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The quest for the mandrake

von

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Kapitel 9 - Das Rudel

Kapitel 9

Das Rudel
 

Der nächste Morgen brach strahlend schön an. Die Sonne lachte vom wolkenlosen Himmel und kitzelte Reans Nasenspitze. Schwerfällig hob er die Lider und blickte sich verwirrt um. Kurzzeitig glaubte er, wieder zu Hause in seinem Bett zu liegen, doch dann fiel ihm ein, dass er im Dorf der Elfen von Argaye war… und was gestern Abend passiert war. Schlagartig wurde ihm warm und sein Herz begann, etwas schneller zu schlagen. Außerdem hatte er das Gefühl, sein Gesicht müsste vor Hitze verglühen, als ihm die Röte in die Wangen schoss. Was sollte er jetzt tun? Tharas plötzlicher Gefühlsausbruch hatte ihn vollkommen überrumpelt. Was war er für ihn? Und umgekehrt? Rean hielt es für unwahrscheinlich, dass da mehr sein konnte als Freundschaft. Sicher war das gestern nur die Erleichterung gewesen. Oder ein Zauber, der alles, was mit Elfen zu tun hatte, umgab. Hatte seine Mutter nicht einmal gesagt, dass in der Gegenwart von Elfen die Gefühle der Menschen verrückt spielten?

Aber das stimmte nicht ganz. Wenn er genauer darüber nachdachte, dann hatte er schon öfter so ein angenehmes Kribbeln verspürt, wenn er mit Tharas zusammen war. Damals am Fluss hatte er ja sogar… HALT! Rean erschrak über seine eigenen Gedanken. Nein, es war schlicht und ergreifend unmöglich. Da war ganz bestimmt nicht mehr.
 

Langsam drehte er den Kopf, um Tharas anzusehen. Der hatte die Augen immer noch fest geschlossen und machte nicht den Anschein, als ob er innerhalb der nächsten Minuten aufwachen wollte. /Kein Wunder, dass er so tief schläft/, dachte Rean. /Was ihm in den letzten Tagen passiert ist, muss furchtbar gewesen sein./ Unweigerlich wanderte sein Blick zu Tharas Lippen. Er hatte ihn geküsst. Einfach so auf den Mund geküsst. Wie sollte er sich ihm gegenüber denn jetzt verhalten?
 

Diese Frage beschäftigte ihn auch noch den ganzen Vormittag lang. Nachdem Tharas erwacht war, hatte er sich ihm gegenüber ganz normal verhalten, wie sonst auch und Rean ließ es dabei bewenden. Dennoch konnte er ihm nicht mehr so richtig in die Augen schauen.
 

Gegen Mittag erschien ein Elf, der sie abholte und zu Aures Hütte begleitete. Dort war bereits alles vorbereitet.

"Wie habt ihr beide geschlafen?", wollte Melean gut gelaunt wissen. Für Tharas Geschmack schon etwas zu gut gelaunt. "Gut.", antwortete er knapp.

Das unverwüstliche - und auf unheimliche Weise wissende - Lächeln auf Meleans Gesicht machte ihn fast krank. "Nanu, du bist wohl mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden, was? Aber ich glaube, nach einer anständigen Mahlzeit wirst du dich gleich besser fühlen."

"Hm.", war alles, was Tharas dazu sagte, unterstrichen von einem Nicken. Seit wann waren sie eigentlich perdu?

"Na dann, setzt euch.", forderte Aures sie auf und sie ließen sich wieder an dem kleinen Tisch nieder. Immerhin war es Tharas möglich, die Speisen der Elfen zu essen, ohne gleich daran zu ersticken. Er hatte die letzten Tage über nur sehr wenig gegessen und sein Magen rebellierte ein wenig, als er die ungewohnt großzügige Mahlzeit verarbeiten musste.
 

"Nun, " erklärte Aures, nachdem der Tisch von einigen Dienern abgeräumt worden war, "nachdem wir gegessen haben, glaube ich, wird es Zeit, euch eine Erklärung zu geben bezüglich der Mandragora." Er ließ eine kurze Pause um sich zu sammeln. Dann fuhr er fort. "Es ist so, dass wir seit ziemlich genau sechzig Jahren ein kleines Problem mit einigen Mitbewohnern des Waldes haben. Genauer gesagt handelt es sich dabei um ein Rudel Wölfe. Sie kommen jeden Monat in der Nacht des Vollmonds und wer es nicht schafft, sich in Sicherheit zu bringen, ist des Todes."

"Wölfe?", fragte Tharas skeptisch. "Ihr seid alle Krieger. Ist es euch denn nicht möglich, das Rudel auszurotten?"

Aures seufzte schwer. "Bei diesem nicht. Wir haben schon so viele von ihnen getötet, doch sie tauchen immer wieder auf. Ich glaube, und diese Ansicht teilen viele, dass sie niemals aufhören werden, uns zu jagen, solange ihr Leitwolf lebt."

"Verzeiht.", unterbrach ihn Rean. "Ihr sagt, dass das ganze schon seit sechzig Jahren so geht. Aber Wölfe werden für gewöhnlich nicht so alt. Sie müssten doch längst einen neuen Anführer haben, wenn nicht mehrere."

"Das ist wahr. Wenn es normale Wölfe wären. Dieser Anführer jedoch ist kein normaler Wolf. Vielleicht war er das einmal, doch dann kam er mit der schwarzen Magie in Kontakt. Ich denke, dass es sich noch um genau denselben Wolf handelt wie vor sechzig Jahren."

"Und was hat das mit der Mandragora zu tun?", wollte Rean wissen.
 

"Euch ist sicher aufgefallen, dass wir unsere Häuser in den Bäumen haben. Das war nicht immer so. Tief im dichtesten Herzen des Waldes liegt unsere alte Stadt. Doch nachdem unsere Verwandten nach dem letzten Elfenkrieg aufbrachen, um über das Meer zu segeln, wurde sie uns, dem letzten kleinen Völkchen, das sich entschied, hier zu bleiben, zu groß. Zuerst bauten wir unsere Häuser auf der Erde, wie es für unser Volk typisch ist. Doch dann kamen die Wölfe. Sie drangen in die Häuser ein und töteten alle, die sich darin befanden, vor allem aber die Elflinge. So nennen wir die jungen Elfen, die noch keine hundert Jahre alt und somit noch nicht jährig sind. Aber damit gaben sie sich nicht zufrieden. Sie zerstörten ebenso unsere Felder und töteten die Tiere, die wir hielten. Unser Viehbestand war nie besonders groß, und unsere Felder waren gerade so groß, wie wir es der Natur zumuten wollten, doch der Schaden war beträchtlich. Vor allem, da sie auch die Felder mit den Mandragorapflanzen zerstört haben. Und hier haben wir auch das Problem."

"Verstehe. Dann haben sie also alle bis auf die letzte vernichtet?", fragte Rean. Aures nickte nur.
 

"Und dann habt ihr euere Häuser einfach verlegt.", hakte Tharas nach. Rean wunderte sich, dass sein Freund es nicht einfach dabei belassen konnte. Er war der letzte, von dem er erwartet hatte, sich für Elfenprobleme zu interessieren.

"Richtig. Wir beschlossen, auf die Bäume auszuweichen. Seither ist es etwas ruhiger geworden, doch die Wölfe geben nicht auf. Sie kommen jeden Monat. Übermorgen ist es wieder so weit. Dann fallen sie über unser Dorf her und alles, was sie erreichen können, zerstören sie gnadenlos."

"Aber seid ihr hier oben nicht sicher vor ihnen?", erkundigte sich Tharas.

"Seit kurzem nicht mehr.", gestand Aures. "Sie haben es irgendwie geschafft, nach oben zu kommen. Wir wissen nicht, was wir noch tun sollen."

"Warum folgt ihr nicht eueren Verwandten übers Meer?", fragte Rean.

"Würdest du deine Heimat, die Welt, in der du dein ganzes Leben verbracht hast, einfach so hinter dir lassen? So viele Erinnerungen sind in diesem Wald. Außerdem sind wir die letzten Elfen auf diesem Kontinent und unsere Verbindungen mit den Menschen noch nicht ganz abgebrochen. Doch es ist wahr, wir haben schon darüber nachgedacht, nach Westen zu gehen. Bisher konnten wir uns jedoch noch nicht dazu durchringen.

Über kurz oder lang werden wir aber nicht darum herumkommen."

"Uns fehlen die Elflinge. Seit vielen Jahren ist hier kein Kind mehr geboren worden. Dabei würde ich so gerne einmal wieder Kinderlachen hören.", erläuterte Melean.

"Ich schließe daraus, dass ihr auch keine Kinder habt, nicht wahr?", fragte Tharas.

"Das hat andere Gründe.", meinte Aures leichthin. Auf Tharas misstrauischen Blick hin erklärte er: "Sagen wir es so: Meleans Körper ist nicht dafür geeignet, Kinder zu gebären."

"Das tut mir Leid.", sagte Rean unbehaglich. Warum musste Tharas, dieser unsensible Kerl, auch so eine Frage stellen?

Melean jedoch blickte ihn kurz verwirrt an und bemerkte: "Wieso denn? Das muss es doch gar nicht. Ich sollte froh sein, dass es nicht so ist."

"Aber ich dachte, eine Frau wie du wäre bestimmt eine gute Mutter und muss traurig sein, keine Kinder bekommen zu können.", erläuterte Rean und schaute unschuldig.

Plötzlich brach Melean in schallendes Gelächter aus. Die beiden Prinzen blickten sich verständnislos an.

"Ihr dachtet, ich wäre eine…?", fragte Melean und fuhr nach einem kurzen Blick auf ihre verwirrten Gesichter hin fort: "Ihr habt wirklich gedacht, ich wäre eine Frau?"

Die beiden nickten nur.

"Nun, ich kann euch versichern, " klärte sie Aures mit einem spöttischen Glitzern in den Augen auf, "dass man das, was sich zwischen Meleans Beinen befindet, ganz eindeutig nicht bei einer Frau entdeckt."

"Ich gebe zu, ich habe eine etwas feminine Ausstrahlung, aber dass sie so stark ist, hätte ich nicht gedacht.", stellte Melean nachdenklich fest.
 

"Fürst Aures…" sagte Tharas plötzlich wieder vollkommen ernst und lehnte sich leicht über den Tisch.

"Tharas?"

"Ich würde gerne unter vier Augen mit Euch sprechen, wenn das möglich wäre. Es geht um Euer Wolfproblem.", raunte er dem Fürsten zu.

"Selbstverständlich.", stimmte dieser zu. "Melean, " wandte er sich an seinen Geliebten, "warum zeigst du Rean nicht mal ein wenig von unserem Dorf?"

"Eine hervorragende Idee. Komm, Rean. Wir gehen ein wenig an die frische Luft." Damit hakte er den Jungen unter und dirigierte ihn aus der Hütte.
 

Rean war äußerst beunruhigt. Warum wollte Tharas ihn nicht dabei haben? Sie hatten nie Geheimnisse voreinander gehabt, also warum fing er jetzt plötzlich damit an? Was wollte er Aures wegen der Wölfe sagen? Eines war klar: Tharas wusste mehr, als er jemals zugeben würde. Sein Verhalten war vorhin schon merkwürdig gewesen. Was hatte er nur vor?
 

"Machst du dir Sorgen um ihn?", fragte Melean freundlich.

Rean nickte. "Er war noch nie so verschlossen. Irgendwas hat er vor und er will mich offenbar nicht dabei haben."

"Ich vermute aus Sorge um dich. Immerhin bist du doch sein Geliebter."

"Was?" Der Junge blieb perplex stehen.

"Etwa nicht? Was war das dann gestern auf der Brücke?", fragte Melean und hielt in seinen Schritten inne.

"Du hast es gesehen?", fragte Rean fassungslos und wurde rot.

"Ich konnte nicht umhin. Euere Hütte liegt genau gegenüber der unseren. Eigentlich wollte ich nur noch einmal kurz Luft schnappen, doch dann habe ich euch beide da stehen sehen. Tut mir Leid, ich wollte nicht spionieren."

"Schon gut." Rean seufzte. "Was soll ich denn jetzt machen? Anscheinend bin ich nicht nur ein Freund für ihn."

Sein Begleiter lächelte. "Weißt du, das erinnert mich an einen Elfenjüngling, dem es ganz ähnlich ging wie dir. Er war ziemlich überrascht, als ihm sein bester Freund plötzlich den Hof machte. Weißt du, bei uns ist es zwar so, dass wir Elfen vorrangig die Seele lieben und erst dann kommt der Körper, aber trotzdem. Nachdem wir uns nur ein einziges Mal im Leben fest binden, müssen wir besonders gründlich prüfen, mit wem. Wenn dann plötzlich dein bester Freund um deine Hand anhält, bist du erst einmal ziemlich sprachlos."

"Du bist dieser Jüngling?"

"Stimmt. Komm, wir setzen uns ein wenig.", schlug er vor und schwang sich mit schlafwandlerischer Sicherheit auf das Geländer der Brücke. Wieder durchzuckte Rean ein Gefühl von Neid. Zögerlich tat er es dem blonden Elf gleich.

"Du bist mit Aures verheiratet, also kann es für dich gar nicht so schlimm gewesen sein, oder?", fragte er, nachdem er eine einigermaßen bequeme Sitzhaltung angenommen hatte.

Ein sanftes Lächeln umspielte Meleans Lippen. "Am Anfang, " erklärte er, "war es nicht ganz so einfach. Soll ich dir die Geschichte erzählen?" Rean nickte, also fuhr er fort: "Als ich ein Elfling war, da stand Aures schon als Nachfolger des vorherigen Fürsten fest. Damals lebten wir noch in der Stadt. Die Fürsten herrschten über die vier Bezirke der Stadt und über ihnen stand Oberon, der König aller Elfen. Weißt du, bei uns hängt die Nachfolge nicht vom Geburtsrecht ab. Das Volk bestimmt die Fürsten. Aures hatte schon als General in etlichen Schlachten seinen Mut und Führungsqualitäten bewiesen, also war es nahe liegend, ihn zum nächsten Fürsten des Südbezirks zu machen.

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, als er nach einem glorreichen Sieg an Oberons Seite in die Stadt einritt. Ich war in Elfenjahren kaum älter als du jetzt, sprich noch fast ein Kind, doch sein Anblick auf dem großen weißen Pferd war einfach beeindruckend. Wie habe ich ihn bewundert. Allein seinetwegen bin ich zur Armee gegangen. Mein Vater war streng dagegen. Er war Musiker und hielt nichts vom Kämpfen, doch ich hörte nicht auf ihn.

Während meiner gesamten Ausbildung bekam ich ihn immer nur aus weiter Ferne zu Gesicht, doch eines Tages, es war schon ziemlich gegen Ende der Ausbildung, da kämpfte ich gegen einen meiner Kameraden. Ich hatte damals schon einen gewissen Ruf unter den Kadetten und tatsächlich war ich der beste Kämpfer meines Jahrgangs. Mit meinem Gegner hatte ich keine Schwierigkeiten. Nach kurzer Zeit war er besiegt. Plötzlich hörte ich schwachen Applaus. Ich drehte mich um und da stand er. In voller Lebensgröße. Er war es, der mir Beifall spendete. "Willst du dich mit einem Gegner messen, der dir die Stirn bieten kann, Junge?", hat er mich gefragt und ich habe zugestimmt. Ehe ich mich versah hatte er sein Schwert gezogen und kam auf mich zu. Unser erstes Rendezvous endete damit, dass ich nach einem langen, harten Kampf unter ihm im Dreck lag, sein Schwert an meiner Kehle." Sein Lächeln wurde noch etwas breiter. "Anscheinend hatte ich ihn schwer beeindruckt, denn er lächelte mich an, reichte mir seine Hand und zog mich hoch. Dann sagte er, dass es ihm eine Ehre wäre, mich in der nächsten Schlacht an seiner Seite zu wissen.

Tatsächlich stand ich im nächsten Krieg Schulter an Schulter mit ihm. So was verbindet ungemein und wir freundeten uns an. Er war fast wie ein väterlicher Freund für mich, liegen doch immerhin grob zweihundert Jahre zwischen uns. Ich hätte nie gedacht, dass er mehr für mich empfinden könnte.

Dann erklärte der Fürst des Südens seinen Rücktritt und Aures wurde zu seinem Nachfolger ernannt. Als solcher hatte er unheimlich viel zu tun, doch wenn er Zeit hatte, dann verbrachte er sie mit mir. So ging das etliche Jahrzehnte lang. Eines Abends machten wir einen Ausritt. Als wir los ritten, war das Wetter noch schön, doch schon bald begann es zu regnen. Wir kehrten um. Vor meiner Tür saß Aures mit ab. Das hatte er nie zuvor getan, sondern war immer sofort weiter geritten. Ich glaube, es lag an meinem durchgeweichten weißen Hemd, dass er die Beherrschung verloren hat, denn er sagte: "Du bist unheimlich schön, wenn du nass bist.", und plötzlich umfasste er mein Gesicht mit den Händen damit ich mich nicht wegdrehen konnte und küsste mich. Einfach so. Ich war damals also genau so überrumpelt wie du. Er hat sich eine schallende Ohrfeige eingefangen."

"Du hast ihn geschlagen?", unterbrach ihn Rean ungläubig. Meleans Geschichte faszinierte ihn.

"Hab ich. Ich schrie ihn an, ob er völlig verrückt wäre und was das ganze sollte. Er ist beleidigt abgezogen. Wochenlang ließ er sich nicht mehr sehen und ich begann schon am nächsten Tag, ihn zu vermissen. Irgendetwas in mir hatte sich verändert. Ich sah alles mit anderen Augen. Unsere Treffen, die ganze Zeit, die wir zusammen verbracht hatten. Ich suchte den Zeitpunkt, an dem ich insgeheim angefangen hatte, mehr für ihn zu empfinden. Mir fiel aber keiner ein. Ständig überlegte ich, ob ich nicht doch zu ihm gehen sollte, doch mein Stolz war stärker. Außerdem wusste ich nicht, was die Leute sagen würden. Immerhin waren wir ja beide Männer. Ich sprach in dieser Zeit lang und oft mit meinem Vater. Er sagte mir, dass ich auf mein Herz hören sollte. Wenn ich mir ein Leben mit Aures ernsthaft vorstellen könnte, dann sei das wohl der Weg, den ich gehen musste. Wenn nicht, dann würde sich Aures jemand anderen suchen müssen. Bei diesem Gedanken wurde mir speiübel. Wenn ich mir vorstellte, Aures in den Armen einer oder eines anderen zu sehen wurde ich unsagbar traurig. Dennoch verstrichen die Tage und ich war einfach nicht in der Lage, den ersten Schritt zu tun.

Eines Tages tauchte Aures unerwartet bei meinem Vater auf. Woher er wusste, dass ich dort war, weiß ich bis heute nicht. Jedenfalls bat er mich inständig, ihm seine Unverschämtheit zu verzeihen und er fragte mich, ob ich ihm, einem unsagbaren Idioten, noch eine Chance geben würde. Ich bejahte. Von da an hatte ich keine Ruhe mehr. Ständig schickte er Boten zu mir mit Liebesbriefen und was weiß ich noch alles. Irgendwie fand ich das süß. Auch körperlich kamen wir uns langsam näher. In der Stadt begann man zu tuscheln und zu schwatzen.

Daraufhin stand in einem seiner nächsten Brief in etwa folgendes: Wollen wir nicht langsam mal was gegen den Tratsch unternehmen? Willst du mich heiraten?

Da war ich sicher, dass er es ernst meinte mit mir. So schnell ich konnte lief ich zu seinem Haus. Einer seiner Diener sagte mir, dass er gerade in einer ganz wichtigen Besprechung sei. Das war mir jedoch egal. Ich stürmte einfach in den Saal und sobald ich ihn erblickt hatte, rief ich: "Ja, ich will!" Erst dann fiel mir auf, wer da eigentlich mit ihm am Tisch saß. Ich hatte eine Versammlung der Fürsten und des Königs gesprengt. Das war mir so peinlich wie sonst nichts mehr in meinem ganzen Leben. Aures sah mich an, als hätte ich ihm erzählt, der Mond wäre soeben vom Himmel gefallen. Dann sprang er auf, nahm mich in die Arme und flüsterte mir ein "Ich liebe dich" zu. Ich hatte erwartet, dass er mich vielleicht sogar schlagen würde, aber damit hatte ich nicht gerechnet.

Der König selbst war der erste, der die Fassung wieder fand und uns gratulierte. Er war es auch, der unserer Hochzeit seinen Segen gab. Allerdings raunte er Aures dabei zu, er solle sich vorsehen mit so einem Wildfang wie mir.

Wir sind jetzt seit dreihundertsechsundvierzig Jahren, neun Monaten und elf Tagen verheiratet."

Rean war verblüfft. Das waren Dimensionen, die er sich gar nicht vorstellen konnte. "Du weißt das so genau?", fragte er skeptisch.

"Aber ja.", erwiderte Melean. "Weil ich jeden einzelnen Tag mit ihm genieße. Ich weiß nicht, ob das überhaupt möglich ist, aber ich glaube, ich liebe ihn immer mehr anstatt weniger."

"Was meinst du, soll ich mit Tharas machen?"

"Weißt du, mein Vater hatte damals Recht mit dem, was er gesagt hat. Hör auf dein Herz."

In dem Moment traten Aures und Tharas aus der Tür.
 

"Melean, kommst du bitte mit ins Haus, ich habe etwas mit dir zu besprechen.", bat Aures.

"Sicher. Rean, es macht dir doch nichts aus, wenn ich dich zurücklasse, oder?"

Rean schüttelte den Kopf. Melean nickte ihm noch einmal freundlich zu, schwang sich von Geländer und folgte Aures.

"Und, habt ihr zwei euch gut unterhalten?", fragte Tharas betont desinteressiert und lehnte sich neben seinem Freund an den Holzbalken auf dem dieser saß.

"Er hat mir aus seinem Leben erzählt.", antwortete Rean.

"Toll. Ich kann mir nichts Spannenderes vorstellen. Die Lebensbeichte eines Elfen."

"Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du was gegen ihn hast. Oder täusche ich mich da?"

"Nein, ich hab nichts gegen ihn. Wie kommst du darauf? Es ist nur irgendetwas mit seiner Art, das mir Sorgen macht.", erklärte Tharas und blies sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus dem Zopf gelöst hatte, doch sie hing ihm sofort wieder in die Augen. Schließlich schob er sie einfach hinters Ohr.

"Sorgen? Warum denn? Er war doch bisher immer freundlich zu uns.", stellte Rean fest und schaute ihn verwirrt an.

"Eben. Genau das ist es ja. Vor allem zu dir ist er viel zu nett."

Rean konnte nicht glauben, was er da gehört hatte. Hatte er sich das nur eingebildet oder…? "Sag mal, kann es sein, dass du eifersüchtig auf ihn bist?", fragte er ungläubig nach.

"Eifersüchtig? Ich? Auf so ein blondes, weibisches Spitzohr? Ich bitte dich, wo denkst du hin.", antwortete Tharas ganz gelassen. Lässig verschränkte er die Arme vor der Brust und schaute über die Schulter nach unten als würde ihn dort etwas ganz brennend interessieren. Insgeheim war er doch erschrocken, dass Rean ihn so offensichtlich durchschaut hatte. Zugegeben: Besonders schwer hatte er es ihm ja auch nicht gemacht. In Zukunft würde er seine Zunge hüten.

"Also doch. Aber ich verstehe nicht, warum. Man kann euch beide gar nicht miteinander vergleichen und ich sehe keinen Grund, warum du ihn als Rivalen ansehen solltest."

/Ist das nicht offensichtlich?/, dachte der Magier und schaute seinen kleinen Freund verblüfft an.

"Was ist?", fragte Rean und fühlte sich unter dem Blick aus Tharas stechenden grünen Augen zunehmend unwohl.

Hatte der Junge wirklich keine Ahnung, was in ihm vorging? Warum Melean potenziell gefährlich war wenn er Rean schöne Augen machte? Oder wollte er es einfach nur nicht wahrhaben? "Komm, wir gehen ein Stück.", schlug er vor und stieß sich mit einer eleganten Bewegung ab.

"Gut.", bestätigte Rean. Doch er zögerte. Plötzlich schien alles unter ihm zu wanken und er fühlte sich nicht gut. Seine Hände zitterten. Eine unerwartete Kälte strahlte von seinem Rücken aus durch seinen ganzen Körper. "Tharas?", fragte er schüchtern.

Der Prinz von Arc wandte sich zu ihm um und sah ihn fragend an.

"Kannst du mich bitte kurz festhalten? Ich trau' mich nicht hier runter."

"Es ist nicht allzu hoch. Sonst hast du doch auch kein Problem mit der Höhe.", bemerkte dieser.

"Bitte. Ich habe das Gefühl, dass ich, wenn ich mich nur ein wenig bewege, fallen würde."

Tharas zuckte die Achseln und kam dann auf den Jungen zu. Er umfasste seine Taille und hob ihn vorsichtig von Geländer.

Rean legte seine Arme um Tharas und lehnte sich gegen seine Brust. Ihm war schwarz vor Augen und ihn schwindelte. Dieses Gefühl kannte er. Er hatte es schon gehabt kurz vor ihrer Ankunft in Eredrion und nachdem sie aufgebrochen waren um die Mandragora zu suchen. Meist ging es einher mit bösen Vorahnungen und Alpträumen. Eine Weile blieben sie in der Umarmung. Dann fragte Tharas: "Wieder alles in Ordnung?"

"Ja, es geht wieder. Danke.", murmelte Rean. Tatsächlich waren die Kälte und das Schwindelgefühl verschwunden und er fühlte die Wärme der Sommersonne auf seinem Gesicht.

"Na dann komm.", sagte der Magier freundlich und sie stiegen die nahe gelegene Leiter hinab um auf festen Boden zu kommen.
 

"Was hältst du von den beiden?", fragte Aures.

"Tharas ist mehr menschlich als dämonisch. Das dachte ich mir gleich, als er gestern zu uns kam. Warum ich nicht gleich etwas unternommen habe als er verurteilt wurde? Wahrscheinlich, weil ich Llandon noch nicht vergeben und ihn unbewusst auf Tharas übertragen habe." Melean fuhr sich vorsichtig mit den Fingerspitzen über seine Brust. Dort war, verborgen von seinen mehreren Kleidungsschichten eine große Narbe, die sich über die ganze Brust zog. Llandon hatte sie ihm im letzten Krieg beigebracht und ihn beinahe getötet. "Doch ich habe ihm Unrecht getan. Deshalb habe ich ihm auch das Heilwasser gegeben um damit wenigstens die kleinen Wunden zu heilen.

Rean hingegen… Er hat die 'Gabe', wenn auch nur sehr, sehr schwach. Er ist ein unschuldiger Junge, der noch nicht viel Ahnung vom Leben hat. Zweifellos ist er intelligent, dennoch hat er Schwierigkeiten, seinen Gefühlen zu vertrauen. Das zeigt sich mir dadurch, wie er auf die Geschichte von uns beiden reagiert hat."

"Du hast ihm also unsere Geschichte erzählt? Hoffentlich nicht zu detailliert?", fragte Aures scherzhaft.

"Was denkst du denn? Dazu ist er noch viel zu klein.", konterte Melean entsetzt und fuhr zu seinem Gatten herum. Dieser grinste ihn frech an.

"Was hast du vor, Aures?", fragte Melean ernst. "Beziehungsweise was hat Tharas vor? Ich hoffe, keine Dummheit."

"Du sorgst dich um den Sohn deines schlimmsten Feindes? Es scheint, als hättest du auch noch nach Jahrhunderten die Fähigkeit, mich zu überraschen, dabei dachte ich, ich kenne dich.", bemerkte der Fürst.

"Das ist es nicht. Ich sorge mich eher um Rean. Wenn Tharas mit seinem Leben spielt, wird das großes Leid für den Jungen verursachen. Sie beide wissen, dass sie mehr als nur Freundschaft füreinander hegen, doch sie sind nicht in der Lage, das zuzugeben. Wenn Tharas etwas passiert, dann wäre das auch für Rean ein Grund, nicht mehr weitermachen zu wollen. Also, was hat er vor?"

"Er will das Wolfsrudel auslöschen. Und zwar allein."

"Ist er völlig verrückt? Wie will er das anstellen?", fragte Melean entsetzt.

"Ich weiß nicht. Er hat mir nur erklärt, dass der einzige, der das tun kann, sein Vater ist, denn es war Llandon, der in seiner Jugend einen Wolfswelpen fand, großzog und ihn sozusagen mit dem Gift des Hasses auf die Elfen fütterte. Dieser Wolf ist es, der das Rudel zusammen hält und nur wenn er stirbt, können wir den anderen Wölfen Herr werden.

Tharas hat vor, morgen Nacht zum Bau der Wölfe zu gehen und sich als sein Vater auszugeben, um an den Leitwolf heran zu kommen."

"Was für eine Wahnsinnsidee! Oh, dieser dumme Junge. Wenn der Wolf nur halb so schlau ist wie ich glaube, wird er den Schwindel sofort erkennen. Und selbst wenn nicht, und er es schafft, den Anführer zu töten, besteht das restliche Rudel immer noch aus mindestens 20 Wölfen. Das schafft er unmöglich."

"Das weiß er selbst. Doch es ist ihm absolut ernst. Er will Rean unbedingt aus der Bürgschaftspflicht befreien. Ob durch seinen Tod oder seinen Erfolg spielt keine Rolle, sagte er."

"Und du hast ihn gewähren lassen?" Jetzt war Melean wirklich entsetzt.

"Er hat darauf bestanden.", bestätigte Aures.

"Das ist absolut hirnrissig. Aures, wenn er das nicht überlebt, was ist dann mit Rean? Wir müssten ihn ständig überwachen damit er sich nichts antut."

"Das war Tharas Forderung. Er wollte, dass wir dem Jungen im Falle seines Ablebens einen unserer besten und wachsamsten Leute zur Seite stellen damit er sicher und wohlbehalten nach Hause kommt."

"Nach Hause? Er hat kein zu Hause mehr. Seine Familie ist versteinert. Wo soll er denn hin? Wie hat sich Tharas das nur vorgestellt?"

"Er will, dass wir ihn nach Arc bringen. Und ich finde, er hat Recht. Dort ist er gut aufgehoben."

"Nach Arc? Direkt in Llandons Obhut? Kann er nicht bei uns bleiben? Es würde ihm gut gehen.", schlug Melean vor.

Aures schüttelte den Kopf. "Er muss zurück zu den Menschen. Ich weiß, dass du ihn gern hast, aber wir sind nicht seine Familie. Er muss zu seinesgleichen. Überhaupt ist Tharas noch nicht einmal unterwegs und wir überlegen schon, was nach seinem Tod ist."

Melean seufzte. "Er will sich anscheinend wirklich umbringen. Hoffentlich denkt er noch einmal darüber nach.", sagte er ernst.

"Selbst wenn, es ist zu spät. Unser Vertrag steht.", sagte Aures nüchtern.

"Nicht nur ich überrasche dich, Liebster, auch du mich." Melean sprach ganz langsam und deutlich. Das Wort Liebster betonte er auf eine Art, die es fast wie eine Drohung wirken ließen. "Ich hätte so etwas nie von dir erwartet. Und ich bin enttäuscht. Du schickst ihn in den sicheren Tod. Aber wenn er stirbt, dann mach das allein mit deinem Gewissen aus, denn dann werde ich persönlich Rean begleiten." Seine Augen waren nur noch schmale Schlitze. Wütend schob er sich an seinem Mann vorbei und würdigte ihn keines Blickes mehr. (Oh, oh, dicke Luft *uiuiui*)
 

Tharas und Rean waren ein Stück weit vom Dorf fort gegangen. Sie hatten den bisherigen Weg über geschwiegen, doch als die Stille zwischen ihnen langsam begann, erdrückend zu werden, fragte Rean: "Was hattest du denn so wichtiges mit Aures zu besprechen?"

"Weißt du, wenn ich es dir hätte sagen wollen, dann hätte ich dich in der Hütte bleiben lassen.", erwiderte Tharas.

Rean hielt mitten im Schritt inne und ballte seine Hände zu Fäusten. "Das ist ungerecht von dir. Du hattest nie Geheimnisse vor mir und ich vor dir auch nicht. Seit wir unterwegs sind, erkenne ich dich kaum wieder. Was ist nur mit dir los, Tharas, hm?", fragte er und seine Stimme zitterte ein wenig vor unterdrücktem Zorn. Doch als Tharas sich zu ihm umdrehte, taten ihm seine Worte sofort wieder Leid. Sein Freund blickte ihn nicht wütend an, wie er es erwartet hatte, sondern unendlich traurig.

"Es tut mir Leid, Rean. Aber es ist nur zu deinem Besten, wenn du es nicht weißt. Glaub mir. Und ja, vielleicht habe ich mich verändert…" Er kam auf Rean zu und sah ihm fest in die Augen ohne auch nur zu blinzeln. "… Und das liegt daran, dass ich selbst noch nie in solch einer Situation war. Ich fühle mich für dich verantwortlich und nicht nur das. Du bedeutest mir mehr als mein eigenes Leben, das habe ich jetzt begriffen." Mittlerweile stand er so nahe vor ihm, dass Rean den Kopf heben musste, um ihm in die Augen sehen zu können. Sanft berührte Tharas seine Wange.

"Rean, ich…" /Ich liebe dich, na los, du Idiot, nun sag es schon endlich./, schalt er sich selbst, doch die Worte wollten einfach nicht über seine Lippen kommen. Ein innerer Widerstand hielt ihn davon ab. Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt dazu. Aber wenn er seinen Plan umsetzen würde, dann würde es vielleicht gar keinen Zeitpunkt mehr geben. Sehr wahrscheinlich sogar.

"Was?", hauchte Rean und sein Blick schien verzweifelt nach der Antwort zu verlangen.

"Ich…", setzte Tharas erneut an, doch plötzlich…

"Da seid ihr zwei ja. Ich hab euch schon überall gesucht!", rief Soley und kam zu ihnen herüber geflattert.

Ruckartig lösten sie sich voneinander. Tharas ließ entmutigt die Schultern hängen und verdrehte genervt die Augen. Diese Fee hatte aber auch ein Talent, in den ungünstigsten Momenten aufzutauchen. (Und diese Autorin hat ein Talent, auch die romantischsten Momente ruckartig zu zerstören ;0) Sorry)

"Soley!", rief Rean. "Wo warst du den ganzen Tag? Ich hab dich schon vermisst." Sein Gesicht war leicht gerötet, doch Soley schien gar nicht zu merken, dass sie gestört hatte, denn sie fing ungeniert an, zu plappern.

"Also, ich war mit ein paar von den Elfen unterwegs, die das Essen zubereiten. Dann hab ich mich mal so umgehört, ob jemand was von den Feen weiß. Doch niemand konnte mir etwas über den Aufenthaltsort meines Volkes sagen. Das heißt also, dass ich euch beiden wohl oder übel noch eine Weile erhalten bleibe." Sie strahlte Rean vor Freude an.

"Super.", kommentierte Tharas trocken. "Was für ein erhebendes Gefühl, deine überaus geschätzte Gesellschaft weiterhin genießen zu dürfen."

"Wieso bist du denn plötzlich so verstimmt, Zauberlehrling? Nach deiner Meinung hat sowieso niemand gefragt." Die Fee streckte ihm die Zunge raus und ließ sich auf ihrem Stammplatz auf Reans Schulter nieder.

"Ich glaube, wir sollten zurück ins Dorf gehen.", meinte Rean. Tharas akzeptierte mit einem kurzen Nicken. So machten sie sich auf den Rückweg.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KillaKyo
2007-04-06T16:42:12+00:00 06.04.2007 18:42
mou... ich hoffe die kriegen das noch auf die Reihe bevor er stirbt ^^
nein.. ich hoffe doch er stirbt nicht..
hast du wieder schön gemacht..
die beiden sind so knuffig ^^


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