in die Quelle, gefolgt von Die und Toshiya, die nach ein paar Minuten die Geduld verloren, sich weiter irgendwelche unerklärlichen Thesen auszudenken. Diesmal ließ sich auch Kaoru in das Wasser gleiten und spürte erst jetzt, wie entspannend das wirklich für seinen Rücken war. Der seichte Schaum, der seine Haut umspülte fühlte sich gut an und da hatte Shinya wohl Recht gehabt. Kyo schwamm von einer Ecke zur Anderen, manchmal um mit Die und Toshiya Quatsch zu machen oder um mit Shinya zu reden. Mit geschlossenen Augen tauchte Kaoru soweit unter, dass nur noch sein Kopf aus dem Wasser ragte. Das leichte Sprudeln der Quelle war durchaus angenehm und wohltuend. Shinya setzte sich zu ihm und beobachtete Die, der auf einem Felsvorsprung stand und runter schaute. Der Nebel wurde zunehmend intensiver. Von Shinyas Richtung aus, konnten sie gar nicht mehr das Ufer erkennen, wo ihre Sachen lagen.

Die Gegend hier war sehr verlassen. Und das wunderte nicht nur Kaoru. Er wusste, dass alle irgendwie in irgend einer Art dasselbe fühlten. Kyo wurde von etwas Unbekanntem angefallen, jemand hatte sie rücksichtslos aus ihrem Zeltlager verscheucht und fast zu Tode erschreckt, Shinya und Die sahen Personen, die gar nicht hätten da sein dürfen, die Ferienhütte, die Kaoru mittlerweile nicht mehr so bezeichnete, sah eher aus wie ein shintoistischer Schrein aus vergänglicher Zeit, ihre Handyuhren gaben den Geist auf und das Datum war total falsch. Was sollte daran nicht merkwürdig sein? Alles ergab keinen Sinn. Die Ferien arteten doch so langsam wirklich in ein Abenteuer aus und sie waren alle echt gespannt wohin das führte.
 

7
 

Mask
 

Kyo lehnte sich nach seiner Tauchstunde gemütlich zurück in die Nische und rauchte, während er dabei zusah, wie Shinyas schlanke Finger über Kaorus Rücken glitten. Leader-Sama war so angespannt, dass er die Sticheleien von Toshiya und Die nicht bemerkte. Er konzentrierte sich vollkommen darauf, dass die Rückenschmerzen durch Shinyas geschickte Hände verschwanden. Kyo fiel in Gedanken, meist alte Erinnerungen, wenn er so ruhig da saß und den Rauch der Kippe inhalierte. Toshiya und Die beschäftigten sich derweil etwas weiter hinten, nahe den verdorrten Büschen und schubsten sich gegenseitig ins Wasser, sprangen aufeinander oder versuchten einfach nur die Anderen zu ärgern.

"Weiter rechts..."

Shinya nickte und drückte Kaorus rechte Schulter fester zusammen. Kyo schaute noch immer ein wenig vergnügt zu, wie Kaoru dem Drummer Anweisungen gab.

"Ja, so ist gut."

"Was machst du denn ständig mit deinem Rücken?", fragte Shinya neugierig.

"Sag bloß, du hast das schon vergessen?"

"Ähm, doch, ja... nur, genau wie es heißt, weiß ich nicht mehr!"

"Chronische, au!! Osteochondrose..."

"Gomen!"

"Du hast aber auch Kraft... sieht man dir gar nicht an."

Shinya seufzte. "Schlagzeugspielen geht nun mal in die Arme."

Kaoru schaute schon die ganze Zeit auf die Wasseroberfläche, während der Drummer seelenruhig hinter ihm saß und die Rückenschmerzen vertrieb.

"Kao?"

"Hm?"

"Du musst gesünder leben."

Kami-sama und das war wieder Shinya. Selten hielt er den Anderen vor, wie nötig sie es hatten, besser auf ihren Körper zu achten. Aber da er merkte, dass es hundertprozentig nur akustisch vernommen wurde, ließ er es ganz sein. Nur bei Kaoru war das öfters nötig, auch wenn es nie was brachte. Blaue Flecke, eingerissene Fingernägel, Raucherlunge, Rückenbeschwerden, anfällige Zähne, die ihn schon oft einen Besuch beim Zahnarzt erließen und was nicht alles Kaorus Lebenshaltung einschränkte. Aber Leader-Sama war das vollkommen egal. Auch wenn ihm manchmal bewusst war, das er sich damit nichts Gutes tat.

"Shin-Chan, ich danke dir, du hast eine heilende Hand."

Shinya lachte leise, welches aber kurz darauf von Toshiya übertönt wurde. Kyo schaute nach oben und erblickte den fröhlichen Bassisten auf dem Felsen stehen. Grinsend hielt er einmal das Victory-Zeichen hoch und verschwand wieder, um im nächsten Moment mit Anlauf in die heiße Quelle zu rennen. Die stand immer noch drin, das Wasser ging ihm bis zum Bauchnabel und er wartete auf Toshiya, der einen Affenzahn einlegte und über das Ufer in die Quelle sauste. Und obwohl das Wasser sehr flach war, fiel er im nächsten Moment hin und landete mit dem ganzen Körper auf die Oberfläche. Die prustete los, denn das sah einfach urkomisch aus.

Toshiya richtete sich auf, schüttelte den Kopf, doch irgendwie lachte er nicht wie sonst über seine eigenen Stolperaktionen.

"Scheiße Die, da war eben jemand!", rief er panisch. Die hörte auf zu kichern und kam auf seinen Freund zu, der ununterbrochen auf die verdorrten Büsche starrte.

"Wie, da war Jemand? Wer denn?"

Anstatt zu antworten hüpfte Toshiya aus dem Wasser, lief zu den kahlen Büschen und erblickte eine ihm unbekannte Person auf dem Boden, zwischen Kompost und alten Holzstücken liegen.

"Ist alles in Ordnung? Wer sind sie?", fragte Toshiya vorsichtig und berührte die Person ganz sanft an der Schulter, nachdem er sich hinunter gehockt hatte. Das in einem verschmutzten Mantel verhüllte Wesen wagte einen schwachen Blick zu Toshiya, dann fiel die Kapuze herunter und entblößte sein Gesicht. Haselnussbraune, weinerliche Augen voller Schmerz eines jungen Mannes starrten ihn ein paar Sekunden lang an, bis der Bassist so große Augen wie Golfbälle bekam und gar nicht merkte, wie sich sein Mund vor Erstaunen öffnete. Zögernd wich er ein bisschen von der schweigsamen Person zurück.

"Sh...", stotterte Toshiya überrascht. "Shinya?!"

Ein bisschen verstört durch die Situation, erhob der Bassist sich und stolperte rückwärts über die Büsche hinaus zur Quelle wo Die sich an den Rand gehockt hatte.

"Die!! Verdammt, Die komm her!"

Der Rothaarige drehte sich ahnungslos um und schwang die Beine aus dem Wasser über das Ufer. Toshiyas blasses Gesicht ließ ihn sofort folgen.

"Was ist?!"

"Da ist Jemand! Shinya ist da hinten!"

"Hä? Sag mal spinnst du jetzt total?! Shin führt bei Kao grad ne Kreuzmassage durch!"

"Nein! Er ist da vorn!"

Toshiya drängte die Büsche beiseite und zeigte Die die Stelle, wo die Person in dem langen, verdeckenden Mantel lag. Der Gitarrist sah mit zusammen gezogenen Augenbrauen hinunter und dann wieder zu Toshiya.

"Ich hol dir Paracetamol, nicht das du von der Hitze noch Fieber bekommen hast und phantasierst."

Toshiya blinzelte ohne Dies Satz vernommen zu haben auf die Stelle, die er ihm soeben gezeigt hatte. Der Mann, der genau so wie Shinya aussah, dessen Gesichtszüge genau gepasst haben und Toshiya direkt anstarrte, war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Die Stelle, wo er lag, war noch nicht einmal ein wenig gedrückt. Die Laubblätter lagen alle so wie auf anderen Stellen auch, aufgelockert und vom Wasserdampf benetzt.

"Die, glaub mir, da war Jemand! Ich schwöre es, ich bin doch nicht blöd!"

Die seufzte aufgebend. "Du auch, ne? Glaubst du mir viel mehr jetzt, das ich keine Hallus hab?!"

Toshiya nickte leicht. "Da war echt Jemand und er sah genau so aus wie Shinya! Ich hab ihn sogar angefasst!"

"Bleib ruhig, ich glaub dir ja. Ich frage mich nur, was das soll! Es kann doch nicht sein, das wir es hier mit Geistern zu tun haben, oder?"

Bei der Frage konnten Die und Toshiya richtig ernst werden. "Wer weiß...", sagte der Bassist schließlich und ging an Die vorbei. Er spürte einen pochenden Schmerz an den Fingerkuppen seines Zeige-und Mittelfingers. Verwirrt betrachtete er sie und stellte fest, dass die Haut daran abgeschürft war und leicht blutete. Und mit diesen Fingern hatte er "Shinya" berührt. Doch ohne viel darüber nachzudenken ignorierte Toshiya die kleinen Wunden und vergaß sie schließlich.

Die blieb noch stehen und sah auf die Stelle, wo der imaginäre "Shinya" lag. Das Laub hatte sich soeben gekrümmt und mit großer Skepsis schritt der Rothaarige weiter auf die Blätter zu.

"Ey Tosh, warte mal! Schau mal, hier..."

Toshiya neigte sich wieder runter und schaute auf den von Die gezeigten Punkt auf dem Boden. Eigenartige Schriftzeichen zierten das goldene Laub und man konnte mit viel Mühe die Botschaft lesen. Die bewegte stumm die Lippen um danach gleich laut zu lesen.

"Shi...shitsurei..."

"Shitsurei shi-masu."(Verlasst sofort diesen Ort)

Die beiden Dirus schauten sich verwirrt an und beschlossen, die Anderen davon zu informieren.

"Das ist doch verrückt!", rief Die und holte rasch sein Handy von seinem Platz. Toshiya blieb am Fundort und las sich die Botschaft noch mal in Ruhe durch, versuchte ihr einen Sinn zu geben. Als Die mit seinem Nokia wiederkam und als Beweis ein Foto schoss, hatte sich die Schrift zu ihrer Überraschung auch nicht verändert.

"Also das hier haben wir fest auf Bild!", grinste der Rothaarige und zeigte Toshiya sein Image.

"Gut. Ich hol mal Kaokao!", sagte Toshiya und hüpfte über die Büsche zur Quelle, wo Shinya sich in einer Ecke den Körper abduschte. Sein Blick blieb an ihm hängen und er vergaß in diesem Moment Kaoru von seinem Fund zu erzählen. Shinya hielt seine Arme unter den kleinen, heißen Wasserfall am Berghang und ohne zweimal hinzusehen, stellte Toshiya fest, dass der Drummer nackt in der Quelle badete. Nackt wie Gott ihn schuf.

Zwar hatte er Shinya früher schon einmal entblößt gesehen, aber dort in der warmen, sinnlichen Quelle verpasste das alles diesem Anblick einen ganz anderen Schliff. Der Schaum im Wasser kräuselte sich auf und wurde voller, als Shinya die Seife von seiner Brust abspülte und sich mit den Händen durch das Haar fuhr. Toshiya schluckte schwer, versuchte die Gafferei und somit seine nicht ganz jugendfreien Gedanken zu stoppen, doch das war schwerer getan als gedacht. Bis Shinya sich umdrehte und von Weitem den Bassisten sah. Der Jüngere hopste runter in das Wasser und verdeckte seinen nackten Körper dadurch, was bei Toshiya tiefe Gefühle der Enttäuschung auslöste. Und um die zu überspielen, winkte er einmal Shinya zu, worauf dieser bescheiden und lächelnd Antwort darauf gab. Am liebsten wäre Toshiya sofort in die Quelle gesprungen und über ihn hergefallen. Hergefallen nicht im perversen Sinne. Oder doch?

Kopfschüttelnd und um den Gedanken zu verschieben trat er einen Schritt weg, doch Shinya lächelte wieder zunehmend mehr.

"Totchi, komm rein!"

In den ersten dreiviertel Sekunden, nachdem Shinya diese Bitte ausgesprochen hatte, dachte Toshiya er hätte sich verhört. Und wie verhört. Shinya wollte ihn bei sich haben. Der Bassist biss sich auf die Unterlippe und sprang dann entschlossen in die flache Quelle. Er war sogar so überrascht, dass er gar nicht merkte, dass es nur eine flache Quelle war, denn beinahe wäre er böse gestürzt und mit den Knien auf den felsigen Boden gelandet. Dann hätte das Wasser an sich eine rote Farbe angenommen.

Jedesmal wenn er Shinya sah, kribbelte es in ihm, wie eine ganze Schüssel Ahoi-Brause, die man in ein feuchtes Schnapsgläschen kippt. Ihm wurde richtig wuschig, bei dem Gedanken, er könne sich verknallt haben. Dies versuchte er einfach auszuschließen, denn er wollte es selber nicht. Denn wenn er in Shinya verliebt wäre, dann würde er nicht eher aufgeben bis er den Jüngeren von seiner Liebe überzeugen könnte. Und Liebe zwischen Mann und Mann war ungewöhnlich, vielleicht sogar pervers. Und das wollte Toshiya eben nicht. Aber er mochte Shinya trotzdem, musste sich halt mit dessen Nähe und Freundschaft zufrieden geben.

"Du... siehst.. gut aus."

Shinya drehte sich nach den Worten Toshiyas um und strich sich mit den zarten Armen über die Schultern. Dann lächelte er nur verlegen und lehnte sich an die Felswand. Gegen Komplimente hatte er nichts, solange sie nicht übertrieben waren.

"Ich meine... du siehst besser aus, als gestern."

"Hm, danke Totchi."

"Oh Shin!" Toshiya hob seine Arme und ließ sie wieder in das Wasser fallen. "Hör doch auf, dich wegen jedem bisschen zu bedanken. Ich kann ja verstehen, dass du sehr höflich bist und dir das auch nie abgewöhnen kannst, aber das du Komplimente bekommst ist doch selbstverständlich!"

"Selbstverständlich?"

Der junge Drummer schaute interessiert auf, direkt in Toshiyas Augen, der zu ihm schwamm und sich neben ihn setzte. "Hai."

"Schau weg!", rief Shinya und füllte seine Hände voll mit Quellwasser, das er im nächsten Moment ins Gesicht Toshiyas warf und damit einen bösen, aber süßen Blick einfing.

"Boa, na warte! Das war hinterhältig!"

Shinya lachte kichernd, fast wie ein Mädchen, als Toshiya ihn gnadenlos nass spritzte.

"Das kann ich auch!"

Um sich zu wehren tauchte Shinya kurz unter, wollte seinen "Gegner" überraschen, doch er spürte schon Toshiyas Hände um seine Hüften, die ihn nach oben zogen.

"Das ist gemein! Lass los!", quiekte der Drummer freudig und zappelte so lange, bis Toshiya vor Lachen automatisch los ließ. Shinya fing den Bassisten auf der Brust wieder auf und umarmte ihn. Es war schön ihn so nah bei sich zu haben und Toshiya fühlte im selben Moment das Gleiche. Unbewusst spürte er Shinyas Herz klopfen, das ziemlich schnell das Blut durch die Venen pumpte. Aufgeregt löste der Jüngste sich von ihm und setzte sich leicht zittrig an die felsige Wand.

Kurze Zeit schwiegen sie sich an, schauten auf die Wasseroberfläche bis Shinya sich ganz dicht an Toshiya hockte und den Kopf gegen die Schulter des Bassisten legte. Dieser lief unkontrolliert leicht rot an.

"Totchi?"

"Ja...?"

"Weißt du... ich... muss dir da was sagen, also..."

"Toshimasa Hara, erster Geisterjäger Japans in einem Rendevous mit Shinya Terachi!"

Toshiya und Shinya schauten konfus nach oben nachdem sie eine bekannte Stimme hörten und sahen Kaoru, Die und Kyo grinsend auf dem Felsvorsprung stehen. Leader-Sama konnte sich wieder nicht zurück halten und musste irgend etwas Auffälliges vollbringen. Aber mich anmeckern, wenn ich zu laut bin, dachte Toshiya ärgerlich, nahm aber alles nicht böse.

"Hey, was macht ihr da oben? Warum stört ihr uns?!", fragte er kichernd und zeigte Die und Kyo den Mittelfinger, die zuerst aus Spaß mit dieser Geste angefangen hatten.

"Wir wollen dich und Daidai zu einem Psychiater schicken!", antwortete Kaoru und zwinkerte niedlich. "Euch sollen die Geister ausgetrieben werden!"

"Dann müssen sie aber zu nem Exorzist.", verbesste Kyo ihn lässig, was Leader-Sama mit einem schönen Lächeln erwiderte.

"Stimmt auch wieder!"

"Ihr seid doch bekloppt!", rief Toshiya und hopste über den Rand hinaus. Shinya schnappte sich das Handtuch und wickelte es sich um die schlanke Hüfte, nachdem er die Quelle verließ.

"Sag bloß, ihr glaubt uns noch immer nicht! Die, du hast doch ein Foto geschossen!"

"Tja... irgendwie haben wir wirklich einen Sprung in der Schüssel!"

"Was?"

Die zeigte Toshiya das Foto, wo er die Schrift erfasst hatte, doch auf dem abgebildeten Laubboden war nichts mehr zu erkennen.

"Fuck, was soll das?! Ich glaube, wir scheinen Beide Hallus zu haben!", sagte Toshiya spaßig.

"Das glaub ich auch!", winkte Kaoru ab und Kyo lachte dreckig.

Obwohl Toshiya und Die nun selber über ihr Phänomen lachten, glaubten sie noch immer, das es echt war. Nein, Halluzinationen hatten sie nicht. Die Überzeugung war einfach zu groß, auch wenn sich viele Dinge nicht erklären ließen.

"Wenn ihr mich fragt.", begann Shinya frierend. "Ich kann nur versichern, dass ich da vorn nicht im Gebüsch lag! Mir ist dieser Ort einfach zu unheimlich"

Mit dem Satz zog er alle Blicke auf sich und Die nickte sofort. "Hai, mir auch! Und ich sage es euch nochmal, die Botschaft hieß ganz eindeutig, dass wir uns vom Acker machen sollen!"

"So ist es. Ich habe dieselbe Nachricht auf einem alten Blattt Papier gelesen, in dem Tempel unten. Und sie war da, wirklich!", sagte Shinya. "Es kann doch nun echt nicht sein, dass Totchi, Die und ich ständig irgendwelche Sachen sehen, oder? Und bevor du wieder mit deinem Alkohol ankommst, Kao. Ich hab seit heute Morgen außer einem Apfel keinen Bissen gegessen oder getrunken."

"Hm...", seufzte Kaoru. "Vielleicht sollten wir uns wirklich einfach nur verpissen. Immerhin wissen wir nicht einmal, ob es hier erlaubt ist zu Baden."

"Oh Kaokao, komm, scheiß auf die Gesetze! Es geht um was ganz Anderes. Ich bin mir sicher, uns wird nicht umsonst gesagt, dass wir abhauen sollen!", erwiderte Die und packte sein Zeug zusammen.

"Kyo, was sagst du dazu?"

Kyo sah missmutig von seinem Handtuch auf und blickte in vier fragende Gesichter. "Was ich dazu sage? Das ihr alle behindert seid, das sag ich."

Dann stand er auf und streifte sich sein Shirt über. "Ich denke, das ist alles ein dummer Streich von irgendwelchen Fuck-Angestellten unseres Urlaubs, auf denen ihr die ganze Zeit wie bescheuert reinfallt!"

"Das war trocken.", sagte Die nach kurzer Stille daraufhin zu Toshiya und wusste nun selber nicht, was er glauben sollte. Unheimlich war es ihm mit Sicherheit.

"Aber Kyo!"

"Ja ja ist gut, das behindert war nicht ernst gemeint!", sagte das Warumono zu einem jammernden Toshiya.

"Nein, ich meine wie du darauf kommst, dass uns jemand verarschen soll!"

"Hast du eine bessere Erklärung für den ganzen Scheiß?!"

"Ähm...nein, aber wie erklärst du dir das mit den Handys?"

"Okay, und bevor wir eine sinnlose Diskussion darüber anfangen, sehen wir zu, dass wir erstmal unseren Kram einpacken!", sagte Kaoru dazwischen.

Ohne weitere Gegenworte zog Kyo die Gürtelschnalle fest zu, frottierte sein Haar und kämmte es einmal durch. Dasselbe tat Shinya und sammelte den Rest Handtücher am Quellrand ein, da Toshiya und Die mal wieder nicht in die Pötte kamen. Kaorus Rücken ging es nun deutlich besser und er hatte bei Weitem auch keine Schwierigkeiten mehr, seine Sachen zusammen zu packen. Toshiya schüttelte die Wolldecke aus und legte sie, wenn auch nicht ganz so schön, zusammen und klemmte sie unter die Arme, nachdem er in frische Klamotten geschlüpft war. Hier sollten wir öfters vorbei kommen, dachte er und sein Blick fiel wieder auf Shinya, der gerade in seine schwarzen Schuhe glitt und mit Kyo über irgend etwas lachte.

"Ey."

Die stupste ihn an. Der hübsche Rothaarige, dessen Haar wieder Liebesapfel-Rot wurde und nicht mehr mit Lehm beschmutzt war, deutete in die Richtung, die von Bäumen bedeckt war und zum Vulkan hin hoch führte.

"Da ist Jemand."

Als Toshiya den Weg entlang sah, stellte sich nun auch Kaoru neben ihn, der eine rauchte. Auch Shinya und Kyo beendeten ihr Gespräch und schauten ebenfalls dorthin, was alle Aufmerksamkeit auf sich zog.

Dunkle Springerstiefel zertraten die Äste, die knackend und knisternd zerbrachen. Ein nachtschwarzer Lackmantel umhüllte den Körper einer Person, die die Dirus lieber nicht gesehen hätten. Auf seinen Ärmeln zierte ein großes, weißes Hakenkreuz und seine Miene wirkte trotzdem nicht einmal düster. Nein, sie wirkte nicht düster. Eher starr und kalt. Einfach nur tot.

Skeptisch schaute Toshiya die Anderen an und Kaoru trat schon ein paar Schritte zur Seite, als der Unbekannte an seinem Gürtel herum nestelte. Die und Kyo waren wie geschockt, Shinya hielt sich schon die Augen zu.

"Toshimasa, hau ab.", flüsterte Kaoru panisch und drängte nun auch Shinya zur Seite. "Du auch Kyo! Macht das ihr wegkommt."

"Moment mal, vielleicht-"

Die starrte wie gebannt auf den stummen Nationalsozialisten, der zumindest von den Klamotten her wie einer aussah, und konnte sich von allein nicht mehr rühren. Auch nicht Kaorus leise Rufe und Warnungen brachten ihn aus dem Konzept. Shinya zitterte heftig, als er bemerkte, warum Kaoru eine solche Angst hatte. Der scheinbar rechtsradikale Junge hielt einen höchst wahrscheinlich frisch geladenen Revolver in der Rechten. Seine Haarfarbe glich wie die von Die, allerdings war seine Frisur sehr viel länger. Mit langsamen Schritten und ausdruckslosem Gesicht ging er auf sie zu. Kyo wich weiter zurück und rieb sich einmal die Augen, in der Hoffnung er würde bloß alles träumen. Doch so war es nicht. Das war die Realität.

Kaoru zog Shinya und Kyo im nächsten Moment an ihren Jacken und zerrte sie hinter sich her, rannte blind den Waldweg hinunter und blieb abrupt stehen, als er sah, das Die und Toshiya noch immer oben standen. Der braunhaarige Bassist stand besorgt um Die herum und schüttelte ihn leicht, als dieser keine Reaktion von sich gab.

"Daidai! Was ist los mit dir?! Komm, wir müssen Kao hinterher! Der Typ hat eine Waffe!"

Schnell stieß Toshiya seinen Freund beiseite, als die erste Kugel den Baumstamm traf. Kurz darauf folgten weitere Schüsse, denen Die und Toshiya aber unverletzt entkamen. Panisch rannten sie außer Atem den Waldweg entlang, suchten nach Kaoru, Kyo und Shinya. Nach ein paar weiteren schnellen Schritten blieb Die schließlich erschöpft an einem Stamm stehen und Toshiya schaute nach oben um sicher zu gehen, dass der Nazi ihnen nicht folgte.

"Das ist doch verrückt! Das ist Wahnsinn!", rief Die wimmernd und versuchte seinen Atem zu regulieren. Toshiya schloss ihn besänftigend in die Arme und erholte sich gemeinsam mit ihm.

"Ich weiß...oh Gott... ich kann nicht mehr..."

Ein leises Laubrascheln hinter ihnen ertönte und Toshiya brachte nichts anderes, als ein leises, fragendes "Kao" von sich. Es gab keine Antwort, wie erwartet und als Die den Kopf etwas nach links neigte, blickte er direkt in die Augen des jungen, rothaarigen Nationalsozialisten. Der Gitarrist presste stumm die Lippen aufeinander und erste Tränen rannten ihm aus den großen, hübschen Augen, als er dem toten und zugleich bemitleidensten Blick seines Gegenüber studierte. Dann schrie er kurz heiser und wieder spürte er, wie Toshiya ihn mitzog.

"Daidai, komm her, verdammt! Komm schon!"

Sie rannten bis sie nicht mehr konnten, den ganzen Weg hinunter, hatten jedesmal Angst dem Nazi wieder hinter irgendeinem Baum zu begegnen und als sie das Dach des verfallenen Tempels sahen, fiel ihnen wahrlich ein Stein vom Herzen. Unterwegs fing es an zu regnen und ohne weiter darüber nachzudenken, stieß Toshiya mit dem Fuß die Tür des Schreins auf, zog Die rein und knallte sie fest hinter sich zu. Aufatmend stellten sie sich dagegen, blickten in die dustere Einrichtung der großen Halle. Stille umgab sie, nur ihre schnelle Atemzüge ertönten als leises Echo wieder. Die schniefte und brach an der Tür zusammen, ließ sich runter sinken und vergrub den Kopf auf die Knie. Toshiya setzte sich zu ihm runter und tröstete seinen Kumpel ganz lieb. Nebenher fragte er sich doch allen ernstes, was das war. Wer sie hatte umbringen wollen. Was tat ein Sozialist Hitlers in einem japanischen Nimmerland? Wessen Grund hatte er, sie zu erschießen?
 

8
 

Ein lautes Poltern ließ sie erneut wieder aufschrecken und Die sprang sofort gegen die Tür, hielt sie zusammen mit Toshiya fest. Er zitterte immer noch ununterbrochen, denn diese Augen, die er vorhin sah, ließen sich nicht so schnell aus seinem Hirn wieder weg klopfen.

"He! Daisuke und Tosh, seid ihr da drin?! Macht auf!"

Erst Kaorus Stimme, dann ein erneutes Schlagen gegen die verfallene Doppeltür. Toshiya sagte nichts, sondern lehnte die Tür ein kleines Stückchen auf. Blendendes Tageslicht schien in sein blasses Gesicht und als er Kaoru vor sich stehen sah, machte er die Tür ganz auf, ließ seine anderen Bandmitglieder herein.

"Da seid ihr ja. Wir haben euch gesucht! Wo ist Die?!"

Toshiya schüttelte den Kopf und deutete in die dunkle Ecke an der Tür, wo Die immer noch sichtlich verstört da saß und sofort eine Umarmung von Shinya bekam.

"Was ist passiert?!", fragte Kaoru wieder panisch.

"Er...", antwortete Toshiya immer noch angespannt. "Er hat uns verfolgt und... wollte uns... erschießen!"

"Wer, Die?!", fragte Kyo empört nach und lauschte den Worten, die Shinya dem Gitarristen zuflüsterte. Die hielt schon die ganze Zeit seine Augen fest geschlossen, doch Tränen drangen trotzdem durch seine Lider.

"Quatsch, mann!", antwortete Toshiya auf Kyos Frage und fuhr sich durchs Haar. "Der Typ von da oben! Wir... wir sind weggerannt und plötzlich stand er im nächsten Moment wieder hinter uns und-"

"Okay, ist gut!", warf Kaoru schnell ein und verriegelte die Tür. Dann ging Kyo zu Die, hockte sich in die Knie und streichelte ihm beruhigend die Schulter.

"Du Kao, mir reichts echt, ich will hier weg! Hier lungern Nazis rum!"

Toshiya schlug mit der Faust gegen die Tür und seufzte einmal tief, beobachtete wie Die Kyo an sich drückte und ihn scheinbar gar nicht mehr los lassen wollte.

"Ich sehe es genau so, Kao.", sagte Shinya und stellte seinen Kram neben dem Eingang ab. "Egal was passiert ist oder noch passieren wird, lass uns einfach von hier verschwinden."

Kaoru nickte und zündete die Petroleumlampen an. "Ja. Wir brechen gleich morgen früh auf."

"Warum morgen früh?", fragte Die und sah total verheult auf. "Warum nicht jetzt?! Morgen sind wir vielleicht alle schon tot! Verdammt, der Typ hatte eine Schusswaffe bei sich und wer weiß, ob der nicht vielleicht irgendwo um diesen Schrein lauert, auf die richtige Gelegenheit wartet, das wir rauskommen und-"

"Die, komm, ist gut!"

Toshiya umarmte Die und kuschelte ihn an sich. "Beruhig dich erst mal."

"Ich finde, Die hat Recht.", sagte Kyo plötzlich im normalen, verständlichen Ton, den man sonst nicht so oft von ihm zu hören bekam. "Aber wenn wir jetzt da rausgehen, laufen wir direkt in den Tod, oder nicht?"

Kaoru legte sein Handy beiseite und stützte sich mit beiden Armen auf der Kommode ab. In ihm herrschte ein solches Theater, solch ein riesig schlechtes Gewissen, dass er total durcheinander kam. Wie sollten wir denn bitteschön wegkommen, hätte er am liebsten die Anderen gefragt, doch er wusste, das er es allein rausfinden musste, ansonsten würde er noch mehr Panik verursachen. Er schleppte sie schließlich hierher und fühlte sich verpflichtet, für sie Verantwortung zu tragen.

"Hat... hat der Kerl irgendwas gesagt...?", fragte Kyo seelenruhig, doch Die schüttelte den Kopf, hatte sich allmählich wieder beruhigt.

"Er hat nur auf uns geschossen.", antwortete Toshiya für ihn.

"Wenn ich euch jetzt was sage, dann glaubt ihr mir doch, oder?"

Dies weinerliche Stimme handelte ihm das Nicken von beiden Seiten ein und er rieb sich mit den Händen einmal kurz das Gesicht, bevor er wieder einigermaßen normal weitersprach.

"Als wir von da oben getürmt sind, Totchi... da standen wir doch an diesem Baum, irgendwo und sind weggerannt. Aber... als ich ihm genau in das Gesicht geschaut habe..."

Die Stimme Dies wurde plötzlich leiser. Kyo, Toshiya und Shinya hörten gespannt zu.

"...da war das so, als hätte ich mein Spiegelbild gesehen."

Stille trat ein und sie wussten alle, das auch Kaoru, der verzweifelnd an der Kommode stand, ebenfalls zugehört hatte. Shinya räusperte sich bescheiden, Toshiya sah nachdenklich an die Decke und Kyo fand als Erster die Worte wieder.

"Du meinst echt, du hättest dich in diesem Kerl gesehen?"

"Hm.", antwortete Die einfach bestätigend und nahm von Toshiya dankend die Zigarette entgegen, ließ sie sich anzünden und inhalierte einen tiefen Zug davon.

"Und so war das bei mir auch, nur... ich dachte, nein ich weiß, dass ich Shinya gesehen hab!"

Toshiya schaute den Drummer an, der mit leerem Blick vor ihnen saß und erkundigte sich danach wie spät es war. Auf seinem Handy stand noch immer das seltsame Datum aus der Vergangenheit, doch die Uhrzeit schien richtig zu verlaufen. Es war kurz vor achzehn Uhr.

Shinya beschloss, früh ins Bett zu gehen, denn seit gestern hatte er nicht mehr richtig geschlafen. Er machte sich Sorgen um Kaoru. Kyo und Toshiya holten sich aus der Küche was zu essen, nahmen alles mit nach oben und zündeten Kerzen an um sich besser zu orientieren. Allerdings ließen sie Die nicht aus den Augen und packten ihre Schlafsachen in eines der oberen Zimmer aus. Shinya klopfte die verstaubten Matratzen aus und legte sie auf die Strohmatten. Die schaute mit halb geschlossenen Augen aus dem Fenster, rauchte seine Zigarette auf und spürte danach Kyos wuscheliges Haar an seinem Arm. Das Warumono klopfte ihm einmal mutmachend gegen die Schulter und grinste. Ein Grinsen, welches Die selten von ihm zu Gesicht bekam. Kyos Grinsen war eine Rarität. Shinya wunderte sich langsam, ob Kaoru da unten nicht Angst allein hatte. Besser schien es, wenn sie alle zusammen waren. Nur anscheinend brauchte ihr Leader-Sama wohl seine Ruhe.

Shinya drückte Toshiya einen Besen in die Hand mit der Aufforderung zum Saubermachen. Erst zögerte der Bassist gelangweilt, dann ließ er sich doch dazu überreden, als Shinya ihn so süß darum bat. Kyo machte sich schon mal Bettfertig, denn auch er konnte ein bisschen Schlaf sehr gut gebrauchen. Er schlief gern und meist brauchte er auch viel Schlaf. Die zog sich die Jeans runter, mümmelte sich mit Shirt und Boxershorts unter die Decke des Futonbetts und beobachtete angespannt die Schriftrolle der gegenüberliegenden Wand. Das Zimmer selbst war groß genug um mit fünf Personen darin zu übernachten. Toshiya drückte die Schiebtür beiseite, entfernte die Spinnengewebe im Rahmen und trat noch einmal in das Dunkel um Kaoru von unten zu holen. Die gesamte Atmosphäre um ihn herum wirkte schon so gruselig, dass er am liebsten gar keinen Schritt hinunter gewagt hätte. Nach jedem Treter ächzte die Holztreppe wieder und er suchte unten Kaoru, ohne jeglichen Plan wo dieser stecken könnte. Einige Kerzen flimmerten in den Ecken, ließen bedrohliche Schatten entwerfen und wieder verschwinden.

Toshiya schaute sich um und ein helles Licht drang in seine Augen. Dann blieb er abrupt stehen, als das Licht verschwand und sich in ein leises Schluchzen verwandelte.

"Kao?", fragte er unsicher und ängstlich, doch Niemand gab ihm Antwort. Das Schluchzen erstickte und dies kam Toshiya bekannt vor. Diese Stimme, dieses Weinen. Das war nicht Kaoru, sondern Shinya. Doch Shinya unterhielt sich oben mit Kyo und Die, während er gleichzeitig hier unten das Schluchzen des Drummers vernahm. Was hier eigentlich gespielt wurde, konnte Toshiya sich nicht denken. Ihm war klar, dass sie nicht mehr allein in diesem Tempel waren.

Plötzlich erschien eine schwarze Gestalt aus dem Korridor, die Toshiya nicht gut erkennen konnte, da nicht viel Licht vorhanden war. Ängstlich wich er zurück, bekam kein Wort heraus. Als er anfangen wollte zu schreien, war es schon zu spät. Er stolperte nach hinten über einen Teil von Dies Gepäck und landete auf dem Holzfußboden.

"Toshimasa was machst du da?"

Kaorus Frage ließ Toshiya aufsehen und stöhnend erhob er sich wieder. Sein Herz verlangsamte sich, als er Kaoru vor sich sah. Sein Leader wirkte etwas konfus und unbeholfen.

"Ich hab dich gesucht."

Kaoru ging an Toshiya vorbei zur Treppe, blieb aber am kaputten Gerüst stehen. "Hast du das auch eben gehört?"

Toshiya nickte. "Es kam aus dem Flur dort hinten."

Kaoru trat langsam auf die knartschende Treppe, hielt sein Getränk vorsichtig fest und wartete bis Toshiya ihm folgte. Über das Schluchzen, was sie Beide nun gehört hatten, wollten sie nicht mehr diskutieren. Dafür waren sie teilweise zu müde und noch immer geschockt von der Situation vorhin. Draußen nahte sich alles dem Dunkeln, der ganze Wald tauchte in Nachtschwärze unter. Die schlief nicht ein, sondern lag immerhin ganze drei Stunden wach. In Gedanken hing er noch immer bei seiner Begegnung. Die ganze Zeit. Er starrte an die Zimmerdecke, kuschelte sich noch mehr in die Schlafdecke rein, auch wenn sie recht kratzig war. Kyo ratzte seelenruhig neben ihm, hatte den Mund leicht geöffnet und Die musste ein bisschen grinsen. Wie süß das doch aussah. Toshiya hätte das Warumono in solchen Situationen geweckt, aber Die war nicht so.

Shinyas Atmen hörte er nicht und Toshiya fing nach einer Weile im Schlaf zu Reden an. Kaoru schien irgendwann aus dem Zimmer gegangen zu sein.

Später überfiel auch Die die Müdigkeit und mit viel Mühe schaffte auch er den Eintritt in das Reich der Träume. Oder der Alpträume.
 

9
 

Ain't afraid to die
 

Kaoru hatte nicht den Nerv dazu, jetzt schon zu schlafen. Auch wenn er totmüde war, konnte er noch die vielen Schriften auf den Papieren erkennen. Umringt von Büchern und Dokumenten saß er im Schneidersitz auf dem Boden des versteckten Raumes in der obersten Ebene. Nicht weit weg von ihrem Schlafzimmer. Aber da er die Tür geschlossen hatte, hörte er keine Geräusche aus diesem Raum. Eine große Kerze stand neben ihm, in der Hand selbst hielt Kaoru eine Zigarette und mit der Anderen studierte er seine gefundenen Zettel. Ihm wurde klar, dass dies kein gewöhnlicher shintoistischer Schrein sein konnte. Er ging davon aus, dass sie einen alten, verschollenen Tempel gefunden hatten, der mit der grauenvollsten Zeit der Welt konfrontiert wurde. Die Zeit, in dem der zweite Weltkrieg Japan verwüstete.

Auf vielen Papieren war die Schrift so unleserlich, dass sie kaum noch zu erkennen war. Da half auch Kaorus Lesebrille nicht, die er trotz des schwachen Lichtes aufgesetzt hatte. In der Zwischenzeit trank er Sake und Wodka ohne Ende. Er wollte eigentlich nur wissen was dieser Ort für ein Geheimnis verbarg. Und dabei dachte er sich: Vielleicht wurde dieser Tempel in das Nirgendwo verbannt, gerade damit man nie herausfand, was für Schrecken er verbarg.

Aber das kümmerte Kaoru nicht. Dafür war er wirklich zu neugierig. Manchmal erkannte er sich gar nicht wieder, wenn er selbst merkte, wie konzentriert er sich diese Texte durchlas und sich in irgend einer Art und Weise den Kopf darüber zerbrach, was dieser Schrein mit dem zweiten Weltkrieg zu tun hatte. Er saß schon bis tief in die Nacht hier und jedesmal, alle viertel Stunde, hörte er seltsame Geräusche, die ihn aber nicht sonderlich störten, denn immerhin war er nun davon überzeugt, dass es hier spukte. Oftmals entfuhr auch ein fragendes "Hallo" seiner Kehle, welches aber nie beantwortet wurde. Stattdessen rutschte der nächste Stapel Papier vom zerfallen Schreibtisch und zerflatterte auf die Holzdielen. Kaorus Blick blieb daran haften und danach berührte er eines der Blätter um sie für sich durch zu lesen. Als hätte man ihn darauf aufmerksam gemacht, genau diese Schriften anzusehen, begann er sich in sie hinein zu steigern.

Was die Anderen wohl so spät in der Früh machten. Ob sie schliefen, oder wach lagen. Das war Kaoru im Moment egal. Ihn interessierte nur diese ganze Umgebung.

Die Kerze flackerte und verlangsamte sich wieder, kräftigte ihr goldenes Licht und schwächte es. Das Wachs schmolz von Stunde zu Stunde, immer kürzer, bis auch Kaoru leichte Kopfschmerzen bekam und sich müde nach hinten fallen ließ. Es musste doch irgend einen Weg geben. Einen Weg um von hier wegzukommen. Nach dieser Antwort hatte Leader-Sama auch gesucht. An der Decke, auf die er die ganze Zeit sah, befand sich eine malerische Zeichnung. Viele bunte Kreise, alle verbunden durch geschwungene Streifen. Das Kunstwerk zeigte den Baum des Lebens.

Das war nur eines der seltsamen Werke die Kaoru fand.

Achtlos ließ er das Papier in seiner Hand los und schloss die Augen. Toshiyas fröhliches Gesicht kam ihm als erstes in den Sinn und dann die Situation, wie Die sich auf der Bühne an seinem Bier verschluckte. Wie er da gelacht hatte. Kaoru lächelte. Was das doch alles Spaß gemacht hatte. Leader-Sama könnte wahrlich ein dickes Buch darüber schreiben, was sie schon alles erlebt hatten, die Höhen und Tiefen die sie durchlebten und trotzdem alles immer wieder auf die Reihe bekamen. Und Kaoru hoffte auch noch auf weitere Jahre voller Spaß und Freude, wie die Übrigen, Vorigen.

Eigentlich hätte er jetzt bei ihnen sein sollen, Die wenigstens von seinem Schock zu ermutigen. Aber auch Kaoru erinnerte sich gern an viele schöne Dinge. Erinnerungen an eine erfüllte Jugend waren schön, ja. Erinnerungen waren ihnen alle wichtig.

Kaoru richtete seinen Oberkörper wieder auf, rieb sich verschlafen die Augen und als er aufsah, wurde er direkt mit einem bekannten Blick konfrontiert. Am liebsten hätte er geschrien. Doch er kam nicht einmal dazu, wich nur ängstlich und mit Herzrasen zurück. Jemand saß auf dem Podest. Und Kaoru hätte schwören können, dieser Jemand sei echt gewesen. Entweder träumte Leader-Sama oder er befand sich noch immer in der Realität.

Der braune Anzug und die Krawatte erinnerte Kaoru an eine recht strenge Person und zusammen mit der altmodischen Brille und den ebenfalls hellbraunen Haaren wirkte diese Einbildung wirklich real. Aber Kaoru wusste, dass sie nicht real war, ganz im Gegenteil, denn als Leader-Sama kurz seinen Blick abwandte und wieder hinsah, war das Podest leer. Jetzt sah er doch auch tatsächlich Geister, genau wie Die, Toshiya und Shinya. Aber wie dieser Geist ihn angesehen hatte. Eigentlich total emotionslos.

Ein kalter Luftzug durchfuhr Kaorus Haar und dann stand er vorsichtig auf, wollte diesen Raum nur noch verlassen. Leicht schwankend durch den Alkohol hielt er sich an einem regal fest, um nicht umzukippen. Das ihm dann irgendwo ein zweiter Geist begegnen sollte, würde ihn jetzt wahrscheinlich nicht mal mehr schocken oder begeistern. Und da hielt sich sein Blick wieder an Jemandem fest. Wieder die seriöse Gestalt, die langsam an ihm vorbei ging, durch die geschlossene Tür. Zögernd, aber doch entschlossen, öffnete Kaoru den Eingang und blickte in den pechschwarzen Flur. Die Schiebetür des Schlafzimmers in dem sich die Anderen befanden, flackerte noch golden, was darauf beruhte, dass die Kerzen darin noch brannten. Aber Kaoru wollte jetzt niemanden von ihnen wecken oder stören, auch wenn sie sicherlich nichts dagegen hätten.

Die Person, die Leader-Sama im Blickfeld behielt, stand nun an der Treppe und ging langsam hinunter. Ihre Augen trafen wieder Kaorus, der wie angewurzelt vor dem Raum, aus dem er soeben gekommen war, stehen blieb.

"Warte!", rief er kurz und knapp, stolperte fast die Treppe runter, da er im Dunkeln nichts sah. Unten fand Kaoru die Gestalt an der Kellertreppe wieder. Sie streckte plötzlich die Hand aus und bewegte die Finger, als würde sie Kaoru auffordern ihr zu folgen. Trotz der Schwärze erkannte man jeden Umriss, jedes Detail des Geistes, als wäre er in Licht getaucht worden. Ein leichter Schimmer umgarnte dessen schwereloser Körper und Kaoru konnte bei diesem schönen Anblick gar nicht dagegen protestieren, zu folgen. Er tapste unbeholfen nach vorn, die Kellertreppe hinunter und spürte mit einmal gar keine Angst mehr. Viel mehr Vertrautheit. Die Aura war merkwürdig angespannt, so, als beträte er eine Spähre der anderen Dimension, des Unterbewusstseins.

Unten durchfuhr wieder eine Eiseskälte seine Füße auf dem scheinbar gefrorenen Steinboden. Liebend gerne hätte Kaoru seine Begegnung mehr gefragt, doch aus unerklärlichem Grund blieb er still und wartete nur darauf, was geschah. Hinter einer heruntergekommenen Schriftrolle an der Wand befand sich eine weitere Tür, die Kaoru langsam und mit höchster Vorsicht beiseite schob. Der Raum wurde leicht erleuchtet und Leader-Sama hatte dieses versteckte Zimmer vorher gar nicht bemerkt. Und vielleicht lag das daran, dass dieser Raum vor ein paar Stunden noch gar nicht zu betreten war.

Wie in Trance beobachtete Kaoru diese mysteriöse Erscheinung, wie sie sich zu einem großen Vorsprung begab und sich davor kniete. Unbeeindruckt folgte Leader-Sama ihr, setzte sich neben ihr und versuchte einen Blick zu erhaschen. Kaorus Herz machte einen Hüpfer, als er wieder diese Augen sah. Ein leichtes Lächeln zierte das Gesicht der Person neben ihm und sie deutete auf das vertrocknete Ikebana-Gesteck.

"Der Spiegel...?", fragte er wispernd und zu seiner größten Überraschung nickte das Phantom neben ihm. Langsam wandte Kaoru den Kopf auf die gezeigte Stelle und berührte sanft das Holz an der Kante, dann die eisig kalte Porzellanvase. Seinem eigenen Körper nicht mehr gehörig, schaute er dann über die Kante, vom Ikebana hinweg in einen riesigen Spiegel. Das Bild, welches er darin sah, war nicht E-Gitarrist der Diru-Band Kaoru Niikura. Und er verjagte sich auch nicht. Leader-Sama blickte in die Augen seines Gegenüber. Das triste Dasein einer Seele schaute ihn an. Im Hintergrund liefen weitere, unbekannte Personen her. Blitzschnell drehte Kaoru sich um, nachdem er doch langsam merkte, wie verrückt er sich vorkam. Doch hinter sich erblickte er nur die gewohnte Schwärze. Auch der Geist war verschwunden, ganz plötzlich, so wie er gekommen war. Er war allein.

Und als er wieder in den Spiegel sah, spielten sich Bilder vor seinen Augen ab. Ohne Vorwarnung schrie Kaoru plötzlich einmal laut, während er sich selbst die Ohren zu hielt. Schüsse und Schreie prägten sich in sein Gehör ein. Einen Schrei konnte er heraus hören und der stammte ohne Zweifel von der Person, die er liebte. Feuer zierte irgendwelche Räume und löste einen Großbrand aus. Jemand sprach amerikanische Sätze.

Ein paar Minuten, nachdem die schlimmen Geräusche abbrachen, sah Kaoru wieder auf, nahm die Handflächen von seinen Lauschern und wagte noch einmal einen Blick in den Spiegel.

Diesmal sah er sich selbst darin, mit recht müdem Gesicht und ängstlichen, glasigen, vielleicht sogar wahnsinnigen Augen, ohne jegliche Bilder, die normalerweise nicht hätten da sein sollen. Er vernahm sogar Mihiros Stimme, quälend schreiend, kreischend, das ihn ein stechender Schmerz durch das Herz fuhr und Tränen in seine Augen schossen. Nein, er wollte und konnte diese Laute nicht mehr hören, deswegen stand er auf, rannte aus dem Raum und suchte die Treppe, die nach oben führte. Doch die Dunkelheit erschwerte ihm das. Nichts ließ sich mehr wieder erkennen. Ganz oben erblickte er einen leichten Lichtschein an der Treppe und ohne zu zögern betrat er die erste Stufe. Er hatte das Gefühl, dass der Alkohol in seinem Blut nun wirklich zu wirken begann. Schwankend schaffte Kaoru es bis auf die vorletzte Stufe, doch dann brach er ungewollt in Tränen aus. Mit erstickten Schluchzern ließ er sich auf der Holztreppe nieder. Das grauenvolle Portrait von seiner geliebten Mihiro, welches in seinen Gedanken noch immer vorhanden war, ließ sich selbst mit den dicksten Tränen nicht wegsperren. Immer wieder lag sie aufgeschnittenem Unterleib vor seinen Augen und Kaoru hielt sich beide Hände vor das Gesicht. Wäre er niemals darunter gegangen und hätte den Pakt mit der Wahrheit abgeschlossen. Wenn es die wahre Wahrheit war.

Ließ er sich bei den Anderen Trost suchen.

Benebelt stand er auf, doch er verlor den Halt, als er weiter hoch gehen wollte. Er fühlte sich wie auf Drogen. Schweiß tropfte ihm von der Stirn, mischte sich mit dem salzigen Nass. Das Gleichgewicht verabschiedete sich und ohne das er viel davon spürte, kippte Kaoru nach hinten, schlug mit dem Rücken auf die Treppe und kam unsanft brutal mit dem Kopf unten auf dem Steinboden auf.

Gleichzeitig erfüllte beim Aufprall ein leises Knacksen den Raum und jemand knöpfte den Mantel zu. Zigarrenqualm stieg in die Kellerluft hoch.
 

Die schlief schlecht in der Nacht. Insgesamt war er bestimmt dreizehn mal wegen eines Alptraums aufgewacht. Nun glänzte die Sonne durch das trübe Fenster hinein. Der Morgen begrüßte sie fröhlich. Kyo sah sehr vom Schlaf zerwühlt aus, so wie er da lag und friedlich, leise vor sich hin schlummerte. Toshiya lehnte mit seinem GBA ganz vertieft an der Holzwand, halb mit der Decke zugedeckt und merkte anscheinend nicht, dass Die erwacht war. Shinya lag auf der Seite, bewegte manchmal die Mundwinkel, als würde er gerade etwas seltsames Träumen.

"O-hayô!", rief Die leise und Toshiya sah grinsend von seinem GBA auf.

"Schlafmütze!"

"Baka!"

"Oberbaka!"

"Wie spät ist es?"

Toshiya schaute auf seine Handyuhr. "Öhm... gleich halb zwölf!"

"Oh, echt? So spät schon? Und Shinya pennt noch? Wo ist Kao?"

"Keine Ahnung." Toshiya zuckte die Schultern. "Ich hab ihn seit gestern Abend nicht mehr gesehen. Ich wette er ist unten zwischen Pornoheften und Sake am Küchentisch einpennt."

"Wie lange bist du schon auf?"

"Viertel Stunde vielleicht."

Wieder tippten seine Daumen auf dem GBA herum. Die fuhr sich durchs Haar und stand auf, um das Fenster zu schließen. Doch als er in das helle Licht dort hinaus schaute, traf ihn fast der Schlag. Die gesamte Waldlandschaft war mit Schnee überdeckt und dies war auch der Grund, weshalb es plötzlich so kalt im Zimmer wurde.

"Oh mein Gott! Zieh dir das draußen rein, man!", forderte er Toshiya auf, doch dieser hatte das ungewöhnliche Wetter dort draußen schon längst bemerkt.

"Komisch, was? Gestern konnten wir noch nackt draußen rum laufen!"

"Seit wann schneit es anfang September?! Man kann ja glatt da draußen Skifahren, geil!", fragte Die sich erfreut.

"Na, sowas kommt vor. Die Jahreszeiten haben halt nen kleinen Knall. Vor allem sind wir hier, denke ich mal, auf einem höheren Gebiet."

"Boa, das erinnert mich als wir damals in Kyoto auf diesem Open-Air Festival gespielt haben. Da war es auch so kalt."

"Ach ja, wo Kao plötzlich auf diese dumm Idee kam... ich konnte da meine Finger nicht mehr bewegen, weißt du das noch?"

"Aber klar, dein Bass ging irgendwie nicht mehr und wir haben uns alle gewundert! Das war peinlich!"

"Was soll man machen wenn mir die Flossen einfrieren?"

Die hockte sich wieder auf sein Futon-Bett und unterdrückte ein Lachen, als er sah, das Kyo sich zur Hälfte über die Matratze gerollt hatte. Wie ein kleines Kind lag er da und es war ein echt niedlicher Anblick.

"Schau mal Totchi, wie Kyo da liegt!"

Toshiya schaute hinüber und prustete los, als er das Warumono begutachtete. "Kawaiiiii!"

"Pass auf, dass er nicht wach wird!"

"Ach und wenn schon, er hat immerhin lange genug geschlafen."

Shinya murmelte unverständliches Zeug und Toshiya beugte sich über den Drummer, als dieser sich umdrehte und weiter schlief. Die schnappte sich einen Tennisball aus seiner Tasche und schmiss ihn gegen die Wand und zurück. Nach sechs mal hin und her werfen, packte sich Toshiya das gelb-grüne Beschäftigungsmittel und ließ ihn Die wieder auffangen. Der Gitarrist hatte sein Kram in der hintersten Ecke verschanzt und lag genau gegenüber Toshiya, deswegen konnten sie sich prima den Ball zuwerfen.

"Was machen wir heute? Skifahren?", fragte Toshiya.

"Hast du Ausrüstung mit?"

"Nein!"

Die lachte. "Toll, dann graben wir Kao in den Schnee ein."

"Au ja! Oder wir bewerfen Shinya wieder mit Schneebällen! Hehe, Shin und Kyo gegen uns beide! Wie vorletztes Jahr, wo wir Shinya so dermaßen verarscht haben!"

"Oh, das war ja wohl klasse!"

"Da fällt mir ein, Daidai, ich hab Baseballschläger mit!" rief Toshiya dann völlig begeistert und raffte sich aus seinem Bett. Durch seine laute, muntermachende Stimme erwachte Shinya etwas zerknautscht und streckte sich.

"Was seid ihr schon so früh auf den Beinen?", gähnte er, als Toshiya mit dem Baseballschläger einen geeigneten Platz auf seiner Matratze suchte um den Tennisball gleich irgendwem (natürlich unabsichtlich) in das Gesicht zu schlagen.

"Früh? Es ist gleich Zwölf!", antwortete Die stichelnd und kuschelte sich streckend an Shinya.

"Ich will auch kuscheln!", jammerte Toshiya und ließ den Schläger fallen, hopste auf Shinyas Bett der sichtlich genervt aussah, aber nichts gegen diese kindischen Aktionen der Beiden unternahm.

"Wisst ihr was?"

Die und Toshiya schauten den Drummer ruhig an, allerdings beide kurz vor einem Lachausbruch. Shinya sah wirklich zu komisch aus mit seinen abstehenden Haaren.

"Ihr kuschelt beide und ich mache Frühstück!"

Mit diesem Satz wuschelte Shinya seinen beiden Freunden einmal durch ihre Schöpfe, erhob sich zwischen ihnen, zog sich den weinroten Hauskimono über und tapste nach einem Erstaunen über das Wetter barfüßig aus dem Zimmer. Kyo merkte nichts, sondern lag immer noch im Tiefschlaf nun entgültig auf dem Boden. Toshiya grinste Die verlogen an, zog die Decke über sich und drückte den Rothaarigen an sich.

"Na gut, dann kuscheln wir eben alleine!"

Die lachte herzhaft und legte den Arm um Toshiya. "Du bist schon töfte!", sagte er und stand auf, folgte Shinya um Kyo nicht aufzuwecken. Ohne zu zögern wartete er draußen auf Toshiya, der leise die Tür schloss und mit ihm die Treppe hinunter schlenderte. Dieser würde ein guter Tag werden und Die hoffte darauf, dass Kaoru es sich schlichtweg überlegt hatte, hier ratz fatz die Fliege zu machen. Ihm wäre nichts lieber gewesen. Irgendwie verständlich.Vergessen tat er dabei auch die Schneeballschlacht.

In der Küche stocherte Shinya am Ofen in der Kohle herum und zündete die Feuerstelle mit etwas Petroleum. Davon gab es hier ja reichlich genug. Direkt neben dem Wohnzimmer befand sich ein Lager mit Tonnen von Lampenöl. Trotzdem fragte er sich wo Kaoru steckte. Den ganzen Morgen hatte er ihn nicht gesehen.

"Du sag mal Daidai, was sollen wir denn jetzt essen?"

Die kam in die Küche und versuchte einem fragenden Shinya Antwort zu geben. "Ano... ist nichts mehr da?"

"Nein."

"Ahm... wirklich?"

Shinya schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht. Das meiste haben wir doch beim Zeltplatz liegen gelassen."

"Ich schau mal nach."

In der Eingangshalle hatte Toshiya soeben seinen Tennisball mit dem Baseballschläger in ein Fenster geschossen. Die lachte kurz schadenfroh und durchsuchte dann sein Gepäck nach etwas Essbarem. Er fand schließlich ungekochten Reis und ein bisschen Gemüse, welches allerdings ein bisschen matschig war und total unansehnlich ausschaute.

Schon wieder traf Toshiya mit dem Ball einen Gegenstand, allerdings war es diesmal nicht das Fenster, sondern eine Vase, die zu Bruch fiel.

"Bist du bescheuert?!"

Der ziemlich aufgedrunsene Bassist blickte nach oben und sah Kyo mürrisch am Treppengeländer stehen. "Ohayo, Kyo-chan!"

"Warum machst du so einen Scheißlärm in der Früh?!"

"Hey, ich war gar nicht laut! Und wenn du nicht wach geworden wärest, hättest du den ganzen Tag geschlafen!"

"Das ist doch mein Problem, oder?"

"Wollt ihr schon wieder streiten?", mischte Die sich vorbildlich ein und nahm Toshiya den Schläger aus der Hand, um den am Boden liegenden Ball weg zu schlagen. "Ich will auch mal!"

Kyo legte ein kindliches Grinsen auf. "Ich auch!"

"Du triffst den doch eh nicht.", stichelte Toshiya aus Spaß und wartete darauf, das Die sein Geschoss vollzog. Er nahm Abstand und schmiss den Ball in Dies Schlagrichtung. Der Gitarrist holte aus und traf ihn haargenau so, dass der Ball direkt an Kyo vorbei schoss und an der nächsten Holzwand anschlug. Das Warumono gab ein erstauntes "Hui" von sich und lächelte. Dann hob er den Ball wieder auf und empfing Dies Schläger am oberen Treppenansatz. Shinyas Warnungen aus der duftenden Küche ignorierten sie.

"Der war sauber, Daidai!", gröhlte Toshiya und das der Ball hätte böse ins Auge gehen können, daran dachte er nicht mal.

"Das kann ich auch!", sagte Kyo vielversprechend und schnappte sich den Baseballschläger fest zwischen die Hände. Den Schlag würde er oben ausprobieren und auch er traf den Ball noch fester als Die. Toshiya wich lachend zur Seite und sein rundes Spielzeug flog quer durch den Eingangsbereich, die Kellertreppe hinunter.

"Der ging aber ab wie die Luzie, ey!", freute Die sich und trat mit Toshiya an den Eingang des Kellers.

"Gomen, jetzt isser weg!", rief das Warumono und rutschte gelangweilt das Treppengeländer runter.

"Wer geht?"

Toshiya sah Die an.

"Ich nicht."

"Ich mach schon, nicht das ihr irgendwelche Geister seht und ausflippt.", sagte Kyo in absichtlich tuntigem Ton und wagte sich fröstelnd einen Schritt in den nachtschwarzen Keller, aus dem eine antarktische Kälte trat.

"Da unten ist bestimmt alles zugefroren. Scheiß-Frost..."

"War die Luke gestern nicht zu?", fragte Toshiya, doch Die zuckte die Schultern.

"Keine Ahnung."

"Wo ist Kao eigentlich, den hab ich heute noch nicht gesehen."

"Ich denke mal oben am Schlafen. Immerhin war er die halbe Nacht wach."

"Echt?"

"Ja, hab ihn manchmal nachts gehört und ich glaub er hat..."

"Hm?"

Dies Stimme wurde zu einem Wispern. "...ich glaube er hat sogar mal geweint."

"Kao und Weinen, dass gibt es gar nicht!"

"Tosh, warum bist du dir da so sicher?"

"Ich frag ihn nachher!"

"Tu das!"

Ein lauter, kehliger Schrei ertönte aus dem Keller und ihre Herzen zogen sich wahrlich dabei zusammen.

"Kyo, ist alles klar da unten?!"

Wie von der Tarantel gestochen kam Kyo wieder rasend nach oben geflitzt und fiel vor Toshiya und Die auf die Knie.

"Da... da unten liegen Beine!!!"

"Was?!", fragte Die perplex. Toshiya lachte total blöd in seinem alltäglichen "Ha ha ha ha". Nun stand auch Shinya bei ihnen, mit einer Schüssel Reis in der Hand und war am Essen. Kyo zitterte und seine Augen wurden riesig.

"Da sind Beine da unten, Toshi mach was!!!"

"Hey, jetzt beruhig dich doch erstmal, was soll da unten gewesen sein?"

Die fragte erneut nach, doch Kyo stand nun immer noch leicht zittrig auf.

"Ist alles in Ordnung?"

Shinya berührte Kyo an der Schulter. Toshiya und Die sahen sich an und der Bassist trat die Treppenstufe runter. Anscheinend musste Kyo da unten irgend etwas gesehen haben und Die reichte seinem Freund eine Taschenlampe.

"Mann, hab ich jetzt auch Hallus?!", sagte Kyo."Totchi, sei vorsichtig.",

Toshiya nickte und lauschte dem Knartschen der Stufen, die er hinunter ging. Er fragte sich auch, was Kyo da sah, was ihn so erschrak. Er sah Beine. Beine waren eine gute Beschreibung, nur wessen Beine sah er dort? Er konnte sich das halb erahnen, wollte aber nicht weiter darüber spekulieren. Und er hasste diesen Keller. Der Lichtstrahl erleuchtete tatsächlich schlanke Beine in einer schwarzen Hose mit nackten Füßen auf einem Teil der Treppe. Toshiya hätte fast die Lampe fallen lassen, als er seinen Weg weiter erhellte.

"Die!! Die hörst du mich?!"

"Ja, was ist, was-"

"Schnell komm runter, Kao liegt hier!!"

Vollkommen verwirrt sah Die Kyo an und im nächsten Moment befand er sich auch schon auf dem Weg. Er sah nur ganz schwach Toshiya unten am Ende kauern, bewegte sich irgendwie. Shinya sah zu und er konnte schon gar nicht mehr essen, als Toshiya zusammen mit Die den bewusstlosen Kaoru aus dem Keller schlurften.

"Kao?!", fragte Kyo als Erster und bekam Panik, als er seinen Leader-Sama so leblos am Boden liegen sah. "Alter, verstehst du mich?!" Das Warumono schüttelte Kaoru und versuchte ihn aufzuwecken.

"Was ist denn mit dem los?!"

Die berührte Kaorus Hand, die total eiskalt war, vielleicht sogar noch eisiger als der Keller selbst. Er bekam vorerst gar nicht mit, dass Shinya am Weinen war und völlig verstört auf Kaorus Körper starrte.

Auch Toshiya schmiss wütend die Taschenlampe in die Ecke, die zerbrach und achtlos liegen blieb. Nur Die schien noch nicht zu bemerken, dass etwas gewaltig nicht stimmte.

"He Kao-kun, wach auf! Wach doch auf!", bat er ebenfalls unter Tränen, die ihm auch kurz darauf hinab flossen.

Wollten sie alle nicht wahrhaben, dass sie ihren Leader-Sama da vor sich hatten? Das war doch alles verrückt.

Vorsichtig legte Toshiya seine Hand an Kaorus Kopf, drückte ihn ein wenig zur Seite und so wie er vermutete, ließ er sich weit abknicken, wie bei einem Genickbruch.

Im Körper Kaorus trat bereits die erste, aber leichte Leichenstarre an den Gliedern ein. Toshiya konnte dieses Bild gar nicht sehen und Shinya schien wohl der Einzige zu sein, der wahrhaben wollte, das Kaoru gegangen war. In Leader-Samas Körper schlug kein Herz mehr.

"Verdammt, was soll das denn?! Wie kommt er da unten hin?! Wach auf, du Scheißkerl!! Wach auf und beweg dich!!!", schrie Kyo richtig verzweifelt und verpasste Kaoru einen festen Schlag in das Gesicht, was jedoch nichts and seinem Zustand änderte. Die zuckte bei diesen Tönen zusammen. Niemand gab Kyo Antwort.

Toshiya strich liebevoll über Kaorus Handrücken. Zitternd hob er den Kopf seines Leaders etwas an und spürte nichts als Eiseskälte. Er war sich sicher. Ein Genickbruch tötete sofort.

Die brach wieder in Tränen aus und heulte auf Kaorus leblose Brust, versuchte immer wieder ein Atmen oder einen Herzschlag wieder zu finden, doch nichts dergleichen war vorhanden. Gar nichts. Es war, als hätte man ihnen selbst die Seelen aus dem Körper gerissen. Kaoru gehörte ihnen. Kaoru war nicht nur ein guter Freund. Kaoru gehörte mitlerweile schon wie ein Familienmitglied dazu. Ja, gehörte. Und nun war das erste Opfer gefallen. Dir en Grey hatten ein Lebenslicht verloren. Wie es doch in vielen ihrer Texte hieß.

Ein Licht, das nie mehr wiederkehren würde.
 

"Schlaf gut, Kaoru. Ich liebe dich, Schatz."
 

10
 

"Daisukeeee!!!"

"Ich heiße Daisuke!"><

"Ist mir egal, sieh zu das du hier antanzt und fegst!"

"Warum ich?!"

"Weil das hier dein Müll ist! Ich hab wieder den Ärger am Hals, wenn die Hotels nicht sauber sind! Los beweg deinen Hintern von der Konsole weg!"

"Ich mach ja schon... das kann man aber auch netter sagen..."

"Ich geh mir in der Zeit einen Kaffee machen und werkel ein bisschen an der Ganesa rum. Sag mir Bescheid wenn Kyo wieder da ist, der hat vorhin nen Anruf gekriegt!"

"Jaja..."

"Jaja heißt Leck mich am Arsch."

"Dein Kaffee wartet!"

"Dein Müll auch!"
 

"Nein Toshimasa, ich gehöre nicht mehr in die Welt der Sexlosen!"
 

"Kao ist ja auch nicht viel schlauer als eine Scheibe Weißbrot!"

"Toshimasa, habe ich da gerade meinen Namen gehört?"
 

"Hey Kao, du bist doch auch nicht ganz dicht, oder?!"
 

"Wenn du morgen früh nicht aus den Federn kommst, lass ich dich bei Dir en Grey abmelden! Sieh zu wo du bleibst!"

"Och Kao, sei doch nicht immer so fies!"



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Sweden_
2009-02-22T23:07:27+00:00 23.02.2009 00:07
Awww>3333333
Kao-chan is tot! ...
Tragisch, ich weißûu aber ich liebe es einfach, wenn geile Leute sterben!xDDD (In Geschichten, versteht sich o_O;XD)
Und das Kapitel war einfach geil*_*
Ich bin erstaunt, dass ich so viel lese o_O;XD
Wobei's mir an manchen Stellen etwas zu abgehackt und schnell 'vorangetrieben' vorkamxD
Aber an sich total geil*_*
Von:  -Pharao-Atemu-
2007-01-21T09:48:51+00:00 21.01.2007 10:48
^Mir hat dieses Kapi total gefallen schön und traurig zugleich bin begeistert *und am heulen wegen Kao*


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