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Raftel (1)

When Spirits Are Calling My Name ...
von

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1 - Die Nachricht

Es goss in Strömen und der Sturm fegte alles mit sich durch die leeren Straßen, was sich ihm in den Weg stellte. Vermutlich hatte es schon seit Jahren nicht mehr so in Loguetown gestürmt, denn der East Blue war eher durch sein mildes Klima bekannt. Zumindest konnte sich keiner der Einwohner mehr so recht erinnern. Im Grunde war es ihnen wohl auch egal. Sie hockten in ihren Häusern und wer keinen Grund inne hatte, ging nicht freiwillig vor die Tür, sondern starrte lieber auf die vom Himmel prasselnden Wassermassen.

Um so mehr fielen den geneigten Fensterguckern drei lebensmüde Gestalten auf, die sich zudem lauthals in einer Straßenecke stritten. Zwei von ihnen schienen menschlich. Sie trugen graue Regenponchos und den Stimmen nach musste es sich wohl um Mann und Frau handeln. Die dritte Gestalt war eine Postmöwe, die unfreiwillig zwischen diesen Streit geraten war. Hatte sie doch lediglich einen Auftrag gewittert, jedoch nun Muffesausen angesichts des Wetters, denn der Auftraggeberin schien es recht ernst zu sein. Wortfetzen drangen durch den prasselnden Regen.

„... das hat doch keinen Sinn... bei diesem Wetter... niemand weiß, wo er ist... “, versuchte die männliche Stimme auf die Frau einzureden.

„Das ist mir egal! Wir haben alle Berri der Welt, um die Möwe zu bezahlen!“ schrie sie und sah dabei die Möwe flehend an. Sie hatten tatsächlich viel erreicht. Um die ganze Grandline waren sie gefahren, nur um kurz vor dem Ziel zu scheitern. Sie mussten an diesem Punkt erkennen, dass ihnen das entscheidende Puzzelteil zum One Piece fehlte. Die Frau schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen wegzufegen. Doch es half nichts. Erst ihr Gesprächspartner riss sie jäh in die Realität zurück.

„Hörst du mir zu? Du bist echt krank! Das müssen wir halt allein hinbekommen!“, bettelte er sie derart aufgeregt an, dass seine lange Nase unter der tiefgezogenen Kapuze hervorragte.

„Wie denn, verdammt?“ Der Sturm riss ihr die Kapuze vom Kopf und der Regen durchnässte schnell ihre orangefarbenen Haare. Sie drehte sich zur Möwe und drückte ihr den Brief in den Schnabel: „Du musst ihn finden! Hörst du?“ Die Möwe gab seufzend den Widerstand auf. Nie würde sie verstehen, warum man eilige Sachen für viele Berri mit der Möwenpost schickte. Gab es für so etwas keine DenDenMushi? Tagelang würde sie suchen und vermutlich um die Grandline und den Rest der Welt segeln müssen, um den Adressaten ohne Wohnsitz zufinden. Normalerweise weigerte sie sich strikt, solch einen Auftrag überhaupt anzunehmen, aber der große Sack Berri war einfach zu verlockend... Was? Nun sprach die Orangehaarige auch noch von einer Rückantwortkarte vom Adressat? Das war der Gipfel! Nie in ihrer langjährigen Dienstzeit als Postmöwe hatte sie je einen Brief verloren. Wer weiß, wo die Frau denn nach ihrer Rückkehr sein möge. Solle sie diese dann auch noch suchen fliegen? Na, wenn es denn sein musste. Genervt schob die Möwe den Brief in ihre Tasche. Die Nachricht wog nicht sehr viel. Das ließ nicht auf viel Inhalt schließen. Mit den Worten im Ohr, dass es doch wirklich äußerst wichtig sei, hob die Möwe ab. Sie beeilte sich, um schnell über die Wolken zu kommen, denn dort würde es weder regnen noch stürmen. Geschickt wich sie einem vom Sturm losgerissenen Plakat aus: HINRICHTUNG DES PIRATENKÖNIGS MONKEY D. LUFFY! – NÄCHSTEN SONNTAG AUF DEM MARKTPLATZ!

Die Möwe brach schnell durch die dichte Wolkendecke und segelt der Sonne entgegen. Die warmen Strahlen trockneten schnell die letzte Nässe in ihrem Gefieder und ließ sie leichter segeln. Wo sollte sie nur suchen? Sie war sich bewusste, dass sie es schaffen würde, denn sie gab stets an, die Beste ihres Faches zu sein. Sie hatte auch schon eine Idee. Zuversichtlich flog sie weiter. Der Sonne entgegen.

2 - Der Aufbruch

Der Ruf „Dort sind sie!“ durchbrach das eintönige Pfeifen des Windes und Prasseln des Regens. Der Mann mit der langen Nase packte die Frau am Arm, die immer noch der längst verschwundenen Möwe nachblickte. „Schlag hier keine Wurzeln, Nami!“, rief er und zog sie mit sich fort. Sie mussten schleunigst ungesehen zurück zu ihrer Unterkunft gelangen. Das Unwetter würde zunehmen und sie waren eh schon nass bis auf die Knochen. Zudem wollten sie nicht den Kopfgeldjägern oder der Marine ins Netz gehen wie ihr Captain. Es war ein Desaster und Nami fragte sich noch oft, wie es überhaupt soweit kommen konnte: Luffys Gefangenschaft, die Niederlage vor Raftel, das Auseinanderbrechen der Crew... Es schien ihr alles so unglaublich und unwirklich, was in den letzten fünf Monaten passiert war. Nach endlosem Hakenschlagen in den engen Gassen hatten sie ihre Verfolger abgeschüttelt. Sie waren in ein heruntergekommenes Viertel vorgedrungen. Die Kanalisation war entweder eingebrochen oder verlief überirdisch. Durch das Unwetter stank es bestialisch, denn es schwemmte allerlei Unrat und Dreck in den Gassen. Kaum zu glauben, dass Loguetown solch ein Viertel besaß. Aber dennoch wohnten hier Menschen: Obdachlose, Tagelöhner und sonstiges Gesindel hatte hier seinen Platz gefunden. Sie lebten in Häusern, die wohl vor vielen Jahrzehnten einmal prächtig waren. Jetzt verdienten sie nicht einmal die Bezeichnung einer Baracke. Sie waren heruntergekommen, eingestürzt oder ausgebrannt. Als sie hier vor einigen Tagen ein Versteck fanden, wurden sie nur feindselig und schadenfroh angesehen. Ihre Gesichter sprachen Bände. Mitglieder der berühmt berüchtigten Strohhutbande in dieser Gegend ohne Captain? Interessant und jämmerlich zu gleich. Wenigstens hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand verpfiffen „Stell dich nicht so mädchenhaft an, Usopp!“ sagte Nami zu dem Mann mit der langen Nase, der angewidert seinen Fuß aus der Brühe zog und den Morast an seinen Schuhen begutachtete. Nami und Usopp gingen schweigend weiter. Man sollte in so einer Gegend niemals zu schnell unterwegs sein. Das erregt Aufmerksamkeit. Usopp atmete auf, als sie endlich an einer zerborstenen Tür ankamen, hinter welcher eine steile Holztreppe nach oben führte. Sie folgten ihr und erreichten eine kleine Wohnung aus der Wärme und Geruch von Essen hervordrang. „Naaaamiiii-swaaaaaaan!! Du bist ja ganz durchnässt, meine Teuerste! Wärm dich auf! Ich habe dir eine extra leckere Suppe gekocht!“ Sanji, der ewige Charmeur und Koch der Crew, hatte dem Duft nach tatsächlich wieder eine wahrhafte Gaumenfreude gezaubert. Er half Nami aus ihrem Regenponcho, um diesen dann über eine Leine in der Nähe des Ofens zu trocknen. Usopp hatte nicht so viel Unterstützung. Er kämpfte sich allein aus dem klammen, nasskalten Ding und verhedderte sich hilflos. Doch schon einige Minuten später löffelten alle drei am Ofen hockend eine dampfende Nudelsuppe. Schnell kehrten die Lebensgeister zurück und Usopp durchbrach die Stille, indem er sich nach Frankie und Robin erkundigte. Die beiden seien noch nicht zurück, meinte Sanji. Sie würden sehen ob die „Sunny“ wirklich sicher vor Anker lag, denn bei so einer Ansammlung von Marinetruppen, könne sie sicher leicht entdeckt werden. Usopp und Nami nickten zustimmend. Wenn sie nun noch ihr Schiff verlören, dann wäre wirklich alles aus. Es folgte Stille. Nur das Knistern des Feuers und das Rauschen des Sturmes war zu hören. Mittlerweile hatte der Regen nachgelassen. Sie alle wussten, dass sie nur noch wenige Tage für Luffys Rettung hatten. Fünf um genau zu sein. Ihnen lief die Zeit weg. Und sie hatten immer noch keinen Plan.

Sanji ergriff wieder das Wort: „Ich war vorhin auch mal unterwegs zum Einkaufen. Dabei habe ich mal den Stadttratsch ausspioniert. Es wird Sonntagmittag wohl tatsächlich die Hölle los sein. Der Marktplatz wird brechendvoll sein. Alles, was bei der Marine Rang und Namen hat, wird mit Unmengen von Soldaten ebenfalls hier sein. Mich wundert fast, wie die alle auf diese kleine Insel passen...“ „Lass die blöden Scherze, Sanji“, giftete Nami, “Hast du sonst noch was gehört?“ „Entschuldige, Nami-Schatz! Ja, die Loguetowner wundern sich, dass bis heute noch nicht Smoker aufgetaucht ist. Immerhin hat er hier Heimspiel und will sich das Spektakel sicher nicht entgehen lassen. Und ich habe noch gehört, dass die Marine wohl wieder ihre Geheimwaffe einsetzen wird. Sie zieht sich wohl wie eine große Käseglocke über der ganzen Insel und wirkt wie Seestein“, antwortet Sanji. Usopp brummelte etwas von schlechten Neuigkeiten vor sich her und das sie derzeit nur abwarten könnten. Man müsse sehen, was Frankie und Robin so berichten würden. Vielleicht hätten sie ja auch etwas rausgefunden.
 

Der Abflug der Möwenpost war nicht unentdeckt geblieben. Einige Marineangehörige hatten den Vogel beobachtet und machten Meldung an ihre Vorgesetzten, die wiederum nicht zögerlich waren, eine Verfolgung zu organisieren. Und so flatterte eine zweite Möwe der ersten hinterher mit der Behauptung, ebenfalls dringend Post ausliefern zu müssen.

Von alledem merkte unsere erste Möwe erst einmal nichts. Sie war bereits weit voraus auf der Grandline unterwegs. Sie folgte einer inneren Eingebung nicht ohne ab und zu andere Kollegen im Fluge zu fragen, ob sie nicht ihren Postempfänger gesehen hätten. Sie ließ viele Inseln hinter sich. Sie war eine Weile unterwegs bis sie ihren Verfolger bemerkte. Den musste sie loswerden. Und plötzlich stieg sie höher und höher. Die Luft wurde dünner und dünner. Sie durchbrach das schneeweiße Meer und stieg noch höher. Sie hätte kaum noch daran geglaubt, aber es tauchte tatsächlich der Upper Yard vor ihr auf. Sie war schon so oft in den Himmel geflogen, aber noch nie so schnell. Sie hatte tatsächlich ihren Verfolger abgeschüttelt. Erschöpft ließ sie sich auf einem Zweig nieder und schlief ein. Diese Pause, so befand sie, hätte sie sich redlich verdient. Als sie wieder erwachte, waren bereits zwei Tage vergangen. Zumindest behauptete dies ihre innere Uhr. Geschockt sprang sie auf und knallte dabei gegen einen Ast. Sie musste weiter. Immer ihrem Gefühl nach. Die Szenerie hatten zwei Southbirds beobachtet, die sich nun königlich amüsierten. Böse gab die Postmöwe zurück, dass dies ja wohl einmal jedem passieren könne und bemerkte dabei, dass eine große Beule auf ihrem Kopf wuchs. Man gut, dass sie die Postkappe darüber trug. Sie erhob sich in die Luft und flog weiter. Es konnte nicht mehr weit sein. Nach einer Weile stoppte sie abrupt ab und stieß im Sturzflug durch die Wolken in die Tiefe. Doch da war kein Meer, was sich dort unter ihr auftat, sondern die Redline. Hohe Gebirge, weite Täler, dunkle Wälder tiefe Flüsse, endlose Strände und viele Geheimnisse. Die Möwe verstand die Piraten nicht, die es auf die Grandline zog. Die Redline hat soviel zu bieten. Zudem war sie kaum bewohnt. Wie dem auch sei: Für einen Moment hatte sie das Gefühl, den Empfänger der Nachricht entdeckt zu haben. Sie segelte langsam nieder und landete in seiner Nähe. Müde von dem langen Flug hockte sie nun dort im Gras und schlief, obgleich es herrlichster Sonnentag und angenehm mild war.

Als sich der Himmel kitschig rot färbte und die Sonne sich anschickte, langsam hinter dem Horizont im Meer zu versinken, trottete ein Rentier aus dem Wald. Tief hatte es seinen pinkfarbenen Zylinder ins Gesicht gezogen und einen himmelblauen Rucksack geschultert. Es starrte gedankenverloren in den Abendhimmel und blickte dann am Waldrand entlang. Ah, dort drüben! Choppers Miene verfinsterte sich. Der Schnarchnase würde er Beine machen. Schnurstracks marschierte er auf den dort liegenden Schlafenden zu, holte tief Luft und brüllt: „Wach endlich auf, du faule Sau! Das ist ja echt untragbar!“ Chopper schnaubte. Seit gut fünf Monaten waren sie am Rande der Redline unterwegs. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er die Thousand Sunny verlassen musste, weil Luffy wegen Choppers RumbleBalls behauptet hatte, er sei ein Monster und eine Gefahr für die gesamte Crew. Wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Solange er das nicht endlich kontrollieren könnte, wäre in der Crew einfach kein Platz. Niemand hatte etwas gesagt. Auch nicht Zoro, von dem es Chopper so erhofft hatte. Er hatte damals wirklich geglaubt, sein bester Freund hätte ihn verraten und im Stich gelassen. Denn eigentlich steckte ja Zoro mit seinen dämonischen Kräften in einer ähnlichen Lage. Jedoch hatte er es bisher vor der Crew verbergen können. Chopper war durch Zufall darauf gestoßen und er musste bei seinem Leben vor Zoro schwören, niemanden einzuweihen oder sich zu verplappern.

Der Rauswurf hatte das kleine Rentier hart getroffen. Unter Tränen war er gegangen und hatte noch lange bitterlich geweint bis in die Tiefe der Nächte. Einige Tage später musste er dann feststellen, dass er sich doch nicht getäuscht hatte. Zoro hatte ihn kurze Zeit gefunden, obgleich er doch so einige empfindliche Umwege aufgrund Verlaufens in Kauf nehmen musste, und nur grinsend gesagt, Luffy würde nun eine wichtige Lektion lernen. Chopper wusste bis heute nicht, was Zoro damit gemeint haben könnte, jedoch fragte er auch nicht danach. Hauptsache, er war nicht mehr allein, obwohl er noch so manches mal darüber nachdachte. Er setzte sich ebenfalls ins Gras und fragte: „Was macht eigentlich die Postmöwe hier? Hast du die bestellt?“

„Welche Postmöwe? Ich dachte es wäre die Zeitungsmöwe?“ Zoro streckte sich gähnend.

„Nein! Die war vorhin schon da und hat dir die Zeitung sogar an den Kopf geknallt, Schlafmütze!“ grummelte Chopper. Und nun starrten beide ungläubig auf die Möwe, die langsam erwachte und sich freute. Sie hatte ihn tatsächlich gefunden. Sie holte den Brief heraus mit der Aufschrift „Roronoa Zoro“ und watschelte herbei.

Verwundert nahm Zoro den Brief: „Wer schreibt denn an uns? Fanpost?“

„Vermutlich jemand, der die Theorie vertritt, du könnest lesen,“ witzelte Chopper. Dafür erntete das kleine Rentier einen Blick, der töten könnte. Seit Chopper aus der Crew geflogen war, hatte er einen extrem zynischen, trockenen Ton am Leibe. Doch da er seit ihrer Ankunft auf der Redline die meiste Zeit durch die Wälder der Umgebung streifte und nach ihm unbekannten Pflanzen für seine Allheilmedizin sucht, musste Zoro sich das wenigstens nicht anhören. Zoro faltete den Zettel auseinander, worauf in schnell hingekrickelten Zeichen stand:

„Luffy wird am Sonntag hingerichtet. Bitte hilf uns! Du bist echt unsere letzte Rettung! Nami“

„Nanu, was sind das denn für Erkenntnisse? So was wäre der zickigen Hexe doch früher nie eingefallen? Tja, Pech gehabt!“ Zoro faltete den Brief wieder zusammen und steckte ihn ein. „Das würden wir eh niemals schaffen. Wir müssten erst mal über die ganze Redline und dann noch mit einer Fähre nach Loguetown übersetzen. Das sind wir mindestens einen ganzen Monat unterwegs.“ Chopper machte große Augen des Erstaunens. Zoro hatte zwar keinen Orientierungssinn und gab sich stets wortkarg. Aber hinter der Fassade verbarg sich so einiges an paratem Wissen. Wo immer das auch herkam. Die Postmöwe begann zu quengeln. „Was will die?“ Über Zoros Kopf konnte man das Fragezeichen förmlich glühen sehen. Chopper übersetze ihm, dass sie noch eine ausgefüllte Rückantwortkarte von Zoro brauchen würde. Doch Zoro lachte nur. Nami würde er sicherlich niemals eine Rückantwortkarte schicken. Aber Chopper könne das doch erledigen. Chopper seufzt, füllt das Formular aus und schrieb noch als Kurznachricht darunter: Zoro ist indisponiert. Das wiederum erheiterte Zoro aufs Neue und er lobt Chopper für die gelungene Wortwahl. Mit dem Formular zufrieden hob die Möwe wieder ab in Richtung Loguetown.

Gedankenverloren blätterte das Rentier in der Zeitung: „Hmmm...,“ machte Chopper.

„Was ist?“

„Hier steht, dass Ganze wird wegen der schlechten Wetterlage verschoben auf unbestimmte Zeit. Das ist doch was faul. Seit wann stört die das Wetter? Meinst du nicht, man müsste trotzdem dem Spektakulum beiwohnen?“ Bettelnd sah Chopper zu Zoro auf.

„Na schön. Wir haben eh nichts besseres zu tun.“

Und so zogen sie in die Dämmerung bis die Nacht sie vollkommen verschluckte und ließen die Küste des North Blue in Richtung East Blue hinter sich ohne zu ahnen, wie schnell sie in wieder sehen würden. Irgendwann inmitten der Nacht erreichten sie eine alte Kate. Chopper quengelte vor Angst. Der dichte Wald war ihm unheimlich. Kein Stern mehr konnte sein Licht durch die Blätter fallen lassen. Und so beschlossen sie, bis zum Morgengrauen dort zu bleiben.

Tagelang zogen sie nun so voran. Der Wald schien kein Ende zunehmen. Stattdessen wechselte er vom lichten Laubwald zum finsteren Nadelwald, dann wieder zu einem gespenstischen Bambuswald oder einfach nur zu grässlichem Buschwerk. Das gute Wetter schien sie zu verlassen. Zu allem Überfluss öffnete der Himmel alle Schleusen. Der Regen verwandelte den Waldboden in Morast und Chopper musste sich eins ums andere Mal von Zoro anhören, dass es eine ganz bescheuerte Idee gewesen sei, nach Loguetown zu gehen. Der Schlamm hing überall und machte die von Nässe durchdrungenen grauen Regenponchos nicht gerade leichter und angenehmer.

Nach weiteren zwei Tagen Schlammschlacht und Wasser von allen Seiten erreichten sie ein kleines Dorf an einer Furt. Sie staunten nicht schlecht, als sie dort Marineeinheiten erblickten. Sie beobachteten vorsichtig das Treiben. Die eine Einheit zog wieder flussabwärts in Richtung North Blue und die andere versorgte sich mit Proviant und weiteren Waren. Vermutlich war hier ein wichtiger Handelsweg. Der Fluss schien noch um einiges schiffbar landeinwärts zu gehen. Sie beschlossen, durch den Wald um das Dorf herumzugehen. In irgend einem Lager oder dergleichen würden sie schon unterkommen. Sie waren bis auf die Knochen nass und die Mägen hingen durch. Dieser Zustand behagte ihnen so rein gar nicht und musste dringend geändert werden. Aufmerksam pirschten sie durch das Dickicht und tatsächlich! Ein kleines Lagerhaus mit Lebensmitteln und weiteren Handelswaren, wie man sie in jedem gutsortiertem Krämerladen finden würde. Volltreffer! Schnell waren sie im Inneren verschwunden mit der Gewissheit, dass hier in den nächsten Stunden niemand so schnell auftauchen würde.

Die Ponchos über ein paar Sackkarren zum Trocknen geworfen und vollen Mägen machten sie sich auf ein paar alten Tatami-Matten bequem. Die letzten Tage im Matsch waren wahrlich kein Zuckerschlecken gewesen. Die Nacht brach wieder herein und ein fahler Mond beschien die Szenerie. Sie wechselten sich mit der Wache ab. Bei dem Marineaufgebot musste man mit allem rechnen. Es wäre kein Problem gewesen, sich hier zu behaupten. Jedoch wollten sie auf gar keinen Fall Aufsehen erregen. Selbst die kleinste Meldung der hier ansässigen Marinesoldaten an das Hauptquartier würde ihnen eine Menge Ärger einbringen und eine Spur hinterlassen, die ihre Feinde nur zu gut verfolgen könnten. Chopper starrte durch das Seitenfenster auf den Anlegeplatz an der Furt. Es geschah bis weit in die Nacht nichts besonders. Es war alles still und friedlich. Bald würde wohl die Sonne wieder aufgehen, jedoch hingen die Wolken noch tief und wurden vom aufkommenden Wind in Fetzen gerissen. Die Müdigkeit überkam ihn und so entging ihm, dass sich noch ein weiteres kleines Flussschiff mit höchst interessanten Fahrgästen an Bord nährte.

Es war kein normales Flussschiff, auf welchem Waren transportiert wurden. Es war ein reines Marinefahrzeug für gehobenes und höheres Personal. Es ließ nicht viel Platz für Material und transportierte auf eher spartanische Weise seine Kundschaft. Obwohl es eher unscheinbar wirkte, war es an Flakbestückung recht gut ausgestattet.

Es stiegen nur zwei Fahrgäste aus: Die große, männliche Person war von kräftiger Statur, schien extrem verärgert, schlechtgelaunt und zog vom Akkordrauchen eine Tabakwolke hinter sich her. Eine kleinere weibliche Person folgte ihm und lauschte angestrengt seinen Worten. Kurz darauf ging der große Qualmer wieder auf das Schiff und ließ die Marinesoldatin allein auf dem großen Marktplatz stehen. Sie hatte bis auf einen kleinen Rucksack nichts bei sich. Mit diesem ging sie schnurstracks zu dem Marinegebäude. Sie wollte noch zu etwas Schlaf kommen, denn in ein paar Stunden würden sie wieder ihrem Dienst nachgehen müssen. Wer könne wissen, was der nächste Morgen so bringen würde? Sie gähnte noch mal herzhaft und betrat dann das kleine schäbige Gebäude.

3 - Entscheidungen

Der Morgen brachte leichten Wind, aber auch Sonnenschein, der Chopper in der Nase kitzelte und weckte. Er gähnte und streckte sich. Blinzelnd betrachtet er seine Umgebung und sah aus dem Fenster. Das Dorf schien noch nicht erwacht zu sein, denn es war noch wie leergefegt. Er sah sich den Marktplatz genauer an. Sein Blick blieb an einer dunkelhaarigen, übermüdet wirkenden Frau hängen, die gerade einem Dutzend Marinesoldaten irgendwelche Aufgaben anwies und sie dann wegschickte. Plötzlich war er hellwach und starrte geschockt mit weitaufgerissenen Augen auf sie. Wie von der Tarantel gestochen raste er in Panik auf den noch schlafenden Zoro zu und schrie: „Sie ist da! Sie ist da!“

„Wer ist...?“ Weiter kam Zoro nicht, denn Chopper pflegte in Panikattacken sich an Zoros Kopf fest zu klammern.

„Lass los, du Idiot!“ brüllte nun Zoro sichtlich in Wut. „Wer ist da?“

„Das willst du gar nicht wissen! Wir müssen sofort weg!“ plapperte Chopper zitternd.

„Lass endlich los!“ Er schaffte es nun doch, sich aus dem Klammergriff des kleinen Rentieres zu befreien, um selbst einmal ein Blick über das Szenario streifen zu lassen. Doch der Marktplatz war wie leer gefegt. Lediglich zwei Marinesoldaten standen gelangweilt an einer Hauswand redeten laut lachend über irgend etwas. Das große Aufgebot von gestern war abgezogen. Verständnislos blickte er das Rentier an, das sich noch nicht ganz beruhigt hatte, hastig seine sieben Sachen in den pinkfarbenen Rucksack stopfte und jegliche Geistererscheinungen und bösen Träume vehement abstritt.

Zoro brummelt dennoch etwas, schnappte sich seinen Regenponcho und trat aus dem Lagerhaus nicht ohne sich vorher noch schnell im Regal an den dort stehenden Essensvorräten zu vergreifen, welche auch sofort den Weg in seinen Magen fand. Als die Luft rein schien, schlenderte er mampfend mit einem letzten Apfel in der Hand die enge Gasse entlang Richtung Waldesrand dicht gefolgt von Chopper, der sich unsicher umsah. Zoro wollte gerade Chopper einen bissigen Kommentar übers ein Verhalten an den Kopf verwerfen, als er am Ende der Gasse abrupt stehen blieb. Gerade noch rechtzeitig konnte er seinen Kopf zurückziehen, als ein Katana haarscharf durch die Luft an ihm vorbeischnitt und seinen Apfel in der Hand teilte. Die obere Hälfte des Apfels flog mit einem „Plop“ in den Dreck der Straße.

„Bist du besch...!?“ Weiter kam Zoro nicht als er in das verfinsterte Gesicht einer Frau blickte. Die dunklen, tiefen Augen hinter den Brillengläsern waren vom Zorn erfüllt und kampflustig. Das Katana war nun auf seinen Hals gerichtet. Wie durch ein Medusengesicht zur Salzsäule erstarrt, stand er ihr immer noch angewurzelt gegenüber. Chopper kannte das Problem. Lange konnte er sich keinen Reim darauf machen, warum ausgerechnet diese Frau dort bei jedem Zusammentreffen so ein theatralisches Drama heraufbeschwören und Zoro so aus der Fassung bringen konnte, bis er ihn so lange genervt hatte, dass dieser in seiner üblichen Einsilbigkeit unbereitwillig zur Auskunft bereit war.

„Siehst du?“ flüsterte Chopper ängstlich und versteckte sich hinter Zoro. Zoro erwachte wieder aus seiner Starre. Er grinste den Marinefähnrich an: „Schau nicht so ernst, Süße! Das steht dir nicht!“ Krampfhaft versuchte er, sie nicht noch einmal anzusehen.

„Diesmal...“, sie wollte schon in seinen Hals zustechen, Chopper wollte schon in Panik schreien und tot umfallen, als Zoro mühelos mit seinem Katana abwerte. „Nein, nicht diesmal... niemals, Tashigi!“, antwortete er, „Gib es doch einfach auf!“ In dem letzten Satz schwappte ein Hauch Mitleid mit. Er steckte das Kitetsu wieder weg und wandte sich von ihr ab. Tashigi war durch den Abwehrhieb nach hinten gefallen, hatte aber ihr Shigure noch fest in der Hand. Sie rollte sich auf dem Boden mehr oder weniger gut ab und war schnell wieder auf den Füßen, als sie erkannte, dass Zoro und Chopper sich klammheimlich aus dem Staub machen wollten. Sie rannte los. Es war ihr in dem Moment egal, ob sie ihm Shigure unehrenhaft in den Rücken rammen würde. Jeden Tag hatte sie hart und härter trainiert und bei jedem Treffen mit ihm war sie besser geworden. Doch den von ihr verlangten Kampf war er nie nachgekommen. Absolut inakzeptabel! So leicht ließ sie sich nicht abservieren. „Tot oder lebendig“ stand auf seinem Steckbrief und wenn er nicht kämpfen wollte, dann solle er heute als ihr lebensausfüllendes Problem endlich beseitigt werden. Seit ihrem ersten Treffen in Loguetown war sie ihm und den restlichen Strohhüten mit Flottillenadmiral Smoker hinterher gezogen. Als Tashigi wieder einmal verloren hatte und sich ihre bösen Ausflüchte über Zoro ins maßlose steigerten, begann eines Tages Smoker schon zu spotten, dass es wohl stimme: Jäger und Gejagte würden eine besondere Beziehung miteinander eingehen. Daraufhin war sie nur wutentbrannt aus dem Zimmer gerannt, hatte mit den drohenden Worten Verbesserung gelobt und die Tür geknallt. Smoker hatte nur gebrüllt vor Lachen, aber sie wusste, dass er irgendwie recht hatte. Sie war schon regelrecht fixiert darauf, Zoro irgendwann nicht nur zu stellen, sondern ihn auch zu besiegen. So eine Arroganz und Hochnäsigkeit seinerseits musste einfach bestraft werden. Akribisch hatte sie alle Meldungen der Strohhüte verfolgt und jeden Steckbrief von Zoro aufbewahrt. Sie hatte nicht schlecht gestaunt, als sein Kopfgeld damals die 100-Millionen-Marke geknackt und auf 120 Millionen Berri geklettert war. Neidvoll konnte sie seitdem an eine gewisse Faszination nicht mehr abstreiten. Sie ertappte sich sogar dabei, dass sie ihm gern doch mal die ein oder andere Frage stellen würde. Vielleicht könne man doch das ein oder andere lernen? Irgendwann... Diesmal!

Zorn und Wut versuchten gegenseitig in ihr die Oberhand zu gewinnen, als sie mit Shigure in der Hand auf ihn zustürmte. Jetzt oder nie! Zoro hörte die herannahenden Schritte. Während der Drehung zog er zwei seiner Schwerter und stoppte ihren Schlag über ihren Köpfen in der Luft.

„Ich habe NEIN gesagt. Was verstehst du an dem Wort NEIN nicht? Nein, no, non, njet, en ei ole, iie,...“, Zoro überlegt, welche Sprache ihm spontan noch einfiel. Vielleicht würde sie ihn dann verstehen. Es war ungewöhnlich, dass Tashigi so lange schweigsam gewesen war. Normalerweise hätte sie ihm schon einiges an übelsten Beschimpfungen an den Kopf geknallt. Sie brach nun ihr Schweigen mit trotziger Stimme: „Das akzeptiere ich aber nicht!“

Zoro seufzte innerlich und trieb sie mit geschickten Schlägen langsam aber zielgerichtet an eine Hauswand. Es sah wahrlich gefährlich aus. Chopper jedoch wusste von Zoros Erklärungen, dass es bei seinen Schwertern eine scharfe und eine stumpfe Seite gab. Und hier schlug er nach Choppers unfachmännischer Beobachtung nur mit der stumpfen Seite. Er wusste aber auch, dass dies schon genug Schaden, wenn nicht gar den Tod des Gegners bedeuten konnte. Er konnte auch erkennen, dass dieses Spielchen zwischen beiden bei jedem Mal etwas länger dauerte. Tashigi musste wohl tatsächlich wie eine Besessene geübt haben. Oder Zoro verlor einfach nur von Mal zu Mal mehr die Lust. Das konnte das Rentier nicht beurteilen, tippte aber auf Letzteres.

Scheppernd viel Shigure aus Tashigis Händen zu Boden. Mit dem Rücken an der Wand und dem Wadôichimonji am Hals starrte sie Zoro an. Angst wie früher hatte sie nicht mehr, denn sie kam jedes Mal mit dem Leben davon, was sie zu tiefst in ihrem Stolz kränkt. Ihr Hass wuchs dadurch nur jedes Mal ein Stück mehr.

Plötzlich ging alles ganz schnell. Zwei Marinesoldaten hatten das Schauspiel entdeckt und wollten ihrer Vorgesetzen zur Hilfe eilen. Sie zogen ihre Schusswaffen. Chopper reagierte blitzschnell, warf sich einen RumbleBall ein und besiegte sie im ersten Anlauf. Sofort kamen weitere Soldaten um die Ecke. Ein Schuss fiel und schlug nahe Zoros Kopf in die Hauswand ein. Die nachfolgende Entscheidung würde sein Leben verändern. Seine innere Stimme warnte ihn heftig. Er würde die Entscheidung bitter bereuen. Später konnte er nicht mehr sagen, warum er eben genau diese Entscheidung trotz aller Warnungen traf. Er zog Tashigi von der Hauswand weg, drehte ihr den Arm auf den Rücken und hielt ihr das Schwert an den Hals. Tashigi begann nun zu zetern und zu schimpfen. Dabei versuchte sie, Zoro auf die Füße zu treten.

„Lass mich los, verdammt! Das ist Geiselnahme! Roronoa, du bist echt das Allerletzte! Ich hasse dich! Loslassen!“

„Komm her, Chopper!“ rief Zoro und flüsterte zu Tashigi: „Und du hältst still, sonst verletzt du dumme Nuss dich noch.“ Im Bruchteil von Sekunden standen die beiden im Mittelpunkt des Geschehens. Niemand wagte, sich zu bewegen. Die Soldaten waren unfähig und überfordert. Chopper fragte sich nur fassungslos, ob bei Zoro nun der letzte Funke Verstand erloschen sei. Geiselnahme? Die Marine würde ihnen doch nun ohne Ende auf den Fersen sein. Tashigi hatte alle Gegenwehr aufgeben. Nicht nur, dass sie eh keine Chance gehabt hätte, der Satz hatte sie perplex gemacht. Wieso interessiert den Kerl denn so was, ob sie sich verletzten würde? Langsam ging Zoro rückwärts mit Tashigi zum Waldrand. Er wollte sie planmäßig gleich an der nächsten Ecke loslassen.

Doch es kam anders. Einer der Marinesoldaten verlor die Nerven. Er schoss auf Zoro und Tashigi. Der Schuss traf sie am Oberarm. Mit einem lauten Aufschrei starrte sie auf das viele Blut und sackte vor Schmerz in sich zusammen. Zoro wünschte sich in diesem Moment, die Erde möge sich sofort auftun und ihn ganz tief verschlingen. Er packte Tashigi und rannte los in den Wald. Chopper reagierte ebenfalls. Er warf die Soldaten mit einem Stoß seines Geweihes aus der Bahn und folgte den beiden mit der Marine dicht im Nacken.

Erst als Zoro sich sicher war, dass ihm kein Feind mehr verfolgte, hielt er inne. Er sah Tashigi an. Sie hatte einiges an Blut verloren und war ohnmächtig geworden. Sein Gewissen sprach böse Worte, dass er sie nun nicht auch noch einfach so im Wald abladen konnte. In der Ferne durch das Dickicht erblickte er ein kleines Bächlein, welches durch große flache Steine seinen Weg im Sonnenschein suchte. Er merkte, dass Farbe und Wärme langsam aus ihrem Körper wichen. Ihr Blut klebte überall in seiner Kleidung. Er trug sie zu einem der großen flachen Steine, legte sie in seinen Poncho gewickelt auf einen der Steine in die Sonne. Da sein Shirt eh Blut verschmiert war, zog er es aus, um damit die blutende Wunde zu stoppen. Das gelang ihm sogar. Er zog sich ein frisches Hemd an und setze sich neben Tashigi. Er betrachtet sie. Ob Kuina wohl auch so hübsch aussehen würde, wenn sie noch leben würde? Er atmete tief durch und verwarf solche Ideen. Vergangen war vergangen. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als zu hoffen, dass Choppers Nase die Fährte zu ihm aufnehmen würde.

Chopper hatte seine Verfolger schnell abschütteln können. Als Rentier war er in diesem Gelände einfach klar im Vorteil. Doch wo war Zoro? Was war mit Tashigi? Er hielt seine Nase in den Wind und dann wieder auf den Boden. Da roch etwas seltsam. Blut? Ja, Blut von Tashigi! Mit der Nase auf dem Boden wie ein Hund folgte er schnell der Spur. Schon bald konnte er die beiden ausmachen. Er untersuchte bei seiner Ankunft sofort Tashigi. Es war nur ein Streifschuss. Zum Glück hatte sie weniger Blut verloren als angenommen und der Puls war auch stabil. Die Wunde war schnell und perfekt vernäht. Der kleine Rentierarzt gab ihr noch ein kreislaufstabilisierendes Mittel und noch eines gegen die Schmerzen. Sie würde sicher bald aufwachen. Zoro war umgehend dafür, sie einfach allein zu lassen. Chopper hingegen wollte ihr eine Chance geben und sie bis zum nächsten Dorf mitnehmen. Sie konnten sich nicht einigen und beschlossen abzuwarten, denn Tashigi würde sicherlich auch eine Meinung dazu haben. Zudem wollten sie schauen, wo sie für die Nacht unterkommen würden.

Das Gelände war unwegsam und so trug Chopper die meiste Zeit Tashigi. Er witterte den Fluss. Gegen Spätnachmittag erreichten sie dessen Ufer und folgten auf einem breiten Pfad dem Fluss stromaufwärts. Gelegentlich entdeckten sie ein verfallenes Gebäude. Doch keines war geeignet, drei Personen für eine Nacht zu beherbergen, bis plötzlich doch noch eine passende Hütte gefunden wurde. Sie schien bis vor kurzem noch bewohnt gewesen zu sein, denn sogar ein alter Kessel hing noch über der Feuerstelle und in einer Ecke lagen verstaubte Matten und Decken.

Schnell war ein Feuer entzündet und die Decken ausgeklopft. Tashigi lag nun in der Nähe des wärmenden Feuers auf einer der Matten in eine Decke gerollt. Chopper wies darauf hin, dass das Schmerzmittel leicht benebelnd wirken würde. Vermutlich würde sie auch einen Aufstand machen, da sie ja erst mal nicht wisse, wo sie sei. Zoro entgegnete nur gehässig, dass Aufstände bei ihr ein Normalzustand wären. Kaum gesagt, begann Tashigi sich zu regen. Sie blinzelte umher. Ihr Kopf hämmerte wie ein Presslufthammer. Sie fasste sich an den Arm und bemerkte den Verband. Sofort war Chopper an ihrer Seite und erkundigte sich nach ihrem Zustand. Sie gab Kopfschmerzen und leichtes Schwindelgefühl an. Natürlich wollte sie wissen, was passiert war. Chopper erzählte ihr alles. Ungläubig hörte sie zu. Noch bevor sich Tashigi darüber Gedanken machen konnte, lenkte sie Chopper ab. Er riet ihr sich auszuruhen. Sie aber bedankte sich erst einmal ausführlich bei dem kleinen Arzt und umarmte ihn. Er wurde knallrot im Gesicht und als Tashigi kurz durch sein struppiges Fell am Rücken kraulte, waren sie schon fast Freunde. Erst nun bemerkte sie Zoro. Er hatte die ganze Zeit schweigend und schlecht gelaunt im Hintergrund gesessen. Abfällig schnaubend stand er auf und ging nach draußen. Betreten sah sie zu Boden. Chopper bemerkte dies. Das würde mit den beiden noch eine harte Zeit werden, dachte er im Stillen bei sich und riet Tashigi ein weiteres Mal, sich gründlich auszuschlafen. Morgen früh könne sie sicher auch wieder eine Kleinigkeit essen. Schnell war sie eingeschlafen.

Chopper ging nach draußen. Von Zoro fehlte jede Spur. „Was macht der Idiot jetzt schon wieder?“ sprach Chopper verzweifelt zu sich selbst.

Zoro war in Gedanken den Fluss wieder stromabwärts gewandert. Er war schon die halbe Nacht unterwegs, da entdeckte er in der Ferne das Dorf, aus welchem sie heute früh geflohen haben. Der Ort, wo das Grauen begann. Zoro musste bei diesem Satz über sich selbst grinsen. Was war da mal wieder in ihn gefahren? Vermutlich war er einfach in manchen Dingen zu nett, stellte er über sich selber fest und seufzte. Er machte sich auf in Richtung Marinegebäude. Um der Beruhigung des schlechten Gewissens Willen, wollte er wenigstens Tashigis Katana holen. Andernfalls würde sie vielleicht die ganze Zeit Jammern, dass es seine Schuld sei, wenn es verschollen sein würde. Er ging um das kleine Haus herum und spähte durch die Fenster. Immer wieder musste er Deckung suchen, da Marinesoldaten patroulierten. Das half ihnen jedoch nichts, denn ihre Dämlichkeit lag dann letztendlich doch darin, das Haus offen wie ein Scheunentor zu lassen und zu allem Überfluss nur von einem Soldaten bewacht. Zoro schlüpfte in das Haus durch ein offenes Fenster. Tatsächlich! Da war es. Er zog Shigure aus der Saya und betrachtete es. Er hatte im Gegensatz zu Tashigi keine Ahnung, zu welcher Klasse es gehört, geschweige denn wie es hieß. Es war im egal, solange er spüren konnte, ob es gut oder schlecht zu seinem Besitzer war. Dies hier war gütlich, hatte einen guten Schwerpunkt und ließ sich leicht führen. Na, das passte zu ihrer Tollpatschigkeit. Ihr Stil war gut trainiert, das stand außer Frage, aber mit ihren zwei linken Händen und ihrer schnell auffahrenden Art würde sie im Schwertkampf stets den kürzeren ziehen. Er steckte das Schwert zurück. Und was war das? Ein Rucksack? Wie praktisch, dass bei der Marine alles akribisch nummeriert und beschriftet war. Er dachte an Tashigis Blut beschmierte Kleidungsstücke und beschloss, den Rucksack mitzunehmen. Was auch immer darin sein würde. Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, als er etwas noch etwas sah. Noch ein Katana? Das hatte er bei Tashigi zuvor nie gesehen. Er betrachtete es ebenfalls und versuchte zu spüren, was ihm das Schwert sagen wollte. Es schien besser zu sein als das Shigure, hatte einen geschwungenen Wellenschliff und schien dem Yubashiri, welches er einst aus Loguetown Geschenk bekam, sehr ähnlich. Er musste kurz grinsen bei der Erinnerung an den Laden. Lang war es her. Mit diesem Schwert würde Tashigi wohl Ärger bekommen. Es war zwar aufopfernd, aber bockig und stur. Mit seinen Fundsachen in der Hand überprüfte er noch mal die Lage. Niemand hatte hier sein Treiben bemerkt. Ebenso schnell, wie er aufgetaucht war, verschwand er auch wieder aus Haus und Dorf und ging zurück. Trotz zahlloser Umwege gelang das für seine Verhältnisse sogar recht zügig. Frankie hatte sich wie alle anderen über seinen nicht vorhandenen Orientierungssinn zwar lustig gemacht, aber ihm wenigstens einen wertvollen Tipp gegeben: „Nimm Kreide mit!“ Seitdem zierten Kreidemarkierungen Zoros Weg. Jedoch hatten sie den Nachteil, dass auch Verfolger den Kreidemarkierungen folgten. Egal, was er machte, es wäre wohl nie richtig. Bei dem Unterschlupf angekommen stellte er fest, dass Chopper und Tashigi schon tief im Land der Träume waren. Er legte die Sachen alle sorgfältig an der Hüttenwand ab und machte es sich dann ebenso wie die beiden mit einer Decke zum Schlafen bequem. In der Ferne brach bereits dämmernd der neue Tag an.
 

Weit entfernt im East Blue wusste man von alle dem nichts. Die Probleme, welche die restlichen Strohhüte bewältigen mussten, schienen wie Wolkenkratzer ihnen über den Kopf zu wachsen. Das Wetter war konstant schlecht wie die ganzen letzten Tage. Frankie und Robin hatten gut über die „Thousand Sunny“ gewacht. Allerdings konnten sie keine guten Nachrichten überbringen. Das Marineaufgebot war stärker geworden. Sicher würde das Schiff bald entdeckt werden. Wenn es der Marine nicht in die Hände fallen sollte, dann müsste es jetzt in den nächsten Tagen aus Loguetown weggebracht werden. Robin musste zudem gestehen, dass diese neue Geheimwaffe der Marine zwar nicht fertig schien, aber dennoch wirken würde. Robin wurde von Tag zu Tag schwächer und ihre Teufelskräfte konnte sie schon gar nicht mehr aktivieren. Allein war sie schutzlos. Die Stimmung der restlichen Strohhüte war am Boden. Nami wartete tagtäglich auf die Postmöwe und einer positive Nachricht von Zoro. Sie wurde immer stiller und starrte mit leeren Augen in den Himmel. Die Sache mit Luffy ging ihr extrem nah an die seelische Substanz. Fünf Tage hatte sie gewartet, bis die Möwe wieder zurück war. Sie wollte ihr Enttäuschung vor den anderen Verbergen, aber jeder einzelne sah ihre feuchten Augen und als Sanji ihr nachging, um sie zu trösten, weinte sie hemmungslos. Sie war verzweifelt und verstand die Welt nicht mehr.

„Ich verstehe das nicht, Sanji... Er war doch Luffys erstes Crewmitglied? ... Wieso macht er das? ... Er hat so was nie gemacht...“ Sanji wusste keine Antwort. Ihm war damals Zoros Verkündung aus der Crew auszusteigen wie ein schlechter Witz vorgekommen. Er erinnerte sich daran als sei es eben erst passiert. Es war genau ein Tag, nachdem Luffy Chopper sagte, er müsse gehen. Am nächsten Morgen saßen alle beim Frühstück. Und dann sprach Zoro: „Ihr wisst, dass ich einmal gesagt hatte, wenn ich Luffy nicht mehr vertrauen könne, dann würde ich gehen.“ Totenstille. „Das ist jetzt! Ich wünsche euch eine gute Reise!“ Er stand auf und ging. Einfach so. Und weg war. Noch zum Mittag waren sie weiter gesegelt zur letzten Insel der Grandline, Raftel. Doch als sie dort nach vielen Irrwegen endlich ankamen, war dort nichts als spiegelglattes Wasser. Kein Wind, keine Strömung. In großen Abständen ragten ringförmig von Korallenriffs Porneglyphen aus dem Meer. Man konnte fast alle gar nicht mit dem Auge erfassen, soweit waren sie auseinander. Sie waren alle Porneglyphen der Reihe nach abgefahren und Robin hatte ihnen von allen immer nur wieder den einen Satz vorgelesen: „Brenne, brenne weiter oder brenne, brenne nieder!“ Robin war maßlos enttäuscht. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Ihr Traum, die wahre Geschichte zu finden, war für sie in diesem Moment zerplatzt. Stundenlang wälzte sie Bücher und Aufzeichnungen. Sie fand einfach keine Lösung. Mit dem Mini-U-Boot waren sie hinuntergetauscht. Es war einfach keine Insel zu finden. Auch das Meer war an diesem Ort merkwürdig: Es war trübe, dreckig und kein einziger Fisch oder weiterer Meeresbewohner war auszumachen. Irgendetwas hatten sie übersehen. Nach einer Woche waren sie weitergesegelt und nach zwei weiteren Monaten sahen sie den Rivers Mountain. Niemand anderes als die Marine wartete aus sie. Bei der Schlacht fiel Luffy bei seiner Gear 2-Attacke ins Wasser. Sanji konnte immer noch Luffys Stimme hören: „Fahrt weiter, verdammt! Fahrt weiter!“ Das war das Ende der gemeinsamen Fahrt. Sie waren ohne Luffy entkommen und trieben einige Tage im North Blue. Als sie dann durch die Zeitung hörten, dass sie Luffy nach Loguetown bringen würden, machten sie sich über den Riverse Mountain und den Calm Belt auf in den East Blue. Den Seesteintrick beherrschte die „Sunny“ dank Frankies meisterhafter Arbeit perfekt.

Es half nichts. Es musste ein Entschluss gefasst werden. Robin und Frankie versprachen die „Sunny“ an der Redline zu verstecken und gut auf sie zu achten. Frankie war zuversichtlich, dass Robin mit ihren Teufelskräften das Schiff sicher gut allein mit ihm zusammen zur Redline bringen könnten, wenn sie erst mal aus Loguetown raus wären. Noch am Abend brachen sie auf. Zurück in Loguetown blieben Sanji, Nami und Usopp, um die Lage zu beobachten. Die drei standen an der Küste und blickten der Sunny hinterher, bis sie hinter dem Horizont verschwand. Erst dann wandten sie sich zum Gehen zurück zur Stadt. Sie überquerten dazu einen freien Hügel, dem zu Fuße die Stadt lag. Sanji hielt inne und die anderen sahen ihn fragend an. Es war langsam dunkel geworden und ein klarer Sternenhimmel funkelte mit den kleinen Straßenlaternen der Stadt um die Wette. Sanji zog an seiner Zigarette und blickte auf das Häusermeer.

„Idyllisch. Irgendwie haben wir wegen den ganzen Problemen den Blick für das Kleine und Wesentliche verloren. Ist es nicht so?“ Sanji blies eine Tabakwolke in die Luft und sah ihr nach wie sie sich im Himmel auflöste. „Lasst uns mal wieder unters Volk mischen! Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht. Ich will den Kopf freibekommen. Also, was ist?“

Erst sahen Nami und Usopp ihren Koch etwas entgeistert an, aber als Usopp einwilligte, ließ sich auch Nami überreden. Sanji hatte recht. Sie brauchten dringend mal andere Gedanken und Neuigkeiten. An ihrer Situation konnten sie eh nichts ändern. Sie schlenderten auf die Stadt zu, um nach einem gemütlichen Lokal Ausschau zu halten, in dem sich kein Feind oder Spion aufhielt. Zeit hatten sie genug.

4 - Reiseziele

Das Wetter war optimal. Die Sunny segelte mit voller Fahrt und die frische Brise trieb sie flott voran. Frankie war äußerst zufrieden mit seinem Schiff, welches er selbst entworfen hatte. Man konnte ihm seinen Stolz schon zehn Kilometer gegen die Sonne ansehen. Robin stand neben ihm am Steuer. Sie gönnte ihm diesen baulichen Erfolg. Immerhin war es sein größter Traum gewesen, der sich nun mittels der Thousand Sunny erfüllt hatte. Beide sahen schon in der Ferne schemenhaft die Küste der Redline.

„Wir müssten nun vor dem Teil der Redline sein, der sich „Die Nüw Welt“ nennt. Etwas weiter südlich liegt die Halbinsel „Sanaland“. Dort soll es an der Steilküste eine Menge an Meereshöhlen und Fjorde geben. Was hältst du von der Idee, wenn wir uns das mal ansehen?“ Frankie ruderte mit den Armen in der Luft, um Robin seine Erklärungen zu verdeutlichen.

„Meinst du nicht, dass sich dort vielleicht schon andere aufhalten? Und wieso heißt der Teil „Die Nüw Welt“?“ Robins Neugier für Rätselhaftes und Geschichtliches war wieder erweckt. Seit sie an dem Ringporneglyph vorbeigefahren waren, hatte sie sich nicht mehr ihrer Arbeit als Archäologin gewidmet.

„Dein Einwand ist berechtigt. Aber seit alle sich auf die Socken zur Grandline gemacht haben, verödet die Redline. Das ist eigentlich total schade. Die Redline soll sehr schön sein und noch manch ein ungelöstes Mysterium beinhalten. Der Name „Nüw Welt“ für diesen Teil des Kontinents ist wohl weit älter als der Name „Neue Welt“ für den zweiten Abschnitt der Grandline. Man sagt, der Ursprung läge nämlich auf der Redline. Aber du als Archäologien wirst wohl nur zu gut wissen, dass immer mehr getratscht wird, als man an Quellen jemals belegen könnte.“

„Das ist richtig, aber jede Legende und jedes Gerücht haben ein Fünkchen Wahrheit und einen Ursprung. Hm, das hatte ich damals nicht bedacht...“ Robin war nachdenklich und bat Frankie, sie zu entschuldigen. Sie würde zu gern etwas in ihren Büchern recherchieren. Im Notfall würde sie ihm sofort zu Hilfe eilen. Erfreut ließ Frankie sie gehen. Er hatte sie lange nicht mehr so glücklich und interessiert gesehen. Er war froh, dass sie wieder auftaute und sich ihrem Traum und der Arbeit widmete.

Erst nach einigen Stunden rief er wieder Robin zu sich. Sie sah zufrieden aus und hatte einen geheimnisvollen Blick im Gesicht. Es deutete darauf hin, dass sie wohl eine neue Spur gefunden hatte. Die hohen Klippen von Sanaland wirkten majestätisch schön und riesig. Eine unzerstörbare Ruhe ging von ihnen aus. Zwischen ihnen verliefen tiefe enge Fjorde ins Landesinnere. Von außen kaum einsehbar. Frankie hatte nicht zu viel versprochen. Geschickt manövrierten sie die Sunny in einen dieser Fjorde. Der Anblick war gigantisch. Die hohen schroffen Felsen schimmerten silberweiß und ragte direkt aus dem eiskalten kornblumenblauen Wasser empor. Das Wasser war spiegelglatt und klar. In der Tiefe war der felsige Grund zu sehen. Am Ende des Fjords war ein dünner weißer Sandstrand. Eine Graslandschaft schloss sich dem Strand an und verlief flach nach oben aus dem Fjord heraus. Dieser Platz war ein ideales Versteck. Sie ankerten und verließen die Sunny. Sie wollten die Gegend erkunden. Am Strand angekommen, gingen sie langsam über die Graswiesen hinauf. Es dauerte eine ganze Weile und als sie oben ankamen, erstreckte sich eine hügelige Graslandschaft mit vereinzelten krummen Bäumen und ruppigen Sträuchern. Ansonsten war die Gegend karg. Sie erklommen noch einen der Hügel. Es bot sich eine herrliche Rundumsicht. Unten zwischen den Felsen lag die Sunny, das Meer erstreckte sich auf der einen Seite bis zum Horizont und zur anderen lag die weite hügelige Wiesen. Weiter dahinter konnte man ein Waldgebiet und ein angrenzendes Gebirge ausmachen. Der strahlend blaue Himmel und das milde Klima taten ihr übriges, um der Gegend einen zeitlos schönen und friedvollen Charakter zu verpassen.

„Sieh mal! Könnte dort hinten ein Dorf sein?“ Robin deutet in eine Richtung am Rand der Fjorde.

„Ja, das scheint so. Das sollten wir aber erst morgen betrachten, oder? Ich denke, wir sind hier absolut sicher. Aber das will ich erst eine Nacht beobachten.“

Frankie und Robin gingen wieder den langen Weg hinunter zur Sunny. Frankie inspizierte das Schiff auf Schäden und Robin verkroch sich mit neuer Begeisterung wieder hinter ihren Büchern.
 

In Loguetown ließen sich die Bewohner trotz des angekündigten Spektakulums die Stimmung nicht vermiesen. Nach langen Wochen hatte es endlich aufgehört zu regnen. Es war fast sommerlich warm und alles, was Beine hatte, war auf der Straße unterwegs. Usopp, Sanji und Nami schlenderten durch die Gassen und zogen von Kneipe zu Kneipe. Seit langem ließen sie sich mal wieder ablenken und hatten Spaß. Usopp erzählte überall von seinen Heldentaten, die niemand hören wollte. Sanji spielte gekonnt den unwiderstehlichen Charmeur, um Nami aufzumuntern. Nami lachte ausgelassen und trank ziemlich viel durcheinander. Es war fast schon früher Morgen als sie sich endlich zu ihrem Quartier aufmachten. Usopp schlief fast im Stehen und Sanji hatte freudestrahlend eine recht betrunkene Nami untergehackt. Als Abkürzung wählten sie die Esoterik-Gasse, wie sie spöttisch von den Einwohnern genannt wurde. Hier tummelten sich Magier, Hexer, Zauberer, Clowns, Artisten und alle, die es noch werden wollten. Es war ein bunter mystischer Haufen, der auch die passende Ware hier feilbot. Neben Räucherstäbchen fand man ebenso unzählige Kristallkugeln, Hexenkochbücher und Tarot. Ob es nun alles Originalstücke oder Replica waren, konnte von den dreien keiner sagen. Usopp betrachtete fasziniert einen Stand mit Schrumpfköpfen, während Nami trotz ihrer Trunkenheit an einem Stand mit herrlichem Perlenschmuck anhielt, jedoch nichts kaufte. Die zitternde schwache Stimme einer Wahrsagerin hielt die drei von ihrem weiteren Weg ab.

„Kommt doch herein! Kommt, ich sage euch eure Zukunft voraus!“ Dabei funkelte sie unheimlich mit den dunklen Augen.

„Ha, die Alte will uns nur ausnehmen! Geschichten erzählen ist mein Job!“ protestierte Usopp.

„Ja, aber deine Geschichten kennen wir schon auswendig! Och bitte, Sanji! Das ist doch sicherlich lustig!“ bettelte Nami. „Und Kohle kriegt die erst, wenn alles stimmt!“ Das sprach Nami absolut nüchtern. Bei Geld hört bei ihr die Freundschaft und alles andere definitiv auf. Und da Sanji mit Nami im Arm im siebten Himmel schwebte, konnte er nur zustimmen. Nur eine Minute später quetschten sie sich zu dritt auf eine kleine wackelige Holzbank in einem ebenso kleinen mit goldenen Sternen besticktem blauen Stoffzelt, welches schon weit bessere Tage gesehen haben müsste und dringend Flickzeug forderte. Sie tuschelten, was die Wahrsagerin ihnen wohl sagen würde. Die Holzbank knarrte bedrohlich unter der Last der Dreien und war einem Zusammenbruch ernsthaft nahe.

Die Alte mit der viel zu hunzeligen Haut saß ihnen gegenüber und starrte gebannt in ihre Kristallkugel und mischte nebenbei Karten. Sie trug weite, alte Kleider, in denen wohl auch schon Motten gehaust haben mögen und das Flackern der Kerzen ließ ihr Hautfalten wie einen zerfurchten Acker wirken. Aber ihre Augen waren klein, schwarz und durchbohrend. Sie hatte schelmisch grinsend alles im magischen Blick.

Usopp flüsterte zu Sanji: „Pass auf, gleich knipst sie mit einem Schalter unterm Tisch die Kristallkugel an und erzählt uns alles, was sie aus der Zeitung über uns weiß!“ Sanji musste laut lachen, was ihm einen bösen Blick von Nami einfing.

„Niemand hat je die große Serafina so belacht!“ funkelte die Wahrsagerin und begann die Karten in einer bestimmten Anordnung zu legen. Sie fügte streng hinzu: „Aufgepasst, meine Freunde! Dies sind die Stränge der Zeit. Dieser ist vergangen, dieser ist jetzt und dieser hier wird kommen!“ Ihre Stimme klang nun markant krächzend der einer Krähe gleich.

Sie deckte den ersten Strang der Vergangenheit auf. Es waren fünf Karten, die sie Turm, fünf der Münzen, Narr, Magier und acht der Schwerter nannte.

„Was seht ihr?“ fragte die Alte fordernd.

„Wir? Dazu bist du doch da?“ ungläubig sah Sanji sie an.

Serafina lachte unheimlich, dann folgte Stille. Nicht einmal der Stra0enlärm drang herein.

„Halte, warte! Es ist ein Bilderrätsel. Wir sind darin irgendwie versteckt. Habe ich recht?“ fiel Nami ein. Die Alte sah zufrieden aus.

Wenn es um künstlerischen Kram ging, war Usopp ein Ass. Er setzte sich in Rednerpose und begann theatralisch mit erhobener Stimme: „Ja, seht her! Also die Frau hier. Sie ist durch das Tuch um die Augen blind und durch die Fesseln hilflos. Dennoch lacht sie, obwohl die acht Schwerter um sie um Boden stecken. Selbst das Wasser kehrt zurück und sie steht da. Ich denke, das sind wir. Wir waren blind und haben die Gefahr nicht gesehen. Der Narr könnte Luffy sein, denn auf der Karte träumt er und wird wohl in den Abgrund fallen. Und hier der Turm! Der Blitz schlägt ein und die Menschen fallen heraus. Hochmut kommt vor dem Fall! Hmm... Die beiden Aussätzigen im Schnee könnten Chopper und Zoro sein. Sie sind nicht mehr bei uns. Aber wer oder was ist der Magier?“

„Du bist sehr klug und hast ein sehr gutes Auge. Es war bis eben alles sehr gut gedeutet“, lobte Serafina Usopp. „Sie dir die Karte mit dem Magier an. Er hat die Unendlichkeit inne und kontrolliert alle vier Kartenelemente Kelch, Schwert, Münze und Stab. Er kann natürlich auch die Elemente manipulieren, da er sehr Ich-Bezogen ist.“ Sie drehte eine weitere Karte um und legte sie auf den Magier. Die vier der Schwerter zeigte einen Schlafenden. „Aber der Magier scheint sich dessen noch nicht bewusst zu sein. Er ist noch nicht gänzlich aktiv.“ Die Wahrsagerin machte ein enttäuschtes Gesicht, als würde sie die Identität des Magiers kennen.

Die drei sahen sich ratlos an. Nami bat, die nächste Reihe aufzudecken. Es waren nur noch drei Karten: Gehängter, drei der Schwerter und sechs der Kelche. Usopp gab wieder sein bestes und war nun mit Feuereifer bei der Sache: „Ok, die Schwertkarte könnte bedeuten, dass wir eine schmerzliche Entscheidung getroffen haben. Aber die anderen beiden verstehe ich nicht.“ Sanji witzelte zu Nami, dass Usopp ihre Schiffskasse vielleicht ebenfalls mit solchen Kartentricks aufbessern könnte. Talent schien er dafür zu haben. Allein die Worte „Aufbesserung der Schiffskasse“ begeisterten Nami hellauf. Und sie überschlug bereits im Kopf, wie viele Kartensitzungen pro Tag Usopp schaffen könnte und wie viel er dafür nehmen könnte. Das Produkt der einzunehmenden Geldbeträge wäre immens. Die Augen der Navigatorin sprachen Berri-Zeichen. Usopp warf aufgebracht ein, dass so etwas gar nicht in Frage käme.

„Ich will euch helfen, meine Freunde“, sprach Serafina souverän und unterbrach die Geldpläne der Strohhüte, „der Gehängte steht für Hintergrundwissen, Wende, Opfer oder Schande. Mit den Schwertern hattest du recht. Sie bezieht sich auf einen schmerzlichen, aber bitternotwendigen Abschied. Es musste so sein. Und diese Karte hier ist reine, ehrliche und tiefe Freundschaft.“

Ein langes Schweigen kehrte ein. Sanji zog an seiner Zigarette und paffte eine Tabakwolke in die Luft. Er überlegte fieberhaft und ließ alle Ereignisse der vergangenen Monate Revue passieren. Es dämmerte ihm und durchbrach die Stille:

„Marimo... Soll das heißen, dass er einen viel tieferen Grund hatte, uns zu verlassen?“ Nami war ebenso verwirrt wie Sanji. Nur Usopp wurde für einen Moment kreideweiß, als wisse er mehr als die beiden. Sie starrten ihren Meisterschützen an, doch dieser gab keine Antwort und blickte versteinert.

Aber Serafina lachte nur diabolisch: “Zoro, der Hanyô?“

„Der was ?!? Verarsch’ uns hier nicht!“ brüllte Sanji los und sprang auf, so dass das kleine Zelt fast einzustürzen drohte. Zoro ein Hanyô? Das ging auf keine Kuhhaut! Sicher hätten sie das irgendwann einmal bemerkt. Nami verstand nicht genau, worum es ging und wollte Usopp fragen. Dieser kümmerte sich nicht um sie, da er gerade beschäftigt war, den Koch zurück zu halten, der schon wutschnaubend aus dem Zelt rennen wollte: „Ok, wie geht es aus? Ich will die Zukunftskarte sehen“, befahl Usopp todernst, wie ihn noch keiner erlebt hatte. Die Karte zeigte eine nackte Frau, wie sie klares Wasser aus Gefäßen goss. Die eine Flüssigkeit sammelte sich in einem Teich und die andere ging auf dem Erdboden verschütt. Über ihr strahlte ein großer heller Stern und sieben kleine Sterne. Serafina sagte nur, dass diese Karte für Wahrheit und Reinheit stehen würde. Usopp fuhr sie an, wie das denn nun in den Rest passen würde. Ihm schwante Böses. Da plötzlich begann die Kristallkugel zu leuchten und als sie hineinsahen, hatten sie das Gefühl zu erblinden. Ihnen wurde schwindelig und dann kam die Ohnmacht. In der Ferne hörten sie die Alte bitter lachen. Sie sprach von Verderben und Untergang. Den Tod hätten sie damals in ihre Crew geholt. Als sie wieder zu sich kamen, saßen sie auf der wackligen Holzbank, die nun entgültig zusammenbrach. Sie befanden sich nun unsanft auf dem Boden der Straße und der Tatsachen wieder. Serafina und ihr Zelt waren jedoch verschwunden. Das war den dreien nun unheimlich und sie machten sich schnell vom Ort des Geschehens. Keiner der anwesenden Passanten schien etwas bemerkt zu haben. Unterwegs dachten sie viel über das merkwürdige Gespräch nach. Es passte zusammen und doch wieder nicht. Die Navigatorin nutze endlich die Gelegenheit: „Was ist ein Hanyô?“ Ihr war der Begriff fremd. Der Scharfschütze blickte betreten weg und der Koch sagte knapp: „Ein Hanyô ist das Kind eines Menschen und eines Dämons. Aber das ist alles Legende.“ Damit musste sich die Navigatorin zufrieden geben. Nami hielt die Sternenkarte fest in der Hand. Ihr Gefühl sagte ihr, dass Serafina wahr gesagt hatte.

5 - Der Streit

Tashigi erwachte als erste von den dreien. Die Sonne meinte es gut und schien warm auf ihr Bettlager. Es war so schön kuschelig warm, gemütlich und zeitlos, dass sie am liebsten liegen geblieben wäre. Ihr Blick schweifte durch die Hütte. Das Feuer war lange runtergebrannt und die Asche bereits kalt. Chopper lag ganz in ihrer Nähe. Sie mochte den kleinen Arzt und sah auf ihren Verband. Er hatte sie wirklich erstklassig versorgt und war sehr bemüht. Seine Fröhlichkeit und Freundlichkeit waren ansteckend, seine Naivität und Ängstlichkeit ergänzten sein Wesen und wirkten auf Außenstehende niedlich. Sie hatte bereits herausgefunden, dass er sich jeden Lobes schämte und zu tanzen begann. Dafür war er Feuer und Flamme, wenn sie ihm den Rücken kraulte. Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass Chopper auch eine andere Seite rauskehren könnte, wie so oft berichtet wurde. „Monster-Chopper“ wurde er in den Marineberichten genannt. Es war ihr unerklärlich. Ohne Probleme konnte sie dem Rentier vertrauen.

Zu ihrer anderen Seite in der Nähe an der Hauswand standen ihr Rucksack, Shigure und Kashu. Wie kamen ihre Sachen hierher? Zoro schnarchte etwas abseits vor sich her in einer dunklen Ecke. Hatte Zoro ihre Sachen noch letzte Nacht geholt? So, wie ihre Schwerter dort angelehnt waren, konnte es nur Zoro gewesen sein. Fragen über Fragen schossen ihr durch den Kopf. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. Oft waren sie sich über den Weg gelaufen. Jedes Mal hatten sie sich aufs Übelste beschimpft. Er hielt ihr vor, sich wie eine alte Freundin aufzuführen und auch so auszusehen. Tashigi konnte es einfach nicht nachvollziehen. Aber zumindest schien die Freundin der Grund zu sein, weshalb er sie am Leben ließ und nicht kämpfen wollte. Zudem schien Zoro immer die schlechte Laune in Person zu sein, sich um niemanden zu scheren und seine Gegner eiskalt zu töten. Aber andererseits hatte sie auch gegensätzliches über ihn gehört und auch selbst erfahren. Smoker hatte ihr berichtet, dass er von Zoro auf Luffys Anordnung hin in Arabasta aus dem Wasser gerettet wurde. Es wäre sonst der sicherer Tod ihres Vorgesetzten gewesen. Sie erinnerte sich oft an Loguetown, wo sie seinen Namen nicht kannte. Sie musste sich eingestehen, von ihm sehr beeindruckt gewesen zu sein. Auch seine Schwertkunst war wirklich einzigartig und unglaublich. Neidvoll musste sie das anerkennen, und sie schämte sich ihrer eigenen Tollpatschigkeit. Still und heimlich hatte sie sich öfters gewünscht, Zoro mal in Aktion zu sehen. Sicher könnte sie nur allein vom Zusehen noch einiges lernen.

Und nun lag er dort schlafend wie ein Stein nur wenige Meter von ihr entfernt in seiner Decke verheddert und mit einem Kopfgeld von 120 Millionen Berri belastet. Es war alles viel zu unwirklich, um wahr zu sein. Sie kniff sich in den Arm, dass es schmerzte. Nein, es war kein Traum. Der von Zoro aus der Decke lugende Teil wurde nun eingehend von ihr gemustert und fing oben bei seinem Hinterkopf an: grüne Haare. Nie war ihr jemals ein Mensch mit derart grünen Haaren über den Weg gelaufen. Durch seine sonnenverbrannte Haut schienen diese sogar noch greller zur Geltung zu kommen. Kichernd stellte sie sich die stille Frage, ob er wohl am ganzen Körper grüne Haare haben müsste und tadelte sich im nächsten Moment für diesen frevelhaften Gedanken. Sie stellte sich sein Gesicht mit den markanten Zügen und der schlechtgelaunten Mine vor. Ob er auch mal anders als schlecht gelaunt gucken könnte? Alternativ kannte sie nur sein freches dreckiges Grinsen. Das mochte sie nicht sonderlich. Welche Augenfarbe hatte er noch mal? Grau Augen! Auch selten. Ihr Blicke wanderten weiter über seine Schultern und Arme. An seinem linken Arm war das schwarze Kopftuch geknotet, welches immer nur bei sehr schweren Kämpfen zum Einsatz kam. Weiter ging es an seinem Rücken entlang. Trotz des Hemdes konnte man erkennen, dass da ein pures Kraftpaket lag. Dann kam eine Weile nur die lumpige Decke und unten gucken zwei Füße heraus, die in schwarzen Stulpenstiefeln steckten. Noch eine ganze Weile starrte sie ihn an. Sie tadelte sich ein weiteres mal für den Gedanken, das er gar nicht mal so schlecht aussah.

Leise erhob sie sich und kramte in ihrem Rucksack. Sie wollte ihr blutiges Hemd gegen etwas Sauberes eintauschen und wurde fündig. Schnell hatte sie das kurze ärmellose Shirt unbemerkt vor den beiden anderen übergezogen. Sie sah noch mal zu Zoro rüber und versank in Gedanken. Abrupt wurde sie aus jenen gerissen, als Chopper aufwachte und sich nach ihrem Befinden erkundigte. Tashigi gab an, sich vollkommen gesund zu fühlen bis auf den kleinen Kratzer am Arm. Das hört der kleine Arzt sehr gern und freute sich. Beide beschlossen, den Kessel für grünen Tee in die Gänge zu bekommen, nachdem Chopper erwähnte, dass sie auf Zoro keine Rücksicht nehmen müssten. Wenn er könnte, würde er wohl 24 Stunden am Tag schlafen. Das sei bei dem total normal. Wenn er wohl mal seinen Traum erfüllt haben würde, dann wäre das wohl sein nächstes Ziel: Schlafen! Aber ansonsten könne man seine schlechten Launen ertragen und auf ihn zählen. Tashigi wunderte sich und sprach ihre an der Wand stehenden Sachen an. Das verwunderte nun auch das Rentier. Er schlussfolgerte jedoch, wohin Zoro die letzte Nacht verschwunden war.

Als aus dem Kessel ein aromatischer Duft nach grünem Tee stieg, begann auch in Zoro die Lebensgeister wieder zu erwachen. Er wollte sich umdrehen, bleib in der Decke hängen und trat sich dann achtlos fluchend aus der Decke frei. Tashigi musste bei dem Anblick kichern. Es sah zu komisch aus. Sie verstummte aber sofort, als er sich ihnen böse dreinblickend zuwandte. Er blickte auf die beiden und brummelte irgendwas unverständliches.

„Hab’ vielen Dank!“ sagte Tashigi zu Zoro vorsichtig.

„Wofür?“

„Für meine Sachen und das du mich da nicht einfach hast liegen lassen.“

„Ja, vergiss es... Habt ihr schon überlegt, wie es weitergehen soll?“

Tashigi gab gleich an, dass sie natürlich zurück zur nächsten Marinebasis müsse, jedoch bräuchte sie nicht zum Dorf zurückkehren, da ihr Auftrag samt Material schon lange weiter transportiert seien. Sie konnte zudem kurz berichten, dass dieser Fluss schon bald in einem riesigen Binnensee münden würde. Aus dem See heraus floss nur der Quellstrom in die Berge. Dahinter war bereits der East Blue. Dorthin müsse sie auf jeden Fall, wenn sie ihren Auftrag erfüllen sollte. Chopper verplapperte sich, dass sie ebenfalls in diese Richtung müssten. Er hätte sie gern als Wegbegleitung dabei. Er mochte sie schon nach der kurzen Zeit gut leiden. Zoro rollte mit den Augen und war komplett dagegen, sie als Wegbegleiterin aufzunehmen. So stritten sie zu dritt eine ganze Weile, bis Tashigi herausplatze, weshalb die beiden eigentlich ohne die restlichen Strohhüte zögen. Chopper starrte traurig zu Boden und Zoro antwortet nun knapp, sie hätten sich getrennt. Nach einer Weile sagte das Rentier, dass er sie gern mitnehmen würde allein schon um ihre Wunde weiterzubehandeln. Zoro sprach immer noch sich dagegen aus, worauf der kleine Arzt ihn anbrüllte. Wenn er private Probleme mit sich selber und seiner Vergangenheit hätte, dann wäre das nicht das Problem der anderen. Und das wäre sicherlich der alleinige Grund für seine ablehnende Haltung. Nun war die Stimmung am explodieren. Chopper hatte einen schlimmen Fehler begannen und eine absolute Tabugrenze himmelweit überschritten. Das wurde ihm in diesem Moment bewusst, aber zu spät: Zoro packte ihn im Würgegriff am Hals. Böse und voller Wut funkelte er ihn an. Tashigi bekam es mit der Angst zu tun. Sie zog Kashu und ging auf Zoro los, um das Rentier zu schützen. Der konnte nicht gut genug ausweichen und kassierte eine dünne Schramme an der Wange. Er war auf des Rentier fixiert gewesen und hatte sie ganz vergessen. Sie hatte jedoch ihr Ziel erreicht: Zoro ließ von dem kleinen Arzt ab. Er fiel zu Boden und rannte in Panik in die hinterste Ecke um sich zu verstecken. Wenn man in Zoros Augen ein rotes Leuchten sah, dann war Land unter. Zoro fuhr voller Wut herum. Dass dieses Weib es wagen würde, ... Sie meinte, ein rotes dämonisches Leuchten in seinen Augen sehen zu können, wie sie es noch nie in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Das war ihr nicht geheuer. „Nun hast du deinen Kampf!“ brüllte er sie an, dass man es wohl in allen vier Blues hören konnte, und schnappte sich ebenfalls sein Schwert. Während er es langsam zog, schritt er souverän auf sie zu. Er sah Angst in ihren Augen, wie er es nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Jede Art von Trotz, Hass oder Hochnäsigkeit war aus ihrem Gesicht entwichen. Wie er dieses Gesicht und ihre ganze Art hasste. Diese Frau nervte ihn mit ihrer alleinigen Anwesenheit. Sie zog den Ärger an wie ein Magnet das Eisen. Zu viele Erinnerungen waren mit ihrem Gesicht verknüpft, die ihn so quälten. In diesem Augenblick wünschte er, er hätte sie im Wald elendig verbluten lassen sollen. Nun war Schluss mit lustig. Diesmal würde er ihr die Verhältnisse klar machen und sie dann einfach zum Teufel jagen. Dafür würde er sich nicht einmal anstrengen müssen. Kitetsu hatte schon lange kein Blut mehr geleckt. Es ließ seinen Herren spüren, wie sehr es nach einem Blutstropfen dürstete.

Tashigi zitterte am ganzen Körper. Sie versuchte ihre Angst zu verbergen. In all den Begegnungen hatte sie ihn noch nie so erlebt. Aber sie wollte es ja so haben. Wie war das noch vorhin? Zoro in Aktion? Das war wohl nun! Den ersten Schlag parierte sie geschickt, aber sie machte sich keine Illusionen, dass sie den nächsten Angriff durchhalten würde. Die Kraft konnte sie unmöglich abfangen. Diesmal war es eine ganz andere Liga als bisher. Jetzt nach dem ersten Hieb spürte sie schon ihre Hände nicht mehr. Sie war vorsichtig rückwärts zum Ausgang gegangen.

Zoro musste diabolisch grinsen und stellte fest, dass sie bereits jetzt schon mit ihrem Schwertlatein am Ende war. Das war ein leichtes Spiel. Ein Spiel... warum eigentlich nicht? Seine Laune hellte sich auf. Die Spielregeln waren jetzt getaucht: Er war nun der Jäger und sie nun die Gejagte. Als er zum nächsten Schlag ansetzte, um sie an dem Türpfosten festzusetzen, rollte sie sich rückwärts um den Pfosten nach draußen ins Freie. Für den Bruchteil einer Sekunde war er verblüfft. Der Trick war zwar billig, aber effektiv. Vermutlich würde sie angreifen, wenn er auch um den Pfosten käme. Den Plan würde er ihr versalzen. Das Spielchen würde also einen Schlag länger dauern. Beim nächsten Blitzangriff um den Pfosten herum hatte er sie mit dem Rücken an die Holzwand gedrängt. Mit der einen Hand presste er ihr Kitetsu an den Hals mit der anderen hielt er ihre Schwerthand fest. Er drückte zu bis sie den Schmerz nicht mehr aushalten konnte und Kashu fallen lassen musste.

Tashigi unterdrückte jeglichen Schmerzlaut und war starr vor Angst. Nur das Scheppern von ihrem Katana hallte in der verstummten Welt, in der für den Moment die Zeit still zu stehen schien. Sie standen sich so eng gegenüber, dass sich ihre Körper fast berührte. Sie spürte das kalte Eisen des Schwertes von der scharfen Seite wie es sich leicht in ihre Haut drückte. Beide wussten, wenn er den Hieb nun durchzog, dann war ihr kurzes Leben vorbei. Sie sah ihn an und die Schnittwunde an seiner Wange. Hatte sie ihn vorhin tatsächlich erwischt? Es war ihr in der Hektik nicht aufgefallen. Das rote Feuer in seinen Augen war verschwunden und wieder zu diesem unruhigen Grau geworden. Sie fühlte sich von seinem Blick durchbohrt.

„Willst du wirklich schon sterben? Ist es dir das wirklich wert?“ Zoro sah ihr an, wie sie versuchte stark zu sein. Doch ihre Angst konnte sie einfach nicht verbergen und zitterte am ganzen Körper. Sie sagte keinen Ton und starrte ihn weiterhin an. „Na los, sag es! Du hast mich doch die ganze Zeit angebettelt?“ Er grinste sie dreckig an. Ihr kurzes Shirt war hochgerutscht und gab ihren nackten Bauch frei. Er ließ ihre nun leere Schwerthand los. Sanft berührte er mit den Fingerspitzen ihre weiche zarte Haut und wanderte mit seiner Hand langsam nach oben unter ihr Shirt. Knapp unter ihrer Brust ließ er seine Hand jedoch ruhen und fühlte wie ihr Herz raste. Seine Gesicht näherte sich dem ihren und flüsterte frech: „Vielleicht muss man dir auch einfach erst Manieren beibringen...“ Sie spürte seinen heißen Atem an ihrem Ohr.

Bei Tashigi explodierten in diesem Augenblick vor Panik sämtliche Sicherungen im Kopf. „Lass mich gehen!“ kreischte sie schrill und wollte ihn wegstoßen. Mit ihren Händen trommelte sie gegen seinen Oberkörper. Er musste laut lachen. Er zog ihr das Shirt sanft über den Bauch zurück und ließ sie los. „Hast du wirklich von mir gedacht, dass ich dich hier und jetzt flachlege? Pfff ...“ Verachtend sah Zoro zu ihr runter und ließ sie dann dort stehen. Er selbst setzte sich einen Meter weiter mit verschränkten Armen in den Türrahmen und dachte nach. Tashigi sank in die Knie auf den Boden. Sie schluchzte kurz auf als die Anspannung abfiel. Das hatte gesessen. Der Kerl war unberechenbar, gemeingefährlich und das Allerletzte. Genauso hatte sie sich Piraten immer vorgestellt!

Chopper wusste, dass man sich niemals Zoro in den Weg stellen sollte, wenn er in Rage war und man am eigenen Leben noch hing. Doch nun schien die Auseinandersetzung vorbei. Er ging wortlos an ihm mit erhobener Nase vorbei, denn der kleine Arzt befand, dass Zoro maßlos übertrieben hatte und wollte ihn das mit seiner Körperhaltung vermitteln.

„Warte, Chopper! Sag ihr, sie kann mitkommen. Wir haben eh schon zuviel Zeit verloren!“ Obwohl er ruhig sprach, lag etwas Reumütiges in seiner Stimme. Es hatte ihn wohl doch bewegt und ganz sicher nicht kalt gelassen. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Chopper zu Tashigi ging, um sie wortlos zu trösten. Sie umarmte das Rentier und weinte leise. Sie hörten beide noch, wie Zoro hinzufügte: „Wag es nicht noch mal! Und sieh mich nie wieder so an! Hast du das kapiert, Tashigi?“ Es klang mehr als eine Bitte als eine Drohung. Die Angesprochene nickte langsam und erhob sich. Sie nahm Kashu, stahl sich an Zoro vorbei, um ihr Gepäck aus der Hütte zu holen und ging anschließend hinüber zu dem breiten Weg, den sie gestern gekommen waren. Nur eine kurze Weile später marschierten die drei nebenher stromabwärts.

Der Marsch begann sehr ruhig. Doch mit der Zeit kamen Chopper und Tashigi ins Gespräch. Sie erzählten sich gegenseitig von Inseln, die sie schon besucht hatten. Manche kannten beide und manche hatte jeweils nur der eine von ihnen besucht. Chopper freute sich über das Gespräch, denn Tashigi konnte zwar ausführlich, aber trotzdem sehr punktgenau berichten. Er staunte über eine Insel, die von außen karg und trostlos, aber innerlich im Krater saftige grüne Wiesen hatte. Im Gegenzug hörte Tashigi gebannt zu als Chopper von Skypia berichtete. Sogar Zoro fügte in seiner morgenmuffeligen Laune mal etwas dazu. Und so verging der Tag und die Strecke schnell.

Sie erreichten den Binnensee in der Abenddämmerung und sahen schon von Weitem die Lichter des nächsten Ortes. In ein paar Stunden wären sie sicher da. Tashigi wies Chopper darauf hin, dass heute in der Vollmondnacht der See an diesen Ufern ein schönes Naturspiel preisgeben würde. Das Rentier wurde hellhörig und wurde sofort neugierig. Sie aber blieb hartnäckig. Das müsse man schon selber gesehen haben. Allerdings würde es sicher noch etwas dauern bis die Sonne ganz verschwunden sei. Das Rentier bettelte, dass es das Geheimnis gern sehen würde. Sie verweilten noch zwei Stunde bis die Sonne verschwunden war und der Mond aufging. Es war gespenstisch schön. Leichte Nebelschwaden krochen über den Boden, der See lag ruhig wie ein Spiegel dar und plötzlich begann es überall an den Ufern zu glitzern und glimmen. Riesengroße Lotusblüten erwachten zum Leben und öffneten ihre Knospen. Ihre Blätter schienen durchsichtig wie Glas, doch schillerten sie wie ein Regenbogen. Sie versprühten beim Öffnen einen feinen Funkenregen, der langsam glitzernd auf die Erde sank und dort verglimmte. Es war ein unglaublicher Anblick.

Chopper strahlte über das ganze Gesicht und lief zum Ufer. Das musste er sich unbedingt aus der Nähe ansehen. Tashigi war unwohl allein neben Zoro zu stehen. Sie verschränkte die Arme, um sich vor der nächtlichen Kälte zu schützen. Ohne sie anzusehen unterbrach er die Stille:

„Kristalllotus. Das sieht wirklich beeindruckend aus.“

Tashigi lauschte auf. „Woher kennst du den?“

„Der wächst auch dort, wo ich herkomme. Allerdings nicht in den Massen und in dieser Größe. Das ist echt einmalig.“ Er drehte sich zu ihr. Das Mondlicht tauchte sie geheimnisvoll ein und ließ sie jünger wirken. Hinter der Brille versteckten sich sanfte dunkle Augen. Wie Kuina, dachte er, und genauso hübsch. Die Frau machte ihn weiterhin allein mit ihrer Anwesenheit und ihrer ganzen Art echt kirre.

„Der Schlag heute morgen, wo du mich getroffen hattest...“

„Es tut mir leid!“ fiel im Tashigi sofort ins Wort.

„Nein, der war echt gut.“

Sie meinte einen Anflug von Lächeln bei ihm erkennen zu können, aber dieser war bereits wieder weg zu Chopper und mahnte zum Aufbruch. Er hatte sie gelobt. Das war ungewöhnlich und es freute sie. Noch nie hatte jemals irgendwer sich positiv über ihren Schwertkampf geäußert. Sie lief hinter den beiden hinterher, um wieder Anschluss zu haben. Spät in der Nacht erreichten sie das nächste Dorf. Sie bemerkte, wie Zoro beim Erreichen des Ortes die Kapuze über den Kopf zog. Im ersten Moment verstand sie nicht, aber dann schoss es ihr durch den Kopf, dass sie mit zwei Gesuchten durch die Gegend zog. Zoro war zweifelsohne mit seinen grünen Haaren auffallend wie eine Sonnenblume im Klatschmohnfeld.

Die einzige Kneipe im Dorfe hatte sogar noch offen, war aber zum Glück menschenleer. Auch die Zimmer waren nicht belegt. Es stand außer Frage, dass sie die Nacht hier bleiben würden. Der Wirt war bereits dabei, die Küche zu schließen. Nun tischte er für seine späten Gäste noch ein paar restliche Leckereien des vorangegangenen Tages auf. Tashigi staunte nicht schlecht, was ihr beiden Mitreisenden in höchster Geschwindigkeit verdrücken und wegsaufen konnten. Sie musste innerlich über die beiden lachen. Ein verrücktes Duo. Der kleine Arzt kramte ein Reagenzglas hervor. Er hatte etwas von den funkelnden Blättern des Kristalllotus mitgenommen. Doch nun sah er, dass es fast verloschen und zu Staub verfallen war. Tashigi tröstete ihn damit, dass beim nächsten Vollmond die Blüten wieder so herrlich leuchten würden. Zoro hatte stillschweigend gegessen und zog nun die Kapuze seiner Jacke tiefer ins Gesicht, als der Wirt noch einmal an den Tisch trat, um reichlich Getränke nachzuschenken. Er warf einen gründlichen Blick auf seine drei Gäste. Diese kamen ihm irgendwie komisch und verdächtig vor: Eine Marineangehörige von höherem Dienstgrad, ein sprechendes Rentier mit Zylinder und einen mysteriösen Schwertkämpfer, der sein Gesicht verbarg. In den hintersten Winkeln seines Kopfes schwante ihm Böses, wenn er dort tatsächlich in sein Haus geholt hatte. Natürlich fragte er die dubiose Reisegesellschaft nach deren Zahlungsart in seinem Gasthaus und was sie in dieser Gegend trieben. Noch bevor Chopper oder Zoro etwas sagen konnten, hatte Tashigi das Wort ergriffen. In kurzen Sätzen speiste sie die Neugier des Wirtes ab und berichtete, dass sie die Nachhut des vor kurzen hier entlang gekommenen Marinetrosses seien. Sie würde zudem mit einem Wechselschein der Marine zahlen. Sofort hatte sie auch ebenso einen Schein herausgekramt und hielt ihn dem Wirt unter die Nase. Der Wirt musste akzeptieren, fügte jedoch grimmig hinzu, dass die Marine ein schlechter Zahler sei. Selten kämen hier Soldaten vorbei und auch die Steckbriefe, die sie ständig mitbrachten, versetzten hier niemanden in Aufregung, da die Gesuchten wohl hier eh nie vorbeikommen würden, geschweige denn überhaupt erkannt würden. Auf der Redline herrschten eben andere Gesetze und Helden. Zoro platze spöttisch heraus, welche Helden hier den umhergeistern würden. Der Wirt schnaubte wütende. Der Typ unter der Kapuze schien ihm ziemlich dreist. Das würden sie schon noch sehen, entgegnete der Wirt und zog wieder ab Richtung Theke, um die letzten Gläser abzuwaschen. Zoro musste kurz vor sich herlachen, wodurch er von Chopper eine Rüge erhielt. Tashigi verstand kein Wort. In dem Smalltalk musste mehr stecken, als ein Außenstehender vermuten konnte. Für sie war das eben Gehörte rätselhaft und ihre beiden Mitstreiter würden sie sicher nicht einweihen. Immerhin war sie eigentlich ein Feind. Wenigstens bedankte sich Chopper für die nette Einladung und gestand, dass er derzeit vollkommen blank sei. Zoro sowieso.

Satt und zufrieden gingen sie auf ihr Zimmer und waren schon bald in ihren Betten verschwunden. Für Zoro typisch, schlief er sofort so ein, wie er sich hingelegt hatte: mit Klamotten, Schuhen und überhaupt. Unglaublich, dachte sich Tashigi. Chopper rollte sich erst noch etwas hin und her. Aber kurze Zeit später hörte man auch von ihm die gleichmäßigen Atemzüge eines Schlafenden. Tashigi selbst konnte noch lange nicht schlafen. Sie war totmüde, doch die Geschehnisse der letzten zwei Tage hatte sie noch nicht verarbeitet. Ihr war aufgefallen, dass sie die Marine und deren Disziplin gar nicht vermisst hatte. Sie war bei der Marien aufgewachsen und hatte noch keine Vergleiche mit dem Leben außerhalb der Kaserne ziehen können. Aber nun, wo sie die letzten zwei Tage nur durch die Wildnis gezogen war, hatte sie gefallen daran gefunden. Sie konnte selbst entscheiden, wann und wo sie langging und was sie als nächstes tun würde. Niemand stellte Weisungen oder Befehle auf. Das war ihr neu und fremd. Aber es war großartig. Sie erschrak bei diesen Gedanken. War sie nun eine Deserteurin? Hatte sie überhaupt schon Landesverrat und Befehlsverweigerung verübt, wenn sie mit den beiden durch die Gegend zog? Noch könnte sie sagen, Zoro hätte sie einfach ausgesetzt und sie wäre orientierungslos umher geirrt. Das wäre wohl am Leichtesten. Sie dachte über ihre beiden Reisebegleiter nach. Chopper war einfach nicht piratentypisch. Alle anderen Piraten, die jemals ihren Weg gekreuzt hatten, waren wild, brutal und falsch. Das Rentier hatte sie richtig ins Herz geschlossen und man konnte ihm sofort vertrauen. Zoro hingegen war eigenartig. Sie tat sich schwer, ihn einzuschätzen. Einerseits im Kampf eiskalt und dann aber auch wieder zurückhaltend, sanft und schüchtern. Stille Wasser waren eben tief. Bisher hatte sie ihn verachtet, aber durch seine uneigennützige Hilfsbereitschaft hatte er etwas punkten können. Innerlich fühlte sie, dass sie ihm vertrauen könnte. In diesem Moment hatte sie ihm für seine Tat vom Vormittag verziehen.

Ihre Gedanken spielten verrückt, ihr Bauch fuhr Achterbahn und ihr Herz schlug wie wild. Ihr Kopf kämpfte hoffnungslos dagegen an. Sie wollte diese Gedanken einfach nicht haben. Es machte keinen Sinn. Sie verkroch sich noch tiefer unter ihre Bettdecke und verlor sich in einem Traum. Sie träumte von einer sanften Berührung, die in ihr die sehnsüchtigsten Feuer entfachten und Augen, in den sie sich verlieren wollte. Verdammt, noch mal! Sie schlug mit der Faust auf die Matratze. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Sie wollte einfach nur endlich ruhig und tief schlafen. Über kurz oder lang würde sie wahnsinnig werden. Das prophezeite sie sich selbst. Nein, sie musste erst mal zum nächstbesten Marinequartier zurück. Sie war es Chopper und Zoro einfach schuldig, sie zum Dank ziehen zu lassen. Danach könnte sie weiterentscheiden.

Der Schlaf holte auch sie irgendwann.

6 - Die Überfahrt

Der nächste Morgen begann für sie gemütlich, obwohl auf den Straßen ein Regensturm tobt. Er klapperte an den Fensterläden und rüttelte am ganzen Haus, sodass Chopper und Tashigi fast gleichzeitig erwachten. Sie verspürten beide keine große Lust, bei diesem Wetter ihr jeweiliges Bett und später gar das Haus zu verlassen. Nur Zoro schlief weiterhin ein Stein.

Beide rafften sich dennoch auf. Sie versuchte einen Blick nach draußen durch die Schlitze der Fensterladen zu erhaschen. Bei dem Unwetter würde man nicht einmal einen Hund vor die Tür jagen. Zum Rentier gewandt sagte sie, dass sie in der nächsten halben Stunde beim Wirt ein Frühstück organisieren würde. Sie nahm ihre restlichen Sachen und ging ins Bad. Kurz darauf war sie schon auf dem Weg nach unten.

Chopper ging hinüber zu Zoro und keilte kräftig aus. Er hasste es, ihn so zu wecken, jedoch war ihm bis heute noch keine schnellere Lösung eingefallen. Der hart ins Kreuz Getroffene dreht sich von links nach recht, murmelte irgendetwas, was sicher nichts mit einem „Guten Morgen“ zu tun hatte und setzte sich auf. Schlaftrunken sah er sich um und gähnte.

„Wo ist die Nervensäge?“

„Sie heißt Tashigi und holt etwas Essbares aus der Küche“, entgegnete der pelzige Arzt ärgerlich. Diese Fehde zwischen den beiden musste irgendwie zum Waffenstillstand gebracht werden, bis sie am East Blue ankommen würde. Aber wie? Chopper hatte eine Rätselaufgabe, die ihn nun sehr beschäftigte.

„Aha. Na, wenn es gleich scheppert, hat sie alles auf der Treppe verteilt.“ Zoro lachte bei der Vorstellung, wie sie wohl zwischen zerbrochenem Geschirr und Essensbeilagen dort auf den Stufen hocken würde. Das Rentier tadelte Zoro lauthals. An ihrer Stelle würde er ihm sicher keinen Krümel mitbringen. Nicht einmal die Reste der Krümel. Doch Zoro ließ sich den Spaß nicht verderben und lauschte den Geräuschen vor der Tür. Leider erfüllt sie ihm den Wunsch nicht und schob sich ein paar Minuten später mit einem vollbeladenen Tablett in beiden Händen durch die Tür. Sie blickte auf die beiden und stellte das Tablett in die Mitte auf dem Fußboden ab, da ihr Zimmer keinen Tisch aufwies.

Schweigend saßen sie um das Tablett herum und aßen. Zoro starrte misstrauisch über seinen Tassenrand durch den Teedampf hinüber zu Tashigi:

„So, bevor es hier weitergeht. Was ist dein Auftrag? Wieso zieht hier ein ganzer Tross über die Redline?“

„Das werde ich dir sicher nicht auf die Nase binden“, antwortet sie gereizt.

„Na schön. Chopper und ich sind auf dem Weg nach Loguetown. Da willst du nicht rein zufällig auch hin?“

Sie dachte kurz nach. Sollte sie echt etwas preisgeben? Schnippisch antwortete sie: „Ja, dahin muss ich auch. Was wollt ihr da? Luffy rausholen? Das könnt ihr vergessen! Teufelskräfte werden nämlich nicht funktionieren.“

„Interessant! Und warum nicht?“

„Betriebsgeheimnis!“

Zoro rollte die Augen. So kam er nicht weiter. Chopper hatte sich nun an ihren Arm geschmiegt und sah sie mit großen bittenden Kulleraugen an, die einem das Herz erweichen ließen.

„Ich denke, ich weiß, worauf Zoro hinauswill. Wenn wir dasselbe Ziel hätten, dann kämen wir zusammen schneller voran. Aber dazu müssten wir uns vertrauen und mehr über uns wissen. Wir hatten bis jetzt nicht die Absicht, Luffy zu retten, aber wenn dort etwas ist, was die Teufelskräfte verhindert, dann schadet es mir vielleicht?“

Sie sah auf den Boden und biss sich verlegen auf die Lippen, denn sie waren immer noch Feinde. Aber Choppers Erklärung war einleuchtend. Sie holte tief Luft und begann:

„Was ich euch nun sage, ist nur ein Bruchteil, von allem. Es gibt die Möglichkeit, Seestein zu manipulieren. Ich habe keine Ahnung, wie das geht. Ich weiß nur, dass sich Wesen mit Teufelskräften solch einem Stück Seestein nicht nähern können, ohne dass sie vorher zusammenbrechen. Mein Auftrag war es, die letzte Ration von dem Zeug nach Loguetown zu geleiten. Darum ist die Hinrichtung auch verschoben. Sie hatten noch nicht genug Zeug, um die ganze Stadt zu präparieren und wir kamen mit der Lieferung einfach nicht schnell genug nach. Mehr weiß ich wirklich nicht.“

Die beiden anderen hatten ihr aufmerksam zugehört. Zoro nickte ihr nachdenklich zu und erzählte nun ebenfalls: „Das ist wirklich wichtig für uns. Dann könnte Chopper theoretisch gar nicht nach Loguetown. Ok, unsere Geschichte ist ganz einfach. Wir hatten uns schon vor Monaten von Luffys Crew getrennt. Chopper wurde von Luffy wegen seiner RumbleBalls rausgeschmissen. Ich habe Luffy dann am nächsten Tag gesagt, ich würde auch nicht weiterfahren. Wir beide haben uns auf einer kleiner Insel wiedergefunden und ein Händler hat uns dann hier auf der Redline abgesetzt. Von Luffy haben wir erst durch die Zeitung erfahren. Chopper wollte eigentlich nach Loguetown. Mir ist das absolut egal. Ich denke, das reicht für den Anfang, oder?“

Tashigi hatte aufmerksam zugehört. Soviel hatte sie ihn noch nie am Stück reden hören. Es warf viele Fragen für sie auf. Luffy und Zoro wurden als untrennbares Team in der Presse und aller Munde gehandelt. Was könnte der treibende Keil gewesen sein? Sicher würden sie später Antworten von ganz allein bekommen. Man musste nur Geduld haben.

„Ja, das war ausführlich. Hattet ihr schon eine Route geplant oder seid ihr eher ziellos?“

„Wir wären nun bis zur Flussquelle und dann über die Berge gegangen“, meinte Chopper, der schon längst seine Position gewechselt und seinen Kopf bei Tashigi auf den Oberschenkel gelegt hatte. Verzückt genoss er die Streicheleinheiten.

„Das ist der Entfernung nach eine gute Wahl, aber ich würde als Alternative den Weg über das Sanaland vorziehen. Das ist zwar eine halbe Tagesreise länger, aber bei weitem nicht so beschwerlich, da kein Höhenunterschied gegeben ist. Wenn wir jemanden finden, der uns auch noch direkt über den Binnensee fährt, dann sparen wir fast fünf Tage ein.“

Da der Vorschlag vernünftig klang, einigten sie sich auf Tashigis Variante. Sie wollten gerade das Zimmer verlassen, als Tashigi sie zurückhielt: „Noch etwas, ich brauche andere Klamotten. Mit der Uniform falle ich neben euch auf, wie ein bunter Hund. Noch dazu mit dem ganzen eingetrocknetem Blut. Ich würde mich daher gern im Ort schnell umsehen, wenn es euch nicht stört.“

Zoro grinst: „Wenn es nicht so lange dauert, wie bei Nami ...“ Und Chopper ergänzte: „Vielleicht weißt du ja, dass Nami in Luffys Crew die Navigatorin ist. Sie geht gern shoppen, kauft aber aus Geldgeilheit eh nur selten was. Wenn sie sagt, sie will mal schnell shoppen gehen, dann kommt sie stundenlang nicht wieder.“

Tashigi musste lachen und beruhigte die beiden, dass es wirklich nicht länger als eine halbe Stunde dauern würde, wenn der Ort überhaupt ein Bekleidungsgeschäft hätte. Sie einigten sich, dass sie nach Kleidung Ausschau halten würde und die beiden anderen würden versuchen, eine Fähre über den See zu finden. Der Sturm hatte nachgelassen. Es prasselte nur noch gleichmäßig der Regen vom Himmel herab.

Der Ort war übersichtlich. Es gab das Gasthaus, wo sie übernachtet hatten. Einen Krämerladen, einen Schmied, ein paar Wohnhäuser und zum See hin einen Anlegesteg mit einer Fischhalle und einigen Booten. Tashigi wurde schnell fündig. Die Verkäuferin zeigte ihr eine schwarze Hose und zwei Oberteile. Es war spottbillig und da es passt, griff sie zu. Sie erblickte einen dunkelgrauen Regenponcho, wie ihn ihre beiden Piraten trugen. Den nahm sie auch noch. Und als die freundliche Verkäuferin sogar noch ein Fläschlein Orangenöl für Tashigis Schwerter aus einem Fach kramen konnte, war sie hochzufrieden. Mit den Einkaufen machte sie sich auf zum Bootssteg.

Die beiden Piraten hatten einen alten Fischer auftreiben können, der in einigen Stunden hinausfahren würde. Er würde sie gegen Bezahlung von 100 Berri pro Kopf mitnehmen.

„Findest du das hier nicht auch merkwürdig?“ flüsterte das Rentier unsicher.

„Was?“

„Die Leute haben keine Furcht! Sie erschrecken sich nicht vor einem sprechenden Rentier wie auf der Grandline. Auch scheint hier die Zeit stillzustehen. Die Preise sind ja noch vor allen Inflationen.“

„Das hast du gut beobachtet. Eigentlich sind die Redliner den Grandlinern kulturell überlegen, aber es geriet in Vergessenheit. Die Bewohner auf den Blues stammen ursprünglich von Redlinern ab. Das ist lange her. Da müsstest du Robin fragen, falls wir sie mal wiedersehen sollten.“

„Woher weißt du das alles?“ Der Arzt war erstaunt.

„Allgemeinbildung...“ wich Zoro aus.

„Pah, Allgemeinbildung! Als wenn du jemals überhaupt jegliche Bildung genossen hättest!“ konterte Chopper. Zoro wollte dem Rentier schon etwas an den Kopf werfen, als Tashigi sich dazugesellte. Anhand ihrer Klamotten erkannte man, dass sie erfolgreich gewesen war.

„Du hast 33 Minuten gebraucht. Das sind drei Minuten mehr, als du behauptet hast“, zog Zoro sie auf.

„Du bist echt unverschämt!“ gab sie zurück. Der Arzt reagierte schnell und bereinigte den aufkommenden Streit mit einem schnellen Themenwechsel, indem er sie nach 300 Berri fragte, die der Fischer haben wollte. Sie gab an, dass sie diese noch hätte, aber dann sei auch sie bis auf 500 Berri komplett bankrott. Es blieb ihnen fürs erste keine Wahl. Sie zahlten und nahmen im vorderen Teil des Schiffchens Platz, welches die ungefähre Größe eines Kutters mit einem Masten hatte.

Der Fischer gab an, dass sie wohl in einer guten Stunde losfahren und einen ganzen und noch einen weiteren halben Tag benötigen würden. Bei Morgengrauen wären sie dann am gegenüberliegenden Ufer. Dort gäbe es einen ähnlichen kleinen Ort.

Nach einer Weile hatte der Fischer seine Ladung an Bord geholt und setzte Segel, denn das Wetter hatte sich aufgeklärt. Er verzog sich in sein kleines Steuerhäuschen, ließ aber das Türfenster weit offen stehen. Fische gäbe es hier schon länger nicht mehr, da böte sich der Fährbetrieb an, begann er zu erzählen. Der Alte schien im Alltag kaum Zuhörer zu haben. Und so erzählte er Chopper und Tashigi viel über den See, die ehemals vorhandene Artenvielfalt und die Wasserqualität. Tashigi verstand nur die Hälfte, aber Chopper hörte als Arzt gebannt zu. Er suchte immer noch seine Allheilmedizin und wenn diese nicht auf der Grandlinie war, vielleicht war sie auf der Redline? Zoro hingegen hatte sich dem Redeschwall entzogen und ging schon lange seinem gesunden Schlaf nach. Als es zu Dämmern begann, reichte der Fischer ihnen Decken, denn der Fahrtwind war nun doch eiskalt. Es herrschte mitten auf dem See absolute Stille. Nur das rauschen des Wassers und ihre leise Stimmen waren zu hören. Sie starrten in Decken gehüllt noch lange in den sternenklaren Himmel. Der Fischer lobte Tashigis guten Kenntnisse bei der Deutung der Sternenbilder. Der kleine Arzt staunte und hört gespannt zu. Aber schon bald war er eingeschlafen.

„Hey Mädchen, du scheinst Ahnung zu haben. Kannst du den Kutter steuern? Dann müssen wir nicht ankern. Ich bräuchte mal eine gute Stunde Schlaf“, fragte der Alte.

„Äh ja, klar“, antwortete sie spontan. Sie musste etwas in ihrem Kopf kramen, denn ihre Grundausbildung lag nun doch eine ganze Weile zurück. Aber als der Fischer sie in die Karten einwies und ihr das Steuer überließ, füllte sie sich wieder sicher. Er beobachtete sie eine Weile und war mit ihren Steuerkünsten zufrieden.

„Du kannst mich nicht täuschen. Du gehörst zur Marine und deine beiden Nakama sind Piraten.“ Tashigi blickte in das durch Wind und Wetter gegerbte und warmherzige Gesicht des Fischer. Sie bejahte überrascht und der Alte sprach: „Wir Redliner scheren uns nicht um die Weltregierung, diesen ganzen Piratenkram und deren privaten Kleinkrieg. Hier herrschen andere Regeln.“ Er hielt inne und holte tief Luft. „Pass auf, Mädchen. Ich habe in meinem langen Leben schon sehr viel gesehen. Ich weiß nicht, was ihr vorhabt und wohin ihr geht. Aber eure Sache wird gut sein. Das kann ich fühlen. Du und das Rentier da. Passt mir gut auf den Grünhaarigen da vorne auf. Wir Redliner haben nun mal einen Siebten Sinn.“ Tashigi sah in verwirrt und mit großen Augen an. Schon wieder etwas, was sie einfach nicht Enträtseln konnte. „Ich verstehe nicht ...“, begann sie. Der Alte wandte sich jedoch zufrieden ab und ging unter Deck.

Durch Zoros Kopf geisterte wieder einer von diesen Träumen, die man nie gebrauchen konnte. Es war wirr und undurchsichtig. Gute und böse Erinnerungen mischten sich zu einem üblen Mix. Jedoch würde er niemals offen zugebene, dass er nach jedem weiteren Kampf neue Alpträume hatte. Zu allem Überfluss erwachte er durch den Traum auch noch. Lieber wäre er in einer Welt gefangen, die nur ein Traum sei und nicht die Welt, die Realität war. Der See war ruhig und still. Keine einzige Welle versetzte die Wasseroberfläche in Bewegung. Der Kutter schien gute Fahrt zu machen und glitt durch den See, als würde er durch Öl fahren. Über ihm spannte sich das Sternenzelt wie vom Dekorateur aufgehängt. Der abnehmende Mond zauberte eine gespenstische Stimmung. Weit und breit war kein Land in Sicht. Mit Erstaunen sah er Tashigi am Steuer, der schon fast die Augen zuzufallen drohten. Er stand auf und ging zu ihr in das Steuerhaus hinüber.

„Was treibst du denn hier? Wo ist der Alte?“

sie zuckte hoch und war nun wieder hellwach. Die Eintönigkeit hatte sie schläfrig gemacht.

„Der pennt unten. Da ich steuere, müssen wir keine Pause machen. Ich hoffe, der lässt sich bald wieder blicken.“ Sie gähnte herzhaft.

„Und du weißt auch, was du hier tust?“ Zoro war noch nicht überzeugt.

„Klar weiß ich das“, giftete sie zurück, „Hast wohl Angst, wie?“

„Ich habe vor nichts Angst. Ich habe bloß keinen Bock wegen einer wie dir hier tagelang auf einem See rumzueiern!“ Nun war auch er kratzbürstig.

„Wieso? Du verschläfst doch eh alles und deinen Orientierungssinn musst du nun wirklich nicht auf andere projizieren!“ Sie rückte ihre Brille zurecht und überprüfte den Kurs. Er zählte innerlich langsam die Zahlen runter. Er kochte. Diese Frau! Gestern noch mit einem halben Nervenzusammenbruch vor ihm rumwinseln und nun hier große Töne spucken! Einfach unglaublich! Und er solle unverschämt sein? Na, die könne noch was erleben. Es ärgerte ihn noch viel mehr, dass sie es wieder geschafft hatte, ihn zur Weißglut zu treiben. Reden ist Silber und Schweigen ist Gold. Mit dem Gedanken machte er schnaubend auf dem Absatz kehrt und ging wieder auf das Vorderdeck. Natürlich knallte er dabei heftig die kleine alte Tür des Häuschens, dass sie drohte aus den Türangeln zu fallen Das hatte die Tür wirklich nicht verdient. Sie sah im traurig durch das Fenster nach. Der Streit hätte nicht sein müssen. Warum war es wieder eskaliert? Durch das Mondlicht konnte sie schemenhaft seine Konturen erkennen, wie er dort nun mit dem Rücken und verschränkten Armen zu ihr stand und über den See sah. Was mochte er denken? Sicher nichts Gutes.

Der Fischer kehrte durch das Türknallen nun wieder zurück von seinem Nachtlager unter Deck. Er nahm Besteck auf und stellte fest, dass sie sogar schneller als berechnet die Strecke zurückgelegt hatte. Er lobte sie überfreudig und übernahm wieder das Steuer.

Sie ging nun ebenfalls zurück auf das Vorderdeck und wollte sich wieder in ihre Decke wickeln. Für heute hatte sie genug von Allem. Allerdings hatte sich Chopper im Schlaf gedreht und hatte dabei ihre eigene Decke vereinnahmt. Sie seufzte. Zoro sah zu ihr runter, wie sie dort am Boden hockend versuchte, Chopper die Decke wegzuziehen. Ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt war. Aber unterhaltsam! Er setze sich an die Reling und beobachtete amüsiert ihre hoffnungslosen Zerrversuche. Auch wenn das Rentier in der Chibi-Form war, so hatte es doch das Gewicht wie in seiner Rentier-Form. Sie verlor beim Zerren ihre Brille und patsche nun auf allen vieren suchend danach umher. Zum Schreien komisch! „Kalt, ganz kalt! ... Wärmer!“ hörte sie Zoros Stimme, in der viel Hohn und Spott lag. Sie tat ihm nicht den Gefallen zu reagieren, sondern legte sich hin. Dann würde sie eben so schlafen, wenn der Idiot sie nur ärgern wollte. Die kleinen Nadelstiche in ihrer Seele taten weh.

Nach einer Weile beschloss Zoro, sie zu erlösen.

„Lass den Quatsch und nimm meine Decke. Wenn du erfrierst, hab ich später ein Problem mit deiner Leiche.“

Sie lauschte in die Richtung, wo sie der Stimme nach Zoro vermutete. Alles in ihrem nahen Umkreis sah sie nur umrisshaft und setzte sich wieder auf.

„Ich sehe deine Decke aber ohne meine Brille nicht“, gestand sie kleinlaut und saß nun dort wie ein Häufchen Elend. Er sammelte ihre Brille auf und hielt sie in ihre Richtung: „Hier, nimm!“

„Danke!“ Da sie nur die Richtung vermuten konnte, hätte sie beim Zugreifen ihm fast die Brille wieder aus der Hand geschlagen. Sie setzte sich die Brille wieder auf die Nase und schnappte sich schnell die Decke, bevor er es sich anders überlegen und sein Angebot zurückziehen würde. Sie war traurig und wollte nun doch mit gesenktem Kopf wissen: „Warum bist du so zu mir?“

Lange erhielt sie keine Antwort und ihre Vermutung lag nah, dass er wohl eingeschlafen war. Als sie selbst schon versuchen wollte einzuschlafen, hörte sie ihn:

„Worte können sehr verletzten. Das tut weh, oder?“

Sie wollte sich keiner Blöße hingeben, rang sich aber doch ein leises „hm“ als Bejahung ab. Er hatte bei ihr ins Schwarze getroffen.

„Überlege mal, was ich mir von dir bisher alles anhören musste...“ Er zog die Kapuze seine Ponchos tiefer ins Gesicht. Die Unterhaltung war hier für ihn beendet. Und schon war er eingeschlafen.

Tashigi rollte sich in seine Decke ein und musste ihm recht geben. Seit Loguetown hatte sie ihn stets übelst beschimpft und vielleicht sogar zu Unrecht. Zoro hatte nichts weiter gemacht, als ihre Art zu reflektieren wie ein Spiegel. Das sie vermutlich noch mit jemanden einem Ähnlichkeit aufwies, goss nur noch Öl ins Feuer. Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es heraus. Zu keiner Minute war ihr jemals bewusst gewesen, dass der grünhaarige Eisklotz darüber nachgedacht haben könnte.

Sie kuschelte sich tiefer in die Decke und verfiel ebenfalls in tiefen Schlaf.

7 - Sieben Truhen

Frankie hatte die Sunny von oben bis unten begutachtet. Als Erbauer war er immer noch mächtig stolz auf sein schönes Schiff. Ein technisches Wunderding der Hochseefahrt! Jedes Wetter, jede Untiefe und so manches Abenteuer hatte es umschifft. Es wäre in der Tat ein Jammer, wenn es jemals der Marine in die Hände fallen würde. Noch mehr bedauerte er es aber, das keine richtiges Leben mehr an Bord tobte wie früher. Das Schiff war leer.

Nun stand Frankie auf dem oberen Teil des Schiffes inmitten auf dem Rasen zwischen den Mandarinenbäumen. Nami hatte sie vernachlässigt. Nun sahen die Bäume tatsächlich etwas mitgenommen und geknickt aus. Frankie beschloss, sie einfach mal ordentlich zu umsorgen: Düngen, Wässern, Lichten und Zurückschneiden. Nach ungefähr zwei Stunden liebevoller Pflege, begutachtete er sein Werk und befand, dass die Navigatorin sicher damit zufrieden sein würde. Besser, als die Bäumchen verwelken zu lassen, war es allemal.

Es war mittlerweile Nacht und ein sternenklarer Himmel spannte sich wie ein großes Tuch über den Fjord. Der abnehmende Mond tauchte alles in ein mystisches Licht. Die Stille lag ruhend und schützend über allem. Seit die Crew anfing, auseinander zu brechen, war es an sich zunehmend ruhiger an Bord geworden. Chopper lief nicht mehr laut schreiend übers Deck, wenn ihn etwas verängstigte. Zoro stritt nicht mehr lauthals Sanji. Frankie ist nie so recht klar geworden, warum die beiden sich überhaupt als Konkurrenten sahen. Vielleicht lag es einfach nur an deren Alter. Vor seinem geistigen Auge sah Frankie den kleinen Arzt übers Deck rennen und Zoro in irgendeiner Ecke schlafen. Letzterer hatte sich zum Schluss ausschließlich abgegrenzt und oben im Krähennest gehockt. Als Luffy dann auch noch gefangen genommen wurde, schien der Spaß entgültig über Bord gegangen zu sein. Selbst Usopp machte keinen seiner dämlichen Streiche mehr. Die ganze Crew glich einer Beerdigungsgesellschaft.

Er räumte die Gärtnersachen wieder an ihren Platz zurück. Ihm fiel Robin ein, die er den letzten halben Tag nicht mehr richtig zu Gesicht bekommen hatte. Seit er ihr diese Idee mit der Redline gab, war sie endlich wieder aufgeblüht. Sie saß nun schon seit Stunden in ihrem Zimmer. Vermutlich lagen unzählige Bucher um sie her. Sicher wäre sie noch kein einziges Mal dahinter hervor gekommen, um wenigstens etwas zu essen oder zu trinken. Er würde ihr einfach einen Besuch abstatten und nach dem rechten sehen. Vielleicht konnte sie schon etwas berichten. Und so verschwand Frankie im Inneren der Sunny auf dem Weg zu ihrem Zimmer. Unterwegs hielt er bei der Küche an. Sicher würde sie sich über einen frischgebrühten Kaffee ihrer Lieblingssorte freuen. Eine gute Viertelstunde später hatte er eine heißgefüllte Kanne in der einen und zwei Tassen in der anderen Hand. Er kam bei Robins Tür an, klopfte vorsichtig und trat ein. Sie saß umgeben von unzähligen aufgeschlagenen Büchern und eingehüllt in den warmen Schein vieler Kerzen. Sie blickte auf:

„Oh, das ist wirklich sehr nett von dir!“

„Gern geschehen. Die Sunny ist in tadellosem Zustand. Hast du schon etwas herausfinden können?“

„Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe tatsächlich etwas übersehen. Nämlich die Veränderungen am Aussehen unserer Welt.“

„Das Aussehen unserer Welt?“

„Ja, die Oberfläche und den Einfluss von Eis, Hitze, Naturkatastrophen und dergleichen. Wie konnte ich das nur verdrängen?“

Sie erklärte Frankie ausführlich, aber sehr spannend, welche Auswirkungen wohl die letzte Eiszeit gehabt haben könnte. Als die Eiszeit sich dem Ende neigte und das Eis schmolz, begannen somit die Meeresspiegel zu steigen. Das Gesicht ihrer Welt veränderte sich radikal. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass die Grandline und die Redline einmal weit mehr aus dem Meer heraus geragt haben könnte oder das die Urstromtäler ganz andere Schiffswege zugelassen haben mögen. Jedoch musste sie gestehen, dass Geographie und Geologie nicht ihr Fachgebiet wäre. Doch vielleicht ließen sich irgendwo Experten für diese Fragen finden. Die Weltregierung würde sicher solche Art von Forschung nicht dulden. Es könnten aber eventuell Forscher im Untergrund Arbeiten. Oder vielleicht gab es Aufzeichnungen? Robin war wieder die Alte, wie Frankie zufrieden feststellen konnte. Er schlug vor, die Suche nach solchen Geologie-Leuten oder Büchern als ein wichtiges Ziel ins Auge zu fassen. Sie könne aber sicher auch mal Nami fragen, die durch das Kartographieren alle ihrer besuchten Inseln auch viele Fachwissen über Geographie hätte. Robin viel es wie Schuppen von den Augen. Natürlich würde sie mit der Navigatorin darüber reden, wenn sie in nächster Zukunft wieder vereint wären.

Franke beschloss, dass es für heute genug sei. Er verabschiedete sich von ihr und stapfte zu seiner Koje und seinem Bett. Kurze Zeit später war ein lautes Schnarchen im gesamten Fjord zu vernehmen, als säge er einen halben Wald.

Auch Robin bemerkte, wie ihre Augen müde wurden. Sie löschte die Kerzen und kroch ebenfalls ins Bett. Sie brauchte gewöhnlich nicht viel Schlaf. Die letzten Wochen hatten jedoch auch bei ihr an den Kräften gezerrt. Friedlich schlief sie ein.
 

Als sie am nächsten Tag den Hügel hinauf zur Grasebene erklommen, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Robin benutze ihre Teufelskräfte und ließ eine kilometerlange Armkette wachsen, an dessen Ende sich in der Handfläche Augen und Ohren verbargen. Schon nach wenigen Sekunden hatte ihre Armkette das Dorf erreicht, welches sie bereits am Vortage gesehen hatten. Es schien keine Marinestützpunkt zu geben, jedoch eine Einkaufsstraße und einen Hafen, der ebenso wie die Sunny zu Füßen eines Fjordes lag. Die Prozedur war äußerst anstrengend für Robin, doch da die Luft rein schien, marschierten sie los. Dort angekommen, herrschte gerade Markttag und reges Treiben. Sie sahen sich um und schlenderten vorsichtig durch die Gassen von alten abgewohnten Häuschen umher. Obwohl sie fremd waren, schien sie niemand zu beachten oder zu erkennen, weshalb sie weniger Vorsicht walten ließen als noch zu Beginn. An einem Stand sprach sie dann doch ein Händler an:

„Piraten? Was treibt ihr denn hier? Die Grandline beginnt erst südwestlich am Riverse Mountain!“ Er lachte laut auf. Robin und Frankie sahen sich unauffällig um. Immer noch hatten sie keine Aufmerksamkeit unter den umhergehenden Anwesenden auf dem Markt erregt. „Hast du keine Furcht, Händler?“ fragte Robin, doch der Mann winkte fröhlich ab.

„Du bist doch die Archäologien? Meine Name ist Perka. Ich schließe gleich meinen Stand. Seid meine Gäste und erzählt!“ Die beiden nickten sich kaum merklich an und beobachteten den Händler. Er war klein, untersetzt und strahlte eine Herzenswärme aus, um die man ihn beneiden könnte. Er lud alles auf einen kleinen Karren, vor dem ein ebenso kleines Pony gespannt war. Es hatte ein schwarzes plüschiges Fell, viel zu kurze krumme Beine und einen dicken runden Bauch. Unter der dicken Mähne glitzerten zwei fröhliche Augen hervor und auf der Stirn waren ein paar weiße Härchen in Form einer Schneeflocke. Perka tätschelte den Hals des Ponys: „Komm, meine alte Merle! Wir haben Gäste. Lass uns schnell heimgehen!“ Und so zog er unbekümmert los mit zwei Piraten im Schlepptau, die immer noch nicht verstanden, was die Einladung bedeuten sollte. Merles Hufe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster und sie zog unbekümmert den rumpelnden Karren. Nach einer Weile erreichten sie am Dorfrand ein kleines stark heruntergekommenes Häuschen. Der Putz blätterte von den Wänden und die Fensterladen waren von der Sonne ausgebleicht. Der Gesamteindruck vor dem Haus aber war sehr gepflegt. Perka brachte Merle auf einen kleinen angrenzenden Auslauf und wandte sich dann wieder seinen Gästen zu: „Kommt doch rein! Tee oder Kaffee?“ Im Inneren des Hauses gab es nur diesen einen Raum mit einer alten Holztreppe nach oben. Jedoch war es spärlich, aber liebevoll eingerichtet. Er deutete auf ein paar kleine urige Stühle an einem runden Tisch, auf welchem kurze Zeit später drei dampfende Tassen mit heißem Kaffee standen.

Frankie wollte nun aber doch wissen, weshalb sie hier seien. Immerhin sei es sehr ungewöhnlich, Piraten ins eigene Haus mitzunehmen. Es sei denn, man hätte selber einiges am Stecken oder sei gar selbst Pirat. Perka machte plötzlich ein ernstes und betrübtes Gesicht. „Du hast es erkannt. Die Merle ist alt und ich bin es auch. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Wir werden es kaum schaffen, unseren Traum zu erfüllen.“ Frankie rührten die Worte zu Herzen und trotz seiner emotionalen Ader konnte er sich beherrschen nicht in Tränen auszubrechen. Robin nippte regungslos am Kaffee.

Der Alte fuhr fort: „Viele Jahre habe ich gewartet, dass endlich jemand von Ohara herkommen würde. Die Weltregierung hatte es immer unterbunden. Viele mussten ihr Leben lassen. Auch ich war im Gefängnis und mein Haus wurde gefilzt von oben bis unten. Doch unseren Schatz fanden sie nie. Ich habe viel Leid erfahren müssen.“

Die Archäologin war bei dem Namen ihrer Heimatinsel Ohara zusammengezuckt und nun ganz Ohr: „Was willst du von uns? Es muss von großer Bedeutsamkeit sein, wenn nur ein Archäologe damit umgehen kann und die Weltregierung Interesse daran hegt.“

Der Händler berichtete, von sieben großen schweren Kisten, deren Inhalt höchstbrisant sei. Er könne und wolle nichts weiter dazu sagen. Er hätte zu große Angst. Die Marine bespitzele ihn auf Schritt und Tritt und machte bei ihm unangemeldete Hausbesuche. Der Cyborg war aufgebracht. Es könne sich nur um Minuten handeln, dass die Marine hier auftauchen und sie alle festnehme würde. Perka sah ängstlich zum ihm und flehte: „Bitte, nehmt die Kisten mit! Bitte! Ich zeige euch den Weg!“ Er stand auf, rollte den Teppich in der Mitte des Zimmers beiseite und öffnete eine Falltür. Eine alte Leiter führte in einen viel zu kleinen Keller, wo die beiden Piraten den Kopf einziehen mussten. Die Decke war zu niedrig. Perka verschob mit ihrer Hilfe einen Schrank. Ein steiniger Tunnel wurde dahinter sichtbar. Sie sollen sich zweimal links und dann einmal rechts halten. Es wäre eine Sackgasse, wo sich die Kisten befanden. Frankie sah den Händler schräg an, ging aber dann mit einer Fackel voran in den nasskalten Tunnel dicht gefolgt von Robin.

„Irgendetwas stinkt gewaltig an der Sache!“ grummelte der Cyborg.

„Ja, das stimmt! Wir scheinen aber den mysteriösen Schatz gefunden zu haben.“ Tatsächlich standen dort ordentlich gestapelt die sieben Truhen. Er konnte jeweils zwei unter jedem Arm tragen, während sie für die übrigen drei Kisten ihre Kräfte nutzte und ein Fließband an Armen aus dem Nichts zauberte. In der Nähe des Ausganges hörten sie plötzlich fremde Stimmen. Sie beschimpften und bedrohten Perka. Dieser wimmerte und schluchzte. Schüsse fielen. Geistesgegenwärtig ließ Frankie die Kisten fallen und schloss von der Tunnelseite mit dem Schrank den Ausgang. Sein Instinkt warnte ihn, sich unter keinen Umständen blicken zu lassen. Was zum Teufel war dort eben passiert? Es war gerade noch rechtzeitig, als auf ein Mal Poltern zu hören war. Mehrer Personen durchsuchten Haus und Keller. Ihre Wortfetzen waren zu gering, um einen Sinn zu geben. Draußen hörte man Merle ängstlich wiehern. Nach einer Weile war die Stille wieder eingekehrt.

Verwirrt öffnete der Cyborg ihr Versteck und trat mit der Archäologin heraus. Sie stürmten die kleine Leiter hoch und sahen ein entsetzliches Bild. Perka lag tot in einer riesigen Blutlache und starrte mit glasigen Augen und offenem Mund an die Decke. Zwei Einschusslöcher in Form von rote Nelken zierten seine Stirn, aus denen immer noch Blut und Hirnmasse pulsierend nachströmte. Das ganze Zimmer war blutverspritzt. Schrecklich! Der kleine Tisch war umgeworfen und der noch heiße Kaffee dampfte nun in einer großen Lake auf dem dreckigen Teppich. Ein schauderliches Szenario! Sowohl Frankie als auch Robin war vollkommen geschockt. Er konnte die Tränen kaum zurückhalten und sie rollte mit ihren Teufelskräften den leblosen Körper Perkas sanft in den weichen Webteppich ein. Sie beide hatten in ihren Leben schon viele Grausamkeiten gesehen, doch dieser Mord war einer der brutalsten Anschläge seit langem.

Sie gingen schweigend nach draußen. Eine absolut verstörte Merle trabte in Panik am Zaun auf und ab. Ihr Fell war nass vom Schweiß. Sie schien das Unglück zu spüren, dass sie nun keinen Herren mehr hatte. Die Archäologin wollte sie beruhigend streicheln, doch scheu wich das alte Pony aus. Keiner von ihnen hatte eine Erklärung für diesen, aus ihrer Perspektive betrachtet, sinnlosen Terror. Die geheimnisvollen Truhen mussten wahrlich ein Schlüssel zu allem sein.

Frankie hatten sich wieder gefangen, die Truhen aus dem Keller geholt und auf den kleinen Karren geladen. Die beiden Piraten waren sich einig, dass sie schnell gehen müssten. Man könne sonst ihnen die Schuld an der Ermordung in die Schuhe schieben. In dem Moment kam schon ein Nachbarin um die Ecke gestürmt. Sie hielt inne und kam dann ruhig auf die beiden zu: „Wartet! Ich habe alles gesehen. Die Spitzel der Marine waren hier!“ Sie hatte Tränen in den Augen, bedauerte den guten alten Perka und versprach, sich um die arme kleine Merle zu kümmern. Der alte Händler solle anständig beerdigen werden. Die beiden nickten, sprachen ihr Beileid aus und rumpelten mit dem schwerbeladenen Karren davon. Sie sprachen auf dem Rückweg kein Wort und waren verstört. Sie merkten erst einige Meter außerhalb der Ortschaft, dass sie Verfolger hatten. Es war jedoch kein Problem für das kampferprobte Duo, die gut zwei Dutzend Marinesoldaten im Nu auszuschalten. Erst als sie ganz sicher war, dass ihnen niemand mehr folgen würde, setzten sie ihren Weg zur Sunny fort. Ihre Gedanken kreisten nur noch um den fragwürdigen Inhalt ihrer Fracht. Der Weg zog sich eben so endlos, wie ihre Neugier stieg. Endlich erblickten sie in ihrem wohlbekannten Fjord die Sunny, die friedlich und ruhig vor Anker lag als wäre nichts geschehen. Sie setzen mit dem kleinen Beiboot zur Sunny über und trugen die Kisten in den großen Aufenthaltsraum am Aquarium.

Frankie untersuchte sie. Das Material war feuerfest und sehr stabile. Auch die Schlösser würden sicher nicht einfach zu knacken sein. Er holte das passende Werkzeug und nach behutsamer, langer Arbeit gab die erste Truhe ihren Schatz preis. Er war enttäuscht: nur lose bemalte Zettel bis an den Truhenrand. Mit einem Fragezeichen über dem Kopf sah er Robin sprachlos an. Diese war ebenso sprachlos; allerdings vor Freude. Sie nahm einige der Papiere in die Hand und kam aus dem Staunen nicht heraus.

„Frankie! Das ist ein wahrer Schatz! Wahnsinn!“

Er verstand nur Bahnhof, doch sie fuhr begeistert fort: „Das sind alte Grundkarten! Die sind teilweise schon Hunderte von Jahren alt. Sie belegen, wem einmal Grund und Boden gehörte. Das ist hier ein lückenloses Verzeichnis über die gesamte Redline!“

Der Cyborg wusste immer noch nicht, ob das nun gut oder schlecht sein sollte. Er ließ sich erklären, dass man auch daran Geschichte erkennen könnte und wie sich Ländern und ihre Grenzen samt Besitzern veränderten. Sie zog eine weitere Karte aus der Kiste: „Schau! Diese Karte ist erst einige Jahre alt. Das scheint hier unser Fjord zu sein und das Dorf, wo wir waren scheint Sana zu heißen. Aber hier an den Linien sieht man, dass Sana mal eine Stadt und kein Dorf war. Was mag geschehen sein? Ich werde mich da mal durch alle Karten kämpfen. Ich werde Tage brauchen. Hilfst du mir?“

Frankie nickte unmotiviert ohne zu ahnen, welch unglaublicher Papierkrieg vor ihm lag.

In den nächsten Tagen verwandelte sich die Sunny in ein einziges Archiv. Überall lagen nach Alter und Gegend geordnet Grundkarten. Es war nicht möglich, ohne akrobatische Verrenkungen einen Raum zu durchqueren, wenn man die Karten nicht berühren wollte. Viele von ihnen konnten nicht entziffert werden. Sie würden hier Namis Hilfe beim Karten lesen brauchen. Nach gut einer Woche, war alles sortiert und sie waren um eine Erkenntnis reicher: Die Weltregierung hatte noch nie Grund und Boden besessen. Alle Grundstücke der Marine waren niemals rechtmäßig erworben worden, sondern durch Betrug und Enteignung. Der Beweis lag auf Tausenden von Karten und Niederschriften schriftlich fixiert in ihren Händen. Sie waren mit ihrem Fund hochzufrieden.

8 - Der Bambushain

Einige Stunden später stieß der klapprige Kutter unsanft an einen alten, windschiefen Anlegesteg, der schon weit bessere Tage gesehen haben musste. Sie waren endlich auf der gegenüberliegenden Seite des Binnensees angekommen. Der Fischer vertäute sein Schiff äußerst sorgfältig an den Pollern und begann, seine Ladung zu löschen. Das alte Holz des Steges bog sich knarrend unter der Last von Kisten und Fässern. Nebelschwaden hingen über dem gesamten Ufergebiet, so dass es schwer zu erkennen war, wie lang der Steg tatsächlich sein mochte und wie die Umgebung aussehen würde.

Der Fischer ging zu seinem Boot zurück auf das Vorderdeck. Er wollte seine Passagiere wecken und musste bei dem sich ihm gebotenen Anblick lächeln. Dort lag die Marinesoldatin in eine Decke gerollt in der Nähe der Reling zum Schutz vor dem eisigen Fahrtwind und hielt das Rentier wie ein Kuscheltier im Arm auf der Suche nach Wärme. Beide ruhten selig und zufrieden wie es wohl sonst nur kleine Kinder können. Nur einen knappen Meter daneben saß der Schwertkämpfer mit angezogenen Knien an die Reling gelehnt. Obwohl der Alte dessen Gesicht unter der Kapuze nicht sehen konnte, so wusste er, dass er doch von diesem genau beobachtet wurde. Jede Bewegung von ihm wurde millimetergenau argwöhnisch registriert. Der Fischer hielt auf ihn zu und blieb gelassen vor seinen Füßen mit einem respektvollen Sicherheitsabstand stehen.

„Du bist älter als alles andere, was hier an den Ufern lebt“, erklang Zoros tiefe ruhige Stimme unter der Kapuze ohne aufzusehen.

„Ja, da hast du recht. Aber es verwundert mich nicht, dass du mich unter den Lebenden erkannt hast“, seufzte der Alte und ließ seinen Blick über den See schweifen. Das leichte Schlagen der Wellen gegen den Kutter und den Steg rauschte unaufhörlich einfühlsam daher. Ein seltsamer Schimmer umgab den Fischer. Nach einer kurzen Weile fuhr er feststellend fort: „Du hast wahrlich Dämonisches an dir, aber ein Hanyô bist du wohl doch nicht?“

„Keine Ahnung!“ brummelte der zu seinen Füßen Hockende kurz angebunden vor sich her. Zoro war nicht nach Philosophieren zu Mut. Schon gar nicht über sich selbst und mit einem Geist als Gesprächspartner.

Doch sein Gegenüber schien auch nicht sonderlich an einem Gespräch interessiert zu sein. Dieser nickte ihm bestätigend zu und wandte sich langsam gehend vom ihm ab. Sein Gang wurde stetig schwerfälliger, als würde bei jedem weiteren Schritt ein wenig mehr seine letzten Lebensgeister von dieser Welt Abschied nehmen. Er hörte ihn noch sagen:

„Wenn du allein ziehst, dann ist deine Reise eine Einbahnstraßen-Sackgasse.“ Dann war er entschwunden in einem Nichts, als hätte es ihn nie gegeben. Und mit ihm ging der Zauber des Bootes. Plötzlich war es alt und verrottet. Es begann langsam im See zu versinken.

Zoro streckte gelassen den Arm nach seinen beiden Begleitern aus, um sie zu wecken. Die beiden waren immer noch im Tiefschlaf und hatten von der merkwürdigen Konversation zwischen ihm und dem Geisterfischer nichts mitbekommen.

„Lasst uns gehen!“

Schlaftrunken rappelten sich die beiden hoch und schlürften ohne Fragen Zoro hinterher von Board. Sie wussten nicht, ob das Knarren des Anlegestegs oder ihr Magenknurren unheimlicher klang. Durch die Nebelwand sah man die Hand nicht mehr vor Augen und auch der Gang auf dem Steg schien wie eine Reise in die Ewigkeit. Das Rentier merkte an, ob es vielleicht unhöflich sei, ohne Abschied den Fischer zu verlassen, doch Zoro grinste nur und meinte, dass er es sicher nicht Übel nehmen würde. Chopper wurde stutzig. Ein paar Schritte später erreichten sie das Festland. Wohin nun? Die Nebelsuppe lichtete sich etwas, gab aber nicht mehr als eine Sichtweite von gut hundert Metern frei. Das Seeufer hatte hier keinen Strand, sondern ging sofort in meterhohes, regennasses Gras über, was sich hartnäckig wie Schlangen bei jedem Schritt um die eigenen Beine wickelte.

Das Rentier blickte angsterfüllt zurück, wo es den Steg vermutete. Doch dort war nichts als das Wasser, welches in sanften Wellen an das Ufer schwappten und zwischen dem Gras versickerte. Choppers Vermutung hatte sich bewahrheitet und seine Augen wurden groß wie Kuchenteller. Ein Schauer lief über seinen Rücken und er schrie Zoro an: „Sag mir, dass das nicht wahr ist?! Du hast die ganze Zeit gewusst, dass das ein Geisterschiff war!

Der Angesprochene grinste nur: „Klar, aber dann hättest du gleich so einen Aufstand gemacht.“ Er wandte sich ab und beobachtete misstrauisch die Gegend.

Der kleine Arzt setzte sich geschockt von den neuen Erkenntnissen erst einmal hin und war im hohen Gras fast nicht mehr zu sehen. Das eben musste verdaut werden. Der grünhaarige Kerl machte ihn noch wahnsinnig. Manchmal wusste er einfach nicht, was er von ihm und seiner Art halten sollte. Das würde sicherlich noch Böse enden. Tashigi hat die ganze Szene schweigend beobachtet, doch nun war auch sie der Wut nahe. Sie wollte endlich von den beiden wissen, was hier überhaupt los wäre. Die Antwort war peinlich berührtes Schweigen. Zornig drehte sie sich von beiden weg und lief kämpfend durch das hohe Gras davon. Ihr grauer Regenponcho und das neblig-graue Gelände wurden eins und verschluckten ihre Gestalt vollständig.

Zurück blieben ein heulendes Rentier, das einem extrem genervten Schwertkämpfer bitterböse Vorwürfe machte. Dieser jedoch war sich keiner Schuld bewusst und strafte Chopper mit Schweigen. Der kleine Arzt rief Tashigi nach, doch seine Wort erreichten sie nicht mehr.

Sie war längst außer Hörweite. „Sollten die Idioten doch den Weg allein finden“, dachte sie, „ich brauche sie sicherlich nicht.“ Das nasse Gras klatschte ihr ins Gesicht und an den Körper. Wut, Trauer und Enttäuschung wechselten sich in ihren Gedanken ab. Es tat ihr um das Rentier leid, welches sie bereits als treuen Freund vermisste. Zoro konnte ihr gestohlen bleiben. Sie würde es ihm irgendwann schon heimzahlen, dass sie nun hier umher irren musste. Das Rennen fiel ihr schwer und sie ging nun langsam weiter. Ständig verhedderte sie sich in den Grasschlingen. Es war ein kräftezerrender Stolperparcours und sie hielt inne, um sich orientieren zu können. Langsam stieg die nasse Kälte an ihr hoch. Fröstelnd schlang sie ihre Arme um den eigenen Körper, um sich etwas warm zu halten. Der Nebel klärte sich langsam auf und in der Ferne zeichnete sich ein Bambushain gegen den Horizont ab. Sie kämpfte sich weiter und weiter. Als sie endlich bei dem Hain ankam, entpuppte er sich als riesengroßer Wald. Nirgends war ein Weg zu sehen. Sie seufzte bei dem Gedanken, sich nun wohl dort durchschlagen zu müssen und zog ihr Katana.

Unterweilen waren die Vorwürfe von Chopper gegenüber Zoro verstummt und Ruhe eingekehrt. Da der kleine Arzt in der Nässe keinerlei Witterung aufnehmen konnte, waren sie kurzerhand einfach in der Grasspur der Marinesoldatin hinterhergegangen, denn sie schien immer noch die beste Orientierung zu haben. Inständig hoffte er, sie würden Tashigi einholen, wagte aber nicht, seine Gedanken gegenüber seinem Begleiter laut auszusprechen. Vermutlich war dieser sicher sehr froh über ihr Verschwinden und das wiederum machte Chopper traurig. Es war bei dem widerspenstigen Gewächs nicht leicht, die Spur beizubehalten. Zum größten Teil hatte sich das plattgetretenen Gras schnell wieder in seine ursprüngliche Position aufgerichtet. Das Rentier beklagte das Wetter. Es wäre hier auf der Redline in der letzten Zeit dauerhaft nass, grau und ungemütlich. Auf der Grandline hätte es so etwas über einen derart langen Zeitraum nie gegeben. Zoro wies ihn darauf hin, dass es wohl einzig und allein an der Jahrzeit läge. Der Sommer wäre nun mal vorbei und der Herbst wäre halt nasskalt. Und das waren auch die einzigen Worte, die sie für eine lange Zeit gewechselt hatten. Chopper trottete weiter hinter ihm her. Und obwohl das Fell eines Rentieres von Natur aus gefettet war, um Nässe abzuhalten und Wärme zu spenden, so merkte er doch allmählich, dass diese besondere Feuchtigkeit sich langsam in seinem Fell vollzog. Der Poncho half nicht besonders viel. Für Teufelskräfteinhaber wäre dieses Wasser äußerst fatal, jedoch wollte er sich nichts anmerken lassen, denn sein Freund schien eh schon ziemlich angesäuert zu sein. Den Hintergrund dafür konnte er sich nicht erklären, wagte es aber auch nicht, Zoro zu fragen.

Vor ihnen tauchte ebenfalls der Bambushain auf und Tashigis Spur endetet nun. Das dichte Blätterdach schirmte das Tageslicht vollkommen ab. Nebelschwaden umschlungen die Bambusrohre und ließen nur erahnen, dass winzige Rinnsäle an Bächen das gesamte Gebiet durchzogen und es morastig machten. Es war ungewöhnlich für Bambus auf derart feuchtem Boden zu gedeihen: Normalerweise hasste er Staunässe und bevorzugte leichtfeuchte Erde.

Chopper blickte in den Wald hinein und begann zu frösteln. Er witterte Böses zwischen den Bambusrohren. Vor lauter Angst zitternd klammerte er sich an Zoros Bein fest und sah panisch an ihm hoch. Als sich dann auch noch plötzlich für einen kurzen Augenblick der Boden zu Zoros Füßen verdunkelte und kurze violettfarbene Schwaden heraufzogen, war er nicht mehr bereit mitzugehen.

„Ich geh’ da nicht rein! Wenn selbst deine dämonischen Kräfte anschlagen, dann ist das da drin bestimmt total gefährlich!“ Er bettelte seinen Freund förmlich an, einen großen Bogen um das Gebiet zu machen.

Dieser stand mit verschränkten Armen zum Wald und starrte ebenfalls hinein. Er kniff die Augen leicht zusammen, konnte aber nichts genaues erkennen. Kein Vogel sang oder irgend ein anderes Tier machte Geräusche. Es war gespenstisch still und nicht einmal ein Lüftchen regte sich. Er konzentrierte sich und versuchte, die Strömungen zu fühlen. Ja, Chopper hatte recht! Eine böse Aura lag irgendwo darin und floss stetig unaufhaltsam auf sie zu. Von einem bestimmten Punkt aus strömte es anziehend durch den Hain und betörte die Sinne. Man hatte das Gefühl, Stimmen würden rufen, die man nur im eigenen Kopf hören konnte. Tote Stimmen aus der Vergangenheit. Sinnraubend, aggressiv und ruhelos. Er sah den Waldrand entlang, der bis zum Horizont reichte und dachte nach. Vermutlich würde der Umweg um den Wald herum mehrer Tage dauern.

„Lass los, Chopper! Wir haben keine Wahl!“

„Das kann doch nicht dein Ernst sein?!“

Zähneklappernd und vor Angst heulend rannte er Zoro hinterher, der bereits die ersten Meter des Waldes betreten hatte. Er wollte ihn auf keinen Fall aus den Augen verlieren und dann vollkommen allein in der unheimlichen Wildnis stehen.

Der Versuch zusammen zu bleiben, scheiterte schon nach einer Stunde Fußmarsch. Sie hatten sich hoffnungslos in einem pechschwarzen Labyrinth von Nebel, Bambus und Morast verirrt und verloren. Choppers Hände hatten sich an Zoros Poncho gekrallt, doch am ersten herunterhängenden Ast, den er zur Seite schlagen musste, löste sich sein Griff aus dem Stoff und sein Freund war spurlos wie vom Erdboden verschluckt. Er war mutterseelenallein.

Das kleine Rentier bekam Panik. Er raste ziellos durch den Wald ohne zu wissen, wohin sein Weg ihn führen würde. Äste schlugen ihm ins Gesicht. Er war sehr trittsicher, doch selbst in diesem Sumpf musste er häufig straucheln und rutschen. Er rief nach Zoro bis er heiser war. Niemand antwortete ihm. Später würde er nicht mehr sagen können, wie viele Stunden er gelaufen war, aber es waren bestimmt ein ganzer Tag und eine ganze Nacht gewesen. Durch das viele Wasser im Boden saugte sich sein Fell nun gänzlich voll. Er spürte, wie er schwächer und schwächer wurde. Das Wasser lähmte ihn. Mit Mühe konnte er erkennen, wie in der Ferne Licht durch das Blätterdach des Hains fiel. Er mobilisierte seine letzten Kraftreserven. Erschöpft brach er durch die letzte Blätterfront und war im Freien. Tatsächlich war er auf der anderen Seite des Waldes heraus gekommen und die weite grasgrüne Hügellandschaft von Sanaland erstreckte sich in seiner ganzen friedlichen Pracht. Am Horizont konnte er das Meer erahnen: der East Blue und die aufgehenden Sonne eines neuen Morgens! Er konnte es förmlich wittern. Unfähig sich zu bewegen, sackte er in sich zusammen. In Sorge dachte er an seine beiden Mitstreiter. Er wollte nicht glauben, dass Tashigi sie verlassen haben könnte. Zoro würde es sicherlich irgendwie allein durch den Wald schaffen. Darüber schlief er erschöpft ein. Die warme Sonne und der frische Wind würde sein Fell bald getrocknet haben.

Der Mut hatte Tashigi schon nach wenigen Minuten verlassen. Eisern hatte sie sich durch den Bambus gekämpft, in der Hoffung bald das Ende des Hains zu erreichen. Doch das war ein großer Irrtum. Die Einsamkeit hatte sie gefangen, als der Nebel und die Dunkelheit ihr die Sicht raubten. Der matschige Boden schluckte jede Spur und jedes Geräusch. Der Bambus wusch ungewöhnlich schnell und überwucherte den Weg, den sie gekommen war. Stundenlang watschte und rutschte sie durch den Matsch umher. Wo war sie?

Sie merkte nicht, dass sie dabei einen verwitterten Grenzstein von ungewöhnlicher Form und Abbildung passierte. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, von allen Seiten beobachtet zu werden. Stimmen riefen sie lautlos. Sie spürte die Angst in sich hochklettern. Wurde sie eben nicht von irgendetwas berührt? Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Da war es wieder! Etwas Eiskaltes legte sich auf ihre rechte Schulter. Sie drehte sich um, aber sah nichts außer Dunkelheit. Unsichtbare Hände legten sich um ihren Hals, die nach ihrem Leben trachteten und ihr den Atem nahmen. Tashigi war dem Wahnsinn nahe. Blindlings rannte sie um ihr Leben. Ziellos. Allein. Sie wollte nichts hören und nichts sehen. Der verdammte Wald sollte endlich sein Ende nehmen. Das tat er auch. Wie aus dem Nichts erreichte sie den Vorhof zu einer alten verlassenen Villa. Der Baustiel erinnerte stark an das Marinehauptquartier. Bei einem Nebengebäude stand die Tür zu einem schwach erleuchteten Raum offen. Sie stellte sich in diesem Moment keine Fragen, ob das Nebengebäude bewohnt sei oder nicht. Es war ihr egal, wenn sie nur endlich ein Dach über dem Kopf und vier sichere Wände um sich herum bis zum nächsten Morgen hätte. In dem Raum angelangt, schlug sie die Tür von innen zu und rutsche an hier herab auf den Boden. Sie zog die Beine an ihren Körper und vergrub ihren Kopf auf den Knien ruhend in ihren Armen. Dem Raum würdigte sie keines Blickes. Sie hatte panische Angst, fühlte sich hilflos und allein. So allein war sie in ihrem ganzen Leben noch nie gewesen. Es war bisher immer irgendjemand bei ihr gewesen, ob es nun Marinesoldaten waren, Hina oder Smoker. Besonders Smoker, der manchmal wie ein Vater zu ihr war, vertraute sie grenzenlos. In diesem Moment aber waren ihre alten Bezugspersonen weit weg und unerreichbar. Ohne dass sie es verhindern konnte, hatten sich plötzlich zwei ganz andere Gestalten in ihr Bewusstsein gedrängt.

Sie dachte an Chopper. Vermutlich würde er genauso viel Angst wie sie haben und sich an sie klammern. Sicher würde sie sein Fell kraulen, um ihn und sich selbst zu beruhigen. In diesem Moment wäre ihr sogar Zoros Gesellschaft lieb und recht gewesen. „Zoro ...“ flüsterte sie leise vor sich her. Sie klammerte sich an das letzte bisschen Hoffnung, dass er sie hier jemals finden würde, falls die beiden auch den Weg durch den Bambushain gewählt hätten. Sie wollte nur bald wieder raus aus dem gruseligen Haus und dem unheimlich Wald und verfluchte sich selbst über ihre Dummheit, jemals von seiner Seite gewichen zu sein. Alle Streitereien mit ihm waren ihr mit einem Schlag egal und vergessen, wenn er sie nur endlich hier herausholen würde. Sie schwor sich, ihn nie wieder in einen Streit zu verwickeln, selbst wenn ihr großer Traum ihn zu stellen wie einen Seifenblase zerplatzen würde. Ihr fielen vor Müdigkeit die Augen zu.

Zoro ahnte von Tashigis stillen Hilferufen nichts. Er stapfte mit schlechter Laune missmutig durch den Bambushain. Er wusste längst, dass er sich mal wieder verlaufen und Chopper verloren hatte, obwohl der vor Sekunden doch noch bei ihm gewesen war. Der Kreidetrick funktionierte in diesem Wildwucher einfach nicht. Es war hoffnungslos. Das dumme Rentier hatte einfach nur selten dämlich Ideen, als es vorschlug nach Loguetown zu gehen. Wenn er den kleinen Arzt in die Finger kriegen würde, dann könne der sich auf etwas gefasst machen. Und Tashigi? Die brachte ihm eh nur Ärger ein. Wenigstens war sie nun endlich weg. Das Problem hatte sich von selbst gelöst. Doch in seinem tiefsten Inneren sprach eine andere kleine Stimme tadelnd zu ihm. Irgendwie füllte er sich für sie verantwortlich. Hätte er sie damals nicht aus dem kleinen Dorf an der Furt mitgenommen, wären sie beide niemals den selben Weg gegangen. Die Suppe musste er nun auslöffeln. Oder doch nicht? Eigentlich könnte es ihm auch vollkommen egal sein, ob sie hier irgendwo verrecken würde. Mit finstere Miene schlug Zoro mit seinen Schwertern eine Schneise, musste aber erkennen, dass sie in kürzester Zeit wieder hinter ihm zuwuchs. Was war nur in diesem bekloppten Wald los? Er entdeckte den verwitterten Grenzstein zwischen den Zweigen am Boden. Das merkwürdig aussehende Zeichen war unkenntlich geworden und von Moos überwachsen. Mit seiner Stiefelspitze versuchte er, das Moos von dem seltsamen Stein zu kratzen, um das Abbild zu betrachten. Es zeigte zwei gleich aussehende Menschen, die sich an der Hand hielten und durch ein Band verbunden waren. Zwillinge? Zoro machte ein skeptisches Gesicht. Die böse Aura war stärker als am Waldrand. Hier begann es also und der Stein markierte eine Grenze. Aber zu was und warum?

Er steckte seine Schwerter zurück und stapfte mit den Händen in den Hosentaschen vergraben seinem Gefühl folgend voran. Diese Angewohnheit mit den Händen in den Taschen hatte er erst zur Dauereinrichtung werden lassen, als Chopper in fragte, ob ihn etwas permanent frustrieren würde. Seine Hände wären immer zu Fäusten geballt wie bei jemandem, der wütend sei. In Zoros Augen ging niemanden sein Innerstes an und so versteckte er lieber seine Hände, wenn man daran soviel über ihn ablesen konnte.

Aus den Augenwinkeln heraus versuchte er rechts und links neben ihm seine Umgebung in Schach zu halten. Etwas huschte wie ein Irrlicht im Zickzackkurs zwischen den Bambusstangen umher, jedoch wagte es bisher nicht, sich bis auf wenige Meter dem Schwertkämpfer zu nähern. Es missfiel Zoro, dass hier etwas rumschwirrte, was er nicht sehen konnte und plötzlich hatte er das Gefühl, es würden mehrere von diesen unsichtbaren Irrlichtern werden.

Er wusste nicht, wohin ihn es ihn trieb, aber er würde es bald erfahren. Seit Thriller Park hatte er eine verständliche Abneigung gegenüber Geistern. Nicht nur, dass sie ihn damals depressiv und somit zu einem leichten Opfer machten und Gekko Moria an seinen Schatten kam, seine Seele musste mit einem Zombiekörper umherwandeln. Das war für den zukünftig weltbesten Schwertkämpfer mehr als erniedrigend!

Missmutig über diese Erinnerungen ging er weiter. Die Zeit war vorbei, dass es noch einmal jemanden gelingen sollte, von ihm Besitz zu ergreifen oder Macht über ihn auszuüben. Wenn ihn schon Dämonisches heimsuchte, so sollte es ihm auch nützlich sein. Und eines Tages gelang es ihm: Er konzentrierte sich, berührte den unwissenden Chopper am Arm und dieser sackte in sich zusammen. Er hatte es geschafft, Teufelskräfte aufzuheben. Wie das ging, wusste er nicht, aber das war ihm fürs Erste egal. Das Rentier hatte sich hinterher fürchterlich über diesen hinterhältigen Überfall von ihm aufgeregt und wollte die Freundschaft kündigen, doch Chopper schwor letztendlich, kein Wort an niemanden zu sagen. So wusste es keiner. Auch nicht die Crew. Diese gut überlegte Entscheidung bereute Zoro bis heute nicht.

Er stoppte seinen Gang abrupt, da er spürte, wie nun etwas unsichtbares an seinem Arm entlang strich. Das Gefühl der Berührung suchte seinen Weg weiter an seiner Wange und dann an seinem Hals entlang. Sanft und sehnsüchtig. Zoro hasste es, einfach so aus dem Nichts heraus begrabbelt zu werden. „Schwirr ab!“ brüllte er genervt in die Richtung, wo er das Irrlicht vermutete. Das musste Eindruck hinterlassen haben, denn auf seinem weiteren Weg tauchte erst mal kein Geist mehr auf. Selbst der Bambus schien sein Wachstum um ihn herum eingestellt zu haben. „Warum nicht gleich so?“ dachte sich Zoro und stapfte grummelnd weiter.

Es dauerte nicht lange und er stand ebenfalls auf dem Vorhof der alten Villa. Eine Brise Wind zog plötzlich über den Platz. Der Bambus schwankte drohend und die Blätter raschelten unheimlich. „Zoro...“ Er hörte seinen Namen still und leise vom Wind getragen. Die Stimme war ihm vertraut, doch konnte er sie nicht zuordnen. So schell wie die Brise kam, flaute sie wieder ab.

Erstaunt sah er das unbewohnte verfallenen Gebäude an. Sollte in dieser Villenresidenz etwa das Geheimnis des Bambushains liegen? Die alte, gammlige Hütte? Er zog eine Augenbraue hoch und wunderte sich. Mit verschränkten Armen stand er nun vor dem Eingangstor und dachte nach. Reingehen oder Weiterziehen? Die Entscheidung wurde ihm schnell abgenommen, als er einen Schatten zum Eingangstor huschen und verschwinden sah. War das eben nicht Tashigi? Ist sie tatsächlich hier an diesem merkwürdigen Ort? Erfolglos rief er ihren Namen und war sich sicher, dass er sich nicht getäuschte hatte. Das Eingangstor stand leicht geöffnet dar. Er folgte dem Treppenverlauf und zwängte sich leise durch die Tür in die Eingangshalle.

Die Decke des Hallenbereiches war eingestürzt und die Trümmer hatten den Holzfußboden gespalten. Durch die Öffnung nach oben konnte man das Dachgebälk erahnen und einen kleinen Gang, von welchem man den Eingangsbereich aus erhöhter Position genau beobachten konnte. Das tiefe Loch im Boden jedoch gab nur gähnende Schwärze von sich. Zoro vermutete einen Schacht oder Keller unter dem Eingangsbereich, da kalte Luft aus dem Loch strömte und merkwürdige Geräusche hören ließ. Es könnte das Plätschern von Wasser sein: ein Kanal oder Brunnen vielleicht? Staub überzog in dicken Lagen die gesamte zertrümmerte Einrichtung. Die Möbel waren sehr alt und stammten aus einer Zeit lange bevor die Geschichte von der Weltregierung ausgelöscht wurde. Wind heulte in diesem Haus unheimlich durch die zerbrochenen Fenster und ließ die zerschlissenen Vorhänge flattern. Bei jedem Schritt knarrte der Holzfußboden unheimlich. Seit vielen Jahren konnte niemand mehr hier gewesen sein. Es waren keine Fußabdrücke oder weitere Spuren in dem Staub zu erkennen. Nein, sie war sicher nicht hier. Er hatte sich wohl doch täuschen lassen. Gerade wollte er wieder durch die Eingangstür ins Freie schlüpfen, als irgendwo in dem Gebäude eine Tür laut ins Schloss fiel. Er war also doch nicht allein oder war es nur der Wind? Nein, sein Gespür verriet ihm mehr, als er wissen wollte. Er sah sich im Raum um. Sein Blick fiel auf die brennenden Kerzen, die noch recht neu aussahen. Das machte ihn stutzig. Wer hatte sie entzündet? Wieder spürte er das Böse durch die Wände und Böden kriechen. Das hier war kein schlechter Scherz, sondern bittere Realität. Er hörte durch den knarrenden Boden Schritte im Nachbarzimmer und hätte schwören können, dass die eben geöffnete Tür vor Sekunden noch geschlossen war. Aus dem Nebenraum drang ein schwacher Lichtschein. Das musste nun doch untersucht werden.

9 - Das Tagebuch des Folkloristen

Unsanft erwachte Tashigi aus ihrem Dösen, als sie aus ihrer verkrampften Hockposition zur Seite kippte und ihr Gesicht eine unliebsame Bekanntschaft mit dem staubigen Holzfußboden machte. Der aufgewirbelte Staub sank auf ihren durchnässten Poncho und verklebte auf dem Stoff zu einer schmierigen Kruste. Es war ein unangenehmes Gefühl, den Dreck auf Kleidung und Haut zu haben. Sie rappelte sich auf, setze den Rucksack mit lautem Poltern ab und kämpfte sich aus dem schweren, nassen Poncho. Dann versuchte sie, sich den Dreck von ihrer Wange zu wischen.

Erst jetzt betrachtete sie den Raum um sich herum, dem sie vorher beim Eintreten keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Er war recht klein und ihr gegenüber standen in der einen Zimmerecke einige Tongefäße mit undefinierbarem Inhalt. An der Wand stapelten sich vollgefüllte Jutesäcke. In der anderen Zimmerecke war ein Durchgang zu einer Steintreppe, die nach unten führte. Ein eiskalter Luftzug strömte dort heulend im Treppengang und ließ Tashigi leicht frösteln. Das einzige Fenster des Raumes war in die Eingangstür eingelassen. Jedoch war es so sehr verdreckt, dass die Sicht nach draußen verhindert wurde. Der ganze Raum machte einen verlassenen und verdreckten Eindruck, als wäre bereits seit unzähligen Jahren niemand mehr hier gewesen. Merkwürdig war jedoch die kleine Lampe, die auf einer alten Kommode bei der Kellertreppe stand. In dieser flackerte eine Kerze munter vor sich her und verlieh dem Zimmer eine gespenstische Atmosphäre.

Tashigi hatte genug von unheimlichen Dingen und beschloss die Lage vor der Eingangstür in Augenschein zu nehmen. Doch es half kein Zerren und Drücken: Die schwere Holztür bewegte sich keinen Millimeter. Auch Treten, Rütteln oder Schlagen führten nicht zum gewünschten Erfolg. Selbst Kashu blieb nach einem gezielten Schlag im harten Holz der Tür stecken, so dass sie nach einer Weile sämtliche Versuche aufgab, durch diese Tür wieder ins Freie zu gelangen. Sie saß in diesem Haus fest.

Seufzend sah sie zur Treppe, die in eine unbekannte Dunkelheit führte. Ihr blieb keine andere Wahl, als durch das Haus hindurch einen anderen Ausgang finden. Sie nahm die kleine Lampe von der Kommode, sammelte ihre Sachen zusammen und tastete sich vorsichtig Stufe für Stufe hinunter. Die Stufen waren schmal und die Wände feuchtkalt. Im Gegensatz zum oberen Teil des Gebäudes war der Keller aus Naturstein gemauert. Die Lampe gab nicht genug Licht, um das Ende der Treppe zu sehen. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, doch dann endlich war sie unten angekommen und stand am Rande eines größeren Kellergewölbes mit einem Brunnen in der Mitte. Auf der anderen Seite des Gewölbes war eine einfache Tür.

Leise und unauffällig versuchte sie, das Gewölbe zu durchqueren, doch hier und da waren Wasserpfützen auf dem unebenen Steinboden, so dass sie öfters in solche hinein patschte. Die Helligkeit ihrer Laterne reichte nicht, um den Pfützen rechtzeitig ausweichen zu können.

Als sie auf Höhe des Brunnens war, stutzte sie. Frisches Blut und Wasser mischten sich, ließen aber dennoch ein Schleifspur aus Blut erkennen, die inmitten des Brunnens verschwand. Sie wollte nicht neugierig sein und eigentlich schnell diesen schrecklichen Ort verlassen, aber merkwürdigen Geräusche im Brunnen veranlassten sie schließlich, doch einen Blick in den Schacht werfen.

Jedoch war dort nichts als Schwärze und ein leises entferntes plätschern des Wasser. Sie wandte sich ab zum Weitergehen, als sie einen Sog von eisiger Kälte spürte, der aus dem Schacht langsam empor stieg und sie umschlingen wollte. Mit Sack und Pack in den Händen, rannte sie durch die Tür und eine weitere Treppe hinauf. Dort fühlte sie sich erst einmal sicher und rang keuchend nach Atem. Sie vermutete, dass sie sich nun im Inneren des Nebengebäudes aufhalten musste, denn die Außenwände waren aus Holz, wie sie es bereits kannte. Vor ihr erstreckte sich ein Gang, der zum Ende hin nach rechts wegknickte. Links entlang des Ganges vermutete sie Räume hinter der Holzwand, die durch fest verschlossene Türen vom Gang aus zu erreichen waren. Rechts war ein großer Tatamiraum, der durch Schiebetüren aus Holz und Papier in seiner Größe variabel verändert werden konnte. Sie verließ den Flur und schlenderte neugierig durch den Tatamiraum. Einige Schiebetüren waren aus ihrer Schiebevorrichtung herausgebrochen und hingen nur noch schräg und verkeilt in ihren Führungsschienen. Das Papier in den Türen war zerrissen und hing in Fetzen herunter. Vereinzelt lagen Tatamimatten aus dem Boden herausgerissen übereinander. Edle Kommoden und Truhen wurden von dicken Staubschichten bedeckt, ließen aber dennoch ihre wertvolle Herstellung erkennen. In einer halboffenen Truhe lagen hochwertige Seidenkimonos. Tashigi berührte vorsichtig den kostbar gewebten Stoff. Das herrliche Muster war handgemalt und zeigte traditionelle Szenen aus einer längst vergangenen Zeit.

Auch wenn dieses Nebengebäude vielleicht nur dem Personal als Unterkunft gedient haben sollte, so sah man trotz des Verfalls, dass hier wahrer Reichtum geherrscht haben musst. Wie mag es wohl dann erst drüben in der Villa aussehen?

Sie hatte den Tatamiraum durchquert und stand nun am anderen Ende des Flures, wo er nach rechts wegging. Erst wollte sie noch einen Blick in die anderen Räume hinter den Holztüren werfen, zwang sich dann aber doch zum Gehen. Durch eine weitere Tür am Ende des Flurs gelangte sie in ein großes Treppenhaus, welches wie ein Atrium nach oben hin geöffnet war. Die überdachte Holztreppe führte an der Hauswand hinauf und knarrte bei jedem Schritt fürchterlich. In der Mitte des Atrium wuchs Bambus wild bis in den sternenklaren Nachthimmel hinauf.

Oben angelangt, betrat sie nun die Villa. Auch hier herrschte das gleiche Bild: Zerrissene Papierwände, kostbare Möbel und Kunstgegenstände, zugige Räume, unheimliche Geräusche, Staub, Dreck und brennende Kerzen.

Tashigi überlegte, was hier in der Vergangenheit vorgefallen sein mochte. Die Villa gehörte nicht zu der Art von Gebäuden, die einfach von den Bewohner verlassen wurden. Das Haus war viel zu prächtig und prunkvoll. Vieles deutete auf eine spontane Flucht hin, denn Alltagsgegenstände waren nicht weggeräumt und Habseligkeiten nicht mitgenommen worden.

Ziellos ging sie von Raum zu Raum und sah die merkwürdigsten Sachen: Ein Puppenzimmer, Ritualräume, Schlafsräume, Arbeitsräume und viele Räume, dessen Bedeutung sie sich nicht sicher war. Manches jagte ihr Schauer über den Rücken und sie hatte das Gefühl, ständig beobachtet zu werden, doch sie konnte niemanden entdecken. Nur das ständige Knarren des Holzbodens durch ihre Schritte begleitete sie. Die Villa schien endlos viele Zimmer und Treppen zu haben. Tashigi vermutete, das dieses Haus ständig erweitert und umgebaut worden war. Es war fast nicht möglich, die Orientierung zu behalten. Sie selbst konnte nur noch schätzen, wo sie sich gerade befand.

In einem Raum mit einem offenen Kamin hielt sie inne. Die Asche war kalt, aber der Kessel hing noch über der Feuerstelle und auch noch einige Utensilien einer Teezeremonie stand neben zerschlissenen Sitzkissen auf dem Fußboden umher. Der Raum wurde am anderen Ende durch ein grobes Holzgitter abgetrennt. Das Holzgitter war so grobmaschig, dass zwar ohne Probleme ein Kopf, aber nicht ein ganzer Mensch hindurch passen konnte. Nur ein kleines Holztürchen erlaubte einen Durchlass in den hinteren Bereich, welches weit offen stand. Ein Schnappschloss mit einem kunstvoll gearbeiteten Wappen zierte das Türchen. Sie nährte sich dem Gitter, um das kleine Tor und das Wappen genauer zu erkennen. Es zeigte einen rötlichen Schmetterling. Der Raum dahinter war wie das ganze Haus mit Tatamimatten ausgelegt. Des Weiteren stand dort ein Schreibtisch mit Schreibzeug und Papier, eine große brennende Papierlaterne, wenige Gefäße, eine Truhe und Regale voll an Büchern. An der einen Wand lehnte etwas großes Flaches, was von einem schweren Stofftuch abgehängt war.

Plötzlich war sie starr vor Schreck und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Ihre Augen weiteten sich. Sie hielt den Atem an. Der Geist eines Mannes war direkt hinter dem Gitter aufgetaucht. Er trug einen alten Kimono und starrte sie an, als wäre er gestört worden. Er redete unverständliche Sätze, drehte sich dann aber weg und verschwand zwischen den Bücherregalen.

Vor Schreck war Tashigi rücklings gefallen und saß nun auf ihrem Hosenboden. Sie konnte einfach nicht glauben, was sie dort noch vor ein paar Sekunden gesehen hatte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder gefasst hatte. Ihr Blick blieb an den Büchern hinter dem Gitter hängen. Gern hätte sie in den Büchern gestöbert, denn sie erkannte sofort, dass einige eine Inventarnummer und das Siegel aus dem Weltregierungsarchiv von Marijoa trugen. Es war praktisch unmöglich, jemals in die Keller dieses Archivs zu gelangen. Selbst Smoker wurde nach seiner Beförderung zum Flottenadmiral der Zugang verweigert. Darüber hatte er sich noch wochenlang geärgert und seine schlechte Laune an der Crew ausgelassen, indem sie übertrieben häufig Manöver auf See üben und das Deck schrubben musste. Und dabei ging es doch nur um die alte Akte eines unbekannten Kleinkriminellen.

Sie nahm allen Mut zusammen, kroch durch das kleine Holztor und lugte zwischen die Regale. Der Geist schien tatsächlich verschwunden zu sein. Tief durchatmend legte sie ihren Rucksack samt Regenponcho in eine Ecke und las still die Buchtitel. Viele der Bücher handelten von Sagen und Mythen, während andere Forschungsergebnisse über die Wahrheit dieser Sagen belegten. Sie nahm ein Buch heraus, welches aus dem Regierungsarchiv stammte. Das Siegel im Buchdeckel belegte, das es aus dem Bestand der Cipherpol entnommen wurde. Anscheinend waren es streng geheime Forschungsunterlagen. An der Nummerierung erkannte sie, dass es im Jahre 722 geschrieben wurde, als die Weltregierung gegründet wurde, und nur Stammbäume und Todesdaten von Personen enthielt. Daraus wurde sie nicht schlau und nahm weitere Bücher zur Hand, dessen Titel sie interessierte. Sie vergas die Zeit und las wissbegierig unzählige Artikel. Die Legenden schien einfach zu unglaublich, als dass sie wahr sein könnte.

Sie las in einem Buch etwas von einer Todesgöttin namens Kali, die aber auch Leben geben konnte. Sie hätte wohl mindestens 6 Arme gehabt und das deren Nachfahren „Die Kinder Kalis“ genannt wurde. Sie hätten wohl keine Ähnlichkeit mit ihr, wohl aber etwas von ihren tödlichen Kräften. In einem anderen Buch fand sie etwas über das Verlorene Königreich und deren Wächter. Es war unglaublich mystisch wie eine Geschichte über ungeklärte Phänomene.

Ihre Augen wurden müde und sie beschloss, in dem Schreibtisch nach Unterlagen zu wühlen. Ihr fiel ein Tagebuch in die Hände, welches sie sofort neugierig aufschlug. Es war nicht so dick, wie die ganzen alten Wälzer im Regal und sicher würde sie auf diese Weise etwas über die merkwürdige Villa herausfinden.
 

„Tagebuch des Folkloristen Yamamoto Kentaro
 

13. Januar 1352

Heute bin ich in der Villa angekommen. Cipherpol-Agenten sperrten mich hier in diesen Raum. Meine Arbeit wäre streng geheim und sie wollen verhindern, dass ich etwas an die Außenwelt von meiner Arbeit lasse. Ich kann nur mit einem Begleiter kurz vor die Tür treten, bekomme aber jeder Zeit auf Wunsch alles Materielle, was man zum Alltag braucht. Ich bereue, dass ich das Berufsangebot angenommen habe. Ich will nach hause.
 

14. Januar 1352

Die Arbeit macht mir Spaß, obwohl es schwer ist, die alten Bücher zu lesen und auszuwerten. Meine Bewacher nerven mich, da sie jeden Handschlag von mir beobachten.“
 

Die nächsten Seiten waren unleserlich und sie blätterte weiter.
 

„23. Juli 1352

Nun bin ich schon ein halbes Jahr hier in meinem Gefängnis, aber die Cipherpol ist mit mir zufrieden. Ich bin aber nicht zufrieden! Es müsste schon Sommer sein, doch davon bekomme ich in meinem fensterlosen Raum nichts mit. Je mehr ich in den Büchern lese, desto depressiver werde ich. Ich habe schlimme Alpträume, die ich nicht verstehe. Die Wärter vor meiner Tür lachen über mich und machen böse Witze, indem sie mir von Geistern erzählen und Schabernack treiben“
 

Tashigi blätterte weiter, denn es war weiter nichts interessantes geschrieben. Der Autor berichtete weiterhin von seinen Alpträumen, seiner Platzangst und seinem Heimweh. Erst als sich die einst so schöne Schrift in ein ängstliches Gekritzel änderte, las sie weiter.
 

„29. März 1355

Ich weiß nicht mehr, wie spät es ist und ob wir Tag oder Nacht haben! Ich werde wahnsinnig! Ich habe nur noch Alpträume und böse Dämonen namens Asura terrorisieren mich. Ich kann nicht mehr! Ich habe ein kleines Rätsel gelöst und werde damit das große Rätsel lösen! Die Weltregierung hat ein böses Geheimnis!

Mein kleines Rätsel ist die Camera Obscura. Mit ihr sieht man Dinge, die das menschliche Auge nicht sieht. Man kann mit ihr Geister auf einen Film bahnen und auf Zelluloid für immer und ewig festhalten. Der Geist ist gefangen und vernichtet.

Ich habe den letzten Film entwickelt und die Fotos in die Fotokiste gelegt.
 

30. März 1355

In dieser Nacht waren die Alpträume sehr schlimm. Die Kinder Kalis haben mich in den Träumen besucht. Sie sind die Wächter des Verlorenen Königreichs. Sie werden kommen! Sie werden hier alles vernichten! Ich habe solche Angst! Ich will raus aus meinem Gefängnis! Hilfe!
 

31. März 1355

Sie sind da! Ich höre sie langsam durch die Villa schleichen und alle töten! Kalis Kinder wollen Rache! Die Weltregierung hat sie einst töten lassen! Aber sie sind zurückgekehrt! Sie sind hier! Ich sitze hier fest! ICH KANN NICHT RAUS! SIE SIND DA!“
 

Das war der letzte Eintrag im Tagebuch und die Schrift endete in einer panischen Kritzelei. Tashigi beschloss, die Aufzeichnungen einzustecken. Vielleicht würde hier irgendwo diese Zauberkamera sein. Liebend gern hätte sie gewusst, wie ein fotografierter Geist aussah. Mit etwas Quetschen und Drücken verschwand das Tagebuch in ihrem Rucksack. Sie wandte sich der Truhe zu und wurde fündig: Die Fotokiste und die Camera Obscura lagen in ihr. Selbst ein neuerer Film schien noch in der Kamera zu sein. Sie öffnete die Fotokiste und entnahm eine Handvoll Aufnahmen. Auf den Bildern waren ganz normale Menschen jeden Alters. Manche Gesichter konnte man erkennen und mache waren vollkommen entstellt. Teilweise war es ein schauerlicher Anblick. Auf der Bildrückseite fand sie jeweils ein Datum und kurze Notizen wie „Gefunden und getötet“ oder „ohne Macht“. Das sollten die Kinder Kalis sein? Sie sahen alle nicht gefährlich aus. Sie hatten auch kaum Ähnlichkeiten untereinander. Vermutlich waren hier unzählige Generationen abgebildet und mit jeder Generation wurden es mehr Nachfahren, die nur noch über unzählige Ecken mit der Todesgöttin verwandt sein könnten. Aber war das nicht einfach nur eine alte dumme Legende? Fast alle Bilder waren vergilbt, eingerissen und geknickt, denn sie waren schon mehr als 300 Jahre alt. An den Daten erkannte Tashigi, dass sich die Todestage der Abgebildeten alle in einem bestimmten Jahr ballten. Die Weltregierung hatte also Jagd auf diese Gotteskinder gemacht und sie radikal vernichten wollen. Der Höhepunkt dieser Hetzaktion war um das Jahr 1211 gewesen. Ob jemals jemand entkommen war? Sie betrachtete noch einmal eingehend die Bilder. Nein, man konnte sie nicht von normalen Menschen unterscheiden, oder etwa doch? Ja, da war etwas! Sie blätterte alle Bilder mehrmals durch. Weißgrün, grün, blaugrün, gelbgrün, graugrün, ... Alle waren ausnahmslos grünhaarig in allen erdenklichen Farbschattierungen.

In Tashigi stieg Panik auf und sie griff nun auch nach den restlichen Fotos in der Kiste. Sie waren alle ebenso alt, wie die Bilder, die sie bereits gesichtet hatte, doch ganz unten lag eines, was sich von den anderen unterschied: Es war brandneu!

Unter Schock nahm sie das Bild und starrte auf eine ihr wohl bekannte Person. Die Aufnahme war aktuell. Daran war kein Zweifel zu erkennen. Wie in Trance drehte sie das Bild um und las: „11.11.1503 - TÖTET IHN!“

Das Foto fiel aus ihrer Hand im Zeitlupentempo und segelte wie ein Laubblatt im Herbst zu Boden. Wer hatte das Bild fotografiert? Woher wusste man schon vor 19 Jahren wie er heute aussah? Wusste er davon, eines von diesen Kindern zu sein? War er überhaupt ein Nachfahre Kalis? Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf. Sie erinnerte sich an seine roten Augen und daran, dass er den Fischer als Geist sehen konnte. Sie hatte das Gefühl wahnsinnig zu werden. Vollkommen fertig mit den Nerven brach sie zusammen. Erst das laute Schlagen einer Tür brachte sie dazu, sich aus ihrem Schockzustand zu befreien. Die kleine Tür im Holzgitter war durch Geisterhand zugefallen und das Schloss eingerastet. Tashigi fühlte sich wie in einem schrecklichen Alptraum. Sie hatte ein böses Rätsel der Weltregierung gelöst, aber nun war sie gefangen. Niemals würde es jemand erfahren. Sie saß definitiv in dieser Villa und diesem Käfig fest wie einst der Folklorist. Ihr Glaube an die Weltregierung und die Marine war zutiefst erschüttert. Sie hatte das Gefühl, jahrelang für ein schreckliches Horrorregime gearbeitet zu haben, welches sich zynisch „Gerechtigkeit“ auf ihre Fahnen schrieb. Welche verdammte Gerechtigkeit?

Als sie die Fassung wiedererlangte, räumte sie die Bilder wieder in die Kiste, bis auf das eine Foto. Das ließ sie in ihrem Rucksack zwischen den Seiten des Tagebuchs verschwinden. Mit der Kamera in der Hand legte sie sich auf einen dünnen Futon und deckte sich mit dem dreckigen Poncho zu. Ihr war kalt und die Müdigkeit ergriff langsam Besitz von ihr. Sie sah keinen Ausweg mehr.

10 - Spiegelwelten

Missmutig stapfte Zoro durch die verfallene Villa. Der Raum, der zu Beginn der Entdeckungsreise seine unfreiwillige Aufmerksamkeit erregt hatte, entpuppte sich lediglich als langer Flurgang, der sich in seiner Mitte jeweils rechts und links rechtwinklig verzweigte und nach allen Richtungen vollkommen identisch aussah: Auf dem Holzfußboden standen brennende Kerzen, um die Wege zu den Türen am jeweiligen Ende eines Abzweiges zu beleuchten. Er hatte den Flur „Blutige Kreuzung“ getauft, denn als er beim ersten Mal durch die Tür zur Kreuzung trat und in den Gang spähte, fiel ein geköpfter Geist in Marineuniform gekleidet aus dem Dachgebälk herab, schlug auf dem Boden auf und verschwand in einer großen Blutlache im Fußboden. Der Kopf flog wenige Sekunden später hinterher, murmelte verzweifelte Worte und löste sich dann wie alles übrige vom Geist in Luft aus. Zoro hatte verwundert die Szenerie betrachtet, aber ihr erst mal keine weitere Bedeutung beigemessen. Seit die Geistervisionen sich vor seinen Augen mehrten, musste er damit beginnen, sie zu akzeptieren. Die Geister waren teilweise zum Zeitpunkt ihres Todes oft übelst entstellt. Es starb also kaum jemand still und leise im friedlichen Schlaf. Zu Beginn war es ihm unheimlich gewesen und er hatte alles nur für Einbildung oder einen Alptraum gehalten, aber die Visionen verschwanden nicht und wurden stärker, je mehr sie sich dem Ende der Grandline näherten.

Etwas schlimmes musste einst in diesem Haus geschehen sein. Das stand für ihn zweifelsohne fest, doch es ging ihn nichts an. Man sollte seine Nase nicht überall hineinstecken.

Er hatte ohne großes Überlegen einen von den Abzweigungen gewählt. Nach vielen weitern Räumen, treppauf und treppab, war er jedes Mal wieder wie auf einem Rundgang zur blutigen Kreuzung zurückgekehrt. Überall bot sich in dem Gebäude dasselbe Bild: brennendes Licht, verwahrloste Räume und verstaubtes Mobiliar. Oft heulte der Wind schaurig durch die Villa, trieb loses Papier aus den kaputten Wänden vor sich her und machte unheimliche Geräusche. Der knarrende Fußboden ergänzte die Geräuschkulisse unheilvoll und wirkte nicht sonderlich gemütlich. Irgendwann hatte er genug, setzte sich inmitten der Kreuzung im Schneidersitz auf den Fußboden und dachte nach. Er ärgerte sich über seinen schlechten Orientierungssinn, der ihm nicht den Gefallen tat, seine Wege durch das Haus logisch zu rekonstruieren, um sich daraus einen möglichen Lageplan im Kopf zu erstellen. Der Gang hinter im führte in den Eingangsbereich, der Gang vor ihm einen Essensraum mit Feuerstelle und dann über eine Treppe nach oben in Privaträume. Oder war es doch der Gang nach links? Der Gang nach rechts führt auf jeden Fall in ein Treppenhaus nach oben. Oder so ähnlich. Er war und blieb in Sachen Orientierung einfach ein hoffnungsloser Fall.

Etwas an diesem ganzen Villenlabyrinth war dennoch merkwürdig. Wenn man diese Haus als Gast betreten und dieselben Weg wie er abschreiten würde, dann würde man einen Rundgang machen, jedoch nur durch die linken Haushälfte. Wie käme man in die rechte Haushälfte? Er war sich trotz seines Orientierungshandicaps absolut sicher, dass er noch nicht in der rechten Haushälfte war. Es sah von außen nicht nach einem zweiten Haupteingang aus. Lediglich konnte er sich an die kleine Tür im Nebengebäude erinnern. Wenn man also in alle Bereiche der Gebäudes vordringen wollte, dann müsste es irgendwo Verbindungsgänge oder versteckte Eingänge von außen geben. Wo mochten diese sein?

Während er über diese Tatsache grimmig vor sich her grübelte, drang plötzlich ein leises Wimmern an sein Ohr. Es wurde stärker und stärker. Es klang nach dem Wimmern und Schluchzen eines kleinen Mädchens, welches langsam den Flur hinunter ging. Lediglich die blutigen Fußabdrücke zeichneten sich deutlich ab und führten zielstrebig an ihm vorbei. Er spürte eisige Kälte, als die Fußabdrücke auf seiner Höhe waren. Plötzlich wich die Spur aber von der Geradlinigkeit ab und ging schnurstracks auf die Mauer zu. Dann verschwand sie. Eine Geheimtür? Das hatte er doch insgeheim gesucht!

Er sprang auf und klopfte die Wand ab. Tatsächlich klang sie hier hohl und ließ auf einen weiteren Raum oder Gang schließen, doch wie war der Mechanismus zum Öffnen der Geheimtür? Er lehnte sich vorlings auf beide Hände gestützt gegen die Wand und murmelte konzentriert: “Komm, erzähl mir was!“ Natürlich gab die Wand nichts von ihrem Geheimnis weiter und schwieg wie ein Grab. Er spürte, wie nach einer Weile ein Brett im Boden leicht nachgeben: ein Tretmechanismus! In dem Augenblick, wo er nach unten zu seinen Füßen sehen wollte, erstarrte er. Zwischen seinem Körper und der Wand stand ein kindlicher Geist mit kinnlangen schwarzen Haaren. Das Mädchen hatte eine schneeblasse Haut und sah ihn mit großen dunklen Augen direkt ins Gesicht. Er wollte zurückschrecken, als plötzlich die Wand nachgab und wie eine Klapptür in den dahinterliegenden Raum schwank.

Er stolperte in eine Art Anmeldezimmer und kam vor einem Empfangstresen zum Stehen. Zerfledderte Akten und eine blutbeschmierte Besucherliste lagen offen dar, und die Stühle hinter dem Tresen waren zerschlagen. Er warf einen Blick auf die Gästeliste und stellte fest, dass hier Cipherpol-Agenten ein- und ausgingen. Der letzte Eintrag war vom 31. März 1355, enthielt aber nur die morgendliche Wachablösung. Interessant! Die Weltregierung hielt hier also in dieser Villa getarnt einen geheimen Sitz. Jedoch musste dieses Versteck aufgeflogen oder irgendjemanden ein Dorn im Auge gewesen sein, denn je mehr er in diesen Teil des Gebäudes vordrang, desto mehr sah es nach einem überfallartigen Blutbad aus: Umgestürzte und gefilzte Aktenregal, zertrümmerte Schreibtische und zerrissene Papierwände. Es war schauderlich, aber nichts, was Zoro nach all den Jahren und Kämpfen fremd gewesen wäre. Da hatte er einfach in seiner Vergangenheit schon zuviel leidvolles und schlechtes gesehen und erlebt.

Er ließ den Komplex mit den Arbeits- und Büroräumen hinter sich und betrat durch eine zersplitterte Tür wohl den Schlafbereich, denn hier war eine riesige Tatamihalle, die durch Schiebtüren beliebig abgetrennt und unterteilt werden konnte. Futons lagen wahllos umher und waren zum Teil aufgeschlitzt.

Das Wimmern war wieder zu vernehmen und die roten Fußabdrücke führten zu einer kleinen Wendeltreppe hinauf. Zoro entschied sich, dies als Aufforderung zu sehen, erklomm die Treppe und schlüpfte vorsichtig durch einen Vorhang hindurch. Vor ihm erstreckte sich ein Zimmer mit einem Kamin samt zurückgelassenen Teezeremonieutensilien, und an der gegenüberliegenden Seite trennte ein Holzgitter eine Bücherecke vom restlichen Zimmer ab.

Als er hinter dem Gitter die schlafende Tashigi entdeckte, lief er darauf zu. Er rief sie beim Namen und berührte das Holzgitter mit seinen Händen, als in plötzlich eine Vision durchfuhr. Innerhalb von Sekunden sah er Bilder und schlussfolgerte, dass dieses Holz verflucht und nicht zu zerschlagen wäre. Er ließ los und hockte sich vor die kleinen Tür mit dem Schmetterlingsschloss.

„Tashigi, wach auf!“ rief er sie nun lauter und kräftiger an, wodurch sie tatsächlich wach wurde. Sie zuckte zusammen, als sie ihn sah und setzte sich sofort verängstigt auf, denn die Geschichte mit den Kindern Kalis spukte ihr noch im Kopf umher.

Er konnte ihre Angst angesichts dieser Hexenhütte, in der sie sich befanden, gut nachvollziehen und redete mit leiser ruhiger Stimme auf sie ein: „Tashigi, ich bin’s wirklich. Was machst du hier?“

Ihr Angst wich, als sie den Kratzer auf Zoros Wange sah. Den hatte sie ihm verpasst, also log er wohl auch nicht. Ihr Gesicht nahm wieder etwas Farbe an. Mit der Kamera in der Hand krabbelte sie langsam zum Gitter auf Zoro zu. War er als Freund oder Feind hier? Das Foto von ihm aus der Fotokiste machte sie misstrauisch.

„Bist du in Ordnung? Warum bist du am See einfach weggerannt?“ Seine Stimme war immer noch ruhig und es lag kein Vorwurf über ihre Entscheidung darin.

„Nichts ist in Ordnung! Das Haus macht mir Angst! Und ich bin hier drin eingesperrt! Ich habe keinen Schlüssel ...“, sprudelte es verzweifelt aus ihr heraus.

„Dumme Nuss, du ziehst wirkliches jedes Pech magisch an wie der Misthaufen die Fliegen“, Zoro musste grinsen und beobachtete, wie sie leicht verlegen rot wurde und ihr Gesicht zur Seite drehte. Sie starrte auf den Boden und rang nach einer leisen Antwort.

„Nenn’ mich nicht immer dumme Nuss, es tut mir leid, dass ich dir so viel Ärger mache, aber hol’ mich bitte hier raus. Bitte!“ Kleinlaut verbarg sie ihr Gesicht in ihren Händen. Er sollte nicht schon wieder sehen, dass sie mal wieder heulte und bereits die erste Träne den Weg über ihre Wange suchte. Aber er hatte es gesehen.

Er versuchte sich sein Grinsen zu verkneifen. Es war aber nicht sein fieses, abwertendes Grinsen, sondern eine Bestätigung seiner selbst, dass er sie seit jeher richtig eingeschätzt hatte. Ihre Hochmut, ihr Stolz und ihre Stärke war nichts weiter als Fassade, doch dahinter war sie klein, verlassen und zerbrechlich. Auch hier stand sie Kuina in nichts nach. Ihr Maske war in den letzten zehn Tagen ihrer Reise zerbröselt und gefallen. Nun saß sie dort schutzlos und ängstlich und flehte ihn um Hilfe an. Damals wäre sie nie über ihren Schatten gesprungen, um so etwas zu tun. Vielleicht würde sie nun doch endlich ihr Verhalten ändern oder wenigstens überdenken. Er verkniff sich weitere verbal-böse Seitenhiebe ihr gegenüber und wechselte schnell das Thema:

„Na schön, Süße! Dann pass mal artig auf meinen Kram auf und ich suche den Schlüssel!“ Er quetschte seinen Rucksack und den Poncho durch das Gitter, so dass diese auf der anderen Seite auf den Boden plumpsten und Staub aufwirbelten. Zynisch überlegte er laut: „Es ist die Stecknadel im Heuhaufen. Wie sieht der Schlüssel aus? Hier gibt es sicher Dutzende.“

Peinliches Schweigen umgab sie, bis Tashigi ein blaues Leuchten an der Kamera entdeckte. Sie sah durch den Sucher und je näher sie dem Schloss kam, desto blauer leuchtete der Sucher auf.

„Die Kamera leuchtet...“, sagte sie überrascht.

„Ja, und?“ Zoro verstand nicht, was sie mit der alten Knipskiste wollte und wie sie damit eine Lösung für das Problem finden könnte.

„Die Kamera macht Dinge sichtbar, die man mit dem Auge nicht sieht. Das hab ich hier gelesen“, antwortete sie ihm und rutschte so weit, dass sie halbwegs durch das Gitter gelehnt nun das Schloss von vorn im Kamerasucher hatte. „Hilf mir mal! Ist das Schloss ganz im Sucher drin?“

Er zog eine Augenbraue hoch, folgte aber widerwillig ihrer Anweisung und rutschte nun ebenfalls nah an das Gitter, um durch die Kamera zu sehen. Er nickte und sie drückte ab. Gebannt starrten sie gemeinsam auf die Anzeigenvorschau. In der Mitte des Bildes überlagerte sich langsam ein anderes Bild. Ein fremder Ort wurde sichtbar: ein Atrium mit Treppenhaus und meterhohem Bambus.

Tashigi gab an, dass sie dieses Atrium kennen würde und beschrieb Zoro möglichst einfach den Weg. Sie vermutete, dass dort sicherlich der Schlüssel zu dem Schmetterlingsschloss sei und zog ihren Arm samt Kamera wie durch das Gitter zurück. Sicherheitshalber erkundigte sie sich ein weiteres Mal bei Zoro, ob er auch wirklich den Weg finden würde. Er wiederholte genervt noch mal ihre Wegbeschreibung und lehnte seine Stirn gegen das Gitter. Eindringlich sah er sie an und versprach sich zu beeilen. Dann stand er auf und verschwand so schnell wie er gekommen war in den Verwinkelungen der Villa.

Eine lange Zeit verweilte sie noch an dem Gitter und hoffte, dass er den Weg und den Schlüssel schnell finden würde und schöpfte wieder Hoffnung.

Neugierig untersuchte sie die Kamera und betrachtete die Umgebung durch den Sucher. Das blaue Leuchten bei dem Türschloss war verschwunden und auch bei den Regalen oder dem Schreibtisch schlug die mysteriöse Kamera nicht an. Es war ein unglaubliches Ding und an der obigen Anzeige vermutete sie, dass der Film sicher noch nicht voll wäre. Das Gehäuse wog sichtlich ein gutes Kilogramm und die Objektive schimmerten in allen Farben des Regenbogens. Einige Funktionen an der Kamera konnte sie sich allerdings nicht erklären. Sie legte den Apparat beiseite, um Zoros Rucksack zu bergen. Ordentlich räumte sie seine und ihre Sachen in eine Ecke nahe des Schreibtisches und überlegte dann, wie sie sich die Zeit vertreiben könnte. Ihr Blick schweifte an den Büchern entlang, aber sie verspürte keine große Lust zum Lesen und blieb dann mit ihren Gedanken an dem großen tuchverhangenen Gegenstand hängen. Vorsichtig näherte sie sich dem großen Unbekannten und zog das Tuch herunter. Es war ein Spiegel mit einer schönen Hand geschnitzten Holzverzierung als Rahmen. Mit den Fingern glitt sie über die Schnitzereien und entdeckte kunstvolle Schmetterlinge in dem schwarzen Holz. Ein wahres Meisterwerk. Der Künstler musste einst sein Handwerk vorzüglich verstanden haben.

Sie musterte ihr Spiegelbild und stellte fest, dass sie furchtbar aussah. Ihre Haare waren strubbelig und fettig, auf ihrer blassen Haut klebte dunkler Dreck und ihre Augen waren rot vom Heulen und wurden von dicken Augenringen umrandet. Zoro musste bei ihrem Anblick vorhin einfach Mitleid bekommen haben. Sie glich einem Häufchen Elend. Mit dem Gefühl, dass ihr Spiegelbild nicht ganz klar und sauber abgebildet wurde, griff sie instinktiv zur Kamera. Tatsächlich leuchtete der Sucher blau und das geschossene Foto zeigte ein junges Mädchen im Spiegel, welches ihr selbst zum Verwechseln ähnlich sah. Erst glaubte sie, sie wäre es selber in jungen Jahren, jedoch blieb sie skeptisch. Sie sah nun wieder direkt zum Spiegel und so entging ihr, dass der Sucher weiterhin blau leuchtete. Ihr eigenes Spiegelbild war nun gänzlich verschwunden oder war sie das doch? Nein, das konnte nicht sein. Das Spiegelbildmädchen musste ungefähr im Alter von zwölf Jahren sein, hatte blasse Haut und kinnlanges schwarzes Haar. Die Kamera verlor das blaue Licht und wechselte zu gelb über.

Wie angewurzelt starrte Tashigi auf das Mädchen im Spiegel, welches nun zu sprechen begann und als Geist aus der Spiegelfläche heraustrat, als wäre es eine normale Zimmertür.

„Endlich begegnen wir uns! Seit ich von dir weiß, habe ich dich gesucht. Ich hatte aber mehr von dir erwartet.“ Der kleine Geist rümpfte die Nase, sah Tashigi von oben bis unten an und fuhr verbittert fort:

„Es ist wirklich nicht fair, dass so jemand wie du leben darfst und ich nicht! Was fällt dir überhaupt ein, dich einzumischen!“ Den letzten Teil hatte das Geistermädchen vorwurfsvoll raus geschrieen.

Die Marinesoldatin hatte die Sprache wiedergefunden und fragte ängstlich: „Ich kenne dich nicht und weiß nicht, wovon du redest.“

„Ha, du weißt es nicht? Du bist echt dumm!“ warf das Mädchen ihr vor. „Dann pass mal auf. Mein Name ist Kuina, aber das brauchst du dir nicht lange merken. Du lebst eh bald nicht mehr. Zoro und ich hatten einst einen Schwur. Doch jetzt mischst du dich ein. Was glaubst du, wer du bist. Zoro ist MEIN bester Freund!“

„Du-u kann-st ihn gern behal-ll-ten! Ich wi-ll ihn gar nicht ha-ben!“ stotterte Tashigi, die rückwärts Kuina auswich und sich nun dank ihrer zwei linken Füße auf den Hosenboden gesetzt hatte.

„Pff, dein Herz sagt aber etwas ganz anderes“, zischte Kuina. „Du bist durchschaut!“

Das war also diese ominöse Kuina, Zoros beste Freundin. Die Ähnlichkeit war wirklich verblüffend zwischen ihnen. Sie schien sauer, aufgebracht und eifersüchtig zu sein. Obendrein war sie recht arrogant und hochnäsig. Wie konnte er diese Zicke als beste Freundin bezeichnen? Aber vielleicht wurde man automatisch so, wenn man schon sehr jung starb und vieles nicht mehr zu Lebzeiten vollbringen konnte. Noch eine ganze Weile hagelte es aus Kuinas Mund Vorwürfe und Beleidigungen, aus denen die Marinesoldatin nicht schlau wurde. Doch der letzte Satz traf sie wie ein Schlag in die Magengrube:

„Wir sind Zwillinge! Wenn du tot bist, dann übernehme ich deinen Körper und alles wird wieder wie früher!“

„Du bist total durchgeknallt!“ schrie Tashigi, immer noch die Kamera in den Händen, als ihre Schwester wie ein Blitz auf sie zuflog, um sie zu töten.

Plötzlich klingelte an der Kamera gellend eine kleine Alarmglocke, ein rotes Lämpchen blinkte wild und der Sucher verfärbte sich von gelb zu einem orangenfarbigen Kreis. Geistesgegenwärtig drückte die Marinesoldatin auf den Auslöser mit der Hoffnung, ihr Leben retten zu können. Ihre Schwester schrie schrill auf und zuckte zusammen. Spirituelle Energie floss der Kamera zu und wurde auf Zelluloid gebannt. Kuina kauerte entkräftet am Boden kurz vor dem Spiegel. Ihr Blick war finster und sprach mit unheilvoller, dunkler Stimme: „Wir sind noch nicht fertig!“

„Verschwinde!“ Mit der gelbleuchtenden Kamera vor sich zwang Tashigi ihre Schwester zurück in den Spiegel. Kaum war diese durch die Spiegeloberfläche entschwunden, ging die Kamera aus. Der Spuk war vorbei und der Spiegel zeigte wieder das normale Spiegelbild.

Wir sind Zwillinge? Das kann doch gar nicht sein. Oder doch? Tashigi erholte sich nur langsam von dem Schock und schüttelte den Kopf. Zu viele Informationen waren in den letzten Stunden auf sie eingeprasselt. Als Säugling war sie von einem Bergungskommando der Marine gefunden worden. Ein Seebeben hatte ihre Heimatinsel im East Blue untergehen lassen und viele Einwohner dabei umkommen lassen. Die Überlebenden waren auf die nahgelegene Redline geflohen. Da sie als Baby niemand ihre Herkunft verraten konnte, fanden sich keine ihrer leiblichen Angehörigen. Vermutlich hielten ihre Eltern sie für Tod oder waren selbst ums Leben gekommen. Vielleicht ging auch deren Suchantrag im Chaos der Marineleitstelle unter. Also wuchs sie in einem Waisenheim und dann im Ausbildungscamp der Marine auf, wo sie auf Smoker und Hina traf und nach Loguetown kam. Seitdem waren Smoker und die Marine ihre Ersatzfamilie. Sie kannte seit Lebzeiten nichts anderes und hätte daher niemals an der Marine gezweifelt. Wenn Kuina tatsächlich die Wahrheit gesagt hätte, dann könnte sie selbst mit einem Mal viel über ihre wahre Herkunft und ihre richtigen Eltern erfahren. Ob sie wohl noch irgendwo leben würden? Und sie wusste auch schon, wenn sie dafür löchern würde, wenn er jemals den Schlüssel und den Weg finden würde: Zoro!

11 - Der Ort unseres Versprechens

Die Wegbeschreibung von Tashigi klang leicht. Nur bis zum Ende des Ganges und dann rechts durch die zweite Tür. Oder war es links durch die erste Tür? Oder doch rechts? Links? Rechts? Zoro musste sich allmählich entscheiden, denn der Flur würde in wenigen Schritten enden. Die ersten Meter war er gegangen, doch böse Vorahnungen trieben ihn nun im Laufschritt den Gang hinunter. Ach, verdammt! Rechts rum! Er riss die Tür auf und stand tatsächlich vor einer hinabführenden Treppe in dem von ihr beschriebenen Atrium. Misstrauische beäugte er den Innenhof. Er hatte eine quadratische Form und die überdachte Holztreppe führte an der hölzernen Außenwand über zwei Hausinnenecken vorbei hinab. Sie endete auf einem schiefen Brettergang, der sich ebenfalls an der Hausaußenwand entlang zog und zur Mitte hin von einem dünnen Geländerzaun eingefasst wurde. Gegenüber der untersten Treppenstufe führte eine einzige Tür in das Nachbargebäude. Ihr entgegen war ein kleiner Durchgang im Zaun und gab den Weg über einen Trittstein in die Mitte des Atriums frei. Dort wuchs neben einer alten Steinlaterne der Bambus mit seinen dicken Rohren bis hoch in den Nachthimmel hinauf.

Einen kurzen Moment beobachtete er die Bambuskrone, die man in der Dunkelheit nur schwer erahnen konnte und im leichten Wind hin- und herwiegend raschelte. Bis auf das feine Rauschen der Blätter herrschte eine bedächtige Stille und Dunkelheit. „Die Ruhe vor dem Sturm“, mutmaßte Zoro in seinen Gedanken. Dann ging er bedächtig und leise die Treppe hinab und schätze den Ort nach möglichen Verstecken für einen Schlüssel ab. Er könnte zwischen dem Bambus vergraben sein oder in einem der Zwischenräume unter den Bohlen des Ganges liegen. Vielleicht war er auch nur zwischen die Ritzen der Treppenstufen geschoben worden. Die Steinlaterne im Atrium war erloschen und rückte somit auch in den Fokus aller möglicher Verstecke. Die Vielzahl der Möglichkeiten waren unendlich, zumal man nur schemenhaft irgendetwas in dieser dunklen und beengten Umgebung sah. Mit verschlossenen Augen und verschränkten Armen vor der Brust stand Zoro nun bei dem Durchgang im Zaun, und lauschte andächtig den Stimmen seiner Umgebung. Der Wind pfiff an den Wänden entlang, schlängelte sich wie eine Windhose am Bambus empor und zog sachte an seiner Kleidung. Die Blätter raschelten aufgeregt und das Holz knarrte trocken. Eisige Kälte kroch langsam auf ihn zu, als würde sich ihm jemand von der Seite her nähern. Eine kindlich-naive Stimme riss ihn aus seiner Konzentration: „Suchst du den hier?“

Langsam öffnete er die Augen. Ohne auch nur eine weitere Regung zu zeigen, fragte er trocken zurück:„Was sollte das vorhin an der Geheimtür?“

„Och, hab’ ich dich erschreckt? Das tut mir aber leid!“ In ihrer Stimme schwappte ein Hauch von Hohn, den Zoro nicht so recht einzuordnen vermochte. Er entschied sich, erst einmal auf Distanz zu bleiben und beobachtete sie scharf aus den Augenwinkeln. Eine transparente Geistererscheinung stand dicht an seiner Seite und hielt ihm in der erhobenen ausgestreckten Hand den Schmetterlingsschlüssel entgegen. Es war tatsächlich der Geist von Kuina. Genau so, wie sie dort stand, hatte er sie in all seinen Erinnerungen behalten. Die großen Kulleraugen, die helle Haut und das hübsche Gesicht eingerahmt von ihren dunklen kinnlangen Haaren. Scheinbar hatte sich nichts verändert. Er überlegte, was sie an diesem schrecklichen Ort täte und warum sie ihn mit dem Schlüssel provozierte, anstelle ihn ihm einfach zu übergeben. Da musste ein Haken an der Sache sein. Ihr zugewandt ging er in die Hocke und war nun auf exakter Augenhöhe. Sie hatte den Schlüssel in der Faust zu sich an den Oberkörper gezogen und sah ihn triumphierend an.

„Was soll das?“ fragte Zoro mit leicht gereizter Stimme. Kuina aber lachte nur, drehte sich weg und lief einige Meter davon: „Hol’ ihn dir doch! Du bist sowieso zu langsam! Wie immer!“

Über soviel Frechheit grinsend konnte er nur noch den Kopf schütteln. Nein, sie hatte sich nicht verändert. Sie konnte traurig und verletzt sein, aber auch arrogant und überheblich. Diesen Satz hatte er sich Dutzende Male von ihr anhören müssen. Eigentlich genau 2001 Mal. Immer dann, wenn er gegen sie verloren hatte. Er sah ihr nach, wie sie davonlief. Mit jedem ihrer Schritte kehrte die Vergangenheit zurück und eine nächtliche Wiese breitete sich zu ihren Füßen aus umringt von Wald, in dem die Bäume im Wind rauschten und stumme Zeugen waren. Über ihnen leuchtete der Vollmond und bescherte dem Ganze eine geheimnisvolle Stimmung. Das Atrium war längst in eine andere Welt entschwunden und dieser neue Ort hatte sie ganz gefangen. Er kannte diesen Ort sehr gut. Einst hatten sie sich beide genau hier ihr Versprechen gegeben, die besten Schwertkämpfer der Welt zu werden. Innerlich wünschte sich Zoro, er könnte einfach von diesem Ort zurück in die reale Welt weglaufen. Er hasste jegliche Art von Erinnerungen an seine Kindheit, die mit Kuina zusammenhingen. Der Verlust war damals wie heute äußerst schmerzlich für ihn.

Die eisige Kälte näherte sich ein weiteres Mal und plötzlich stand das Mädchen wieder vor ihm. Sie fragte ihn, ob er denn gar nicht an dem Schlüssel interessiert wäre. Anstelle einer Antwort erhielt sie nur einen prüfenden Blick von oben herab, denn Zoro hatte sich aus der Hockposition längst wieder erhoben und beobachtete skeptisch das Geschehen.

Sie ließ ihren Blick an ihm hochfahren, denn sie kannte ihn nur von damals, als er noch jünger war. Es erstaunte sie, wie sehr er sich doch verändert hatte. Es gab kaum mehr eine Ähnlichkeit. Allein an den grünen Haaren und dass er ihr Schwert trug, erkannte sie, dass er es wirklich war. Der rotzfreche kleine Junge mit der schnellen vorlauten Klappe war verschwunden. Es lagen zehn Jahre verstrichene Zeit zwischen ihnen. Früher hatte sie einst zu ihm herab sehen müssen, denn er war mindestens einen Kopf kleiner gewesen als sie. Nun war es umgekehrt, denn er war um einiges gewachsen und überragte sie um mindestens anderthalb Köpfe. Vor ihr stand ein erwachsener wortkarger Mann, an dem bereits jetzt schon das Leben sichtbare Spuren hinterlassen hatte. Durch sein offen getragenes Hemd sah sie auf seinem durchtrainierten Körper die große Narbe. Ohne Zweifel stammte diese Narbe von Mihawk. Das spürte sie. Wut und Enttäuschung machten sich in ihr breit und Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie schluchzte. Es war dasselbe Schluchzen, wie er es schon vorher bei den blutigen Fußabdrücken gehört hatte.

Zoro verkniff sich einen Seufzer. „Warum heulst du jetzt?“

„Du hattest verloren, stimmt’s? Wir hatten uns doch was geschworen. Hast du das vergessen? Du schaffst das einfach nicht. Ich hätte den Schwur schon längst eingelöst. Ich hatte so an dich geglaubt!“ Er verzog genervt das Gesicht. Oft hatte er gehofft, er würde sie noch einmal wiedersehen können, aber so hatte er es sich nicht vorgestellt. Da trainierte er sein Leben lang hart, zog um die ganze Welt, um Mihawk zu finden und musste sich nun Vorwürfe und Selbstmitleid anhören. Das konnte heiter werden. Und es wurde heiter, denn Kuina war noch lange nicht fertig. Sie klagte über ihren frühen Tod und das sie sicher vieles mit ihrer Schwertkunst erreicht hätte, wenn sie noch am Leben wäre. Längst hätte sie sich schon ihren Traum erfüllt und es allen Neidern und Dummschätzern gezeigt. Zwischendurch fand sie immer wieder Erwähnungen, wie sehr sie doch von Zoro enttäuscht wäre. Sie beschuldigte ihn gar, dass er wohl nicht mehr interessiert wäre und das Versprechen vergessen hätte. Ihr Monolog beanspruchte eine ganze Weile und in ihm begann es zu brodeln. Wut stieg in ihm langsam aber kontinuierlich hoch, denn solche Anschuldigungen hatte er wahrlich nicht verdient. Er rang um Beherrschung und wollte sie keinesfalls anschreien, um ihr seinen Standpunkt klar zu machen. Sie würde es vielleicht nicht verstehen, dass sich die Welt und das Leben gewaltig verändert hätten. Aus Kinderträumen war nun der Ernst des wahren Lebens geworden und dieser Ort ihres Versprechens lag weit entfernt irgendwo in einem Kaff am East Blue, von wo die Welt aus Kinderaugen noch so naiv, klein und unbeschwerlich aussah. Kuina hatte nie mehr von der Welt als Shimotsuki-Mura zu sehen bekommen.

„Gib mir mein Schwert zurück! Es ist deiner nicht würdig!“ sagte sie mit verbitterter Stimme. Für ihn war in diesem Moment das Maß mehr als gestrichen voll. Er hatte sich wirklich nichts vorzuwerfen und war sich keiner Schuld bewusst. Aber nein, er wollte keinen Streit vom Zaun brechen. Er kannte sie viel zu gut, um zu wissen, dass ein Streit bei ihr nichts bewirken würde. Im Gegenteil: Sie würde noch wütender und verbitterter werden. Irgendwo konnte er ihren Schmerz jedoch verstehen. Sie war tot und in ihrer kleinen Welt aus Erinnerungen und verlorenen Träumen gefangen. Sie konnte nichts mehr verändern. Er war nicht gefangen und das Schicksal lag noch offen in seinen Händen.

„Die Rücktauschaktion ist leider verjährt,“ lehnte er höhnisch ab. „Gib mir den Schlüssel!“

„Du willst den Schlüssel? Ist dir meine Schwester also wichtiger als ich? Warum denkst du an sie und nicht an mich? Warum darf sie bei dir sein und ich nicht?“ Kuina schrie ihn mit all ihrem Schmerz an und wurde fuchsteufelswild. Es war ihr unverständlich, dass er wohl keine anderen Sorgen hatte, als diesen dummen Schlüssel. Sie sahen sich nach Jahren wieder an einem verfluchten Ort in einer alten Villa, wo das Böse hauste, und er hatte nichts anderes zu sagen? War denn die Freundschaft von damals vergessen und wertlos? Auch für Zoro gab es nun kein Halten mehr.

„Pass mal auf! Dieses Schwert werde ich niemals aus meinen Händen gegeben. Auch nicht dir. Und weißt du warum? Es ist, als wärst du Tag und Nacht bei mir an meiner Seite. Natürlich war und ist es auch heute noch mein innigster Wunsch größter Schwertkämpfer der Welt zu werden, aber ich habe dabei immer an dich gedacht. Immer! Und niemals werde ich unseren Schwur vergessen! Kapiert? Ich achtete dich immer als meine beste Freundin, der ich trauen und von der ich lernen konnte. Ich hatte zu dir aufgesehen, als ich klein war. Wo ist die Kuina hin, die ich einst kannte?“

Wütend drehte er seinen Kopf weg und starrte auf das Gras, dass sich unruhig im Wind hin- und herbewegte. Er hatte nun doch geschrieen, was er doch eigentlich vermeiden wollte und tadelte sich innerlich dafür. Im ruhigeren Ton fügte er noch hinzu: „Tashigi hat mit alle dem rein gar nichts zu tun. Ich wusste auch nie, dass sie deine Schwester ist. Ich hatte sie nie bei euch zu hause gesehen ... “

„Jetzt weißt du’s“, merkte Kuina trocken an und seufzte. „Warum kann nicht alles wie früher sein?“

In Zoros Kopf kreisten die Gedanken um Alles und Nichts. Er musste diesem Spuk ein Ende bereiten und ihr den Schlüssel abjagen. Koste es, was es wolle. Fieberhaft suchte er nach einer List, um sie zu hintergehen ohne sie aber wieder zu verärgern oder ihr weh zu tun. Ihr letzter Satz brachte ihn plötzlich auf eine waghalsige Idee, bei der er alles auf eine Karte setzen müsste. Er würde sie herausfordern wie früher. Er könnte ihr durch einen Sieg beweisen, dass er durchaus fähig sei, den Schwur zu erfüllen. Sie wäre zufrieden und er hätte obendrein den Schlüssel für Tashigis Gefängnis. Bingo!

„Alles wie früher? Ich fordere dich zum 2002. Kampf heraus! Der Sieger entscheidet über das Schicksal des anderen!“ Er hoffte, dass sie ihm in die Falle tappen würde, denn das Angebot musste in ihren Ohren gerade zu verlocken klingen.

Tatsächlich erhellte sich ihre Miene auf und rümpfte wie zu Lebzeiten die Nase: „Ha, ich gewinn’ doch eh. Was soll das?“ Aber sie zog dennoch ihr Shinai, welches sie an ihrem Gürtel baumeln hatte, und ging in Kampfposition. Zoro musste grinsen, denn aus dieser erhöhten Blickrichtung hatte er sie noch nie auf diese Art und Weise gesehen. Es war schon fast lächerlich. Vermutlich würde sie ihm wie bei allen damaligen Kämpfen bereits im ersten Angriff ungeniert das Shinai mitten auf die Stirn zimmern wollen. Das waren damals wahrlich Schmerzen gewesen, aber ab ungefähr dem 350. Mal hatte er aufgehört, seine Stirn zu kühlen und nach jeder Niederlage ein riesiges Beulenhorn wachsen lassen, was ihm natürlich noch mehr Spott im Dorfe einbrachte, was ihn nur noch zu weiterem Training anspornte. Man gewöhnte sich halt an alles. Selbst wenn man wie ein Einhorn durchs Dorf zog.

Zoro bezog nun ebenfalls Position und zog Kuinas altes Katana. Durch das eigene Schwert eine Niederlage einstecken zu müssen , wäre ein noch viel herberer Rückschlag als normales Verlieren und angesichts der Hagel an Beleidigungen aus ihrem Mund nur fair, befand er. Sie beäugten sich eine Weile, doch dann ging alles ganz schnell. Fast gleichzeitig griffen sie an. Ihr Geist war in Bewegung fast nicht zu sehen, doch Zoro spürte die Kälte, die sie wie einen Kometenschweif mit sich zog. Er wich ihr mit einer halben Drehung geschickt aus und platzierte ihr mit großen Erstaunen das Wadôichimonji mit der stumpfen Seite mitten ins Gesicht, so wie sie es jahrelang bei ihm getan hatte. Schmerzen spürte sie natürlich keine, denn das Katana glitt durch sie hindurch wie durch warme Butter. Kuina hatte tatsächlich verloren und zwar um ersten Angriff. Sie konnte es nicht fassen. Keine Sekunde lang hatte sie bedacht, dass Zoro ihre Angriffstechnik über die ganzen Jahre längst durchschaut und nun mit der billigsten Methode ausgehebelt hatte. Stumm saß sie am Boden auf der Wiese, die nun langsam verblasste. Sie griff mit ihren Händen ins Gras als wolle sie mit aller Macht den Ort von damals festhalten. Tränen liefen ihr über ihr hübsches Gesicht, die ins Nichts fielen.

„Der Ort unseres Versprechens kehrt nie mehr zurück! Begreif das bitte!“ redete Zoro eindringlich auf sie ein. „Ich werde unser Versprechen halten, aber gib mir nun den Schlüssel!“ In diesem Moment verschwand die Illusion der Wiese ganz und sie waren wieder in dem Bambusatrium, als wäre nie etwas anderes geschehen. Die Wiese war nun entgültig Vergangenheit. Nichts war mehr wie früher.

Sie legte den Schlüssel in seine offene Hand ohne ihn dabei anzusehen. Kleinlaut flüsterte sie: „Kann ich nicht mitkommen?“

„Wie stellst du dir das vor? Es geht nicht!“ seufzte Zoro. Das Mädchen war einfach verdammt stur. Sie lebten in zwei getrennten Welten. Wie sollte hier eine Verbindung sein oder ein gemeinsamer Weg?

Von einer Sekunde auf die andere sprang Kuina auf und sah ihn mit stechendem Blick an, wie er sie noch nie erlebt hatte. „Doch, es geht! Ich bin ein Geist ohne Körper. Den Körper werde ich mir nun von meiner Schwester holen!“ Und schon war sie verschwunden.

Er versuchte sie abzufangen. Doch er griff mit beiden Armen ins Leere und fiel vorn über auf die Holzbretter. Er verfluchte innerlich sein Missgeschick und hob den Kopf an. Vor ihm liefen blutige Fußspuren die alte Holztreppe hinauf zur Tür.

Nur allmählich begriff Zoro ihre Worte. Sie würde doch Tashigi nicht töten wollen, nur um wieder leben zu können? Niemals hätte er auch nur im Weitesten zu ahnen vermocht, dass der Schmerz des Mädchens über den Verlust ihres Lebens und ihrer Freundschaft so groß gewesen wäre, dass sie zu diesen kranken Fantasien käme. Er hatte sich überhaupt noch nie Gedanken über das Leben nach dem Tod und die verbleibenden Gefühle gemacht. Auch sonst hatte er sich nie direkt um irgendwelche Gefühle geschert. Gefühlsdusselig könnte man ja noch lange werden, wenn man alle Ziele erreicht und alt wäre. Damit wurde er nun gnadenlos konfrontiert. Nichts war wie bisher.

Ihr Geist war wohl in all den Jahren nie zur Ruhe gekommen. Und nun wollte sie Schadensbegrenzung haben, indem sie sich einfach an ihrer Schwester rächen würde, die ja leben und ihre Träume erfüllen durfte. Warum waren die beiden überhaupt Geschwister. Viel zu viele Fragen ohne Antworten. Zoro schob sie erst einmal beiseite. Ein Wettlauf mit der Zeit hatte begonnen. Er musste vor Kuina beim Gefängnis ankommen. Er rannte die Treppe hoch in die Richtung, aus der er gekommen war und wohin die blutigen Füße liefen. Ohne zu Wissen, ob er dort in dem wartenden Körper Tashigis oder Kuinas Seele antreffen würde, hatte er aber bereits einen inneren festen Entschluss gefasst: Die Vergangenheit war für ihn entgültig abgeschlossen.

12 - Der Fluch des Akaichô

Anmerkung: Das Lied ist vom Japanischen ins Deutsche übersetzt, heißt Chô (Schmetterling) von Tsukiko Amano und stammt vom PS2-/XBox-Spiel Zero Akaichô (Project Zero 2: Crimson Butterfly)
 

Tashigi blieb nach Zoros Verschwinden nichts weiter übrig, als abzuwarten und zu hoffen, dass er den Weg jemals wieder zurückfinden würde. Die Minuten des Wartens schleppten sich mühselig dahin und kamen ihr wie Ewigkeiten vor. Allmählich wurde sie nervös. Es kreisten alle möglichen Gedanken in ihrem Kopf, die sie nicht haben wollte. Er musste es einfach schaffen. Irgendwo würde dieser blöde Schmetterlingsschlüssel schon sein. Kopfschüttelnd beschloss sie, weiter die unzähligen Bücher und Akten in Augenschein zu nehmen, denn sie brauchte unbedingt eine Ablenkung. Vermutlich würde niemand außer ihre in der Zukunft die Bücher wieder zu Gesicht bekommen. Ob es nun gut oder schlecht wäre, wollte sie nicht beurteilen. Schon manch einer wurde allein der Tatsache, dass er Beweise gegen die Machenschaften der Weltregierung besaß, bis zum Lebensende nach Impel Down gebracht und gefoltert. Allein der Gedanke an Impel Down jagte ihr kalte Schauer über den Rücken, und sie war froh, diesen Ort noch nie in ihrem Leben gesehen zu haben. Dennoch stimmte es sie traurig, all die Unterlagen nicht zur Auswertung mitnehmen zu können. Aber sie nahm sich fest vor, in den Archiven der Marine nach weitern Hinweisen zu suchen.

Mit den Fingerspitzen strich sie vorsichtig über die Bücherrücken auf der Suche nach einem besonders interessantem Stück. Die Kamera hatte sie unachtsam auf den kleinen Schreibtisch beiseite gelegt. Über dem Schmökern vergas sie Zeit und Raum um sich herum. Es waren einfach viel zu unglaubliche Dinge niedergeschrieben. Je mehr sie las, desto mehr bedauerte sie, diese ganzen Bücher nicht mitnehmen zu können. Es würde keine Beweise außerhalb dieses Hauses geben. Also begann sie, die wichtigsten Details zusammengefasst auf Papier zu notieren. Wenigstens wollte sie Aufzeichnungen für persönliches Weiterforschen mitnehmen, wenn sie hier tatsächlich befreit würde. Und so las und schrieb sie vor sich her ohne zu bemerken, dass sich jemand ihrem Gefängnis näherte.
 

Tief unter der Erde grub ich stetig ein Loch

ohne zu wissen, wie weit es führen würde.

Mit meiner dreckigen Schaufel in der Hand

suchte ich deinen Arm.
 

Blutige Fußabdrücke schlichen unaufhörlich auf das verfluchte Holzgatter zu und passierten es mühelos, als wäre es gar nicht vorhanden gewesen. Langsam führte die rote Spur weiter um das Bücherregal herum und endete knapp hinter der am Boden hockenden Tashigi.

Die Hockende spürte Eiseskälte hinter ihrem Rücken, fuhr erschrocken herum und stolperte rücklings. Schockiert starrte sie in die großen dunklen Augen ihrer toten Schwester, deren Geisterkörper langsam aber sicher Konturen annahmen, als wäre sie eine Puppe. Panisch robbte Tashigi rückwärts, bis sie das Bücherregal in ihrem Rücken bemerkte und ihr den weiteren Fluchtweg versperrte. Keine Sekunde ließen die beiden Geschwister sich aus den Augen. Die Ältere starrte voller Angst, die Jüngere voller Überlegenheit. Kuina war nun vollkommen plastisch geworden. Sie schickte sich langsam an, sich mit erhobenen Händen dem Hals ihrer Schwester zu nähern. Dabei hatte sie eine ausdrucklose Miene aufgelegt und glich dem einer Porzellanpuppe, die man zu lange emailliert hatte.

„Wo war nur diese verdammte Kamera?“ schoss es Tashigi durch den Kopf und musste leidvoll erkennen, dass diese unerreichbar auf dem kleinem Schreibtisch neben dem großen Spiegel lag. Die junge Frau musste nun alles riskieren und sprang auf. Die Kamera wäre ihre einzige Rettung. Nur knapp verfehlte die Geisterpuppe den Hals ihre Schwester, als diese an ihr vorbeistürmte und sich die Kamera mit einer Hand griff.
 

Gemeinsam flickten wir ein Flickwerk an Fröhlichkeit.

Als ich die Saat dazu säte, wurde ich von deiner Stärke zerschmettert.
 

Kuina gelang es, die andere Hand ihres Zwillings zu ergreifen. Mit eiskaltem Griff und unbändiger Kraft zerrte sie nun an dieser. Durch den Rückhalt drehte sich Tashigi mit Schwung umher und landete mit der anderen Hand samt Kamera krachend im großen Spiegel. Dieser zersplitterte mit lautem Klirren. Tausend Scherben regneten zu Boden und zerschnitten die Haut. Entsetzt sah Tashigi, wie die Scherben ihre Hand vollkommen aufschnitten. Sie schrie vor Schmerz auf und ließ die Kamera zu Boden fallen. Blut rannte über ihre Hand und tropfte am Arm herunter. Eine Pfütze von Blut bildete sich zu ihren Füßen. Selbst Kuina war in diesem Moment starr vor Schreck. Damit hatte keiner von beiden gerechnet.

Tashigi sah ihr Spiegelbild an. Es war ihr eigenes Aussehen, was sie in diese schlimme Lage gebracht hatte. Was war denn zum Teufel noch mal an ihrem Äußeren so falsch? Oft hatte sie sich von Zoro anhören müssen, dass er ihr Gesicht nicht ertragen könnte. Nun stand ihre tote Schwester hier und forderte ein neues Leben, indem sie einfach ihren Körper übernahm. Alles drehte sich nur um ihr Aussehen. Niemand hatte jemals gefragte, was sie innerlich fühlte oder ob sie vielleicht ganz anders vom Charakter zu ihrer Schwester wäre. Wenn Kuina wirklich so war, wie sie hier agierte, dann hatte Tashigi gar kein Interesse daran, einen Zwilling zu haben, denn war dieser nicht von Grund auf verbittert und böse? Das war doch niemals sie selbst? Nur die Optik allein zählte. Sie hob eine große Spiegelscherbe empor und betrachtete ihr hübsches jugendliches Gesicht. Heiße Tränen liefen ihr die Wangen herunter. Wenn allein ihr Aussehen, das Problem war, dann sollte es nicht mehr sein. In diesem Moment hatte die junge Frau alles um sich herum vergessen. Wie von Sinnen stach sie zu. Sie spürte den Schmerz, der ihr wie eine Erlösung vorkam. Nie mehr wollte sie so aussehen wie bisher, wenn es nur Ärger brachte. Langsam zog sie die Scherbe über ihre Wange und heulte verzweifelt vor Schmerz. Das Blut befleckte ihr Gesicht, ihre Hand und die Spiegelscherbe. Es tropfte hernieder und sammelte sich in der Pfütze am Holzfußboden.

„Was machst du da?“ schrie Kuina plötzlich schrill in die Stille hinein. Die Geisterpuppe hatte sich aus ihrer Starre gelöste. Sie konnte nicht glauben, dass der von ihr angestrebte Körper nun eben gerade vor ihren eigenen Augen durch ihre eigene Schwester entstellt und verschandelt wurde. War die etwa total verrückt? Diese dumme Frau machte ihr doch tatsächlich alles in letzter Minute kaputt. Das durfte nicht sein und musste verhindert werden. Kuina sprang auf sie zu und packte sie gezielt an der Gurgel. Tashigi spürte die porzellankalten Hände an ihrem Hals. Verzweifelt versuchte sie, Kuina abzuschütteln, doch es gelang ihr nicht. Nach Luft röchelnd brach sie zusammen und wandte sich nun auf dem Boden. Sie streckte den Arm nach der Kamera aus. Nur knapp griff sie an ihr vorbei. Sie versuchte sich zu strecken, doch langsam ließen ihre Kräfte nach, denn ihre Schwester würgte sie mit aller Kraft wie eine Besessene. „Zoro, du Idiot! Wo bleibst du?“ schickte die Marineangehörige Stoßgebet um Stoßgebet zum Himmel. Sie war hin- und hergerissen zwischen Überlebenskampf und Kapitulation.

Beim dritten Anlauf schaffte es Tashigi dennoch, sich die Kamera zu greifen und drücke mehrmals wild hintereinander ab. Volltreffer! Kuina schrie auf und verblasste. Ihre spirituelle Energie floss der Kamera zu und wurde auf Zelluloid ewiglich gebannt. Tashigi röchelte nach Luft, doch sie hatte immer noch das Gefühl, dass der Druck auf ihrem Hals nicht weniger wurde. Sie drehte sich zur Seite und sah sich in den Spiegelscherben. Ihr hübsches Gesicht war entstellt und blutüberströmt. Auf ihrem Hals brannten rote Abdrücke auf der Haut, wo Kuina sie mit den Händen gewürgte hatte. Das Würgemal leuchtete in einem grellen Rotlicht, als wäre es magisch. Die Form des Mals erinnerte die junge Frau an einen Schmetterling mit geöffneten Flügeln. Kuina hatte ihr mit dem Schmetterling an ihrem Hals eine bleibende Erinnerung verpasst. Dann wurde Tashigi schwarz vor Augen. Der Blutverlust und die Atemnot waren zuviel für ihren geschwächten Körper. Sie wurde ohnmächtig.
 

Brenne heiß, brenne heiß!

Die Male, die deine Handflächen hinterließen, sind nicht zu beseitigen.

Mit meinen zerfetzten Flügeln reiße ich ein Loch in die rotgefärbten Wolken.

Schau mich an, ich fliege mit Leichtigkeit!
 

Als Zoro die hölzerne Treppe im Atrium erklommen hatte, nahm er sich nicht mehr die Zeit, die Tür zum Hausinneren zu öffnen. Krachend zerbarst sie in ihre Einzelteile. Holzstücke prasselten nieder und blieben achtlos um ihn herum liegen. Dieses alte Hexenhaus war zerfallen und besitzlos. Sicherlich würden ein paar weitere zertrümmerte Wände nicht auffallen, befand er. Zumal der Hauseigentümer sich in dieser Hütte wohl auch nicht blicken lassen würde. Den blutigen Fußabdrücken folgend, musste er an der Kreuzung nun doch anhalten. Die rote Spur teilte sich und verlief jeweils zu allen Räumen des Ganges. „Dieses kleine Biest ...“, dachte er bei sich grummelnd. Kuina war schon als Kind in manchen Dingen stur gewesen. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzte hatte, dann wollte sie es auch mit allen Mitteln erreichen.

„Santôryu tatsumaki!“ Ein Tornado fegte augenblicklich durch das Haus, zerbarst Türen, zeriss Wände, zersplitterte das Glas der Fenster und ließ einen Teil der Decke einstürzen. Es war einfach Zoros Art, Nägel mit Köpfen zu machen, und je weniger von der Villa stand, desto weniger müsste er suchen. So einfach war das. Und ab durch die Mitte. Er rannte los durch seine eben geschlagene Schneise.
 

Die Ewigkeit, die ich vorhersah, während ich in meinem Kokon eingeschlossen war,

wo wird sie gesät werden und zu einer Blume erblühen?

Bald wird der Morgen die dunkle Nacht zurückdrängen

und mir das Augenlicht nehmen.
 

Mit jedem Schritt fühlte er, dass er dem Gefängnis näher kam, und dass das Unheil bereits seinen Lauf genommen hatte. Hätte Kuina nun recht behalten und er wäre wieder einmal zu langsam gewesen? Einst hatte er ihr ein Versprechen gegeben, dass er um jeden Preis halten würde. Das war Ehrensache. Aber wieso vertraute sie im nicht? War sie so ruhelos in ihrem Grab? Wie dem auch war, es war für ihn entgültig vorbei. So starb eine lang gehegt Freundschaft. An der Nase musste er sich von ihr nicht herumführen lassen. Das war ein Vertrauensbruch.
 

Im Mondlicht fühlte ich mich dir überlegen.

Verwirrend! Ich glaubte, ich könnte deine Zuflucht sein.
 

Schon einige Meter aus der Ferne konnte er das Holzgitter sehen. Als er es erreichte, lehnte er seinen Kopf daran und ließ seinen Blick über das Szenario schweifen. Dort lag entweder Kuina oder Tashigi inmitten einer Blutlache und einem Meer aus Spiegelscherben, die das Licht der kleinen Lampe auf dem Schreibtisch mysteriös zu kleinen Sternen an den Wänden reflektierten. Sein Entschluss stand fest. Tashigi war das Opfer. Er würde sie mit dem Schlüssel befreien, aber Kuina konnte als Täterin in dem Gefängnis versauern. Wenn sich ihre Seele seit ihrem Tod derart vergeltend und boshaft verändert haben sollte, dann wäre es die gerechte Strafe. Somit hätte sie sich selbst hereingelegt.
 

Brenne nieder, brenne nieder!

Der Ort unseres Versprechens kehrt nie mehr zurück.

Ich renne über die schwarzbefleckte Erde vom Schmerz zerrissen.

Schau mich an, ich fliege mit Leichtigkeit!
 

Zoro atmete tief durch und rief in ruhigem Ton beide Namen, doch die dort zwischen den Trümmern eines harten Kampfes liegende Person regte sich nicht. War sie tot oder nur ohnmächtig? Wer von beiden lag dort? Für solche Notfälle wünschte er sich Chopper herbei. Nie war der kleine Arzt zur Stelle, wenn man ihn wirklich einmal brauchte. Es gab nur einen Weg, das Rätsel zu lüften. In seiner Hosentasche kramend, suchte er den Schmetterlingsschlüssel hervor und schloss die kleine Tür auf. Dann wanderte der Schlüssel zurück in seine Tasche. Sicher war sicher.

Er berührte sie an der Schulter und rüttelte sie vorsichtig. Als keine Reaktion erfolgte, drehte er sie kurzerhand zu sich und zog sie sanft auf seinen Schoß. Es war keine Kälte zu spüren. Auch Böses schien diesem Körper fremd. Er war doch nicht zu langsam gewesen, wie Kuina ihm immer prophezeit hatte.

Sie sah schlimm aus mit der großen Schnittwunde, die sich von der Schläfe bis zu ihrem Kinn zog. An ihrem Hals brannte der Schmetterling wie Feuer. Er berührte ihn und spürte einen bösen Fluch, der mit diesem Mal verbunden war. Im Schnelldurchlauf sah er vor seinem geistigen Auge, wie sie in den Spiegel fiel, sich das Gesicht zerstach und dann letztendlich ihre eigene Schwester mit der Kamera auf ein Foto bannte. Kuina hatte ihm als Erinnerung an ihren gemeinsamen Schwur nicht nur das Wadôichimonji gelassen, sondern nun zusätzlich noch einen roten Schmetterling. Er seufzte, doch es war nicht mehr zu ändern.

Eine Haare hingen ihr ins Gesicht und verklebte mit der Wunde. Behutsam strich er die Strähne von ihrer Wange: „Dumme Nuss ... Erst geht Kuina und nun du auch?“ flüsterte er leise. Vermutlich würde er nie irgendetwas irgendwie jemals richtig machen, tadelte er sich selbst. Sie hatte viel Blut verloren und ihre Atmung schien äußerst flach. Um wenigstens ihre Körpertemperatur konstant zu halten, wickelte er sie in den dreckigen Poncho und schlang seine Arme um sie. Irgendwann würde sie wohl hoffentlich wieder zu sich kommen. Jedoch sollte es nicht allzu lange dauern, denn er witterte eine neue Gefahr im Anmarsch.
 

Wenn du mich nicht schreien hören kannst, zerstöre mich mit deinen Händen,

während ich mich immer noch „Ich“ nennen kann!

Deine Arme, die mich fangen, verwandeln sich in friedvollen Staub

und wieder schaue ich leise zum Himmel auf.
 

Irgendwo in der alten Villa begann es zu knistern und zu knacken. In den dunkelsten Winkeln flackerte es dämmerig auf. Ein beißender Geruch wabberte durch die Flure und bestätigte Zoro, dass ihn sein siebter Sinn wieder einmal nicht betrogen hatte. Die Hütte begann zu brennen. Und da das Holz trocken wie Sandkuchen war, würde hier in kürzester Zeit alles in Flammen stehen. Die Zeit drängte.

Später würde er nicht mehr sagen können, wie lange er durch die alte Villa gelaufen war oder wie er es überhaupt geschafft hatte, ins Freie zu gelangen. Mit Tashigi, Sack und Pack zog er los. Alles, was ihm im Weg war, wurde einfach achtlos von ihm mit einem „Mûtoryu tasumaki“ zertrümmert. Er war sichtlich genervt und seine Laune sank auf den bekannten Gefrierpunkt, obgleich das Haus um ihn herum lichterloh brannte und bei jedem Schritt Flammen aus dem Boden schossen. Der graue Rauch ließ die Augen tränen und die Lunge um saubere Luft betteln.

Endlich gab die Hausaußenwand dem Feuer nach und öffnete den Weg in einen angrenzenden Garten. Ein kleiner Pfad schlängelte sich über Steinplatten über den kurzen Rasen zu einem Wasserspiel an einem Brunnen zwischen Bambusbüschen. Zoro folgte dem Pfad und schmiss hier die Rucksäcke ins Gras. Er keuchte außer Atem nach Luft. Selbst für einen durchtrainierten Mann wie ihn war der Weg aus der Flammenhölle kein Zuckerschlecken gewesen. Immer noch lag Tashigi in seinen Armen. Jedoch schien sie nicht mehr ohnmächtig, sondern in einem tiefen Schlaf zu sein. Er vergewisserte sich noch einmal, dass sie sorgfältig in die Ponchos gewickelt war und legte sie ebenfalls vorsichtig ins Gras. Das alte Gebäude brannte nun vollständig und brach von einer Sekunde auf die andere in sich zusammen. Es knisterte behaglich als würde es sich für seine Feuerbestattung bedanken. Die böse Aura, die er vor Stunden einst gespürte hatte, war verschwunden. Auch der umliegende Bambushain schien nun wie jeder andere Wald zu sein. Ruhig und gelassen wiegten sich die Wipfel im sanften Wind von einer Richtung in die andere. Der Nachhimmel wich langsam einer fernen Dämmerung. Ein neuer Morgen brach an, und bald würde die Sonne die Dunkelheit vertreiben. Der Spuk war vorbei. Sicherlich würde es ihnen dann leichter fallen, den Weg aus dem Bambushain herauszufinden. Auf jeden Fall müssten sie Chopper suchen. Das war oberstes Gebot. Vermutlich wäre er sicher schon vor Angst und Einsamkeit mit einem Herzinfarkt gestorben. Zoro musste bei diesem Gedanken an Chopper grinsen. Er ließ sich mit ausgebreiteten Armen rücklings aus dem Stand fallen und landete ebenfalls im Gras. Eine Mütze Schlaf würde auch ihm gut tun, denn er hatte schon seit dem Morgen, wo sie das Fischerboot verließen, nicht mehr geschlafen. Für seine Verhältnisse war dieser Zustand eine zeitliche Dimension und musste dringend behoben werden. Mit den Geräuschen des knackenden Feuers und dem Plätschern des Wasserspiels im Ohr dauerte es keine Minute bis er einschlief.

Doch er träumte extrem viel und extrem schlecht. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch am Himmel, als er wieder aufwachte, jedoch ließ sich die Lage in dem dämmerigen Licht bereits abschätzen. Dort, wo die Villa gestanden haben musste, waren lediglich mit Moos überzogene Grundmauern. Von den Überresten eines Brandes war nichts zu sehen. Jedoch war die Asche stundenlang auf sie niedergeregnet und hing nun überall wie ein schmieriger Film. Nicht nur auf der Kleidung, sondern auch auf Haut und Haaren pappte das Aschezeug und wollte sie partout nicht mit einfacher Katzenwäsche beseitigen lassen. Tashigi sah mit ihren verkrusteten und schorfigen Wunden um einiges schlimmer aus. Das eingetrocknete Blut klebte nicht nur in ihrem Gesicht. Auch ihre Kleidung sah blutgefärbt aus. Zoro konnte nur hoffen, dass Chopper sie bei diesem Anblick wiedererkennen und nicht vor Schreck tot umfallen würde.

Tashigi erwachte eine Weile später durch ein leichtes Geschaukel. Im Halbschlaf bemerkte sie, dass sie wohl nicht mehr in ihrem Gefängnis liegen würde, denn um sie herum war ein sonnendurchfluteter Bambushain. Sie schnappte nach Luft und hatte das Gefühl eine enge Schlinge um den Hals zu tragen. Sie hob leicht den Kopf und bemerkte erst jetzt, warum es schaukelte: Zoro schleppte sie Huckepack durch den Wald und hatte in jeder seiner Hände je einen Rucksack, welche ihm bei jedem Schritt an seine Beine baumelten. Ihr Blick fiel auf die eingetrockneten Blutflecken auf seinem Hemd.

„Ich habe dich schon wieder vollgeblutet“, murmelte sie ihm schläfrig eine Entschuldigung zu.

„Ich werde der Marine die Rechnung der Wäscherei schicken“, kam eine trockene Antwort von vorn.

„Was ist eigentlich passiert?“ fragte sie leise und bedauerte: „ Vielen Dank für alles. Es ist alles meine Schuld! Warum machst du das?“

„Halt einfach die Klappe“, grummelte er. Der Rest war Schweigen. Nach einer Weile bemerkte er, wie sie ihm unbewusst ihren Haken auf den rechten Oberschenkel drückte, als würde sie einem Pferd Schenkelhilfen geben:

„Wir müssen mehr nach da. Du läufst wieder Zickzack!“

„Lass das! Ich bin kein Pferd!“ Zoro war gereizt, denn sein Verdacht, dass er mal wieder im Kreis lief, wurde gerade von ihr bestätigt.

„Wir müssen trotzdem nach da!“ meckerte sie.

„Wenn du wieder meckern kannst, dann geht es dir wohl wieder so gut, dass du allein laufen kannst!“ Er grinste und hüpfte einmal kurz in die Luft, wodurch sie in arge Platznot geriet und ihre Arme nur noch fester um seinen Hals schlang. Keineswegs wollte sie hier abstürzen und im Wald sitzen bleiben.

Doch bevor sie gegen Zoros Bocksprung protestieren konnte, lichtete sich in der Ferne der Wald. Sie hatten es tatsächlich geschafft. Am Waldrand wurden sie von einem lauen Wind, warmer Sonne und den weiten Grasgebieten von Sanaland begrüßt. Doch wo sollten sie Chopper suchen?

Ratlos blickten sie rechts und links den Waldrand entlang. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig, dass sie die richtige Richtung nehmen würden und entschlossen sich für den südlichen Weg. Das Glück meinte es gut mit ihnen, denn schon nach einer guten halben Stunde sahen sie einen braunen Fellhaufen im Gras liegen.

„Der macht es wenigstens richtig“, merkte Zoro an. „Wach auf, Chopper!“

Als Chopper seinen Namen hörte und die Augen aufschlug, fuhr er zusammen. Dort standen zwei mit Asche und Blut verklebte Gestalten, die einer Mischung aus Zombie und Waldschrat glichen. Panisch fuhr er hoch und wollte sich hinter einem Baum verstecken.

„Du stehst falsch rum! Wir sind es nur ...“, beruhigte Zoro ihn.

„Nur ... ?!?!?“ Chopper kam auf sie zu. Erst jetzt bemerkte er Tashigi auf Zoros Rücken. Wild mit den Armen fuchtelnd rannte er aufgeregt umher:

„Wie seht ihr denn aus? Wolltet ihr ein Kohlebergwerk mit den Händen freischaufeln? Was ist passiert? Wir brauchen einen Arzt! ... Moment, ich bin der Arzt!“

„Chopper, nerv nicht! Unsere letzte Nacht war echt hart ...“ Zoro gähnte.

„Eure letzte Nacht?“ Der kleine Arzt machte große Augen.

„Idiot! So doch nicht!“ schimpfte Zoro ihn aus. „Los, wir gehen da drüben hin. Ich kann den Wald nicht mehr sehen.“ Er deutete auf eine Baumgruppe in unmittelbarer Ferne.

Kaum dort angekommen, legte sich Zoro unter den nächstbesten Baum zum Schlafen. Wehe dem, der ihn in den nächsten Stunden bis zum Abend wecken würde. Das Rentier hatte schon einige Launen von seinem besten Freund erlebt, aber diese arktische Laune war ein absoluter Kälterekord. Leise verzog er sich mit Tashigi unter einen anderen Baum. Er begann sorgfältig, ihre Wunden zu versorgen und zog erst mal die Fäden aus der alten Schussverletzung. Mit dem Ergebnis der kaum sichtbaren Narbe konnte er zufrieden sein. Er war zuversichtlich, dass er auch die Wunde in ihrem Gesicht so gut versorgen könnte, dass sie bald nicht mehr sichtbar wäre. Jedoch bedauerte er ihr Würgemal. Es wäre ein Fluch und somit medizinisch mit seinen Mitteln nicht behandelbar. Tashigi berichtete ihm ihren Teil von dem alten Haus, so dass Chopper sich fürchterlich gruselte und vor Angst klapperte. Er konnte nun Zoros schlechte Laune nachvollziehen und hoffte, seine Version auch bald hören zu können.

Der Tag verging wie im Fluge und der Abend brach über ihnen herein. Hunger und Dreck machten ihnen schwer zu schaffen. Der Wind begann zu drehen und wehte nun aus nordöstlicher Richtung vom East Blue herüber.

Wie von der Tarantel gestochen sprang Chopper auf und rannte einige Meter mit erhobener Nase dem Wind entgegen. Tashigi beobachtete ihn ungläubig. Plötzlich machte das Rentier kehrt und stürmte auf Zoro zu.

„Wach auf! Ich wittere die Sunny!“

„Die Sunny? Du spinnst, Chopper!“ Zoro drehte sich im Halbschlaf weg.

„Nein, nein!“ Der kleine Arzt war außer Rand und Band. „Das ist die Sunny. Sie ist ganz nah am Meer!“

„Wehe, dass stimmt nicht!“ drohte Zoro dem kleinen Arzt. Und so zogen sie zu dritt von Hunger geplagt dorthin, wo Chopper die Thousand Sunny gewittert hatte.

13 - Am Lagerfeuer

Sanaland war ein merkwürdiges Land. Zumindest befand dies das Rentier, welches unbeirrt fröhlich seiner Nase folgte. Es war bereits später Nachmittag und so weit ihre Augen blickten, hatten sie noch nichts anderes gesehen, als eine sich weit erstreckende Gräserlandschaften über leichte Hügel. Die Grashalme bewegten sich langsam im Wind mit und warfen Wellen wie ein großes, grünes Meer. Ohne einen Anhaltspunkt hätten sie sich garantiert schon zwischen den Senken verirrt. „Und Zoro sowieso“, meinte Chopper gutgelaunt, was ihm von dem Angesprochenen nur ein Grummeln und einen bösen Blick einbrachte. Er war guter Dinge und trabte vor den beiden gelassen dahin. Hier und da wuchsen einzelne Baumgruppen oder Sträucher, dessen Laub sich langsam bunt färbte. Die frische Brise wurde zunehmend stärker, je näher sie sich dem East Blue näherten. Sie zupfte das Laub von den Bäumen und trieb die bunten Herbstblätter verspielt vor sich her durch die klare Luft. Obwohl die Sonne noch mit ihren letzten Sommerstrahlen schien, so hatte sie nicht mehr genug Kraft, um für warme Temperaturen zu sorgen. Es war September und auch auf der Redline würde nun unweigerlich der Herbst Einzug halten, der die letzten sonnigen Tage bald vertreiben würde. Der frische Wind hatte die kleine Gruppe wieder dazu bewegt, unter ihre Ponchos zu schlüpfen. Stunde um Stunde schlurften Zoro und Tashigi nun schon dem Rentier hinterher ohne auch nur ein Wort zu sagen oder einen Blick zu wechseln. Beide grübelten jeweils für sich über ihre eigenen Schicksale nach, bis Chopper augenblicklich inne hielte und in zwei verschiedene Richtungen Witterung aufnahm. Er merkte an, dass es zur Sunny in die eine und zu einer unbekannten Siedlung in die andere Richtung gehen würde. In der Ferne konnte man bereits den East Blue erahnen. Traurig stellte er fest, dass nun wohl der Moment gekommen sei, dass sich hier ihre Wege trennen würden, denn sie hatten gemeinsam die Redline überquert. Mehr war damals zwischen ihnen nicht ausgemacht gewesen. Seine beiden Mitstreiter schlossen auf ihn auf, doch Tashigi blieb in einigem Abstand plötzlich stehen. Mit gesenktem Kopf, aber in einem entschlossenen Ton sagte sie:

„Ich weiß nicht, ob derzeit zurück will!“

„Was?“ kam es von den beiden anderen wie aus einem Mund, die nun ebenfalls anhielten und sie verwundert anstarrten. Stille herrschte nun zwischen den dreien. Nur der Wind rauschte stärker als zuvor durch das Gras und zerrte an den Ponchos. Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu und ohne die wärmende Sonne wurde es kühl. Über dem East Blue herrschte schon Dunkelheit, während die rote Abenddämmerung über der Redline alles in ein mystisches Licht tauchte.

Wieder spürte die junge Frau, wie ihr der Schmetterling die Luft abschnürte und sich in ihre Haut einbrannte. Sie fühlte sich dreckig als hätte sie sich tagelang nur in Schmutz und Staub gewälzt. Durch die Mullbinden auf ihren Gesichtswunden war ihre Sicht eingeschränkt und wirkte auf andere Mitmenschen sicherlich wie eine Mumie. Der Magen knurrte wie ein Sägewerk, denn die letzte Mahlzeit hatte sie wie die beiden anderen auf dem Fischerboot eingenommen. Seitdem waren fast zwei volle Tage vergangen. Sie versuchte den beiden zu erklären, dass sie in den letzten zehn Tagen viel erlebt hätte und einfach alles erst einmal verarbeiten müsste.

„Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht“, versuchte sie nun den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, holte noch einmal tief Luft und überlegte, wie sie nun den Wirrwarr in ihrem Kopf den beiden Piraten kurz und knapp erklären könnte. Sie fühlte sich hin- und hergerissen. Ihr Glaube an die Marine und die Weltregierung waren durch die gelesenen Bücher in der Villa erschüttert worden. Das freie Leben jenseits von allem Militärdrill und Befehlen fing an, ihr zu gefallen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie soviel Freiheit genossen. Niemand sagte hier ihr, wohin sie gehen oder was sie tun sollte, auch wenn dieses neue Leben sehr viel härter war. Im Grunde war sie die letzten Tage mittel- und obdachlos gewesen. Aber es war so sehr viel anders. Was würden wohl Smoker oder Hina sagen, wenn sie erführen, dass sie selbst gar keine Geisel, sondern in gewisser Weise freiwillig mit den beiden Piraten über die Redline schlenderte? Es gäbe sicherlich ein großes Donnerwetter, wenn nicht sogar eine Anklage wegen Hochverrat. Smoker würde sicher mit sich verhandeln lassen, aber der Rest der Marine? Und ja, sie begann, die beiden steckbrieflich Gesuchten zu mögen. Chopper mochte sie sowieso seit Beginn ihrer Reise. Selbst mit Zoro konnte man sich arrangieren, solange man ihn nicht unnötig nervte. Immerhin hatte er sie mitgenommen. Das sah sie mittlerweile als eine Art von Ehre an, denn er hätte sie auch genauso von Anfang an fallen lassen können wie eine heiße Kartoffel. Jedoch konnte sie sich einfach nicht eingestehen, dass sie ihn allmählich mochte und das ihre teils verschrobenen Träume damit zusammenhingen. Nein, dass konnte sie alles nicht in kurze Sätze fassen und wich einer Erklärung aus. „Ich muss erst mal alles überdenken“, bat sie kleinlaut.

Chopper hatte sie mit großen verwunderten Augen angesehen. „Tashigi ...“, flüsterte er ihr zu. Liebend gern hätte er sie nun vor Freude umarmt, da sie vielleicht nun doch noch etwas bleiben würde. Doch er hielt sich zurück, denn er wollte erst mal Zoros Reaktion abwarten.

Dieser stand wie immer mit seinen Händen in den Hosentaschen da und hatte nur zugehört. Dann ging er ohne sie anzusehen einige Schritte weiter dorthin, wo er die Sunny vermutete, und stellte laut denkend fest: „Da dein Schicksal wie Kleber an mir zu haften scheint, ...“ Der kleine Arzt interpretierte diese Antwort als eine Zustimmung und ließ seiner Freude freien Lauf. Er sprang an ihr hoch und umarmte sie überschwänglich.

„Schlag da keine Wurzeln oder glaubst du, dein rotes Tattoo verschwindet von allein?“ Zoro hatte sich zu ihr gedreht. Während er diesen Satz sprach, hatte er genau in ihr Gesicht gesehen, was er die letzten Tage streng vermieden hatte. Sie sagte kein Wort, aber selbst durch ihren Verband drang ein sanftes Lächeln des Dankes als Antwort zu ihm, wie es vielleicht nur ein Engel könnte und wie er es nur einmal bei ihr gesehen hatte: Als sie sich damals nach seinem Verschwinden aus der Marinebasis in Loguetown kurz Sorgen um ihn gemacht hatte und seinen Namen noch nicht wusste. Ihr Gesicht war immer noch hübsch und ihr Blick einwickelnd, obgleich sie durch die Wunden ziemlich entstellt war. „Chopper würde das sicher wieder hinbekommen“, dachte er und sagte laut grinsend: „Ich hoffe, du hast dir das wirklich gut überlegt. Bis jetzt hat dir unsere Gesellschaft eher geschadet, wenn man dich so sieht.“

„Ich muss ja irgendwie nach Loguetown kommen“, konterte sie geschickt und zog eine Grimasse.

Sie gingen weiter und als die Dämmerung langsam in die Nacht überging, erreichten sie einen Fjord. Das Rentier sollte recht behalten. Dort unten lag die Sunny still und zeitlos in dunkelblauem Wasser vor Anker, als wäre es schon seit Urzeiten so. Die Mini-Merry war auf den seichten kurzen Strand gezogen, wo neben einem kleinen Lagerfeuer sich zwei Gestalten aufhielten.

„Robin und Franky“, registrierte Zoro. „Wo steckt der Rest der Bande?“ Der kleine Arzt gab zu bedenken, dass sich Luffy in Gefangenschaft befand und der Rest vielleicht die Lage in Loguetown im Auge behielt. Tashigi lief bei Robins Namen ein eiskalter Schauer über den Rücken. Immerhin hatte die Archäologin sie bei ihrer aller ersten Begegnung in Arabasta mit ihrem eigenen Katana fast zu Tode bedrängt, ihr Knie verdreht und sie bis zur Ohnmacht getrieben. Mit dieser gefährlichen Frau wollte sie sicher nicht sofort Freundschaft schließen. Sie traute ihr kein Stück und als ob Zoro Gedanken lesen könnte, sagte er zu ihr: „Ich auch nicht!“ Erstaunt sah sie ihn an und folgte etwas widerwillig ihren beiden Wegbegleitern den seichten Grashang hinunter zur Sunny. Die Kapuze ihres Ponchos zog sie weit über ihren Kopf. Immerhin war sie für die restlichen Strohhüte eine Feindin.

„Oh, sieh mal, Robin! Wir bekommen Besuch! Der verlorene Sohn kehrt heim!“ kam es laut spöttisch aus Frankies Mund, als sie in Hörweite kamen. Zoro wusste, dass diese äußerst unherzliche Begrüßung ihm gegolten haben musste. Aber er sagte keinen Ton und hielt schnurstracks auf das wärmende Feuer zu. Allein schon der große dampfende Ramen-Kessel zog ihn magisch an. Ohne zu fragen, hob er den Deckel hoch und sah hinein. Der Kessel war randvoll. Ein breites Grinsen zog sich über Zoros Gesicht. Ramen war zwar nicht sein Lieblingsessen, aber der Topfinhalt reichte locker für alle. Endlich Futter!

Ungläubig starrte Franky den ponchoumhüllten Schwertkämpfer an. Da war der Typ fast ein halbes Jahr weg und fühlte sich wieder ganz zuhause, als sei nie irgendetwas geschehen. Frechheit! Er fuhr den Schwertkämpfer an, dass man wenigstens eine Geste der Begrüßung vom Stapel lassen könnte, doch er behielt postwendend die knappe Antwort, dass er dies selber auch nicht getan hätte. Robin hatte ebenfalls die Szenerie beobachtet und lächelte fröhlich. Obwohl sie die letzten Tage die Karten sortiert und untersucht hatte, so war es doch ziemlich langweilig gewesen. Vielleicht wäre nun wieder etwas mehr Leben an Bord. Sie sah zu dem Rentier, welches sich mit betrübter Miene hinter einer unbekannten Person versteckte. Vermutlich wusste Chopper nicht einzuordnen, ob er wirklich willkommen wäre. Da sie nicht erkennen konnte, wer sich unter der Kapuze verbarg, überkreuzte sie die Arme und zog mit ihren Teufelskräften der Gestalt mit einem kurzen Ruck die Kapuze vom Kopf. Tashigi erschrak kurz, denn damit hatte sie trotz aller Aufmerksamkeit nicht gerechnet. Erstaunt blickte die Archäologin auf die Marinenagehörige, die um den halben Kopf und an der einen Hand einen Verband und am Hals einen rotfarbenen Fleck trug. „Der Akaichô-Fluch?“ schoss es Robin durch den Kopf und konnte ihre Neugier kaum bändigen. Auch Franky zog nun eine Augenbraue hoch: „Sagt bloß nicht, die wandelnde Mumie da ist Tashigi ?!“

„Ja, ist sie. Habt ihr irgendwo auch Besteck und Schüsseln?“ Zoro sah sich suchend um. Er wollte jetzt auf gar keinen Fall eine Diskussion darüber führen müssen, warum sie Tashigi im Schlepptau hatten und lenkte vom Thema ab.

„Guten Abend“, sagte diese vorsichtig und näherte sich langsam dem Feuer. Dabei schliff sie Chopper am Geweih hinter sich her. Um keinen Preis wollte sie ohne Deckung bei den anderen stehen, die ihr noch fremd waren. Aber Robin lächelte nur und machte ihnen auf der großen Decke zum Schutz vor dem Sand Platz. Dankbar nickend ließen sie sich neben ihr nieder.

Lachend hielt der Cyborg dem Schwertkämpfer eine Suppenkelle hin und forderte sie alle drei freudig auf, sich ordentlich satt zu essen und merkte an, dass sie wahrlich schlimm aussehen würden. Schlimmer als die Müllabfuhr. Im Nu hielt jeder eine Schüssel mit dampfender Ramen in den Händen und jeder begann seine Suppe zu essen. Tashigi aß bedächtig, Chopper schlürfte schlingend und Zoro schaufelte. Robin und Franky beobachteten die drei und tauchten unbemerkt Blicke aus, die besagten, dass der Schwertkämpfer und der Arzt sich kein bisschen verändert hätten, aber Tashigi wäre ein Problem. Zoro war jedoch der Blickwechsel nicht entgangen:

„Was gibt es zu tuscheln?“ fragte er trocken in die Runde am Lagerfeuer heraus.

„Nicht viel, aber natürlich interessiert uns brennend, warum ihr hier seid. Das Essen allein wird es wohl nicht sein? Die Zeitung schreibt ja Abenteuerliches. Besonders über dich...“, merkte der Cyborg mit ernstem Gesicht an. Er hatte die Arme verschränkt und wartete auf eine Antwort, die ihm sicher nicht gefallen würde.

„Was schreiben die denn?“ Mit einer Hand zog Zoro den zerknüddelten Brief von Nami aus seinem Rucksack und hielt in dem Schiffbauer unter die Nase: „Fahrt ihr nochmal rüber?“

Nein, die Antwort gefiel Franky tatsächlich nicht, wie er es geahnt hatte. Da musste ein Haken sein. „Na, dann lies mal das hier, du Held der Redline!“ Spöttisch warf er ihm die Zeitung an den Kopf. Dieser schlug sie mit einem Fragezeichen über dem Kopf auf. Natürlich stand in großen Artikeln darin, dass er Tashigi gekidnappt hätte und dass sie immer noch als vermisst galt. Auch eine großangelegte Suchaktion nach ihr hätte nichts gebracht. Er musste grinsen, denn die schriftliche Darstellung war einfach köstlich und verfälscht. Laut dem Artikel hätte er die arme Marinesoldatin sicherlich böse gefoltert und misshandelt. Vermutlich wäre sie schon tot. Laut lachend befand er, dass sie dafür doch noch recht gesund aussähe. Das war wirklich Laune hebend.

„Idiot!“ brüllte ihn Tashigi fauchend an und entriss im die Zeitung. Nun steckte sie zusammen mit dem Rentier die Nase tief in das Käseblatt und lasen ungläubig. Chopper solle in seiner Monsterform das ganze Dorf an der Furt zerstört haben, um den Fluchtweg zu sichern. Der Arzt viel geschockt hinten über. Das war wirklich heftig und zuviel. In dem Dorf hatten sie doch keinen einzigen Stein angefasst. Aber noch bedeutend schlimmer waren die neuen Steckbriefe von Zoro und ihm. Nur für eine angebliche Entführung gab es soviel Aufschlag von der Marine? Gruselig!

Das Zeitungslesen hatte die Runde aufgelockert und so quatschten sie alle noch bis tief in die Nacht über die Geschehnisse der letzten Monate. Franky und Robin bedauerten den Rauswurf des kleinen Rentiers. Sie hätten nichts gegen ihn, aber es wäre damals einfach Luffys Entscheidung gewesen, was wiederum Chopper nachvollziehen konnte. Sie berichten des Weiteren von ihrer Fahrt nach Raftel und das dort nichts zu finden gewesen sei als ein Ringporneglyph um eine große Meeresfläche. Luffys Gefangenschaft rissen sie nur kurz im Gespräch an, da es ebenfalls in allen Zeitungen stand. Der Rest der Bande wäre wie vermutet in Loguetown. Sanji hätte es geschafft, eine Nachricht rauszuschmuggeln. Er schrieb, dass sie das Versteck aufgegeben hätten und Unterkunft in einer kleinen, aber feinen Pension aushandeln konnten. Sie fühlten sich hier sehr sicher, jedoch ginge es Nami seelisch sehr schlecht. Ein neuer Hinrichtungstermin wäre wohl in vier Tagen geplant passend zum Neumond. Ausführlicher erzählten sie von den seltsamen Karten aus dem Weltregierungsbesitz, die ihnen Perka hinterlassen hatte.

Aufmerksam Suppe schlürfend hatten die drei Poncholäufer zugehört. Chopper erzählte wie die Marinesoldatin unfreiwillig zu ihrer Gruppe stieß und sie sich anschickten, die Redline zu Fuß zu durchqueren. Tashigi berichtete von den vielen Büchern in der Villa und bedauerte, leider nichts davon hatte retten zu können. Sie beantwortet Robins Fragen zu ihrem Schmetterlingsfluch. Von dem Tagebuch des Folkloristen und Zoros Foto sagte sie erst einmal nichts. Das wollte sie später allein mit ihm klären, wenn sich die Gelegenheit bieten würde. Sicher ist sicher. Langsam konnte sie sich Dinge zusammenreimen.

Durch die Archäologin erfuhr sie von einer alten Legende, wo der eine Zwilling den anderen umbrachte, um einen bösen Ort zu versiegeln. Das Ritual wäre dann positiv verlaufen, wenn die Seele des toten Zwillings als roter Schmetterling zum Himmel aufstieg und der noch Lebende als Erinnerung das Mal blass am Hals trug. Tashigi bedankte sich für die nette Auskunft und versprach, sich einmal die Karten aus Perkas Truhen anzusehen. Vielleicht könnte sie anhand der Aktennummer einen Zuordnung treffen.

Weit nach Mitternacht räumten sie gemeinsam alles von ihrem Lagerfeuerpicknick zusammen. Da nicht alle gleichzeitig auf der Mini-Merry Platz finden konnten, wurde kurzum beschlossen, dass Franky erst die beiden Frauen und dann den Rest übersetzen würden. Da die Sunny nicht weit vom Ufer entfernt lag, würde es auch nicht allzu lange dauern, bis alle auf dem Schiff wären. Tashigi war zwar nicht wohl bei dem Gedanken, sich von ihrer Gruppe zu trennen, willigte aber stumm ein. Zurück am Strand blieben Zoro und Chopper.

„Kann ich deiner Antwort bei dem Brief vorhin entnehmen, dass du deine Meinung geändert hast?“ fragte Chopper nachdenklich.

„Wenn Luffy nicht komplett durchgeknallt ist, dann wird er seine Lektion gelernt haben. Tashigi wird uns helfen“, kam eine ruhige Antwort, als sei alles selbstverständlich.

„Weiß sie das schon?“

„Nein.“

„Und wie geht’s nun weiter?“

„Erstmal fahren wir nach Loguetown. Dann sehen wir zu, dass sie ihren Schmetterling loswird. Zwischendurch finde ich Mihawk und du dein medizinisches Wundermittel. Dann berichten wir der großen weiten Welt, was wir vollbracht haben. Und dann fahren wir nach Raftel. Hab ich was vergessen?“ Der Planungsablauf wurde von Zoro so trocken und zynisch interpretiert, dass es schon fast nach Stress und Arbeit klang. Für Chopper waren es erst mal zu viele Informationen auf einmal und er erkundigte sich:

„Kann ich das zwischen Loguetown und Raftel nochmal hören?“

Doch eine Antwort bekam er nicht mehr, denn Franky setze gerade wieder mit der Mini-Merry an den feinen Sandstrand und sammelte sie auf.

14 - Das nächtliche Traumzelt

An Bord der Sunny versammelten sie sich alle in dem Essensraum bei der Küche. Franky wies daraufhin, dass Usopp den Wasch- und Trockenautomat endlich einmal repariert hätte und sie ihr ganzes Zeug dort hineinwerfen könnten. Den damals zurückgelassenen Kram von den beiden ehemaligen Crewmitgliedern hätte er in zwei große Seetruhen unten im Laderaum gesichert, damit auch ja nichts abhanden käme. Da Tashigi das Schiff nicht kannte und er es voller Stolz gern präsentierte, hackte er die verunsicherte junge Frau souverän unter und zog sie ohne zu Fragen hinterher. Sie solle sich ja etwas auskennen und wohlfühlen. Gäste sollte man immer pfleglich behandeln, auch wenn sie normalerweise Feinde wären. Er wolle sich aber später nichts Schlechtes nachsagen lassen.

Als Zoro die beiden so davonziehen sah, versetzte es ihm irgendwo im Innersten einen Stich, den er sich weder erklären konnte, noch kannte. Er schenkte diesem aber nicht weiter Beachtung und ging hinter den Tresen, um durch die Küche und den Vorratsraum zu schlendern. Sanji war nicht da und deshalb würde es auch keinen Stress geben, wenn er sich einfach am Vorrat bedienen würde. Die nächstbesten Sakeflaschen wären nun Sein. Und da der Smutje eine penible Ordnung in der Küche hielt, waren diese auch sofort in den dazugehörigen Frachtkisten gefunden. Er setze sich auf einen Hocker am Ende des Tresens, zog einen kräftigen Schluck aus der Flasche und vergrub dann seinen Kopf in seinen Händen. Die nächsten vier Tage müssten sorgfältigst geplant werden. Fehler wären tödlich. Sicher fiel ihm bald etwas ein. Auf die Teufelsfruchtgeschädigten konnte er wegen dem strahlenden Seestein in Loguetown nicht bauen.

Robin hatte sich bereit erklärt, für die Marinesoldatin ein Oberteil und eine Hose aus ihrem unendlichen Klamottenbestand zu verleihen, damit diese nicht länger in ihrem eigenen Dreck sitzen müsste. Sie verschwand mit Chopper nach draußen, der sich im Bad den Schmutz aus dem Fell waschen wollte. Baden war ihm nicht möglich, aber Waschen ging irgendwie. Die Lähmungserscheinungen durch die Teufelskräfte setzte erst bei einer bestimmten Wassermenge ein. Anschließend gab er an, erst Tashigis Verband zu wechseln und sich dann in sein altes Zimmer zum Schlafen zu verziehen.

Nun saß Zoro allein in dem Essensraum mit seinen Sakeflaschen, deren Inhalte sich konstant leerten. „Denk nach!“ tadelte er sich selbst und langsam formte sich vor seinem geistigen Auge ein Plan. Es hing jetzt nur noch alles davon ab, ob die Marinesoldatin mitspielen würde. Nach alle den Abenteuern der letzten Tage wäre das als Dank sicher nicht zuviel verlangt. Tashigi ... Ein einzelnes Schrittpaar nährte sich dem Raum und riss ihn aus seinen Gedanken. Der Cyborg kehrte zurück. Allein, was Zoro missbilligend quittierte und sich selbst über diesen Gedanken wunderte.

„Ich habe sie oben bei den Orangenbäumen vor der Badezimmertür abgesetzt, damit sie nach Chopper gleich ins Bad kann. Die Kleine sieht ja echt derbe mitgenommen aus. Robin hat ihr frische Sachen gegeben und ist auch schon in ihr Zimmer zu ihren Büchern verschwunden. Wir brechen gleich morgen früh auf, wenn die Sonne knapp über dem Horizont steht“, kam die Erklärung von Franky.

Zoro fragte ihn, woher er wisse, dass ihn genau das interessiert hätte. Doch der Schiffsbauer winkte nur lachend ab und erklärte, er wäre schließlich fast doppelt so alt und hätte somit doppelt soviel Lebenserfahrung. Da wisse man einfach bestimmte Dinge. Er sah die leeren Sakeflaschen und schloss daraus, dass man mit dem Schwertkämpfer nun sicher keine Frage-Antwort-Spiel treiben könne. Das dieser viel soff, war bekannt, aber diese Menge in dieser kurzen Zeit war doch schon recht ungewöhnlich. Immerhin war der Cyborg nur eine gute halbe Stunde weg gewesen und hier lagen schon sechs leere Flaschen auf dem Tresen. Die Siebte war eben dabei, vernichtet zu werden. Jeder Normalsterbliche hätte sich nun schon längst bei Chopper wegen einer Alkoholvergiftung einschreiben müssen. Einfach erstaunlich und traurig zugleich! „Eigentlich wäre dies doch wieder ein geeigneter Moment für einen Blues“, überlegte er sich und hielt Ausschau nach seiner Gitarre, die aber wohl nicht in Griffweite lag. Franky verschob seine Fragen an den Schwertkämpfer auf den nächsten Tag. Da müssten noch so einige Dinge geklärt werden. Mit diesem Gedanken machte er sich auf dem langen Sofa an der Längsseite bequem, denn er hatte herausgefunden, dass ihm von dieser Stelle aus selbst im Schlaf kein fremdes Geräusch auf dem Schiff entging. So musste hier in der Bucht niemand Nachtwache oben im Ausguck schieben. Aus den Augenwinkeln sah er noch, wie Zoro mit der alten Zeitung und der halbvollen Sakeflasche den Raum aufs Deck verließ.

Gerade warf die Zeitungsmöwe die Frühzeitung für den anbrechenden Tag ab, denn in gut vier Stunden würde die morgendliche Dämmerung den neuen Tag begrüßen. Er blätterte etwas in dem Käseblatt umher ohne so recht den Inhalt wahrzunehmen. Es stand eh nichts besonders drin. Revolutionen und Aufstände im South Blue, politischer Nonsens, Klatsch von der Grandline und aktuelle Steckbriefe von irgendwelchen unbedeutenden Dieben, als er plötzlich Stimmen vom hinteren Teil des Schiffes hörte. Er lugte obig hinüber und erblickte den kleinen Arzt, wie er gerade im Lichtschein der geöffneten Badezimmertür der Marinesoldatin den Verband am Kopf entfernt, um ein kleineres wasserfestes Pflaster darauf zu kleben. Den Verband an der Hand ließ er ganz weg, denn auf den Wunden war ein heilsames und dickes Schorf. Ohne den Verband sah man nun erst das gesamte Ausmaß der Narbe im Gesicht. Es sah wirklich übel aus. Warum zum Teufel hatte sie das gemacht? Dann wurde es dunkel an Deck. Sie war im Badezimmer verschwunden und hatte die Tür geschlossen. Chopper trottete treppab auf ihn zu, denn der Weg zu den Unterkünften führte unweigerlich an ihm vorbei.

Zoro dachte an seinen neuen Steckbrief mit gestiegenem Wert und kam auf eine Idee. Er wusste, dass Tashigi die Steckbriefe sammelte und zog seinen eigenen aus der alten Zeitung hervor. Es war einfach nicht seine Art, sonderlich kommunikativ zu sein und da kam ihm dieser Einfall gerade recht.

„Hast du noch deinen Graffitstift irgendwo im Rucksack? Ich brauche den mal eben kurz“, fragte er das Rentier im Vorbeigehen. „Klar, was hast du vor?“ Choppers Neugier würde ihm sicher mal irgendwann zum Verhängnis werden. Er bekam riesige Augen, die aus seinem kleinen Kopf zu kullern drohten, als er den kurzen Satz las, den Zoro auf seinen Steckbrief kitzelte. „Das ist ein Scherz?!“ fragte er verwirrt. Doch es gab wie immer keine Antwort. Das Rentier starrte ihm fassungslos hinterher, wie er sich Richtung Vorderdeck auf den Weg machte. Chopper sah zu, dass er schleunigst in sein Bett kam. Er wollte in dieser Nacht nichts mehr wissen, hören und sehen. Die letzten Tage waren einfach viel zu aufregend gewesen.
 

Tashigi wollte endlich wieder wie ein Mensch und nicht wie ein Dreckschwein aussehen. Sie sah sich im Bad genauer um und stellte den geschmackvollen und großzügigen Stil der Einrichtung fest. Nobel, so ein überdimensionales Bad auf See. Da könnte sich die Marine mit ihren Nasszellen eine Scheibe von Abschneiden. Überhaupt war sie von der Thousand Sunny mehr als beeindruckt. Sie bot Komfort und Platz, war jedoch hochsee- und kampftauglich. Genau die richtige Mischung, um sicher und bequem durch die Meere zu schippern. Man könnte als Marineangehörige fast neidisch auf die Piraten und deren Schiffe werden. Franky schien es auch nicht im Geringsten zu stören, dass sie später ihre gewonnenen Eindrücke von diesem herrlichen Traumschiff bei ihren Vorgesetzen ausplaudern würde. Aber wollte sie das überhaupt noch? Da war sie sich nicht mehr im Klaren drüber.

Ein heißes Bad würde ihr sicher gut tun. Beseelt von dem Gedanken, lief sie zu der großzügigen Badewanne und drehte die Wasserhähne auf. Sie durchstöberte die Schränke und fand einige wertvolle Gefäße mit Badezusätzen in den herrlichsten Düften. Ja, das hatte sie sich nach den Strapazen der letzten Tage redlich verdient. Sie entzündete Kerzen um die Wanne herum, um für eine entspannende Stimmung zu sorgen. Das warme Flackern des Lichtes wirkte beruhigend, fast romantisch. Wunderbar, ein ganzes Bad nur für sie allein. Nur einen kurzen Augenblick später tauchte sie in das heiße Wasser, nachdem sie sich erst unter einer hohen Decke von blumig duftenden Schaum abgeduscht hatte. Das kristallklare Wasser umschmeichelte ihre nackte Haut. Sie fühlte sich von Wärme durchflutet und schwerelos. Alle Last der letzten Tage viel von ihr ab. Ein paar Minuten später war sie mit dem Kopf an den Wannenrand gelehnt eingeschlafen.

Sie erwachte erst wieder durch ein lautes Platschen und das Schwappen des Wassers. Dabei löschte der Platscher die Kerzen. Nur in der kleinen Laterne brannte noch ein kleines Licht und gab nur schemenhafte Konturen des Raumes frei. Obwohl sie ihr Brille nicht trug, es dunkel im Raum und vom Badenebel diesig war, konnte sie blitzschnell den grünhaarigen Übeltäter ausmachen, der nun frech grinsend von sich gab: „Pass auf, dass du nicht ertrinkst!“

„Boah! Du bist echt unverschämt! Bist du eigentlich jemals irgendwie erzogen worden? Verschwinde!“ fauchte sie ihn zornig an. Blitzschnell hatte sie ihre Beine an ihren Oberkörper gezogen. Immerhin war sie splitterfasernackt. Was dachte sich dieser Kerl eigentlich dabei? Sie schlug mit der einen Faust auf die Wasseroberfläche, um ihren Zorn Nachdruck zu verleihen. Das aufspritzende Wasser traf ihren Gegenüber mitten im Gesicht, aber das Grinsen wusch es nicht weg.

„Wieso? Andere wollen auch mal baden und die schnorchelst hier schon seit gut zwei Stunden rum.“ Zoro saß voll bekleidet im Wasser und ließ seine Füße rechts und links über den Rand rausbaumeln. Er beugte sich über den Wannenrand und stellte seine halbvolle Sakeflasche auf die nassen Bodenfliesen, welche optisch so rein gar nicht zwischen die edlen Badeflakons passen wollte. Er beäugte neugierig und spöttisch zugleich das ganze Badesortiment. Der Luxuskram konnte nur von Nami sein und würde sicher zu einem ihrer berühmten Tobsuchtanfall führen, wenn sie diesen Raub an ihrem Eigentum mitbekommen würde. „Na, die Wetterziege kauft eh immer nur unnötigen Plunder“, dachte er sich und wandte sich wieder Tashigi zu:

„Willst du eine Parfümerie eröffnen?“

„Nein, will ich nicht ... Meine Güte, zieh wenigstens deine dreckigen Stiefel aus. Der ganze Sand rieselt in mein Badewasser!“ maulte sie ihn an.

„Jawohl, Madam!“ Gegenseitig mit den Füßen tretend entledigte er sich seiner Stiefel. Polternd fielen sie neben der Wanne zu Boden. Er hob einen Flakon hoch und schnupperte daran.

„Was soll das sein? Zitrone?“

„Limette – Zitronengras. Steht doch drauf, du Analphabeth!“ grummelte sie in das Badewasser hinein.

„Aha. Und das hier?“ Die ausströmende Duftwolke ließ ihn schwindelig werden und die Atemluft verpesten. Schnellstens steckte er die Verschlusskappe wieder auf die Flasche.

„Himbeer-Erdbeer-Souflée.“

„Krass! Ich dachte, das gäbe es nur auf Sanjis Speisekarte?“

„Das Bläuliche da ist ganz nett.“ Sie deutete mit dem Kopf nickend auf ein Fläschlein. Er hob es hoch und las laut: „Nächtliches Traumzelt?“

Verwundert zog er die Augenbrauen hoch. Darunter konnte er sich gar nichts vorstellen und öffnete den Flakon. Der Geruch war nicht zu definieren. Lau wie eine Sommernacht, klar wie ein Sternenhimmel, sanft wie eine schlafende Wiese über die ein sanfter Wind strich ... Eben wie ein nächtliches Traumzelt. Er goss den gesamten Inhalt der Flasche in die Wanne und beide starrten schweigen auf die nachtblaue Wolke, die sich wie Nebelschwaden im Wasser ausbreiten. Schließlich war das gesamte Wasser nachtblau und verströmte einen wohligen Duft im ganzen Badezimmer. Tashigi wandte ihren Blick von dem Wasser ab. Sie blieb an einer hässlichen Narbe an Zoros linkem Unterschenkel hängen. Sie drehte den Kopf langsam zur anderen Seite und sah dort ebenfalls eine ebenso hässliche Narbe in gleicher Höhe. Zoro hatte ihre fragenden Blicke bemerkt und zog seine Füße vom Wannenrand unüberlegt schnell unter Wasser, dass es wieder nur so aufspritzte. Er fragte sie, warum sie plötzlich ohne Brille sehen könnte. Sie entgegnete ihm, dass sie nur im Fernbereich sehr unscharf sähe, aber in nächster Nähe ginge es. Er säße in einer Entfernung, wo die Unschärfe gerade beginnen würde. Alles hinter ihm wäre bereits stark verschwommen. Da sie noch nie so viele Worte zuvor mit ihm gewechselte hatte, nahm sie die Gelegenheit war und sprach ihn auf ihre eben gefundene Entdeckung an.

„Wo hast du die denn her?“

„Das war auf Little Garden. Wir steckten in einer Wachstorte fest. Bevor ich da als Wachssäule sterben würde, wollte ich halt kämpfen ...“

„Du wolltest die dir Füße abschlagen? Trottel, wie läuft man ohne Füße?“ Beide mussten kurz auflachen.

„Du bist echt vollkommen durchgeknallt“, fügte sie lächelnd hinzu.

„Natürlich war das total bescheuert damals.“ Verlegen zog er den einen Fuß wieder aus dem Wasser und betrachtet sein selbstgenähtes Kunstwerk.

„Chopper war damals noch nicht in unserer Crew. Er hätte das sicher tausendmal besser genäht. Naja ... Ich hab überall Narben“ Er zog langsam sein nasses Shirt aus und ließ es neben die Stiefel auf den Boden fallen, dass es Tashigi ganz unheimlich wurde. Eine ebenso hässliche Narbe zog sich quer über seinen gesamten Oberkörper. Hier und da konnte man noch einige kleinere Narben erkennen. Sie ertappte sich dabei, wie sie jeden einzelnen Zentimeter von ihm mit ihren Augen verschlang und sich eingestehen musste, dass er etwas besonderes an sich hatte. Sie war hin- und hergerissen zwischen Vernunft und Verlangen.

„Und wo ist die her?“

„Die hat mir Mihawk verpasst. Beim nächsten Mal gewinne ich!“

„Beim nächsten Mal?“

„Die Geschichte ist etwas länger. Einen Teil davon kennst du ja bereits.“

Sie spürte, dass sie einen wunden Punkt in ihm getroffen hatte, was wohl auch mit ihrer Schwester zusammenhing, und hielt es für besser zu schweigen. Aber sie würde schon irgendwann hinter die ganze Geschichte kommen. Sie begann zu frösteln. Das Wasser war bereits kalt geworden. Wie lange mochten sie hier gesessen haben?

Überraschend traf sie seine Frage, warum sie um alles in der Welt sich selbst ihr Gesicht zerschnitten hätte. Verlegen sah sie auf das nachtblaue Wasser. Sie erklärte ihm, dass sich alles immer nur um ihr Aussehen drehen würde. Das sollte dann halt nicht mehr sein. Stille kehrte ein. Durch Zoros Kopf zogen Fetzen an Vorwürfen, denn er selbst hatte sie auch stets nur über ihr Gesicht definiert. Erst dann folgte die Art wie sie sprach oder sich im Allgemeinen gab. Somit war er also nicht ganz unbeteiligt an der Entstehung dieser Narbe gewesen. Er rang sich ein genuscheltes „Es tut mir leid ...“ ab und starrte verlegen zur Seite. Doch sie schwieg weiterhin und verlor sich in dem nachtblauen Wasser mit dem sinnbetörenden Duft.

Zoro begann nun ihr den wahren Hintergrund seines dreisten Besuchs zu erläutern. Er erwähnte, dass hier kaum jemand lauschen würde, und dass dieses Gespräch nur sie beide etwas anginge. Sie solle ihm helfen, Luffy vor dem sicheren Tode zu bewahren und teilte ihr auch gleich ihre Rolle zu. Ihr schlackerten die Ohren und forderte etwas Bedenkzeit. Immerhin wäre das alles keine Kleinigkeit. Er drängelte, dass ihnen die Zeit davonliefe. Doch sie blieb hartnäckig und würde ihm ihre Entscheidung erst im Laufe des anbrechenden Tages mitteilen.

Seufzend erhob er sich wieder aus der Wanne. Er war nicht so recht zufrieden mit dem Ausgang der Unterredung, aber er konnte nachvollziehen, dass sie bei seinem Plan garantiert keine Luftsprünge machen würde. Aus allen Falten seiner nassen Hose rannte das Wasser heraus und plätscherte zu Boden.

Schemenhaft konnte sie erkenne, wie er mit dem Rücken zu ihr sich sein Shirt vom Boden schnappte und es auswrang. Das Wasser pladderte auf die Fliesen und hinterließ große Pfützen. Er mochte keine nassen Klamotten am Körper. Dann verließ er tonlos mit einer langen Wasserspur den Raum und hinterließ eine verunsicherte Tashigi in mittlerweile kaltem Badewasser.

Sie kletterte nun ebenfalls aus der Wanne und kuschelte sich in ein riesig großes flauschiges Badetuch ein. Dabei dachte sie über sein merkwürdiges Verhalten nach. Er benahm sich seit Sanaland sehr merkwürdig. Sie kannte ihn schweigsam und schlecht gelaunt. Zuweilen musste sie sich von ihm übelst beschimpfen und einiges böses an den Kopf verwerfen lassen. Dies jedoch hatte gänzlich aufgehört, seit er mit ihr gemeinsam aus der Villa im Bambuswald entflohen waren. Er mied sie und starrte sofort weg, wenn sich ihre Blicke unfreiwillig begegneten. Und auch als sie ihn in einmal darauf ansprach, schüttelte er nur den Kopf und murmelte etwas, dass nichts vorgefallen wäre.

Sie setzte sich auf die Bank am Fenster und nahm die Zeitung zur Hand, die sie auf Robins Kleidung entdeckte. Hatte Zoro die eben mitgebracht? Wahllos blätterte sie einher, bis ihr der Steckbrief in die Hände fiel. Sofort erkannte sie seine Handschrift auf seinem Steckbrief. Ungläubig las sie den Satz immer und immer wieder. Das war es also! Dann drückte sie diese Stückchen Papier an sich. Sie schmiegte sich förmlich daran und saß da still mit gesenktem Kopf, die Tränen kaum zurückhaltend. „Zoro ...“, flüsterte sie zu sich selbst. Sie war gerührt und konnte es nicht fassen.

Sie erwachte erst wieder aus ihrer starren Haltung, als es langsam dämmerig wurde. Sie öffnete zum Lüften das Badezimmerfenster und blickte gen Osten, wo bald die Sonne aufgehen würde. Es war höchste Zeit, ins Bett zu gehen. Sie schlüpfte in die Kleidung der Archäologin und gab sicher ein lustiges Bild ab. Die Hose war viel zu lang und musste dreimal umgeschlagen werden. Auch das normalerweise engsitzende T-Shirt schlabberte an ihr wie ein Nachthemd, denn sie war nun mal einen ganzen Kopf kleiner und hatte weit weniger Oberweite als Robin. Bedächtig räumte sie schnell die Flakons an ihren rechtmäßigen Platz und wischte mit einem weiteren Tuch grob Zoros Wasserspur auf. Als sie mit dem Ergebnis zufrieden war, schlich sie durch das Schiff zu ihrem gezeigten Schlafplatz. Endlich wieder ein richtiges, echtes Bett! Schnell versteckte sie den Steckbrief gefaltet unter ihrem Kissen und verfiel in einen traumlosen Schlaf. Sie merkte nicht, dass bereits einige Stunden später die Sunny gen Loguetown ablegte.

15 - Der Plan

In den endlichen Weiten der vier Blues, der Grandline und der Redline vermochte es wohl nur eine einzige Person geben, welches Zoro gewachsen wäre, um ihn den Thron der schlechtesten Laune jemals streitig machen zu können. Dieser Jemand würde in diesen Tagen vielleicht sogar den Titel zurecht entgegen nehmen dürfen, denn seine derzeitige Lebenssituation war alles andere als berauschend und seine verfolgten Ziele hatte er auch nicht verwirklichen können. Noch nicht! Aber was nicht war, konnte ja noch werden. Er war mit seiner unterstellten Marineeinheit von Loguetown aus um die ganze Grandline gesegelt und hatte es letztlich doch nicht geschafft, den Strohhutbengel zu verhaften. Da waren andere Marineeinheiten schneller gewesen. Und dafür sah er nicht einmal die Fehler bei sich. Diese dumme Abordnung aus dem Marinehauptquartier hatte alle seine Pläne jäh durchkreuzt. Normaler Weise scherte er sich keineswegs um solche Befehle, doch als dann diese Seesteinkisten mitten auf seinem Schiff einfach so platziert wurden, gab es nichts Lieberes für ihn, als das Zeug schnellstens wieder loszuwerden. Damit begann die eigentliche Misere. Durch den Auftrag mussten er die Verfolgung der Thousand Sunny abbrechen und über die Redline latschen. Zu allem Überfluss erfuhr er durch die interne Marinepresse, dass Tashigi entführt wurde. Es war ihm schon ein Rätsel, wie sie das zustande gebracht haben könnte. War diese Frau denn zu rein gar nichts zu gebrauchen? Sie war eine Schande für die Marine! Jede Minute musste man auf sie aufpassen, obwohl sie die ihr übertragenen Befehle immer irgendwie hinbekommen hatte. Auch wenn es nicht immer den Vorschriften entsprach. Jedoch andererseits: Ob es ihr wohl gut ging? Wo mochte sie sein? Lebte sie überhaupt noch? Er hatte die ganzen letzten Tage jeden Hinweis über ihren Verbleib entgegen genommen, doch keiner brachte die ersehnte Antwort und daher machte er sich schon ein paar Sorgen. Roronoa Zoro! Wenn er diesen grünhaarigen Bastard in die qualmigen Finger bekommen würde, dann könnte der was erleben! Da half auch der Bonuspunkt mit der Wasserrettung nichts. Aber die Krone allen Übels wurde nun der Tatsache aufgesetzt, dass er in seine eigene Marinebasis in Loguetown nicht zurückkehren konnte. Er würde die Hinrichtung des Strohhutbengels verpassen und war dazu verdonnert, hier auf einer kleinen vorgelagerten Insel bei Loguetown in einer schäbigen runtergekommenen Kneipe zu hausen, bis der Seestein wieder in den Kisten verschwunden wäre. Zudem schoben nun in seiner Basis irgendwelche Volldeppen den verantwortlichen Dienst solange er selbst abwesend war.

Bei all den Gedanken über soviel ihm wiederfahrendes Unrecht ballte Smoker die Faust um sein Bierglas, dass es in seiner Hand zersprang und die Splitter weit durch die kleine Kneipe flogen. Genervt zog er noch stärker an seinen beiden dick qualmenden Zigarren und brüllte den Wirt an, dass dieser ihm gefälligst sofort neuen Alkohol bringen sollte. Der Wirt stellte ihm wortlos ein neues gutgekühltes Alkoholgetränk vor die Nase und notierte das 356ste zerbrochene Glas in Smokers Händen. Wehe, wenn die Marine nicht für diesen Schaden aufkommen würde! Um einiges schlimmer schätze der Kneipenbesitzer jedoch die Qualmschäden durch die Zigarren ein. Es herrschte eine derart undurchsichtige Tabaknebelwolke in der kleinen Gaststätte, dass man arge Gesundheitsschäden durch Passivrauchen nicht ausschließen durfte. Zudem stank mittlerweile das gesamte Mobiliar bestialisch nach den Glimmstängeln, dass eine neue Einrichtung bald fällig wäre. Waschen und Putzen des Inventars hatte noch zu keinem positivem Ergebnis geführt. Der Wirt hatte das Seufzen längst aufgegeben. Wenigstens becherten die restliche Marinesoldaten anständig viel, aber fingen keine Schlägereien im Suff an, sondern verzogen sich anständig hinterher in ihre Nachtlager. Smoker hatte seine Truppe wirklich verdammt gut im Griff. Das musste der Kneipier ihm wirklich neidvoll anerkennen. Er hoffte, dass die Zeche nicht geprellt würde, denn in den letzten zwei Wochen war eine stattliche Summe zusammengekommen. Und so verging wieder ein Tag des Rumsitzens und des Wartens in einer kleinen schäbigen Spielunke am Ende der Welt, wie es Smoker betitelte. Wenigstens würde es in drei Tagen nach der Hinrichtung wohl vorbei sein.
 

Nicht weit entfernt in einer anderen Kneipe in Loguetown hatte es ein blonder Koch geschafft, die gesamte Küche der Pension am Stadtrand an sich zu reißen. Und das war nicht sonderlich schwer gewesen. Die Wirtin war schnell von Sanjis süßen Komplimenten und leckeren Speisen bezuckert gewesen, sehr zum Leidwesen des Wirts, und hatte ihm das Kochfeld bedingungslos überlassen. Doch auch der Wirt ließ sich über Kürze umstimmen, denn ihm floss der große finanziellen Profit durch Sanjis Kochkünste zu, die schon bald bei den Loguetowner auf breites Interesse stießen. Mittlerweile bekochte der Smutje die halbe Stadt und die Schlange vor der kleinen Pension wurde tagtäglich länger. Usopp befürchtete, dass sicher auch bald die Marine sich in die Essensschlange einreihen würde und unterstellte dem Koch große Verantwortungslosigkeit. Jedoch waren sie bis jetzt nicht entdeckt worden. Man sprach in der Stadt nur von dem leckeren Essen in der kleinen Pension beim Park am Stadtrand, aber nicht von einem blonden Koch. Er wusste sich gut in der Küche vor dem allgemeinen Publikum zu verbergen. Natürlich war es zu keinem Zeitpunkt seine Idee gewesen, eine Mensa für die Stadtbewohner zu eröffnen. Lediglich wollte er Nami mit den herrlichsten Mahlzeiten und Leckereien aufmuntern und so nahm der die Massenspeisung auf sich. Die Navigatorin bedankte sich immer sehr herzlichst bei ihm, jedoch war dies alles nur überspielte Miene. Innerlich ging es ihr schlecht. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst, abgemagert mit blasser Haut und dunklen Augenringen. Ihre Augen blickten leer um sich und ihre Gedanken kreisten um nichts anderes als Luffy und Serafinas Karten. In den letzten Tagen betrieb sie eine erfolglose Suche nach Serafina, die wie vom Erdboden verschluckt schien. Auch konnte ihr niemand die richtige Zukunftsdeutung der Karten verraten. Jeder hatte seine eigene Interpretation und so fühlte sich Nami nur noch von Verrätern und Betrügern umgeben. Eines Tage bekam sie einen hysterischen Anfall und klappte auf offener Straße zusammen. Usopp hatte sie stets begleitet und versuchte, ihr diese unsinnige Kartenmission auszureden. Erst als er sie dann nach ihrem Kreislaufzusammenbruch in die Pension zurücktrug, verbot er ihr solange den Ausgang, bis sie wieder kräftiger auf den Beinen war. Ohne Protest stimmte sie wortlos zu, was früher niemals ihre Art gewesen wäre. Niemand hätte ihr reinreden oder Befehle geben können. Der neue Termin für Luffys Hinrichtung, den sie dann auf den angeschlagenen Mitteilungsplakaten las, bescherte ihr nächtliche Weinkrämpfe und traumlosen unruhigen Schlaf. Sanji und Usopp waren ratlos und langsam der Verzweifelung nahe. Wenn es so weiterginge, bräuchten sie therapeutischen Beistand. Der Koch fürchtete bereits, dass seine geliebte Navigatorin suizidgefährdet würde. Gab es denn keine Hoffnung mehr? War Luffy nun wirklich in die Fußstapfen seines Idols Gol D. Roger getreten und würde wie dieser auf dem selben Schafott in der selben Stadt enden? Es müsste ein Wunder geschehen. Der Scharfschütze der Crew jedenfalls meinte, sie hätten bereits auf ihrer langen Abenteuerreise jegliche Art an Wundern und Glück aufgebracht, wenn nicht gar das Konto für solche Zaubereien weit überzogen.
 

Auf der Sunny wusste man von all diesen Problemen nichts. Man hatte dort seine eigenen. Das Schiff machte gute Fahrt, aber schlingerte ein wenig unruhig dahin. Franky hatte zusammen mit Chopper das Steuer übernommen, doch ohne Navigator war es nicht einfach, exakt den Wind zum Kreuzen auszunutzen. Sie hatten in langen Zeit ihrer Reise schon viel über das Steuern gelernt, aber zur Perfektion war es noch ein weiter Weg.

Als Tashigi sich aus ihrem Bett rollte, bemerkte sie erschrocken, dass die Sonne bereits hoch am Himmel stand. Sie hatte doch tatsächlich verschlafen! Schnell schlüpfte sie in die viel zu großen Klamotten von Robin und eilte aufs Deck. Immer wieder stolperte sie über die zu langen Hosenbeine und machte fast unliebsame Bekanntschaft. Genauso oft krempelte sie den ganzen Hosenstoff wieder hoch. Kaum auf Deck angekommen, traf sie auf den kleinen Arzt, der sich gutgelaunt nach ihrem Zustand erkundigte und sie sogleich bei der Hand nahm Richtung Essraum. Da Sanji nicht da war, um die Küche zu beobachten, war es höchste Zeit für ein zweites Frühstück und der Cyborg könne sicher für eine Weile allein klarkommen. Lachend willigte die junge Frau ein und ließ sich unterwegs von dem Rentier berichten, dass ihre Kleidung gewaschen und getrocknet wäre. Sie könne alles unten im Lagerraum zusammensuchen. In der Kajüte trafen die beiden auf Robin, die sich einen frischen Kaffee brühte. Kurz darauf saßen sie zu dritt um den großen Esstisch und ließen es sich gut gehen. Sie redeten nur wenig über belanglose Dinge und als sie mit dem Essen fertig waren, begann der kleine Arzt die Wunde der Marinesoldatin neu zu verbinden. Choppers „Wundersalbe, wie er sie selbst nannte, wirkte sehr schnell und gut, so dass die Schnittwunde gut verschorft war. Man könne es wohl nun so lassen ohne einen Verband oder ein Pflaster als Schutz, diagnostizierte das Rentier. Die Archäologin gab an, sich wieder auf Deck in ihren Sonnenstuhl zu legen und verschwand samt Kaffeetasse ins Freie. Chopper und Tashigi räumten die Überreste ihres Frühstücks ordentlich beiseite und gingen dann ebenfalls nach draußen.

Es war ein milder Tag mit strahlend blauem Himmel und ruhiger See. Keine Wolke hatte sich über dem East Blue verirrt, der in diesem Gebiet wie gewohnt mit der Strömung leichte Wellen zum Riverse Mountain schlug. Am Horizont konnte man bereits Loguetown schemenhaft erahnen. In ein paar Stunden würden sie wohl ankommen. Tashigi ging hinüber zum Steuer, an dem Franky die Position bewachte, denn sie wollte ihm einen Vorschlag unterbreiten, wo sie die Sunny gut versteckt anlegen könnten. Aufmerksam lauschte der Cyborg ihren Erklärungen und fand die Idee gut. Zudem bemerkte die Soldatin das Schlingern des Schiffes und schlug darüber hinaus eine leichte Korrektur bei der Stellung des Gaffelsegels vor und erklärte dieses Vorhaben mit einfachen, knappen Sätzen. Der Cyborg machte ein erstauntes Gesicht. Die Kleine hatte tatsächlich verdammt viel Ahnung. Garantiert wäre sie eine perfekte Steuerfrau. Davon war der Schiffsbauer überzeugt. Gesagt, getan. Das Schlingern war weg und die Sunny glitt so ruhig durch den leichten Wellengang wie der Seezug auf seinen Schienen.

„Hey, Zoro! Kannst du die Insel schon genauer erkennen?“ brüllte er plötzlich zum Krähennest hoch. Da die Antwort jedoch ausblieb, grummelte er ärgerlich zu der Marinesoldatin: „Der pennt garantiert wieder oben. Mach’ den mal wach und jag’ den runter! Wir alle haben eh noch etwas zu besprechen!“

Sie tat, wie ihr geheißen und kletterte die Takelage hinauf zum überdachten und verglasten Ausguck. Vorsichtig steckte sie den Kopf durch die kleine Falltür und sah in das Innere. Schnarchgeräusche verrieten ihr, dass Franky mit seiner Vermutung richtig lag. Sie kletterte nun ganz in den Ausguck und überlegte, wie sie ihn nun aufwecken könnte, denn sie hatte auf ihrer gemeinsamen Reise beobachten können, dass es Chopper nur unter kräftigstem Einsatz seiner Hinterhufe gelang. Das Problem löste sich von allein, als ein „Was willst du?“ von ihm an ihr Ohr drang. Sie überbrachte ihm Frankies Aufforderung und starrte dann aufs Meer hinaus. Tatsächlich sah man die Insel von hier oben schon sehr deutlich. Erst jetzt fiel ihr bewusst auf, wie lange sie fort gewesen war und wie sehr sie die Insel mit ihrem ruhigen Flair vermisst hatte. Ihr Entschluss stand fest: Sie würde sich auf jeden Fall zum Dienst zurückmelden und erst einmal eine Menge Zeit verstreichen lassen. In Loguetown geschah nicht sonderlich viel Aufregendes bis auf Luffys Hinrichtung in nächsten drei Tagen. Dort in der Stadt könnte sie in gewohnter Umgebung über alles nachdenken und den üblichen langweiligen Dienst schieben. Und noch etwas hatte sie beschlossen.

„Ich helfe dir bei deinem Plan“, sagte sie mit fester Stimme und fügte hinzu: „Aber nur dieses eine Mal! Komm’ übermorgen Nacht im Marinegebäude zu meinem Zimmer. Da werde ich dann den ganze Kram haben. Mein Name müsste noch auf dem Türschild zu dem Raum stehen.“ Dabei hatte sie ihm keines Blickes gewürdigt. Er sollte nicht ihre Unsicherheit und Unbehagen merken.

„Sieh mich an!“ bat Zoro sie ruhig, aber bestimmt, da er sie durchschaut hatte. Sie biss sich auf die Lippen und drehte nur langsam den Kopf. Dabei sah sie verlegen auf den Boden. „Das Versprechen auf dem Steckbrief meinte ich so, wie es da steht. OK?“ Er wollte Gewissheit haben, dass sie nicht noch im letzten Moment einen Rückzug machen würde. Aber sie nickte nur langsam und das reichte ihm als Bestätigung ihrer Unterstützung. Es würde schon schief gehen. Mit dieser Erkenntnis kletterten sie hinunter und gingen in das große Aquarienzimmer, wo bereits die anderen auf sie warteten.

Natürlich wollten alle nun wissen, wie es weiterging. Zoro berichtete von seinem Plan und wer welche Aufgaben zu übernehmen hätte. Brooke fiel aus der Planung heraus, weil er von der Crew beim Riverse Mountain bei Laboon auf eigenen Wunsch abgesetzt worden war. Es war ein freudiges Wiedersehen gewesen und die beiden wollten nun zusammen warten, bis Luffy befreit und auch einmal vorbeischauen würde. Immerhin hatte er dieses Laboon versprochen. Chopper und Robin sollten das Schiff startklar halten und es vor Angreifern schützen, da sie wegen des Seesteines eh nicht mitkommen könnten. Franky sollte Sanji, Nami und Usopp einsammeln und zudem den Scharfschützen noch eine weitere Rolle zuteilen. Den Rest würde er selbst und Tashigi übernehmen. Das Rentier erkundigte sich besorgt bei der Marineangehörigen, ob sie dieser psychischen Belastung nach den letzten Tagen noch gewachsen sei und erhielt ein bejahendes Nicken, was nicht sonderlich beruhigend war. Robin war nicht überzeugt von allem. Welches Motiv könnte die Soldatin haben, dass sie ihnen helfen, anstelle sie zu verraten sollte? Auch Franky war skeptisch trotz ihrer hervorragenden Hilfe beim Schiffsteuern, doch Tashigi schwor hoch und heilig, dass sie dieses aus Dankbarkeit und Gegenleistung für die nette Gastfreundschaft tun würde. Richtig überzeugt hatte sie die beiden damit zwar nicht, aber es war somit alles geklärt und zur Abenddämmerung legte die Sunny an der beschriebenen Ankerstelle an. Es handelte sich um eine schroffe Steilfelsküste mit kleinen Treppenstiegen von der Stadt hinab zu den geschützten Anlegestellen. Ideal als Versteck, aber auch für eine spontane Flucht. Es war menschenleer und schlecht einsehbar. Die Archäologin wunderte sich, dass hier keine Marineposten stehen würden. Tashigi beruhigte sie, dass diese Anlegestelle als geschlossen und eigentlich gesprengt galt, aber die Sprengung aus Kostengründen nie durchgeführt worden war, bis sie ganz in Vergessenheit geriet. Niemand würde sich freiwillig hierher verirren, da zudem in der Bevölkerung die Legende von einem toten Mädchen die Runde machte, welches hier die Klippe unglücklich herunterstürzte und seit dem her hier als Geist rumschwirrte. Zoro wusste, dass es keine Legende war, denn auf einem kleinen Felsen hockte ein Geist. Es war ein Mädchen, das er auf vielleicht dreizehn Jahre schätze und neugierig die fremden Besucher angaffte. Vermutlich hatte sie schon lange keinen Besuch mehr gehabt. Er beruhigte den an sein Bein klammernden Chopper, dass es keinen Geist gab, obwohl es eine Lüge war. Das Rentier aber, war nun beruhigt.

Es war nun Zeit für eine erste Verabschiedung. Chopper weinte und lag Tashigi in den Armen. Er hatte Angst um sie und wollte sie gar nicht gehen lassen. Dem Rest genügte ein kurzes „Auf Wiedersehen!“ und dann musste sie mit Sack und Pack gehen. Und nur ein paar Minuten später war sie die Treppe emporgestiegen und in der Dämmerung verschwunden. Nun hieß es Warten auf den großen Tag. In zweieinhalb Tagen würde es losgehen.
 

Tashigi hatte den kurzen Weg zum Stadtrand leicht gefunden. Sorgfältig kontrollierte sie, dass niemand gesehen hatte, wo sie eben von den Klippen nach oben gekommen war. Langsam zog sie durch die Straßen und sah sich unauffällig um. Die Stimmung des Ortes hatte sich verändert. Alles schien auf den großen Tag zu fiebern und es waren viel mehr Menschen um diese Uhrzeit auf den Straßen, die sich amüsierten und von Kneipe zu Kneipe zogen. Sie beschloss selbst auch einmal in solch ein Lokal zu gehen, um den neusten Klatsch zu hören. Eine knappe Stunde später war sie um einige lokale Neuigkeiten reicher. Ja, die Stadt hatte sich verändert, aber die Mentalität der Einwohner war zum Glück noch wie früher. Nur einen kurzen Fußmarsch weiter erreichte sie das Marinebüro mit den angrenzenden Unterkünften. Sie atmete noch einmal tief durch und trat in das Büro, wo ihr ein altbekannter Offizier vom Dienst entgegenblickte. Darüber war sie froh, denn der würde keine Schwierigkeiten machen. Schlimmer wäre ein Offizier vom Marinehauptquartier gewesen, der sicher sofort ein Protokoll anfertigen und unangenehme Fragen stellen würde. Doch so blieb es familiär. „Fähnrich zur See Tashigi meldet sich gehorsamst vom Einsatz zurück!“ Sie salutierte und wartete auf weitere Instruktionen. Doch der Offizier begrüßte sie überschwänglich und war erfreut, sie lebend wieder zu sehen. Entgegen jeder Marinevorschrift gestattete er ihr, sofort ihr Zimmer zu beziehen, um sich ausgiebig zu erholen. Befragungen nach der Protokollvorschrift könnten auf den nächsten Tag verschoben werden. Des Weiteren erklärte der Offizier, dass Smoker derzeit noch außer Haus Quartier bezogen hätte wegen den Seesteinpräparierungen. Tashigi bedankte sich formell und beeilte sich auf dem Weg zu ihrer alten Räumlichkeit. Dort angekommen, drehte sie zweimal von innen den Schlüssel herum und begann hastig, dass Zimmer nach Wanzen und sonstigen Spionageutensilien zu untersuchen. Das ging recht schnell, denn in das kleine Zimmer passte nicht mehr als ein einfaches Bett, ein kleiner Tisch über dem die Steckbriefe der Strohhüte hingen und ein spärliches Regal für wenige persönliche Dinge. Durch eine kleine Tür kam man in ein winziges Bad mit Dusche und WC. Sie zog die Vorhänge vor dem schmalen Fenster zu, nachdem sie einen unsicheren Blick auf die Straße geworfen hatte. Erst als sie sich vollkommen allein und unbeobachtet fühlte, ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Es war hier tatsächlich noch alles wie früher.

Die nächsten zwei Tage vergingen nach Dienstvorschrift. Sie konnte bei der Verhörung über ihre Entführung glaubhaft zu Protokoll geben, dass sie von Zoro und Chopper an der nächsten Wegbiegung freigelassen wurde und sich dann allein über die Redline geschlagen hätte. Sie hätte keine Chance wegen ihrer Schussverletzung gehabt, die beiden ordnungsgemäß zu verhaften. Das nahmen ihr die Offiziere tatsächlich ab und sie fragten auch nicht, wer genau sie verarztet hätte. Da sie sich bei der Verwaltungsarbeit einteilen lassen hatte, konnte sie nun viele Informationen über die Hinrichtung sammeln, um Zoros Plan umsetzen zu können. Sie sah tatsächlich gute Möglichkeiten.

Nach Dienstende zog sie schlendernd durch die Stadt und brachte Shigure und Kashu zum Schleifen und Polieren in den Schwertladen. Der Schwerthändler fragte sie natürlich sofort über den Verbleib seiner Schwerter aus, denn aus der Zeitung hatte auch er erfahren, dass sie als Geisel in Zoros Gesellschaft gewesen war. Also musste sie ihm mitteilen, dass der Fluch des Kitetsus Zoro noch nichts getan hätte, aber Yubashiri leider bei einem Kampf durch Teufelskräfte schon lange zerbrochen wäre. Der Händler jammerte rum, denn er hatte doch Zoro gebeten, darauf aufzupassen, aber so wäre er wohl. Da mussten beide lachen. Sie ging wieder zurück zur Basis und legte sich bereits am frühen Abend schlafen. Dabei sah sie ihre Steckbriefsammlung an, die sie neu geordnet hatte. Den bekritzelten Steckbrief hatte sie einfach so geschickt zwischen die anderen gehängt, dass er überlappt und die Schrift dadurch verdeckt wurde. So würde es niemandem auffallen. Auch der neue Steckbrief von Chopper hing nun dort. Ihr Blick ging weiter zu Robin und Franky. Die beiden waren zu ihr zwar zurückhaltend, aber dennoch nett gewesen. Sie schweifte mit dem Blick weiter. Nun war sie bei den restlichen Strohhüten angekommen. Wie würden die wohl charakterlich sein? Bis jetzt hatte sie nur wenige Informationen aus den Gesprächen auf der Sunny erfahren. Aus ihren eigenen Treffen hatte sie sich kein eigenes Urteil bilden können, denn es war stets viel zu kurz, wie es denn eben bei einer Verfolgung so war.

Morgen war also der große Tag und die Stadt war unruhig wie ein Wespennest. Nun wartete sie nur noch auf die Nacht und das Zoro den Weg herfinden würde. Sie kicherte bei dem Gedanken, dass der Plan alleinig mit der Orientierungslosigkeit bereits ins Wasser fallen könnte.

16 - Der große Tag der Hinrichtung

Es war tiefste Nacht, als sie durch ein unbehagliches Gefühl der Veränderung geweckt wurde. Irgendetwas war in ihrem Zimmer nicht mehr so, wie es vor ihrem zu Bett gehen gewesen war. Vorsichtig blinzelte sie unter ihrer Decke hervor und sah eine Gestalt am Fußende ihres Bettes sitzen, die bequem an die Wand lehnte und tief schnorchelnd vor sich herschlief. Schlagartig war die junge Frau wach und zimmerte mit voller Wucht dem Eindringling ihr Kopfkissen gezielt in dessen Gesicht, so dass diesem keine Wahl blieb, als aus allen Träumen gerissen zu werden.

„Wie bist du hier reingekommen?“ fauchte sie ihn aufgebracht an. Zoro nahm das Kissen von seinem Kopf und warf es ihr locker zurück. „Das musst du nicht wissen“, grinste er sie dreckig an, verriet aber, dass Franky ihn vor der Basis abgesetzt hatte. Er selbst hätte sich nicht mehr an das Haus erinnern können, geschweige überhaupt gefunden. Lachend warf sie wieder das Kissen zurück an seinen Kopf, doch diesmal traf sie nicht, denn er fing es ab. Schade, an dem Spiel fing sie gerade an, Gefallen zu finden. Sie begann ihm nun zur erklären, dass morgen Luffy von einer Eskorte an Fußsoldaten vom Gefängnis bis zum Schafott begleitet werden würden. Sie nannte die Anzahl der eingeteilten Personen. Den Routenverlauf schenkte sie sich, da Zoro damit wohl eh nichts anfangen könnte. Des Weiteren gäbe es zwei Soldaten, die die Vollstreckung ausführen würde. Diese würden von zwei weiteren Bewachern oberhalb des Schafotts geschützt. Die von ihm gewünschten Klamotten hätte sie besorgt. Er nickte ihr als Bestätigung zu, dass er alles verstanden hätte. Dann stand Tashigi auf und holte eine kleine Schüssel mit einer schwarzen Paste. Er sah sie erstaunt an, denn er konnte sich nun keinen Reim darauf machen, was sie damit wollte. Doch sie bat ihn nur, einmal kurz still zu halten, tauchte ihre Finger in die Paste und zog dann behutsam eine grüne Haarsträhne durch ihre Finger.

„Hey, es geht!“ stellte sie zufrieden fest. „Das fiel mir erst vorhin ein, als die neue Kohlenlieferung kam und es so sehr nach Kohle staubte.“

„Und?“ Er wusste nicht so recht, was der mit Wasser vermengte Kohlestaub in seinen Haaren zu suchen hätte.

„Idiot, hier gibt es keine Marinesoldaten mit grünen Haaren!“ wies sie ihn grob zurecht, bezweifelte aber, dass diese Pampe Regenwetter standhalten würde. Die Erklärung war einleuchtend und so war sie die nächste Zeit damit beschäftigt, Strähne um Strähne durch ihre mit klebrigem Staub verdreckten Finger zu ziehen bis kein einziges grünes Haar mehr zu sehen war.

„Kohlpechrappenschwarz!“ stellte sie zufrieden fest. Die Arbeit hatte sich gelohnt und war bei seinen kurzen strubbeligen Haaren weniger mühsam als erst angenommen. Dummerweise lehnte er nun wieder seinen Kopf an die weiße Zimmerwand und hinterließ einen großen schwarzen Kohlefleck mit seinem nassklebrigen Haupt. Sie seufzte, sagte aber nichts. Da würde sie morgen dran schrubben müssen, um die Spuren seiner Anwesenheit zu verwischen. Es war surreal. Da stand sie mitten in der Nacht in einer Marinebasis und schwärzte dem zweit meistgesuchten Piraten der Welt die Haare, um den erst meistgesuchten Piraten der Welt zur Flucht zu verhelfen. War das nicht krank? Also, wenn man da nicht über kurz oder lang vollkommen irre wurde, dann wüsste sie es auch nicht. Vielleicht sollte sie ihm zum Abreagieren doch noch einige Male das Kissen auf den Kopf zimmern, weil sie sich von ihm zu dieser Straftat überreden lassen hatte.

Sie verzichtete letztendlich doch darauf und verschwand mit dem Rest der schwarzen Paste in dem kleinen Bad, um die Schüssel zu reinigen. Je schneller Beweismittel verschwanden, desto besser. Zu ihrem Entsetzten jedoch stellte sie schnell fest, dass das Zeug doch recht hartnäckig war und partout sich nicht von den Finger kratzen lassen wollte. Zurück blieb ein Grauschleier auf der Haut. Mit einem nassen Lappen in der Hand lief sie zurück und schnauzte ihn an, er solle sich sofort vom Bett verziehen und bloß nirgends mehr mit seinem Kopf irgendwo anecken. Verzweifelt rubbelte sie an dem noch feuchten Kohleklecks, jedoch blieb auch dort eine graue Schattierung zurück. Sie raufte sich die Haare und starrte immer noch auf den Fleck, dass er vielleicht von allein verschwinden möge, was er natürlich nicht tat. Zoro, der von seinem bequemen Platz verjagt worden war, stand nun vorerst etwas unnütz im Zimmer herum, bis dessen Blick auf dem kleinen Tisch an einer dicken Aktenkopie kleben blieb. Das war zwar nichts ungewöhnliches, aber es stand sein eigener Name darauf. Neugierig nahm er den Papierpacken ohne zu Fragen in die Hand und blätterte darin herum. Über jeden steckbrieflich Gesuchten gab es einen Akte und die seinige warf unheimlich viele Lücken und Ungereimtheiten in seinem Lebenslauf und persönlichen Angaben auf. Es war exakt Buch geführt, wo er gewesen war und was er gemacht hatte. So genau konnte er sich selbst schon gar nicht mehr erinnern.

„Hey? Das geht dich gar nichts an! Das sind streng geheime Marineunterlagen!“ brüllte Tashigi ihn an, die das Zettelrascheln gehört hatte. „Du bringst mich echt an den Rand des Wahnsinns!“ Sie kochte innerlich und hätte am Liebsten sofort den Alarm in der Basis ausgelöst und die gesamte Aktion hingeschmissen, aber irgendetwas hielt sie zurück. Stattdessen nahm sie den Wischlappen und schmiss ihn in voller Rage in Richtung Zoros. Doch bevor er irgendetwas zu ihr sagen konnte, sah er sie unter Atemnot zusammensackten. Er pfefferte die Akte zurück auf den Tisch, so dass die Zettel wild durch den kleinen Raum flogen. Schwer atmend rang sie nach Luft, während er sie vorsichtig auf das Bett hob. Der Schmetterling leuchtete rot an ihrem Hals. Er wollte fliegen und konnte es aber nicht. Der Fluch war ein ernstes Problem und passte absolut nicht in Zoros derzeitige Planung. Hoffentlich würde das nicht ausgerechnet am nächsten Tag zu einem Desaster führen.

Eine Weile später saßen sie nebeneinander stumm auf dem Bett und warteten auf den Anbruch des neuen Tages. Sie keuchte nur noch leicht. Es war beiden ein Rätsel, warum plötzlich in diesem Moment der Fluch seine Wirkung zeigte. Durch die zugezogenen Gardinen begann es heller zu werden. Der Countdown lief.
 

Franky hatte nach langem Suchen endlich die Pension gefunden, dessen Adresse ihm Sanji in dem Brief hinterlassen hatte. In der Tat war das Haus recht abgewrackt, aber bedeutend besser als ihre Abrisshütte einst in dem Ghetto. Die Speisekarte an der kleinen Werbetafel verriet ihm, dass der Koch hier wohl ein kleines Kochimperium aufgebaut und gut zu tun hatte. Die Speisen klangen allesamt verdammt lecker. Es war höchste Zeit, dass der Smutje wieder für die Crew auf der Sunny kochen würde. Es war keine Schwierigkeit, unbemerkt in das Haus einzusteigen. Leise schlich er sich treppauf und lauschte an den wenigen Türen. „Hm, das könnte das Schnarchen von Usopp sein“, dachte er und klopfte erst zaghaft und, als keiner öffnete, sehr viel stärker auf das Türblatt. Die Tür ging nun einen Spalt auf und Franky blickte in eine bis zum Anschlag gespannte Kabuto.

„Ich bin’s bloß! Lass mich rein!“ sagte der Cyborg schnell und ohne auf die Antwort zu warten, latschte er auch schon ins Zimmer und verriegelte die Tür von innen.

„Was machst du hier? Ist was mit der Sunny?“ fragte Usopp vollkommen überrascht.

„Ach Quatsch! Aber morgen wollte ich das Spektakulum schon sehen“, sagte Franky dermaßen grinsend, dass dem Scharfschützen sofort klar wurde, dass hier etwas im Busche war. Es machte sofort „Klick“ in seinem Kopf.

„Zo-?“ wollte er laut hervorbringen, doch der Schiffsbauer hielt ihm sofort den Mund zu.

„Schrei’ hier nicht so rum! Wo ist der Rest?“ Misstrauisch sah sich Franky um.

Usopp gab an, dass Nami im Nebenzimmer schlief und Sanji noch einmal Informationen aus dem Ort holen wollte. Darauf hin erhielt er vom Cyborg sofort die Anweisungen, die Zoro ihm zugeteilt hätte. Usopp bekam große Augen und war einem Schreikrampf nahe. Er wäre nur noch von Wahnsinnigen und Verrückten umgeben. Das wäre doch sicher lebensgefährlich und sie würden dabei allesamt komplett draufgehen. Aber er gab dann nach und fügte sich dem Plan.
 

Am nächsten Morgen waren Sanji und Nami mehr als erstaunt über das Auftauchen des Cyborgs und das unausgeschlafene Verhalten des Scharfschützen, begannen aber kein Gespräch. Die Stimmung war angesichts des bevorstehenden Ereignisses mehr als gedrückt. Nach dem Frühstück ging die vier gemeinsam zum Marktplatz, um sich halbwegs gute Zuschauerplätze zu sichern, von denen aus sie aber nicht erkannt oder schnell gefasst würde.

Dort angekommen, hatte sich bereits eine Menge Volk versammelt. Es war kaum noch ein Durchkommen zu dem großen Platz möglich. In allen Zugangsstraßen und Gassen herrschte ein derart enges Gedränge, dass man das Gefühl hatte, im nächsten Moment zerquetscht zu werden. Ein ohrenbetäubender Lärm hallte durch die Straßen und kündigte böse Vorzeichen auf das Ereignis an. Nach langem Hin- und Hergeschiebe zwischen den Menschenmassen erreichten sie ihr Ziel, wobei sie stets Mühe hatten, in dem unendlichen Pulk an Leuten nicht auseinandergerissen zu werden und verloren zu gehen. Einige dreiste Händler verschafften sich Durchlass und boten frische Getränke, Knabberein und Snacks an, denn sie vermuteten das Geschäft ihres Lebens. Franky genoss die Jahrmarktstimmung und erstand drei Flaschen kühle Cola und eine riesige Tüte frisches Popcorn. Er befand, dass er nun gewappnet wäre für die Veranstaltung. Sanji regte sich tierisch über das Verhalten des Cyborgs auf. Hätte er denn keinen Respekt und keinen Ernst? Immerhin würde da oben auf dem Schafott in wenigen Minuten ihr Nakama und Captain sterben! Doch er sah nur ein breites Grinsen in dem Gesicht des Schiffsbauers. Der Koch wurde stutzig. Hier war etwas am Laufen, von dem er nichts wusste. Aber ihm dämmerte nun, warum Usopp so merkwürdig nervös war. Erst jetzt sah Sanji, dass der Scharfschütze seine Kabuto mühsam unter der Kleidung verbarg. Wollten die beiden hier allein den großen Aufstand wagen? Warum war er dann nicht eingeweiht? Die waren doch total verrückt! Weitere Gedanken konnte er sich nicht machen, denn in diesem Moment erklommen die beiden Henker mit ihren beiden Bewachern das Schafott. Durch eine Gasse bahnte sich das Fußgeleit seinen Weg zur Stelle, wo gleich ein Leben ausgelöscht werden sollte.

Und dann kam Luffy! Aber er schritt nicht so stolz daher, wie man es jeher von ihm gewohnt gewesen wäre. Der Seestein setzte ihm stark zu, so dass die Soldaten ihn wie einen alten Mehlsack an den Armen hinter sich herschliffen. Er war kaum fähig zu laufen oder die Augen offen zu halten. Dennoch suchte er geschwächt die Menschenmasse nach den bekannten Gesichter seiner Freunde ab. Er bot einen jämmerlichen Anblick und nicht den eines selbst ernannten Piratenkönigs. Nami zeriss dieser Anblick das Herz und brach in Tränen aus. Selbst das allgemeine Publikum sah schockiert auf das Häufchen Elend, das als Kapitän der Sunny die Grandline umsegelt hatte.

Die Turmuhr schlug zwölf Uhr. Schlagartig verstummten alle Geräusche in der Stadt. Nur ein Geräusch blieb: das Kauen und Schmatzen eines Popcorn fressenden Cyborgs, der davon sprach, dass diese Veranstaltung hier viel besser wäre als alle Lichtspielhäuser der Welt. Usopp zischte nur, dass dessen Verhalten mehr als auffällig und peinlich wäre. Aber nichts konnte Franky seine Laune verderben. Längst hatte er erkannt, dass hier nichts schief gehen würde.

Luffy war nun oben in den Schneidersitz gedrückt worden. Irgend so ein wichtiger Marineoffizier begann eine lange Anklageliste vorzulesen und erst eine langweilige Viertelstunde später folgte die Verlesung des Todesurteils mit der obligatorischen Frage, ob der Verurteilte noch irgendetwas zu sagen hätte. Dies hätte man sich auch schenken können, denn Luffy war kaum in der Lage gerade zu sitzen. Dennoch hob er langsam den Kopf und legte sein breitestes Grinsen auf, wie man es nur von ihm kannte. Dann sprach er mit seiner letzten Kraft:

„Die Marine gab mir den Titel des Piratenkönigs zum Spott, denn One Piece habe ich noch nicht gefunden, aber es ist so, wie ich es damals von hier oben schon sagte:

ICH WERDE DER ZUKÜNFTIGE KÖNIG DER PIRATEN!“

Ein Raunen ging durch die Masse. Der Typ dort oben im Angesichts des Todes musste seinen Verstand verloren haben. Der Marineoffizier, der die Anklageschrift verlesen hatte, unterbrach das Gerede: „Urteil vollstrecken!“

Nami klammerte sich fest an Sanji. Sie wollte ihr Gesicht verbergen, konnte es aber nicht. Gebannt wie alle anderen starrte sie nach oben auf die Spitze des Schafotts. Sanji wollte sich noch gerade wundern, dass die Marine für solche Jobs wie dem des Henkers einen Linkshänder in ihren Reihen hätte, denn dies gab es eigentlich nicht. Moment mal, Linkshänder?! Es war das erste Mal, dass Sanji vor Überraschung seine Zigarette aus dem Mundwinkel verlor.

Sein Verdacht wurde zur Gewissheit, als der Henker sein Katana zog und es einen Moment über seinem Kopf zum Schlag ausholend hielt. Die Klinge leuchtete wie weißes reines Licht in vollendeter Harmonie in der grellen Sonne und zog alle mit weit aufgerissenen Augen in ihren Bann. Jeder ließ sich von dem gleißenden Licht durchströmen. Die Zeit schien still zu stehen. Kein Wind, kein Ton und keine Bewegung regte sich. Nami schlug sich die Hand vor den Mund und brach ungläubig in Tränen aus. Sie dachte das, was nun jeder einzelne hier in diesem Moment dachte und wurde mit ihnen Zeuge eines unglaublichen Geschehens. Es gab weltweit nur ein einziges Katana, was so eine leuchtende Faszination ausstrahlte und jeder hier wusste, wem es gehörte. Wie ein Flüstern entfuhr es ihren Lippen: „Wadôichimonji...“ Zoro hatte sie tatsächlich nicht im Stich gelassen. Er war zurückgekehrt.

Doch nun ging alles gleichzeitig und blitzschnell. Die Klinge wirbelte herum und schlug bis auf Luffy alle anderen Personen vom Schafott herunter. Franky gab Usopp das Zeichen, Kabuto einzusetzen. „Fireburn!“ hallte seine Attacke über den Platz und augenblicklich schoss ein Feuerstrahl in die Luft. Dieser explodierte so grell, dass jeder einzelne geblendet war und für viele Minuten nichts mehr sah. Nami und Sanji merkten nur noch, wie sie von dem Cyborg im Laufschritt gepackt und davongetragen wurden. Der Sogeking war wieder da und folgte den dreien fröhlich lachend. Dabei konnte er es nicht lassen, seine Hymne zu schmettern. „Sogeki no shima de umareta ore wa ...“ Aus den Augenwinkel heraus hatte er längst gemerkt, dass der Überraschungsmoment gelungen war und Zoro mit Luffy unter dem Arm geklemmt sich den Weg zu ihnen freikämpfte. Die Maskerade des Schwertkämpfers war wirklich brilliant und täuschend echt. So gut hätte es Usopp niemals selbst hinbekommen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass ihm da jemand geholfen haben musste, doch Zeit zum nachdenken hatte er nicht mehr. Sie alle rannten nun hinter dem Schiffsbauer her in Richtung Sunny, die bereits in die kleine Hafenbucht einkreuzte, um sie alle an Bord zu nehmen.
 

Gar nicht weit entfernt ungefähr zur selben Zeit saß Tashigi auf ihrem Bett und blickte durch das kleine Fenster hinaus. Wie in Trance nahm sie die Zustände um sich herum wahr. Was um alles in der Welt hatte sie getan? Nachdem sie Zoro in die Uniform gestopft hatte, war sie mit ihm zum Gefängnis gegangen. Den ganzen Weg über plagten sie innere Ängste, dass sie auffliegen könnten. Andererseits fühlte sie sich komischer Weise in seiner Nähe absolut sicher. Doch Zoro sah so täuschend echt aus, dass niemand sie aufhielt oder unangenehme Fragen stellte. Sie hatte sich zuerst gewundert, wo er seine anderen beiden Schwerter hätte. Er antwortete ihr, dass diese gut aufbewahrt bei seinem Haus- und Hofschwertschlepper wären. Damit konnte er nur Chopper gemeint haben. Dann fügte er noch etwas hinzu, was sie sich krampfhaft versuchte, einzuprägen. Ihr Vater hieße Koushirou und wäre Kendo-Sensei in Shimotsuki-Mura, falls sie jemals auf die Idee kommen sollte, sich dorthin auf den Weg zu ihren ursprünglichen familiären Wurzeln zu machen.

Und dann war der Moment gekommen, wo sie ihn dort zwischen dem Exekutionskommando stehen lassen musste, um keinen Verdacht zu erregen. Sie hatten sich noch einmal angesehen und dann war sie auf dem Absatz kehrt ohne zurückzusehen gegangen. Schnurstracks war sie zurück zur Basis gelaufen und hatte sich dann in ihrem Zimmer eingeschlossen. Kurze Zeit später schrillte der Alarm und alle Einheiten wurden zusammengezogen. Hatte der Plan funktioniert? Sie wusste es nicht. Noch eine ganze Zeit saß sie hier verkrampft auf ihrem Bett, bis sich die Unruhe in der Basis gelegt hatte. Die Einheiten waren ausgerückt und sie damit nun praktisch allein in dem Gebäude.

Plötzlich riss sie sich zusammen. Sie wollte wissen, ob den Strohhüten wirklich die Flucht gelungen wäre und stand auf. Mit schnellen Schritten lief sie hinunter zum Hafen, wo bereits Kriegsschiffe ausliefen, um die Verfolgung der Sunny aufzunehmen. Also hatten sie es tatsächlich geschafft. Im Innersten freute sie sich dafür.

Sie blickte der Sunny hinterher, die sich langsam zu einem Punkt am Horizont verkleinerte bis sie gänzlich verschwand. „Bleib hier!“ Es war nur ein Flüstern, aber der Wunsch in ihrer Stimme hatte Nachdruck, als hätte sie es mit ihrer ganzen Seele herausgeschrieen. Tränen liefen ihr über die Wange. Sie hatte sich entschieden für eine lange Zeit in Loguetown zu bleiben und würde ihn deshalb vielleicht nie mehr wieder sehen.

17 - Über alle Meere hinweg

Der Plan der Befreiung ging glatt. Viel zu glatt. Zoro überlegte bereits auf dem Endspurt zur Sunny und mit Luffy unter dem Arm geklemmt, wo denn nun dieser verdammte Haken an der Geschichte sein könnte. Er ließ noch mal die letzten Minuten des Geschehens in einem Kopf Revue passieren. Das Publikum und auch das Aufgebot der Marine waren durch Usopps Feuerschuss geblendet und somit handlungsunfähig worden. Bis die ahnungslosen Anwesenden die Situation überblicken würden, hatten die Strohhüte bereits die halbe Stadt durchquert und konnten ihr Schiff in der Ferne sehen. Nun musste sie nur noch gemeinsam die Sunny erreichen und dann auf und davon segeln mit der Hoffnung, dass vor der Bucht noch nicht allzu viele Kriegsschiffe zusammengezogen worden waren. War das nicht alles ein Kinderspiel?

Der Haken an der ganzen Aktion wurde Zoro erst bewusst, als er die Sunny erklimmen wollte. Er hatte mit allem bei dem Plan gerechnet, aber nicht mit Choppers Dummheit. Erst als er seinen Kopf über die Reling schob und sich mit dem Geweih eines vor wutschnaubenden Rentieres konfrontiert sah, fiel ihm kochendheiß ein, dass der kleine Arzt im Erkennen von getarnten Personen ebenso wie ihr ehemaliger Captain eine absolute Niete war. Chopper war in Angriffsposition und meinte es ernst. Er würde das Schiff gegen jegliche Art von Marinesoldaten verteidigen und schon gar gegen welche, die Luffy als Geisel unter dem Arm spazieren tragen würden. Zoro brauchte viel Überzeugungsarbeit, dass er es tatsächlich selber war und kein Marinesoldat. Er tröstete sich genervt mit dem Gedanken, dass die Tarnung wenigstens absolut perfekt war. Für weitere Überlegungen blieben keine Zeit, denn nun wurde es noch einmal spannend, denn die ersten Kriegsschiffe tauchten auf.

Als die Piraten feststellten, dass es nur kleine Kähne waren, grinsten sie. Das war keine Herausforderung. Mit Hilfe des Coup de Bust flogen sie in den Himmel hinauf. Obwohl sie diesen Trick schon einige Male benutzt hatten, war es doch jedes Mal wieder etwas ganz besonders. Sowohl für die Crew, als auch die Marine. Als sie durch die Luft flogen, blickten sie alle noch einmal zur Erde hinab und auf Loguetown zurück. Aus dieser Perspektive sah alles so klein und friedlich aus. Das Wasser glitzerte unter ihnen in der Sonne und ein frischer Wind strich ihnen durchs Haar und um die Nase. Weit hinten am Horizont spannte sich die Redline wie großes zerknüddeltes Band auf. Obwohl es auf der Redline Vegetation und unterschiedliche Klimazonen gab, so schimmerte sie aus der Entfernung in einem warmen Rotton. Vielleicht hatte sie daher ihren Namen erhalten. Es war ein Jammer, dass sie nicht länger so unbeschwert dahinfliegen konnten. Wenigstens war es Franky nach einigen Tüffteleien gelungen, das Schiff auch wieder ohne Angst landen zu können. Die ersten Landungen waren mehr als unangenehm, doch diesmal glitt die Sunny außergewöhnlich sanft über die Wellen bevor sie wieder in die See eintauchte. Es war, als würde sich das Schiff über die Rückkehr aller Besatzungsmitglieder außergewöhnlich freuen.

Nach einiger Entfernung außerhalb aller Marineeinheiten steuerten sie den kleinen Fjord an, aus dem sie vor einigen Tagen gestartet waren. Dieser schien auch jetzt ein ideales Versteck zu sein. Dort könnten sie dann über alles weitere entscheiden.
 

Da der Seestein wieder sicher durch Marineeinheiten in den Kisten verstaut worden war, kehrte Smoker noch in der Nacht schlecht gelaunt nach Loguetown zurück. Ihm war von den Vorkommnissen berichtet worden und wusste nicht so recht, ob die Marineleitung wirklich so blöde oder tatsächlich so ahnungslos war. Es wurde von Meuterei des Marinehenkers gesprochen und einer plötzlichen Lichtexplosion, die alle für Minuten erblinden ließ. Angeblich war alles so überraschend, dass niemand hätte handeln können. Smoker benötigte nur die Finger der einen Hand, um eins und eins zusammenrechnen zu können. Es ärgerte ihn maßlos, dass die Strohhüte entkommen waren. Eine Sache war ihm allerdings nicht so recht klar. Er hatte sich Kopien von den Vernehmungsprotokollen Tashigis zusenden lassen und sie mehrmals aufmerksam durchgelesen. Einerseits war er letztendlich heilfroh, dass sie allein wieder den Weg zurückgefunden hatte, denn das hatte er ihr nicht so recht zugetraut. Andererseits war irgendetwas an ihren Aussagen im Protokoll zu genau durchdacht und abgeklärt. Es war einfach nicht ihre Art, solch eine Darstellung der Geschehnisse abzugeben. In der Vergangenheit hatte er sie oft die Papierarbeit machen und Protokolle schreiben lassen. Das machte sie zur Abwechselung sicher nicht schlecht, jedoch benutze sie einen ganz anderen Stil. Meist war es ein sehr ausführlicher und erzählter Abriss der Ereignisse, doch diese Protokoll war irgendwie anders. Kurz, knapp, präzise und somit Tashigi-unüblich.

Kurz nach Mitternacht trat er endlich wieder laut stampfend in sein Heimquartier ein. So schön es in der großen weiten Welt auch war: Zuhause war es doch noch am Schönsten. Er paffte an beiden Zigarren, um wieder den altvertrauten Tabaknebel durch die Basis zu blasen. Das gehörte sich einfach so und war nun mal ein typisches Erkennungszeichen dieser Dienstelle. Noch immer stand er im Eingangsbereich und überlegte, ob er Tashigi nicht einfach aus dem Bett jagen sollte. Die Sache mit dem Protokoll müsse geklärt werden. Doch als er aus den Augenwinkeln die nächtliche Besetzung im Büro sah, wandte er sich sofort dorthin. So eine personelle Einteilung, wie er sie dort vorfand, war eine Katastrophe. Er beschloss, erst mal die Dienstpläne einzusehen und nach seiner eigenen Zufriedenheit zu ändern. Hier musste mal wieder Ordnung einziehen. Er war viel zu lange weggewesen.

Nachdem das Personal wieder ordnungsgemäß nach seiner Pfeife tanzte und nun wohl auch der Letzte unter diesem Dach mitbekommen hatte, dass er wieder zurück wäre, marschierte er schnurstracks zu Tashigis Zimmer. Er wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und klopfte an. Niemand antwortete. Er schob seine Zigarren von einem Mundwinkel zum anderen und überlegte, wo diese Göre nur wieder stecken könne. Im nächsten Moment befand er aber, dass dieses ein günstiger Zeitpunkt für eine unauffällige Zimmerdurchsuchung wäre. Als Dienstellenhöchster hatte er nicht nur das Recht dazu, sondern auch einen Generalschlüssel für alle Zimmer. Ein in den Gängen patroullierender Soldat erhob Einwände, als er den Raucher beim Aufschließen der Tür beobachtete, doch ein scharfer Blick Smokers genügte, um den Wachposten zum Schweigen zu bringen.

Der Qualmer trat in das übersichtliche Zimmer ein und suchte mit seine Augen das Inventar ab. Was suchte er eigentlich? Er wusste, das Tashigi sicher nicht die Allerhellste war, aber so ganz dumm war sie nun auch nicht. Wenn es irgendwelche Beweismittel gab, dann wären sie vielleicht schon vernichtet, obwohl er sich nun nicht sicher war, wofür er Beweise suchte. Sein Blick blieb an dem dunklen Schatten an der Wand haften. Ein Wasserfleck von einem Rohrbruch oder Feuchtigkeit? Aber hier gab es kein Wasserrohr. Die führten alle bei dem kleinen Bad lang. Er betrachte den Klecks genauer, berührte ihn gar mit den Fingern und roch daran. Kohle? Das war mysteriös und Smokers Detektivsinn geweckt. Ihm schwante Übles und in seinem Kopf formte sich ein Verdacht, der zum Greifen nah war. Er drehte sich um zu dem kleinen Schreibtisch, wo die Aktenkopien der Strohhüte lagen und darüber an der Wand die Steckbriefe hingen. Alle Steckbriefe waren aus dem Papier, welches man in das Faxgerät unten im Büro schob. Jedoch waren die beiden Steckbriefe von Chopper und Zoro auf Zeitungspapier gedruckt. Seit wann nahm sie die denn für ihre Unterlagen? Sie zog doch sonst immer das Faxpapier wegen der besseren Qualität vor. Er wollte sich ganz sicher sein, dass es wirklich Steckbriefe aus der Zeitung waren und zog vorsichtig die Pinnnadeln aus der Wand. Tashigi sollte nicht gleich merken, dass er hier gewesen war. Seine Handbewegung hielt inne als er von Choppers Steckbrief die Ecke hochklappte und einen hochinteressanten Satz auf dem darunter liegenden Steckbrief las: „DU KANNST ZURÜCKKOMMEN...“ Und da dieser Satz auf keinem geringeren Steckbrief als dem von Roronoa Zoro stand, erhärtete sich der Verdacht des Rauchers. Der grünhaarige Teufel war garantiert genau hier in der Basis gewesen und diese selten dumme Göre hatte ihm geholfen! Dafür würde sie ihm Rede und Antwort stehen müssen. Obgleich es sich hier um Hochverrat eines Marinemitgliedes an der Weltregierung handelte, wusste Smoker nicht, ob er darüber lachen oder weinen sollte. Er konnte sich ihr Verhalten absolut nicht erklären, denn eigentlich waren sie sich mehr als feindlich gesinnt. Oder lag hier eine Erpressung vor? Während er wieder die Pinnnadeln ordnungsgemäß befestigte und den Raum verließ, zog er stärker als jeher an seinen Zigarren, dass man fast dachte, das Haus würde wegen dem vielen Rauch brennen. Er ging in sein eigenes Zimmer, setzte sich aufs Sofa und legte die Füße auf den Tisch. Weiterpaffend hüllte er alles um sich herum in dichten Rauch. Mit im Nacken verschränkten Armen beschloss er, gleich morgen früh Tashigi zu fragen, was sie sich bei allem dazu gedacht hätte.
 

Weit draußen in einer kleinen Bucht der Redline auf einem der bekanntesten Piratenschiffe überhaupt knisterte und brodelte es leise und schleichend. Ein Gewitter des Streits lag in der Luft. Obwohl die Crew nun wieder beisammen war, hielt sie sich dennoch in kleinen Cliquen auf der Sunny auf und es lagen noch viele Fragen zwischen ihnen. Die größte Frage jedoch lautete: Was nun?

Luffy war sofort nach Ankunft in Choppers Krankenzimmer gebracht worden, der ihn umgehend und ohne Einwände untersuchte. Er stellte eine intravenöse Indikation an flüssigem Seestein fest und deutete vor Augen aller auf kleine Einstichlöcher einer Kanüle auf dem Handrücken ihre Captains hin. Die Machenschaften der Marine waren einfach schweinisch. Es war fraglich, wann Luffy wieder vollkommen bei Sinnen und Kräften wäre. Vermutlich würde dieses schon ein paar Tage dauern, bis sein Körper das Gift abgebaut hätte, falls das überhaupt möglich wäre. Aber es wäre sicher nicht verkehrt, viel Fleisch für ihn bereit zu stellen, welches bei ihm einen positiven Heilungsprozess bewirken würde. Dann verließ der kleine Arzt den Raum auf das Vorderdeck. Mehr konnte er derzeit eh nicht für seinen ehemaligen Kapitän tun. Sie teilten Bettwachen ein, von denen Nami die erste Wache übernahm. Zoro nahm an dieser Einteilung nicht teil, da er sich gleich nach der Diagnose in Richtung Bad verzogen hatte. Mehrmals hatte er mit Wasser und der Kernseife aus den Händen des Rentiers versucht, den Kohlestaub wieder loszuwerden, doch das Zeug war tatsächlich hartnäckig und wusch sich nur zum Teil heraus. Es würde noch viel Wasser brauchen, bis die schwarze Farbe rückstandslos entfernt wäre. Und so war er wieder in sein Krähennest hochgeklettert, denn er wollte auf keinen Fall Sanji die Gelegenheit geben, sich über sein schwarz-grünes Leopardenmuster auf dem Kopf lustig zu machen. Obwohl er manchmal aus reiner Langeweile die Streitereien mit dem Koch vermisste hatte, so stand ihm derzeit auf solche Kindereien einfach nicht der Sinn. Zudem hatte er seit letzter Nacht nicht mehr geschlafen. Die fehlenden Stunden mussten dringend ausgeglichen werden.

Der Koch jedoch hatte anderes zu tun, als sich über die Haarfarbe des Schwertkämpfers lustig zu machen. Er war bereits wieder in seinem Element der Kochkunst versunken, zauberte die herrlichsten Kreationen für die beiden Damen an Bord, kochte Berge an Fleisch für Luffy und regte sich über Zoros Plünderung das Sakevorrates auf. Im Essensraum saßen Franky, Robin und Usopp sahen schweigend dem Koch bei der Arbeit zu. Irgendwann ging dem Kanonier die Stille auf den Nerv und er berichtete der Archäologin in schillerndsten Farben, wie die wundersame Rettung Luffys seinen Ablauf nahm. Diese hörte lächelnd zu und nippte dabei an einem Cocktail. Der Schiffsbauer mochte sich die ganze Geschichte nicht noch mal anhören. Er stand auf, trat auf das Deck hinaus und beschloss, dem Rentier auf dem Vorderdeck Gesellschaft zu leisten, neben welchem er Platz nahm. Nach einer Weile fragte er mit etwas Nachruck in der Stimme:

„Ich will eine klare Auskunft haben. Warum ist Zoro dir gefolgt?“

Beschämt sah der Angesprochene zu Boden und rang um eine Antwort.

„Frage ihn lieber selber! Ich will keinen Ärger.“

Der Cyborg seufzte. Diese Geheimniskrämerei um den Schwertkämpfer ging ihm gehörig auf den Senkel. Er würde aber leider heute nichts herausbekommen. Sobald Luffy wieder auf den Beinen wäre, müsste ein unaufschiebbares Gespräch zwischen allen Beteiligten stattfinden. Sie könnten nicht ewig hier in der Bucht bleiben und Däumchen drehen. Er wandte sich wieder zurück, von wo er gekommen war und sah aus einem Augenwinkel, dass es der kleine Arzt nun tierisch eilig hatte, hoch ins Krähennest zu kommen. Petzt der nun? Das alles war sehr merkwürdig, aber der Cyborg würde es schon rausbekommen.

„Franky hat komische Fragen gestellt“, petzte Chopper tatsächlich eine Etage höher. Doch als Zoro mit seinem Schweigen Desinteresse bekundete, setze sich der kleine Arzt neben ihn und starrte eine Weile aufs Meer. Zaghafte fragte er:

„Wie geht es weiter? Wirst du wieder gehen?“

„Keine Ahnung“, kam genervt zurück.

„Ich habe keinen Bock mehr, ständig von dir diese Antwort zu hören!“ rief das Rentier aufgebracht heraus, zuckte aber im selben Moment zusammen, denn er war sich nicht sicher, ob er das nun folgende Echo vertragen würde.

„Seit wir uns dem Ende der Grandline genähert hatte, bekomme ich komische Visionen, sehe Gespenster und kann durch Handauflegen Teufelskräfte lähmen. Ich dachte, es würde weggehen, wenn ich die Grandline verlasse, aber das blieb. Es war, als hätten Geister mich gerufen. Ich denke, es hängt mit dem Ende der Grandline zusammen“, fasste Zoro laut denkend zusammen.

„Dem Ende der Grandline? Da sollte angeblich Raftel liegen, aber Usopp hatte mir zwischendurch verraten, dass dort nichts war“, überlegte Chopper.

Beide schwiegen vor sich her.

„Siehst du, Chopper, ich weiß eben wirklich nicht, was wir machen sollen.“
 

Es dauerte ganze drei Tage, bis Luffy sich wieder aus seinem Bett zum Essensraum erheben konnte. Teils im Schlaf, teils im Wachzustand schaufelte er Fleischstück um Fleischstück ins sich hinein, sodass sogar ein Spitzenkoch wie Sanji Mühe hatte, für Nachschub zu sorgen. Nach zwei weiteren Tagen waren sämtliche Essensvorräte leer und der Captain wieder wohlauf.

Als sie wieder einmal zum Mittagessen in dem großen Essensraum saßen, gab Sanji allen zu verstehen, dass sie umgehend irgendwo die Vorräte auffüllen müssten. Laut Robins Angaben wäre ein kleiner Ort wie Sana dafür wohl nicht geeignet. Luffy kam natürlich auf die Idee, wenn sie schon im East Blue wären, könnten sie einmal in ihre alten Heimaten auf einen Besuch zurückkehren. Usopp stimmte diesem zu, doch Sanji und Nami wiesen die beiden zurecht, dass die Marine sicherlich selbige Ideen hätte und dort nur auf sie lauern würden. Die Dörfer wären sicherer, wenn sie dort noch nicht aufkreuzen würden. Das müsse noch warten. Die Stimmung am Tisch war wie in alten Zeiten. Luffy, Usopp und Chopper machten Blödsinn und beölten sich lauthals, Nami hatte sich von ihren Depressionen erholt und verteilte munter Kopfnüsse und Sanji kochte wie immer übertrieben lecker. Lediglich Robin, Franky und Zoro aßen schweigend vor sich her. Unerwartet warf Letzterer nun eine Frage in den Raum, für die es aber endlich einer Entscheidung bedurfte.

„Luffy, bist du wieder klar in der Birne? Sonst müssen sich unsere Wege leider wieder trennen!“ Alle starrten nun sprachlos zu Zoro hinüber, der genau am gegenüberliegenden Tischende provozierend zu seinem ehemaligen Captain sah.

Der Kapitän der Bande setzte eine ernste Mine auf und zog den Strohhut tief ins Gesicht. Er dachte eine Weile nach und begann in überlegtem Ton:

„Lach’ nicht, aber als ich da im Gefängnis saß und ich immer schwächer wurde, zogen noch einmal unsere ganzen Abenteuer an mir vorbei. Von dem Tag an, wo ich dich getroffen hatte bis zu dem Tag, wo du einfach abgehauen bist. Ich hatte es damals nicht verstanden. Ich dachte, du hättest uns im Stich gelassen.“

Er schwieg eine Weile und überlegte wieder.

„Aber als mein letzter Tag nun kommen sollte, habe ich verstanden. Wir wollten unsere Träume zusammen erreichen. Als wird Raftel erreichten, waren wir alle schon lange nicht mehr zusammen. Ich bin ein selten schlechter Captain...“

Er senkte den Blick und auch der Rest der Anwesenden wusste nicht so recht, was sie von dieser Ansprache halten sollten, denn sie war so selten, wie Weihnachten und Hanami auf einen und den selben Tag fielen. Zoro saß unverändert wortkarg mit verschränkten Armen da und blickte kühl zu Luffy hinüber. Dieser schluckte und holte tief Luft:

„In den letzten Wochen, als du noch bei uns warst, habe ich mich an deiner Seite noch nie so einsam gefühlt. Warum war das so?“ Luffy blickte nun auf: „Du hast gewusst, dass wir nicht allein nach Raftel kommen! WARUM?“

Zoro senkte den Kopf leicht und grinste dabei dreckig. „Willst du es rausfinden?“

In manchen Dingen war der Gummimensch durchschaubar wie Plexiglas und so folgten nach einer Weile die Worte, die der Schwertkämpfer aus dessen Munde hören wollte:

„Ich bitte euch, wieder in der Crew zu sein! Ich lag falsch! Was sagt der Rest?“

Alle nickten betreten, doch Robin und Franky tauschten einen Blickwechsel aus, der nichts anderes hieß, als dass diese Show hier nur die halbe Wahrheit gewesen war.

Der Cyborg war skeptisch und erhob Einwände.

„Moment mal! Damals, als Usopp wieder mitkommen wollte, hattest du so einen Aufstand gemacht, dass diese Fahrt kein Kindergarten sei und nicht jeder Ein- und Aussteigen könne. Ich will nicht unhöflich sein, aber mir schein, du fährst nun dieselbe Tour!“

„Nein, mir ging es in erster Linie um Chopper.“ Kam es kurzangebunden als Antwort.

„Und du selbst?“ Franky zog eine Augenbraue hoch.

„Ich nutze das nette Angebot einer Mitfahrgelegenheit.“

Der Cyborg kochte innerlich wollte dem Schwertkämpfer streitsüchtig etwas an den Kopf werfen, doch Luffy beendete das Thema.

„Warte, Franky! Ich habe entscheiden. Sie können beide mitkommen!“

Sanji erhob sich als erster und schleifte Usopp mit zum Küchendienst. Die Runde löste sich aus. Chopper traute seinen Augen und Ohren nicht und so fragte er lieber flüsternd bei Zoro noch einmal nach:

„Heißt das, wir fahren hier wieder mit?“

„Ja.“

„Bin ich jetzt wieder ein echtes Mitglied?“

„Ja, verdammt!“ kam es zurückgeblubbert. Manchmal ging dem Schwertkämpfer die Begriffsstutzigkeit des Rentiers gehörig auf die Nerven. Keine Stunde später waren sie wieder unterwegs auf dem Meer, um eine Stadt anzulaufen, wo sie Proviant organisieren konnten. Zoro verzog sich wieder in den Ausguck. Er hatte bei dem Gespräch den Blickwechsel zwischen der Archäologin und dem Schiffsbauer bemerkt. Da würde sicher noch etwas nachkommen und dem wollte er erst mal ausweichen. Solange er nicht wusste, woher dieser dämonische Hokuspokus um hin herum kam, war er sich nicht sicher, ob ein dauerhafter Platz in der Crew sinnvoll wäre.

18 - Flucht ins Nirgendwo

Am Horizont warf die aufgehende Morgensonne bereits erste Strahlen an den Himmel, als Tashigi von dem nächtlichen Patroulliengang mit ihrer Mannschaft durch die Straßen Loguetowns in die Marinebasis zurückkehrte. Sie wollte möglichst schnell auf ihr Zimmer, denn sie hatte schon vor ihrem Dienstbeginn einen Topf mit weißer Wandfarbe organisieren können. Der Klecksschatten an ihrer Zimmerwand sollte nun möglichst schnell der Vergangenheit angehören, bevor irgendjemand diesen genauer unter die Lupe nehmen und Verdacht schöpfen könnte. Im Eingangsbereich entließ sie ihre Truppe vom Schichtdienst und übergab die Papiere und die Aufsicht dem nächsten Offizier, der nun den Frühdienst übernehmen würde.

„Fähnrich Tashigi, Flottillenadmiral Smoker ist zurück und will sie umgehend in seinem Büro sehen!“ meldete ihr ein Soldat.

„Der Flottillenadmiral ist zurück?“ dachte sie erstaunt und antwortete: „Gut! Wegtreten!“

Einerseits war ihr vollkommen klar, das Smoker sie sehen wollte. Immerhin war sie nicht wie vereinbart mit der Kistenladung nach Loguetown gekommen, sondern hatte einen eher unfreiwilligen Umweg auf der Redline genommen. Sicher war der Admiral darüber informiert und würde sie zu diesem Vorfall befragen. Andererseits fürchtete sie genau diese Fragerei. Sie wollte auf gar keinen Fall Details rausgeben, und auch über ihren roten Schmetterling musste nicht jeder informiert sein. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie absolut nicht marine- und linientreu dachte und sich in ihrem Gedenken und Handeln in den letzten Tagen stark gewandelt hatte. Hoffentlich würde niemand diesen Wandel bemerken, bis wieder Ruhe eingekehrt wäre.

Ohne Eile ging sie die Treppe hinauf zu Smokers Privatbüro und klopfte kurz an. Ihr war unwohl bei dieser Begegnung, denn ihr Chef war undurchschaubar und man wusste nie so recht, was er dachte oder von einem hielt. Da keine Antwort kam, drückte sie vorsichtig die Klinke herunter. Nur sie besaß diese Sonderprivileg, einfach so in den Raum zu platzen, und hatte häufig in den letzten Jahren Gebrauch gemacht. Durch den Türspalt linste sie in das Büro und sah den Qualmer auf dem Sofa sitzen. Im nächsten Moment winkte er sie wortlos herein und wies ihr einen Platz auf einen gegenüberstehenden Sessel zu. Der Raucher beobachtete jeden Schritt und die Gesamtkörperhaltung seiner Unterstellten, die lautlos auf dem alten Sessel Platz nahm. Ihr Verhalten sprach Bände und passte nicht zu ihr, denn er sah eben das komplette Gegenteil ihrer sonst. Ihr Gang war überlegt, ihr Wesen zurückhaltend und sie starrte auf den kleinen Couchtisch zwischen ihnen. Normalerweise wäre sie hier energisch hereingestürmt und hätte lauthals Meldung über irgendwelchen Nonsens von sich gegeben. Ihm entging auch nicht, dass sie ein Halstuch trug, da sie zuvor so etwas nie getragen hatte. Der Raucher zog kräftig an den Zigarren um im nächsten Augenblick den Raum kräftig mit neuem Rauch zu versorgen.

„Ich freue mich, sie hier wieder zu sehen, Herr Flottillenadmiral!“ meldete sie gehorsam, wandte aber ihre Augen nicht von der Tischplatte ab, wie jemand, der ein schlechtes Gewissen mit sich herumtrug.

„Lass den Quatsch! Ich habe deinen Bericht und dein Zimmer gesehen. Was hast du dir dabei gedacht?“ blaffte Smoker sie an. Ihr wurde heiß und kalt zu gleich, aber sie musste sich zusammenreißen. Was mochte er in ihrem Zimmer gesehen haben? Den Klecks? Den Steckbrief? Das Tagebuch des Folkloristen mit Zoros Foto darin? Es wurde nun äußerst eng für sie. Jedes Wort musste nun überlegt sein, denn die Gemächer hatten Ohren und die Türen Augen. Sie sah ihn nun mit gespielt ernster Miene direkt an und versuchte, möglichst entschlossen und kräftig zu klingen.

„Ich weiß nicht, was sie meinen, Sir!“

Smoker kaute genervte auf den Zigarren herum und schob sie von einem Mundwinkel in den anderen. Was zum Teufel war mit ihr in den letzten zweieinhalb Wochen passiert? Er blies noch eine Tabakwolke in die Luft und die Sichtweite lag nun unter dem 2-Meter-Bereich. Jeder, der diesen Smok nicht gewohnt war, wäre nun sicher am Erstickungstod gestorben. Der Raucher hasste langes Gerede und Ermittlungsfallen. Er konfrontierte seine Verhöropfer lieber direkt.

„Roronoa Zoro! Er war hier! Und du hast ihm geholfen! Du weißt, dass ich dich nun eigentlich wegen Hochverrats an der Weltregierung verhaften und ausliefern müsste?“

Sie wurde kreidebleich und starrte wieder beschämt auf den Tisch. Natürlich war ihr vollkommen klar gewesen, dass die Konsequenz ihres Handels eine Bestrafung mit dem Tode sein würde. Doch solange sie Zoro und Chopper um sich gehabt hatte, war ihr die Bedeutung dessen nicht wirklich bewusst gewesen. Sie war zu dem Zeitpunkt blind durch ihre neuerlangte Freiheit und erkannte, dass sie sich bei den beiden in Sicherheit und behütet gefühlt hatte. Nun war sie allein und spürte Angst in sich aufsteigen. Sie tadelte sich für ihre Dummheit, denn es war ein Irrglaube, dass sie niemals auffliegen würde. Aber es war nun zu spät, um zu bereuen. Sie bekam wieder Atemnot und griff panisch an ihren Hals und riss dabei das Tuch herunter. Smoker, der dachte, es läge am Tabak, sah nun erstaunt auf einen leuchtend roten Schmetterling, der wie aus einem zarten Lichtstrahl gegossen schien. Als sie wieder zu Atem kam, erklärte sie nur ihrem erstaunten Vorgesetzten knapp zynisch: „Das ist der Fluch meiner toten liebreißenden Zwillingsschwester!“

Ihr Gegenüber blickte sie immer noch erstaunt an, denn diese Aussage barg eine wahrlich interessante Geschichte hinter sich. Über Tashigis Herkunft war nichts bekannt. Der Admiral überlegte und entschied dann doch zu Gunsten seiner eigenen Einstellung von Gerechtigkeit. Er schlussfolgerte, dass ihr Verhalten und ihre Taten wohl mit diesem Mal am Hals und den Ereignissen der letzten Wochen zusammenhängen würde. Und das Motiv dafür war sicher keine Dankbarkeit oder Nächstenliebe. Er hielt seinen Verdacht jedoch zurück, denn er wollte sie nicht aufs Glatteis führen. Dafür gab es auch in Loguetown um sie herum zu viele Spione der Regierung.

„Ich gebe dir ab jetzt genau zwei Tage Zeit, dir eine Stellungnahme zu dem Vorfall zu überlegen. Erst dann werde ich es dem Marinehauptquartier melden!“ Obwohl es seine Stimme einen harten Tonfall hatte, so huschte doch ein kurzes Grinsen durch sein Gesicht. Tashigi wusste, was dies bedeutete. Es war eine allerletzte Gnadenchance.

„Vielen Dank, Sir!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, erhob sie sich und verließ den Raum. Schnell wandte sie sich ihrem Zimmer zu. Vermutlich wäre das die einzige und letzte Gelegenheit. Sie musste hier sofort weg. Kaum in ihrer kleinen Unterkunft angekommen, kramte sie ihren Rucksack hervor und stopfte alles an Klamotten hinein, was sie hatte. Der Herbst kam und es würde sicher bitterkalt werden. Sie beschloss aus der Reservistenkammer einen von den grauen dicken Tarnmänteln mitzunehmen. Auch Proviant und eine Karte würde sie brauchen. Und Geld. Aber bis auf ein paar Berri in ihrer Tasche hatte sie nichts mehr. Nachdem sie ihren Rucksack bis zum Rande prall gepackt hatte, kam noch das Tagebuch und der Steckbrief obendrauf. Bereits eine halbe Stunde später war sie mit Sack und Pack am Hafen und konnte es noch nicht glauben, dass niemand in der Marinebasis von den wachhabenden Offizieren ihr irgendwelche dummen Fragen gestellt hatten. Sie begnügten sich alle mit der Begründung, dass sie in weite Ferne abgeordnet wäre. Alle hat ihr Weggehen bedauert und sie konnte ihre Tränen kaum zurückhalten. Wie hätte jemand außer ihr ahnen können, dass sie wohl niemals mehr wiederkehren konnte?

Aufmerksam suchte sie die Hafengegend nach einer Kneipe oder Bar ab. In ihrer Uniform konnte sie unmöglich die Flucht ergreifen. Tatsächlich hatte schon eine dieser billigen Absteigen am frühen Morgen geöffnet und sie musste sich arg zusammen reißen, als sie die Kneipe „Zum schmierigen Löffel“ betrat. Ein paar Männer hockten am Tresen und ließen sich bereist zu diesen frühen Morgenstunden mit Alkohol voll laufen. Sie alle sahen ungepflegt aus und rochen selbst durch den Kneipengestank bis zur Eingangstür nach Schweiß. Sie rümpfte angewidert die Nase und überlegte, ob sie nicht doch gleich wieder gehen sollte, doch die gierigen Blicke der Männer nach Frischfleisch hatten sie längst mit den Augen ausgezogen und sabberten jeden ihrer Schritte hinterher. Die Wirtin mit einem viel zu großem Busen in einer viel zu kleinen Korsage und dicker Schminke im Gesicht fragte hochmütig, was sie denn hier verloren hätte. Obwohl sie sich sehr müde und unwohl in dieser Runde fühlte, gab sie selbstbewusst an: „Nur auf die Toilette!“ Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so schnell umgezogen und den Toilettenschlüssel gar zweimal umgedreht. Es stank bestialisch nach Urin und Fäkalien. Das Klo war dreckverschmiert, ebenso der Fußboden und der Spiegel über dem kaputten Waschbecken. Putzmittel schienen seit Jahren keine Anwendung gefunden zu haben. Sie musste stark würgen. So ekelhaft war es. Und als sie wieder vor der Klotür im Kneipenraum stand, kam ihr sogar diese Drecksluft sauber vor. Sie zog die Kapuze ihres grauen Regenponchos über den Kopf und wollte gerade die Ausgangstür ansteuern, als einer der schmierigen Tresenkerle sie schmerzhaft am Handgelenk packte.

„Schätzchen, für die Toilettenbenutzung wird hier bezahlt!“ Der Typ grinste dreckig und sein stinkender Atem ließen bei der jungen Frau Übelkeit aufsteigen. Der Blick in die anderen Gesichter des Thekenpacks verhießen nichts Gutes. Hier war niemand an Geld, sondern eher an schneller Befriedung sexueller Triebe interessiert. Sie wusste selbst nicht, was in diesem Moment über sie kam. Sie hörte ihre eigene Stimme wie durch eine Nebelwand. Ihre eigenen Worte klangen ihr fremd und ungewöhnlich. „Ich bin nicht dein Schätzchen!“ fuhr sie ihn aggressiv an und zog ohne Nachdenken Shigure mit der noch freien Hand. Normalerweise führt man ein Katana grundsätzlich mit zwei Händen und so rechnete sie nicht damit, dass sie einhändig exakt treffen würde. Doch der Hieb saß perfekt und der Kerl starrte, wie blutspritzend seine Hand vom Körper getrennt zu Boden viel. Dann schrie er lautheulend auf. Alle in der Kneipe waren entsetzt und geschockt. Selbst Tashigi, doch sie drehte sich geistesgegenwärtig um rannte aus der Tür hinaus an der Kaimauer entlang, bis sie sich in einer alten verlassenen Lagerhalle sicher fühlte. Was hatte sie da eben getan? Sie redete sich ein, dass es Notwehr war und wusste nun endgültig: Sie war nicht länger ein Marinemitglied und musste nun selbst zusehen, wie sie überleben würde. Was sollte sie nun tun? Wohin sollte sie gehen? Wie hieß das Kaff noch mal, wo angeblich ihr Vater leben würde? Shimotsuki? Sicherlich war sie schon daran interessiert, etwas über ihre Vergangenheit herauszufinden und so stand ihr nächstes Reiseziel fest, obwohl sie nicht einmal wusste, wo dieser Ort lag. Aber erst mal musste sie überhaupt von dieser Insel runter.

Sie fand nach langem Spionieren eine Fähre, dessen Besatzung emsig beschäftigt war, das Gepäck der Passagiere zu verladen. Noch diesen Abend würde es auslaufen. Tashigi sah darin die passende Möglichkeit zu fliehen und versteckte sich heimlich zwischen Kisten und Proviantsäcken im Laderaum. Sie wusste nicht, wohin das Schiff fahren und wie lange sie unterwegs sein würde, aber das musste sie betrübt in Kauf nehmen. Noch ein letztes Mal erhaschte sie durch die Ladeluke einen Blick auf Loguetown. Sie merkte, dass ihr eine Abschiedsträne über die Wange lief und sagte im Stillen ein Lebewohl an alle, die sie bereits jetzt in ihrem Herzen vermisste.

Die Fähre legte planmäßig ab und segelte in eine ungewisse Zukunft für die ehemalige Marineangehörige. Diese versuchte unterdessen, sich in der Dunkelheit des Laderaums zurecht zu finden und fand beim Herumtasten eine Kerze. Im Kerzenlicht stahl sie aus den Kisten Brot, Obst und eine Flasche mit Wasser, was sie alles hastig verschlang. Sie war verwundert über sich selbst, wie schnell die Hemmschwelle zum Klau gefallen war.

Zu spät hörte sie die Schritte und das Öffnen der Schotte zum Laderaum. Grell geblendet von dem einfallenden Licht hörte sie überraschte Stimmen von zwei Matrosen: „Na, wen haben wir denn da? Blinde Passagiere?“ Geistesgegenwärtig rannte sie mit gezogenem Schwert auf die beiden zu und schubste sie mit der stumpfen Seite ihres Shigure weg. Ziellos hastete sie weiter durch das Schiffsinnere auf der Suche nach dem Weg aufs Deck. Die Verfolger waren dicht hinter ihr und der Abstand verringerte sich zusehends, da sie immer wieder über ihre eigenen Füße stolperte oder mit ihrem Poncho irgendwo hängen blieb. Irgendwann nach unzähligen Fehlversuchen landete sie durch eine Tür in der Kajüte und durch eine weitere Tür im kleinen Speisesaal, wo die erschreckten Passagiere sie anstarrten wie ein Gespenst und lauf aufschrien. Immerhin hatte sie noch Shigure in den Händen. Sie schenkte alle dem keine Beachtung und rannte an Deck. Suchend sah sie sich nach einem Rettungsboot um. Sie sprang hinein, kappte die Taue und rasselte mitsamt des Bootes einige Meter in die Tiefe, so dass es auf der Meeresoberfläche laut aufplatschte und viel Wasser in das kleine Boot lief. Fast wäre sie hier noch gekentert. Das Glück jedoch war auf ihrer Seite und bescherte ihr raue See und Nebelschwaden. Bald war sie durch den Wellengang außer Sichtweite der Fähre und ihre Verfolger los.
 

Natürlich war es eine Dummheit gewesen, einfach so ohne Kompass und Sextant ein Boot zu kapern. Erschöpft lag sie in dem kleinen Boot und schlief. In der Nacht war es bitterkalt. Längst hatte sie sich in den dicken Mantel gewickelt, doch sie klapperte selbst im Schlaf wie Espenlaub. Der nächste Tag brachte kalten Wind und eine raue See. Das Boot schaukelte wild hin und her. Nur mit Mühe konnte sie es am Kentern hindern. Sie war mutterseelenallein und es war kein Land in Sicht. Sie fühlte sich hilflos, verlassen und allein. Obwohl sie ihre Vorräte gut einteilte, würden sie wohl keine fünf Tage halten.

Die nächsten Tagen vergingen wie alle anderen Tage davor. Sie trieb ohne Zukunft dahin. Die Kälte und der Hunger zerrten an ihren Kräften. Ihre Lippen waren bereits blau und ihre Haut schneeweiß.

In der sechsten Nacht auf See beruhigte sich das Meer endlich und es wurde spiegelglatt. Kein Lüftchen regte sich, doch die Temperatur sank unter den Gefrierpunkt. In ihren Haaren begannen sich erste Eiskristalle zu kleinen Eiszapfen zu verbünden. Der Himmel war wolkenlos. Ein fahler Halbmond spendete dürftig Licht. Sie lag auf dem Rücken und sah in den Sternenhimmel hinauf. Noch nie hatte sie ihn so klar und strahlend gesehen. Wie ein riesig großes Zelt spannte es sich über den gesamten Horizont. Die Sterne funkelten und glitzerten um die Wette gegen den schwarzen Himmel. „Kohlpechrappenschwarz“, schoss es ihr durch den Kopf. Leise musste sie lachen, als sie an Zoros schwarzen Haare dachte. Noch immer spürte sie seine kurzen strubbeligen Haare in ihren Finger als wäre es gerade eben erst gewesen. Der Nachthimmel war wunderschön und es machte sie traurig, dass sie dieses schöne Naturschauspiel mit niemanden teilen konnte. Sie erkannte viele Sternenbilder wieder und erinnerte sich, wie sie diese einst Chopper erklärt hatte. Chopper. Zoro. Und die restlichen Strohhüte. Wo mochten sie gerade stecken? Viele Erinnerungen und Gedanken kreisten durch ihren Kopf. Wenn sie nicht in den nächsten Tagen an Land getrieben oder von einem Schiff gerettet werden würde, dann würde sie sicher verhungern oder erfrieren. Die Überlebenschancen standen gerade jetzt, wo bald die Herbststürme beginnen würden, sehr schlecht für sie. Aber war das nicht alles egal? Ihr alte Welt war zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Zur Marine konnte sie nicht zurück und für die Zukunft hatte sie in der Vergangenheit keine Pläne geschmiedet gehabt. Es wäre ja alles durch die Marinelaufbahn geregelt gewesen. Nun würde sie hier langsam, aber sicher sterben. „Zoro, wie soll ich denn zurückkommen, wenn ich gar nicht weiß, wo ihr seid?“ flüsterte sie schwach dem Sternenhimmel zu. Sie wollte die Hoffnung auf eine Absolution nicht aufgeben, doch sie war vollkommen kraftlos. Die Kälte hatte ihren Körper ermüden lassen und wieder einmal schlief sie in ihrem kleinen Boot in den unendlichen Weiten des Meeres ein.

19 - Gefühlswellen

Die Sunny glitt durch die spiegelglatte See wie ein heißes Messer durch Butter und schob die wie von Öl durchtränkte Bugwelle vor sich her. Insgesamt floss das Meerwasser wabbernd wie Heizöl, obwohl es kristallklar war. Dafür gab es kaum plätschernde oder rauschende Geräusche von sich. Nebelbänke hingen über dem Wasser und ließen die Sicht selbst vom Ausguck aus unter eine Sichtweite von fünfzig Meter fallen. Sie konnten nur langsame Fahrt machen, denn auch auf einem Ozean musste man jederzeit mit Hindernissen wie fremden Schiffen oder ähnlichem rechnen.

Nachdem Nami ausgiebig und begeistert Pekkas Karten studiert und mit aktuellen Plänen verglichen hatte, wurde kurzum beschlossen, ein kleines Fischerdorf an der Redline anzusteuern. Den Unterlagen entnahm sie, dass zwischen den Gebieten von der Nüw Welt und Srevileg die Redline sehr schmal war und dort in der Vergangenheit ein Kanal zwischen dem North Blue und dem East Blue von der Weltregierung geplant war. Jedoch hatte niemand aus der Crew jemals von solchen Kanalprojekten etwas gehört oder gelesen. Man vermutetet, dass das Bauprojekt wohl gescheitert wäre. Wie dem auch wäre: Die Vorräte gingen zur Neige und mussten unmittelbar aufgefüllt werden. Nach diesem einstimmigen Beschluss über das neue Reiseziel hatte die Sunny vor ein paar Tagen die Bucht bei Sanaland verlassen und dümpelte nun seit dem gestrigen Vormittag im Schneckentempo durch diese Nebelbrühe in Richtung Nordost immer an der Küste der Redline entlang.

Obwohl die Crew im Allgemeinen eine generelle Fröhlichkeit als Grundstimmung inne hatte, so schlug der dichte Nebel und die Schleichfahrt ihres Schiffe allen gehörig auf das Gemüt. Um der Langenweile zu entfliehen, hatte sich nach dem Frühstück langsam, aber bestimmt, jeder irgendeiner Beschäftigung zugewandt. Usopp und Franky erneuterten von Grund auf das Soldier Dock System und bastelte mit vollem Eifer daran herum. Besonders der Scharfschütze konnte sich beim Auftragen des zweifarbigen Schutzanstrichs richtig austoben und zauberte fantastische Muster auf die Innenwände des Rotierrades, die jedoch Franky so rein gar nicht gefielen und somit heftigste Diskussionen über den Sinn und Unsinn künstlerischer Freiheit und handwerklichem Nutzen ausgefochten wurden. Der Streit war Franky zudem um einiges Lieber als die 985. Wiederholung von Usopps Lügenmärchen. Die beiden Frauen werteten weiterhin die Karten aus. Durch Robins geschichtliche und Namis kartographische Kenntnisse entdeckten sie interessante Grenzverläufe, verschwundene Orte und veränderte Küstenverläufe. Sie konnte zudem feststellen, dass veränderte Klimazonen starken Einfluss auf die Redline gehabt haben musste. Die beiden waren sehr vertieft in diese Arbeit und notierten alles fleißig auf unzähligen Bögen Papier. Die ausführliche und sehr theoretisch ausartende Auswertung sollte sich die Crew dann beim Abendessen anhören müssen. Der Koch hatte den Kapitän zum Abtrocknen abkommandiert, doch als Luffy bereits den dritten Teller in Folge runterschmiss, weil er die ganze Zeit abgelenkt mit Chopper rumalberte, warf Sanji entnervt Gummimensch und Rentier in hohem Bogen aus der Küche. Nun lümmelten die beiden am Tresen, hielten sich die Bäuche vor lachen und trieben von dort her ihren Schabernack mit dem Koch. Einerseits war der Smutje über so viel Dummheit am explodieren, andererseits erstaunte es ihn, auf welch tiefstes Niveau man abrutschen und darüber auch noch laut lachen konnte. Kopfschüttelnd brachte er die Kombüse auf Vordermann und begann, die unendlich lange Einkaufsliste zu erstellen. Sicherlich würde sie Schwierigkeiten mit den Finanzierungen der Lebensmittel bekommen und seiner Nami-Maus die Tränen in die Augen treiben. Nur allein der Gedanke daran, dass es der Navigatorin nicht gut gehen würde, zerriss in innerlich. So war er nun mal. Aber Proviant brauchten sie trotzdem.

Eigentlich hatte sich der Schwertkämpfer nur einen kurzen Schlaf gönnen wollen, um anschließend mal wieder in seinen alten anschließenden Trainingsrhythmus zu kommen. Jedoch schrak er plötzlich auf. Er hatte im Schlaf aus heiterem Himmel den Traum bekommen, die ganze Crew würde um ihn herumstehen. Sie würden ihre eigenen Gefühlswelten in riesigen Wassereimern tragen und nun alle gleichzeitig über seinem Kopf auskippen, so dass er eine eiskalte Dusche verpasst bekam. Es war ein derartig unangenehmer Zustand gewesen, dass er im Moment des Aufwachens Schüttelfrost von Kopf bis Fuß bekam. Doch er war im Krähennest vollkommen allein. Unter ihm streckte sich das Deck der Sunny aus und auch das Meer konnte man dunkel in der Tiefe zwischen Nebelschwaden erahnen. Der Nebel war mittlerweile so dicht, dass er wie eine weiße Wand gegen die Fenster des Krähennestes drückte. Was war das nur wieder für ein Albtraum?

Auf dem Deck konnte er beobachten, wie Luffy und Chopper hochkant aus dem Essensraum flogen. Vermutlich hatten sie garantiert Sanji verärgert. Er betrachtete genau den kleinen Arzt und den Captain. Wie große, ruhige Wellen schwappten unsichtbar innere Emotionen von den beiden herauf. Chopper sendete langsame, naive und freudige Wellen. Die von Luffy waren etwas schneller, denn zwischen Naivität und Fröhlichkeit war da ein Rinnsal an Schalkhaftigkeit herauszufiltern. Zoro wunderte sich über die beiden und sich selbst, als ihm schlagartig bewusst wurde, dass er die Gefühle von anderen erkennen und lesen konnte. Ein boshaftes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. Es wäre sicherlich von Nutzem, wenn man jederzeit wissen würde, was der Gegner fühlte. Diese eben entdeckte Fähigkeit war fast so schön wie Gedankelesen. Nein, sie war besser, denn er wollte gar nicht so genau wissen, was seine Crewkollegen so in ihren Köpfen hätten. Das wäre auf die Dauer sicher nichts Gutes.

Neugierig geworden kletterte Zoro vom Ausguck herunter. Immerhin wollte er prüfen, ob er nun wirklich Gefühlswellen lesen konnte oder ob alles nur ein dummer Zufall wäre. Die Zeitungsmöwe flog trotz der dicken Nebelsuppe über ihren Köpfen und warf ein Exemplar gedruckter Artikel Luffy zu Füßen, der zur Abwechselung mal ein Berri-Stück in der Tasche hatte und bezahlen konnte. Unter dem Vorwand, auch einmal die neuste Zeitung lesen zu wollen, schnappte er siegessicher das Käseblatt Luffy und Chopper vor der Nase weg und wandte sich unter Protest der beiden anderen zum Essensraum. Als er die beiden passieren wollte, spürte er die Nachteile der neuen Fähigkeit. Je näher er an die beiden kam, desto heftiger wurden die Wellen. Und als er zwischen den beiden hindurchging, dachte er, von rechts und links überrollt und zerdrückt werden. Das war nun nicht lustig. Ob man das steuern könnte? Das musste er unbedingt hinbekommen, sonst würde er früher oder später in den ganzen Gefühlsstrudeln absaufen.

Kommentarlos setzte er sich fast unbemerkt im Schneidersitz in eine Ecke des Speiseraumes und las die Zeitung. Besser gesagt, er tat nur so und beobachtete wie ein schlechter Agent über den Zeitungsrand hinweg exakt jeden Millimeter, der sich hier rührte. Der Smutje stand in der Küche und glich noch einmal die Einkaufsliste mit seinem tatsächlichen Bestand ab. Da waren kurze, schnelle Wellen vom Ärger, die langsam abflauten und eine konzentrierte Welle, die fast wie eine Linie war, aber immer wieder durch das Abschweifen der Gedanken zackte. Hochinteressant! Zoro beschloss, von seinem Eckplatz seine Studien mittels Hilfe der Crew als Versuchskaninchen fortzusetzen. So interessant und spannend das alles auch war, spätestens beim nächsten gemeinsamen Essen würde er irre werden, wenn alle um ihn herumsitzend unbewusst Gefühlswellen auf ihn platschen lassen würde. Dieser Zustand müsste doch auch wieder aufhören. Vielleicht würde Ablenkung helfen. Also begann er jeden Artikel des Tagesblattes von vorn bis hinten genau zu lesen und nicht einfach nur wie üblich die Überschriften zu überfliegen. Tatsächlich brachte diese etwas Erleichterung. Die Kontrolle war also wie alles eine reine Konzentrationssache. Es kam darauf an, wie man sich auf wen konzentrierte. Wieder grinste er, denn für ihn als Schwertkämpfer wäre das kein unlösbares Problem, sondern reine Übungssache wie so alles beim Schwertkampf.

„Hey Marimo! Muss ich den Sakevorrat verdreifachen? Du hast in den wenigen Tagen mehr gesoffen als ein Fass ohne Boden!“ kam es provozierend aus der Küche und die Gefühlswelle die da heranrollte traf Zoro volle Breitseite. Damit hatte er nicht gerechnet, so dass er aus Verwirrung und Überraschung fast die Zeitung zerrissen hätte. Sanji hatte bei ihm einen unkonzentrierten Moment erwischt und ihn fast aus der Bahn geworfen.

„Wenn es dich glücklicher macht ...“, versuchte Zoro möglichst gleichgültig zu klingen. Normalerweise hätte er dem Koch Schläge bei solch einem unhöflichen Satz angedroht, aber heute hatte er andere Sorgen. Vom Koch kam keine Antwort mehr, aber er verströmte Wellen des Erstaunens. Kommunikation ohne Reden.

Mittlerweile war er bei Seite Nummer zehn von insgesamt dreiundvierzig angekommen und hatte es langsam geschafft, jedes einzelne Crewmitglied auf dem Schiff zu lokalisieren und dann zu filtern. Er wusste bald nicht nur, wer was fühlte, sondern konnte sie auch ausgrenzen. „Na, geht doch!“ stellte er zufrieden fest. Da solle noch mal Chopper mit den neusten medizin-psychologischen Erkenntnissen daher kommen und behaupten, Männer wären nicht multitaskingfähig.

Der Vormittag verstrich und Essensgeruch zog durch das Zimmer. Ein Zeichen dafür, dass Sanji wohl nun schon die Mahlzeit für den Mittag vorbereitete. Zoro brach in schallendes Gelächter aus, als er spüren konnte, wie der Koch für die Jungs das Essen nach Standart emotionslos zusammenkochte und für die beiden Mädels innerlich vor Verliebtheit in Flammen aufging und Herzchen aus dem Gemüse schnippelte. Das hier war fast noch besser, als sich mit dem Koch zu streiten. Von jenem kam nur ein erstaunter Blick und die Frage, was in der Zeitung wohl Komisches stehen würde. Zoro wollte schon antworten, als er auf der letzten Seite im Kleingedruckten der Marinemitteilungen hängen blieb. Es war die Spalte mit den internen Beschlüssen, die nun vom Marinequartier bekannt gemacht wurden, weil man sich so von der Bevölkerung Mithilfe versprach. Zu lesen war dort: GESUCHT WEGEN HOCHVERRATS! Dann folgte eine alphabetische Aufzählung mehrerer Namen und unter dem Buchstaben T stand dort das, was er nicht lesen wollte: TASHIGI; FÄHNRICH ZUR SEE. Er las die Zeile immer und immer wieder. Es konnte sich nur um genau die Tashigi drehen, die er kannte. War sie tatsächlich aufgeflogen oder gar verraten worden? Es waren verdammt schlechte Nachrichten. Das ihre Karriere so in der Marine enden würde, hatte sie sicherlich nicht verdient.

Nachdenklich setzte er sich an den großen Esstisch und folgte somit dem Aufruf des Koches zum Mittagessen. Die restliche Truppe kam schnell zusammen und es geschah nun für ihn das, was er vermutet hatte. Dadurch, dass alle nun so geballt auf einen Haufen saßen, quirlte sich ein wahres Gefühlschaos um ihn herum. Er versuchte die ganze Gefühle zu ignorieren. Doch es ging nicht, er war kurz davor irre zu werden. Es waren einfach viel zu viele Emotionen. Er füllte sich wie Holzfass, welches im Meer von einer Seite auf die andere geworfen wurde. Innerlich ging es ihm wahrlich dreckig, aber das durften die anderen natürlich nicht wissen. Zu allem Überfluss wurde bei Luffy das Hungergefühl so groß, dass dieser sich nun einfach mit einem langen Gummiarm an Zoros Teller vergreifen wollte. Das war für Zoro zuviel und brachte das Fass zum Überlaufen. Noch während der Strohhutkapitän den Arm ausstreckte, um sich die Portion des Schwertkämpfers zu schnappen, wurde er mitten im Griff am Handgelenk gepackt und brach augenblicklich zusammen, so dass er lang ausgestreckt auf dem Tisch lag.

Es herrschte urplötzlich eine angespannte Stille. Niemand wagte auch nur einen Ton am Tisch zu sagen. Alle starrten abwechselnd auf Luffy, der geschwächt und bewegungsunfähig über dem Tisch mitten im Essen hing, und Zoro, der mit der einen Hand dessen Handgelenk immer noch festhielt. Auf frischer Tat ertappt! Er tadelte sich innerlich über diese Kurzschlusshandlung. Jeder hatte nun gesehen, dass er mittels Berührung Teufelkräfte neutralisieren konnte und hatte sich somit selbst verraten. Nun war er in arger Erklärungsnot. Da würde auch Choppers Einwand nicht helfen, der laut zu ihm flüsterte: „Lass ihn einfach los. Vielleicht hat es keiner gemerkt!“ Doch er brüllte den kleinen Arzt nur an, er soll die Klappe halten, so dass dieser ängstlich zusammenfuhr. Und da tat es Zoro auch schon wieder fast Leid. Dann sah er auffällig in die Runde, um die Reaktionen der Crew abzuschätzen. Das hätte er sich auch sparen können, denn Erstaunen, Angst und Neugier prasselten auf ihn ein. Sanji zog erstaunt an seiner Zigarette, Usopp zitterte vor Angst und Nami stand der Mund sperrangelweit offen. Nur Franky und Robin schienen nicht sonderlich erstaunt zu sein. Die beiden hatten wohl schon etwas ziemlich Ungewöhnliches erahnt und waren einfach nur neugierig. Daher war es auch der Cyborg, der zuerst die Stille zeriss und trocken fragte: „Seit wann kannst du das?“

„Seit wir auf Raftel zugehalten haben ...“, wollte Zoro eine aufflammende Diskussion unterbinden, doch Sanji hatte die Sprache wiedergefunden und unterbrach ihn.

„Seit wir auf der Grandline sind, steuern wir automatisch auf Raftel zu. Geht das auch etwas genauer? Wütend holte er Luft. „Sag doch auch mal was, Luffy!“

Der Strohhutjunge lag immer noch schlaff quer über dem Tisch und murmelte schwach: „Lass los...“ Natürlich ließ der Schwertkämpfer los und der zurückschnellende Arm warf den Captain wieder auf seinen Stuhl in eine bequemere Sitzposition. Nur einen Augenblick später war er wieder ganz der Alte. Er starrte Zoro mit großen kindlichen Augen an und rief plötzlich laut lachend hervor: „Cooooooool!“ Und dann begann er ihn zu löchern: „Wie hast du das gemacht?“

Obwohl diese Reaktion des Strohhutjungen typisch für ihn war, befand es der Rest der Gruppe als unfassbar. Luffy hatte die Situation mal wieder irgendwie nicht so recht begriffen und das schien ihm sowieso vollkommen egal zu sein. Er war nun verdammt neugierig und der Rest der Gruppe recht sprachlos, als Chopper auch noch stolz hinzufügen musste, dass Zoro ja noch viel mehr Tricks „draufhätte“. Natürlich brachte es dem Rentier wieder mal den Würgegriff des Schwertkämpfers ein und einen bösen Blick, aber die Neugier hatte nun die Gruppe ebenfalls ergriffen. Wieder einmal mehr wünschte Zoro, nun im Erdboden zu versinken und Nami rutschte es heraus, dass die alte Serafina mit ihren Karten wohl doch recht gehabt haben musste. Darauf hin entfachte nun zwischen dem Scharfschützen, dem Koch und der Navigatorin eine weitere hitzige Diskussion. Es ging eine ganze Weile hin und her, jedoch beachtete den Auslöser der Situation nun keiner mehr. Dieser saß mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl und versuchte sich Herr seiner inneren Lage zu werden. Das Gefühlschaos war derbe und brachte ihn an den Rand des Wahnsinns. Das müsste doch irgendwie abschaltbar sein. Leider konnte Zoro niemanden fragen, der sich damit auskannte und so blieb ihm nichts weiter übrig, als zu warten oder die Flucht in sein geliebtes Krähennest anzutreten.

Er wollte gerade eine Entscheidung fällen, da kam ihm unbewusst sein Kapitän zur Hilfe. Da sie bereits schon seit dem Mittagessen gute zwei Stunden hier herumsaßen, beschwerte sich der Gummimensch lauthals bei seinem Smutje, wann es denn nun endlich die nächste Mahlzeit geben würde. Sein Hunger wäre endlos. Natürlich ging Sanji auf das Gezeter um Nahrung keineswegs ein, doch es rückte Luffy um ein weiteres mehr in den Mittelpunkt des Geschehens. Diese Gelegenheit ließ der Schwertkämpfer natürlich nicht verstreichen. Erst durch das Türenklappern bemerkte die Crew erst Zoros Verschwinden.

Oben im Krähennest angekommen, saß er auf der Einstiegsklappe und vergrub grüblerisch sein Gesicht in seinen Händen. Es sollte bloß niemand wagen, hier oben aufzutauchen und dumm zu reden. Auch musste niemand sehen, dass er seit langem ernsthaft verzweifelt war und keine Lösung sah. Vermutlich hatte ihn noch niemand aus der Mannschaft wie ein Häufchen Elend erlebt und das sollte in Zukunft auch so bleiben. Er hob den Kopf und starrte hinunter aufs Wasser. Von dort stieg eine fremde Welle auf, die zu niemanden aus der Crew passte. Sie war von tiefer Trauer, Verzweiflung und Einsamkeit. Doch der dichte Nebel nahm ihm die Sicht und so begnügte er sich mit der Vermutung, dass es sicherlich nur irgendwelche blöden Fische im Wasser gewesen sein könnten. Er fokussierte die Richtung genauer an und meinte, einen dunklen Schatten wie ein kleines Boot auf der Wasseroberfläche zu erkennen. Oder täuschte er sich durch den Nebel? So schnell, wie die fremde Welle zu ihm aufgeströmt war, so schnell war sie auch schon wieder verschwunden. Er hatte sich sicher getäuscht.

20 - Unter Gleichgesinnten

Mitten in der Nacht erreichten sie das Fischerdorf und da der kleine Hafen wie ausgestorben schien, legten sie dort an der Kaimauer an. Der Nebel hatte nicht nachgelassen und lag wie eine große Dampfglocke über der ganzen Ortschaft. Man konnte nicht abschätzen, wie groß der Ort tatsächlich sein mochte. Doch die kostspielige Straßenpflasterung und der prunkvolle Baustil der Häuser verriet, dass hier einmal ein größeres Handelszentrum gewesen sein musste. Die ganze Crew hatte sich an Deck versammelt und versuchte durch die Nebelschwaden die Lage an Land zu erkunden. Sie stecken alle in dickeren Jacken, denn es war recht frisch. Wie gewöhnlich sollte der Posten des Schiffsbewachers ausgelost werden, doch Zoro übernahm zur Verwunderung aller diese Aufgabe freiwillig. In seinem Kopf dröhnte und hämmerte es wie auf einer Großbaustelle und ständig verschwamm vor seinen Augen der Boden. So etwas war ihm noch nie wiederfahren. Auch nicht, wenn er zuviel Alkoholhaltiges getrunken hatte. Er fand keine Erklärung, woher dieser Zustand von einem zum anderen kam. An die Reling gelehnt wartete er, bis die ganze Truppe außer Sicht um die nächste Häuserecke verschwunden war. Dank seiner neuen Fähigkeit konnte er erahnen, dass höchsten hundert Seelen in diesem größeren Ort noch verweilten. Damit würde die Crew im Notfall allein klarkommen.

Mehr torkelnd als gehend erreichte er den Essensraum, wo das lange Sofa an der Wand stand. Er verfluchte sich dafür, dass er Chopper hatte gehen lassen, denn er begann zu frösteln und zu schwitzen: Fieber! Eine gute halbe Stunde später war das Fieber auf eine lebensgefährliche Temperatur angestiegen und aus dem Frösteln war handfester Schüttelfrost und kalter Schweiß geworden. Längst hatte er den Boden unter den Füßen durch Schwindelattacken verloren. In zwei dicke Decken gerollt lag er klappernd auf dem Sofa und versuchte gegen den kollabierenden Kreislauf anzukämpfen. Die bohrenden Kopfschmerzen hinderten ihm am Schlaf, der ihn sicherlich heilen würde. Zumindest klappte Schlafen als Selbstheilung bei Kampfverletzungen immer. Nur langsam vergingen die Minuten und ihm kamen sie wie Ewigkeiten vor. Noch nie zuvor hatte er sich so elendig gefühlt. So müsste es sich wohl anfühlen, wenn man stirbt. Keine Verletzung aus unzähligen Kämpfen war jemals so schlimm gewesen. Warum war das blöde Rentier nie da, wenn man es brauchte?
 

Obwohl der Ort eher einer Geisterstadt glich, stürmte Luffy freudestrahlend voran durch die Gassen und blieb vor einem unbeleuchteten Gasthaus stehen. Man musste nicht erwähnen, dass er Kohldampf schob und klopfte derartig auf die Tür ein, dass sie drohte, aus den Angeln zu fallen. Nami schimpfte mit ihm, denn er verbreitete einen Höllenlärm in dem Gässchen und verhielt sich äußerst auffällig. Nach einigen Minuten wurde in der obersten Etage ein schwaches Licht entzündet und ein kaum erkennbarer Kopf schob sich durch ein schmales Fenster.

„Hallo! Wir haben Hunger!“ begrüßte Luffy die Gestalt überschwänglich lauthals und strahlte wie die Sonne. Misstrauisch beäugte die Person die kleine Schar vor ihrer Tür und mutmaßte, dass es sich wohl nur um Piraten handeln könnte. Wer sonst käme mitten in der Nacht vorbei, ausgenommen die Marine vielleicht? Soldaten waren hier aber schon lange nicht mehr gesehen worden und Uniformen trug die kleine Gruppe dort unten auch nicht. Der Kopf verschwand mit dem Versprechen, der Crew Eintritt zu gewähren und ein paar Minuten später wurde die große schwere Holztür von einer sehr kleinen, schlanken Frau geöffnet, dessen Alter man wohl auf Anfang 20 schätzen konnte. Sie sah recht bleich aus und die viel zu große Kleidung schlackerte um ihren dünnen Körper. Ihr Stimme klang wie ein Flüstern, aber dennoch sehr nett. Mit einer stillen Bewegung bat sie die Gruppe herein und deutete auf einen großen runden Tisch in der Nähe der Bar. Sehr viel mehr Tische gab es eh nicht in dem kleinen Raum. Mit der Faust auf dem Tisch hämmernd forderte der Captain Unmengen an Fleischgerichten und natürlich die dazugehörige trinkbare Flüssigkeit. Der Scharfschütze und die Navigatorin verdrehten die Augen über das Verhalten ihres Captains, während Robin das Ganze recht amüsant fand und Franky jeglichen Kommentar über Luffys Art aufgeben hatte. Da war jede Methode der Erziehung komplett wirkungslos.

Die junge Frau machte einen sehr misstrauischen, zurückhaltenden Eindruck und wies den Jungen mit dem Strohhut vorsichtig darauf hin, dass es mit dem Fleisch dauern würde. Die Küche war ja schon lange geschlossen und der Ofen kalt. Der müsste erst wieder aufgeheizt werden. Natürlich brach der Kavalier in Sanji durch und er bot sofort seine Hilfe an. So eine Schönheit könnte man auf gar keinen Fall allein mit dieser Aufgabe lassen, denn niemand wusste besser als er selbst, wie viel Luffy nun verschlingen würde. Schüchtern geleitete sie ihn in die Küche. Ihr war mulmig zu mute, so ganz allein unter Piraten zu sein und noch dazu mit einem von denen allein in der Küche zu stehen, denn sie hatte die Gesichter nun im Licht von den Steckbriefen her wieder erkannt. Sie hielt einen respektvollen Sicherheitsabstand, doch der Smutje beturtelte sie in seiner üblich charmanten Weise und konnte ihr sogar ein unsicheres Lächeln und ihren Namen abringen. Sie gab an, Azarni zu heißen und das Gasthaus zusammen mit ihrem Großvater zu leiten. Dieser hätte aber einen sehr tiefen Schlaf und sie wäre froh, dass er auch noch nicht aufgewacht wäre, denn er könnte stundenlang reden und seine Gäste ebenso lange aushorchen.

Eine Kochgarzeit später war der runde Tisch über und über beladen mit leckeren Gerichten und Speisen. Luffy und seine Crew waren zufrieden und selbst Azarni hatte ihre Schüchternheit überwunden. Sie alberten herum und redeten über dies und jenes. Die Zeit verging wie im Fluge, als plötzlich eine große Person mit einem schwarzen Umhang und einer großen Kapuze über dem Kopf die Kneipe betrat. Sie trug schwarze Schnürstiefel und eine schwarze Hose. Das Oberteil konnte man unter dem Umhang nicht erkennen.

„Einen schönen guten Abend! Oder wäre ein guter Morgen angebrachter? Seit wann hast du mitten in der Nacht Gäste?“ kam es frech-fröhlich unter der Kapuze hervor. Der Stimme nach war es eine Frau, die sich nun selbstbewusst auf einen Stuhl mitten an den runden Tisch hockte. Sie schien keine Fremde zu sein, denn Azarni freute sich sehr, sie zu sehen. Sie fragte die fremde Frau, was sie denn durch die nächtlichen Gassen trieb.

„Ein komisches Gefühl riss mich aus dem Schlaf und als ich Licht sah, wollte ich bei dir nach dem Rechten sehen“, antworte sie locker und wandte sich dann den Strohhüten zu.

„Ich bin sehr unhöflich. Meine Name ist Yurenda Ly’Wendt, aber Yurenda reicht schon!“ Sie strahlte über das ganze Gesicht, hatte die Arme verschränkt und kippelte munter mit dem Stuhl. Natürlich war sie neugierig, was die Strohhüte hier in diesem verlassenen Kaff namens Kosa trieben. Yurenda war unglaublich informiert, was die Strohhüte anbelangte, denn sie fragte mit einer vorlauten, großen Klappe sofort, wo denn der leckere, grünhaarige Kerl stecken würde. Für Sanji war das definitiv ein absoluter Tiefschlag. Wieso fragte dies Lady bitteschön nach Zoro? Und was zum Henker konnte man an dem Idioten lecker finden? Doch bevor er sich darüber aufregen konnte, waren sie schon bei einem neuen Thema. Die schwarze Dame sah zwar jung aus, war aber in Robins Alter, hielt Obacht über die letzten hier lebenden Seelen und konnte sich an das Kanalprojekt aus Erzählungen erinnern.

Tatsächlich hatte die Weltregierung einen Kanal geplant, um East und North Blue zu verbinden. Jedoch wurde ein großer Schaden an der Landschaft und der Vegetation hinterlassen. Es wurde nicht bedacht, dass durch das Abtragen von Hügeln die starken Stürme vom North Blue ungehindert den Küstensand mit sich trugen und gnadenlos bis zum East Blue über das Land trieben. Dies hatte zur Folge, dass dieses einst so schöne grüne Land sich nun zu einer Wüste wandelte. Dort, wo der „Kosa’sche Korridor“ verlaufen sollte, war nun eine tiefe Rinne aus gelbem Sand. Die Einwohner nannten diese Rinne daher auch spöttisch „Wüstenrinne“. Wenn der Orkan wieder toben würde, dann drückte er oft das Meerwasser des North Blue bis hierher in den East Blue. Wagemutige nutzen dann die Strömungen, um sich über die Redline ziehen zu lassen. Es waren aber sehr viele gescheitert und entlang der Wüstenrinne entdeckte man unzählige Schiffswracks, welche zahlreiche Plünderer anzogen.

Für Luffy war die Story ein gefundenes Fressen. Nichts und niemand aus der Crew konnte ihn von dem waghalsigen Manöver abhalten, auch durch diese Wüstenrinne zu schippern. Nami war einem Nervenzusammenbruch nahe. Sie wollte die schwarze Frau noch etwas fragen, doch die war spurlos verschwunden. Azarni meinte nur kopfschüttelnd, dass Yurenda magische Kräfte nachgesagt würden, aber sie wäre absolut vertrauenswürdig.

Chopper bekam plötzlich ein merkwürdiges Gefühl. Die Schwarze hatte nach Zoro gefragt, der allein auf der Sunny war. Dies wäre zwar noch kein Grund zur Sorge, jedoch war ihm nicht entgangen, dass der Schwertkämpfer vorhin die Gesichtsfarbe eines frisch gewaschenen Bettlakens hatte. Doch da Zoro niemals zugeben würde, dass es ihm schlecht ginge, war der kleine Arzt davongezogen. Nun nagte das schlechte Gewissen. Er log den anderen vor, müde zu sein und zum Schiff zu gehen. Da Usopp bereits schlafend auf dem Stuhl mehr lag als saß, wurde dieser kurzerhand vom Rentier mitgenommen.

Draußen vor der Tür war der Nebel durch einen eisigen Wind abgelöst worden. Usopp war durch den plötzlichen Temperaturwechsel von der warmen Kneipe zur kalten Straße wieder schlagartig wach geworden und wunderte sich nun, weshalb der Arzt einen Endspurt zur Sunny einlegte. Er nahm die Beine in die Hand, um Chopper folgen zu können und erfuhr unterwegs von den Befürchtungen des kleinen Arztes. Der Scharfschütze winkte ab. Zoro ernsthaft in Gefahr? Niemals!

Schon erblickten sie die Sunny im Hafen und Chopper begann seinen besten Freund zu rufen, erhielt jedoch keine Antwort. In dem Rentier brach Panik aus und Usopp kam die ganze Sache nun auch merkwürdig vor. Doch zur Salzsäule erstarrten beide erst, als sie durch die Tür zum Essensraum traten. Dort lag Zoro zusammengerollt mit glasigen Augen in nass geschwitzten Decken, käseweiß und eiskalt. Usopp vermutetet schon, der Schwertkämpfer wäre tot, doch Chopper beruhigte ihn, er würde ja noch flach atmen. Sofort stürmten beide zum Sofa. Der kleine Arzt schüttelte seinen Patienten, doch dieser war apathisch und gab keinen Ton von sich. Lediglich flogen feinste grüne Lichtfäden wie Staubwolken gen Himmel, wovor sich das Rentier tierisch erschrak.

„Meine Güte, Chopper! Was hat er? Der stirbt uns hier unter den Händen weg!“ Der Scharfschütze war außer sich und fühlte sich hilflos.

„Ich weiß es nicht! So was hab ich noch nie zuvor gesehen! Zoro, sag doch was!“ Chopper war ebenso ratlos und zweifelte schon an seinen medizinischen Fähigkeiten. Fassungslos starrten beide auf den Schwertkämpfer, dessen Puls nun immer schwächer wurde. Dem Arzt standen Tränen in den Augen. Er wollte ein Allheilmittel finden. Doch was hatte er bis jetzt erreicht? Er musste mit ansehen, wie sein bester Freund ihm hier eben wegstarb und er wusste nicht, warum. Versagen stieg in ihm auf. „Zoro!“ schrie er panisch auf, als die Atmung aussetzte. Wo war der Puls? Da! Er fühlte ihn, wenn auch schwach. Usopp hatte sich im Trancezustand auf einen Stuhl fallen lassen und starrte ungläubig auf die sich vor ihm abspielende Szenerie. „Das kann doch eben alles nicht wahr sein! Das muss ein Albtraum sein!“ dachte er bei sich und betete, dass er gleich aufwachen würde.

„Er blüht aus!“ zerriss eine weibliche Stimme die Situation. Chopper war vor Schreck Usopp auf den Schoß gesprungen und beide umklammerten sich vor Angst. Sie zitterten am ganzen Leibe und schrien lauthals auf, als sie auf eine schwarze Gestalt blickten. War das nicht diese komische Yurenda aus der Kneipe? Wo kam die denn zum Teufel so plötzlich her?

„Er macht was?“ fand Usopp seine Sprache wieder.

„Er blüht aus! Keine Sorge, aber ich hätte ihn früher finden müssen!“ Yurenda seufzte auf, schritt selbstbewusst auf Zoro zu und hockte sich so vor das Sofa, dass sie sich beide auf der selben Augenhöhe befanden.

„Na, du kleiner Scherzkeks? Was machst du hier für Blödsinn?“ lachte sie ihn an, als würden sie sich schon ewig kennen. Tatsächlich öffnete er seine Augen zu kleinen Schlitzen und fokussierte sie böse an. Er wollte sich wegdrehen, doch dabei entstiegen wieder grüne Lichtschwaden und er sackte zusammen. Chopper hielt diese Reaktion medizinisch für absolut ausgeschlossen und staunte nur noch. Aber diese höchst verdächtige Frau wusste wohl, was sie tat. Sie zog ihren schwarzen Lederhandschuh aus und berührte die verschwitze Stirn sanft mit den Fingerspitzen. Zoro spürte augenblicklich Erlösung von seinen Qualen. Es fühlte sich verdammt gut an, als würde alles Glück dieser Welt geballt in Sekunden durch ihn hindurch gejagt werden. Es breitete sich ihn ihm aus und gab ihm ein Gefühl der absoluten Schwerelosigkeit. Als er wieder Farbe im Gesicht bekam und sich sein Zustand positiv stabilisierte, suchte Yurenda unter der Decke nach seiner Hand und hielt sie.

„So, den Rest musst du allein schaffen, sonst wirst du immer wieder ausblühen. Drück’ so kräftig zu, wie du kannst!“ Er versuchte es, doch er konnte sich nicht darauf konzentrieren. Seine Körper gehorchte ihm einfach nicht. Unbekannte Stimmen riefen unentwegt seinen Namen, Gefühlswellen ließen ihn ertrinken und die Schmerzen in seinem Körper traten nun noch heftiger auf.

„Ein bisschen mehr Konzentration, wenn ich bitten darf! Ich dachte, du wolltest nie wieder verlieren. Nu aber los!“ schimpfte sie frech grinsend mit ihm. Das hatte gesessen! Er durchbrach seinen innersten Alptraum und zerquetschte fast ihr Hand.

„Is’ ja gut! Meine Fresse!“ Sie zog ihre Hand aus seiner und bewegte ihre Finger, um zu sehen, ob nichts gebrochen wäre. Dabei wies sie ihn darauf hin, dass er in einer halben Stunde wieder ganz der Alte wäre. Zudem rügte sie ihn, wie man nur so leichtsinnig sein könnte. Sie nahm nun ebenfalls auf einem der Stühle Platz und sah die fragenden Gesichter von Usopp und Chopper, die immer noch Arm in Arm dort hockten.

„Was ist Ausblühen?“ bettelte nun das Rentier um eine Erklärung.

„Wenn Dämonen ihre spirituellen Kräfte verlieren, dann sieht man das manchmal an so farbigem Licht wie bei eurem Freund dort. Das nennt man Ausblühen, weil es im schlimmsten Fall auch die Form einer leuchtenden Lichtblume annehmen kann. Man darf das aber nicht verwechseln mit einem Bann- oder Schutzkreis. Das sieht nämlich für Laien sehr ähnlich aus. Ausblühen ist sehr schmerzhaft und führt oft zum Tode“, kam die schwarze Dame einer Erklärung nach.

„Was? Dämonen? Serafina hatte recht!“ rief Usopp aus. Erstaunt erkundigte sich sie sich nach der alten Wahrsagerin. Sie hätte nicht angenommen, dass diese wegen ihres hohen Alters noch leben würde. Unkraut verginge wohl nie. Zoro hatte sich mittlerweile aufgesetzt, stütze seine Ellenbogen auf seine Knie und vergrub seine Hände in seinen kurzen strubbeligen Haaren. Er starrte auf den Boden. Der Höllenritt war endgültig vorbei.

„Ich bin kein Dämon!“ murmelte er trotzig in den Raum.

„Nein, das bist du nicht. Nur ein Halber. Ein Hanyô. Damit musst du dich abfinden. Von welchem Elternteil hast du das vererbt bekommen?“ meinte Yurenda schnippisch, doch Zoro zuckte nur planlos die Schultern, was bei ihr ein Augenrollen verursachte. Sie fragte ihn, wie es denn zu dieser Reaktion mit dem Ausblühen kommen konnte. Er konnte ihr jedoch nur sagen, dass er seit dem gestrigen Tage Gefühle von anderen lesen konnte, was ihn vollkommen überforderte. Ihr ging ein Licht auf und erklärte ihm, dass man sich niemals auf alle Wesen gleichzeitig konzentrieren dürfte. Das wäre praktisch Selbstmord. Darum sollte er ja auch ihre Hand so quetschen, weil er sich dabei auf eine einzige Sache konzentrieren musste.

Plötzlich hörten sie Schritte und Stimmen auf dem Deck. Die restliche Crew kehrte ahnungslos zurück, um gemütlich in ihren Betten zu versinken. Der nächste Morgen brach bereits an. Yurenda schlug den dreien vor, sich dort ebenfalls schnell hinzubewegen und einfach erst mal den anderen gar nichts zu sagen. Bei Gesprächsbedarf könnten sie am nächsten Tag bei ihr zu Hause auf einen Plausch vorbeikommen. Sie hob ihren Umhang, so dass er aufflatterte und war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Der mysteriöse Spuk war vorbei.

Die Schritte näherten sich der Tür und als diese aufging, waren die drei schon längst weg auf dem Weg zu ihren Betten. Usopp merkte an, dass sie eben eine sehr ungewöhnliche Frau getroffen hätten und das er das Kaffeeklatschangebot gern annehmen würde, falls Zoro nichts dagegen hätte. Dieser nickte bejahend und ergänzte:

„Ich denke, sie war eine echte Dämonin...“

21 - Das Versteckspiel

Obgleich Zoro grundsätzlich einer der Ersten war, der aus jeder Situation heraus auf der Stelle einschlafen konnte, fand er in dieser Nacht noch lange keine Ruhe. Mit verschränkten Armen hinter dem Kopf lag er rücklings auf seinem Nachtlager, starrte Löcher in die Holzdecke des Raumes und ließ die Bilder der Nacht noch einmal in seinem Kopf Revue passieren. Die letzten Stunden waren einfach viel zu real gewesen, um sie mit einer simplen Handbewegung beiseite zu schieben. Da waren zum Einen die vorher nie gekannten Schmerzen. Aus heiterem Himmel explodierten sie in seinem Kopf und breiteten sich blitzschnell bis in seine letzte Körperzelle aus. Zu allem Übel sperrte sich sein Körper dagegen, vor Schmerz in Ohnmacht oder tiefen Genesungsschlaf zu fallen und so musste er in diesem scheußlichen Wachzustand ohne Entkommen dahindämmern. Überhaupt war dieser Wachzustand grausam gewesen. Obwohl er seine Umgebung vom Sofa aus mit seinen eigenen Augen gesehen hatte, war sie ihm wie eine weit entfernte Welt vorgekommen, die mit jeder Sekunde unerreichbarer wurde. Ihm waren die grünen Lichtfäden nicht entgangen. Er hatte sich wie eine Marionette gefühlt, die an solchen Fäden hing, aber partout den Boden unter den Füßen nicht erreichen konnte. Sein Körper fiel nach unten, aber die Fäden zogen und rissen an ihm nach oben. Grausam! Was wäre gewesen, wenn dieses schräge Weib ihn nicht gerettet hätte? Wo kam die überhaupt her? Wenigstens schienen Usopp und Chopper die Frau gekannt zu haben, obgleich er nicht wusste, ob die beiden tatsächlich da gewesen waren. Er konnte sich nicht mehr so genau erinnern. „Vielleicht sollte man nicht immer unbedingt sofort die ganze Wahrheit wissen“, beschloss er für sich selbst, um die ganze Angelegenheit für eine unbefristete Zeit beiseite zu schieben. Für den Anfang hatte er erst einmal genug.

Missmutig stellte er fest, dass es bereits zu dämmern begann. Luffys Magengefühl würde bald alle aus ihren Betten werfen und er selbst hatte noch nicht eine einzige Minute Schlaf in dieser Nacht abbekommen können. Einen Moment später war es auch schon so weit. Wie durch einen inneren Wecker fuhr Luffy aus dem Schlaf hoch und gab seinem Wunsch nach einem ordentlichen Frühstück durch lautes Gebrüll Nachdruck. Sicher gab es niemanden an Bord, der sich je an diese Art des Weckens gewöhnen würde. Es war einer der Momente, wo der Kapitän von seiner kompletten Crew zum Teufel gewünscht wurde. Wenigstens raffte sich Sanji kommentarlos aus den Federn und stand nach schnellem Ankleiden und Badezimmerbesuch in der Küche. Dann würde das Hungergezeter des Strohhutjungen bald verebbt sein. Nach und nach trudelte die gesamte Mannschaft mehr oder weniger wach an einem reichlich gedeckten Frühstückstisch ein.

Zoro stocherte appetitlos auf seinem Teller herum und beobachtete die anderen aus seinen Augenwinkeln heraus. Aus Frankies Gähnen verstand er etwas Unverständliches, was dem Klang nach eine Klage über zu wenig Schlaf aufgrund der durchgezechten Nacht gewesen sein könnte. „Na, was meinst du wohl, wie es mir seit der letzte Nacht erging“, schnaubte er innerlich dem Cyborg entgegen. Wenigstens stelle ihm niemand Fragen. Das Rentier und der Kanonier versuchten ihn möglichst unauffällig anzustarren und schienen verunsichert. „Na toll! Die beiden waren also letzte Nacht tatsächlich dabei gewesen“, dachte er sich, denn er hatte gehofft, dass er nur fantasiert hätte. Chopper war seit jeher ein eingeweihter Verbündeter, aber Usopp plapperte wie ein Wasserfall. Falls er etwas über den gestrigen Vorfall erzählen würde, konnte er selbst nur hoffen, dass es dem Scharfschützen aufgrund seiner chronischen Lügerei eh niemand glauben würde. Man würde sehen und abwarten müssen. Der Rest der Bande schien nichts bemerkt zu haben.

Erst als Zoro sein Frühstück komplett zerstochert hatte, so dass man es genauso gut als Sieb hätte nutzen können, schlang er es mit wenigen Bissen halb würgend runter. Es war lecker wie immer, aber mit dem Frühstück im Magen breitete sich leichte Übelkeit in ihm aus. Doch hätte er seine Portion liegengelassen, hätte der Koch ihn mit boshaften Unterstellungen überhäuft, nur um einen Streit anfangen zu können. Nur mit einem halben Ohr bekam Zoro mit, dass er bei der Einteilung nicht in der Gruppe gelandet war, die dem Smutje beim Einkaufen von Lebensmitteln helfen sollte. Er war in der zweiten Gruppe, die den ganzen Kram ordentlich Verladen sollte. Wenigstens blieb ihm die Shoppingtour mit Sanji an diesem Morgen erspart und bis dessen Gruppe wiederkehren würde, wäre sicher der halbe Tag um. Er ging mit den anderen an Deck und verzog sich kurz darauf in eine unauffällige Ecke, um wenigstens etwas Schlaf abzubekommen. Seine Pläne wurden jäh von Chopper und Usopp durchkreuzt. Sie bauten sich vor ihm auf und löcherten ihn mit Fragen, auf die er selbst keine Antwort wusste. Die beiden nervten tierisch und gaben erst Ruhe, als er endlich zustimmte, zu dritt zu dieser Dämonin zu gehen. Die beiden Nervensägen freuten sich über ihren Sieg durch Beharrlichkeit und Zoros Laune sank wieder einmal mehr unter den Gefrierpunkt. Warum schaffte er es aber auch jedes Mal, sämtliche Fettnäpfen punktgenau breit zu treten?

Der Vormittag verging recht schnell und auch Sanji tauchte ebenso schnell wieder mit seiner Gruppe auf. Das Verladen zog sich jedoch noch bis zum späten Nachmittag hin. Die Kisten und Fässer hatten ein anderes Format als gewöhnlich und so gestaltete sich das Stapeln schwieriger als normal. Doch mit viel Fluchen und Streiten war auch diese Arbeit bald erledigt. Es lagen nun erst einmal keine Arbeiten am und ums Schiff an. Also beschloss man, dass jeder nun seiner Wege ziehen und die Gegend erkunden könnte. Da sich Luffy in den Kopf gesetzt hatte, durch den Kosa’schen Korridor zu fahren, musste geklärt werden, wann die Strömungen die Wüstenrinne füllen würden. Das war eindeutig Namis Job und so zog sie mit ihrem neugierigen Kapitän durch die Gassen, um Auskunft zu bekommen. Robin beschloss, sich nach Literatur umzusehen. Da Franky und Sanji nichts zu tun hatten, blieben sie als Wachposten auf dem Schiff.

Während Zoro durch die Straßen der kleinen Stadt ging, musste er viel Redestoff seiner Begleiter über sich ergehen lassen, obwohl er eigentlich nur wissen wollte, wo man diese merkwürdige Frau finden könnte. Das Geplapper nervte ihn furchtbar. Konnten die beiden nicht einmal ruhig sein? Noch schlimmer war jedoch die Tatsache, dass sie seinen „Hokuspokus“ als spannendes Abenteuer betrachteten und ihn wie eine Laborratte behüteten, die noch bis in den hintersten Winkle experimentell untersucht werden müsste. Wieder einmal mehr wünschte er sich, diese bitterböse Welt würde ihn einfach verschlingen. Das Rentier und der Kanonier erklärten zum wiederholten Mal ausführlich, wie sie in der letzten Nacht auf Yurenda getroffen waren, merkten aber bei dieser Ausführung nun plötzlich, dass sie gar keinen blassen Schimmer hatten, wo sie zu finden wäre. Auch die Kneipe vom Vorabend schien wie vom Erdboden verschluckt. Usopp war sich sicher, dass in diesem Gebäude, vor welchem sie nach langer Suche nun standen, die Kneipe gewesen sein müsste. Doch das Haus sah aus, als wäre hier schon seit Jahren nicht mehr ausgeschenkt und bewirtet worden. Dennoch klopfte er an die Tür. Ein alter Mann ließ sich durch den Türspalt blicken. Er sah verwundert drein, als ihn die Dreiergruppe dort vor seiner Tür nach einem Mädchen namens Azarni fragte, rief sie dann aber dennoch herbei mit der Warnung an die drei, dass man sich vor ihr in Acht zu nehmen hätte. Sie würde spinnen, denn sie hätte angeblich Kontakt zu spirituellen Wesen. Usopp und Chopper nickten bestätigend, um den Alten schnell los zu werden, während Zoro etwas abseits an einer schattigen Wand lehnt und die Aktion schweigend beobachtete.

Einen kurzen Moment später trat Azarni schüchtern aus dem Haus heraus und lächelte verhalten ihren Besuch an. Sie trug nun ein halblanges einfaches Leinenkleid, welches an ihrem dürren Körper wie ein Stofffetzen herunter hing. Ihren Kopf schütze sie vor der Sonne mit einem großen Leinentuch, welches kunstvoll um ihren Oberkörper geschlungen war. Obwohl sie so unschuldig und unscheinbar wie ein Kind wirkte, hatte sie etwas Verführerisches und Verbotenes an sich. Sie schien die Sonne zu meiden, denn sie steuerte direkt auf Zoro zu und stellte sich neben ihn in den Schatten. Obgleich sich ihre Blicke nicht einmal gestreift hatten, hatten sie die beiden in wenigen Sekunden gemustert. Die Gefühle des Mädchens verrieten ihm, dass sie keineswegs das unschuldige, stille Wesen war, was ihre Fassade ihm vorzugaukeln versuchte. Sie war eine eiskalte Mörderin und würde dabei nicht ein einziges Mal ihre Miene mit den großen ausdruckslosen und traurigen Kulleraugen verziehen. Der Alte hatte recht, dass man sich vor ihr mit Vorsicht verhalten müsste. Jedoch bezweifelte Zoro stark, dass der alte Mann dieses Geheimnis kennen würde, eine Mörderin zu beherbergen.

„Wegen dir war sie also gestern so schnell weg“, sagte sie nun zu ihm ohne ihn auch nur kurz anzusehen. „Aber ich kann dir nicht helfen, sie zu finden. Man muss sich von ihr finden lassen.“ Damit wandte sie sich wieder ab und wollte schon wieder ihm Haus verschwinden, als Usopp sich ein Herz nahm und sie grob am Oberarm hielt. Natürlich wollte er die Lösung für dieses Rätsel sofort wissen. Wie könnte man nicht wissen, wo eine bekannte Person wohnen würde? Doch sie sagte nichts mehr, entschlüpfte aus dem Handgriff des Kanoniers und verschwand wieder hinter der großen Tür ins Innere. Zurück blieben ein sprachloser Kanonier, ein verwunderter Arzt und ein Schwertkämpfer, der seine beiden Begleiter aufforderte, sich ebenfalls von diesem Ort zu entfernen. Lieber sollten ihm die beiden helfen, den Mittelpunkt dieser Stadt ausfindig zu machen. Usopp verstand nun gar nichts mehr, doch Chopper flüsterte ihm zu, dass Zoro garantiert eine Idee hätte, aber die müsste man grundsätzlich nicht verstehen, da sie eh viel zu verworren wäre.

Sie stiefelten lange durch enge Gassen, leere Straßen und verwaiste Plätze. Vereinzelt sah man hier und da Einwohner ebenfalls durch die Straßen schlendern und freundlich grüßen. Irgendwann merkte der Scharfschütze plötzlich an, er würde bei einem verfallenen Haus gern einmal auf das Dach steigen. Seinem Gefühl nach müsse hier ungefähr das von dem Schwertkämpfer gesuchte Stadtzentrum liegen. Gesagt, getan. Wenige Minuten später standen sie zu dritt auf dem Dach und blickten über die Ortschaft und die umliegende Gegend. Dank des zwar windigen, aber sonnigen Wetters, war die Sicht zu allen Seiten erstaunlich gut. Da sah man einmal den East Blue, den Hafen mit ihrem Schiff und die Dächer der Stadt. Usopps Vermutung lag goldrichtig, denn sie hatten tatsächlich eine ungefähre Mitte getroffen. Die Stadt wurde umschlossen von kargem Wüstengebiet mit rotem Sand. Nach Süden schlossen sich diesem Gebiet in der Ferne bewaldete kleine Berge an. Im Norden türmten sich dunkle Gewitterwolken und ließen ein karges und felsiges Gebiet erahnen. Von dem Dach aus konnte man die Vertiefung der Wüstenrinne erkennen. Es war in der Tat kein Kanal mehr, sondern ein schmales, versandetes Tal, dass sich von der Stadt durch die Wüste nach Westen zog. Die Redline war hier tatsächlich so schmal, dass man am Horizont bereits den North Blue schemenhaft erahnen konnte. Die Wüstenrinne verlief nicht schnurgerade. Sie glich der Form nach einer sich windenden Schlange. Chopper bezweifelte, dass sie problemlos die Durchquerung mit der Sunny schaffen würden, zumal kein Tropfen Wasser in der Rinne zu sehen war. Zerschellte Schiffswracks entlang des alten Kanals bestätigten seine Befürchtungen. Es war zudem unklar, wann die Stürme einsetzen und den Weg schiffbar machen würden. Vielleicht würde es noch Wochen dauern.

Während Chopper und Usopp noch die eindrucksvolle Landschaft bestaunten, hatte Zoro sich im Schneidersitz auf dem Dach niedergelassen. Er wusste bereits, dass jedes Wesen Gefühle permanent veränderte, aber im Grunde besaß jedes von ihnen dennoch eine eigene Gefühlswelle, zu der es zurückkehrte, wenn er gerade nichts tat. Eine Art Basis im entspannten Zustand, die genauso einmalig war, wie der Fingerabdruck. Bereits bei der Crew hatte er von jedem die einzelnen Wellen gespürt. Vermutlich könnte er mit geschlossenen Augen feststellen, wer sich wo befand. Als in diese Yurenda berührte hatte, hatte sie ihm automatisch ihre Basiswelle mitgeteilt. Vielleicht könnte er es schaffen, sich genau auf diese eine Welle zu konzentrieren und die Dämonin so zu finden. Eine schwere, aber lösbare Aufgabe. Er sah überhaupt nicht ein, dass sie hier stundenlang umherirren sollten bis zu rein zufällig mal vor ihnen stehen würde.

„Was treibt er da? Schläft er wieder?“ flüsterte Usopp zu Chopper.

„Keine Ahnung!“ flüsterte des Rentier zurück und fragte Zoro mit lauterer Stimme: „ Was machst du da?“

Der Angesprochene blickte auf. Er erklärte seine Idee, erntete aber nur ungläubige Blicke. Jedoch blieb keine andere Wahl, als diese Möglichkeit zu probieren. Also setzen sich die beiden ebenfalls und beobachteten still aus unmittelbarer Nähe, ob ihr Freund wohl zu einem Ergebnis kommen würde. Usopp erblickte an einem Nachbarhaus eine Sonnenuhr. Vier Uhr nachmittags. Er seufzte und hoffte, dass sie nun nicht stundenlang hier ausharren müssten.

Mit verschlossenen Augen konnte Zoro zufrieden feststellen, dass seine Idee gar nicht mal so blöde war. Er erinnerte sich an Yurendas Rat, dass niemals alle Wellen gleichzeitig eingefangen werden dürften. Mit der Vorstellung in einem großen leeren Raum zu sitzen,

versuchte er alles von sich abzuschotten, um die Gefühle der Dämonin aufzuspüren. Die Welle von ihr war ein potentieller Spaßfaktor ohne Angst mit sehr viel Selbstbewusstsein. In einer Stadt wie dieser gab es sicher nicht viele Gestalten, die eben solche Gefühle von ihrer inneren unbewussten Grundeinstellung vertraten. Obgleich die Wellen seiner beiden Begleiter allein durch ihre Nähe stark seine Konzentration störten, konnte er die Gesuchte ausmachen. Die Konzentration war schwer zu halten und erforderte ein Höchstmaß an Einsatz. Und da war noch etwas, was er sich zu Beginn nicht erklären konnte. Die Welle war manchmal nah oder weit, manchmal stark oder schwach und manchmal gar nicht vorhanden. Sie sprang umher wie ein Hase beim Hakenschlagen. Erst nach gut zwei Dutzend Sprüngen, als er es fast schon aufgeben wollte, da er einen Erschöpfungspunkt erreichte, kam ihm die Lösung für diese Wechselei in den Sinn. Sie spielte ein Versteckspiel mit ihm und die Wellen waren zwar real, aber auf andere Orte von ihr projiziert worden. Wenn sie wollte, konnte sie sogar all ihre Gefühle verbergen. Vermutlich stand dieses schräge Weib ganz in der Nähe hinter der nächsten Ecke und freute sich wie ein frischgebackenes Honigkuchenpferd, dass jemand auf ihr blödes Spiel hereingefallen war. In der Tat ärgerte sich Zoro, dass er seine neue Kraft noch nicht kontrollieren und vernünftig anwenden konnte. Aber es war nun mal nicht zu ändern.

Als er sich mit finstere Miene erhob, zeigte die Sonnenuhr, dass nicht mehr als eine halbe Stunde verstrichen war. Ihm hingegen war es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Gespannt starrten in seine beiden Freunde an. Hatte er etwas erreicht?

„Sie hat uns längst gefunden...“, gab Zoro in die erstaunten Gesichte Auskunft. Und als er sich umdrehte, um noch einmal die Gegend in Augenschein zu nehmen, sah er nur ein paar Dächer weiter, wie sich Yurenda gemütlich schlendernd auf sie zu bewegte. Ein leichtes Grinsen in ihrem Gesicht verriet, dass sie tatsächlich ihren Spaß gehabt haben musste, aber sie ließ ihn auch spüren, dass sie in gewisser Weise stolz auf ihn war. Warum wusste er nicht. Vermutlich würde er das noch früh genug erfahren.

Sie trug nicht den schwarzen, langen Umhang wie in der letzten Nacht. Ihr Kleidung war sicher nicht heimisch und bestand aus einem einfachen farbigem Kapuzenshirt, einer schwarzen, labbrigen Baumwollhose und schwarzen Lederstiefeln zum Schnüren.

„Kaffee oder Tee?“ fragte sie fröhlich, als sie die drei erreichte hatte und einige Minuten später folgten sie ihr durch die Gassen zu ihrer Unterkunft.

22 - Über den Dächern von Kosa

Irgendwann erreichten sie ein Haus irgendwo inmitten dieser alten Fischerstadt. Nach den unzähligen Stufen einer langen Wendeltreppe nach oben kamen sie außer Atem im siebten Stock an, denn Yurenda selbst schlüpfte die Treppen im Sauseschritt hinauf, als wäre es ein Sprintwettbewerb. Es schien ihr keinerlei Mühe zu machen. Besser beschrieben handelte es sich bei dem Zielort eher um eine halbe siebte Etage, denn die eine Hälfte war eine Behausung wie ein Wintergarten und die andere Hälfte war eine Dachterrasse mit grandioser Aussicht über ganz Kosa und die angrenzende rote Wüstenrinne. Auf den ersten Blick schien es eines der höchsten Gebäude der Ortschaft zu sein. Das ganze Haus würde wohl ihres sein, aber sie mochte diesen Platz hier oben auf dem Dach am liebsten, erklärte sie ihren Gästen. Man wäre dem Himmel und der Freiheit so nahe. Das Haus würde ihr nur als Stadtresidenz dienen. Sie hätte noch komfortablere Wohnorte außerhalb dieser Stadt auf der ganzen Welt verteilt, worauf Usopp flüsternd zu Chopper anmerkte, dass er sie für extrem suspekt hielt.

Ihren Gästen wies sie in einer durch Mauern windgeschützten Ecke Plätze zu. Dort luden große weiche Kissen in allen Farbenschattierungen zum Sitzen um einen Feuerkorb ein. Kurze Zeit später war jeder mit Essen und Trinken versorgt, was von den dreien verschlungen wurde, als hätten sie nie zuvor Tischmanieren gelernt. Sie sah ihnen gutgelaunt zu und schenkte reichlich Nachschub nach. Dabei beobachtete sie genau die drei Gäste und versuchte eine erste Einschätzung ihrer Absichten. Das Rentier und die Langnase waren sicher aus Abenteuerlust und Neugier hier, während sie an der Körperhaltung des Grünhaarigen erkennen konnte, dass dieser sich endlich ein Ende des ganzen Spuks wünschte. Selten hatte sie jemanden getroffen, der derart unzufrieden mit sich und der Welt war, wie Zoro. Es lies sich nur schwer abschätzen, ob es sein eigenes Verschulden wäre, aber in den meisten Fällen war es das und daher bohrte sie auch nicht weiter nach. Da sie jedoch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte, fragte sie ganz unverbindlich in die Runde, aber dennoch mit provokantem Unterton:

„Wie denkt ihr, könnte ich euch behilflich sein?“

Wie auf Kommando unterbrachen alle drei gleichzeitig ihr Essen und sahen von ihren Reisschüsseln auf. Sie hatten mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer so schwierigen Frage. Zoro zog das Gespräch mit einer Gegenfrage an sich:

„Dass du meinem Problem ein Ende bereitest?“

Sie lachte und antwortete ihm, dass dieses wohl ein bisschen zuviel verlangt wäre, denn sie könne in der Tat sehr viel ändern, aber nicht die Gesetzmäßigkeiten der Natur. Er müsse sich eben seinem Schicksal fügen. Oder ausblühen. Von Letzterem riet sie aber augenzwinkernd ab. Es läge jedoch in seiner Hand, sein Schicksal selbst so zu beeinflussen, dass er sich mit seinen Fähigkeiten arrangieren könnte. Usopp misstraute dem Frieden und der Hilfsbereitschaft. Es interessierte ihn zudem, woher sie all diese Informationen hätte und ob sie tatsächlich eine Dämonin wäre, wie sie vermuteten. Sie gab bereitwillig Auskunft und fing an zu erzählen. Sicher wäre sie keine Dämonin und umschrieb ihre spirituellen Fähigkeiten damit, dass sie die Telekinese bis zur absoluten Perfektion einsetzen könnte, wenn sie wollte. Doch sie wollte es nicht mehr. Näher ging sie auf dieses wohl doch eher heikle Thema nicht ein und so musste der Scharfschütze sich mit dieser Umschreibung zufrieden geben. Weiter erzählte sie, dass sie zuviel in ihrem Leben gesehen hätte. Gutes wie Schlechtes. Lange Zeit hatte sie als Botschafterin eines lang vergessenen Königreiches diplomatische Verhandlungen auf der ganzen Welt geführt. Jedoch hatte sie nie erkennen können, dass jemals irgendjemand etwas aus der Geschichte gelernt hätte. Und so hatte sie irgendwann beschlossen, nur noch ihren eigenen Frieden zu finden. Sie nannte es: Die eigene, innere Mitte. So sähen alle Probleme plötzlich ganz einfach und unbedeutend aus. Sie wäre nun mit sich und der Welt zufrieden und glücklich.

Usopp stutze bei ihren Erwähnungen um das vergangene Königreich und protestierte. Wenn es sich dabei um das verlorene und vergessenen Königreich handeln sollte, dann müsste sie doch schon Hunderte von Jahren alt sein. Das ginge nun wirklich nicht. Doch sie nickte nur und lobte seine gute Auffassungs- und Kombinationsgabe. Obgleich sie hier in einem Körper von noch keinen dreißig Jahren säße, so war sie Dank ihrer Fähigkeiten tatsächlich mehrere hundert Jahre alt. Sie hätte aber schon längst aufgehört, die Geburtstage zu zählen. Nämlich ab dem Moment, als sie all ihre Familie, Freunde und Feinde überlebt hatte. Alle waren einmal gekommen und wieder gegangen. Es würde sie nur betrüben.

„Das Leben ist ein langer Fluss, Usopp. Ich bin alt. Ich habe bereits alles gesehen. Mich reizt nichts mehr und irgendwann wird der Tag kommen, wo ich denke, ich kann auch gehen.“

Dies sagte sie mit einem so ruhigen und pathetischen Ton, dass es fast dramatisch war und Chopper Tränen in die Augen trieb.

„Aber wenn du so alt bist, dann könntest du alles erzählen. Nico Robin würde sich sicherlich sehr freuen und ihre ganzen Fragen lösen. Und was ist das One Piece? Hast du es je gesehen? Boah, Zoro! Wie kannst du jetzt wieder pennen!“

Usopp war ganz aufgeregt, sprach so schnell, dass sich seine Stimme überschlug und gestikulierte dabei wild mit den Armen in der Luft. Aus Wut über Zoros Tiefschlaf warf er diesem mit voller Wucht eines der Kissen an den Kopf, wovon der Getroffene keinerlei Notiz nahm. Wie konnte Zoro nur so herumliegen? Waren sie nicht wegen ihm hier?

Yurenda hatte die Szene mit Souveränität beobachtet und ihr Gesicht wirkte fast gütig, als sie dem Scharfschütze antwortete: „Jeder hat eine bestimmte Aufgabe im Leben. Meine Aufgabe ist längst erfüllt. Es ist also nicht mein Job, als Märchenerzähler oder Hanyô-Ausbilder zu dienen. Das schafft ihr sicherlich allein. Ihr habt bis jetzt alles allein geschafft.“

„Bitte lass uns nicht allein! Was sollen wir denn machen, wenn Zoro wieder ausblüht? Wir haben doch keine Ahnung!“ flehte Chopper sie an und versuchte durch Umklammern ihres Armen seiner Verzweiflung Nachdruck zu verhelfen.

Doch sie beruhigte ihn und blickte dann amüsiert zum Scharfschützen, der nun mit dem siebzehnten Kissenschlag den Schwertkämpfern aus dem Reich der Träume holte und sich dafür herbe Vorwürfe einfing. Denn Zoro befand, wenn Yurenda nichts für ihn tun könnte, dann bräuchte er auch nicht weiter zuhören, worauf er sich für diese Antwort einen erneuten wütenden Kissenschlag auf den Kopf einfing. Selbst Chopper bekam wieder gute Laune und musste lachen.

„Ich sehe schon, ihr kommt gut miteinander klar“, merkte sie trocken an. „Vielleicht noch eine Anmerkung. Damit ihr nicht so sehr ihm Dunkeln tappt, solltet ihr einmal den Kerzenmacher von Wanane aufsuchen. Wenn ihr wirklich das One Piece finden wollt, dann kommt ihr um den Kerzenmacher nicht herum. Wanane liegt dort!“

Sie deutete mit dem ausgestreckten Arm in Richtung Norden, wo sich Gewitterwolken türmten und es heftig krachte und blitze.

„Sucht dort das Haus der Stille auf. Man wird euch dort weiterhelfen. Ich denke, ihr müsst gehen. Lebt wohl!“ Damit verabschiedete sie ihre Gäste und verschwand mit den Worten „Man sieht sich immer zweimal im Leben!“ in ihrem Wintergarten.

Zoro ließ sich dieses nicht noch einmal sagen, erhob sich sofort und wandte sich der Treppe zu. Sie hatten schon viel zu viel Zeit verschwendet. Vielleicht hätten Nami und Luffy herausbekommen können, wann sie durch den Kosa’schen Korridor segeln könnten. Mit diesen Gedanken im Kopf zog er allen voran los, die beiden anderen gingen verstört über die neuen Informationen hinterher. Zudem konnte Usopp nicht verstehen, wie Zoro an Dingen, die ihn etwas angehen müssten, absolut kein Interesse zeigte, was Chopper medizinisch-psychologisch mit einem Verdrängungsmechanismus erklären wollte. Als der Schwertkämpfer das Gerede direkt hinter seinem Rücken über ihn auch noch mitbekam, herrschte vollends dicke Luft. Auf dem Weg zur Sunny sprach keiner der drei auch nur mehr ein Wort.
 

Zur selben Zeit nahm Yurenda in ihrem Wintergarten von einer kleinen Gestalt eine Tasse mit grünem Tee in Empfang. Sie setzte sich in einen großen bequemen Rattan-Sessel und starte nachdenklich hinaus. Keineswegs war sie eben mit dem Gespräch zufrieden gewesen. Gern hätte sie mehr gesagt, aber es ging nicht. So war die Abmachung.

„Was starrst du so hinaus? Du hast doch alles richtig gemacht?“ fragte die kleine Gestalt. Sie war sicher nicht größer als einen guten halben Meter, hatte eine dunkelblaue Haut, einen menschenähnlichen Körper, aber der Kopf glich der einer Fledermaus mit großen spitzen Ohren und riesigen Augen wie Kristallkugeln. Der Stimme nach war die Gestalt männlich.

„Ich weiß nicht, Kivi. Ja, ich habe es richtig gemacht, aber habe ich es auch recht gemacht? Wir beide sind einer der letzten Zeitzeugen einer längst vergessenen Ära. Wir könnten die Welt regieren und tun es nicht. Sind wir falsch und verantwortungslos?“ Sie blickte traurig und zornig zugleich in die grünliche Flüssigkeit ihrer Tasse. Hatte sie eben nicht selbst gesagt, dass jeder sein Schicksal selbst wenden könnte? Sie war ein schlechtes Vorbild, denn sie tat nichts mehr dergleichen.

Kivi zuckte bei jedem Schluck aus seiner Teetasse mit den Ohren. Als sie ganz geleert war, sah er seine gegenübersitzende alte Verbündete lange an.

„Wir wissen beide, was wir können, woher wir kommen und wohin wir gehen werden. Und wir haben uns beide damals geschworen, dass wir den Lauf der Weltgeschichte auf keinen Fall beeinflussen werden. Es ist, wie es ist. Keine Kompromisse! Nun denn, ich muss mich auf den Weg in die Heimat machen! Vielen Dank für den Tee! Schau nicht so! Alles wird gut!“

Damit verabschiedete sich Kivi, schulterte einen großen, prallen Leinensack auf seinen Schultern und verschwand die Treppe hinunter in Richtung Norden. Dorthin, wo es grummelte und blitze.

Yurenda saß noch lange in dem Rattansessel und beobachtete, wie sich einige Blüten ihrer Pflanzen in der Dämmerung zu schließen begannen. Sie liebte ihre Pflanzen und manche waren durch ihre gute Pflege eben so alt wie sie. Besonders der Kirschbaum war einer ihrer Lieblinge. Diese Sorte gab es heute nicht mehr auf der Welt. Von dem letzten Exemplar hatte sie Samen gewinnen können. Sie stellte sich vor, wenn aus dieser Saat einmal ein Kirschbaumwald wachsen würde und wie in zartem Rosa die großen Blüten aufgehen würde. Die Blüten glichen der Form nach einer großen flauschigen Teerose. Herrlich! Wie konnte so etwas Schönes nur vergangen sein?

Sie machte sich Gedanken über das Gespräch und das schlechte Gewissen befahl ihr, sich doch ein klein wenig der Sache anzunehmen. Ja, sie würde gehen und ein Auge auf die ganze Angelegenheit haben. Sie hatte eine Abmachung mit Kivi, aber jede Abmachung war eine Auslegungssache und hatte gewisse Grauzonen. Zufrieden lächelnd lehnte sie sich zurück, genoss die letzten Schluck Tee und sah die ersten Sterne am Abendhimmel aufgehen.
 

Gegen Abend versammelte sich die ganze Mannschaft der Sunny zum Essen wie gewöhnlich um den großen Tisch. Tatsächlich hatte Nami und Luffy sich am Hafen durchgefragt und sich einiges an altem Seemannsgarn anhören müssen. Jedoch steckte bekanntlich in jedem Gerücht ein Funke Wahrheit und so puzzelten sie sich das, was sie an Wissen benötigten zusammen. Besser gesagt: Die Navigatorin puzzelte und der Captain war bloß der Captain und sorgte mit seinen Gummiarmen für Erheiterung in der Bevölkerung. Nun denn ... Sie bekamen letztendlich heraus, dass die Zeiten der großen Stürme voraussichtlich in ein oder zwei Wochen beginnen würden. Dann würde wohl auch die Wüstenrinne befahrbar sein. Jedoch wäre es kein stupides Durchpaddeln. Man müsste die Flutwelle auf dem East Blue in der exakten Entfernung abpassen und sich dann von Rücksog aus dem North Blue durchziehen lassen. Da aber die Wüstenrinne nicht gerade, sondern geschlängelt wäre, könnte man jederzeit zerschellen oder stecken bleiben. Wenn man stecken blieb, dann könnte die nächste Welle einen rausziehen oder aber zerschmettern. Man bräuchte definitiv den Einsatz der ganzen Crew. Für Luffy klang es nach dem genau richtigen Abenteuer und für Nami nach einem nicht kalkulierbaren Risiko. Sanji erklärte seinen Kapitän für komplett wahnsinnig, während Franky in der Fahrt eine meisterbare Herausforderung für die Sunny sah. Selbst Robins Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass sie die ganze Aktion mehr als zweifelhaft betrachtete. Der Knock-Up-Stream nach Sky-Island war damals im Gegensatz zum Kosa’sche Korridor wohl nur ein Kinderspiel gewesen. Doch die Sache war nicht abwendbar: Luffy wollte da durch, also würde es auch so geschehen. Da war er einfach stur.

Usopp bekam wieder seine „Anti-Abenteuer-Krankheit“, sah aber plötzlich einen bequemen Ausweg aus der Sache. Er warf spontan ein, dass er zu Besuch bei Yurenda gewesen war und einen Hinweis erhalten hatte. Wenn sie nach Raftel wollten, dann müssten sie einen Kerzenmacher nördlich von hier befragen. Selbstverständlich würde sich Captain Usopp persönlich um diese Angelegenheit kümmern. Das Rentier bekam große Ohren und entrüstete sich sofort. Immerhin wäre der Kanonier nicht allein bei Yurenda gewesen, sondern sie waren zu dritt und somit wäre es eine Angelegenheit für sie alle drei zusammen. Natürlich forderte der Gummijunge, dass dann alle zum Kerzenmacher gehen müssten. Immerhin wollten alle nach Raftel. Eigentlich aber witterte er nur ein nächstes Abenteuer. Der Rest der Crew nickte zustimmend bis auf Franky und Zoro.

„Luffy, das geht nicht so einfach!“ warf der Cyborg ein.

„Warum?“ fragte Luffy mit seinem typischen Kulleraugenblick.

„Hast du das schon wieder vergessen? Wir wissen nicht, wann die Welle für den Korridor kommt, du Schwachkopf! Während du nach einem Kerzenmacher suchst, verpassen wir vielleicht die Welle. Verstanden?“ keifte Nami ihn an und gab ihm zum besseren Verstehen noch eine Kopfnuss oben drauf.

Das hatte er verstanden und es war hart. Er würde eines der beiden Abenteuer streichen müssen. Betrübt blickte er seine Crew an.

„Wir teilen uns. Ihr segelt durch den Korridor und wir Drei suchen den Kerzenmacher. Dann treffen wir uns irgendwann am North Blue“, schlug nun Zoro vor, nicht ohne Hintergedanken. So wäre er erst mal wieder von der Crew weg und müsste ihnen nicht gleich allen die Wahrheit über sich selbst sagen.

Franky zog die Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Luffy fand es einfach nur „Cool!“ und willigte ein. Niemand würde wissen, wie lange es dauern würde. Daher würden schon morgen früh Usopp, Chopper und Zoro sich auf die Suche machen und der Rest der Crew wartete, bis sie durch die Wüstenrinne segeln könnten. Wieder einmal würden sie getrennt sein. Doch das gegenseitige Vertrauen auf ein Wiedersehen nach den neuen Abenteuern machte es allen leichter.
 

Ein ganz anderes Abenteuer startete weiter südöstlich in Loguetown. Keineswegs war es Smoker entgangen, dass sich seine ehemals Unterstellte über alle Berge aus dem Staub gemacht hatte. Er sah dieses mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Er hätte ihr niemals diesen Mut und diesen Willen zugetraut, ihre heißgeliebte Marine zu verlassen und somit nicht die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen. Tashigi war nun wie ein Pirat auf der Flucht und zum Tode verurteilt. Es gab nur den Unterschied zu einem Piraten, dass auf Hochverräter kein Kopfgeld ausgesetzt war. Sie war lediglich vogelfrei und musste jederzeit damit rechnen, von Feldjägern getötet zu werden. Die Marine regelte solche Angelegenheiten intern ohne Prozess, denn durch die öffentliche Bekanntmachung in allen gängigen Tageszeitungen war bereits durch das Marinehauptquartier geurteilt worden.

Andererseits missfiel dem Qualmer ihre Entscheidung. Vielleicht hätte man durch Kungelei etwas an ihrem Urteil ändern können, aber nun war sie einfach so fort. Planlos wie immer. Ihm war der Bericht von einer Fähre mit blindem Passagier und geklautem Rettungsboot nicht entgangen. Obgleich Tashigi nie seine Tochter war, so hatte er sie oft unter seine Fittiche genommen. Und so fühlte er eine Verbindung zwischen ihrem Verschwinden und dem Rettungsboot. Lange hatte er Offiziere Strömungskarten auswerten und Prognosen rechnen lassen. Wenn sie tatsächlich auf dem Boot gewesen wäre, dann wäre sie entweder in nordwestliche Richtung zur Redline getrieben oder im offenen Meer hängen geblieben. Die bittere Vermutung lag nah, dass sie bereits tot sein könnte. Verhungert, verdurstet oder gekentert auf dem East Blue. Smoker mochte sich trotz allen Ärgers über sie solche Vorstellungen nicht ausmalen.

Tage und Nächte hatte er überlegt, bei wem die Schuld der ganzen Misere liegen würde. Natürlich fand er sein Lieblingsfeindbild in Form der Strohhutbande dafür genau passend. Den Strohhutjungen wollte er eh fassen. Das war vollkommen klar. Hinter diesem Triumph jagte er schon zu lange hinterher und er wollte endlich dafür die Belohnung: Monkey D. Luffy auf dem Schafott und hingerichtet. Die Blamage bei dem letzten Hinrichtungstermin war desaströs. Die halbe Welt machte sich über die Marine lustig und schädigte ihr Ansehen und ihre Autorität schwer. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr formte sich ein anderes Feindbild. In den Augen des Rauchers gab es mittlerweile nur einen, der ein allem Schuld war und der deshalb ein noch höheres Kopfgeld als dieser elendige Strohhut verdient hätte: Roronoa Zoro! Er war es, der Luffy befreit hatte. Er war es, der ihm Tashigi genommen und dumme Flausen eingetrichtert hatte. Und überhaupt! Wenn Smoker nur an diesen grünhaarigen Teufel dachte, dann bekam er Hautausschlag und geschwollene Beine. Da halfen auch sämtliche Pluspunkte aus Arabasta nichts mehr. Diese hatte der Qualmer einfach mal eben für sich revidiert. Wenn er Zoro in die Finger kriegen würde, dann könnte der was erleben. Dagegen wäre die Hinrichtung Luffys ein Klacks. Nur allein bei diesen Gedanken rauchte Smoker seine Zigarren schon mit einem Zug auf und hinterließ einen boshaften Eindruck bei seinen unterstellen Mannschaften, dass diese panisch die Reichweite ihres Chefs mieden.

Unter diesen negativen Voraussetzungen hatte Smoker sein Schiff klar machen lassen und war losgesegelt. Er würde sie finden: die Strohhüte und Tashigi.
 

Chopper war in der Nacht erwacht und hatte sich klammheimlich von der Sunny gestohlen. Er war unter Grübeln eingeschlafen, doch der Schlaf war sehr unruhig. Nun folgte er seiner Nase durch die sternenbeleuchtete Straße, um das Haus von Yurenda wieder zu finden. Er wollte als Arzt allen helfen können, doch Parapsychologie und Dämonisches war bei Dr. Kuleha niemals ein Studiengang gewesen. Er brauchte dringend Ratschläge, wo er zumindest Literatur oder Ausbilder finden könnte. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sie wieder einmal in einer Situation wie in der letzten Nacht geraten würde.

Tatsächlich führte seine Nase ihn zum Haus und hinauf aufs Dach. Sofort erkannte er den Wintergarten mit den herrlichen Pflanzen. Die Besitzerin schien nicht da zu sein und so schlich er vorsichtig durch die Blumenkübel und staunte bei jedem Topf ein wenig mehr. So etwas hatte er noch nie gesehen. Sicherlich könnte man aus den Früchten und Blüten einiger Pflanzen eine hervorragende Medizin machen. Es war ein Jammer, dass er es leider nicht untersuchen und damit experimentieren könnte. Besonders vor dem einen Topf blieb er stehen. In ihm steckte nur ein verkrüppelter kleiner Stamm mit wenigen Ästen und Blättern, aber dennoch hatte er das Gefühl, diese Stange von einem Baum hätte ihn gerufen. Er grübelte, um welche botanische Art es sich hier wohl handeln könnte und tippte dann auf eine Kirsche.

„Gefällt dir die Pflanze?“

Chopper fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. Er sah auf Herrin diese Prachtgartens und stammelte eine Entschuldigung nach der anderen herunter. Doch zu seiner Überraschung kam kein Tadel, sondern sie hielt im einen Beutel mit Samen unter die Nase.

„Die sind Samen dieser Pflanze. Geh’ und suche den besten Erdboden unserer Welt und pflanze dort die Saat so, wie es auf dem Zettel steht. Wenn du es richtig machst, wirst du am Ziel deiner Suche sein! Vertraue mir, kleines Rentier!“ Und plötzlich war Yurenda weg wie vom Erdboden verschluckt. Der kleine Arzt rief nach ihr und galoppierte auf der Dachterrasse herum. Nein, sie war weg und er war allein. Traurig machte er sich zurück zur Sunny, aber das Saatgut machte ihn ein wenig stolz und neugierig. Er schwor sich, die Saat zu säen und Yurenda zu vertrauen.

23 - Der Kosa'sche Korridor

Es war bereits eine Woche vergangen, als sich Zoro, Chopper und Usopp in Richtung Norden auf den Weg gemacht und sich von der Restcrew auf der Sunny verabschiedet hatten. In dieser einen Woche geschah nichts ungewöhnliches in Kosa und die hinterbliebenen Strohhüte ließen die Seele baumeln, erkundeten die Stadt und warteten auf die große Flutwelle. Am achten Tag riss plötzlich der Himmel auf und brachte große Hitze und einen wolkenlosen Himmel. Sie wunderten sich und ließen sich dann von den Einwohnern erklären, dass dieses ein gutes Zeichen wäre. In weniger als drei Tagen würde das Wetter umschlagen und die Stürme einsetzen. Schnell sollten sie sich auf den Weg zur Küstenlinie des East Blue machen, um den passenden Moment abzuwarten.

Luffy verstand wieder einmal nichts von allem, doch Nami bewies Geduld und erklärte es ihm. Ursprünglich war der Kanal als gerade Linie geplant gewesen. Durch die wirbelnden Stürme und die Versandungen begann sich jedoch die Form zu einer Mehrfachkurve zu verändern. Sie müssten also den genauen Punkt abpassen, um sich von der Strömung durch die Rinne ziehen zu lassen. Und das müsste er sich so vorstellen: Die Welle rolle wie die Aqua Laguna über die Redline hinweg und bräche sich mitten auf ihr. Sie liefe dann flach weiter bis zu einer bestimmten Höhe auf dem East Blue und zöge sich dann wieder zurück zum North Blue. Auf diese Rückzugswelle müssten sie aufspringen. Es wäre vorher nicht möglich, da die Strömung viel zu stark wäre. Was auch immer im Kopf des Kapitäns vorging, er empfand die ganze Aktion als Riesenspaß und lachte. Seine Augen glitzerten vor Abenteuerlust, und er konnte die nächsten Tage gar nicht abwarten. Aufgeschreckt wie ein Hühnerhaufen rannte er an Deck herum und beobachtete immer wieder die Redline, um die Welle als Erster zu sehen. Der Rest der Crew war genervt und angespannt.

Sie lagen nun schon zwei Tage gute drei Seemeilen vor Kosa, als die Navigatorin einen Wetterumschwung anmerkte und sofort die Mannschaft auf ihre Plätze befahl. Tatsächlich verfinsterte sich wenige Stunden später am helllichten Tage der Himmel. Es wurde so finster, dass man fast nicht mehr die Hand vor Augen sehen konnte. In Kosa wurden Straßenlampen entzündet und alle, die beinig waren, versammelten sich gespannt an der Kaimauer und starrten hinüber zur Sunny. Es war lange her, dass jemand so verrückt war, den Korridor zu passieren. Die Bewohner verrenkten sich neugierig die Hälse und manch einer schloss gar Wetten ab, wie weit die Sunny es wohl schaffen würden. Da niemand an eine komplette Durchfahrt glaubte, standen die Quoten recht gut. An der Kaimauer herrschte nun Volksfeststimmung und Luffy bemängelte, bei dem Fest nicht anwesend sein zu können, denn es schien Fleisch in rauen Mengen zu geben. Für diese Aussage fing er sich einen handfesten Tadel von seiner Crew ein. Doch für einen weiteren Streit blieb keine Zeit, denn dann brach plötzlich ein heftiger Sturm los und warf das Schiff zwischen heftigsten Bergen und Tälern aus Salzwasser hin und her. Sie hatten Mühe, ihr Schiff am Kentern zu hindern und die Position zu halten, bis der Strohhutjunge mit einem Mal laut lachend rief: „Schaut mal!“

Am Horizont über der Redline konnte man in der Finsternis erahnen, wie sich eine meterhohe Welle erhob und sich rasend schnell dem East Blue näherte. Nami sah ihr Leben vor ihren Augen vorbeiziehen, denn die Worte ihres Captains konnten sie verständlicher Weise nicht beruhigen:

„Das ist doch so einfach wie der Knock-Up-Stream. Bloß nicht von unten nach oben, sondern von rechts nach links...!“ Luffy unbeschwertes Gemüt müsste man besitzen.

Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, meldete Franky durch eine Handbewegung unterstützt, dass sie sich in wenigen Minuten in unangenehmer Gesellschaft befänden. Tatsächlich tauchte zur entgegen gesetzten Seite das ihnen gut bekannte Kriegsschiff des Flottillenadmirals Smoker auf. Die Marine hatte den Strohhüten gerade noch gefehlt. Sie stecken in einer verzwickten Situation, denn einerseits konnten sie nicht fliehen ohne die Welle zu verpassen und andererseits kam Smoker immer näher. Zu allem Übel fehlten der Mannschaft nun eindeutig die Unterstützung von Zoro, Usopp und Chopper. Es konnte nur gehofft werden, dass der Weg durch den Korridor schneller zu erreichen wäre, als das Kriegsschiff hier einträfe. Dennoch machte sich Luffy kampfbereit. Er wollte der Crew Rückendeckung geben, die sich um den Kurs der Sunny kümmern sollte.

Dann ging alles ganz schnell. Die Welle brach über der Redline und die Ausläufer rasten durch die Rinne auf den East Blue zu. In Kosa suchten die Schaulustigen schnell Deckung, wollten aber dennoch sehen, was passieren würde. Das Auftauchen der Marine machte es nur spannender und erhöhte die Wettquoten. Nun würde es sich zeigen, ob die Piraten tatsächlich auf der richtigen Position waren. Das Wasser rauschte als starke Strömung zu ihnen heran, erreichte bei ihnen seine weiteste Ausdehnung und zog sie zur Freude aller mit sich. Erst als sie durch das gaffende Hafenpublikum fuhren und sich umblickten, bemerkten sie, dass die Marine unfreiwillig ebenfalls in dieser Strömung fest hing und nun auch auf dem Weg durch die Wüstenrinne war. In Kosa wurden bereits die ersten verlorenen Wettscheine zerrissen. Doch die Crew hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Die erste Kurve der Rinne tauchte vor ihnen auf. Es war ein harter Kampf. Sanji und Nami bemühten sich, das Schiff auf dem richtigen Kurs zu halten, während Luffy sich mit dem „GomuGomu no Fusen“ zu einem Ballon aufgeblasen hatte, um zwischen Ufer und Sunny als Prellbock zu dienen. Robin war damit beschäftigt, mit ihren Armen Luffy nicht ins Wasser fallen zu lassen. Dies erwies sich als kompliziert, denn das Meerwasser spritze und peitschte über sie hinweg und schwächten ihre Teufelskräfte. Franky unterdessen kämpfte auf Namis Zurufen mit dem Segel. Die erste Kurve war geschafft. Nun kam noch eine und noch eine und noch eine ... Ab Kurve Nummer Sechs hörten sie auf zu zählen.

Das Marineschiff war klar im Vorteil. Smoker hatte mehr Besatzung an Bord, von der sich die eine Hälfte um die Steuerung bemühte und die andere Hälfte sich zum Gefecht klarmachte. Jedoch wurde der Abstand zur Sunny deutlich größer. Das Schiff der Strohhüte war eine Brigantine und somit klein, wendig und leicht. Der Marinekreuzer war um einiges größer und schwerfälliger. Er schaffte es nur mühsam um die Kurven und benötigte tieferes Fahrwasser. Dennoch ließ sich der Flottenadmiral nicht davon abbringen, die Verfolgung aufrecht zu halten und seinen Unterstellten Anweisungen zu geben. Kurz darauf schlug die erste Kanonenkugel haarscharf neben der Sunny ein.

Zu allem Überfluss stellte Nami beim Blick auf den Wasserspiegel fest, dass dieser schneller fiel als geplant. Noch hatten sie genug Wasser unterm Kiel, aber für wie lange noch? Sie hatten gute Zweidrittel der Strecke geschafft. Nur noch zwei Kurven trennten sie vom rettenden North Blue. Sie schickte Stoßgebete zum Himmel, dass sie noch bis zum Ozean einen Handbreit Wasser unter dem Kiel haben mögen.

Es reichte nicht! Mit voller Fahrt bohrte sich das Piratenschiff in der vorletzten Kurve mit dem Bug in die sandige Uferdüne. Das Meerwasser floss unaufhörlich ab und ließ das Schiff auf dem Grund auflaufen. Sie saßen kurz vor dem Ziel fest. Ein Blick zurück brachte die Gewissheit, dass das Marineschiff in gut fünfhundert Metern Luftlinie genau wie sie selbst gestrandet war.

Luffy schlug vor, sich den Qualmer vom Halse zu schaffen und einfach die nächste Welle abzuwarten. Jedoch korrigierte ihn Franky, dass die nächste Flut die Sunny unter sich zerschellen lassen würde. Auch der Vorschlag des Captains, selbst einen Kanal zu buddeln, wurde missmutig aufgenommen, denn der Cyborg gab zu bedenken, dass dieses in dem Sand fast aussichtslos wäre, zudem würde ihr Schiff Schlagseite bekommen und sich schlicht und einfach auf die Seite legen. Um die Sunny dann wieder ohne einen Werftkran aufzurichten, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Jedoch waren sich alle einig, dass das „Smoker-Problem“ schnell beseitigt werden müsste. Sie blickten über die Reling und sahen schon die ersten bewaffneten Soldaten mit dem Admiral voran auf sie zu kommen.

Keiner der beiden Parteien konnte mit dem Schiff aus der Wüstenrinne entfliehen. Alles lief auf einen Stellungskampf hinaus. Smoker schien an seinem Schiff nicht sonderlich interessiert zu sein, denn er zog seine gesamte Besatzung zusammen, um seine gesamte Angriffskraft nutzen zu können. Die Piraten verließen ebenfalls das Schiff, jedoch um sich und die Sunny zu verteidigen. Schon bald standen sie sich auf Rufweite gegenüber.

Der Admiral musterte argwöhnisch die Gegend. Er vermisste das Monster-Rentier, den Sogeking und den grünen Teufel. Entweder lauerten die Drei im Hinterhalt auf die Soldaten auf oder sie wären tatsächlich nicht dabei. Letzteres würde es um vieles einfacher machen, obwohl die Restgruppe immer noch einen fast unbesiegbare Kampfkraft besaß, die keineswegs unterschätzt werden wollte. Doch er konnte dem Frieden nicht trauen. Zumindest schien Tashigi auch nicht bei der Crew zu sein, was er zeitweise vermutet hatte. Irgendetwas war hier verkehrt und während er die Piraten mit Argusaugen beobachtete, grübelte er, was an der Szene falsch sein könnte.

„Wo ist denn unsere Kleine?“ entfuhr es Franky nicht laut, aber dennoch so laut, dass nicht nur die Restcrew, sondern auch Smoker es verstehen konnte.

„Frau Fähnrich scheint nicht mit dem Herrn Admiral zu reisen“, antwortete sie zu Franky gewandt mit spöttischem Unterton, der dem Qualmer galt.

Smoker wollte sich nicht so leicht durchschauen lassen. Die Bemerkung des Cyborgs verriet ihm aber, dass Tashigi in irgendeiner Form tatsächlich Kontakte zu dieser Bande gehabt hatte. Das schmeckte ihm ganz und gar nicht, denn es würde so schwieriger werden, an ihrem Hochverrat etwas zu vertuschen. Er wollte sich seinen Frust nicht anmerken lassen und richtete nun mit dem gleichen Spott eine Gegenfrage an Luffy:

„Da könnte ich genau so fragen, wo euer Rest ist?“

Luffy schluckte. Obwohl ihn nichts aus der Bahn warf, hatte der Raucher längst gemerkt, dass sie nicht komplett anwesend waren. Besonders Zoros Abwesenheit war in diesem Moment ein herber Verlust. Und als ob der Qualmer Gedanken lesen könnte, fragte dieser noch:

„Wo ist der grünhaarige Idiot?“

„Ha, endlich jemand, der mich absolut versteht! Dafür geb’ ich dem Qualmer glatt einen aus!“ lachte Sanji laut los, doch Luffy fuhr ihn an, die Klappe zu halten. Wut stieg ihn ihm auf. Die Situation musste schnell geklärt werden. Dem Cyborg war der Spott Smokers nicht entgangen und es leuchtete ihm somit ein, dass der Admiral wohl Tashigis Spiel durchschaut haben musste. Und dieser schien Zoro die Schuld an allem zu geben, denn bis dato hatte er sich noch nie so abfällig gegenüber dem Schwertkämpfer geäußert. Das schon lange aufgeschobene Crewgespräch war bitter nötig, befand Franky. Sobald alle wieder da waren, musste hier reinen Tisch gemacht werden.

„Das werde ich dir sicher nicht sagen, wo er ist. Und was mit deinem Leutnant ist, weiß ich auch nicht! Damit haben wir nichts zu tun! GomuGomu-no-...!“ Der Gummijunge eröffnete den Kampf und er hatte die Wahrheit gesagt. Dass er nur mit Tashigis Hilfe entkommen war, hatte er Dank der Seesteininjektion im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen. Er wusste bis zum heutigen Tage nichts davon, dass sie an Bord der Sunny war. „... –Pistole!“

Der Qualmer schüttelte über soviel Dummheit den Kopf, denn die Attacken des Strohhutbengels würden gegen seinen Rauch keine Wirkung haben. Jedoch hatte er in diesem Moment nicht mit Robin gerechnet. Schnell hatte die Archäologin Arme wachsen lassen und Smokers Seesteinschwert ergriffen. Dadurch bekam er dann doch noch Luffys GomuGomu-Attacke ab. Ehe sich der Admiral versah, berührte ihn sein eigenes Schwert und seine Teufelskräfte schwanden. Um die angreifenden Soldaten kümmerten sich in der Zwischenzeit Sanji, Franky und Nami. Kurze Zeit später waren die Angreifer mit Blitzschlägen, Feuerkicks und Stahlfaustschlägen außer Gefecht gesetzt.

Sie wollten sich schon über ihren kurzweiligen Sieg freuen, als der Kapitän plötzlich bemerkte, dass er bis zu den Knöcheln im Wasser stand und dieses langsam anstieg. Verwundert machte er die anderen darauf aufmerksam: „Wo kommt das Wasser her?“

Erschrocken drehten sich alle zu Luffy um, der nun schon bis zum Knie im Wasser steckte und sie selbst sahen nun auch, wie Wasser durch die Rinne an ihre eigenen Füße plätscherte. Durch die Dünen konnte sie jedoch von der Senke aus nicht erkennen, wie diese Naturerscheinung zustande kam.

„Ist doch scheißegal, wo es herkommt! Das ist unsere Chance mit der Sunny wegzukommen!“ stellte Sanji blitzschnell fest und wetzte los zum Schiff. Der Rest folgte ihm. Über die Reling hinweg hatten sie eine erhöhtere Aussichtsposition auf den North Blue. Doch es war keine neue Flutwelle, wie sie es erwartet hatten. Etwas Merkwürdiges spielte sich auf der Meeresoberfläche ab. Wie von Geisterhand strömten Wellen zusammen und drängten dann seicht in den Korridor bis zu ihrem Schiff. Als wenn das Wasser nun plötzlich eine Form angekommen hätte, zog es sie mit Wellen und Wasserdruck aus der Düne und dann mit Windeseile auf den Ozean. Ein paar Sekunden später war der Spuk vorbei. Die Crew staunte nicht schlecht über dieses Wunder, musste sich aber ohne Pause auf die raue, kalte See des Meeres einstellen, dass ihr Schiff wild hin- und herwarf. Nein, hier konnten sie nicht vor Anker gehen und auf die drei Abwesenden warten, solange der Qualmer dort im Korridor hing und das Wetter stürmisch war. Spontan segelten sie nach Norden an der Küste entlang. Dort war in der Karte eine größere Insel verzeichnet, wo sie alles Weitere in Ruhe planen müssten. Auf jeden Fall war es von oberster Priorität, Zoros Gruppe mitzuteilen, wo ein neuer Treffpunkt sein könnte.

Natürlich war Smoker das „Wunder der Rinne“ nicht entgangen. So etwas hatte er zeit seines Lebens noch nicht erlebt. Er glaubte jedoch nicht an ein Wunder, und auch Glück dürfte hier schon keine Rolle mehr gespielt haben. Das roch nach Teufelskräften von einem Verbündeten, den er nicht kannte. Misstrauisch beäugte er die Sanddünen, doch er konnte niemanden ausmachen. Verdammt, wer hatte hier seine Finger im Spiel und ein Interesse daran, dass die Piraten entkommen konnten?

24 - Auf der Donnerebene

Die Dreiergruppe ahnte von den ganzen Problemen um und auf der Sunny nichts. Auch dass Smoker ihnen wieder dicht auf den Fersen war, blieb ihnen verborgen. Vermutlich war dieses Informationsloch auch gar nicht so verkehrt. So mussten sie sich damit nicht unnütz belasten. Tagelang waren sie geradeaus nach Norden marschiert, doch sie hatten nicht das Gefühl, der Donnerebene auch nur ein Stück näher zu kommen. So weit das Auge reichte, waren leichte Sanddünen in allen Rotschattierungen um sie herum. Die Umgebung hatte wahrlich Ähnlichkeiten mit Arabasta, nur war der Sand dort gelb und nicht rot. Außerdem war es hier nicht kochendheiß, sondern recht kalt, was das Rentier glücklich machte. So kamen sie recht gut voran bis auf die Tatsache, dass Usopp bereits am zweiten Marschtag seine „Sandallergie“ bekam und unbedingt getragen werden wollte. Da Zoro das Gezeter nicht länger ertragen wollte, schulterte er den Lügner kurzerhand und schleppte ihn mit sich. Diese Trageposition war allerdings für den Scharfschützen noch unbequemer als zu laufen und schon kamen von der Quasselstrippe die nächsten Beschwerden, was der Schwertkämpfer lediglich mit einem sofortigen Abwurf ohne Vorwarnung während des Gehens quittierte. Der Kanonier schimpfte wie ein Rohrspatz, als er sich aus dem Sand rappelte und den Staub aus der Kleidung schlug. Aber er konnte damit bei seinen Mitstreitern keinen Eindruck hinterlassen, die unbeeindruckt durch die Wüste weiterstapften.

Als sie wieder einmal so daher von Düne zu Düne gingen, stellte Chopper eine Frage in den Raum, die bei Usopp zu einem Fragezeichen und bei Zoro zu Unbehagen führte. „Hast du das in der Zeitung gelesen? Das hat sie nicht verdient. Sie tut mir leid!“

Zoro dachte darüber nach, wie um Himmels Willen das Rentier nun ausgerechnet auf dieses Thema kam, denn er war froh gewesen, dass es beendet schien. Natürlich war es nicht geplant gewesen, dass Tashigi zum Dank für ihre Hilfe in solchen Problemen steckte und obendrein mit einem Fluch belegt worden war, aber sie hatte sich ihnen gegenüber wortlos dazu entschieden, in Loguetown zu bleiben. Nun müsste sie selber zusehen, wie sie klar käme. Andererseits musste er sich den Schuh anziehen, dass sie niemals ohne ihn in dieser prekären Lage stecken würde. Eigentlich konnte es ihm sowieso vollkommen egal sein, was aus ihr werden würde. Sie war nervig, zickig, launisch, naiv, schusselig ... Eigentlich fielen ihm nur negative Eigenschaften über sie ein. Er wusste selbst nicht, weshalb er ihr angeboten hatte zu bleiben oder warum sie immer wieder mal durch seine Gedankengänge kroch. Eingeladen hatte er sie dazu garantiert nicht. Irgendein Puzzelteil fehlt einfach. Und er hatte auch bereits über die Vorstellung nachgedacht, wenn sie tatsächlich mitgekommen wäre. Ein Dauerzustand wäre es sicherlich nicht gewesen. Die Antwort auf ein „Was-wäre,-wenn“ war einfach zu komplex und zu kompliziert, weshalb er das Problem vor sich herschob, was aber auch nicht sonderlich befriedigend war. Früher oder später tauchten Probleme von ganz allein wieder an der Oberfläche auf und drängten sich dann wuchtiger als zuvor in den Vordergrund. Das wusste er aus Erfahrung.

Mit gesenktem Kopf trottet Chopper zwischen seinen beiden Begleitern daher. Während Zoro mit verfinsterter Miene dem Rentier eine Antwort schuldig blieb, begann nun Usopp neugierig zu löchern, auf welche Person sich diese Aussage bezog. Chopper wollte es dem Kanonier erklären, doch der Schwertkämpfer blaffte ihn an, dass es Usopp nichts anginge, denn er würde eh zuviel ausplaudern. Natürlich konnte der Scharfschütze solch eine Anschuldigung nicht auf sich sitzen lassen und beschwerte sich lauthals, zumal sich der Schwertkämpfer sehr selten in dieser Form gegenüber Crewmitgliedern äußerte.

Der kleine Arzt hörte sich eine ganze Weile die Vorwürfe von einem zum anderen über seinem Kopf an, doch dann wurde es ihm zu bunt. Er wollte sich schon in diesen Streit einmischen, als ein Blitz vom Himmel heruntersauste und mitten vor ihren Füßen einschlug. Der sofortige Donnerhall machte sie fast taub. Der Schreck saß so tief, dass sich Usopp und Chopper im nächsten Augenzwinkern hinter Zoro versteckten und beide schrien, Enel persönlich wäre auf die Erde zurückgekehrt. Die beiden waren derart in Panik, dass der Schwertkämpfer Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten, denn die Klammergriffe der beiden waren mehr als knochenbrechend und eine Herausforderung an seinen Gleichgewichtssinn. Er beschimpfte die beiden Feiglinge und blickte dann gelassen mit verschränkten Armen voraus.

Vor ihnen erstreckte sich nun also die Donnerebene. Früher musste es einmal ein Wald gewesen, denn überall sah man noch vereinzelte Baumleichen und Baumstümpfe wie Fingerzeige drohend emporragen. Sie alle waren aschgrau bis schwarz verkohlt, ebenso der Erdboden, der nur noch Sand, Stein und Asche war. Die Blitzeinschläge hatten alles vernichtet, was hier jemals eine Vegetation ausgemacht hätte. Es war durch die Gewitterwolken pechschwarz, dennoch regnete es keinen Tropfen vom Himmel. Nur die pausenlosen Blitze erhellten für Sekunden die Landschaft und verliehen allem in eine gespenstische Note. Zudem war es ungewöhnlich windstill. Der Donner gab einem das Gefühl, sein Gehör zu verlieren und wahnsinnig zu werden. Es war nur seltsam, dass sie das Unwetter nicht zuvor bemerkt, sondern von einer Sekunde auf die andere plötzlich mitten drin waren. Eine Weile beobachteten sie das Gebiet und dann verstanden sie. Es war kein Wunder, dass sie das Gebiet nicht einfach so erreichen konnte, denn es war einriesiges Unwetter, dass sich permanent verlagerte. Und eben kam es etwas näher in ihre Richtung. Der Scharfschütze schoss ein Leuchtfeuer in den Himmel. Für ein paar Minuten erhellte es die Gegend, doch so weit das Auge reichte war da nichts außer der trostlosen verbrannten Erde. Sie waren ratlos, wohin sie nun gehen sollten, bis der kleine Arzt die Vermutung aussprach, er hätte etwas gewittert. Jedoch war er sich nicht exakt sicher und wandte sich an Zoro, ob dieser nicht irgendetwas aufspüren könnte. Der Angesprochene legte nachdenklich den Kopf leicht schief. In der Tat war dort etwas, aber es war zu weit weg und zu verschwommen, um etwas genaueres beurteilen zu können. Sie hatten jedoch keine andere Wahl und gingen in die vermutete Richtung in der Hoffnung, sich irgendeiner Zivilisation zu näheren.

Die verkohlte Vegetation und das grell flackernde Licht der Blitze machte ein Vorwärtskommen fast unmöglich. Sie stolperten immer weiter und weiter. Bald sahen sie von der Asche aus wie Schornsteinfeger nach Feierabend und ihre Augen brannten vom Staub und vom Licht. Je mehr sie in dieser Einöde herumirrten, desto mehr Allergien und Krankheiten konnte Usopp vorlügen, doch bei einem Arzt wie Chopper hatte er einfach keine Chance, Mitleid und Aufmerksamkeit zu erhaschen. Der kleine Arzt hingegen versuchte sich seine Angst nicht anmerken zu lassen, obwohl er bei jedem Blitz zusammenzuckte als hätte man ihm Stromschläge verpasst. Plötzlich blieb Zoro mit einem Ruck stehen, löste mit dem Daumen eines seiner Schwerter fingerbreit aus der Saya und starrte mit gekniffenen Augen in die gespenstische Gegend. Seine beiden Begleiter wussten nur zu gut, was diese bedeutete: Der Schwertkämpfer hatte Gefahr bemerkt. Er bestätigte dieses auch sofort: „Irgendwer folgt uns schon seit gut einer Stunde!“

„Was?! Das sagst du erst jetzt?“ fuhr in Usopp erschrocken an, doch Zoro machte sich mit einem Nebensatz, dass diese Problem in Kürze erledigt wäre, auf den Weg und war wegen den Lichtverhältnissen nicht mehr zu sehen. Ungläubig starrten der Arzt und der Kanonier ihrem Mitstreiter nach. Das Rentier brüllte ihm wütend und schimpfend hinterher, wie er sie einfach so hier stehen lassen könnte, doch es nutzte nichts. Viel schlimmer war aber die Tatsache, dass sie sich nun verloren hatten. Beim nächsten Donnerschlag schrien sie auf und umklammerten sich panisch gegenseitig: „Zooooooooorrrrrrrrrrrrrrrooooooooooo!!!!“

Die beiden Angsthasen waren nun vollkommen allein und auf sich gestellt. Das Rentier heulte rum, wie Zoro ihnen so was nun mal wieder antun könnte, doch letztendlich beschlossen sie, Choppers stärker werdenden Witterung zu folgen. Sie hofften, eine Unterkunft zu finden und das der Schwertkämpfer sie vielleicht dort finden würde, wenn er nicht ganz blöde wäre und den Gefühlswellen folgen würde. Das Rentier baute darauf, dass die Hoffnung zu letzt sterben würde und der Kanonier ergänzte sarkastisch, dass die Hoffnung bekanntlich grün wäre. Da mussten sie lachen und sputeten sich, endlich aus dieser Gegend zu entkommen.

Tatsächlich hatten sie Glück. Obwohl sich ihr Weg dahin zog wie Kaugummi, tauchte unerwartet ein kleines Häuschen auf. Es hatte eine merkwürdige Form, denn es sah aus, wie eine umgedrehte Reisschüssel. Direkt daneben stand ein hoher Mast aus Metall, dessen Bedeutung sich die beiden Piraten nicht erklären konnten. Beim Näherkommen stellten sie fest, dass ein schmaler, aber gepflasterter Weg an dem Haus vorbeiführte. Ein altes vergilbtes Schild, welches über der Tür schief hing, gab weitere Auskunft. „Am Blitzableiter. Pension und Warenhandel“, las Usopp laut vor. Sie atmeten tief durch und klopften an der großen schweren Holztür. Sofort öffnete sich ein kleines Guckfenster in der Tür und eine tiefe Stimme fragte: „Reisende oder Räuber?“

„Reisende!“ schwindelte Usopp schnell, denn er wollte endlich ein Dach über dem Kopf haben und Chopper sah es ähnlich. Die Tür wurde geöffnet und ihnen Einlass gewährt. Der Raum war recht klein, bot nur Platz für zwei runde Esstische mit Bestuhlung und einem Tresen, der sowohl zum Handeln als auch Trinken genutzt werden musste. An der Rückwand gingen Regale mit den unmöglichsten Waren bis an die Decke. Nur eine kleine Tür zum Privat- und Gästebereich unterbrach die Regalwand. Der Inhaber war ein kleiner Mann, der gerade man Choppers Chibi-Körpergröße erreichte und man unter einer druidenähnlichen Kutte nicht erkennen konnte. Lediglich seine lange Gurkennase ragte unter der Kapuze hervor. Er schien recht abgebrüht zu sein und antwortete knapp, aber zufriedenstellend. Der große Mast wäre ein Blitzableiter. Daher wäre sein Haus schon seit Jahrzehnten vom Unwetter verschont worden. Es würde manchmal nur arg krach, dass einem der Lärm aus dem Bett und das Essen vom Teller fallen ließe, aber man gewöhne sich bald daran. Zur Bestätigung krachte es in diesem Moment derart laut, dass die Regale samt Inhalt bedrohlich klapperten. Usopp konnte tatsächlich ein paar Berri zusammenkratzen. Es reichte gerade mal für eine warme Mahlzeit und eine Übernachtung, doch der Wirt gewährte ihnen Rabatt, denn in letzter Zeit kämen nicht oft Händler diese Straße entlang, die eine Verbindung zwischen Wanane und dem gesuchten Haus der Stille wäre. Der kleine Arzt freute sich sehr. Endlich hätten sie einmal Glück gehabt, dass sie auf dem richtigen Weg wären. Zum Dank für die guten Nachrichten übergab er dem Wirt noch einen extragroßen Topf von seiner hervorragenden Heilsalbe und untersuchte noch kostenlos dessen Rückenleiden. Im Gegenzug willigte der Händler ein, dass der noch fehlende Dritte der Gruppe ebenfalls übernachten könnte. Nun hieß es abwarten. Sie saßen alle am Tresen, tranken und klönten und gingen spät zu Bett. Der Händler schmunzelte, denn längst hatte er mitbekommen, dass hier keine normalen Reisenden in sein Haus eingekehrt waren. Die beiden waren Strohhutpiraten auf einer interessanten Mission. Das würde er weitermelden. Er verschwand in seinem Kämmerlein und Griff zur DenDenMushi.
 

Natürlich war es Zoro nicht entgangen, dass er seine Begleiter verloren hatte. Doch es kümmerte ihn nicht, immerhin war dieses nichts Neues und am Ende waren sie sich dann doch wieder alle über den Weg gelaufen. Zudem wusste er diesmal, wo sie waren. Er konnte es fühlen, auch wenn sich die beiden immer mehr zu entfernen schienen, denn ihre Wellen wurden schwächer.

Aber erst einmal waren die beiden nebensächlich. Der Feind turnte hier irgendwo durchs Unterholz und tarnte sich darüber hinaus verdammt gut. Zumal schien dieser längst bemerkt zu haben, dass Zoro ihn suchte. Das Blitzlichtgewitter und die schwarze Umgebung machten es dem Schwertkämpfer nicht leicht, den Feind zu finden. Mit der Hand an den Schwertgriffen stapfte er dorthin, wo er die Gefühle des anderen lokalisierte und das war nicht einfach. Da waren so viele Gefühle durcheinander gewirbelt, dass er zuerst dachte, es hätte sich um mehrere Personen gehandelt. Doch nun war er sich ziemlich sicher, dass es tatsächlich eine Person sein konnte, die ihm erst einmal ein bitterböses Gemisch aus Wut, Traurigkeit und Hilferuf verriet. Er hasste es, so hinter dem Feind hinterher rennen zu müssen. Was wollte diese Gestalt? Wenn sie Ärger suchen würde, dann hätte sie schon längst angegriffen. Auch ein Kopfgeldjäger hätte sich ihm längst in den Weg gestellt. Dieses war aber nicht der Fall. „Es könnte ein Spion sein“, überlegte sich Zoro, denn wer sollte sonst so ein verdecktes Interesse haben? Er wurde dennoch das Gefühl nicht los, dass hier etwas oberfaul war. Denn einerseits suchte die Gestalt das Weite, andererseits blieb sie stets auf einem Sicherheitsabstand in seiner Nähe wie ein Schatten. Plötzlich spürte er die Nähe sehr stark und beim nächsten Blitzlicht sah er die sehr dürre Gestalt in einem engen, helleren Ledermantel um den nächsten verkohlten Baum hetzen. Gefunden! Grinsend zog Zoro zwei seiner Schwerter und ging langsam auf den Baum zu, im das Geheimnis lüften zu können

Als er um den Baum ging, sah er etwas Aufblitzen und eine Sekunde später krachten seine Schwerter gegen ein anderes. Beim nächsten Schlag schlug er ins Leere, denn die Gestalt war wieder hinter dem nächstbesten Baum verschwunden. Wortlos und kampflos. Zoro war für den Moment verblüfft. Diese Geheimniskrämerei war äußerst bizarr. Die Person wollte demnach um keinen Preis erkannt werden, hatte aber wohl ein ernsthaftes Anliegen. „Schluss mit lustig!“, sagte er zu sich selbst und folgte den Mantelträger, dem er ohne Warnung den nächsten Angriff entgegenpfefferte. Doch wieder wurde seinen Attacke wie die Vorherige pariert, obgleich sie um einiges heftiger war als die Erste. Er startete noch einen Schlag und wieder wurde er pariert: Gleiche Parade, gleiche Technik. Im Lichtflackern sahen ihre Bewegungen stockend aus wie die eines Roboters, aber der Schwertkämpfer hatte trotzdem eine wichtige Beobachtung gemacht. Entweder war der Mantelmann ein verdammt guter Schwertkämpfer oder er beherrschte nur diese eine Verteidigung. Vermutlich traf letzteres zu, denn die Gestalt hatte Mühe, Zoros Kraft standzuhalten und hatte zudem eine sehr schlechte Beinarbeit. Wenn sie weiterhin ihre Füße so auf den Boden stellen würde, dann würde sie gewiss einmal über ihr rechtes Sprunggelenk wegknicken. Zoro wusste dieses nur zu gut, denn Koushirou hatte ihm Dutzend Male die Fußstellung bei dieser Abwehrtechnik erklärt, aber von Natur aus, setzte man die Füße als Anfänger jedes Mal falsch. Eigentlich war diese Technik einmalig auf der Welt und Koushirou lehrte sie auch nicht jedem. Es dämmerte Zoro, dass hier vor ihm nur jemand sein konnte, der jemals bei seinem alten Lehrmeister im Dorf Shimotsuki Unterricht genossen haben musste. Wie dem auch wäre: Die Technik war nun durchschaut und konnte daher schnell ausgehebelt werden. Er kreuzte seine Katana und schlug diesmal in einem anderen Winkel zu. Es kam, was er geahnt hatte, denn unter der Wucht flog nicht nur das gegnerische Katana zu Boden, sondern der Mantelträger knickte über den rechten Fuß weg und landete ebenfalls wie schon das Schwert seitlich im Aschestaub. Mit gesenktem Kopf, aber immer noch tonlos saß die Person nun dort unten und regte sich lange Zeit keinen Millimeter.

„Ich habe schon wieder verloren...“ erklang dann eine wohlbekannte weibliche Stimme recht kläglich zu ihm empor. Er steckte seine Schwerter weg und antwortete trocken: „Erwartungsgemäß.“ Da ballte sie ihre Hände zu Fäusten, bohrte sie wütend in den Boden und begann dann wie ein Schaufelradbagger den Dreck vor Zorn gegen ihn hoch zu schmeißen. „ICH HASSE DICH!“ brüllte sie so gellend, dass sich dabei ihre Stimme überschlug. Unbeeindruckt stand er mit verschränkten Armen vor ihr und blickte auf das Häuflein Elend herab. Sicherlich machte es ihm keinen Spaß, von ihr mit Staub und Dreck beschmissen zu werden, aber er war etwas ratlos, denn ihre Worte klangen anders, als das was sie eben gefühlsmäßig durchmachte und ihm unbewusst mitteilte. Sie war kurz davor, einen Nervenzusammenbruch zu bekommen.

„Hör’ auf! Was soll das?“ fragte er sie barsch und hockte sich zu ihr herunter, wodurch er natürlich die nächste Ladung Dreck ins Gesicht bekam, denn sie dachte nicht daran, aufzuhören. Wütend packte er grob ihre Handgelenke. Vor Schmerz schrie sie auf und wie aus heiterem Himmel wandelte sich die eben noch wütende Frau in ein Nervenbündel voller Panik. Blind vor Angst versuchte sie sich mit allen Mitteln zu befreien, dabei trat sie wild um sich und Zoro musste einige herbe Tritte ertragen. Er war nun vollkommen hilflos, denn diese Panik war keineswegs gespielt, sondern die pure Realität. Was zum Teufel war nur mit ihr los? Chopper hatte ihm einmal berichtet, wenn man Lebewesen nur lange genug fixieren würde, dann würden sie sich beruhigen und kapitulieren. Das war ein reiner Selbsterhaltungsmechanismus, um physisch nicht zu kollabieren. Also drückte er sie rücklings auf den Boden und hielt sie fest. Dabei flüsterte er immer wieder ihren Namen. Tatsächlich trat schneller als erwartet der gewünschte Effekt ein, doch nun wimmerte sie und stammelte unvollständige Sätze ohne Zusammenhang. „Lass los! Ich will das nicht! Bitte, bitte ...!“

Zoro war ernsthaft der Verzweiflung nah. Gedanken konnte er nicht lesen, aber als er trotz der zuckenden Blitze für einen kurzen Moment in ihre seelenlosen Augen sah, kam ihm ein übler Verdacht. Sofort ließ er sie los und sie rollte sich ganz klein zusammen.

Und nun? Stunde um Stunde harrten sie so aus. Zoro saß immer noch an Ort und Stelle und Tashigi lag noch immer zusammengekrümmt mit dem Rücken zu ihm, war aber verstummt und ein einziger, seelischer Trümmerhaufen. Sie konnten nicht ewig hier bleiben. Chopper und Usopp würde sicher schon irgendwo ungeduldig warten.

„Na los, wir müssen weiter!“ unterbrach er die Situation.

„Das ist mir egal!“ kam es gleichgültig von ihr.

„Mir aber nicht.“ sprach er ruhig, erhob sich und zog sie dann ebenfalls hoch, auch wenn diese Art sicherlich nicht die Netteste war. Auf wackligen Beinen stand sie nun nahe bei ihm und hatte wieder den Blick zu Boden gesenkt, als ob sie sich für irgendetwas schuldig fühlte. „Es tut mir leid! Ich bin schuld, dass ...“, murmelte sie und suchte nach weiteren Worten.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, sagte er ihr leise, um sie zu beruhigen. Was besseres fiel ihm einfach nicht ein, worüber er sich ärgerte. Gefühlsduseliges Kummerkastengefasel war bisher nie seine Welt gewesen.

Da brachen plötzlich alle Dämme in ihr. Sie ließ sich nach vorne fallen, umarmte ihn und heulte hemmungslos. „Ich hab’ soviel Schlechtes erlebt... Wo warst du?“ schluchzte sie.

Ohne zu Wissen, ob es nun richtig oder falsch wäre, legte er reflexartig seine Arme um sie und zog sie noch etwas näher an sich heran. Jetzt erst merkte er trotz des dicken Mantels, dass sie abgemagert war und die hochgeschobenen Mantelärmeln gaben den Blick auf unzählige blaue Flecke, Abschürfungen und Quetschungen frei. Er strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und lehnte dann seinen Kopf an ihren. Es war merkwürdig, denn noch vor ein paar Wochen wäre diese Szene undenkbar gewesen. Nun suchte sie Trost und gestand ihm sogar nur durch ihre Gefühlswellen unbewusst, dass sie ihn liebte. Er schloss die Augen und genoss das seltsam anmutende Gefühl, geliebt zu werden, denn es war ihm auf diese Art und Weise bisher fremd gewesen. Unvorstellbar! Ausgerechnet sie! Doch war es richtig? Er konnte sich selbst diese Frage nicht beantworten, daher hielt er es für besser, es bliebe alles wie vorher.

Sie standen noch lange stumm Arm und Arm in dieser trostlosen Gegend von zuckenden Blitzen und ohrenbetäubenden Donner. Doch irgendwann machten sie sich auf den Weg dorthin, wo er seine Mitstreiter spürte.
 

Nach gut einer Stunde Fußmarsch erreichten sie das skurrile Haus „Am Blitzableiter“. Der Wirt musste durch das Geplauder der beiden Piraten gut informiert gewesen sein, denn er nannte Zoro beim Namen, ließ ihn ein und wunderte sich, dass noch eine Frau in seiner Begleitung wäre, denn seine Freunde hätten nur von ihm als Nachzügler gesprochen. Er wies ihnen ihr Nachtlager zu, wo bereits im Zimmer schon Usopp und Chopper im Reich der Träume schnorchelten, und drücke ihnen dann noch eine Box mit Essen und Wasserflaschen in die Hände. Nach dem Protest des Schwertkämpfers wurde die Essensration um viel Sake ergänzt. Tashigi nahm von alle dem nicht mehr viel wahr. Sie war wie in Trance vor Müdigkeit neben dem Schwertkämpfer eine für sie ewig lange Strecke bis zu diesem Haus getorkelt. Sie würde sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern können, dass Zoro sie wieder einmal mehr den ganzen Weg getragen und dann ins Bett gesteckt hatte. Das letzte, was sie an diesem Tage spürte, war das weiche, warme und kuschelige Bett.

25 - Das Haus der Stille

Der Kanonier und das Rentier konnten nicht sagen, wie lange sie nun schon nebeneinander mit großen Augen auf die junge Frau starrten. Dass Zoro tatsächlich hergefunden hatte, war ein Glücksfall, aber warum war Tashigi hier? Woher kam sie? Die beiden stellten sich diese Fragen aus zwei vollkommen verschiedenen Perspektiven. Chopper war mehr als überrascht und hocherfreut. Er hatte sie so sehr vermisst, aber er hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Mit professionellem Blick hatte er längst erkannt, dass sie verletzt und übel behandelt aussah. Doch er wollte sie zum Verarzten nicht aus ihrem Schlaf reißen. Sie schien diesen bitternötig zu haben, und die Behandlung könnte noch etwas warten. Usopp verstand die Welt nicht mehr. Er hatte zwar in den Zeitungen von der angeblichen Entführung Tashigis durch Zoro gelesen, aber von der Reise über die Redline, ihrer Anwesenheit auf der Sunny und ihrer Hilfe zur Befreiung Luffys wusste er natürlich noch nichts. Und so wunderte er sich um so mehr, dass sich Tashigi und Zoro schlafend in ein und dem selben Raum aufhielten, und dass dieser Umstand nicht zur kriegerischen Eskalation führte. Der Kanonier musste feststellen, dass er eine Menge verpasst hatte und dass ihm obendrein einiges an Informationen fehlte. Doch noch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, begann sich die junge Frau zu regen. Als sie die Augen aufschlug, blickte sie in erstaunte Gesichter, die sie nicht erwartet hatte und erschrak folglich sehr. Der kleine Arzt nahm dieses nicht wahr und umarmte sie vor Freude sehr.

Die ehemalige Marinesoldatin fing sich wieder und begrüßte mit einem scheuen Lächeln das Rentier. Dann blickte sie zu Usopp, dem das Fragezeichen im Gesicht stand, und entgegnete ihm ein höfliches „Guten Morgen!“, denn sie konnte noch nicht abschätzen, wie die Langnase reagieren würde. Dieser überhäufte sie nun mit Fragen wie ein Wasserfall, so dass sie zum Selbstschutz vor diesen Wortmassen die Decke bis zur Nasenspitze hochzog und sich rücklings an die Zimmerwand lehnte. Chopper unterbrach umgehen das Verhör, indem er mit ernstem Ton den Kanonier darauf hinwies, dass Tashigi keinen guten körperlichen Gesamteindruck vermitteln würde. Fragen könnte sie später beantworten. Usopp wollte diesen Punkt aber dennoch diskutiert haben, was der energisch Arzt abwimmelte.

Die Zwischenzeit hatte Tashigi genutzt und musterte mit den Augen den Raum, der aus nichts anderem bestand als den grauen Wänden, drei Bettenlager, einer Tür und keinem Fenster. Nur eine kleine Öllampe spendete etwas Licht. Der Lärm des Donners ließ den Boden und die Wände vibrieren. Obwohl die Wettererscheinung in dieser Gegend normal war, zuckte sie zusammen. Sie konnte sich nicht mehr recht entsinnen, wie sie hierher gekommen war, geschweige denn, wo sie sich überhaupt befand. Sie erhaschte durch einen Blick an Usopp und Chopper vorbei in einer anderen dunklen Zimmerecke Zoro, der dort an die Wand gelehnt mit seinen drei Schwertern im Arm schlief, als hätte es nie einen anderen Platz für ihn gegeben. Tief kramte sie in ihrem Gedächtnis nach und langsam fiel ihr der Ablauf ihres Treffens wieder ein. Peinlich berührt lief sie rot an, als sie daran dachte, wie sie bei dem Schwertkämpfer heulend in den Armen gelegen hatte. „Hoffentlich ist er nicht sauer...“, dachte sie. Da sie aber hier war und nicht draußen in der Wildnis und dem Unwetter, war es wohl in Ordnung gewesen. Dennoch würde sie sich nochmals für diese Entgleisung bei ihm entschuldigen, wenn es die Gelegenheit böte.

„Wo sind denn deine Sache? Hast du nichts dabei?“ riss Chopper die junge Frau aus ihren Gedanken. Sie schüttelte nur betrübt den Kopf und erklärte ihm, dass sie auf ihrer Reise bis hierher alles verloren hätte. Ihre Miene und ihr unruhiger Blick durch das Zimmer ließen aber erahnen, dass „verloren“ ein weitdehnbarer Begriff sein musste. Überhaupt schien sie sehr nervös zu sein. Trotz der Decke konnte man ein Zittern am ganzen Körper erkennen. Ihre Haut war schneeweiß und die Augen leer und ohne freudigem Glanz, wie Chopper es früher von ihr kannte. Er sagte nichts, war aber extrem besorgt, um den Zustand seiner Patientin. Die Lädierungen am Körper und das leichte Untergewicht wären in wenigen Wochen vergessen, aber könnte er diese Seele heilen? Psychologie lag weit außerhalb seines Fachgebietes. Er war damals Arzt geworden, um allen zu helfen, aber seit er in dieser Crew reiste, war er als Allgemeinmediziner schnell an seine Grenzen gestoßen. Eigentlich bräuchte er noch ein Studium in Zahnmedizin, Chirurgie auf allen Ebenen und nun eben Psychologie. Der medizinische Bereich war einfach zu komplex, um jemals alle Geheimnisse zu kennen. Besonders für ein Rentier. Oft hatte er Robin bewundert, dass sie sich soviel in ihrem Gebiet merken konnte. Leider konnte sie ihm nicht erklären, wie sie diese Erinnerungsleistung anstellte. Sie konnte es einfach so.

Die Gespräche waren nicht gerade leise, so dass sich nun Zoro im Halbschlaf beschwerte: „Könnt ihr nicht einmal die Klappe halten? Da kann doch echt keiner schlafen!“ Er streckte im Sitzen alle Viere von sich, gähnte und blinzelte verschlafen auf die Krachverursacher.

„Wir haben gestern mit dem Wirt über ganz viele Dinge gesprochen. Zum Beispiel befinden wir uns hier an einer Straße zwischen Wanane und dem Haus der Stille. Wir sind also gar nicht mal so falsch hier!“ berichtete Chopper dem Schwertkämpfer stolz.

„Ja, das hab ich schon rausbekommen. Und der Typ von dieser dubiosen Hütte hat nämlich auch schon weitertelefoniert, dass wir hier sind. Wir müssen los!“ kam von diesem als trockenen Erkenntnis.

„Was? Woher weißt du das? Gedankenlesen gehört doch gar nicht zu deinem Repertoire, oder doch?“ sprang der Arzt erschrocken auf und beobachtete, Zoro mit einem Ruck die Tür aufriss und gleichzeitig dem hereinpurzelnden Wirt sein gezogenes Schwert an den Hals hielt. Dieser hatte von außen an der Tür alles belauscht und winselte nun um Gnade.

„Für wen arbeitest du?“ fuhr in Zoro barsch an. Es entging ihm nicht, dass der Wirt etwas in seine rechte Hand verbarg. Mit einer geschickten Bewegung riss er die Hand des Hausbesitzer in die Höhe, so dass dieser nun wegen seiner geringen Körpergröße in der Luft strampelte. Die Faust war leer, jedoch kam auf der inneren Handfläche ein Tattoo ans Licht. Drei gelbe Striche verbanden sich zu einem gleichseitigen Dreieck. Zoro ließ sein Opfer wieder unsanft zu Boden fallen. Er steckte sein Schwert wieder zurück und befahl:

„Als Entschädigung für diesen Lauschangriff springt für uns alle was zu Essen raus und ein paar Informationen!“

Der am Boden Liegende nickte nur wie wild und sprintete nach vorn zur Theke, wo er hastig Küchenutensilien herauskramte. Die Piraten und Tashigi folgten ihm, denn so einen Lauscher sollte man nicht aus den Augen lassen. Sie setzen sich um einen der beiden runden Tisch und beobachteten schweigend den Wirt, der beteuerte, er sollte sofort eine Meldung machen, wenn jemand zum Haus der Stille gehen wollte. Er melde dieses immer an die Zentrale des gelben Primas. Jeder, der dem gelben Prima angehören würde, trüge diese Tattoo an der Hand. Mehr wisse er wirklich nichts, aber bis zum Haus der Stille wären es nur gut zwei Stunden zu Fuß und zu den Grenzen von Wanane mindestens vier Tagesreisen. Die Piraten erkundigten, was so besonderes am Haus der Stille wäre. Der Wirt räusperte sich. Diese Frage war ihm unangenehm, denn nun musste er seinen Tarnung aufgeben.

„Sicher könnt ihr euch denken, dass ein Handels- und Gasthaus an dieser Stelle inmitten eines Unwetters nicht lukrativ ist. Hier kommen nur welche vorbei die zum Orakel wollen. Die Heeresleitung des gelben Prismas hat mich hierher abgeordnet schon vor vielen Jahren, um das Geheimnis des Orakels zu lüften. Ich war schon ein paar mal dort, aber ich kann das Türrätsel nicht lösen und hineingelangen. Und die wenigen, die dort drin waren, wollten oder konnten nichts berichten. Hach, meine jahrelange Forschung brachte nichts, denn das Haus zerfällt immer mehr. Geht ruhig, geht ruhig...“, sagte der Wirt.

Und das taten sie dann auch, nachdem sie die letzten Essensreste verdrückt hatten, und folgten der aschebedeckten Straße zum Orakel. Sie waren nicht sonderlich viel schlauer als zuvor, doch wusste sie nun, dass ihr Ziel nicht mehr weit war. Usopp kramte in seinem unendlichem Märchenfundus und wusste von Orakeln zu berichten, dass diese stets in Rätseln antworteten. Jedoch fand er nur in Chopper einen aufmerksamen Zuhörer. Die beiden anderen folgten still. Plötzlich blieb Der Scharfschütze stehen.

„Warum ist die eigentlich bei uns?“ fragte er auf Tashigi deutend. „Und von dir will ich jetzt auch wissen, was dass hier alles soll!“ Damit meinte er Zoro.

„Hey, sprich nicht so zu ihr! Sie hat geholfen, Luffy zu befreien!“ warf das Rentier aufgebracht ein, und der Kanonier staunte nicht schlecht, als der Schwertkämpfer noch hinzufügte, dass ihr Rückkehr zu seiner und Choppers Gruppe nun mal so abgemacht wäre. Und um dem Scharfschützen noch den Rest an unglaublichen Geschichten zu geben, erwähnte Zoro, dass er Geister sehen, Teufelskräfte bei Berührung aufheben und mittlerweile auch Gefühle anderer lesen könnte. Er wisse aber nicht, woher diese Gaben kämen. Usopp war recht durcheinander und hätte Tashigi nun auch noch das ausgesprochen, was ihr gerade auf der Zunge lag, hätten sie wohl noch viel bereden können. Sie behielt jedoch ihr Wissen aus dem Tagebuch des Folkloristen und dem Foto für sich.

Die Gruppe nahm ihren Weg wieder auf und schon nach ein paar Minuten sahen sie am Ende der Straße ein großes Tor. Es maß sicher eine staatliche Häöhe von gut vier oder gar fünf Metern. Auf zwei antiken Steinsäulen ruhte ein Querbalken aus dem selben Stein und war zu einem kunstvollen Spitzdach behauen. Sonst sah man nichts weiter. Chopper und Usopp untersuchten das Tor genau, indem sie durchliefen, dagegen traten, hinaufkletterten. Doch nichts geschah. Zoro stand einige Meter mit verschränkten Armen vor dem Türgebilde aus Stein und sah am Stein entlang. Es war nichts auffälliges zu erkennen. Keine Nachricht, kein Hinweis und keine Geheimtür. Er legte den Kopf schief und dachte nach. Das Tor war wirklich seltsam. Und hier sollte ein Orakel sein? Tashigi stand wie bestellt und nicht abgeholt neben ihm, starrte auf den staubigen Boden und schwieg.

„Es tut mir leid...“ begann sie schüchtern ohne aufzusehen.

„Dir braucht nichts leid zu tun. Das hatte ich dir gestern schon gesagt“, antwortete ihr Zoro ruhig.

„Aber ich habe das Tagebuch und das Foto verloren. Und in dem Dorf war ich auch.“

„Hm?“

Sie gesellten sich beide zu dem Rentier und dem Kanonier, die ihre Untersuchungen am Tor aufgegeben hatten und nun zu Füßen des einen mächtigen Steinpfostens saßen. Es war nun an der jungen Frau eine lange Geschichte zu erzählen.

Sie berichtete, in knappen, schnörkellosen Sätzen, wie sie nach dem Gespräch mit ihrem Vorgesetzten Smoker Loguetown verließ, auf der Fähre entdeckt wurde und auf einem Rettungsboot tagelang auf dem East Blue umhertrieb. Doch irgendwann wurde sie nördlich an den Strand der Redline geschwemmt. Sie machte sich auf durchs Gebirge zum Dorf Shimotsuki. Tagsüber schlief sie versteckt zwischen Büschen und nachts marschierte sie. Es blieb dabei nicht aus, dass ihre Tollpatschigkeit sie gelegentlich den ein oder anderen Abhang hinunter purzeln ließ. Auch hatte sie sich gegen Diebe und anderes Gesindel zu verteidigen. Dabei wurde auch ihr Rucksack geklaut, als sie schlief. Irgend so ein Landstreicher hätte sie an den Handgelenken gepackt, sie zu Boden gedrückt. Mit Mühe und Not hatte sie sich befreien können, doch ihr Ganzes hab und Gut war weg, Nur ihre beiden Katana waren ihr geblieben. Einige Tage später erreichte sie tatsächlich das Dorf und das Dojo ihre Vaters.

Hier stockte Tashigi in ihrer Erzählung und erinnerte sich im Stillen an die Tage in Shimotsuki. Sie brauchte keine Erklärung abgeben, wer sie war, als sie an der Haustür klopfte. Koushirou wusste es sofort und nahm sie herzlichst auf. Aber es war seltsam, denn obwohl sie blutsverwandt waren, waren sie wie Fremde. Ihr gefiel es sehr in dem Dojo, lernte von ihrem Vater den Offensivtrick für die Verteidigung und nahm die Umgebung in Augenschein. Der Besuch am Grabe ihrer Schwester brachte dann aber die Gewissheit, dass sie noch einmal gehen müsste. Ihr Vater war darüber nicht sonderlich erbaut, denn er hatte gerade eine verlorenen Tochter wiedergefunden, doch Reisende durfte man nicht aufhalten. Sie gab das Versprechen, bald wiederzukehren. Aber nun musste sie gehen. Sie stand auf der Fahndungsliste der Marine und liebte einen Piraten. Wie sollte sie da bleiben? Das Dorf würde sicher bald von der Militärpolizei heimgesucht werden. Ihr Vater verstand dies und mit seinem typischen Lächeln im Gesicht ließ er sie gehen. Er sah ihr noch lange nach, bis sie am Ende des Weges nicht mehr zu sehen war.

Sie erzählte nun ihren Zuhörern, dass sie sich dann von dem Dorf weiter kreuz und quer durch das Gebirge und dann durch den Bergwald von Wanane geschlagen hätte. Unterwegs hätte sie viel Leid und Elend gesehen. Auch zögen große Banden von Bergpiraten durch die Wälder und raubten und brandschatzten alles, was ihnen im Wege war. Zudem würde dort eine Epidemie die wenigen Dörfer heimsuchen. Die Menschen bekämen Krämpfe am ganzen Körper und wären schon nach zwei weiteren Tagen verstorben. Schreckliche Bilder hingen in ihrem Kopf und sie war froh, dass sie hier in der Donnerebene endlich wieder vertraute Personen angetroffen hätte.

Chopper schlackerten immer noch die Ohren. Er war sprachlos. Usopp entrutschte ein erstauntes Lob über ihren Mut. Das hätte er vielleicht niemals so ganz allein hinbekommen. Ein Schauder zog übers einen Rücken, als im siedend heiß einfiel, dass der Kerzenmacher ebenfalls aus Wanane stammen sollte und hoffte, dass sie nicht allzu schnell diese Gegend aufsuchen müssten. Zoro erkundigte sich, was sie vorhin noch mit dem Buch angedeutet hätte. Sie atmete durch. Gut musste sie nun überlegen, was sie nun vor allen berichtete, denn von der Villa im Bambushain wussten nur sie und der Schwertkämpfer etwas. Und sie beschrieb es tatsächlich geschickt, wie sie in dem Bambuswald auf ein verlassenes Quartier der Cipherpol gestoßen war und sie dort Unterlagen gelesen hätte. Sie erzählte, dass der Folklorist in dem Tagebuch von den Kinder Kalis berichtete, welche auch als Wächter von Raftel bekannt wären. Doch diese Wächter wurden von der Weltregierung ausgerottet, wofür sich die Kinder böse gerächt hätten. Dann erzählte sie von der Fotokiste und Zoros Foto.

Die erstaunten Gesichter in der Runde waren nicht zu übersehen. Nur Zoro blieb wie immer gefasst und überlegte laut: „Das würde manches erklären ...“

„Das würde einiges klären?! Wie kannst du hier so ruhig sitzen? Du bist vielleicht der Schlüssel zum One Piece und dich interessiert das nicht?“ Chopper und Usopp waren ganz aufgebracht, Tashigi sah verstört zu Boden und Zoro sagte nur: „Nö. Mich interessiert das nicht!“ Dabei hatte er ein diabolisches Grinsen im Gesicht, dass hinter diesem Satz sicher noch mehr steckte als nur Egalität. Doch wer wusste schon Zoros waren Gedanken jemals recht zu deuten. Wenn der Kanonier und der Arzt auf einem Stuhl gesessen hätten, wären sie wohl in diesem Moment runtergefallen. Der Kerl war doch unglaublich. Da hatte er das Schicksal der Welt in den Händen und dachte sicher nur an Pennen, Saufen und Trainieren. Ungeheuerlich! Zumindest würde das nicht zu unüberlegten Kurzschlusshandlungen führen. Wenn Luffy davon Wind bekommen würde, wäre er sicher sofort auf der Fährte zu einem neuen Abenteuer.

„Ich habe übrigens das Rätsel für das Tor gelöst. Glaube ich“, unterbrach die junge Frau die Runde.

„Welches Rätsel?“ kam es aus allen Mündern gleichzeitig.

„Das da!“ Sie zeigte mit dem Finger nach oben, wo man über ihnen die Unterseite des Querbalkens sah. Tatsächlich leuchteten dort wie eingebrannt Buchstaben und Wörter auf, die vorher noch nicht dort gestanden hatten:
 

„EIN GAST SEID IHR UND TRETET EIN!

SOLL DOCH NUR BEANTWORTET DIESE EINE FRAGE SEIN!

WAS HABT IHR VIER GEMEIN?“
 

„Was soll das denn für eine Frage sein?“ beschwerte sich der Scharfschütze und überlegte laut, was sie alle vier gemeinsam hätten. Doch es wollte ihm nicht einfallen.

„Es ist ganz einfach! Wir haben alle noch eine andere Hälfte in uns. Chopper ist ein Rentier, aber durch die Teufelsfrucht auch ein Mensch, du Usopp, trägst noch zum positiven Denken den Sogeking in dir, Zoro haftet die Sache mit den Kali-Kindern an und ich selbst... ich bin nur ein halber Zwilling.“ Bei diesem letzten Teil des Satzes griff sie sich wütend an ihren Hals und den aufmerksamen Beobachtern entging nicht, dass sich ihre Finger vor Wut verkrampften.

Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Kein Donner, kein Wind, kein Blitz und keine Wolke regten sich. Dann tauchte hinter dem Tor eine breite Wendeltreppe aus Stein auf, die unendlich in den Himmel zu ragen schien. Man konnte nur von einer Seite diese Treppe sehen. Von der anderen Torseite sah man nur die aschgraue, karge Landschaft. Ehrfürchtig und erstaunt zugleich erklommen sie die ersten Stufen und sahen sich um. Der Ascheboden war einem blanken Marmorboden gewichen, der zu allen Seiten bis zum Horizont reichte. Der Himmel war wolkenlos und zeigte einen herrlichen Sternenhimmel. Die Vermutung lag nahe, dass östlich die Dämmerung eines neuen Morgens heran brach. Sie höher sie stiegen, desto höher stieg die aufgehende Sonne am Horizont. Usopp hielt inne und überlegte, dann rannte er plötzlich los und starrte dabei auf gleißende Himmelscheibe, die im selben Tempo am Himmel emporklomm. Dann stoppte er und lief die Stufen wieder bis zu seinen Freunden herab.

„Etwas ist merkwürdig!“ überlegte er laut und erklärte dann in die verwunderten Gesichter: „Die Sonne steht für einen Zeitraum. Unten an der Treppe ist der Anfang, denn dort ist morgen. Hier in der Mitte scheint fast Mittag zu sein. Oben am Treppenende ist es sicherlich Abend oder Nacht. Ich bin mir nur nicht sicher, was das zu bedeuten hat. Ist es die Zeit, die wir hier verbringen dürfen? Mit unserer Geschwindigkeit regeln wir es ja selber...“ Mit der Hand am Kinn reibend grübelte er vor sich her.

„Keine Ahnung, aber die Treppe ist verdammt anstrengend. Zu Beginn kam es mir doch noch so leicht vor...“ japste Chopper erschöpft und ließ sich in seiner Rentierform auf „Und was redest du da? Die Sonne geht doch fast schon wieder unter“, fügte er hinzu.

Nun waren die anderen Drei verblüfft. Sie alle sahen die Sonne zu einer Vormittagszeit. Wie konnte das Rentier von Abendsonne reden? Doch als sie alle den Weg zurückblickten, wo der kleine Arzt auf den Stufen lag, weiteten sich entsetzt ihre Augen. Chopper war um Jahre gealtert. Sein Fell war grau und strubbelig. Seine Blick alt und müde.

Erst jetzt begriffen sie den Sinn der Treppe: Es waren ihre Lebensspannen. Der untere Teil entsprach dem Morgen und somit der Geburt. Ganz oben am Ende der Treppe war die Nacht das Ende eines Lebens. Und nun verstanden sie auch, wieso Chopper bereits den Abend sah. Denn Rentiere erreichen nicht das Alter von Menschen. Wohl auch nicht durch eine Mensch-Mensch-Frucht.

„Los, wir müssen die Treppe wieder runter oder wir verlieren ihn!“ befahl Zoro. Sie rannten, bis Chopper in ihren Armen wieder sein gewohntes Alter erreicht hatte. Dort setzten sie sich auf die Stufen und dachten nach. Der Kanonier überlegte, ob es wohl jemals jemand fast bis zum Ende geschafft haben möge und wie es wohl im Himmel wäre? Ob es so aussähe wie auf Sky-Island?

Zwei süßliche Stimmen wie Glocken drangen aus dem Nirgendwo an ihre Ohren. Es war unmöglich zu sagen, ob sie nun aus dem Treppenhaus oder nur in ihrem eigenen Kopf hörbar waren.
 

WIR SIND DER ANFANG UND DAS ENDE!

WIR SIND DER ZEITEN WENDE!

DEM GAST REICHEN WIR DIE HÄNDE!
 

„Wer ist WIR?“ rief Zoro in den Raum hinein.
 

WILLKOMMEN IN UNSEREM HEIM!

DEINE WORTE ABER ERSTICKEN IM KEIM!

DENN WIR VERSTEHEN NUR DEN REIM!
 

Der Schwertkämpfer hatte das Gefühl, die Stimmen würden durch das Haus der Wendeltreppe tanzen ohne sagen zu können, wo sie sich genau befanden. Das Reimspiel konnte ja nun heiter werden und er forderte Usopp seinem Job als Märchenonkel gerecht zu werden. Der Scharfschütze war zwar über diese Betitelung leicht angesäuert, aber er wollte sein bestes im Erfinden von Reimen geben. Doch was genau sollte er fragen? Sie einigten sich erst mal darauf, die Identität des Orakels zu lösen. Wenn es besonders schlau wäre, dann könne es sich ja mal zum One Piece, Raftel, dem Kerzenmacher und sonstigen persönlichen Problemen äußern. Der Kanonier überschlug beim ersten Zählen, dass er für diese Informationen sehr viele Reime erfinden müsste, aber es half nichts. Er begann holperig, wurde aber immer sicherer:
 

„Wir stehen durch einen einfachen Rat hier,

doch bitte erzähl uns erst einmal von dir!“
 

DEIN REIM IST NICHT FEIN!

ER SOLL DENNOCH UNSER SEIN!

DARUM GEHEN WIR AUF DEINE FRAGEN EIN!
 

WIR SIND SO ALT WIE DIE ZEIT

UNSER RAT UND WISSEN REICHTE WEIT!

DOCH NUN IST ES UNSER LEID!
 

UNSERE ZEIT GEHT ZU ENDE!

UNSERE SCHICKSAL LENKEN NUN FREMDE!

DIESE WELT IST NICHT MEHR UNSER GELÄNDE!
 

Usopp merkte schnell, dass hier tatsächlich geballtest Wissen vorhanden war. Doch bei dieser Reimerei würden sie tatsächlich Tage brauchen, um befriedigende Antworten zu erhalten. Darum beschloss er, die ganze Sache abzukürzen.
 

„Oh Orakel, wir haben viele Dinge auf dem Herzen,

doch reicht uns der Weg zum Macher der Kerzen!

Seine Gunst solle uns nach Raftel führen

und Luffy zum König der Piraten küren!

Die Fahrt dorthin ist schwer,

deshalb bitten wir dich so sehr:

Verrat uns das Geheimnis schnell,

und erleuchte unsere Gedanken hell.

Erzähle uns ohne Verdrieß:

Was ist One Piece?“
 

Der Kanonier holte die Luft. Wenn das kein Superreim auf die Schnelle war, dann wusste er auch nicht weiter. Seine Freunde nickten ihm aufmunternd zu. Der Reim war wirklich geschickt. Jedoch war die Antwort nicht das, was sie hören wollten.
 

ALTE MÄCHTE SOLLTEN UNS VERBINDEN!

DOCH NUN, WO UNSERE KRÄFTE SCHWINDEN!

WOLLTE IHR NOCH DAS ONE PIECE FINDEN?
 

VON UNS FÄLLT BALD DES KAMPFES LAST!

WIR MACHEN KEINE RAST!

DENN IHR WARD UNSER LETZTER GAST!
 

DOCH SEHEN WIR AUCH GROßE NOT!

WIE EINST PROPHEZEIT DURCH GELB, BLAU UND ROT!

DER KERZENMACHER IST SCHON LANGE TOT!
 

SEINE GEBEINE SIND LANGE VERSCHARRT IM NASSEN SAND!

EINE LETZTE KERZE HIELT ER IN SEINER HAND!

DOCH DIE MEERE WARFEN SIE AN IHREN STRAND!
 

VON VERRÄTERN GEFUNDEN UND VERSTECKT!

WURDE SIE NOCH NIE AM RING ERWECKT!

UNS SO SIND ALLE BEI RAFTEL VERRECKT!
 

DEN WEG DER KERZE VON KALIS KINDERN EINST BEWACHT!

WÄHLT DIE REISE ABER GANZ BEDACHT!

ES GIBT NOCH EINE ROUTE NUMMER ACHT!
 

Die Stimme verschwand und ebenso verblassten die Stufen unter den Füßen. Da sie wegen Chopper schon einige Stufen der Treppe wieder abwärts Richtung Ausgang gelaufen waren, fielen sie nur gute zwei Meter tief auf den staubigen Boden. Die Wendeltreppe war nun vollkommen verschwunden und das Tor bekann vor ihren Augen zu zerbröckeln bis es entgültig zusammen fiel. Das sollte das Ende des Orakels im Haus der Stille sein. Wieder war ein Teil der alten Welt verschwunden und für immer ausgelöscht.

Vor der Gruppe tat sich wieder das gewohnte Bild auf: Die Straße, die zum Gasthaus „Am Blitzableiter“ führte, verkohlte Bäume, staubige Asche und Donnergrollen.

Ratlos kehrten sie zurück zum Gasthaus, um von dort den Weg zum North Blue zu erfahren und sich kurz zu stärken. Hier hatten sie nichts mehr verloren.

26 - Packeis

Obwohl die Sunny nun den offenen Ozean namens North Blue erreicht hatte, konnten sie sich ihrer Probleme noch nicht entledigen. Es tobte ein unglaublich starker Orkan übers Meer. Der Himmel war pechschwarz. Dicke Wolken hingen tief über dem Wasser und es goss wie aus Kübeln. Das Schiff wurde wild wie auf einer Achterbahn hoch und runter geschüttelt. Der Sturm machte die Crew orientierungslos. Es war nicht mal mehr möglich zu bestimmen, wo nun oben oder unten war, geschweige denn, ob es überhaupt noch einen Unterschied zwischen Himmel und Meeresoberfläche gab. Längst hatte die Navigatorin aufgegeben, einen genau Kurs zu halten. Sie schrie hoffnungslos gegen den Wind an, um ihrer Crew Anweisungen zu geben, denn es ging nur noch ums nackte Überleben. „Nur nicht Kentern!“ war ihr Gedanke und sah entsetzt zu, wie Sanji und Franky durch das Wasser der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Sie schickte Stoßgebete zum Himmel, dass niemand über Bord gespült würde. Gegen seinen Willen hatte sie längst Luffy mit Robins Hilfe unter Deck gebracht. Die Wassermassen hatten den beiden ihre Kräfte genommen. Sie hätten nichts tun können. Nami verfluchte den Tag, wo sie alle die Entscheidung trafen, dass sich die Gruppe noch einmal trennte. Sie würden hier kentern und auf dem Meeresgrund ihr Grab finden, während Zoro, Usopp und Chopper fröhlich auf dem Trockenen der Redline lustwandelten. Es hätte die Navigatorin sicherlich nur wenig getröstet, wenn sie um die Probleme der Dreiergruppe gewusst hätte, in welche diese noch stolpern sollten.

Sie erspähte etwas schemenhaft in den schlechten Lichtverhältnissen und sie geriet in Panik: ein Eisberg! Wie zum Teufel kamen in diese Gewässer Eisberge? Waren sie tatsächlich so weit nach Norden abgetrieben worden? Aber das konnte nie und nimmer sein! Die Polargrenze lag noch tausende Seemeilen weiter nördlich. Es war nicht bekannt, dass Packeis von der Polkappe bis hier herunter trieb, obwohl der Nordpol allein im North Blue lag. Verzweifelt schrie sie Befehle an die Crew, dem eisigen Ungetüm auszuweichen. Tatsächlich gelang es in letzter Sekunde. Doch wer hätte schon ahnen können, dass dahinter bereits der Nächste lauerte? Nun hatten sie nicht nur den Sturm, sondern auch ein Labyrinth an Eisbergen zu überstehen. Es war ein Wunder, wie die Sunny geschickt durch die Eistürme hindurch schaukelte ohne auch nur einen einzigen Kratzer abzubekommen.

Franky brüllte Nami etwas zu und fuchtelte dabei wild mit den Armen, um auf einen flachen Eisberg aufmerksam zu machen, der trotz des Unwetters relativ ruhig auf der Wasserfläche lag. Erst verstand sie nicht, was der Schiffszimmermann ihr mitteilen wollte, doch dann ging ihr ein Licht auf. Sie wies Sanji und Franky an, die Sunny geschickt an die überdimensionale Eisscholle zu manövrieren, dass sie dort sanft am Rande auf Grund laufen sollte. So wären sie erst einmal sicher. Wie sie später wieder von der Scholle herunterkommen würden, wäre ein anderes Problem, was derzeit nicht zur Debatte stand.

Tatsächlich gelang diese waghalsige Navigation. Nun ruhte ihr Schiff am Rand einer riesigen glatten, aber dennoch leicht zur Mitte hin gewölbten Eisfläche. Sie alle waren zu sehr erschöpft, um die Umgebung genauer zu erkunden, weshalb sie erst einmal in trockene Kleidung und anschließend jeder in sein Bett schlüpfte.

Als die Archäologin ihrem Zeitgefühl glauben schenkten mochte, dass ein neuer Morgen angebrochen war, begann sie, die Crew mit ihren Teufelskräften zu wecken. Sie hatte die ganzen letzten Stunden wach in der Schiffsbibliothek verbracht, an ihrem Kaffee genippt und die Ereignisse der vergangenen letzten Tage geordnet. Langsam formte sich aus allen Puzzleteilen eine wage Kontur, doch es waren noch viel zu viele Lücken in ihrem Puzzle. Sie erhob sich von ihrem bequemen Lesestuhl und öffnete die Tür zum Deck. Eisige Kälte schlug ihr entgegen und ein scharfer Wind pfiff unaufhörlich durch einen kristallklaren Himmel. Der Sturm war tatsächlich vorüber. Das dunkelblaue Meer kräuselte sich um königlich weiße Eisberge. Die Eisscholle, auf der sie gelandet waren, schien eine von Eis überzogenen Insel zu sein. Es war spiegelglatt und schimmerte in der aufgehenden Sonne wie Diamanten. Robin beschloss, in den Essensraum zugehen. Sicherlich hätte Sanji bereits Kaffee gekocht und würde das Frühstück zubereiten.

Der Smutje stand wie von ihr vermutet in der Küche. Der Kapitän war natürlich ebenfalls anwesend, hing mehr über dem Tresen, als auf dem Hocker zu sitzen und bettelte lauthals um Essen. Anstelle einer leckeren Mahlzeit fing er sich allerdings vom Koch nur Prügel ein und den Hinweis, dass gemeinsam gegessen würde. So wie immer. Und das würde sich auch heute nicht ändern. Es dauerte nicht lange und alle versammelten sich um den reich gedeckten Esstisch, mampften fröhlich vor sich her und betrachteten neugierig durch die Fenster die herrliche Eislandschaft. Sie staunten nicht schlecht, als Nami ihnen berichtete, dass sie anhand der neuen Positionsdaten gar nicht mal so sehr vom Kurs abgekommen waren. Unter dem Eis befand sich wirklich einmal eine Insel, die sicherlich die vierfache Größe von Arabasta haben müsste. In der Tat war es mehr als ungewöhnlich, dass sie von einem dicken Eispanzer überzogen wäre. Normalerweise müsste hier ein gemäßigtes Klima herrschen. Für Luffy lag es auf der Hand, dass diese Insel untersucht werden müsste und so brachen sie sogleich nach dem ausgedehnten Frühstück auf.

In dicke Wintermäntel gehüllt marschierten sie die Anhöhe hinauf, welchen sie als Mittelpunkt des Eilands vermuteten. Die Wanderung gestaltete sich auf der eisigen Rutschbahn als schwierig und der Gummijunge konnte es einfach nicht lassen, auf dem Hosenboden mehrmals laut lachend den Hang hinunter zu rutschen. Franky merkte nur trocken an, dass zum Glück weder Chopper, noch Usopp dabei wären. Die beiden hätten an dem Blödsinn sicher Gefallen gefunden und den Tag zum Rutschentag erklärt. Nach vielen Stunden schlittern und rutschen erreichten sie endlich den höchsten Punkt des Hügels. Doch sie hatten sich getäuscht. Dahinter ging es nicht wieder bergab, sondern eine leichte Talsenke zog sich lang hinüber zu höheren Hügeln. Man erkannte in der Ferne Häuser, Wälder und Gewässer, die in stiller Ruhe in ihrem Eis eingefroren waren. Es war ein einzigartiges Naturschauspiel an Glitzern und Glimmern, an dem sie sich kaum satt sehen konnten.

„Nami, du sagtest, dass hier kein Packeis sein dürfte. Wie kommt es dann, dass hier alles vereist ist?“ erkundigte sich Robin laut überlegend.

„Ich habe keine Ahnung. Auf der Karte ist diese Insel jedenfalls nicht als Eiswüste markiert“, gab ihr die Navigatorin bereitwillig Auskunft.

„Von so einer Insel habe ich noch nie gehört, obwohl ich aus dem North Blue stamme“, wollte Sanji ergänzen als er erstaunt aufschrie: „Hey, das ist ja der helle Wahnsinn!“

Er wollte seine glimmende Kippe auf dem Boden austreten. Doch als sie den Boden berührte, wurde sie sofort vom Eis überzogen. Nun sahen sie alle auf die vereiste Kippe und waren mehr als erstaunt. Das Eis schien aggressiv und nicht so recht normal zu sein.

Ihr Entdeckerfieber war nun erwacht. Franky schoss eine Rakete in einen nahe gelegenen Eishügel und musste nach diesem Experiment feststellen, dass das Geschoss kaum Einschlag bewirkte. Das war mehr als erstaunlich. Auch Sanjis Feuerkick konnte dem Gefrorenen nichts anhaben.

Sie marschierten weiter dorthin, wo sie die Häuser entdeckt hatten. Beim Näherkommen entpuppten sich die Gebäude als vereinzelte Bauernhöfe mit Stallungen und Scheunen. Sicherlich mochte hier einst ein Hof voller Leben gewesen sein. Jetzt standen diese Häuser leer und sahen wie in Eis gemeißelte Kunstwerke aus. Bäume und Sträucher funkelten wie Glashandwerk. Es war kaum vorstellbar, dass sie einst grün waren. Der Koch machte die schweigend staunende Gruppe auf vermeintliche Einwohner aufmerksam, die auf einem Nachbargehöft damit beschäftigt waren, ihr Hab und Gut auf Kutschen und Karren zu verladen. Sie gingen zu diesen hinüber.

„Nanu, wo kommt ihr denn her?“ fragte auch sogleich einer der Männer, die Kisten schleppten. Nun standen die Piraten im Mittelpunkt des Geschehens und wurden kritisch von den Einwohnern, die so an die zwanzig Leute sein mussten, beäugt.

„Ich bin Monkey D. Luffy! Warum ist hier alles voller Eis?“ fragte der Gummijunge in seiner üblichen Naivität und wunderte sich, warum nun augenblicklich alle Bewohner in irgendwelchen naheliegenden Verstecken verschwanden. Ein Gemurmel unter diesen begann, denn sofort war jedem klar, dass hier niemand geringeres als die Strohhutbande persönlich der Insel eine Audienz abstattete.

„Luffy, musst du immer gleich mit der Tür ins Haus fallen? Die hier kennen doch nur unsere Steckbriefe!“ tadelte ihn Franky, doch Luffy hörte nur mit einem halben Ohr zu und fragte noch einmal mit seinem kindlichen Gesichtsausdruck nach der Herkunft des Eises. Ein junger Mann fasste sich ein Herz und trat mutig hervor.

„Ich weiß zwar nicht, warum es euch etwas angehen sollte, aber hört zu. Diese war schon immer eine Insel, die mit viel Niederschlag, aber konstant milden Temperaturen gesegnet war. Dadurch hatten wir fette Weiden für unser Vieh. Uns ging es gut und es gab Arbeit und Essen für alle. Aber vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren begann es, dass die Winter immer länger wurden und verstärkt Packeis vom Pol hierher trieb. Unsere Insel wurde mit jedem Jahr mehr von Kälte und Eis bedeckt. Seit gut zwei Jahren herrscht hier nur noch das Eis. Wir sind die vorletzten Bewohner hier und werden gehen. Wir haben keine Zukunft. Es gibt auf der anderen Seite der Insel ein Gehöft, das wohl noch nicht vom Eis besiegt wurde. Aber dort herrschen böse Mächte. Der Teufel soll dort sein Unwesen treiben.“ Der junge Mann blickte nur verärgert und frustriert zugleich drein. Die restlichen Menschen kamen langsam murmelnd aus ihren Verstecken wieder hervor und nickten dem Redner aus ihren Reihen zu. Dieser beendete seine Ansprache mit Tränen in den Augen, als er sagte: „Die einst besten Böden der Welt liegen hier unter dem Eis. Sie sind verloren!“

Die Stimmung war mehr als betrügt. Die Leute packten ihren letzten Kram ein und ließen dann die Strohhüte einfach so an Ort und Stelle stehen. Diese sahen dem Tross nach, der langsam am Horizont verschwand. Der Strohhutjunge war mit seinen Gedanken schon beim nächsten Abenteuer. Wenn es auf der anderen Seite der Insel ein Geheimnis war, dann wollte er es unbedingt gelöst haben. Um die Sunny nicht ohne Aufsicht zu lassen, machten die Crew zu ihrem Schiff kehrt und segelte gegen Abend um die Insel herum.

Sie legten dort an, wo sie zwischen den Bergen der Insel einen Feuerschein ausmachen konnten. Eine überzeugende Kopfnuss Namis war die angebrachte Überredung Luffys, sich das Abenteuer erst am nächsten Tag anzuschauen.
 

Der kommende Morgen eines neuen Tage zauberte ein herrliches Farbspiel der Natur. Das schwarze Meer ruhte ebenso still und glatt wie das Eis und wandelte sich durch die ersten Sonnenstrahlen zu einem herrlichen königsblau. Die glatt polierten Eisflächen tauchten aus einem kühlen eisblau zu einem frischen blütenweiß und erstrahlten in ihrer ganzen kaiserlichen Schönheit. Es regte sich kein Lüftchen und da die Luftfeuchtigkeit trotz des Meeres gering war, schien einem die beißende Kälte nicht so unerträglich.

Obwohl das Frühstück wie jede Mahlzeit die wichtigste Beschäftigung des Strohhutjungen war, so rutschte er beim Kauen ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her. Es konnte ihm gar nichts schnell genug gehen, bis der Tisch abgeräumt und das Geschirr gespült wäre. Franky, der diesmal mit den Abwasch erledigen durfte, dachte dabei nur muffelig an eine fantastische Erfinderidee Usopps: der Waschautomat für Geschirr. Darüber müssten sie dringend einmal nachdenken, um diesem lästigen Abwaschen und Abtrocknen zu entkommen. Vielleicht fänden diese Teile auch mal reißenden Absatz auf den Blues. Als neue Geldquelle könnten sie sicherlich Nami als Managerin gewinnen, falls die Sache mit dem One Piece doch ein Flop sein würde.

Während der Cyborg noch so daher träumte von aberwitzigen Geldanlagen in der Zukunft, hatte er nicht bemerkt, dass der Koch ihm bereits schon zum dritten oder vierten Mal ein und die selbe Frage gestellt hatte.

„Bitte was?“ fragte er nun aus allen Träumen gerissen verdutzt an Sanji zurück.

„Vergiss es! Ich hatte nur laut nachgedacht. Aber damit scheinst du ja auch sehr beschäftigt zu sein“, meinte dieser nur.

„Ja, das bin ich. Ich habe in den letzten Tagen sehr viel nachgedacht. Ich denke, es wird Zeit, dass wir uns als Crew mal wieder finden und Ziele abstecken sollten“, gab der Cyborg seine Gedanken bekannt, worauf in Sanji etwas verwirrt ansah. Sie hätten doch alle ihre Ziele und Träume. Franky nickte im zustimmen zu. Sicherlich hätte sich nichts geändert. Auch nicht an ihrer aller Freundschaft und Träumen. Und dann sprach der Schiffsbauer etwas aus, was schon lange als knisternde Vermutung in der Luft lag und nur noch entfacht werden musst:

„Ich denke, Chopper und Zoro wissen mehr als wir. Besonders Zoros Verhalten ist mehr als suspekt. Er gibt grundsätzlich nichts von seinem Innersten preis, aber wenn er es dann doch mal tut, dann explodiert er gleich. Ich denke aber, dass er damals gegangen ist, weil er uns schützen wollte. Irgendetwas belastet ihn, was er selbst nicht versteht...“

Sanji hatte schweigend gelauscht, zog nun den Stöpsel des Abwasserbeckens und drehte sich so, dass er mit dem Po gegen den Spülbeckenrand lehnt. Er blies eine große Tabakwolke in die Luft und sah ihr nach.

„Ich denke, ich verstehe ich. Jetzt, wo du es so sagst, könntest du recht haben“, bestätigte er Frankys Worte und ließ seinen Blick dabei durch die Küche schweifen. Sein Blick blieb an Robin hängen, die dort am Tresen gelehnt stand und zu ihnen herüberlächelte. Der Koch tadelte sich sofort selbst, dass er den Damenbesuch nicht gleich registriert hatte und versuchte, seinen Fehler umgehend zu beheben.

„Robin-Teuerste, hast du noch einen Herzenswunsch? Ich habe dich doch nicht zu lange warten lassen?“

„Nein, hast du nicht. Aber ich sehe die Dinge ähnlich wie Franky. Wenn alle wieder zurück sind, sollten wir uns darüber gründlich Gedanken machen“, antwortet Robin lächelnd. „Und nun los! Der Captain ist schon an Land und hat sicher wieder nur Flausen im Kopf!“

Schnell zogen sie dicke Jacken über und gingen ebenfalls von Bord zu einer keifenden Nami, die sich vergeblich bemühte, Luffy davon abzuhalten, an der Kante der Eisscholle zu balancieren. Wie er auf diese alberne Idee kam, war jedem Mitglied der Crew wieder einmal ein Rätsel.

Ihr Fußmarsch war um einiges kürzer als befürchtet. Schon nach einer guten Stunde bot sich ihnen von einem Hügel hinab dort, wo der Feuerschein war, ein seltsames Bild.

In der Mitte stand ein riesiger Käfig, in welchem sich wohl ein wildes Tier befinden musste. Es tobte ungestüm und voller Wut in der engen Gitterzelle umher und versprühte dabei Lavatropfen und Feuerfunken. Jedoch konnte man auf diese Entfernung nicht bestimmen, was dort tatsächlich in diesem Gefängnis war. Um den Käfig herum grünte und blühte es wie im Hochsommer. Der Radius betrug sicher gute zwei Kilometer und schloss einen kleinen Bauernhof mit seinen Äckern und Weiden ein. Das war als des Rätsels Lösung. Was auch immer in diesem Käfig war, es heizte die Umgebung und drängte das Eis zurück. Selbst hier oben auf dem Hügel spürte man ein laues Lüftchen herauf. Im Grunde genommen war diese ein äußerst kluger Plan von dem dort wohnenden Bauern. Aber wie lange mochte das gut gehen? Das unbekannte Wesen in dem Käfig setzte alles daran, sich zu befreien und der Käfig würde sicher nicht mehr lange stand halten.

Noch ehe sie sich alle versahen, war Luffy auch schon zu dem Käfig geeilt und spähte neugierig mit großen Kulleraugen hinein.

„Na, wer bist du denn?“ fragte er naiv und bekam als Antwort lediglich eine Feuerwalze, die ihm kräftig einheizt.

„AUUAAAAA, ist das heiß!“ brüllte der Gummijunge nun wie von der Tarantel gestochen los. Er sprang zurück, begutachtete seine geschwärzte Haut und beschwerte sich lauthals: „He, ich hab doch nur gefragt, wer du bist, du undankbares Vieh!“ Hätte Robin ihn nicht mit ihren wachsenden Armen nicht plötzlich weggezogen, so wäre er wohl in einer nächsten Feuerattacke versunken. In sicherem Abstand sahen sie nun alle erstaunt in den Käfig. Ein riesiger Vogel rannte und flatterte dort aufgebracht umher. Sein Federkleid war wie Feuer und jede einzelne Feder eine Flamme, Er hatte einen langen, dünnen Hals, an den sich ein zierlicher Kopf anschloss mit kleinen feurigen Augen. Sein Schnabel war kurz und spitz. Als er seine weiten Flügel ausbreitete, sah man darunter einen schlanken Körper und dünne Beine mit kleinen Füßen. Seine Schwanzfedern konnte er zu einem übergroßen, lodernden Pfauenrad auffächern. Es war ein mehr als atemberaubendes Tier mit einet unerträglichen Hitze und Kraft.

Gebannt starrten sie auf die Anmut und Schönheit diese unglaublichen Fabeltieres, was leibhaftig vor ihnen in diesem Käfig saß. Zuerst fand Robin ihre Sprache wieder.

„Das ist ein Phönix. Ich dachte, es wäre eine Legende aus dem South Blue...!“

Ein lautes Lachen ließ die Crew herumfahren. Ein kleiner untersetzter Mann trat an sie heran und rieb sich bei dem Anblick des Vogels zufrieden die Hände. Man sah ihm seinen Stolz förmlich an.

„Nein, das ist ein Feuervogel. Er ähnelt dem Phönix sehr. Gefällt er euch?“ Sie alle nickten und sahen dabei wieder auf das herrliche Tier. Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Der ist mein ganzer Stolz. Er hat aber auch eine ganze Menge Geld gekostet. Ich habe ihn einer reisenden Hexe, die mit solchen Wesen handelt, abgekauft. Mein Lebensunterhalt ist gesichert!“ Er lachte wieder, wodurch der Vogel nur noch wütender gegen die Gitter schlug.

Luffy sah sich den Vogel an. Obwohl er noch nie so etwas einmaliges gesehen hatte und auch keine Ahnung von solchen Fabeltieren hatte, so fühlte er, dass dieses Geschöpf nicht in diese Gefängnis gehört. Es war zu erhaben und edel. Sein unbändiger Stolz strotze nur so aus dem Käfig heraus. Nein, niemand hatte das Recht so ein Wesen zu besitzen. Der Vogel war weit mehr als irgend ein Tier, was man im Stall für die Feldarbeit hielt. Dieses Tier war pure Magie.

„Ich will, dass du ihn sofort frei lässt!“ befahl er barsch dem Mann. Schallendes Gelächter kam von dem Bauern zurück. Er können den Vogel nicht gehen lassen. Immerhin lebe er von ihm und selbst wenn er es wollte, würde er den Käfig nicht öffnen können. Es wäre ein magischer Käfig, der mit einem Hexenzauber versiegelt wäre. Niemand könne so ein Siegel von ihnen brechen. Dann machte der Bauer kehrt und ging lachend und Kopf schüttelnd in sein Haus zurück. Welch seltsame Idee die Fremden doch hätten, dachte er bei sich. Zurück blieb eine verstummt Crew und ein zorniger Strohhutjunge, der dem Vogel vor allen laut schwor: „Wir retten dich!“

27 - Die Heerscharen des gelben Primsas

In den öden Weiten der Donnerebene hatte sich nichts verändert. Am Himmel vollführten grelle Blitze mit lautem Donnern einen wilden Tanz umher und blendeten den pechschwarzen Horizont. Das Flackerlicht stach bestialisch in den Augen. Jeder Schritt wirbelte die graue Asche empor und in der Gruppe um Zoro hoffte jeder, dass bald einmal die Herberge samt Krämerladen vor ihnen auftauchen würde. Der Weg war nicht weit, aber beschwerlich und sie hatten das Gefühl, das Unwetter hätte sich seit dem Verschwinden des Orakels verstärkt. Mit zusammengekniffenen Augen musterte der Schwertkämpfer die Umgebung. Nichts war mehr hier. Kein Lebewesen. Kein Leben und keine Hoffnung. Kein einziges Gefühl konnte er ausmachen bis auf die seiner Begleiter. Längst hatte er feststellen können, dass dieses Unwetter nicht normal war. Und das lag sicher nicht nur am fehlenden Regen. Wenn man in die schwarzen Wolken sah, empfand man plötzlich eine große Leere in sich. Jegliche Motivation war verschwunden. Doch es war nicht so wie damals bei den Negativgeistern Peronas. Diese Wolken lockten und verführten einen, wenn man sie zu lange betrachtete. Das Bedürfnis, die Welt hinter sich zu lassen und in ihnen in Ruhe und Frieden zu versinken, war eine herrliches Versprechen. Doch Zoro wusste, dass in den Wolken anderes steckte. Was es genau war, konnte er sich nicht erklären. Ihm reichte es fürs erste, dass sie abgrundtief Böse waren.

Natürlich hatte er am Tor zum Orakel gelogen, dass ihn alles nicht interessierte. Er hatte genau darüber nachgedacht, wusste aber nicht, wie man alle die Probleme lösen konnte oder was einem vielleicht jemals die Antworten nützen würde. Mal daher gesponnen, er wäre tatsächlich so ein Kali-Kind: Was brachte es ihm? Seinen Traum und sein Versprechen würde er mit oder ohne dieser Tatsache erfüllen. Und danach? Was wäre dann seine Aufgabe? Es war ihm viel zu absurd, dass er einer der Letzten sein sollte, der als Schlüssel zum One Piece auserwählt war. Es hätte doch auch wen anderes treffen können, oder etwa nicht? Warum sollte er diesen Tritt in den Fettnapf wieder einmal an den Hacken haben? Nein, das tat nun wirklich alles nicht Not. Er schüttelte innerlich seinen Kopf. Das könnten andere tun, aber er nicht. Ne, kein Bock! Er blinzelte zu seinen drei Begleitern hinüber, um deren Verfassung zu spüren. Usopp grübelte neben ihm über den Orakelspruch einher. Er war sehr damit beschäftigt und zur Freude Zoros still. Zynisch dachte er sich, dass der Job des Weltretters doch ideal für die Langnase wäre. Dann stünde er im Mittelpunkt, hätte mindestens seine erträumten 8000 Mann unter seinem Befehl und endlich seinen Traum erfüllt. Vielleicht könnte man ja was an der Sache zu Usopps Gunsten drehen ...

Chopper trottete treudoof etwas schräg vor ihm neben Tashigi. Auf der Wendeltreppe war Zoro etwas bewusst geworden, was er lange nicht gesehen hatte und nun wie Schuppen von seinen Augen fiel. Das Rentier war gealtert. Hier und da war sein Fell struppiger, sein Gang ohne RumbleBalls behebiger und seine Schnauze langsam aber sicher weiß geworden. Wenn der Arzt wirklich noch jemals zu den Besten zählen wollte, dann müsste er sich dringend beeilen. Doch eben streifte er nur wie ein Hund neben Tashigi einher und ließ sich ab und zu von ihren Fingerspitzen kraulen.

Er betrachtete sie mit ihrem knöchellangen, beigen Ledermantel, der von oben bis unten nicht durch einen Reißverschluss oder Knöpfe, sondern durch ein kunstvolles Geflecht langer Lederbänder zusammengehalten wurde. Der Kragen war hochgeschlagen und reichte ihr bis über Nasenspitze, so dass sie gerade man über den Kragenrand sehen konnte. Die weite Kapuze hatte war zurückgeschlagen. Ihre einst so glänzenden Haare waren zerstrubbelt und hingen wie filzige Strähnen herunter. Sie erweckte den Eindruck eines zersausten Spatzes und nicht einer einst lebensfrohen, jungen Marinesoldatin. Sie trug noch immer ihre lilaumrahmte Brille mit den dicken Gläsern. Die fahle Haut und die dunklen Augenränder konnten nicht von der Narbe quer über ihr Gesicht ablenken. Chopper hatte damals die Wunde zwar hervorragend genäht, doch man würde sie noch sehr lange sehen. Ihre dunklen Augen starrten tot den Weg vor sich entlang. Mit großer Trauer in sich gekehrt erfüllte sie das Bild einer Schicksalslosen.

Zoro ertappte sich dabei, dass er den violetten Schimmer ihrer Augen vermisste, der diese sanfte Wärme in ihrem Blick erzeugte. Es war ihr zeitweilliges, gutmütiges Gesicht eines Engels, das ihm alles verzieh, egal wie übel es auch sein mochte. Was mochte Tashigis persönlicher Traum sein? Sie hatte mal irgendwas von Schwertern gefaselt. Stattdessen hatte sie nun erst mal ein Trauma. Ob sie jemals wieder die Alte werden würde? Obwohl ihre Zickereien ihn sehr genervt hatten, so missfiel ihm ihre derzeitige Depressivität um so mehr. Ihr Mantel verbarg ihr Innerstes. Für Fremde schien es geheimnisvoll zu sein, doch er wusste es besser, dass sie sich nur hinter dieser Fassade versteckte. Der Schwertkämpfer war überrascht, dass er sich für ihre Vorlieben und ihr Wohlbefinden interessierte, wobei es ihm noch vor gut zwei Monaten vollkommen egal gewesen war. Vielleicht sollte er sie mal bei der passenden Gelegenheit fragen? Vermutlich würde sie noch länger bei seiner Gruppe bleiben. Da wäre es besser zu wissen, mit wem man so durch die Gegend reiste. Versprochen war nun mal versprochen! Warum auch immer...

„Heureka!“ rief Usopp so plötzlich heraus, dass ihn seine drei Begleiter erstaunt ansahen, während sie über den staubigen Weg zurück zum Gasthaus bei dem Blitzableiter schlürften.

„Wo ist Heu?“ fragte das Rentier vor Hunger.

„Nirgends, Trottel! „Heureka!“ bedeutet soviel wie „Ich hab’s“, belehrte ihn der Kanonier.

„Was hast du denn? Fehlt die was?“ erkundigte sich nun das Rentier in seiner Funktion als Arzt besorgt. Der Scharfschütze rollte genervt die Augen über soviel kombinatorisches Defizit des Arztes und überlegte, wie es das Rentier überhaupt jemals geschafft haben möge, sich die ganzen medizinischen Kenntnisse anzueignen. Er beschloss, nicht weiter auf Choppers Frage einzugehen und begann mit seinen Ausführungen über die Interpretation des Orakelspruchs. Ob es der Rest nun hören wollte oder nicht. Allerdings gingen sie im Gewittergrollen der Donnersteppe unter und er verschob sie bereits nach dem ersten Satz erst einmal bis zur Unterkunft, welche unscheinbar am Horizont auftauchte. Er wollte keinen weiteren Gedanken über diese Hütte verschwenden, als Zoro plötzlich stehen blieb.

Natürlich wurde er gefragt, was los wäre und er gab nur die knappe Antwort, dass das Haus plötzlich leer stünde. Im Großen und Ganzen sicherlich nichts ungewöhnliches. Doch der Schwertkämpfer sprach von Flucht und nicht von einem Picknickausflug des Spionagewirts. Etwas wäre dort merkwürdig, jedoch könnte er keine weiteren Personen spüren. Sie verharrten eine Weile und beobachteten in dem Flackerlicht der Blitze das Häuschen. Erst als sie sich exakt sicher waren, dass dort nichts Unberechenbares vor sich ging, näherten sie sich vorsichtig dem Gebäude.

Die Tür war nicht abgeschlossen, so dass sie unbehelligt eintraten. Der kleine Verkaufsraum mit seinen viel zu vollen Regalen und den Tischen schien unverändert und vertraut wie bei ihrer Abreise vor ein paar Stunden. Erst Usopps ungläubiger Blick auf den über dem Tresen hängenden Kalender ließ sie erbleichen. Sie waren volle vier Tage unterwegs gewesen, doch ihnen war es nur wie ein Nachmittag vorgekommen. Choppers Hunger siegte über den Verstand. Er trabte hinter den Tresen, durchwühlte mit der Schnauze die halboffenen Leinensäcke mit Obst und Gemüse und begann zu fressen. Natürlich fing er sich Protest von dem Kanonier ein, der diese Essensmanieren zum einen nicht wirklich appetitlich fand, wie das Rentier dort herumsabberte, und zum anderen auch etwas abhaben wollte. Zoro ermahnte beide, sich zu benehmen, schwang sich geschickt oben auf den Tresen im Schneidersitz und kramte die DenDenMushi zwischen den Papierunterlagen hervor. Er ließ sich mit der Sunny verbinden und staunte nicht schlecht als nach einem Verbindungsknacken am anderen Ende Usopps Stimme zu hören war: „Hallo, wir sind leider nicht da! Sprechen sie doch etwas in unser Ton-Dial...“ Er warf der Langnase einen Blick zu, der verärgert und eine Erklärungserwartung zugleich war. Natürlich pries der Hobbytüfftler seine großartige Erfindung sofort an. Wer hätte sonst schon einen DenDenMushi-Aufnahme-Apparat? Die Idee kam ihm eines Nachts, als er Wache gehalten hatte. Kein Anruf würde einem so jemals wieder entgehen. Zoro seufzte. Wie großartig die Erfindung auch wäre, die Crew war nicht an Board. So würde sich ein Zusammentreffen der beiden Gruppen verzögern. Es war noch nicht mal klar, wie weit entfernt sie sich alle voneinander befanden. Koushirou hatte ihm einst gesagt: „Bedenke nicht nur, wie du beginnst, sondern auch wie du es beendest!“ Natürlich hatte er über das Ende der Mission nicht nachgedacht. Weise Ratschläge offenbarten immer erst hinterher ihren Sinn, wenn es meist zu spät war. Aber war es so nicht immer?

Das Rentier hatte nun seinen Magen mehr als gefüllt. Es legte sich an Ort und Stelle auf den weichen Teppich zum Ruhen. In letzter Zeit war alles furchtbar anstrengend für ihn. Manchmal stakste er mehr umher, als einen flotten Schritt zu haben. Heute war er besonders erschöpft, dabei hatte er doch in der Vergangenheit viel mehr an Kilometern zu Fuß zurückgelegt. Aus den Augenwinkeln, ohne seine Besorgtheit zu zeigen, musterte der Schwertkämpfer den kleinen Arzt. Dieser nahm immer seltener seine Chibi-Form an und schlief mehr als sonst. Es schien, als würde die Teufelsfrucht ihre Wirkung verlieren und die menschlichen Zügen und Verwandlungen verblassen lassen. War das möglich? Als ob die Langnase Zoros Gedanken lesen könnte, fragte sie das Rentier: „Geht es dir nicht gut, Chopper?“

„Doch, alles prima, Usopp! Aber ich bin einfach nur müde. Wir sind doch sicher noch ein Weilchen hier, oder?“ Er lachte, machte sich auf dem Boden wieder gemütlich und wackelte zufrieden mit den Ohren.

„Klar, Chopper! Das sind wir!“ bestätigte ihm Zoro mit einem beruhigenden Lächeln, was Usopp aber schnell für sich enttarnte. Sie beide dachten über den kleinen Arzt wohl ähnlich. Dessen Zustand war bedenklich.

Tashigi hatte alles aus der Mitte des Raumes heraus schweigend beobachtet. Die junge Frau stand dort wie bestellt und nicht abgeholt und fühlte sich auch selbst ziemlich unsicher, was sie nun tun sollte. Sie bemerkte, dass etwas nicht mit Chopper stimmte, traute sich aber auch nicht recht, eine Frage zu stellen. Erst nach einer Weile brachte sie ein schüchternes „Wie geht’s nun weiter?“ hervor.

Die beiden Piraten sahen vom Rentier zur ihr herüber und der Scharfschützer informierte sie, dass sie nun warten würden, bis sie jemanden auf der Sunny erreichen würden. Eine andere Möglichkeit hätten sie nicht. Tashigi äußerte Zweifel, ob sie tatsächlich an Bord willkommen wäre, doch sie wurde beschwichtigt, dass das sicher schon in Ordnung kommen würde. Erst Mal ginge es nur darum, überhaupt wieder an Bord zu gelangen. Sie alle waren sich einig und jeder begann, sich irgendwie in dem Gasthaus zu beschäftigen. Zoro und Chopper schliefen, Usopp füllte seine Erfindertasche mit allerlei Nützlichem und Unnützlichem auf, während sich Tashigi etwas Obst runterwürgte. Obgleich sie ziemlich abgemagert und hungrig war, bekam sie doch keinen rechten Bissen runter. Sie begann die Dokumente zu durchforsten und stieß auf interessante Einträge im Gästebuch. So kamen hier viele Reisende vorbei, die zum Orakel wollten. Aber sie kehrten nie zurück. Sie holte Usopp hinzu und zeigte ihm die Daten. Nun blätterten sie gemeinsam herum. Tatsächlich kehrte niemand wieder. In diesem Haus war in der Vergangenheit den Eintragungen nach Endstation gewesen. Sie konnten sich nicht erklären, was mit all den Menschen passiert sein mochte. Erst ein Brief, der dem Scharfschützen aus den Seiten zu Boden fiel, brachte Antworten. Zwar nicht der Brief selbst, denn dieser enthielt nur eine Bestellliste über Lebensmittel, jedoch entdeckte man nun unter dem Tresen versteckt zwischen Fässern und Säcken Stapel von Büchern.

Akribisch waren hier lange Namenslisten geführt mit den Tagen der Ankunft und Abreise. Als Reiseziel war jedes Mal das Orakel angegeben.

„Nanu? War hier eine Völkerwanderung unterwegs?“ Usopp grübelte und fragte sich, wohin sie weitergegangen sein könnten.

„Fällt dir nichts auf? Schau mal, hinter den meisten Eintragungen sind Markierungen. Hier zum Beispiel ist jedes Mal ein Sternchen hinter dem Wort „Orakel“. Und es war auch alles am selben Tag.“ Tashigi deutete auf die Listen mit den Sternchen. Sie konnten sich keinen Reim darauf machen. Manchmal waren es nur einige Dutzende, manchmal ganze Hundertschaften. Entsetzt stellte die ehemalige Marinesoldatin fest, dass die Märsche anscheinend mit größter Unterstützung der Marine als Geleitschutz von statten gingen. Pro bewachte Person, die in den Listen das Codewort „Einheit“ inne hatten, waren sogar 1000 Berri von einer Organisation namens „Gelbes Prisma“ bezahlt worden. Tashigi wurde schlecht bei dem Gedanken daran, was ihre Fantasien ihr eben als Lösung vorlogen. Sie äußerte ihren Verdacht dem Kanonier gegenüber, dass es nicht um Abenteurern oder Schicksalswissenden ging, sondern hier ganze Massen von Gefangenen in Märschen durch die Gegend verfrachtet wurden. Sie wollte sich nicht ausmalen, was dort draußen am Haus der Stille mit ihnen passiert wäre, wollte aber das Buch für Robin mitnehmen. Vielleicht könnte sie etwas damit anfangen.

Usopp nickte und begann ihr nun zu erzählen, was er vorhin schon berichten wollte:

„Pass auf, dass klingt sicherlich nun alles sehr abgedreht. Aber es passt alles zusammen. Wir waren damals bei einer Wahrsagerin in Loguetown. Kennst du die vielleicht? Du warst doch dort stationiert. Sie hieß Serafina...“ Das Schulterzucken der jungen Frau ließ die Langnase unbeirrt weiterfahren. „Na egal! Auf jeden Fall denke ich, dass ich ihr Kartenrätsel und auch den Orakelspruch so gut wie gelöst habe!“ Er klopfte sich selbstlobend auf die Brust und fügte dann noch in einem leisen Nebensatz hinzu: „Naja, fast ...!“

Über Tashigis vereiste Miene huschte der Hauch eines Lachens. So langsam verstand sie, warum die Strohhüte keine normalen Piraten, sondern ganz anders waren. Jeder von ihnen war eine Persönlichkeit mit Macken, aber auch brillanten Fähigkeiten. Obendrein waren sie im Grunde genommen gar nicht mal so verkehrt, besaßen eine korrekte Auffassung von wahrer Gerechtigkeit und waren äußerst liebenswert. Und obwohl sie alle für sich allein ihren Träumen nachjagten, so verband sie doch eine unschlagbare Freundschaft. Was ein beneidenswertes Team! Doch nun lauschte sie wieder den Worten des Kanoniers, der sich mit Zettel und Stift bewaffnet hatte. Er begann, Serafinas Karten nachzuzeichnen, um seiner Zuhörerin die Sachlage zu verdeutlichen.

„Also, Serafinas Karten haben mehr verraten, als ich dachte. Da waren Vergangenheitskarten. Die erzählten, dass wir als Crew blind waren vor einigen Gefahren und auch vor uns selbst. Besonders unser Kapitän wandelte wie ein abgedrehter Narr naiv umher. Das führte dazu, dass unsere Crew auseinanderbrach, Luffy gefangen wurde und Chopper und Zoro uns verließen. Aber Zoro ist eigentlich ein wichtiger Schlüssel zu allem, was er aber damals noch nicht wusste, weil ja seine Kräfte erst erwachen. Und die Gegenwartskarten haben das bestätigt. Wir können uns einfach nicht vorstellen, dass er uns vielleicht mal in den Rücken fallen wird und anderes tun muss. Das wird schwer werden für uns, aber es ist um unserer Freundschaft Willen. Die Zukunftskarte mit dem Stern der Wahrheit weiß ich noch nicht.“ Er holte tief Luft, denn zum Atmen war er noch nicht gekommen. Ohne Rücksicht auf Tashigis Verwirrtheit plapperte er wie eine Wassermühle weiter.

„Und dann war da das Orakel und seine Reime. Wir waren damals dort, wo Raftel sein müsste und da waren nur die komischen Porneglyphen mit dem komischen Satz, dass man was zum Brennen bräuchte. Total klar! Die Kerze des Kerzenmachers! Die müssen wir finden! Die Grandline hat sieben Routen, die bei Raftel zusammenlaufen, aber das Orakel sprach von einer achten Route. Die kommt bestimmt, wenn die Kerze dort brennt. So, und nun kommt Zoros Job: Der ist nämlich so wichtig, denn der hat nämlich irgendwas mit der Kerze dort bei Raftel tun, dass sich der Weg öffnet. Ha, ich bin ein Genie! Aber ich weiß noch nicht, wer Rot, Gelb und Blau sind. Die müssen saumächtig sein...“,

Usopp strahlte wie eine Uranstück. Tashigi starrte ihn an wie das achte Weltwunder. Sie hatte der Erzählung folgen können. Sicherlich klang alles logisch, aber das war definitiv schräg.

„Hast du mal nachgedacht, Märchenbücher zu schreiben?“ fragte sie vorsichtig.

„Hey, diese Kombination der Fakten war echt kniffelig!“ beschwerte sich der Scharfschütze beleidigt.

„Weiß er das auch, dass er das kann?“ Mit einem Kopfnicken deutete sie zu Zoro hinüber, der mittels Tiefschlaf von allem nichts mitbekommen hatte.

„Du hast den Haken an der Sache gefunden! Ha, endlich mal jemand, der mir tatsächlich zuhört und mitdenkt!“ Obwohl Usopp noch bis vor Kurzem überhaupt nicht mit Tashigis Anwesenheit zufrieden war, so schien sie tatsächlich keine Gefahr zu sein. Sonst hätten sie Zoro und Chopper wohl auch nie mitgenommen. Obendrein schätzte er sie auch nicht gerade als dumm ein, nur vollkommen schusselig und verpeilt. Das ginge ja noch.

Plötzlich schrak der Schwertkämpfer wie von der Tarantel gestochen aus allen Träumen hoch und löste eines seiner Katana aus der Saya, um es schneller ziehen zu können.

„Merkt ihr Schnarchnasen denn gar nichts? Da kommt ein halbes Heer auf uns zu!“ fuhr er äußerst barsch seine Mitstreiter an. „Hoch mit dir, Chopper! Hier ist gleich die Hölle los!“

„Hey, wer ist hier eine Schnarchnase?“ beschwerte sich der notorische Lügner beim Schwertkämpfer, doch insgeheim musste er ihm recht gegeben. Sie hatten sich nicht um ihr Umfeld geschert. Auch wenn eben noch niemand auszumachen war: Wenn Zoro sagte, da kämen welche, dann war es auch so. Ein unglaubliches Gespür!

„Was? Da kommt wer? Was machen wir jetzt?“ Das Rentier hatte sich vor Aufregung wieder in seine Chibi-Form gewandelt und versteckte sich, natürlich verkehrt herum, hinter dem Tresen. Die kleine Hotelhütte in Form einer umgedrehten Reisschüssel begann langsam zu erzittern. Erst war es nur ein leises Vibrieren, doch es wurde stärker und stärker. Als erstes klapperten die Teller im Schrank und es klirrten die Glaswaren. Dann wackelten die Möbel und zu guter Letzt ruckelten alles an Mobiliar und weiteren Gegenständen von einer Wand zur anderen. Der Kanonier glaubte zum Überfluss noch an ein Erdbeben, doch Tashigi entgegnete ihm ungewöhnlich ruhig, dass dieses sicherlich nicht so wäre. Es würden sich wohl eine ungewöhnliche große Menge an Angreifern nähern, die den Boden zum Beben brächten und sie wandte sich an Zoro.

„Wie viele könnten es sein?“

„Zu viele, als dass ich es auseinander halten könnte, obwohl es sich eigentlich nur wie ein einziger anfühlt“, antwortete er in seiner üblichen Knappheit und fügte hinzu: „Wir schlagen uns einfach durch!“ Die Ernsthaftigkeit dieser Aussage wurde um so mehr von seinem diabolischen Grinsen unterstrichen. Usopps und Choppers anklagenden Worten, dass er nun wohl vollkommen wahnsinnig wäre, prallten an ihm wie gewöhnlich ab. Er stand bereits in der geöffneten Tür, starrte in das Blitzlichtgewitter und erwartete das, was dort auch immer kommen möge. Sie machten sich alle vier mit gezogenen Waffen kampfbereit bis auf Chopper, der anstelle einer Waffe seine RumbleBalls in den Hufen hielt und auf den richtigen Moment der Einnahme lauerte. So eine Kugel hielt nicht lange: Da musste der Einsatz wohl überlegt sein.

Und dann kamen die Angreifer zu ihnen herangeprescht. Dem Zittern und Beben der Erde folgte ein lautes, ständiges Donnern und Wackeln. Es war lauter als die Donner der Wolken und betäubte ihre Ohren. Eine Hundertschaft an gepanzerten Reitern näherte sich rasend der Unterkunft. Es war nicht zu sagen, ob die Rüstungen grau oder schwarz waren, jedoch waren sie vom Staub überzogen. Sie trugen seltsam anmutende Atemmasken und Brillen. Gesichter waren nicht zu erkennen, doch deutlich stach trotz der Dunkelheit ein gelbes Dreieck auf jeder Stirn hervor. Es war eben so gleichseitig mit der Spitze nach oben, wie sie es bereits auf dem Handrücken des Spions entdeckt hatten. Als Waffe dienten ihnen kurze dünne Lanzen mit Metallspitzen. Die Pferde trugen nur ein einfaches Trensenhalfter und einen gepanzerten Sattel. Sie waren recht groß und hatten sicherlich eine Rückenhöhe von gut fast zwei Metern. Der Körper wirkte zierlich und schlank, aber die Hufe entsprachen der Größe von Kuchenplatten, die alles zerstampften. Ihre Augen waren schneeweiß und schienen blind. Maul und Nüstern waren mit Aschestaub verklebt. Ebenso das klatschnasse, verschwitze Fell. Es war ein erbärmlicher und grausamer Anblick zu gleich. Dennoch war die Geschwindigkeit der Tiere hoch und deren Kampfbereitschaft durch Befehle ihrer Reiter ungebrochen.

Die aufgewirbelte Aschewolke schluckte das letzte bisschen Licht der Blitze und nahm allen den Atem. Schon bald war das ganze nahe Gebiet um die Hütte herum in einer dichten Staubwolke gehüllt. Selbst Usopps Feuerbälle hatten keine Möglichkeit, die Dunkelheit zu durchdringen.

Tapfer versuchten die Piraten einen Fluchtweg durch die angreifende Schar zu schlagen, doch es war fast aussichtslos, den Reitern auf ihren hohen Rössern vom Boden aus etwas entgegen zu setzen. Sie hatten erkannt, dass die Feuerattacken des Scharfschützen, zwar die Pferde blenden und zum Scheuen bringen konnten, aber die Wolke nahm ihnen jegliche Sicht und Atemluft. Schon nach ein paar Minuten waren sie keine Gruppe mehr, sondern getrennt in einem unübersichtlichen Pulk aus Dreck, Reitern, fliegenden Lanzen und Donner. Der Staub biss ihnen in die Augen, verstopfte ihren Atemwege und ließ sie übelst husten.

Zoro hatte es geschafft, nicht nur einen der Reiter vom Pferd zu ziehen, sondern auch eine wichtige Entdeckung zu machen: Die Ritter waren von innen hohl und nur eine einfach Rüstung. Daher kam also seine Einschätzung, dass es sich wie eine einzige Person anfühlte. Jemand musste wohl ganz allein diese Rüstungen durch Gedanken und Gefühle lenken. Geistesgegenwärtig griff er einem vorbeipreschenden Pferd in die Zügel. Obgleich er ein paar Meter mitgeschliffen wurde, so reichte seine Kraft tatsächlich, das Tier zu stoppen und diesen Ritter ebenfalls herunter zu ziehen. Innerlich fluchend suchte er seine Mitstreiter. Sie hatten schon so viele Kämpfe geschlagen, aber das hier war echt nicht mehr von dieser Welt. Was auch immer diese Heerschar von ihnen wollte, es war garantiert nur auf ihren Tod ausgelegt. Kompromisse waren wohl kaum erwünscht. Hier war definitiv der sichere Rückzug angesagt. Genervt zog er den störrischen Gaul am Zügel hinterher. Jeder Angreifer wurde mit einem Schlag zerlegt. Im Prinzip waren es keine schweren Gegner. Sie waren nur schnell, verdammt viele und nutzen den Vorteil der Dunkelheit, zumal sie anscheinend keine Atemluft benötigten. Ansonsten waren sie nicht sehr schlau und hatten als Hauptschwachstelle die Pferde unter sich.

Bei seiner Suche auf dem kämpfenden Schlachtfeld entdeckte er tatsächlich Usopp, der unter zerstörten Rüstungen Schutz suchte und aus dieser Deckung heraus wie ein Irrer feuerte. Er riss ihn aus diesem vorläufigem Schutz heraus, brüllte ihm zu „Rauf da!“ und überhörte dessen Widerworte, indem er ihn unsanft in den Sattel schob. Kurze Zeit später folgte ein ziemlich ausgeknocktes Rentier, welches sich nur mit Mühe an dem Kanonier festhalten konnte. Mit der Faust angedrohter Worte, einer Kopfnuss und einem unsanften Tritt in das Hinterteil durch Zoro überzeugten das Pferdchen nun doch endlich, Usopp und Chopper hoffentlich sicher aus dem Tumult zu befördern. Einen Augenblick später galoppierte es mit kleineren Bucklern hinweg und musste noch ertragen, dass die beiden ihm pausenlos in den Rücken plumpsten. Sie konnten nun mal einfach nicht reiten, obwohl der Schwertkämpfer absolut nicht verstand, was daran so furchtbar schwer sein könnte.

Tashigi hatte tapfer einen Reiter nach dem anderen zu Fall bringen können. Sie hatte das Gefühl, die Angreifer würden kein Ende nehmen. Wieder und wieder musste sie Lanzen abwehren und donnernden Hufen ausweichen. Allmählich ließen ihre Kräfte nach und der Staub raubte ihr das letzte bisschen Durchhaltevermögen, zumal ihr Körper durch die Strapazen der letzten Wochen eh gebeutelt war. Einem Schlag durch einen Ritter auf ihren Rücken brachte sie zu Fall, den sie gerade noch mit ihren Händen auf dem Boden abfangen konnte. Mit letzten Kraftreserven richtete sie sich wieder auf, um dem nächsten Angriff standzuhalten, als sie plötzlich unter den Armen gegriffen und hochgezogen wurde. Vollkommen überrascht und verwirrt, ließ sie es mit sich geschehen, dass sie Sekunden später auf dem Rücken eines dieser Pferde saß und samt Ross und Reiter durch das Getümmel galoppierte. Vor Angst, bloß nicht aus dem gestreckten Jagdgalopp herunter zufallen, klammerte sie sich panisch an ihrem Reiter fest.

Wie lange sie so über die staubige Donnersteppe dahinflogen, wusste sie nicht. Erst als es in der Ferne heller wurde und auch sämtliche Verfolger abgeschüttelt waren, verfiel das Pferd in holprigen Trab und dann endlich in einen ruhigen Schritt. Tatsächlich hatten sie das Ende der Donnersteppe erreicht. Das Pferd begann nun, sich zu widersetzen. Es schien das Licht der Sonne nicht zu vertragen. Es stoppte, wollte rückwärts gehen und schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf so wild, als würde es von einem Schwarm Bienen angegriffen. Das Reiten machte nun keinen Sinn mehr, denn für das Tier schien die Helligkeit eine ernsthafte Qual zu sein. Der Staub und die Dunkelheit hatten die empfindlichen Augen geschädigt.

Sie stoppen, stiegen ab, befreiten das Pferd von Trense und Sattel und entließen es in die Freiheit. Erst jetzt sah man in der aufsteigenden Helligkeit, dass es sicherlich ein hübsches Tier wäre mit seinem ungewöhnlich grau-weiß-gescheckten Fell, wenn es jemals Pflege und Zuwendung erhalten hätte. Sie sahen ihm nach, bis es in Staub und Dunkelheit verschwand.

„Du hast mich schon wieder gerettet. Warum?“ murmelte Tashigi peinlich berührt. Verlegen starrte sie abwechselnd in die Ferne und dann wieder auf den Boden. Lange standen sie so nebeneinander und schwiegen. Sie hatte sich in ihren Mantel eingemummelt und die Hände in den weiten Taschen vergraben. Er stand wie gewöhnlich mit verschränkten Armen da und starrte in die gefährlichen Wolken.

„Muss alles einen Grund haben?“ kam es nun doch nach einer halben Ewigkeit von Zoro.

„Du weichst der Frage aus!“

„Vielleicht!“

„Darf ich dich was fragen?“

„Du machst es sowieso. Außerdem brauche ich ja nicht antworten.“

„Stimmt das, was Usopp so über dich erzählt hat und das du so ... anders bist?“

„Der erzählt viel, wenn der Tag lang ist! Was heißt „anders“?“

Die Angesprochene wusste nicht, wie sie es ihm erklären sollte, da sie einfach nicht die richtigen Worte fand, obwohl sie fest davon ausgehen konnte, dass er sie genau verstanden hatte. Verlegen starrte sie wieder auf den Boden. Er hatte sie aus den Augenwinkeln gemustert, wie da so stand, als wäre sie überflüssig. Sich nun ihr zugewandt sagte er:

„Würde es denn jetzt etwas ändern an der ganzen Konstellation, wenn es so wäre?“

Sie schüttelte stumm den Kopf ohne aufzusehen. Nein, es würde nichts ändern.

28 - Verstreut

Es hatte die Strohhut-Crew viel Mühe gekostet, ihren Captain zu überreden, den Feuervogel noch eine Weile allein in seinem Käfig zu lassen. Auf die eine Stunde mehr oder weniger käme es nun wirklich nicht an. Garantiert würde der Vogel das noch aushalten. Es wäre erst einmal besser, zurück zur Sunny zu gehen und mit dieser dann wieder hierher um die Insel zu segeln. Immerhin lag sie derzeit komplett unbewacht am anderen Ende der Insel. Und das konnte nicht gut sein. Auch wenn Luffy nicht so recht einverstanden war, gab er nach, denn die Argumentation klang logisch und bestimmt. Bei der Verabschiedung wiederholte der Strohhutjunge noch einmal sein Versprechen und zog dann mit seiner Mannschaft von dannen. Der Vogel hatte sich wieder etwas beruhigt, saß lodernd auf der Metallstange und sah den Fremdlingen hinterher. Er verstand deren Sprache nicht, aber sie vermittelten ihm keinen boshaften Eindruck.

Nach einigen Stunden Fußmarsch waren sie nun wieder an Bord, hielten zum Aufwärmen heiße Getränke in den Händen und genossen bei der Fahrt an der Eisküste entlang das schöne Schauspiel von Eis, Schnee und Meerwasser. Nami hatte nun, wo der Sturm vorbei war, ihren aktuellen Standort lokalisieren können. Diese sehr große Insel hatte den äußerst kreativen Namen Peltosaari, was nichts anderes als Feldinsel hieß, lag recht nah der Redline und nördlich des Kosa’schen Korridors. Sie waren also gar nicht mal so weit vom Kurs abgekommen, wie erst vermutet. Zufrieden über diese positive Nachricht zog die Navigatorin einen großen Schluck ihrer heißen Schokolade mit viel süßer Sahne und sah aus dem Fenster der Bibliothek. Sie war öfters hier, wenn das Wetter während ihrer Reise schlecht war und leistete Robin bei ihrem Studium der Bücher Gesellschaft. Zudem konnte man mit der Archäologin über Dinge quatschen, was mit den Jungs allein deshalb schon nicht ging, weil sie einfach bloß Jungs waren. Diesmal wollten sie sich langsam aber sicher noch einmal an die genau Auswertung der Karten aus den sieben Truhen machen. Vor ein paar Wochen hatten sie die Karten nur grob überflogen, bis Nami dann eines Abends meinte, sie würde noch einmal etwas nachsehen wollen, was ihr aufgefallen wäre. Die Archäologin saß auf ihrem Lieblingsplatz in einem großen schweren Ohrenledersessel hinter dem Schreibtisch und einem Berg von Büchern oben auf der Tischplatte und beobachtete schweigend Nami, wie sie so auf die Eisgletscher hinaus starrte.

„Träumst du?“

„Bitte?“ Durch die unerwartete Frage überrascht, verschüttete die Navigatorin fast den Inhalt ihrer Tasse und wandte sich ruckartig vom Fenster ab.

„Ob du träumst?“ wiederholte Robin lächelnd die Frage.

„Nein, ich denke nur so furchtbar viel nach. Es hat sich soviel verändert seit wir damals im East Blue losgefahren sind. Wir waren damals einfach noch so kindisch und dachten über nichts nach. Wir dachten, es wäre einfach... Ich kann mich noch genau daran erinnern!“ Erinnerungen von einst tauchten vor ihren Augen auf und ließen sie schmunzeln. Da war einmal Luffy, wie er ihr mit seiner naiven Kulleraugenart gegenüber stand oder wie Zoro plötzlich aus dem Nichts auftaucht, als sie bei der Sache mit Buggy in der Klemme steckte. Oder die Aktion mit Usopp und wie sie später die gute alle Going Merry von Kaya bekamen... Es war alles so verdammt lang her. Fast wäre sie melancholisch geworden, hätte die Archäologin nicht wieder das Wort nachdenklich ergriffen.

„Wir haben uns alle verändert während unserer Reise. Aber trotzdem sind wir immer noch wir. Sag' mal, wie kam es, dass sich Zoro Luffy angeschlossen hatte. Weißt du da was genaueres?“

„Ich war nicht dabei, aber ich meine, Luffy hätte mir mal gesagt, dass es ein Handel war. Er hat Zoro aus der Patsche geholfen und als Gegenleistung hat Zoro Luffy als Captain akzeptiert. Warum fragst du?“ wollte nun Nami verwundert wissen, denn wenn Robin so eine Frage stellte, dann hatte es mit Sicherheit einen besonderen Hintergrund.

„Nun, damals suchte Crocodile noch Agenten für die Baroque-Firma. Wir hatten von Zoro gehört, dass er als eiskalter Kopfgeldjäger galt, den man im East Blue auch als blutrünstigen Dämon bezeichnete. Wir ließen ihm ein Angebot zukommen, welches er ausschlug. Ich hatte mich dann sehr gewundert, warum er sich ausgerechnet Luffy angeschlossen hatte. Es passte einfach nicht zu seinem Charakter. Das war irgendwie sehr ungewöhnlich.“

„Das mit der Baroque-Firma wusste ich gar nicht! Aber auf was genau willst du hinaus?“

„Bisher sind wir alle auf diesem Schiff immer nur der Nase nachgefahren von einem Abenteuer ins nächste, weil wir dachten, dass es reicht. Doch bei Raftel haben wir die Erfahrung gemacht, dass es eben nicht mehr reicht. Und dann habe ich lange über Zoros Grund nachgedacht, als er einfach kurz davor abgehauen ist. Natürlich hatte er so was mal angedroht, wenn es ihm nicht mehr passen würde, dann wäre er definitiv weg. Aber der Zeitpunkt war halt sehr merkwürdig. Auch wenn er sich mit Chopper gut versteht und Luffy langsam echt manchmal Anfälle von Größenwahn hatte, so wäre das doch keine plausible Erklärung. Wenn wir alle wieder zusammen sind, dann müssen wir uns gründlich überlegen, wie es weitergehen soll. Bis jetzt hat niemand das One Piece gefunden. Was also ist bei allen Schiffcrews anders, als bei der Crew Gol D. Rogers? Immerhin haben wir die Grandline umsegelt und wir sind kein Stück schlauer.“

Damit hatte die Archäologin recht. So genau hatte sich Nami darüber noch nicht den Kopf zerbrochen. Zumindest konnte sie aber nun berichten, was ihr beim Kartenvergleich aufgefallen war: Die Strömung der Grandline zerfraß systematisch die Redline. Stück um Stück, Stein um Stein und Sandkorn um Sandkorn wurden von ihr weggeschwemmt und trieben in ihrem Sog mit. Das hatte natürlich verheerende Auswirkungen auf das Klima, die Strömungen und die vier Blues. Vermutlich würde daher bereits hier schon das Eis des Nordpols treiben, da es ebenfalls durch neue Strömungen gen Grandline zog. Sie schlürfte weiter an ihrem Getränk, bis Luffys krackelende Stimme sie aufmerksam machte, dass sie nun ihr Reiseziel auf der anderen Seite der Insel erreicht hätten. Zusammen mit Robin holten sie ihre dicken Jacken und versammelten sich mit der Restcrew vorn am Steuer. In der Ferne sah man den hellen Schein des Feuervogels. Natürlich stellten sich nun alle dieselbe Fragen und die auch noch gegenseitig:

„Und jetzt?“

„Jetzt?“

„Kein Plan?“

„Wir gehen da wieder hin!“

„Und dann?“

„Weiß nich’!“

„Warum nich’?“

Die Unterhaltung war nicht wirklich konstruktiv, spiegelte aber die allgemeine Stimmung in der Mannschaft wieder. Was genau machten sie hier eigentlich? Was sollten sie bei dem Vogel, der sicher Mitleid verdiente, aber nicht zu befreien war? Es war dann Sanji, der die sinnleere Diskussion erweiterte:

„Wann und wo holen wir die anderen?“

„Können die nicht herkommen?“

„Woher sollen die wissen, dass wir hier sind, Gummihirn?“ brüllte der Koch nun seinen Kapitän an. Dessen Kleingeistigkeit konnte manchmal echt den letzten Nerv töten. Tatsächlich schaffte es letztendlich Nami, den Chef der Crew zu überzeugen, dass sie erst einmal Zoro, Usopp und Chopper abholen sollten. Dann könnten sie wieder zu dem Feuervogel fahren. Immerhin könnte dieser ja auch nicht aus dem Käfig weglaufen. Luffy willigte nur unter der Bedingung ein, dass er dieses dem Vogel mitteilen möchte. Kurze Zeit später marschierte er mit Franky zu dem brennenden Tier. Der Schiffskonstrukteur hatte auf seine Mitnahme bestanden. Wer weiß, wie welchen Blödsinn sonst der Strohhutjunge unterwegs noch gemacht hätte. Tatsächlich verlief die Verabschiedung Dank der Begleitung durch den Cyborg recht schnell und ohne Umwege.

Eine Stunde später war die Sunny klar zum Ablegen und stach wieder in See. Es wurde kälter und dichter Schneefall setzte ein. Die grauen Wolken hingen tief wie vollgesogenen Wattebausche. Das Meer hatte die Farben von Ultramarin bis Schwarz und war unruhig wie ein Ameisenhaufen. Kleine Kronen von Meerschaum kräuselten sich auf den kurzen Wellen.

Man könnte wie ein altes Sprichwort sagen, mit den Dummen wäre Gott. Das Schiff schipperte erst eine halbe Stunde an der Redline entlang, als die Strohhutpiraten ein Leuchtfeuer an der Steilküste entdeckten. Das Fernglas brachte Gewissheit: Usopp und Chopper standen dort. Das Rentier erfreute sich der kühlen Temperaturen und fühlte sich pudelwohl, während der Kanonier bereits blau angelaufen war und vor Kälte klapperte wie ein Gartentor im Wind. Die beiden waren nämlich von ihrem Pferdchen kerzengerade aus von der Donnersteppe bis hierher zur Steilküste gebracht worden. Kurz vor dem Abgrund schlug das buckelnde Tier einen fiesen Haken und warf seine beiden Reiter unsanft auf den Hosenboden ins gefrorene Gras. Der Kanonier verfluchte Zoro, weil dieser kein netteres Reittier ausgesucht hatte, und das Pferd, weil es eben nicht nett war. Das Rentier war froh, wieder festen Boden unter den Klauen zu haben. Erst waren sie verunsichert, wo sie denn gelandet sein mögen, doch als sie eine halbe Stunde später die Sunny entdeckten, konnten sie ihr Glück absolut nicht fassen. Schnell hatte Usopp mit Kabuto ein Signal in den Schneehimmel geschossen und war zusammen mit Chopper froh, dass sie von der Sunny aus nicht übersehen wurden. Nur ein paar Minuten später waren sie wieder an Bord, da Luffys Gummiarme gereicht hatten, um die beiden oben an der Steilküste zu greifen. Mit heißen Getränken zum Auftauen saßen sie mit der Crew am Tresen und berichteten vom Blitzableiter-Spion, von Tashigis Auftauchen, vom Orakel im Haus der Stille und von den gepanzerten Reitern mit dem gelben Dreieck. Usopp erwähnte jedoch nicht seine persönlichen Schlussfolgerungen, die er zuvor noch Tashigi anvertraut hatte. Er hielt es erst einmal für strategisch geschickter, obwohl er Mühe hatte, dieses Geheimnis für sich zu behalten. Die Crew hörte aufmerksam zu. Sie diskutierten anschließend gemeinsam die Geschehnisse. Ebenso viele alte Fragen wurden beantwortet, wie ebenso viele Neue auftauchten. Die Stimmung ließ sich nicht beschreiben. Es war eine brisante Mischung aus Ratlosigkeit und abwartendem Verhalten. Dennoch waren sie sich alle einig, dass sie sich auf die Suche nach Zoro machen mussten. So berechnete Nami einen Kurs, der zu einer Anlegestelle eines winzigen Dorfes auf der Redline noch etwas nördlicher von ihrem aktuellem Standort lag. Stunden später legten sie dort an.
 

Gut drei Dutzend Seemeilen weiter südlich auf einem ganz anderen Schiff wurden ganz andere Gespräche geführt. Eigentlich konnte man das Schiff nicht so recht als Schiff bezeichnen, denn durch Smokers aussichtslosen Befreiungsversuche, den schwimmbaren Untersatz aus dem Sand des Kosa’schen Korridors zu ziehen, war der Kiel stark beschädigt und der Unterboden aufgerissen worden. Nun zog der Admiral eine Zigarre um die andere in Sekundenschnelle weg und durfte nebenher einer Gardinenpredigt seitens Hina lauschen. Sie verstand rein gar nicht, wie man nur in so eine dumme Situation geraten konnte und wieso ausgerechnet sie Smoker wieder einmal mehr aus dem Schlamassel ziehen sollte. Als es keine neue Zigarre in Reichweite des Rauchers gab und Hina ihren tadelnden Monolog beendet hatte, nahm er nun auch mal das Wort an sich:

„Weißt du, was ich noch nicht durchschaut habe?“

„Woher soll Hina das wissen?“ Sie mochte es nicht, wenn er einfach so vom Thema ablenkte. Und schon gar nicht mit so einer rhetorischen Frage.

„Sie waren nicht vollständig!“ grübelte er laut.

„Wer?“ Sie war einfach nur desinteressiert und verärgert.

„Na, wer wohl? Die Strohhutbande! Zoro war nicht dabei. Und das komische Zylinder-Stofftier und den Sogeking-Kasper habe ich auch nicht gesehen. Da passt doch was nicht. Ich meine, erst kriegen wir mit, dass Zoro von der Gruppe getrennt auf der Redline auftaucht, dann ist der wieder bei der Gruppe in Loguetown und nu is’ der wieder weg?“

Hina warf ein, dass er sich sicherlich nur getäuscht hätte. Vielleicht hätten die Strohhüte eine Falle geplant und hätten später ihre Mitstreiter wieder eingesammelt. Doch Smoker stritt diese Theorie immens ab. Er blieb felsenfest davon überzeugt, dass an der ganze Sache etwas nicht stimmt. Dann ließ er Hina einfach so auf der Brücke stehen und trat hinaus. Er wollte sehen, wie weit die Reparaturarbeiten an seinem Schiff vorangeschritten waren. Um keinen Preis wollte er bei der Verfolgung der Sunny wertvolle Zeit verlieren.
 

Ebenfalls einem Problem sahen sich Zoro und Tashigi gegenüber: Sie standen irgendwo auf einer kargen Grasebene der Redline am Rande der Donnersteppe und wussten nicht, wohin sie gehen sollten. Die Gegend war wie grau in grau gezeichnet und trostlos. Es gab keine Hinweise darauf, wo Chopper und Usopp abgeblieben waren oder wo sich gar die Thousand Sunny aufhielt. So sehr sich der Schwertkämpfer auch bemühte, er schaffte es nicht, deren Gefühlswellen zu greifen. Entweder waren diese alle viel zu weit von ihm entfernt oder seine Reserven an dämonischem Hokuspokus vorübergehend aufgebraucht. Das frustrierte ihn schon ein wenig, ganz gleich welche der beiden Tatsachen zutreffend wären. Zu allem Überfluss begann es nun auch noch zu schneien. Erst ganz sanft rieselten vereinzelte Flöckchen, dann wurden es mehr und es schneite sich so langsam ein. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und steckte seine Hände unter die Achseln. Den Herbst mit seinen klaren Wassern, kühlen Winden und bunten Wäldern mochte er, doch hier auf der Redline hatte er ihn irgendwie verpasst. Stattdessen setzte hier nun anscheinend gleich der Winter ein mit seiner frostigen Kälte, die er nicht mochte. Und das Ende September. Seine Stimmung war auf dem üblichen Tiefpunkt. Da stand er nun. Mitten im Schnee. In der Kälte. Wie immer ohne Orientierung. Neben ihm ein Weib, dass sich nicht anschicken wollte, eine Hilfe zu sein. Sie stand dort schweigend in ihren Mantel gemummelt und zitterte vor Kälte wie Espenlaub. Kein Ton kam über ihre Lippen und ihr Blick starrte ins Leere.

„Sag’ doch auch mal was!“ blubberte er sie ohne Vorwarnung an mit der Gewissheit, dass es sicher nicht höflich gewesen war. Sie sah ihn an mit ihrem leblosen Blick. Ihr Lippen wollten sich zu einem Wort formen, doch sie blieb stumm. Mit der Zeit hatte er mit ihr umzugehen gelernt, wenn sie zickte, ihn anschrie oder ihn einfach nur beleidigte, aber dieser seelenlose Leichnam auf zwei Beinen war etwas vollkommen Neues und auch etwas, worauf er sich absolut nicht einstellen konnte. Wie kommuniziert man mit so jemanden? Plötzlich ging sie los. Schnurgerade an ihm vorbei mit gesenktem Kopf. Zoro verstand nun gar nichts mehr.

„Was wird das nun?“ Doch die Angesprochene nahm es kaum war.

„Hallo?“ Er packte sie am Arm und riss sie zu sich herum. Ein kühler Blick stach ihm direkt in seine Augen, dass es fast erschreckend war.

„Ich weiß, dass die letzte Zeit extrem beschissen für dich war, und dass du deshalb eben nicht gut drauf bist, aber das hilft uns jetzt wirklich nicht weiter! Könntest du dich mal irgendwie äußern? Schrei mich an, dreh’ durch, schlag was vor, ... irgendwas! Sei einfach mal normal!“ Seine Worte waren taktlos und rücksichtslos. Das wusste er, aber vielleicht brachte es eine Reaktion ihrerseits. Es folgte ein kurzes Schweigen und dann eine unerwartete Explosion von ihr:

„Normal? Nichts ist normal? Ich hab Hunger. Mir ist kalt. Ich bin total müde und ich weiß nicht, was ich hier überhaupt soll! Und du bist an allem Schuld“ schrie sie ihn an. „Und ich gehe jetzt da lang. Da müsste der North Blue liegen! Ich komme allein klar,“, fauchte sie zickig weiter und versuchte, sich loszureißen. Es war jedoch nicht mehr als ein plumpes Armfuchteln. Mehr Kraft hatte sie nicht mehr, doch Zoro ließ sie eh los. Er nahm ihren Ausraster nicht übel, denn für einen kurzen Augenblick war sie wieder ein Stück ihres alten Wesens. Ein Grinsen verbergend schloss er sich ihr an.

Obwohl es immer noch stetig schneite, kamen sie gut voran, denn das Gras war kurz und gefroren. Tatsächlich tauchte der Ozean in der Ferne auf, den man gegen die einbrechende Dunkelheit kaum erkennen konnte. Und es war ein leichter Lichtschein gegen den wolkenverhangenen Himmel auszumachen, welches beim Nähern einem Gehöft zuzuordnen war. Von dem Gedanken angespornt, ein warmes Nachtlager und eine feste Mahlzeit zu bekommen, marschierten sie still ohne Rast weiter.

Die Anwohner des Hofes staunten nicht schlecht durch den Türspalt hindurch, als sie dort zwei durchgefrorene Gestalten erblickten. Da sie Zoros Steckbrief wohl schon einmal in den Händen gehalten haben mussten, öffneten sie nur widerwillig und ängstlich die Tür und hielten sich mit dem Abstand einer Zimmerlänge zu ihm auf. Die Anwohner: Das waren ein Männlein und ein Weiblein mittleren Alters mit viel Güte, eine Schar Kinder, die wie die Orgelpfeifen aufgereiht hinter ihren Eltern standen und vor Neugier platzen und ein altes Mütterchen im Schaukelstuhl, welches ständig kicherte. Eine äußerst illustre Gesellschaft, aber liebenswürdig und ehrlich. Es gab einen großen Raum, der Wohn- und Essraum zugleich war. An den Wänden entlang verlief eine durchgehende breite Holzbank, ein großer Kachelofen heizte den Raum und spendete Licht. Weiter gab es noch einen großen Tisch, einen Schrank und eine Kommode. Durch eine Tür gelangte man zur Küche und den Vorratsräumen. Eine Holztreppe führte unters Dach zu den Schlafplätzen. Misstrauisch beäugten das Ehepaar die junge Frau, wie sie da gegenüber dem Piraten vor dem Ofen saß und trotz des Mantelkragens geschickt ihre Portion Reis aß. Wer war sie? Einen Steckbrief hatten sie noch nicht von ihr in der Tageszeitung gesehen. Doch da sie ihr Gesicht verbarg, konnte das nicht so recht bescheinigt werden. Sicher wäre sie eine Piratin, denn sie zöge mit dem Grünhaarigen, flüsterte der Mann seiner Frau zu. Wer auch immer sie wäre, sie könnte sich Widerworte ihm gegenüber leisten, tuschelte die Frau zurück just in dem Moment, wo Tashigi Zoro anzischte, ob er nicht einmal anständig essen könnte. Diesem blieben fast die Essstäbchen im Halse stecken, als er den Einwand von ihr hörte. Zugegeben, er hatte mal wieder wie ein Scheunendrescher gespachtelt, aber der Hunger trieb es nun mal unmanierlich rein. Er sah zu ihr von seiner Reisschale auf, sagte aber nichts, denn er konnte es wieder fühlen. So langsam kehrten die Geister in ihn zurück und er ließ seine Gedanken kreisen. Aus unerklärlichen Gründen war Tashigi derzeit mehr als sauer, zudem war sie erschöpft. Der Vater dort am anderen Raumende hatte Sorge um seine Familie, denn immerhin waren Piraten im Haus, während die Mutter schnell die hellwachen und neugierigen Kinder ins Bett schickte. Die Alte kicherte, denn sie war amüsiert. Sicher hatte sie schon viel erlebt, da machten Piraten unter dem eigenen Dach nichts mehr aus.

Unaufhaltsam tickerten die Zeiger der Standuhr weiter zu einer weit vorgerückten Stunde. Vor der Tür war es stockdunkel und der Schneefall hatte an Stärke gewonnen.

„Können wir die Nacht bleiben?“ wandte sich Tashigi an den Mann, doch die Alte kam ihm mit einer Antwort zuvor. „Natürlich, das Knechtzimmer ist doch noch frei drüben bei den Stallungen. Nehmt die Öllampe mit!“ kicherte sie ihn sich hinein. „Du hast doch nichts dagegen?“ kicherte sie nun den Mann an, der erst protestieren wollte, aber mit einem Kopfschütteln sein Einverständnis erklärte. Die Alte schaukelte zufrieden in ihrem Stuhl hin und her und sah den beiden nach, wie diese mit einem „Danke!“ durch die Haustür nach draußen gingen. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, musste sie sich Vorwürfe anhören, doch diese kicherte sie einfach hinweg.
 

Mit einer rostigen Öllampe bewaffnet gingen Tashigi und Zoro hinüber zu den Stallungen. Tatsächlich gab es dort ein kahles Zimmerchen mit einem zugigen Fenster. Der Boden war mit Matten ausgelegt und ein paar Decken lagen lumpig umher. Mehr als vier Mann würde in der Kammer keinen Schlafplatz finden können. So klein war es dort, doch selbst mit diesem Kämmerchen hatte die Ölfunzel Mühe, sie auszuleuchten. Während Tashigi so gut wie in alle Decken gehüllt nahe der Lampe lag, hatte Zoro sich an der Wand niedergelassen mit seinen drei Katana im Arm. Er bestaunte die Tatsache, dass sie trotz der vielen Decken immer noch unglaublich fror. Sie bibberte zähneklappernd vor sich her und lag zusammengerollt mit dem Rücken zu ihm.

„Kannst du immer rauskriegen, was in uns allen so vorgeht?“ unterbrach sie emotionslos die Stille.

„Hm?“ murmelte er schläfrig. Konnte dieses Weib nicht einfach die Augen zumachen und schlafen, wie alle normalen Menschen? Wie konnte man jetzt mitten in der Nacht auf solche Gesprächsthemen kommen?

„Ja oder Nein?“ Das klang nun ernster von ihr.

„Teilweise. Manchmal ja, manchmal nein...“ Er gähnte. Langsam begann sie zu nerven auf ihre ganz eigene Art. Vorhin hatte er noch gehofft, sie würde sich wieder so wie früher verhalten. Nun tat sie das, aber so ganz recht war es ihm auch wieder nicht. Diese Frau machte ihn einfach nur kirre.

„Das ist unfair. Du weißt alles über mich und ich weiß gar nichts über dich!“ klang es trotzig unter dem Deckenberg hervor.

„Das ist mir eben herzlich egal. Halt einfach die Klappe!“ kam es nur grummelnd zurück. Irgendwie hatte sie irgendwo recht. Er spürte ihr Angst, ihre Traurigkeit und ihre Einsamkeit, aber auch ihren Kampf gegen alle die schlechten Dinge in sich drin. Sie mochte sich in ihrem Zustand selbst nicht leiden. Er dachte daran, wie sie sich in seinem Armen neulich noch ausgeheult und er ihre plötzliche Nähe gemocht hatte. Wenn er sich zurückerinnerte, dann spürte er ihre Finger in seinen Haarsträhnen. Oder ihren heißen Atem an seinem Hals, als er ihr sein Schwert an den Hals drückte. Oder als er sie in der Villa in seine Arme schloss in der Hoffnung, sie hätte ihn nicht auch noch verlassen. Oder ... es gab so viele kostbare Sekunden, die seine Gedanken auf eine Achterbahnfahrt schickten, dass er unkonzentriert wurde und manchmal nicht einschlafen konnte.

Nur für ein paar Sekunden hätte er einen dieser Moment wiedergeholt. Nur für eine Sekunde. Das würde ihm schon reichen. Und nun lag sie dort so dicht bei ihm, aber doch so weit weg und unerreichbar.

Seinen Kopf an die Wand gelehnt betrachtete er, wie das kleine Flämmchen der Öllampe tanzte und einen orangefarbenen Lichtschein auf alles warf. Langsam begann sich etwas unter dem Deckenhaufen zu regen. Sie drehte sich um und spähte ihn unter den Decken hervor an. So starrten sie eine ganze Weile bis die kleine Funzel erlosch, weil das Öl aufgebraucht war.

„Nur für eine Sekunde. Nur für einen Moment“, wünschte er sich. Was hatte er nicht alles schon für Schlachten und Kämpfe durchstanden. Alles ohne auch nur für einen Augenblick Angst zu empfinden, doch nun fühlte er sich hilflos und feige. Sich mit einem Kompromiss anfreundend rollte er sich in der Dunkelheit samt Decke direkt neben sie nur eine Handbreite entfernt.

Als hätte sie seine Gedanken erraten, wühlte sie sich einen Weg durch den Deckenstoff zu ihm. Vorsichtig legte sie ihren Kopf an seine Schulter und schmiegte sich sanft an seine Seite. Schüchtern, schon fast fragend, tasteten ihre Fingerspitzen über seinen Brustkorb, bis sie ihn mit ihrem Arm ganz umschlungen hatte. „Du bist so schön warm ...“, flüsterte sie ihm liebevoll zu.

Sie war derart durchgefroren, dass er zuerst dachte, einen Eiszapfen neben sich liegen zu haben. Ihre Kälte ließ ihn kurz frösteln. Er schlang seine Arme fester um sie und zog sie zu sich heran. Langsam kehrte die Wärme in ihren Körper zurück und sie taute auf.

Eine Sekunde hatte sich Zoro gewünscht, doch nun lag sie die ganze Nacht schlafend in seinen schützenden Armen. So nah, wie er es gehofft hatte.

29 - Schneetanz

Im frühen Morgengrauen erwachte Zoro durch ein Gefühl der Gefahr. Schlagartig war er hellwach, rollte geschickt aus der Umklammerung Tashigis heraus, so dass er in Hockposition neben seinen an der Wand gelehnten Schwertern saß und auch gleich auch eine Hand am Schwertgriff hatte. Er streckte sich leicht, um aus dem mit Eisblumen überzogenen Fenster spähen zu können. Draußen war strahlende Morgensonne und ein Himmel spannte sich in frostigen Pastellfarben von hellem Blau über Mintgrün zu Gelb wie ein Seidentuch über eine schneebedeckte Landschaft, als wäre sie mit Puderzucker überzogen worden. Drüben im Hauptgebäude schien bereits jemand den Kessel aufgesetzt zu haben, denn der Schornstein rauchte fröhlich vor sich her. Die Idylle war so friedvoll, dass es fast an Kitsch grenzte, doch der Schein trügte. Kurze Zeit später tauchten weit entfernt am südlichen Horizont dunkle Wolken auf. Gleich würde hier ein Sturmangriff losbrechen. Das spürte der Schwertkämpfer genau. Und er wusste auch, wer da seinen Weg hierher zielgerichtet antrat.

Tashigi war durch Zoros Wegrollen unsanft aus dem Schlaf gerissen worden. Nun lugte sie schlaftrunken unter der kuschelig warmen Decke hervor. Ihre Irritation wich schlagartig, als sie Zoros Hand an seinem Schwert sah: Bereit, um sofort angreifen zu können. Blitzartig fuhr sie hoch, doch er machte ihr ein Zeichen sich leise zu verhalten. Sie befreite sich ohne Geräusche aus der Decke und lauschte. Doch sie konnte nichts Ungewöhnliches ausmachen.

„Gefahr?“ flüsterte sie ihm zu.

„Unsere gepanzerten Freund reiten wieder...“ murmelte er zurück.

Sie erschrak bei dem Gedanken an die letzten Schlacht zwischen den wilden Reitern auf ihren unheimlichen Pferden und merkte im ersten Moment gar nicht, dass er sie sanft, aber bestimmt von ihrem Nachtlager am Arm hochzog, um sie kurz darauf leicht an sich gedrückt im Arm zu halten.

„Geht es dir ein wenig besser als gestern?“ fragte er sie, während er weiterhin aufmerksam die Lage auf den Feldern durch das Fenster beobachtete.

Sie nickte nur verdattert zurück und kämpfte innerlich vergeblich dagegen an, dass ihr Knie weich wurden und sich alles in ihrem Kopf drehte. Am liebsten hätte sie ihre Arme um seinen Hals geschlungen und sich an ich geschmiegt, aber sie unterdrückte diesen Wunsch. Er vermittelte nicht gerade den Eindruck, dass es in dieser Situation passen wäre. Stattdessen rückte sie mit den Finger ihre Brille zurecht, um die Szene zu überspielen. Als er sich im Vorbeigehen mit den Worten „Na, dann los!“ an sie wandte, folgte sie ihm noch etwas wackelig auf den Beinen ins Freie.

In der Tür schlug ihnen frische Winterluft entgegen, die ihre Lungenflügel kräftig durchlüftete, doch die Wolken aus südlicher Richtung kamen bedrohlich näher. Der Schwertkämpfer schätzte die Anzahl der Ritter auf vielleicht sechzig bis siebzig Mann, würde sich aber gern eines Besseren belehren lassen, denn nur eine einzige Seele steuerte den ganzen Tross und eine grobe Schätzung war daher schwierig. In der ehemalige Soldatin stieg Unbehagen auf, wie sie die Wolkenberge über dem noch so unberührten Schnee sich auftürmen sah. Bald würde hier alles dem Erdboden gleich sein. Als sie die Silhouetten klar erkennen konnte und die Schar auf gut 80 Reiter tippte, wurde ihr erst richtig mulmig und ein Zittern ergriff ihren Körper. So viele ... Hastig umklammerte sie den Griff ihres Shigure. Bevor sie allein von Loguetown aufgebrochen war, hatte sie nie allein kämpfen müssen. Es waren immer andere Soldaten ihrer Einheit dabei gewesen.

Er spürte ihre Angst und schickte sie mit energischem Unterton in seiner Stimme zum Haus. „Ich will, dass du die Familie beschützte! Hast du verstanden?“ Bevor sie mit ihren zwei linken Füßen dem Feind ins Messer laufen würde, wäre dort sicher der geeignetere Platz für sie. Letzteren Gedanken sprach er ihr gegenüber aber nicht aus, wollte er doch jegliche Diskussion vermeiden. Sie wollte protestieren, doch sie gab schnell nach. „Mach schon! ... Bitte!“ Etwas Flehendes lag in seiner Stimme und als er sie durch die Eingangstür verschwinden sah, harrte er dort allein auf dem verschneiten Feld vor dem Gehöft auf die Dinge, die da kommen würde. Der Schnee reichte ihm teilweise bis zu den Knien und durchweichten seine Stulpenstiefel. So langsam wurde es recht ungemütlich an den Füßen. Seine Laune sank. Er hasste Kälte. „Schiefer ist Schiefer“, sprach er zu sich selbst. „Mal sehen, wie das klirrt!“ Ein kampeslustiges, dreckiges Grinsen legte sich auf sein Gesicht, und er zog seine drei Schwerter.

Die Schwärze der Wolkenfront zog wie eine unüberwindbare Mauer rasend auf den kleinen Hof zu. Mit ihr kam Wind auf, der sich bald zum Sturm hoch steigerte und den Schnee in frostigen Böen mit sich riss. Schon bald sah man, wie sich die Hufe der Pferde donnernd in den noch unschuldigen Schnee bohrten und ihn in seiner Reinheit befleckten. Hoch flog der Schnee zu Schwaden auf und mischte sich bizarr umhüllend um die wilde Horde. Im Gegenlicht der Morgensonne sah man die Speerspitzen hell blitzen.

„Santôryu...“ Mit drei Schwertern stellte sich Zoro in Kampfposition und schlug im passenden Moment mit „ ... Hyaku Hachi Pônd Hô!“ eine erste Schneise in die berittenen Panzerarmee. Reittiere stürzten grell wiehernd zu Boden, Knochen brachen und Schieferplatten der Panzer zerschellten klirrend wie Porzellan. Zoro schätzte, dass wohl gut die Hälfte zerstört war. Doch nun teilten sich die Reiter in einen linken und einen rechten Flügel und stoben auseinander. Er würde genau in der Mitte stehen. Und somit war ihm klar, dass schon beim ersten Angriff auf der Donnersteppe er das eigentlich Ziel war. Um jeden Preis sollte er ihnen in die Finger geraten. Guter Rat wurde nun teuer, dal dem rechten Flügel das Hauptgebäude des Gehöfts im Wege stünde. Vor dem geistigen Auge des Schwertkämpfers sah er schon die Reiterschar das Haus niedertrampeln. Ohne groß die Entscheidung abzuwägen, stürmte er auf den rechten Flügel zu, der um keinen Preis das Haus erreichen durfte. Das Niederschlagen sollte auch nicht das Problem sein, jedoch hatte nun der Linke ebenfalls das Haus erreicht. Gerade fiel scheppernd der rechte Sturmtrupp zu Boden und die Schieferplatten explodierten klirrend in der Luft. Als feine, aber harte Splitter rieselten sie mit dem feinen Schnee vom Himmel hernieder und zerschnitten Zoros Haut am ganzen Köper so zart, dass er es gar nicht bemerkt. Erst, als sich der Stoff seiner Kleidung an einigen Stellen rot färbte, wurde im gewahr, dass er verletzt war. Doch das Adrenalin in seinem Körper verdrängte jede Art von Schmerz.

Der Nachteil der zerstörten Reiter offenbarte sich sofort. Je weniger Panzerreiter es waren, desto schlauer wurden sie. Die Sache lag klar auf der Hand, denn nun musste sich der, der sie lenkte auf weniger hohle Körper konzentrieren. Zoro wetzte hinüber zum Haus, um den restlichern Panzerrittern zu vor zu kommen.

Tapfer hatte Tashigi drinnen im Haus gewartet. Angstschweiß floss ihr von der Stirn, als das Haus anfing, durch die donnernden Hufe zu vibrieren. Ebenso ängstlich kauerte die Familie in der hintersten Ecke des Raumes. Sie konnten nicht ahnen, was da auf ihren Hof zu raste. Lediglich die Alte wippte aufgeregt und voller Vorfreude mit dem Schaukelstuhl schnell hin und her und kicherte irre.

Immer wieder redete sich Tashigi ein, keine Angst haben zu müssen. Aus den Erzählungen und Berichten wusste sie, dass Zoro in der Vergangenheit schon mit ganz anderen Dingen fertig geworden war. Da müssten die paar Reiter doch wohl ein Klacks für ihn sein! Dennoch war sie unendlich nervös, umklammerte den Griff von Shigure und trat unruhig auf der Stelle hin und her. Sie blickte noch einmal zu der Familie hinüber und zu der Alten. Hatte sie sich eben getäuscht oder war auf deren Handrücken tatsächlich vollkommen verblast auch so ein gelbes Dreieck? Erschrocken wich sie zurück. Plötzlich hielt sie nichts mehr dort, wo sie war. Was passierte da draußen vor der Tür? Hatte die Alte sie etwas verpfiffen? Und Zoro? Sie stürmte zur Tür, riss sie auf und sah mit weitaufgerissenen Augen gut zehn Reiter mit gesenkten Speeren auf sie lospreschen. Reflexartig zog sie Shigure und Kashu gleichzeitig, rannte ihnen entgegen und schlug mit einer geschickten Drehung drei der Angreifer nieder. Splitter und Scherben flogen durch die Luft. Es war ein einziges Klirren und Krachen. Gerade hatte sie die Drehung vollendet, als zwei Angreifer von der Seite her einen kurzen Bogen ritten, um sie mit ihren Speeren dann zu durchbohren. Schnell reagierte sie und schlug die beiden von den Pferden. Dabei verlor sie Kashu aus ihren Händen und es blieb ihr nur noch Shigure. Durch den Gegenangriff vergaß sie aber die verbliebenen Feinde hinter sich. Sie hörte noch das Surren eines geworfenen Speeres und war dabei, ihren Kopf dem Geräusch zu zudrehen. „OH, NEIN!“ schrie sie innerlich und starrte mit panischen Augen auf des Wurfgeschoss, was in den nächsten Sekunden durch ihre Schädeldecke krachen würde, um ihr Leben auszulöschen.

Plötzlich sah sie direkt vor ihrer Nase einen hellen Schein an geschmiedetem Stahl, welcher sie blendete. Sie wurde an der Hüfte gepackt und umschlungen, dann riss es ihr den Boden unter den Füßen weg. Einen Augenblick später fiel sie in den kalten Pulverschnee. Irgendwo über ihrem Kopf krachte ein Schwert vernichtend in Panzerplatten. Danach war alles still.

Die Armee war vernichtet. In tausend Scherben lagen die Ritter umher. Ihre Pferde stoben ängstlich auseinander in die Ferne oder lagen verletzt im Schnee. Die Wolke löste sich auf und gab den herrlichen blauen Winterhimmel über allem frei. Sonnenstrahlen ließen alles wieder friedlich erscheinen, als wäre nie etwas gewesen. Doch im Schnee waren deutliche Spuren eines harten Kampfes verblieben.

Zoro rappelte sich auf und zog Tashigi unsanft am Arm auf die Füße. „Hatte ich dir nicht gesagt, im Haus zu bleiben, du Wahnsinnige?“ brüllte er sie an.

„Ich ...“, wollte sie entgegnen, doch sie war noch zu verdattert darüber, was eben gerade alles in wenigen Sekunden abgelaufen war.

„Du bist wohl komplett irre!“ Konnte sie denn einfach nicht kapieren, dass es gefährlich gewesen war? Wenn ihr etwas passiert wäre ... Diese dumme Nuss! Letzte Nacht lag sie sich noch wie ein kleiner, ängstlicher Engel an ihn geschmiegt in seinen Armen und nun war wieder dieser Zickenterror und Selbstfindungstrip am Start. Er war stinksauer. Mindestens so sauer wie damals in der kleinen Hütte, als sie Chopper verteidigen wollte. Das sah sie an seinen Augen mit den kleinen Pupille und dem unruhigen Grau. Der Ton in seiner Stimme war hart und schien keine Entschuldigung zu akzeptieren. Sein Griff an ihrem Oberarm schmerzte sie.

„Lass mich los, du ...!“ Ihn anschreiend zerrte sie, um aus dem Klammergriff zu entkommen. Die geballte Faust ihrer freien Arms sauste mehrmals gegen seinen Oberköper mehr ziellos als effektiv. Wenn er nur endlich loslassen würde.

„Hör auf“ fuhr er sie an und als keine Änderung eintrat: „Hör auf!“ Das war nun derart gebrüllt, dass sie es tatsächlich aufgab. „Dann lass mich los!“ schrie sie zurück. Das tat er dann auch und erst jetzt bemerkte sie, dass sein Unterarm eine tiefe, klaffende Wunde hatte, mal abgesehen von den vielen kleineren Wunden durch die Splitter. Der Speer des Ritters, der ihrem Kopf galt, hatte sich seinen Weg stattdessen an Zoros Arm entlang gesucht und die Unterseite aufgerissen. Schuldgefühle stiegen in ihr auf. Beschämt senkte sie ihren Blick zu Boden.

„Am Besten geht jeder wieder seinen eigenen Weg. Du ziehst echt das Pech an wie ein Magnet!“ fügte er bitter hinzu und drehte sich weg. Den Weg zum nächsten Kaff würde er schon irgendwie allein finden. Seine Stimmung war derart frostig, dass selbst der Schnee in seiner Kälte keine Konkurrenz mehr war.

Noch nie hatte sie irgendetwas so hart getroffen, wie diese Worte. Sie sank wieder auf ihre Knie in den kalten Schnee. Dicke Tränen fühlten sich in ihren Augen und kullerten wie Perlen unter ihrer Brille hervor. Wie kleine Kristalle blitzten sie in der Sonne kurz auf, bevor sie Abdrücke im pulvrigen Weiß hinterließen. Alles hatte sie kaputt gemacht: Sie hatte nicht nur ihr altes Leben bei der Marine verloren, sondern nun auch noch seine Nähe. „Aber...“ stotterte sie. Er konnte das doch nicht ernst meinen, dass er sie nun hier zurückließ. „ ... ich weiß, dass das falsch war. Und du hättest das garantiert allein hinbekommen ... Es tut mir leid!“ schluchzte sie. „Ich hatte Angst um dich“, flüsterte sie. Träne um Träne fand ebenso ihren Weg hinab in den Schnee, wie das Blut von Zoros Arm.

Er hielt inne, holte tief Luft und atmete einmal kräftig durch. Natürlich hätte er sie nicht hier zurückgelassen. So zerbrechlich, wie sie dort so saß. Voller Traurigkeit und Schuldgefühle. Nein, es hätte nie auch nur einen einzigen Grund gegeben zu gehen. Aber es musste ihr einfach mal klar gemacht werden, dass man nicht immer so kopflos handeln durfte. „Ich auch um dich ...“ nuschelte er mit dem Rücken zu ihr gedreht eher zu sich selbst als zu ihr, aber sie hatte es gehört. Während sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte, sprang sie auf und umarmte ihn von hinten. „Es tut mir so leid ...“ Als sie sich in seinen Rücken bohrt, verzog er für eine Sekunde schmerzvoll das Gesicht. Mit ihrer Tollpatschigkeit hatte sie sich ihre Nase genau in eine der vielen Wunden gelegt. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. So war sie nun mal. „Kleine, dumme Nuss ...“

Die merkwürdig anmutende Szenerie wurde von dem Mann aus dem Haus unterbrochen. Peinlich berührt und schüchtern, bat er sich kurz einmischen zu dürfen. Als Dank für die Rettung seiner Familie bot er ein leckeres Essen und eine Fahrt mit dem Schneegleiter ins nächste Dorf an. Schlagartig wurde den beiden bewusst, dass sie die ganze Zeit nicht allein gewesen waren, sondern beobachtet wurden. Der Mann stand bedröppelt mitten auf dem verschneiten Hof, die Frau wartete in der Tür und die Gören klebten mit ihren schnoddrigen Schnupfennasen an den Fensterscheiben, auf dass sie platt wurden. Der Alten war das Kichern tatsächlich vergangen und schaukelte irgendwo im Hintergrund missmutig umher. Ebenso peinlich berührt wie der Mann auf dem Feld löste sich Tashigi schnell von Zoro und bekam einen knallroten Kopf. Zoro starrte zu Boden und hoffte indes, dass der Mann nicht beim nächsten Bauernmarkt Gerüchte a la „Roronoa-Zoro-nebst-Freundin-waren-bei-uns“ streuen würde. Und wenn es doch so wäre, dann könnte er es nicht ändern. Er legte das Kapitel unter „Neues Fettnäpfchen“ ab.

Nach einer wirklich großzügigen Mahlzeit saßen sie kurze Zeit später sich gegenüber auf dem hölzernen Innenboden eines sogenannten Schneegleiter. Der Gleiter war ein Boot mit Kufen und einem großen, bunten Segel. Es gab nur einen einzigen Sitzplatz, der hinten am Ruder lag, um das ganze Gerät steuern zu können. Zum Schutz vor dem Fahrtwind waren alle in weite Decken gehüllt. Geschickte navigierte der Mann das fahrbare Teil mit einer Affengeschwindigkeit durch den Schnee, dass dieser nur so an den Seiten aufstob. In einer guten Stunde würden sie die nächste Ortschaft erreichen, die sie zu Fuß wohl erst in zwei Tagen erreicht hätten. Es würde sich um ein Piratennest an den Klippen zum North Blue handeln. Obwohl es dort nur eine einzige Straße und ausnahmslos Kneipen gab, würde dort besonders um diese Jahreszeit sehr viel Trubel herrschen. Piraten aus allen Teilen der Welt überwinterten dort.

Auf halber Wegstrecke machte sich ein Grinsen auf Zoros Gesicht breit. Er spürte die Sunny samt Crew. Hoffentlich war das Schiff startklar. Er wollte nur möglichst schnell weg von allem. Egal, wohin. Hauptsache warm!

30 - Auf zur Grandline!

Die Navigatorin der Strohhutpiratenbande hatte sich und die Crew der Thousand Sunny tatsächlich zu diesem besagten Piratennest gelotst. Die Bande war etwas verwundert, dass sie an dem kleinen, verrotteten Anlegesteg kaum noch einen freien Ankerplatz ergattern konnte und erkannte an den Flaggen so einige Möchtegern-Piratenmannschaften. Dann erklommen sie gemeinsam eine endlose Treppe mit schiefen, unregelmäßigen Stufen in der Steilwand nach oben. Eisiger Wind pfiff ihnen um die Ohren. Der Hafenmeister am Fuß der Treppe hatte sich noch lustig gemacht. Man müsse hier keine Hafengebühr zahlen. Er kassiere da lieber die Schiffe der Besatzungen ein, die auf dem Weg nach oben im Eiswind erfroren waren. Da war die Ausbeute definitiv größer. Zudem konnte er auch mitteilen, warum hier ausschließlich Piratenschiffe vor Anker lagen. Die meisten würden hier entweder überwintern oder nur kurz Vorräte fassen, um dann auf der Grandline zu überwintern. Es gäbe auf dem kürzesten Weg zur Grandline gleich eine nette Sommerinsel namens Umeshu-Shima. Wer in den nächsten Tagen noch losfahren würde, könnte noch das große Pflaumenweinfest miterleben. Es wäre das absolute Highlight der Insel, mal abgesehen von Weihnacht und Neujahr. Die Strohhüte bedankten sich für diese knappen Informationen und hatten sich dann an den Aufstieg gemacht.

Endlich kamen sie völlig außer Atem oben bei der Treppe an und standen schon mitten im Partytrubel. Menschenmassen drängelten feuchtfröhlich durch die einzige langgezogene Straße dieses kleinen Nestes. Jedes Haus war eine Kneipe, die aus allen Nähten platzen. Essen und Alkoholhaltiges türmten sich zu Bergen auf Tischen auf. Hier war eindeutig gute Stimmung. Verschiedene Musikrichtungen lärmten aus offenen Türen und Fenstern. Leichte Mädels versuchten ihre Kundschaft anzulocken und Trickbetrüger wollten einen schnellen Berri beim Hütchenspiel erhaschen. Zwischen den Häusern in kleinen Gässchen sammelten sich alle, die diesen Fetenmarathon nicht überlebt hatten oder lieber mit seinem Liebchen im Arm allein sein wollte. Durch die große Ansammlung von Menschen und die ausgelassene Feierei vergaß man schnell die Kälte. Die Strohhüte zeigten sich mehr als angenehm überrascht. So was gab es schon lange nicht mehr: eine richtig fette Party! Sie reihten sich in die Besucherströme ein, lugten in verschiedenen Bars und Kneipen, bis ihnen eine Bestimmte zusagte. Es war ein großer Saal mit großen Tischen und gemütlichen Rattanstühlen, in welche man sich so richtig reinlümmeln konnte. Zudem befand der Strohhutkapitän, dass hier das Essen am schnellsten serviert wurde. Das war das Hauptkriterium. Sanji hatte obendrein alle Hände voll zu tun, indem er jedem Schläge androhte, der „seine“ Mädels absichtlich in dem Gedrängel angrabschte oder sie einfach nur zu lange angaffte. Das war bei dem Anblick von weiteren Schönheiten in dem Trubel für ihn wirklich schwierig. In einer Ecke ergatterte die Bande einen großen, runden Tisch. Besser gesagt: Er wurde ihnen freigeräumt, denn mit der sagenumwobenen Strohhutbande wollte sich niemand freiwillig anlegen. Einen Moment später flossen Getränke im Überfluss an ihrem Tisch. Luffy schaufelte sich alles Essbare hinein und Usopp und Franky zog es schon als bald mitten unter die Leute. Chopper folgte ihnen, da der Kanonier ihm wieder irgendeinen Blödsinn und Schabernack versprochen hatte. Sanji war seinen Mädels schon lange untreu und hatte links und rechts je ein süßes, leichtbekleidete Weib im Arm, die in wohl später abservieren würden, wenn sie seine Mittellosigkeit feststellten. Robin nippte an einem Cocktail und tratschte ein wenig mit Nami, die ebenfalls an einem Getränk schlürfte. Das Gespräch war angeheitert sorglos bis zu dem Moment, wo Robin der Navigatorin erzählte, dass Tashigi zu Gast auf der Sunny war.

„Was? DIE dumme Marineschnepfe hat in meinem Bett geschlafen? Der Fußboden hätte es ja wohl auch getan!“ schnaubte sie mit hochrotem Kopf. „Und DIE hat mein teueres Badeöl benutzt? Na, DIE soll mir zwischen die Finger kommen!“ Nein, da hört bei Nami der Spaß auf. Wenigstens blieb ihr die Information erspart, dass Zoro in ein und dem selben Badewasser gesessen hatte, denn das wusste die Archäologin bekanntlich auch nicht.

Luffy schaute nur verständnislos zu seiner Navigatorin hinüber. Wenn die Marinesoldatin ihn gerettet hatte, dann wäre es doch OK? Aber Nami sah das anders und verpasste dem Gummijungen eine ihrer gefürchteten Kopfnüsse. „Nichts ist OK! Das Zeug war sündhaft teuer und nicht für so eine dumme Gans wie DIE gedacht! Und in meinem Bett lag DIE auch!“

„Na und? Dann schläfst du halt in meinem Bett, wenn deines belegt ist.“ Luffy konnte einem mit seinen Kulleraugen und seiner naiven Ader echt wahnsinnig machen.

„Was?!?!?“ kam es nur als Antwort von Nami zurück.

Robin zog lächelnd einen weiteren Zug aus ihrem Longdrinkglas. Ja, so eine Stimmung hatte sie vermisst. Es war fast alles wie früher.

Heute Abend sollten die Sorgen vergessen sein und so ließen sie es alle zusammen richtig krachen. Zoro? Ach ja, da war doch was! Ach, der würde schon klarkommen. Und so feierten sie ausgelassen. Na, wer solche Freunde hat, der bräuchte wohl keine Feinde.
 

Immer noch in die Decken gehüllt, die Tashigi und Zoro vor dem Fahrtwind auf dem Schneegleiter geschützt hatten, kämpften sie sich ebenfalls ihren Weg durch das Partyvolk. Er folgte seinem Gespür. Seine Freunde konnten nicht mehr fern sein. Ein kleiner Zwischenfall hielt sie jedoch auf.

Tashigi konnte in dem Gewühl nicht so recht folgen und verlor den Schwertkämpfer. Ihr wurde mulmig, denn hier waren nur Piraten in der Szene unterwegs und den ein oder anderen hatte sie sicherlich mal auf der Marinewache vernommen. Was würde passieren, wenn sie erkannt würde? Sie sah sich unruhig um und versuchte, ihr Gesicht zu verbergen. Und da geschah es trotzdem so schnell, ehe sie noch ihre Befürchtungen zu Ende gesponnen hatte.

„Seht mal da, Männer!“ erklang eine besoffene Stimme, die einem fettwanzigen Piraten mit Mundgeruch gehörte. An dessen Kleidung klebten Essenreste und Erbrochenes. Vermutlich war er schon länger auf dieser Veranstaltung. Darüber hinaus stankt er bestialisch nach Bier. Ebenso alle, die mit in dieser Ecke verkehrten.

„Oh, tatsächlich! Ist das nicht die Marinehure, Captain?“ grölte eine weitere Stimme eines ebenso fetten Piraten mit langen, roten Filzhaaren. Tashigi kam Ekel und Übelkeit bei dem Anblick der beiden hoch.

„Ja!“ meinte nun wieder der erste fröhlich, der tatsächlich der Anführer sein musste. „Die kleine Schlampe hatte uns doch zusammen mit diesem komischen Qualmertyp hochgenommen, als wir Schiffe gekapert hatten! Ich denke, dafür könnte sie sich mal entschuldigen!“ grölte der Typ weiter, leckte sich über die gelben, faulen Zähne und spielte an seinem entblößten Geschlecht, um seine Absichten zu unterstreichen. Der andere schubste die Prostituierte von seinem Schoß weg, die sich nun missmutig von dannen trollte. Wenn da nun dieses junge Ding an der Reihe war, dann gab es für sie selbst keine Arbeit mehr und auch keinen Verdienst. Der Rest der Mannschaft lachte lauthals darüber, sah man doch Tashigi die Angst aufsteigen. Um keinen Preis wollte sie zwischen diesen schmierigen Kerlen mitten auf dem Tisch flachgelegt werden. Sie wollte nur sofort weg, doch schon hatte sie einer der Kerle am Handgelenk gepackt. Blitzartig zog sie Shigure und hieb zu. Der Schlag ging ins Leere, denn in dem Gedränge hatten sie keine Chance, genug auszuholen und durchzuziehen. Ihr Katana wurde ihr aus der Hand gerissen und fiel irgendwo scheppernd zu Boden. Sie spürte das harte Holz des Tisches in ihrem Rücken und wie die Kerle ihr Hände und Füße festhielten. Da nutzte auch Strampeln nichts, obwohl sie doch so manch einem noch einen kräftigen Tritt verpassen konnte. Dabei kippten Bierkrüge samt Inhalt um, in deren klebrigen Pfützen sie nun lag. Gellend schrie sie um Hilfe, was im Krach der Kneipe unterging, zumal es auch nicht wirklich jemanden interessierte, ihr zu helfen. Mit Marineangehörigen hatte man kein Mitleid. Im Gegenteil: Schnell waren sogar noch einige amüsierte Schaulustige um den Tisch herum getreten. Durch den Biergeruch und die ekligen Kerle wurde ihr schlecht, und sie merkte, dass sich ihr Magen anschickte, das Frühstück von heute morgen postwendend nach oben heraus zu lassen. Sie unterdrückte den bitteren Geschmack von Magensäure in ihrem Mund.

In dem Moment, wo Tashigi ihm nicht mehr durch die Massen folgte, hatte Zoro auf dem Absatz kehrt gemacht und kämpfte sich nun mehr prügelnd als schubsend durch die Menge. Dass seine Wunde am Arm wieder aufbrach und heftig blutete, störte ihn nicht im Geringsten. Wo war sie denn nur wieder abgeblieben? Eben war sie doch noch dicht bei ihm gewesen. Er ahnte nichts Gutes und kam gerade rechtzeitig an dem Tisch an, als einer der schmierigen Kerle seiner Bande demonstrieren wollte, wie man ihr seine Zunge möglichst entwürdigend in den Rachen schieben konnte. Doch dazu sollte dieser nicht mehr kommen, da er durch Zoros Faust im Gesicht von der Tischplatte gepfeffert wurde. Sofort erstarrten die Kerle und blickten ungläubig auf den plötzlich auftauchenden Typen mitten auf dem Tisch stehend neben der Marinesoldatin. So etwas freches! Der Typ verstand wohl keinen Spaß? Oder kannte er die Regeln nicht? Der würde was zu hören bekommen! Langsam zog Zoro seine Deckenkapuze vom Kopf und gab seine Tarnung auf. Mit jedem hätten die Umherstehenden wohl gerechnet, aber nicht mit einem Roronoa Zoro, der ein Katana auf den Rädelsführer der Bande gerichtet hatte. Die Schaulustigen machten, dass sie schleunigst Land sahen, was in der überfüllten Kneipe mehr als schwer war.

„Roronoa-kun! Deine Anwesenheit ist uns eine Ehre, aber wir haben die Hure zuerst klar gemacht!“ versuchte einer der Piraten eine dreckig grinsende Erklärung abzugeben, was ihm lediglich einen gezielten Fußtritt des Schwertkämpfers ins Gesicht einbrachte, so dass dieser rückwärts samt Stuhl an die Wand krachte und dort stumm liegen blieb.

„Eure „Hure“ hat schon ein Date!“ sagte er unterkühlt zu dem Kapitän der Bande und zog Shigure langsam an dessen Halsschlagader entlang. Sie platze auf und das Blut sprudelte im Takt des Herzschlages wie ein Springbrunnen heraus. Entsetzen machte sich über soviel Brutalität breit. Zoro unterdessen versuchte jede Art von entgleisendem Hass über diesen Pöbel zu unterdrücken. Er sah auf Tashigi hinunter, die inzwischen befreit zu seinen Füßen zusammengerollt auf der Tischplatte kauerte. Bier tropfte aus ihren Haaren. Tonlos starrte sie nun mit leerem Blick vor sich her. Sie war wieder aus dieser Welt in ihre eigenes Trauma entflohen. Schlimmer, als zuvor. Der Mopp hatte versucht, dem zerbrechlichen Engel äußerst schändlich und verachtend die Flügel zu stutzen. Das war einfach unverzeihlich und schrie nach einer Strafe. Nie hatte er jemals aus Rache gekämpft, doch heute spürte er diese Wut durch sich hindurchströmen in jeden Winkel und jede Zelle seines Körpers. Bloß nicht die Beherrschung verlieren! Das war noch nie der Weg zum Ziel gewesen. Doch sein Engel lag einfach so da ... Die Meute wurde nun aggressiv und zog ebenfalls Schwerter. Die Stimmung drohte empfindlich zu kippen, bis plötzlich eine laute Stimme den Partykrach durchbrach:

„Hey Leute, was ist das denn für ein schändliches Benehmen hier? Eine Dame zwischen Bierflaschen auf dem Tisch? Das geht ja gar nicht! Mensch Zoro, bist’e Stagediving-geil oder warum stehst’e da oben rum? Darf ich bitten, kleine Lady?“ Der Cyborg der Strohhüte gesellte sich an den Tisch und reichte Tashigi die Hand, um ihr aufzuhelfen. Da sie aber keine Regung zeigte, zog der Schiffsbauer sie zu sich, um sie nicht weiter diesen hämischen Blicken umherstehender Passanten auszusetzen. Der Schwertkämpfer riss sich aus seiner Wut zurück in die Realität, grinste und hüpfte locker vom Tisch zurück auf den Fußboden. Franky war doch immer für einen Lacher zu haben. Wäre er nicht genau jetzt aufgetaucht, dann hätte es hier wohl ein Blutbad gegeben. Alle Sicherungen wären ihm durchgeknallt. Er schob das Shigure wieder in die passende Saya zurück, doch Tashigi registrierte gar nichts von allem. Sie starrte einfach durch ihn hindurch, als wäre er aus Glas. Diese Welt um sie herum war so verdammt weit weg. Auch wenn der Meute nun nicht mehr wohl war in ihrer Haut mit zwei Strohhüten an einem Tisch, so fühlten sie sich doch um ihre Frauenbeute betrogen und machten weiterhin Stress.

„Ach, ihr nervt echt!“ blubberte der Schiffsbauer und schoss mit seinem Kanonenarm einfach auf die Meute, was zu einem riesigen Loch in der Kneipenwand führte. „Na, frische Nachtluft! Genießt die mal, ihr Abschaumpack!“ Mit diesen Worten und Tashigi unter dem Arm geklemmt, deutete er mit ausgestrecktem Arm in eine Richtung und brüllte zu dem Schwertkämpfer: „Der Rest ist irgendwo dahinten! Ihr seht gewaltig fertig aus!“ Dieser nickte nur bestätigend und brüllte zurück: „Wo ist Chopper? Und die Sunny?“ Franky brüllte eine Erklärung zurück, die Zoro nur halbwegs verstand. Sie drängelten sich gemeinsam in eine Ecke, um sich nicht gleich wieder zu verlieren, und als Chopper auftauchte, zog ihn der Schwertkämpfer einfach am Geweih aus der Masse heraus. Natürlich war der kleine Arzt über das Auftauchen der beiden hocherfreut, aber über den gesundheitlichen Zustand seiner beiden Freunde mehr als schockiert. Sofort ordnete er eine Rückkehr zur Sunny und absolute Ruhe an. Eine Minute später zogen sie zu viert zurück zum Schiff, der Rest würde sie schon nicht vermissen, zumal Franky versprach, Luffy von ihrer Rückkehr zu berichten.
 

Der Rückweg über die zugige Treppe verlief schweigend und auch an Bord wurde nicht viel gesprochen. Während Franky in der Küche nach einem Mitternachtssnack Ausschau hielt, führte der erste Weg die restlichen Drei direkt in Choppers Behandlungszimmer. Erst die Hartnäckigkeit des Rentieres brachte Zoro dazu, sich wenigstens die schlimme Wunde am Arm verbinden zu lassen. Dann stand er mit verschränkten Armen an die Tür zum Essraum gelehnt und sah finster auf Tashigi, die stumm auf der Krankenliege hockte. Sie nahm nicht wahr, dass der kleine Arzt die ganze Zeit besorgt auf sie einredetet, um ihren Zustand erfahren zu können. Langsam verzweifelte das Rentier. Was war denn nur mit ihr los?

Zoro hielt es keine Sekunde mehr aus. Er verließ mit lautem Türknall das Sprechzimmer, so dass die Tür böse knarrte und wackelte. Eine rumliegende Kiste versperrte ihm den Weg. Mit voller Wucht trat er gegen sie, dass sie an der nächsten Wand zerbarst. Er dachte über Tashigi nach, wie sie endlich auf dem Wege der Besserung war und nun so eine gequirlte Scheiße! Wegen diesen paar perversen Arschlöchern! Franky lugte mit hochgezogener Augenbraue und etwas verwirrt über dieses befremdliche Verhalten über den Tresen. Der Schwertkämpfer hatte den Cyborg beim Betreten des Raumes nicht beachtet, nun platzierte er sich auf einem der Barhocker und ließ sich von Franky eine Flasche Sake reichen. Nachdem diese in einem Zug geleert war, wurde sie mit der gleichen Wut quer durch die Küche an die gegenüberliegende Wand gepfeffert, wo sie in unzählige Scherben zersplitterte und dann in diesem Zustand auf den Möbeln und dem Fußboden zur Ruhe kam. Danach raufte er sich durch seine kurzen Strubbelhaare und blieb dann mit dem Kopf in den Händen und den Ellenbogen auf dem Tresen ruhig sitzen.

„Möchtest du mir vielleicht irgendetwas mitteilen?“ fragte Franky nun recht rhetorisch, fast zynisch, und war sich klar darüber, dass er keine Antwort erhalten würde. Er dachte nach, denn dieses Bild hier hatte er doch vor gut ein paar Wochen schon mal gesehen, als sie nach Loguetown übersetzen. Es war fast wie ein Deja’vu, nur dass beim letzten Mal keine Gegenstände flogen. Der Cyborg beobachtete den Schwertkämpfer und bastelte an einem Puzzle, wo er sich fast zu blöde hielt, es richtig zusammenzusetzen. Doch dann saß auch das letzte Teil und er schalte sich dafür, dass erst jetzt der Groschen bei ihm fiel. Ha, wer hätte das jemals gedacht, dass sich ihr Haus- und Hofeisklotz an Bord jemals verlieben würde? Und da Franky eh jemand war, der gern frei heraus sprach, tat er das auch in diesem Fall: „Es ist schwer, einen geliebten Menschen so leiden zu sehen, oder?“

„Ach, quatsch...“ entgegnete Zoro nur genervt, doch er musste sich eingestehen, dass der Schiffsbauer mit seiner Frage voll ins Schwarze getroffen hatte. Es hatte irgendwann vor fast einem Jahr schleichend angefangen, dass er sie nicht mehr als nervig empfand und sich auch nicht mehr vor ihr versteckte oder gar Reiß aus nahm. Und irgendwann hatte er sich dabei ertappt, dass er überlegte, wo sie wohl gerade stecken würde auf den Weiten der Meere und wie es ihr so gehen würde. Aber mehr Beachtung hatte er dem Ganzen nicht geschenkt. Es hätte auch nicht viel Sinn gemacht. Als sie eines Tages mal wieder auf einer Insel vor Anker lagen, wo auch Smoker mit seinen Einheiten einen Zwischenstopp einlegten, war sie ihm über den Weg gelaufen. Eigentlich hatte sie ihn nicht bemerkt, wie sie da so über den Bazar schlenderte und bei dem ein oder anderen Stand die Waren begutachtete. Zur Abwechslung zu ihrer üblichen Kleidung hatte sie ein einfaches, knielanges Sommerkleid getragen und sah so verdammt süß darin aus. Doch was nutzte es letztendlich? Da sie nur darauf aus war, ihm am liebsten den Kopf abzuschlagen, hätte er nie die Gelegenheit gehabt, ihr jemals etwas derartiges wie Gefühlsduseleien mitzuteilen. Vermutlich hätte sie ihm nur vorgeworfen, dass er sie schon wieder Verschaukeln würde und das alles gar nicht ernst genommen. Wie dem auch wäre, es hätte eh absolut keine Zukunft gehabt. Aber das war ein anderes Thema. Warum weiter darüber nachdenken?

Just in diesem Augenblick kam Chopper langsam und ratlos durch die Tür und machte somit eine Fortsetzung des begonnenen Gesprächs unmöglich. Man sah ihm an, dass er mehr als traurig war. Er berichtete, dass sie wohl Untergewicht, eine Unterkühlung und unzählige Blessuren hätte, die allesamt zwar heilbar wären, aber er beklagte auch, dass er ihrer Seele nicht heilen könnte. Sie bräuchte strenge Bettruhe, regelmäßige Mahlzeiten und ihre Medizin. Mehr könnte er derzeitig nicht tun. Man merkte ihm seine Verzweiflung an und wischte sich Tränen aus den Augen.

„Weißt du denn nicht, was sie so fühlt? Du kannst doch so was!“ fragte er heulend Zoro. „Mach doch was!“ bettelte er weiter. Der Cyborg wurde hellhörig. Zoro konnte Gefühle anderer fühlen? Das wurde nun interessant.

„Was denn? Sie ist weit weg in ihrer eigenen kleinen Welt. Da krieg’ selbst ich nichts raus“ entgegnete dieser ruhig. Er hatte seine Unterarme auf die Knie gestützt und schaute nun etwas von oben herab auf das Rentier im Chibi-Format.

„Ich möchte den Teil mit den Gefühlen noch mal erklärt haben“, mischte sich der Schiffsbauer ein und erntete nur ungläubige Blicke von Zoro und Chopper. „Morgen ...“ gab Zoro an.

„Na schön, dann gehe ich jetzt los zu unserem Captain und unterrichte ihn von unserer Vollzähligkeit. Kommst du mit, Chopper? Zoro passt sicher prima allein auf die Sunny auf!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, zog der Cyborg das Rentier am Geweih unter großem Protest hinter sich her, grinste den Schwertkämpfer noch einmal aufmuntert an und polterte dann die Treppe hinunter. Zoro hörte Franky noch zu Chopper sagen: „Du schnallst aber auch gar nichts!“

„Was soll ich denn schnallen?“

„Ach, vergiss es!“

„Hey, das ist unfair. Erst Vorwürfe machen und dann keine Argumente haben!“
 

Und weg waren die beiden auf der Suche nach Luffy und dem feiernden Rest. Es dauerte nicht lange, bis sie diesen vollgefressen mit einem kugelrunden Bauch auf einem Stuhl liegen sahen. Ein Knochen einer Keule hing noch im Mundwinkel.

„Hey, wo ward ihr so lange? Wir haben euch vermisst!“ mampfte er mit vollem Mund satt, aber zufrieden.

„Wir sind wieder vollzählig! Und nu?“ meldete Franky. Es war ein geschickter Schachzug, Tashigi nicht zu erwähnen.

„Ha, das ist super. Wir fahren zur Grandline. Zu dieser coolen Insel mit den Pflaumenaprikosen. Da soll Sommer sein!“ Luffys Freude und Lachen waren gerade zu ansteckend „Auf zur Grandline!“

Alle nickten zustimmend und machten sich viele Getränke später mit dem Anbruch der Morgendämmerung auf den Rückweg zur Thousand Sunny.
 

In der Zwischenzeit hatte sich Zoro doch von seinem Hocker aufgerafft und sich hinüber in den Schlafraum begeben. Irgendwo in den unendlichen tiefen seines nie aufgeräumten Spindes musste doch sicher noch ein Hemd sein, was noch nicht dreckig, zerfetzt oder zerknüddelt war. Zu seiner eigenen Überraschung gab es so was tatsächlich nebst sauberer Unterhose. Als saubere Hose fand er nur eine Kurze, die eigentlich für den Sommer gedacht war, aber mehr wäre wohl auch zuviel des Glückes gewesen. Dann zog er noch ein weiteres Shirt aus dem Schrank, was zwar noch recht ungetragen, aber ihm schon lange zu klein war, weil er durch das Training zuviel Muskelmasse aufgebaut hatte.

So bewaffnet stapfte er zurück Richtung Bad. Der Dreck aus der Donnerebene musste so langsam mal runter. Das heiße Wasser prasselte auf seinen Rücken und brannte in den noch nicht so gut verschorften Wunden. Er ertrug den Schmerz. Morgen würde das alles schon wieder anders aussehen.

Verheilter. Man kannte es ja.

Wieder unten im Speisesaal angekommen, steckte er leise seinen Kopf durch die Tür zu Choppers Zimmer. Sie saß noch immer an Ort und Stelle, wie sie vorhin dort abgesetzt wurde. Lediglich eine warme Decke hatte das Rentier ihr umhängen können. Er war ratlos, was er ihr sagen sollte. Also legte er eine frisches Handtuch und sein Shirt neben sie auf die Krankenliege. „Falls du aus deinen dreckigen Sachen raus willst...“, begann er. „Danke!“ sagte sie leise wie ein Flüstern. Es war das erste Wort, was er seit dem Zwischenfall wieder von ihr vernahm. Tatsächlich stand sie eine ganze Weile später auf und kletterte die Leiter im Speisesaal hinauf zur Dachterrasse, von wo man in die Bibliothek und dann ins Bad gelangte. Zoro wusste nicht, wie lange er dort im Halbdunklen auf dem Sofa im Essensraum gelegen und schlaflos Löcher in die Luft gestarrt hatte. Irgendwann stand sie vor ihm. Nur mit einem Badetuch um die Hüften geworfen und seinem Shirt bekleidet, welches ihr wie ein kurzes Nachthemd herunterhing. Sie sah wirklich sehr dünn aus und war von unzähligen blauen Flecken übersät. Ihre Haut war so blass wie der Schnee von heute Morgen und der Schmetterling an ihrem Hals schimmerte geheimnisvoll Rot. Man sah, dass sie unter der Dusche ihre Haut krebsrot gerubbelt hatte, um die Stellen abzuwaschen, wo sie festgehalten worden war. Es war natürlich ein Irrglaube, dass so etwas ginge, aber Gewaltopfer neigten dazu. Sie nahm eine ebenso rote Gesichtsfarbe an und biss sich verlegen auf ihre schmalen Lippen, bis sie herausrückte: „Darf ich wieder bei dir sein? Ich habe Angst ... so ganz allein ... wenn es dunkel ist...“

Wortlos zog er sie mit sich wieder in Choppers Zimmer zurück, wo sicherlich nicht morgen früh gleich die halbe Mannschaft aufkreuzen würde. Es dauerte nur Minuten, bis sie beide einschliefen. So wie letzte Nacht. Arm in Arm und unter einer warmen, kuscheligen Decke.

31 - Kribbeln

Ein zarter Hauch hellerer Farbnuancen zeichnete sich am Nachthimmel östlich über der Redline ab. Sie gewannen an Kraft, bis erste vereinzelte Strahlen der Morgensonne das dunkle Firmament zerrissen und den Weg für eine fahle rosa Sonnenscheibe freikämpften. Diffuses Licht leuchtete über eine eiskalte Polarlandschaft. Ein letztes Polarlicht löste sich blass auf. Kaum wiederzuerkennen war die Redline nach dem Flockentanz, der zum Morgengrauen ausgesetzt hatte. Ein jeder, der jetzt nicht mehr an die frische Luft vor die Tür musste, hatte sich in irgendwelche Winkel und Ritzen verkrochen, um der Kälte zu trotzen. Selbst die Dauerparty oben auf dem Klippen im Dörfchen kam nun zu einer Schlafenspause, in welcher die Kneipiers Vorräte auffüllten, Müll beseitigten oder einfach nur mal die Tischplatten abwischten oder mit dem Besen durchfegten. Wenn der Mob ausgeschlafen hätte, dann könnte es weitergehen. Die ersten Hochrechnungen an Umsätzen ließen Wirtsaugen wie Gold leuchten und alle ihre Müdigkeit und Anstrengung vergessen.

Drunten in dem kleinen Hafen hatte die Kälte Planken und Taue der vor Anker liegenden Schiffe mit Eis überzogen, ebenso die Holzplanken und auch die steile Treppe hinunter zu den Anlegestellen. Für so manch einen war das der sichere Absturz auf dem Weg zu seinem Schiff oder bereits der zweite Absturz, wenn er schon den ersten durch Alkoholkonsum hinter sich gebracht hatte. Der Hafenmeister rieb sich über so viele gebrochene Knochen eifrig die Hände. Da sprang doch sicher Beute für ihn heraus.

Ansonsten war es ungewöhnlich ruhig in dem kleinen Hafen. Nur das Plätschern der Wellen gegen die Schiffsrümpfe war zu vernehmen, die bei dem leichtem Wellengang auf- und abwogen wie eine Schaukel. Es war friedlich und still. Bis plötzlich erst ein lautes Rufen, gefolgt von lautem Geschrei und Poltern die Lieblichkeit des frischen Morgens vollkommen in den Tod jagte.

„Ha, wir sind fast da! Sanji, ich habe Hunger! Gibt’s schon Frühstück? Wa- ?! Scheiße, ist das glatt hier!“ Und schon hopste Luffy wie ein Gummiball die einzelnen Stufen gen Tiefe. Nami kreischt ihn wutschnaubend vom oberen Treppenabsatz über sein Ungeschick an, während sich die restliche Strohhutmitglieder die Köpfe vor soviel Dummheit hielten. Solche Dinge beherrschte einfach nur Luffy. Wohl kaum jemand sonst.

Fast ganz am anderen Ende der Pier lag die Sunny, wo hinüberwehende Fetzen des Krachs das Signal für Zoro waren, sich aufzurappeln. Längst hatte er gemerkt, dass die Truppe auf dem Rückmarsch war, aber bei der hellwachen Stimmung seiner Freunde wäre es besser, sich nicht sofort über den Weg zu laufen. Lang genug hatte er den Geräuschen gelauscht und deren Gefühle wallen lassen, nun öffnete er allmählich die Augen und blinzelte verschlafen umher. Es war durch die Dämmerung bereits so hell, dass man problemlos Umrisse von Gegenständen im Raum erkennen und die Schrift auf den Buchrücken der Medizinliteratur entziffern konnte. Weiter standen auf Choppers Schreibtisch einige Reagenzgläser in Haltern, Stehkolben und Tiegel, die zum Teil mit unbekannten chemischen Verbindungen gefüllt waren. Der kleine Arzt war wirklich sehr gründlich mit seiner Arbeit, denn sein Zimmer war sehr ordentlich aufgeräumt und alles an Utensilien in Reih’ und Glied wie mit dem Geodreieck in die Regale sortiert. Staubkörner suchte man hier bisher vergeblich. Tashigis dreckiger Kleiderhaufen mitten auf dem Zimmerfußboden wirkte vollkommen deplaziert. Sicher würde das Rentier ihr verzeihen, denn er mochte sie sehr und würde jeden ihrer Schritte in Richtung Genesung begrüßen.

Zoro schob seinen verletzten Arm unter der Decke hervor. Der Verband hatte sich gelockert und deutete darauf hin, dass ein Verbandswechsel angemessen wäre. Zumindest würde Chopper darauf bestehen. Ihm selbst war es vollkommen egal. So eine Schramme war eine Nebensächlichkeit und mittlerweile Alltag. Er rutsche etwas höher auf der Krankenliege und lehnte sich rücklings an die Wand. Unter der Decke seitlich auf der Pritsche regte sich nun etwas. Tashigi war durch diese Bewegung erwacht und lugte schlaftrunken hervor.

„Ich muss los, Süße!“ drang ein Flüstern an ihr Ohr.

„Hm...“ klang es missbilligend unter der Decke hervor. Sie rekelte sich an ihm empor, bis ihr Kopf nahe seines Halses lag. Zwei Arme schlangen sich entrüstet um seinen Oberkörper und zwei Beine klammerten sich um die Seinigen. Um gar keinen Preis sollte das neu entdeckte Kuscheltier wieder verloren gehen. Sein Shirt, welches sie trug, war ihr viel zu groß. Der weite Halsausschnitt mit der offenen Knopfleiste gab den Blick auf viel blasse Haut ihres Schulterbereiches frei und rutschte nun noch einseitig den halben Oberarm herunter. Das war eindeutig zuviel Haut. Ein sanfter Hauch ihres Atmens kitzelte seine Hals und ihre Haare streichelten seine Wange wie die feinste Versuchung.

Perplex schielte Zoro auf diese klammernde Verführung. Dafür, dass es ihr vor einigen Stunden noch sehr schlecht ging, hatte sich das Blatt eben augenscheinlich rapide gewendet. Entweder war sie aus ihrer Traumwelt noch nicht zurückgekehrt und nahm ihr süßes Spiel mit ihm gerade gar nicht wahr oder ... Nein, ihr Herz sprach eine ganz andere Sprache, was sie innerlich begehrte und er war definitiv das Corpus Delicti. Ganz böse Falle! Schnell zog er die Decke über sie beide so hoch, dass nur noch ihr Kopf herausschaute. Dabei verdrängt er, dass Hitze- und Kälteschauer auf seinem Rücken Fangen spielten, sein Herz in seinem Brustkorb vor lauter Schlagen Platzangst bekam und seine Fantasien im Kopf übelst aus sämtlichen Schienen sprangen. Und was machte dieses dreiste Weib? Lauschte seinem aufgewühlten Herzschlag und lachte leise.

„Bist du nervös?“ Dabei blickte sie ihn mit diesem unschuldigen Engelsblick an, dass man gar nicht glauben mochte, was für ein kleines, süßes Biest sich hinter dieser Tarnmaske verbarg. Natürlich war er unglaublich nervös, was es nun geschickt zu überspielen galt. Und Angriff war schon immer die beste Verteidigung!

„Nö, du vielleicht?“ Seine Hände glitten unter die Decke zu ihren Schulterblättern, dann über ihre schmalen Lenden bis dorthin, wo das Shirt endete und das Badetuch begann. Dabei fixierte er seinen Blick auf ihre Haupt, um eine Reaktion zu deuten. Ein heißes Kribbeln entbrannte unter ihrer Haut, wo sie die Berührungen spürte, und zogen eine unsichtbare Spur den Rücken zu Tale. Sie genoss jedes Tasten und zog es auf wie ein Schwamm das Wasser aufziehen würde.

Als sich sanfte Fingerspitzen vorsichtig unter das Tuch wagten und eine Entdeckungsreise auf ihrer nackten Haut ertasteten, wurde Tashigi schlagartig klar, dass sie hier ein dummes und gefährliches Spiel begonnen hatte. Solche Spiele konnte man vielleicht aus jugendlichem Leichtsinn heraus mit unerfahrenen Rotzlöffeln aus der Nachbarschaft spielen, aber wohl kaum mit einem ausgewachsenen Kerl. Der hätte sicher andere Vorstellungen. Es durchzuckte sie wie ein Blitzschlag und ihr Gesicht ließ sich mit einem Kessel Glühwein vergleichen: dunkelrot und kochend heiß. Reflexartig gab sie ihre Umklammerung auf und zog die Arme mit geballten Fäusten schützend an ihren Oberkörper. Dabei verbarg sie ihr Gesicht in seinem Hemd, denn dieser Farbzustand war ihr furchtbar peinlich. Überhaupt war ihr nun diese ganze Situation mehr als peinlich. Was war denn verdammt noch mal einfach in sie gefahren? Sie hielt nur noch still wie ein steifes Brett und wartete, was da nun noch folgen würde. Bestimmt nichts Gutes. Und bestimmt wollte er sich nun einfach nur eine süße Belohung abholen, dass er sie seit der Donnersteppe bis hierher im Schlepptau gehabt hatte. Wie blöde und vertrauensselig sie doch gewesen war. Liebe machte eben blind.

Nun war es Zoro, der den Spaß auf seiner Seite hatte. Und amüsierte sich, wie sie da so lag und die wildesten Vorstellungen ihr einen Streich spielten. Was ging nur manchmal in ihrem kleinen Köpfchen alles so ab? Hach, man konnte sie so herrlich aufziehen. Er nutzte die Gunst der Stunde, um seiner menschlichen Fessel zu entkommen und saß nun geschickt herausgerollt auf der Liegenkante. Sie hatte sich hingegen unter der Decke mit dem Rücken zu ihm zusammengerollt und schob ein schlechtes Gewissen vor sich her. Noch für eine kurze Weile sah er zu ihr. Dann stand er auf und ging.

„Sieh zu, dass du wieder schnell auf die Beine kommst!“ hörte sie noch leise seine Bitte, gefolgt von dem Klappern der schließenden Tür.
 

Kaum hatte er eiligst die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassen, lehnte er sich rücklings gegen jenige, legte mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken gegen das harte Holz und atmete tief durch. Einmal, zweimal, dreimal. Was war das denn eben? Nur ein paar Sekunden später und er wäre keinen Deut besser gewesen als die schmierigen Kerle oben aus der Kneipe. Nur ein paar Sekunden ... „Ich habe mich total einwickeln lassen!“ tadelte er sich innerlich selbst. Das durfte ihm nicht noch einmal passieren. Was fiel diesem Weib überhaupt ein? Sie machte ihn kirre und wenn es so weiter gehen würde, dann wäre sich mit Sicherheit sein Untergang. Die Schuld bei Tashigi suchend, stapfte er aus der Essküche heraus Richtung Hauptmast. „Die ist doch komplett irre!“ grummelte er vor sich her. Abrupt stoppte er und dachte sich sauer: „Die will mich ärgern!“ Wütend schnaubte er kurz und kletterte dann zum Krähennest empor. „Die muss doch echt kapieren, dass zwischen uns einfach nichts laufen kann. Das passt doch hinten und vorne nicht“, spukten Ausflüchte in seinem Kopf weiter. Er schmiss die Einstiegsluke krachend hinter sich zu, schnappte sich eine Hantel und starrte durch die Fenster die lange Kaimauer entlang, die sich unterhalb erstreckte. Dringend brauchte er jetzt Ablenkung. Aber er fand sie einfach nicht, so sehr er sich auch bemühte. Die Gedanken wanden sich wie Schlangen und verknoteten sich zu einem großen Wirrwarr, dass er Kopfschmerzen bekam.

Unten auf der Pier rutschten und schlitterten mehr oder weniger geschickt die Crew der Thousand Sunny heran. Bald wäre hier wieder Leben in der Bude. Zoro grinste bei dem Anblick der bunten Schar. Luffy, Usopp und Chopper schlitterten um die Wette und fanden die ungeplante Eisbahn einfach nur lustig. Sanji war arg bemüht, die beiden Damen des Teams seine charmante Hilfe anzubieten und unterzuhaken, damit sie nicht auf dem Eis stürzten. Eins ums andere bekam er einen Korb von Nami und Robin, die souverän und trittsicher über das Eis gingen, als würden sie schweben. Hinten dran folgte ihnen allen Franky, der eine Miene zog, als würde er bereuen, in diesem Kindergarten gelandet zu sein. Obwohl sie alle schon so lange beisammen waren, Abenteuer durchstanden hatten und reifer geworden waren, so waren sie im tiefsten ihres Herzens immer noch die Alten. Und das machte sie liebenswert. Bis auf Sanji. Dem hatte der Schwertkämpfer ewigen Hass geschworen. Sicher war der Koch im Kampf ein guter Mitstreiter, aber wie konnte man nur so baggern, dass es eimerweise tropfte? Da musste man doch cholerisch reagieren! Wie hielten die Mädels das überhaupt aus mit dem? Nun ja, sie hatten einen hervorragenden Weg gefunden, seine Dummheit auszunutzen und als Haus- und Hofdiener nutze er den Frauen allemal.

Die Mannschaft hatte ihr Schiff erreicht. „Zoro!“ brüllte der Strohhutjunge lachend. „Wir sind wieder da!“ Der Angesprochene legte die Hantel an ihren alten Platz zurück und seufzte. Auf diese Logik wäre er bei dem Krach wohl nie gekommen, resümierte er zynisch. Er erhob sich nun doch und kletterte wieder hinab. Auf der Merry hatte ein Sprung hinunter gereicht, doch der Masten der Sunny war doppelt so hoch. Nicht, dass ihn so etwas stören würde, aber als er einfach aus Faulheit heruntergesprungen war und doch einen empfindlichen Dellenabdruck im Rasendeck hinterlassen hatte, gab es eine Gardinenpredigt von Franky, wie schädlich und schändlich das für die Sunny wäre. Einen Disput mit dem Cyborg sollte man stets aus dem Wege gehen, wenn man nicht für niedere Reparaturarbeiten eingespannt werden wollte. Also wurde nun geklettert, zumindest wenn der Schiffsbauer in der Nähe war.

Nun waren die ganze Mannschaft wieder vereint und drängelten sich an ihren Esstisch mit einer Tasse Morgenkaffee in den Händen.

„Hey, Zoro! Chopper und Usopp haben schon alles erzählt von der irren Orakeltreppe und so! Das war bestimmt ein cooles Abenteuer!“ sprudelte Luffy los und Zoro dachte nur, dass diese praktische wäre. So müsse er selber nichts mehr ergänzen.

„Und die haben erzählt, dass du noch so cool Dinge kannst!“ Der Kapitän strahlte vor Neugier wie die Sonne selbst, während der Schwertkämpfer für den Bruchteil der Sekunde Farbe im Gesicht verlor. Konnten die beiden Idioten nicht einmal im Suff die Klappe halten? Er starrte böse auf die beiden Tratschtüten hinüber, die beschämt so taten, als hätten sie nichts angestellt.

„Was kannst du denn so?“ plapperte Luffy weiter und schaffte es nebenbei, seinen Kaffee in einem Zug zu leeren. Erst zu spät merkte er, dass das Getränk noch kochend heiß war. Und so spuckte er zeternd die schwarze Brühe wieder in die Tasse zurück. Vom Rest der Crew kam nur ein stummer Seufzer.

„Geister sehen, Teufelskräfte durch Berührung blocken und Gefühle von anderen lesen“ kam es nur kurz und knapp aus Zoros Mund. Er füllte sich derweilen wie ein Alien angestarrt.

„Cool! Was fühle ich denn so?“ Der Gummijunge war Feuer und Flamme und machte dabei Augen so groß wie Pizzateller.

„Das du eben total neugierig und aufgeregt bist!“ antwortete der Schwertkämpfer genervt und hoffte, dass Luffy nicht weiter Details wissen wollte. Die ganze Aktion wurde ihm nun extrem unangenehm.

„Hey, das stimmt sogar!“ Der Captain konnte es nicht fassen, während die Restmannschaft fast geschlossen von ihren Stühlen fiel. Für diese Analyse hätte man definitiv keine Zauberkräfte gebraucht. Das hätte ein jeder mit einem Funken Menschenkenntnis deuten können. Luffy war einfach nur kindisch blöde in solchen Situationen.

„Na schön, Marimo! Wenn du in meinem Gefühlshaushalt rumstocherst, dann kannst du dein blaues Wunder erleben!“ brüllte plötzlich Sanji laut in die Runde. Dieser aktuelle Geistesblitz hatte ihn vom Stuhl gerissen und er hob drohend die Faust gegen Zoro, der einfach nur hinter seiner Tasse dreckig hervorgrinste:

„Du bist doch schon längst durchanalysiert. Da gab’s ja nicht viel zu stochern!“

Für den Koch war die Antwort mehr als genug, um von Zorn und Weißglut angereichert sich ohne Vorwarnung auf seinen Rivalen stürzen. Fäuste flogen, Schwert krachte gegen heftige Kicks. Rücksichtslos schepperten Tassen zu Boden. Die beiden Streithähne hatten sich wiedergefunden wie eh und je. Der Navigatorin wurde es zu bunt und brüllt die beiden an, den Kampf zu beenden. Auch der Schiffsbauer hatte sich nun von seinem Platz erhoben. Die Streithähne waren ihm egal, aber seine Sorge galt einzig und allein dem Schiff. Das würde er sich von diesen beiden jungen Hüpfern um keinen Preis klein schlagen lassen. Der einzige, der seinen Spaß hatte und sich über seine wiedervereinte Mannschaft freute, war Luffy. Er lachte aus vollem Hals und gab dann das Kommando zum Weitersegeln, denn er wollte unbedingt diese tolle Sommerinsel sehen. Leicht wäre sie zu finden, denn sie wäre so langgestreckt, dass sie von der Grandline über den Calm Belt bis in den North Blue reichen würde. Nami verdrehte die Augen. Sie war totmüde und wollte nur noch in ihre Bett. Weiterfahren könnten sie auch, wenn sie alle ausgeschlafen wären, mischte sie sich in Luffys Pläne mit ein. Ihr schlackerten die Ohren, als nun Chopper naiv sagte, er würde mal nach seiner Patientin sehen. Patientin? Hatten sie Gäste an Bord?

Das Rentier merkte nun siedend heiß, dass es sich verraten hatte und dieser Fehler nicht rückgängig zu machen war. Stotternd und schwitzend bastelte er einen Satz zusammen, dass er doch erwähnte hätte, wie sie in der Donnerebene auf Tashigi getroffen wären und die, nun ja, war nun hier!

„Was?“ Nami war außer sich. „Was macht DIE hier auf unserem Schiff? Weißt du was DIE letztes Mal hier alles gemacht hat?“ Sie spukte Gift und Galle. Der kleine Arzt bettelte seinen Kapitän an, sie bleiben zu lassen, denn ihr Zustand wäre äußerst bedenklich und außerdem wäre es ihr zu verdanken, dass Luffy frei wäre. Franky und Usopp nickten zustimmend. Beide hatten Tashigis schlecht körperlichen Zustand wahrgenommen. Selbst Robin schloss sich der Diagnose des Arztes an. Nami starrte fassungslos in die Runde. Sie konnte niemanden für ihren Standpunkt gewinnen. Allein Sanji war etwas skeptisch. Hatte er doch von früher die Marinesoldatin nur als dumm und tollpatschig in Erinnerung und mit ihrem Modegeschmack und ihrer Brille so dick wie Biergläser war sie nicht gerade ein Topmodel. Doch bei dem Gedanken, in Zukunft drei Damen an Bord verwöhnen zu können, strahlte sein Herzauge im schönsten Pink wie eine Neonreklame.

Es war nun plötzlich der Moment, wo Luffy sehr ernst sein konnte. Stille kehrte ein und alle Blicken hafteten an ihm. Er dachte kurz nach und verkündete dann: „Sie bleibt, bis sie gesund ist. Dann will ich mit ihr reden!“ Damit war die Entscheidung gefallen. Nami musste aufgeben. Sie kannte ihren Chef viel zu gut. Einwände würden in seinem Gehörgang keinen Platz finden. Und so verzog sich jeder aus der Truppe in sein Bett, um sich noch ein paar Stunden Schlaf vor der Weiterreise zu gönnen.
 

Tashigi hatte nicht wieder einschlafen können, obwohl sie es sich wieder gemütlich gemacht hatte. Sie war noch zu sehr aufgewühlt gewesen. Ihre Arme hatte sie um ihren Leib geschlagen, als würde man ihr das Shirt in der nächsten Sekunde wegnehmen. Sein Shirt! Es roch nach ihm, wie die Decke und das Kopfkissen. Sie bildete sich ein, seine Wärme und Nähe zu spüren. Ebenso seine Hände auf ihrem Rücken und ihrer Haut. Ihre Fantasie jagte ihre wohlige Schauer über den Rücken. Sie schloss die Augen und genoss dieses Gefühl. Seit langem fühlte sie sich wieder etwas glücklicher und zufriedener.

Natürlich war ihr die Ankunft der Crew auf dem Schiff nicht verborgen geblieben. Auch hatte sie die Gespräche genau belauscht. Es war merkwürdig. Vor ein einem guten Vierteljahr war sie noch auf der Jagd nach der Bande gewesen und nun lag sie hier wie ein Mitglied im Krankenzimmer und wurde umsorgt. Ein Stoßgebet schickte sie flehend zum Himmel, als Luffy seine Entscheidung fällt. Für seine positive Antwort war sie ihm unendlich dankbar.

Plötzlich ging die Tür auf. Chopper schlich sich herein, um fürsorglich nach seiner Patientin zu sehen. Überglücklich fiel er ihr um den Hals, als sie sich aufsetzte und ihm einen „Guten Morgen“ wünschte. Sie sprach mit ihm und machte gar nicht so einen schlimmen Suizideindruck wie noch vor ein paar Stunden! Seine Freude war grenzenlos. Natürlich versprach er, ihr Kleidung in Usopps Waschautomat zu werfen und begann auch sogleich, sie gründlich zu untersuchen. Er verordnete eine strenge Bettruhe, Medikamente und eine Diät, damit sich ihr Magen wieder an regelmäßiges Essen gewöhnen würde. Während er den Diätplan für Sanjis Kochplanung schrieb und die richtige Dosis Medizin ermittelte, hatte sich die junge Frau in das Reich der Träume verabschiedet. Es war der gesunde Schlaf der Genesung. Chopper lächelte. Er wusste nicht, was Zoro so gemacht hatte, aber irgendwas musste es gewesen sein. Ganz so, wie er ihn darum gebeten hatte, ihr zu helfen. Alles andere war uninteressant. Mit dem Diätplan verließ er strahlend den Raum und pappte noch ein weiteres Schild von außen an seine Praxistür: „Absolute Ruhezone!“ peinlichst achtete er nun genau darauf, dass sich die Crew daran hielten.

Die nächsten Tage schlief Tashigi fast ausnahmslos durch. Selten war sie wach, um einen köstlichen Happen von Sanjis Spezialitäten zu kosten oder den Gang zur Toilette anzutreten. Sie freute sich sogar, dass gelegentlich mal Usopp oder Franky seine Kopf in den Raum stecke und sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte, wenn es das Rentier nicht mitbekam. Doch den, den sie am sehnlichsten erwartete, ließ sich nicht blicken. Das machte sie traurig. „Du fühlst doch, dass ich traurig bin! Du fehlst mir so!“ dachte sie, doch Zoro tauchte nicht auf. Und so verging wieder ein Tag um den nächsten.

Eines Nachts wachte sie. Etwas hatte sie geweckt. Sie lauschte und hörte Schritte nebenan im Essraum, die sich entfernten. Erst im nächsten Moment wurde ihr gewahr, dass in dem Raum ein sanfter Lichtschein flackerte. Sie drehte sich um und konnte schemenhaft eine Kerzenflamme erkennen. Was war denn da der Rest, wo die Kerze drin steckte? Wo war denn nur ihre verflixte Brille?

Unbeholfen patsche sie auf den Schreibtisch zu, wo ihre Brille und das mysteriöse Feuer waren. Mehrmals setzte sie die Brille auf und ab, putze sie und hielt es für einen Traum, was sich da durch ihre Brillengläser scharf sehen ließ. Sie streckte gar die Hand aus und tippte mit dem Zeigefinger hinein. Zarteste Schokoladensahne klebte nun daran. Sie steckte den Finger in den Mund und leckte ihn genüsslich ab. Wie süß das schmeckte! Sie schloss die Augen und ließ diesen himmlischen Genuss auf der Zunge zergehen. Der Biskuitboden war lockerleicht wie Zuckerwatte. So ein herrliches Tortenstück hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie genascht. Sanji hatte wirklich unschlagbare Kochkünste. Das musste man ihm lassen. Bedächtig aß sie die Hälfte des Stückes auf, bis zu der Stelle, wo recht windschief die brennende Kerze oben in die weiche Sahnemasse hineingesteckt war. Dabei schweifte ihr Blick an der Wand über dem Schreibtisch entlang, wo der Kalender hing. Sie erstarrte für einen Moment. Hatte sie so viele Tage verschlafen? Seit Ende September befand sie sich an Bord und es waren fast mehr als 10 Tage vergangen. Als sie zuvor mal zwischendurch aufgewacht war, hatte sie dem Kalender keine große Beachtung geschenkt. Doch da war es nun rot auf weiß über die Zahlen durchgekreuzt: Es war die Nacht vom 5. auf den 6. Oktober.

Erst jetzt machte es „Klick“ und der zuvor noch rundgefeilte Groschen fiel endlich. Ein Geburtstagskuchen! Sie schlug die Hand vor den Mund und heulte vor Freude. Es konnte nur einen geben, der ihr Geburtsdatum wissen konnte, und dass er genau DAS wusste, war mehr als erstaunlich.

„Das ist so süß von dir...!“ sprach sie leise zu sich selbst.

„Danke!“ kam eine wohlbekannte Stimme aus der Zimmerecke hinter ihr. Sie schrak auf und wagte es kaum, sich umzudrehen. Hatte sie nicht vorhin Schritte weggehen gehört? Dann fuhr sie doch herum, wobei sie sich so ungeschickt anstellte, dass der Tortenrest samt Kerze seinen Absturz zum Fußboden suchte und das Licht erlosch. Aber in der kurzen Sequenz hatte sie ihn noch dort mit dem Rücken zur Wand gelehnt auf dem Fußboden sitzen sehen. Die Arme auf die Knie gestützt und frech grinsend. Doch nun herrschte absolute Dunkelheit.

„Du bist und bleibst eine kleine, dumme Nuss!“ wurde sie lachend getadelt.

32 - Ankunft auf Umeshu-Shima

Das Aufblitzen einer Taschenlampe warf eine kegelförmige Scheibe an die hölzerne Zimmerdecke und als sich die Augen an den neuen Lichtschein gewöhnt hatten, sah man am Boden liegend unter Schokosahnematsch noch die Scherben des zerbrochenen Kuchentellers. Tashigi jammerte mehrmals verzweifelt, dass es sicherlich keine Absicht war und Zoro konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, wodurch sie sehr böse wurde. Sie maulte ihn an und bedauerte zugleich das Häufchen Naschwerk auf dem Fußboden, welches ihr nun entgangen war. Schnell war das Missgeschick gemeinsam mit Wischlappen aufgewischt und praktischerweise durch die Balkontür über Bord gegangen. Sollten die Fische heute Nacht noch etwas besonders Gutes als Betthupferl genießen. Nebenbei klärte sich auch für Tashigi auf, dass die Schritte, welche sie vernommen hatte, Usopp gehörten. Woher hätte Zoro auch wissen sollen, wo hier auf dem Schiff Kerzen wären? Der Hobbybastler wusste so etwas, wenn er auch nicht genau kapierte, was der Schwertkämpfer damit um diese Uhrzeit fern von Gut und Böse beschicken wollte. Für so ein kleines Wachsstück mit Docht wurde man mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Na, das würde am nächsten Morgen noch Ärger geben, dachte sich der Kanonier entnervt und verkroch sich wieder in sein heißgeliebtes Etagenbett, welches am anderen Ende der Sunny seinen Besitzer vermisste.

„Gehst du schon wieder?“ fragte sie ihn traurig, als er schon in der Tür stand. Es war nur eine einfache Frage, aber die Worte fuhren scharf wie ein Dolch in seinen Rücken. Musste sie diesen Satz nun sagen? Die letzten zehn Tag an Bord waren an ihr vorübergezogen. Still und leise. Sie hatte die meiste Zeit geschlafen und lag dort in Decken gehüllt in Choppers Behandlungszimmer eingeschlossen wie in einem Kokon. Es zog an ihr vorüber, dass er sich ebenfalls oben im Krähennest in seinen eigenen Kokon zurückgezogen hatte. Aus Selbstschutz versteht sich. Der Haussegen auf dem Schiff hing mehr als schief und drohte herunter zu fallen. Er wusste genau, was da unten zu seinen Füßen an Deck los war. Die Crew redete und tratschte über ihn. Misstrauen und Verachtung schwappte ihm entgegen, ebenso Neugier und Faszination. Einzig und allein Chopper bewies weiterhin seine Freundschaft und behandelte ihn wie immer: freundlich, nett und aufmerksam. Lange schon hatte sich das Rentier an den Gedanken gewöhnt, einen Halbdämon zum Freund zu haben. Selbst Usopp verhielt sich normal, denn er war dabei gewesen, als Zoro die eine Nacht begann, vor ihren Augen aus zu blühen. Der Scharfschütze hatte damals verstanden und schaffte es gar, Franky zu überzeugen.

Der Cyborg war mehr als misstrauisch und fühlte sich verraten und verkauft. Wer weiß, wie lange man schon diesem großen Lauschangriff von Zoro ausgesetzt gewesen war. So wurden bis tief in die Nächte Diskussionen unten im Bastelraum geführt, ob es nun Verrat war oder nicht. Wenigstens gelang es ihnen, ihre neuste Erfindung in die Tat umzusetzen. Nach „Usopps Waschautomat“ folgte nun „Usopps und Frankys Geschirrautomat“. Es hatte viele kaputte Teller gekostet, bis es klappte und Sanji hatte sich oft gefragt, ob Luffy wirklich die Teller mitfraß, weil es immer weniger im Schrank wurden. Doch nun wurde tief im Bauch der Sunny zwischen Holz, Metall und Werkzeug das Sakefass geöffnet. Nie wieder Abwaschen! Und während sich das Sakefass leerte, wurde auch beschlossen, dass Zoro ein prima Freund wäre und er sie niemals verraten würde. Bis auf das eine mal, als er Saga half. Aber wer wäre schon so kleinlich?

Robin hingegen war auch kaum noch zu sehen. Wie gewöhnlich saß sie stundenlang hinter ihren Büchern und recherchierte. Aber musste sie ausgerechnet „Hanyô“ als Bearbeitungsthema auswählen? Vermutlich wusste diese Frau schon lange mehr über Hintergrund und Geschichte als ihr heimlich ausgegucktes Anschauungsobjekt selbst. Wie schön, dass sie ihre Kenntnisse so rein gar nicht mit Zoro teilen wollte! Das wäre doch wohl das Mindeste gewesen. Sie lächelte ihn nur geheimnisvoll an und drehte sich weg. Aus dieser Frau würde der Schwertkämpfer niemals schlau werden und Punkte auf Zoros Beliebtheitsskala brachte es der Archäologin auch nicht. Dort war sie mehr als gesunken. Besonders seit dem Tag wo, Tashigi ihm anvertraut hatte auf ihrem Weg über die Donnersteppe, wie Robin ihr in Arabasta das Knie verdreht und ihr Shigure an den Hals gehalten hatte. Natürlich waren damals die Umstände in der Wüstenstadt vollkommen anders gewesen, aber das war dem Schwertkämpfer mehr als egal.

Luffy fand das alles sehr spannend und nervte ihn. Gern hätte er darüber mehr gewusst, doch Antworten blieben im verborgen. Für Sanji war es ein gefundenes Fressen, in diese neu entdeckte Schwachstelle seines Erzrivalen kräftig zu bohren. Nicht nur, dass er ihn mit Beleidigungen wie „Missgeburt“ oder „Hurensohn“ beschimpfte. Nein, er schloss ihn gar von allen Mahlzeiten aus, denn man wisse ja nie, was der Teufel so als nächstes treiben würde. Und den Teufel sollte man nie zu Tisch bitten. Es folgte jedes Mal unweigerlich eine wilde Prügelei zwischen den beiden Kampfhähnen. Zu Beginn hatte der Schwertkämpfer nur versucht, dem Koch das blöde Maul zu stopfen und ihn kräftig mit der Saya wie mit einem Baseballschläger übelst verprügelt. Doch als er dann seine Schwerter zog und Sanji seinerseits Feuerkicks losjagte, hörte selbst für jemanden wie Luffy der Spaß auf. Er drohte, die beiden mitten auf See über Bord zu werfen, wenn hier nicht augenblicklich wieder alltagsübliches Benehmen vorherrschen würde.

Auch musste der Kapitän kräftig seiner Navigatorin den Kopf waschen, als es um Tashigis Kleidung ging. Diese war zwar gereinigt worden, doch mehr als den Mantel, ein Oberteil mit Hose, Stiefel und Unterwäsche besaß sie nicht mehr. Bis zu nächsten Insel sollte sie nicht tagtäglich mit den selben Klamotten auskommen müssen. Ein paar Sachen zum Wechsel wären vorübergehend nicht schlecht. Da Nami und Tashigi annähernd gleichgroß waren, lag es nahe, dass die Navigatorin doch bitte einmal ihre Tonnen von Klamotten durchsuchen könnte, um wenigstens ein T-Shirt oder einen Pullover rauszurücken. Natürlich weigerte sie sich, bis dem Strohhutjungen der Kragen platzte.

„Du geldgeile Kuh! Früher hast du Geld gehortet und seit ein paar Monaten schmeißt du es plötzlich wie Staub aus dem Fenster! Du hast so viele von den Stofffummeln, von denen du noch nicht mal alle getragen hast und da schleppen wir dir neulich schon wieder die nächsten Tüten nach Hause! Da kannst du ja wohl mal ein einziges Teil abgeben! Vielleicht macht die Sunny deshalb in letzter Zeit so wenig Fahrt, weil wir deinen ganzen Scheiß als Zusatzgewicht mitschleppen müssen?“ brüllte er sie an. Das stimmt zwar so nicht ganz, aber die Wirkung war erreicht. Es folgten noch einige andere harte Wort, die niemand je aus Luffys Mund gehört hatte, bis Nami heulend nach draußen lief. Es war das aller erste Mal, dass die Rüge ihres Captains sie zum Weinen brachte. Es zerriss ihm das Herz, als er sie so weinen sah. Später würde er sich dafür entschuldigen und sie zum Trost gar in den Arm nehmen und einen dicken Schmatzer auf die Stirn drücken. Später! Es tat ihm mehr als leid, aber eben war er von seiner Mannschaft und ihrem unkameradschaftlichen Verhalten mehr als angepisst und enttäuscht. Er hatte gehofft, dass sich alle am Riemen reißen würden und sie einfach weiterfahren könnten wie bisher, doch dem war nicht so. Er zog seinen Strohhut tief ins Gesicht und zog sich auf seinen Lieblingsplatz vorn auf der Galionsfigur zurück. Allein wollte er über alles nachdenken.

Auch der Schwertkämpfer hatte oft oben im Krähennest nachgedacht. Er hatte diese Dinge kommen sehen. Damals war es der Hauptgrund gewesen, warum er gegangen war und die Crew hinter sich ließ. Er hätte einfach nicht zurückkehren dürfen. Somit wären allen dieses Theater erspart geblieben. Stattdessen tobte Zwietracht in der Mannschaft. Und zu allem Überfluss nahmen die Gefühlswellen Formen an. Sie begann mit ihm zu reden, komplexer, aber zugleich auch klarer. Wenn er sich Mühe gab und diesem Phänomen nachging, dann war es ähnlich wie Gedanken lesen. Aber nur so ähnlich. Dabei wollte er das alles gar nicht wissen, was die anderen so dachten. Aber genau diese warf man ihm indirekt vor.

All diese Dinge hatte Tashigi verpasst, wie sie hier unten auf der Liege lag und sich oft die Augen vor Liebeskummer und Sehnsucht ausheulte. Das waren alles viel zu viele Baustellen um Zoro herum. Er schloss mit seinen Gedankengängen ab und drehte sich zu ihr. Nur wenig konnte man im Taschenlampenlicht erkennen, doch es reichte ihm. Ihr schien es wieder sehr viel besser zu gehen. Die Wunden waren verheilt und verschwunden. Lediglich die Narbe im Gesicht war noch zu erkennen als feine, dünne Linie. Der Schmetterling schimmerte wie eh und je. Dank Choppers Essensplan hatte sie wieder Normalgewicht erreicht. Der zarte Seidenpyjama aus Namis Klamottenkiste saß ihr wie angegossen, umschmeichelte ihren Körper und betonte ihre sanften weiblichen Rundungen. Süß sah sie aus. Genauso süß, wie damals in dem hübschen Sommerkleid. Das machte es Zoro nicht gerade einfacher. Fieberhaft suchte er nach Worten, wie er nun sein Anliegen geschickt verpacken könnte, doch es gelang ihm nicht. Nervös biss er sich auf die Lippen, was man im Schummerlicht nicht sah. Egal, was er sagen würde, es würde sie nur verletzen.

„Ich weiß, dass du traurig bist...“ begann er in der Hoffnung, ihm würde nun ein gutes Satzende einfallen. Vieles konnte man trainieren, aber für solche Situation gab es kein Training. Das lehrte einen nur das Leben und schrieb es in große dicke Wälzer, die man später einmal als Lebenserfahrung in einem Regal irgendwo im Unterbewusstsein abstellen könnte. Zoros inneres Grammatikheft für Liebes- und Gefühlswelten war gerade mal eben erst bei dem Deckblatt von Kapitel Eins aufgeschlagen worden und sah noch sehr blank auf den Seiten aus.

„... und ich weiß auch warum, aber ... Ich weiß eben nicht, wie das hier alles enden soll. Ich bin damals losgezogen, um meinen Traum zu erfüllen und das Versprechen einzulösen. Und nun kommt da wohl noch mehr auf mich zu, von dem ich noch nichts weiß. Vielleicht ist es leicht, vielleicht auch nicht ... Ich weiß nicht, ob ich wiederkomme, verstehst du?“

Sie nickte. Ja, das hatte sie verstanden, aber sie war sich noch nicht sicher, worauf er hinauswollte.

„Du bist jetzt schon traurig und das mag ich nicht. Du bedeutest mir mittlerweile sehr viel, aber lass uns nicht etwas beginnen, was in Tränen endet. Das wird einfach nichts. Außerdem ist es gefährlich. Ich will nicht, dass dir was passiert.“ Er senkte seinen Kopf. Nun war es raus. Nicht schön formuliert, aber wenigstens wahr. Es gab noch so viele andere Gedanken, die er ihr sagen wollte, aber er ließ es bleiben, denn es hätte die Sache nicht besser gemacht. Sie war tieftraurig. Eine kleine Welt brach in ihr zusammen und ihr Gefühle schrien „Warum, warum?“, aber sie übte sich in Haltung und sagte nur: „Das muss ich wohl akzeptieren...“

Damit war das Gespräch beendet und sie trennten sich mit einem „Schlaf gut!“. Unzufriedenheit, Traurigkeit und Enttäuschung machte sich in beiden breit und verfolgte sie bis in den unruhigen Schlaf. So nah und doch so weit. Tashigis Träume ließen sich von einem gebrochenen Herz leiten. Sie träume, dass sie eben noch geborgen in seinen Armen lag und im nächsten Moment verblasste. Sie konnte ihn einfach nicht festhalten. Tränenüberströmt wachte sie immer wieder auf. Zoro verfluchte sich für seine Dummheit, einen Engel fliegen zu lassen und wälzte sich unruhig hin und her, wie man es von ihm nicht kannte. Und nur die Mondsichel über dem Ausguck wurde ein stummer Zeuge, wie sich eine einzelne kleine Träne in sein Kissen verirrte, für die er sich nicht einmal schämte. Er fühlte den selben Schmerz wie sie. Fast gleichzeitig in verschiedenen Orten trauten sie dem Mond ein Geheimnis an: „Ich liebe dich!“, aber vielleicht war es besser so.
 

Am nächsten Morgen stand die Sonne schon höher am Himmel, als Tashigi sich zum ersten Mal zu den anderen an den Frühstückstisch setzte. Schüchtern starrte sie in die Runde und flüsterte einen guten Morgen. Zu ihrem Erstaunen sah sie so manches fröhliches Gesicht. Franky, Chopper und Usopp erwiderten freudig ihren Gruß und erkundigten sich nach ihrem Zustand. Von Robin kam nur das wohlbekannte Lächeln. Sanji bekam sofort sein Herzauge, stürmte mit Leckereien trällernd herbei und bot ihr einen Platz zwischen sich und Robin an. Nami beobachtetet argwöhnisch die ganze Show. Doch ihre Sorge galt viel mehr ihrem Kapuzenshirt und ihrer Jeans, die Tashigi nun trug. Wehe, da wäre auch nur ein gezogener Faden oder Fleck später dran! Luffy sprach etwas zu Tashigi, aber durch sein Kauen und Schmatzen verstand sie kein Wort. Sie lächelte und das schien in Ordnung zu sein.

Kaum saß sie auf ihrem zugewiesenen Stuhl, gingen die allgemeinen Gespräche wieder los. Wie würde das Wetter werden? Wie weit war es noch zur nächsten Insel? Sie entnahm, dass sie gegen Abend Umeshu-Shima erreichen würden. Ja, die Insel kannte sie selbst gut und konnte berichten, dass es eigentlich gar keine richtige Insel war. Es waren lange, felsige Hügelreihen, die sich wie die Äste eines Baumes verzweigten und so unzählige Buchten mit feinem Sand freigaben. An den südwestlichen Hängen standen die Obstbüsche, aus denen die einzige Weinkellerei das berühmte Getränk herstellen würde. Eine gute Ernte würde jedes Jahr zur Vollmondnacht im Oktober gefeiert werden. Die Insel war mit ihren unzähligen Buchten so unübersichtlich, dass sowohl Marine als auch Piraten dort monatelang vor Anker lagen, aber sich doch nie über den Weg liefen. Es wurde regelmäßig patrouilliert, jedoch waren die Piraten meist schon eine Bucht weitergezogen, ehe die Marine dort ankam. Es gab sogar eine Marinebasis, die aber eher unterbesetzt wäre. Die Mannschaft dankte für die nützlichen Informationen. So etwas wäre immer gut zu wissen.

Es war eine recht heitere Stimmung. Ungünstigerweise war ihr Platz genau gegenüber von Zoro. Ihr wäre es lieber gewesen, er wäre an der anderen Tischecke gewesen. So aber war ein Blickkontakt unausweichlich. Es geschah mehrmals, dass sich ihre Blicke trafen und sich peinlich berührt wieder trennten. Scheu, schüchtern, verlegen. Sie überlegten dabei gegenseitig, wie es dem anderen wohl ginge und wie er durch die letzte Nacht kam. Doch es blieb Schweigen zwischen ihnen.

Die Runde löste sich langsam auf. Das Frühstück war beendet. Tashigi erhob sich und neugierige Blicke aller Anwesenden hafteten an ihr:

„Ich möchte mich sehr recht herzlich bei euch allen bedanken, dass ihr mich mitgenommen habt. Und dass ihr euch so lieb um mich gekümmert habt. Mein großer Dank gilt euch als Crew und auch dir, Captain Monkey D. Luffy! Es ist mir eine große Ehre auf deinem Schiff sein zu dürfen. Denn neulich standen wir noch auf gegnerischen Seiten!“ Mit einer kurzen Dankesverbeugung zu Luffy setzte sie sich wieder hin.

„Ach, du hast mir doch auch geholfen. Das ist schon OK!“ Luffy lachte wie ein Honigkuchenpferd. „Was hast du als nächstes vor?“

Etwas überfallen von der Frage senkte sie beschämt den Kopf zu Boden. Sie hatte sich noch nicht so viele Gedanken über die Zukunft gemacht. „Ich weiß es noch nicht. Zur Marine kann ich nicht zurück. Ich muss mir erst ein neues Ziel suchen.“

„Ok, du kannst ja bleiben, bis dir was einfällt.“

Damit war die Weiterfahrt für Tashigi gesichert. Die Tafel löste sich langsam auf. Niemand erhob Einwände gegen ihre Mitnahme.

Sie ging hinaus aufs Deck. Es war sehr mild geworden und eine sanfte Brise wehte an einem sonnigen, freundlichen Tag. Ein Zeichen dafür, dass die nächste Insel nicht mehr weit sein konnte. Sie schloss die Augen und zog den Wind in vollen Zügen in ihre schlaffen Lungenflügel, um sie einmal richtig durchzulüften. Wie gut das tat! Sie liebte das Meer und den Wind, ließ ihn mit ihren Haaren spielen und ihre Haut streicheln. „Der Wind...“ stellte sie fest. „Der Wind ist wie Zoro. Im Kampf so stark und zerstörerisch wie ein Orkan. In unserer Zweisamkeit so sanft und zärtlich wie ein Lufthauch. So wild und frei wie ein Sturm. Der Wind weht einfach so übers Land und Meer. Und niemand kann in fangen. Er verweilt nirgends. Nur manchmal legt sich der Wind nieder...“ Noch eine Weile genoss sie den Wind, der sie so sehr an ihre Liebe erinnerte. Sie öffnete die Augen und formte mit ihrer Fantasie Wolkenbilder von geheimen Erinnerungen. Melancholie erfasste sie, die sie mit einem Lächeln wegfegte. Noch nie hatte sie erlebt, dass der Wind sich ewig legte. Er kehrte immer wieder zurück. Vielleicht wäre das auch bei Zoro so.

Sie setzte ihren Weg schlendernd fort, wo auf Deck das Sofa hinter dem Steuer stand. Mittlerweile lümmelte die gesamte Crew dort herum, während Franky das Steuer hielt. Gespannt warteten alle auf die neue Insel. Eine Zeitungsmöwe flog sie an und versorgte sie mit den letzten Neuigkeiten und Flyern zu dem großen Fest. Die Zeitung wurde aufgeteilt und untereinander ausgetauscht. Das Fest wäre in gut drei Wochen und eine lange Piratengästeliste lag bei, um sich zu informieren, welche Banden zugesagt hätten. Manche Banden suchten sich anhand dieser Liste zum Vorfeiern eine gemeinsame Bucht aus. Es war niemand von Bedeutung dabei, der sie sonderlich interessierte. Jedoch stand auch dabei, dass die Liste stets aktualisiert würde. Man müsse sich nur eintragen und so stand schnell ein „Mugiwara-kaizoku-dan“ auf der Antwortkarte.
 

Es war noch nicht mal Abend, als sie die Insel in der Ferne schon mit bloßem Auge erkennen konnten. Sie steuerten um die Insel herum, fuhren zwischen einem der vielen Hügelausläufer in das Inselinnerste und fanden ein sehr lauschiges Plätzchen, welches man nicht von See einsehen konnte. Obstbüsche säumten die kargen Hänge vom feinen Sandstrand bis hinauf auf die flachen Hügel, die gerade man so hoch waren, dass sie den Masten der Sunny verbargen. Das Meer glitzerte türkisblau. Endlich wieder Sommer, Sonne und Stille!

33 - Die Tage dazwischen

Seit jeher trug Umeshu-Shima den Titel ein Flecken Land zu sein, welches wohl die bizarrste Inselform überhaupt inne hätte. Selbst Möwen schien sie aus der Luft wie ein riesiges Labyrinth aus bewaldeten Hügeln, schneeweißen Stränden und urigen Häuschen zu sein. „Wie Bombenkrater“, stellte Franky bei einem Blick auf die Karte fest und lag dabei wohl gar nicht so sehr daneben, wie Robin allen mitteilen konnte. Tatsächlich war die Insel einmal ein riesiges Gebiet gewesen, welches North Blue und Grandline sicher miteinander verbanden. Der strategische Zweck für Militär und Wirtschaft lag klar auf der Hand. Heiß umkämpft in vielen Kriegen und Schlachten wurde das Eiland letztendlich ein Opfer ihrer selbst. Tiefe Narben durch Explosionen und Feldzüge fraßen sich in das Landschaftsbild und ließen nicht viel übrig bis auf kreisrunde Buchten, die alle nebeneinander mit neuen Zirkeln verbunden oder verschachtelt waren. Die Natur hatte ihre liebe Not, die Wunden zu überwuchern. Schmale Pfade verliefen zumeist oben auf den Kämmen der Hügel und gaben einen Ausblick über ein wunderschönes, wildüberwuchertes Panorama frei, worüber eine warme Sommerbrise wehte.

Auf der sonnigen, milden Seite zur Grandline hin säumten unzählige Obstbäume das Gelände, wo fleißige Erntehelfer mit waghalsiger Akrobatik in den steilen Felshängen hingen, um die noch unreifen Früchte zu ernten. Auf einem ersten Erkundungsgang über die Insel erfuhren die Strohhüte, dass die pflaumenartigen Obststücke nämlich Aprikosen wären und man aus ihnen auch kein Wein herstellen würde. Beim Wein würde man das Obst keltern müssen. Das täte man hier aber nicht: Die grünen, unreifen Früchte läge man in klaren Branntwein ein und sehr viel später hätte man dann das, was alle Welt „Pflaumenwein“ getauft hatte. Hochprozentiger Saft , aber süß wie Honig. Aha, nun wusste man durch einen aufklärenden Erntehelfer Bescheid. Die interessantere Information war dann aber für die Crew, dass der nächste und einzige Ort ganz in der Nähe läge und die Marinebasis auf der anderen Seite der Insel zum North Blue hinüber die Küste kontrollierte. Dort würde über karge Hänge und öde Steinstrände ein heftiger Wind wehen, der sich mit Nebelfeldern abwechselte. Tashigi konnte dieses aus vergangenen Dienstzeiten bestätigen. Mit der Sunny hätten sie definitiv auf der schöneren Inselhälfte geankert.

Der Ort war so klein, dass er nicht einmal einen Namen trug. Straßen mit Kopfsteinpflaster zogen sich entlang gedrungener Steinhäuser und liefen an einem überlaufenen Marktplatz zusammen. Die grauen Vorderfronten der Häuser waren aus dem selben Felsen gemauert, in den sie in harter Arbeit hineingetrieben waren. Wie Farbkleckse bildeten die bunt bemalten Fensterläden und Türen einen fröhlichen Kontrast in die grauen Steinwände. Die Mannschaft der Sunny bummelte über den Marktplatz mit seinen Trödelständen und billigen Ramschangeboten. Sie verweilten mal hier und mal dort. So verloren sie sich in dem Gewühl und jeder ging eigenen Interessen nach. Erst als sich die Sonne zum Abend hin senkte, fanden sie auf dem Rückweg tatsächlich wieder alle zusammen und blieben an einer Plakatwand hängen. In drei Wochen wäre Vollmond und somit das große Fest. So stand es dort zu lesen. Auch eine neue Gästeliste war ausgehängt worden und ließ schließen, dass auf der Veranstaltung wohl auch sämtliche Stehplätze belegt wären. Während sie den Rückweg zu ihrer Bucht antraten, begutachteten sie gegenseitig ihre Einkäufe und tauschten sich über Neuigkeiten aus. Robin trug einige neue Bücher unterm Arm, Nami und Tashigi Klamottentüten, Chopper ein gutes Dutzend Stehkolben, Sanji einige Gewürze, Usopp und Franky Eisenwaren für die Werkstatt und Zoro und Luffy wegen finanzieller Engpässe gar nichts. So verging die Zeit sehr schnell.

Es war bereits der zweite Abend an dem ausgesuchten Stück Strand, wo die Strohhutmannschaft um eine großes Lagerfeuer herum zu Abend aß und dabei den Anblick eines herrlich Sonnenuntergangs wie von einer Postkarte geklaut genoss. Lange redeten sie bis in die Nacht, machten Blödsinn und krochen spät in der Nacht in ihre Schlafsäcke. Luffy nervte sein Team, indem er wieder und wieder von dem Feuervogel zu reden begann. Das arme Geschöpf säße ja immer noch in dem Käfig. Jedoch stieß er auf taube Ohren. Das Thema „Feuervogel“ war zwar ein Problem für den Vogel an sich, aber derzeit einfach für die Crew nicht lösbar. Unter einem Bilderbuchsternenhimmel versank jeder für sich ins Reich seiner Träume.
 

Die kommenden Tagen verliefen ähnlich ruhig. Die drei Frauen saßen in knappem Badezeug, welches dem Koch mehr als nur Herzaugen zauberte, auf bequemen Liegestühlen unter einem großen Sonnenschirm. Robin zerpflückte mit ihren Augen einen dicken alten Wälzer und machte fleißig einige Notizen. Sie sah erstaunt auf und ließ ihr Buch sinken, als Nami plötzlich bittersüß loszwitscherte:

„Tashigi-Süße, wie lange gedenkst du, bei uns mit zu fahren?“

Die Angesprochenen zuckte zusammen. Gründlich hatte sie bis eben Shigure gereinigt und mit einem Hauch von Orangenöl überzogen. Nun glänzte es wie poliertes Tafelsilber und reflektierte das Anlitz seiner Besitzerin wie in einem Spiegel wider. Eine ganze Weile hatte sie sich betrachtet mit ihrer Narbe und ihrem Schmetterling und war dabei in Erinnerungen versunken. Sie dachte an Zoros Worte, wie er ihr auf der Donnerebene sagte, sie würde bei der Abwehrtechnik ihre Füße falsch stellen. Ob er ihr vielleicht die richtige Schrittfolge erklären könnte? Bei einer passenden Gelegenheit würde sie mal vorsichtig anfragen. Ihr verträumter Blick schweifte ab über diese paradiesische Bucht hinüber zu den Jungs und natürlich in erster Linie zu ihrem Liebling. Dieser stand genervt zwischen den anderen bis zu den Knien im Wasser und schüttelte gerade eine ganze Ladung davon aus seinen kurzen Haaren, dass die Tropfen nur so flogen. Was nicht flog, perlte sich seinen Weg über die sonnenverbrannte Haut in die Tiefe. Auch wenn er für sie so unerreichbar schien, so war er wenigstens lecker anzusehen.

Der Captain hatte sich mit dem Kanonier und dem Rentier in den Kopf gesetzt, die restliche Crew zu einer Runde Wasserball zu überreden. Die Damen hatten fröhlich abgewinkt, doch bei Franky, Zoro und Sanji ließ der Strohhutjunge keine Ausreden gelten. Er stand mehr als wackelig mit Chopper in dem kleinen Beiboot der Sunny und erklärte wild fuchtelnd eine neue, aber unverständliche Spielregel. Das Boot schwankte dadurch um so mehr und der kleine Arzt brüllte Luffy panisch an, sie würden gleich ins Wasser fallen. Da der Koch es im Spiel dann auch noch absichtlich darauf anlegte, dem Schwertkämpfer immerwährend das runde Kunstleder an den Kopf zu zimmern, war augenblicklich eine wilde Wasserschlacht mit ernsthaftem Handgemenge losgebrochen. Das Bötchen kippt nun doch um und die beiden Teufelsfruchtinhaber plumpsten wie Steine ins Wasser. Für Außenstehende sah es sehr belustigend aus. Erst Namis keifendes Gebrüll vom Strand aus hatte die prügelnde Meute wieder auseinander gebracht, die nun Luffy und Chopper samt Boot an den rettenden Strand schleppten. Dabei wurden sie tadelnd ermahnt, bei einem nächsten Mal doch bitte an ihren Schwimmring oder zumindest an Schwimmflügel zu denken.

Nun starrte die Navigatorin wieder hinterlistig auf die ehemalige Marinesoldatin, die ihr noch eine Antwort schuldig geblieben war. Tashigi musste sich nun wohl oder Übel eine Antwort einfallen lassen.

„Solange, bis ich eine neue Bleibe gefunden habe“, gab sie unsicher an.

„Ah ja! Ich denke, du könntest doch auch hier auf der Insel bleiben?“ zwitscherte es weiter von der Navigatorin. „Früher hattest du doch nichts besseres vor, als uns auf den Fersen zu hängen. Und nun soll sich alles geändert haben? Du hilfst bei Luffys Befreiung und segelst nun mit uns rum? Da stimmt doch was nicht! Sicher bist du ein Spitzel der Marine und wirst uns bei der nächsten Gelegenheit verraten! Habe ich recht?“

Robin traute ihren Ohren nicht so ganz. Die letzten Tage hatte sie versucht, mit Nami zu reden, dass von der Soldatin nun wirklich keine Gefahr ausginge, obgleich sie selbst auch nicht so recht einzuordnen wusste, wie sie sich gegenüber Tashigi verhalten sollte. So blieb sie neutral und beobachtete erst einmal diesen sonderbaren Gast. „Also Nami, ...“, ermahnte sie, doch weiter kam sie nicht.

Etwas traurig blickte Tashigi zu Boden in den feinen Sand. Sie war mehr als unerwünscht an Bord.

„Nein, ich bin weder ein Spitzel, noch werde ich euch verraten. Sonst hätte ich euch wohl kaum Infos über diese Insel gegeben. Ich hätte euch ja auch genau in den Marinehafen lotsen können ...“

Die Navigatorin funkelte böse mit den Augen, unterließ aber weitere Vorwürfe. Die Antwort war ihrer Meinung wenig überzeugend. Stattdessen gab sie ihrer bösen Zunge die Zügel frei:

„Wie hast du es denn geschafft, dass du dich nicht mehr mit Zoro streitest? Ich denke, ihr konntet euch nicht ausstehen?“

Am liebsten hätte Tashigi sie angebrüllt, dass sie doch von nichts Ahnung hätte und so etwas ihren Nakama selbst fragen könnte. Gern hätte sie ihrer Wut freien Lauf gelassen, doch es kam anders. Der Schmetterling tobte und glühte wie Feuer. Er raubte ihr den Atmen, das Augenlicht und das Gleichgewicht. Sie fiel schwer keuchend zurück auf die Liege und spürte das Flügelschlagen wie Peitschenhiebe auf ihrem Hals. Leise starrte sie zum Himmel hinauf und wünschte, das flatternde Biest möge weit weg hinaufsteigen. Lange hatte sie nachgedacht, was ihre Schwester nur so sehr in Rage bringen könnte, doch es gab keine passable Lösung außer den Verdacht der Eifersucht und des Neides. Mittlerweile wollte sie es auch gar nicht mehr wissen, sondern einfach nur dieses Ding loswerden. Dieser Fluch war mehr als ein Albtraum.

Es hatte Nami buchstäblich die Sprache verschlagen. So etwas hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Mit großen Augen starrte sie verschreckt auf dieses rote Licht. Robin baute sich vor Tashigis Liege auf und fragte sie kühl: „Welche Seele liegt in diesem Fluch?“ Doch die Verfluchte war nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen. „Gleich ersticke ich!“ schoss es ihr durch den Kopf. Tränen standen ihr in den Augenwinkel. Die Welt war schon längst um sie herum verschwommen. An schemenhaften Schatten erkannte sie, wie die Jungs ebenfalls herbei eilten und sich um sie herum ratlos versammelten. Und plötzlich war alles still und schwarz. Feinste violette Lichtfäden zogen wie Schwaden an ihren Augen vorbei durch die absolute Schwärze, durch die kein vertrauter Ton erklang. Der Schmetterling war verstummt. Sie atmete langsam tief und fest durch und schloss für einen Moment die Augen. Dann setzte ein Schwindelgefühl ein. Lauter krach von Meeresrauschen drang an ihre Ohren und Stimmen die ihren Namen riefen. Geschockt riss sie die Augen wieder auf und sah in die staunenden und zugleich verunsicherten Gesichter der gesamten Mannschaft. Sie war wieder auf ihrer Liege an dem wunderschönen Strand, als wäre nie etwas geschehen. Etwas weiter ab entdeckte sie Zoro, der sich nachdenklich mit gesenktem Kopf und verschränkten Armen wegdrehte und auf den Weg machte, aber sie war sich sicher, ein rotes Glühen in seinen Augen gesehen zu haben.

„Ich denke, sie wird noch sehr lange bei uns bleiben, womit deine Frage von vorhin beantwortet wäre, Nami ...“ hörte sie die Archäologin nun nicht mehr so sicher sprechen, wie sie noch vorhin aufgetreten war. Die Strohhüte fragten besorgt nach ihrem Zustand und kümmerten sich um sie. Der Koch schleppte sofort die vom kleinen Arzt verordnete Kanne voll Beruhigungstee an. Luffys Verwunderung über den Vorfall war verschwunden. Nun dachte er mit finsterer Miene nach und wandte sich fragend an Nami, was vorgefallen wäre. Diese jedoch gab ihm unmissverständlich ihren Verdacht zu verstehen: „Sie wird uns verraten!“
 

Wieder waren einige Tage vergangen. Von Tashigis Schmetterling hatte niemand mehr ein Wort verloren und er hatte sich auch noch nicht wieder angeschickt, zu fliegen. Die Jahreszeit begann auch auf einer Sommerinsel wie dieser zu wechseln. Es würde zwar immer so herrlich warm und trocken bleiben, doch das Laub der Bäume verfärbte sich dennoch und leichter Wind rupfte die bunten Blätter von den Bäumen und trieb sie wie Goldtalerregen über die Insel. Die Erntehelfer hatten ihre Arbeit eingestellt, denn nun sollten die noch verbliebenen Aprikosen reifen. Erst nach dem Fest würde man sie abpflücken, wenn sie herrlich rotgelb wie das Laub wären.

Die Bande hatte mit der Sunny zweimal die Bucht verlassen müssen, da die Marine die Küstenabschnitte kontrollierte. Es war ein heiteres Katz-und-Maus-Spiel, woran selbst Tashigi ihren Spaß fand. Konnte sie die Manöver der Marineschiffe doch klar voraussehen. Franky steuerte nach ihren Tipps das Schiff geschickt um die Angreifer herum und verärgerte Nami damit sehr, die einsehen musste, dass ihr unliebsamer Gast zweifelsohne ebenfalls große Ahnung von Navigation hatte, doch sie sagte nichts.

Es war ein warmer Tag mit einer leichten frischen Brise, als Tashigi sich anschickte sich zu Zoro auf den Weg zu machen. Dieser trainierte hochkonzentriert wie ein Besessener etwas abseits in der Bucht. Erstaunt blickte er zu ihr, so wie sie dort vor ihm stand, in einem schlichtweißem, ärmellosen Sommerkleid. Es reichte ihr gerade mal über die Knie, hatte einen weite, runden Ausschnitt und breite, schlichte Träger. Im Lendenbereich raffte ein feines, bordeauxrotes Stoffband das Kleid zusammen, welches kunstvoll durch Stofflaschen geflochten war. Es war eine ähnlich Flechttechnik wie bei ihrem Ledermantel, den sie damals noch trug. Ein breiter, schwarzer Ledergürtel hing locker um ihre Hüfte, an dem Shigure baumelte. Barfuß schritt sie durch den Sand auf ihn zu. Sie vermittelte das Image eines unschuldigen Mädchens, das beschützt werden müsste mit diesen traurigen Augen. Doch ihre Haltung gab Entschlossenheit preis. Man sollte sich nicht täuschen lassen von ihr. Ihre Hände hatte sie hinter dem Rücken versteckt.

„Ich möchte dich bitten, mir die Abwehrtechnik zu erklären, die ich falsch mache.“ Kam es ruhig, aber bestimmt aus ihrem Mund.

„Ich?“

„Wer sonst?“

Zoro sah sich überlegend um. Der Sand war hier sehr tief und schwer. Das war ungünstig für Erklärungen, wenn es um Beinarbeit ging. Also zogen sie gemeinsam am Strand entlang, um einen besseren Boden zu finden. Die Bucht verlief sich unregelmäßig in kleinere Einbuchtungen. So war die Mannschaft bald außer Sichtweite hinter der nächsten Biegung verschwunden. Der Schwertkämpfer wies sie darauf hin, nicht sonderlich gut im Erklären zu sein, aber sie machte einen so entschlossenen Eindruck, dass die beiden erst wieder Halt machten, als der Sandboden verdichteter war. Er überlegte, was sie mit dieser Aktion bezwecken wollte. Sie schien über seinen Abfuhr hinweg zu sein und es enttäuschte ihn doch sehr, dass er so schnell vergessen war. Oder doch nicht? Er wollte ihre Gefühle ergründen doch irgendwie gelang es ihm nicht so recht. Als sie ihm dann auch noch unterwegs kurz ein zufriedenes Lächeln schenkte, war er doch mehr als unsicher. Man würde sehen, was es bedeuten sollte. Verstehe einer Frauen ... Ob sie sicher war, die richtige Kleidung zu tragen? Vermutlich würde sie sich in ihren eigenen Klamotten verheddern und auf die Nase fallen. Dann hätte er wenigstens den Spaß auf seiner Seite.

Er war tatsächlich nicht gut ihm Erklären, weshalb er jeden einzelnen Schritt in Zeitlupe vormachte und ihr die Reihenfolge mitteilte. Sie nickte nur als Zeichen des Verstehens und probierte es. Tatsächlich stellte sie sich dabei mehr als geschickt an. Ihr Tollpatschigkeit war wie verflogen. Er lobte sie und wollte sich auf den Rückweg machen. Doch ein direkter Angriff ihrerseits hielt ihn davon ab. Gerade noch rechtzeitig reagierte er und hielt ihrem Schlag stand. Mit gekreuzten Schwertern standen sie sich nun gegenüber. Sie hatte es tatsächlich geschafft, ihn zu überrumpeln. Eigentlich hätte er sich für diesen groben Fehler tadeln müssen, doch aus irgendeinem Grund, war dieses hier mehr als amüsant. Ihre Augen blitzen fröhlich auf. Angriffslust machte sich in ihrem Gesicht breit.

„Du warst unaufmerksam!“ stellte sie grinsend fest.

„Du kriegst deinen Kampf nicht! Vergiss es!“ kam es ebenso grinsend zurück.

„Ha, wir sind aber schon mittendrin!“ lachte sie triumphierend.

„Meinst du?“

Er wollte sie lediglich entwaffnen, doch der eben erklärte und geübte Trick wurde von ihr bravourös angewandt. So ging es dann doch noch etwas länger hin und her, dass Metall auf Metall schlug. „Wenn es sie glücklicher macht und sie dann nicht mehr so traurig ist, dann wäre es Ok“, dachte er bei sich und ließ ihr den Spaß, bis sich dann doch ihre Linksfüßigkeit in dem Sand bemerkbar machte. Sie strauchelte kurz und als er ihr dann noch geschickt ein Bein stellte, küsste sie unfreiwillig den Sand. Er hockte sich zu ihr herunter, während sie sich den Sand abschüttelte. Von einer Sekunde auf die andere zog sie ihr Katana über dem Boden entlang. Es klirrte gegen das von Zoro, welches er gerade noch rechtzeitig in den Boden gerammt hatte. Ansonsten hätte es ihn wohl den ein oder anderen Fuß gekostet. Das war frech! Sein kleiner Engel wandelte sich gerade zu einem kleinen Biest.

„Gibst du auf?“ fragte er belustigt. Eine Ladung Sand flog im entgegen. Das war wohl ein klares „Nein!“. Aus den Augenwinkel heraus sah er sie wegrollen mit Shigure in der Hand und sich ebenfalls zur Hocke aufrappeln.

„Du kämpfst nicht richtig!“ schmollte sie, aber ihre strahlenden Augen verirrten, dass es nur im Scherz gemeint war.

„Och, ist das so schlimm für dich?“ lachte er.

Ein nächster Angriff aus der Hocke folgte, den sie so oder so nicht gewinnen konnte. Er schubste sie sanft zurück und wieder einmal stupste ihre Nase in den Sand.

Das gefährlich an diesem Kampf waren keineswegs die Katana. Es war sie selbst, wie sie da nun so sich im Sand zu ihm hinräkelte in einem Nichts an Stoff, der weit hochgerutscht war und den Blick auf die nackte Haut ihrer Beine und ihre Unterwäsche freigab. Über den Sand krabbelnd kam sie auf ihn zu mit einem lasziven Blick, der ihm abwechselnd heiße und kalte Schauer über den Rücken jagte. Das Schnürband ihres Kleides hing verführerisch an der Seite herunter. Er zog langsam daran und sah, wie sich die Raffung löste.

„Du bist ganz schön frech!“ tadelte sie ihn mit einem Lächeln, dass ihm schwindelig wurde.

„Vielleicht packe ich halt gern Geschenke aus“, hörte seine eigene Stimme sagen. Hatte er das eben wirklich zu ihr gesagt? Er zu ihr? So einen Satz?

„Pah, so jemand wie du hat gar keine Geschenke verdient!“ stellte sie fest und verharrte dicht vor ihm. Er konnte schon ihren Atem spüren.

Nein, es reichte definitiv hin! Er schlang einen Arm um sie und zog sie fest an sich. Damit war sie erst einmal bewegungsunfähig.

„Du spielst gewaltig mit dem Feuer!“ brachte er flüsternd heraus.

„Und? Ich möchte brennen!“ Sie schmiegte sich an ihn. Mehr hatte sie gar nicht gewollt. Die letzten Tage waren so einsam gewesen, obwohl er doch immer dicht in ihrer Nähe gewesen war. Noch eine Weile genossen sie ihre Zweisamkeit in Ruhe vor den anderen, sahen aufs Meer und lauschten seinen Klängen.

Fast gleichzeitig beschlossen sie, nun doch zu den anderen zurück zu kehren.

„Ich finde deine Schüchternheit so süß!“ platzte sie vorlaut heraus und lachte wie ein kleines Kind.

„Bitte was?“ verlegen starrte er auf den Boden und biss sich auf die Unterlippe.

Doch sie gab ihm nur ihr Engelslächeln mit diesem sanften Blick. Wieder einmal hatte sie ihn vollkommen eingewickelt und er wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte.

Kurze Zeit später gesellten sie sich zu ihren Mitstreitern, die ihre Abwesenheit noch gar nicht bemerkt hatten.

34 - Die letzte Nacht

„Noch dreimal Schlafen!“ hatte der Strohhutjunge an diesem Morgen beim Frühstück laut gebrüllt und mit der Sonne um die Wette gelacht. Nach dieser Ansage wusste jedes Mitglied der Gruppe, dass zum einen der Kapitän nun aus den Federn gekrochen war und zum anderen, dass der Tag des Pflaumenweinfests eben in drei Tagen stattfinden würde. Die Bande hatte Pläne geschmiedet und beschlossen, die Suche nach One Piece definitiv fortzusetzen. Dazu müssten sie zweifelsohne die mysteriöse Kerze des Kerzenmachers finden. Da immer mehr Piratenbanden auf der Insel ankerten, sollte das Fest als gute Gelegenheit genutzt werden, sich unter Gleichgesinnten nach dieser Kerzenlegende umzuhören. Viele hatten vieles vielleicht gesehen oder gehört. Sicherlich gäbe es unter diesen mindestens einen, der Informationen liefern könnte. Dann könnten sie auch endlich weitersegeln ins nächste Abenteuer hinein. Auch wenn es hier ein schöner Flecken Erde auf der Welt war, so rief das Meer sie stetig in ihrem Unterbewusstsein. Es machte sich eine innere Unruhe in der Mannschaft breit. Sie waren Piraten auf See und keine Landratten. Sie mussten weiter.

Über all diese Dinge dachte der Schwertkämpfer nach, als er eine kurze Pause von seiner Wanderung einlegte. An einen krüppeligen Baum gelehnt starrte er oben auf einem der Hügelkämme über die Insel, die sich durch die Abendsonne in einen wärmenden Rotton tauchte. Keine Wolke störte den melancholischen Farbverlauf des Himmels und ein erster Stern ging am Horizont auf. Dem Mond fehlte nur noch ein Hauch, dass er kreisrund wäre. Die Stimmung war so ruhig und friedlich , dass es schon wieder verdächtig war. Es war die Ruhe vor dem Sturm, den Zoro noch nicht erkennen, aber fühlen konnte. Obwohl unten in den Buchten massenweise Schiffe vor Anker lagen, hörte man hier oben nichts. Ein schmeichelnder Wind pfiff über die Hügel und riss allen Lärm mit sich. Stunde um Stunde, Kilometer um Kilometer hatten ihn seine Füße über die kleinen Trampelpfade getragen, doch seine Freunde hatte er noch nicht gefunden. Schon lange hatte er aufgehört, sich über seinen fehlenden Orientierungssinn zu ärgern, denn es brachte ihn nicht weiter. Er konnte seine Freunde spüren in einer der Buchten, doch die Wege schlängelten sich überall hin, nur nicht heimwärts. Die vielen Abzweigen zwischendurch machten es ihm nicht leichter. Wenigstens konnte er sämtliche Gefühlswellen von sich fernhalten, sonst wäre er wohl komplett durchgedreht bei der Masse an Menschen, die sich ebenfalls über das Eiland drängelten. Manchmal waren es Piraten und manchmal Marinesoldaten. Zoro hatte sich gefragt, warum die Marine hier nicht ein größeres Aufgebot stationieren würde. Immerhin wäre es hier eine gute Gelegenheit, viele Gefangene zu machen. Doch Tashigi erklärte ihm, dass diese Insel eine Sackgasse wäre. Man käme zwar vom North Blue auf die Grandline, doch Untiefen und Strudel machen es unmöglich, zur nächsten Insel der Grandline zu segeln. Man müsse also wieder zum North Blue zurückfahren. Das ganze war recht kompliziert und deshalb führte sie die Erklärungen nicht weiter aus, denn es war nicht so wichtig.

Es war einer der wenigen Momente, wo sie beide wieder einmal allein waren. Sie suchte in öfters auf, um sich den ein oder anderen Trick erklären zu lassen, doch so einen Annäherungsversuch wie die Tage zuvor startetet sie seitdem nicht mehr. Nach dem Training saßen sie oft noch eine kurze Zeit lang im Sand nebeneinander mit respektvollem Abstand, betrachteten das Meer und wechselte nur geringe Worte. Was sie wohl eben in diesem Augenblick tun würde? Vermutlich würde sie eben mit den anderen beim Essen sitzen. Garantiert würde der ein oder andere Witz in der Runde fallen, warum er selbst nicht da wäre. Man kannte seine Verspätungen wegen akutem Verlaufens ja schon. Bei dem Gedanken, dass der liebeskranke Koch seinem Engel süße Cocktails und leckerste Speisen servierte mit seiner schleimenden Art, brodelte in Zoro die Eifersucht auf wie in einem Hexenkessel. Der Kochlöffel sollte es auch nur einmal wagen ihr schöne Augen zu machen! Der Schwertkämpfer schnaubte aufgebracht einmal kurz durch und schüttelte anschließend den Kopf, als wolle er alle Gedanken abschütteln. Schon wieder dachte er die ganze Zeit an sie. Dafür tadelte er sich. Ein Schwertkämpfer darf sich niemals ablenken lassen oder er würde seine Kämpfe verlieren! „Vergiss sie!“ ermahnte er sich selbst, fühlte im nächsten Moment aber in zärtlichen Erinnerungen ihre sanfte, warme Haut auf seiner, als sie in seinen Armen lag. Das Vergessen wollte einfach nicht gelingen.

Mittlerweile begann sich die Sonne hinter dem Horizont zur Nachtruhe zu begeben. Nur noch ein fahles Licht erleuchtete seltsam mysteriös die Hügel und gab der Situation etwas Magisches. Heute Nacht lag etwas in der Luft. Er machte sich auf den Weg und folgte einem Pfad, der in zuerst dem Gefühl nach zu seinen Nakamas bringen würde, doch ein paar Kurven und Kreuzungen später war ihm bewusst, dass er wieder einmal falsch lag. Leichte Nebelschwaden zogen auf und bedeckten den Boden. Das Meer rauschte hier lauter und wilder. Eigentlich wollte er umkehren, doch da war etwas Seltsames. Es trieb ihn unerbittlich an immer weiter und weiter auf die andere Seite der Insel. Fort und noch weiter fort von seinen Nakamas. Ihm schoss die Warnung des Fischers durch den Kopf, als dieser sagte, er würde in einer Sackgasse landen, wenn er alleine loszöge. Doch Zoro konnte nicht anders. Das Leben ist eine Einbahnstraße. Man könnte aus ihr nur in eine bestimmte Richtung entfliehen. Über das Ende dieser Straße hatte er sich zuvor nie Gedanken gemacht. Unter Missachtung aller Warnungen marschierte er schnurstracks weiter, bis er eine Bucht erreichte. Diese Seite des Eilands war wirklich das krasse Gegenteil, von den Buchten, die er bisher auf der Insel gesehen hatte. Wilde Wellen peitschten laut an einen felsigen Steinstrand. Dichter Nebel zog vom Land auf und rollte sich wie Wattewolken über den Strand. Bizarr erleuchtete der Mond diesen gespenstischen, düsteren Ort. Hier würde man nicht mal seinen ärgsten Feind aussetzen.

Es schien menschenleer an diesem Ort zu sein, doch er wusste, dass er nicht allein war. Draußen auf See kam etwas näher Stück für Stück. Instinktiv knotete er sein schwarzes Kopftuch von seinem Oberarm los. Er starrte einen Moment darauf. Wie oft hatte er es schon getragen? Wie viel Schweiß und Blut hatte schon darin geklebt? Er wusste es nicht mehr genau. Doch war es jetzt nicht egal? Vielleicht war es heute ein letztes Mal, dass er es tragen würde. Wer kannte schon die Zukunft? Dann band er es sich um den Kopf wie eh und je. Langsam ging er höchst aufmerksam am Strand entlang, jede Sekunde bereit, seine Schwerter zu einem tödlichen Schlag zu ziehen. Die kleinen Kieselsteine knirschten unter seinen Schuhen, als würden sie klagende Lieder singen. Argwöhnisch starrte er in die sich brechenden Wellen, als würden sie ein Geheimnis verbergen. Es war düster geworden. Der Nebel bedeckte mittlerweile wie eine große Wolke den gesamten Strandabschnitt und verschluckte die Wärme des Tages. Das helle Mondlicht ließ die Wellenkronen wie Bronze glitzern.

Und dann tauchte das auf, was ihn rief und was er gespürt hatte: Ein schwimmender Sargdeckel, rechts und links flankiert von zwei Kerzen mit grüner Flamme und einem überdimensionalem Kreuz als Segelmast, schwappte lautlos an den Strand. Sein Holz war eben so schwarz, wie das Segeltuch. Ein Wunder, dass dieses Gefährt von einem Boot hochseetauglich war.

Das alles scherte Zoro in keinster Weise. Er stand hochkonzentriert mit verschränkten Armen am Strand und starrte regungslos und eiskalt auf seinen Rivalen, der dort immer noch auf seinem Schiffchen an Bord saß. Die Beine überschlagen, den Kopf leicht gesenkt, den Hut tief ins Gesicht gezogen und die Hände vor sich im Schoß gefaltet. Auch wenn Mihawk nicht den Eindruck erweckte, Zoro bereits entdeckt zu haben, so war dieses doch ein Trugschluss. Das Leben würde heute und hier für den einen enden und für den anderen neu beginnen. Bis Mitternacht wäre alles vorbei.

Die beiden standen sich still und stumm gegenüber. Die Zeit verstrich so langsam wie Eis am Polarkreis schmolz. Nur das Rauschen der Wellen erzeugte eine unruhige Geräuschkulisse. Zoro schob alles beiseite, was sich in seinem Kopf breit machen wollte: Angst, Erinnerungen, die Häupter seiner Lieben und was diese Denken würden, wenn er jetzt hier versagen würde. Es war das Ende einer langen, langen Suche. Obwohl sich Zoro immer sehnlichst diesen Tag herbei gesehnt hatte, kam es ihm nun doch alles viel zu plötzlich vor. Er starrte nun auf Mihawk, wie dieser souverän dort auf seinem Platz saß und doch etwas verwundert schien, seinen Herausforderer genau hier an diesem Ort zu treffen. Und das sprach er auch laut aus:

„Ich hatte jemand anderes erwartet!“

„Der kommt zu spät!“ kam es nur zynisch zurück.

„Nun denn, du scheinst besser geworden zu sein. Man redet viel von dir. Aber es wird nicht reichen!“

Damit erhob sich der Samurai der Meere von seinem eher ungemütlich aussehenden Sitzplatz und ging von Bord auf seinen Konkurrenten zu. Dieser stand regungslos und verharrte auf die Dinge, die da nun geschehen würden. Vielleicht wäre es ein Angriff, vielleicht wären es auch zwei. Mehr wohl nicht. Wer falsch ansetzen würde, wäre der leblose Verlierer. Beide wussten das und so belauerten sie sich weiter.

Plötzlich ging alles ganz schnell. Gleichzeitig griffen sie an und vier Schwerter rasselten aufeinander, dass die Funken flogen und Metall im Mondlicht schimmerte wie poliertes Silber. So standen sie wieder still und starrten sich gefühlskalt in die Augen. Auch wenn Mihawk seine Gedanken und Gefühle nach außen hin gut verbergen konnte, so hatte er gegen Zoros Dämonfähigkeiten keine Chance. Für den Bruchteil irritierte den Samurai ein roter Glanz in den Augen seines Gegners, der diese Verunsicherung schamlos ausnutzte. Mit der geballten Kraft von Shûsui schlug Zoro den Älteren empfindlich weit zurück. Dieser strauchelte, fing sich aber schon beim nächsten Schritt und konnte gerade noch sein Leben schützen, indem er einen weiteren Angriff abwehrte.

Die Überlegenheit des jungen Schwertkämpfers war nur von kurzer Dauer, denn auch Mihawk schickte nun eine Angriffswelle mit dem Black Sword los. Sie war mit dem bloßen Augen nicht zu sehen, doch konnte man die eisige Finsternis spüren. Zwar konnte sein Gegenüber diese Wucht abfangen, doch flog dieser weit, schlidderte bei der Landung rücklings über die spitzen Steine und zerschliss sich Hemd und Rücken. Blut trat unter ihm hervor, doch dem Alten war gewiss, dass der Jüngere noch lange nicht am Ende war.

Der Nebel wurde dichter und dichter, als wäre er bestellt worden, um sich später wie ein Leichentuch über alle Kampfesspuren zu senken. Der Jüngere rappelte sich hoch und beäugte den Älteren. Verdammt schnell war dieser und schien immer zu wissen, was er selbst als nächstes tun würde. Aber es musste eine Schwachstelle geben. Davon war Zoro überzeugt. Auch davon, dass seine Schwerter diese Art von Kampf nicht unbeschadet überstehen würden. Noch ein oder zwei Kraftwellen dieser Form durch das Black Sword und sie würden brechen wie damals seine Schwerter auf der Baratié. Der Nebel war dem Strohhutpiraten ein guter Helfer. Er verbarg die Schwärze, die sich von Zoros Stiefeln langsam ausbreitete und alles in eine zeitlose Parallelwelt ohne Licht verschluckte. Ein violetter Schimmer floss der Schwärze inmitten mit.

„Letzter Angriff!“, dachte sich Zoro. „Alles auf eine Karte setzen und Schluss!“

Mihawk war sich im Klaren, dass hier etwas plötzlich etwas nicht mehr war wie bisher. Es wäre nun auf jeden Fall angebracht, den Gegner auszuschalten, der anscheinend ein Ass im Ärmel hatte, welches nicht aus dieser Realität stammte. Er fühlte fremde Kälte und Dunkelheit, die er sich nicht erklären konnte. Obwohl er hier ganz ruhig stand, so war ihm, als stünde die Zeit still und er könne sich nicht bewegen. Etwas zog in tief in den Grund hinunter, obgleich er doch fest auf seinen Füßen stand. Er hatte von solchen Bann kreisen gehört, welche die Zeit beeinflussten und es sollte nur eine Gattung geben, die diese beherrschten. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Wäre es möglich, dass ... ? Nein, es konnte nicht sein! Die Cipherpol hatte alle Kali-Kinder getötet. Das hatte die Weltregierung immer wieder kontrolliert und bestätigt. In unzähligen Geheimdokumenten wurden solche Informationen an die Sieben Samurai der Meere verteilt. Es gab keine Blutlinien der Halbdämonen mehr. Und jedes Aufkeimen einer neuen Linie wurde radikal ausgelöscht. Wer das Gegenteil behauptete, wäre ein Lügner. Der Grünhaarige konnte unmöglich zu den Hanyôs gehören. Der Samurai wollte keinen Zufälle gelten lassen. Nun war es höchste Zeit, diesen Feind zu töten, bevor hier unsportliche Mittel zum Einsatz kämen. Mihawk warf aus den Augenwinkeln einen blitzschnellen Blick zu Boden. In diesem Moment riss der Nebel kurz auf und gab den größten Albtraum des Samurais preis. Er stand bereits inmitten eines Bannkreises und war somit dem Jüngeren hilflos ausgeliefert, wenn er sich nicht sofort herausschlagen würde.

„Ich hätte nie von dir gedacht, mit solchen Mitteln zu kämpfen!“ warf der Alte dem Jungen vor. Enttäuschung schwappte in seiner Stimme mit.

Wütend schnaubte der Angesprochene Luft durch die Nase. Na, der war vielleicht lustig! Dann könnte er ihm auch sicherlich erklären, wie man diese Kräfte kontrollieren und abstellen könnte. Garantiert hatte sich Zoro diesen Mist nicht ausgedacht, vermutete aber, dass es wohl ein Selbstschutzmechanismus wäre. Es ging hier um Leben und Tod. Letzteres wollten diese Kräfte wohl nicht akzeptieren.

Er gab nur frech grinsend zurück: „Welche Mittel?“

In diesen wenigen Sekunden, wo der Ältere Zoros Geheimnis unausgesprochen lüftete, machten sich beide zum finalen Schlag bereit. Tatsächlich schaffte es Mihawk, sich mit einer schwungvollen Drehung vom Boden hoch hinauf abzudrücken und in der Luft weit auszuholen. Sein schwarzes Schwert war ein Schwert der Zerstörung und der Dunkelheit. Der Schwertträger war sich mehr als sicher, dass sein Herausforderer diesen Angriff unmöglich blocken oder gar überleben konnte. Eine dunkle Welle flog nieder zum Grund. Sie würde alles dort unten zerschmettern, tiefe Krater in den Grund reißen und seinen Gegner vollkommen vernichten.

Es war ein Augenzwinkern, ein Hauch der Zeit, in dem Zoro eine Entscheidung fällt. Kitetsu hatte schon immer blutrünstig alles zerrissen, was ihm an die Klinge sprang. Es war sein Angriffswille. Shûsui war unzerstörbar, aber zerstörte unerbittlich alles. Es war seine Kampfesstärke und pure Energie. Und Wadôichimonji war das reinste Licht und Harmonie. Es war ebenso Vergangenheit wie Gegenwart und Zukunft. Das Katana war seine Seele und hatte eine kleinen, grünhaarigen Rotzlöffel und Hitzkopf zu einen überlegenem und überlegtem Kämpfer gewandelt. Das mentale Gleichgewicht, was er als Kind nicht besaß, hatte er nun erreicht. Jedes Schwert hatte eine Stärke, die er nach langen Kämpfen langsam erkundet hatte. Und diese Kräfte zu vereinen, war ihm nach jedem Kampf immer mehr und mehr gelungen. Nun galt es in diesen letzten Schlag die absolute Perfektion zu legen. Aus allen drei Katana musste nun eine Einheit verschmelzen, wie es noch nie zuvor da gewesen war.

„Kyûtôryu Shônetsujigoku!“

Eine dämonische Flammenhölle tat sich auf, raste wie eine Feuerwand auf Mihawk zu und sollte dessen Scheiterhaufen werden. Dieser starrte ungläubig mit weitaufgerissenen Augen auf das Wesen dort unten, das nur mit seinem Geist eine Illusion erschuf von roten Augen, drei Köpfen und sechs Armen. Es war das spiegelgenaue Abbild seiner Vorfahren der Ashura. Ein Hanyô, wie er es gedacht hatte! Für Zoro hingegen war es das weiße, entscheidende Licht, um aus allem auszubrechen. Aus seiner Vergangenheit, aus seinem Schwur gegenüber Kuina, aus seinem alten Leben und langen Qualen. Der Griff zur Erfüllung seines Traumes lag greifbar nah. Endlich Schluss mit allem!

„Flieg, Kuina! Lass deine Seele vom roten Schmetterling zum Himmel tragen und finde Ruhe!“ rief er dem ausgeführten Schlag noch hinterher.

Feuer kollabierte mit Zerstörung. Licht und Dunkelheit hoben sich gegenseitig auf. Mihawk verfing sich in dem Feuerball, wurde zerschnitten und fiel wie ein Stein dorthin zu Boden, wo die Wellen den Strand bereits erobert hatten. Obwohl sein Körper leblos schien, war noch eine flache Atmung zu sehen. Sein Brustkorb hob und senkte sich gequält. Bald würde er für ewig ruhen.

Auch an Zoro war der Kampf nicht spurlos vorübergegangen, obwohl der Bannkreis unerlaubt das Schlimmste verhindert hatte. Zwar hatte er die Druckwelle des Black Swords spalten können, aber der zu Splittern gewordenen Druck zerschnitt wie feinstes Glas seine Haut. Ein wahrer Nadelregen sprühte herab. Er spürte nichts davon. Auch nicht, wie einer dieser Splitter an seinem Hals entlang schnitt. Seine Hauptschlagader war getroffen und Blut spritzte wie eine Wasserfontäne im Rhythmus seines Herzens heraus. Es floss über seine Kleidung zu Boden und wurde vom Meereswasser weggewaschen.

Erst nun bemerkte er diese Wunde. Reflexartig ließ er sein Schwert fallen, um mit der nun freien Hand, die Wunde abzudrücken, doch es sprudelte wie eine frische Quelle. „Ich muss hier vom Wasser weg!“ schoss es ihm durch den Kopf. Chopper hatte oft gewarnt, wenn Salzwasser in offene Wunden käme und wie gefährlich das für Leib und Leben wäre. Torkelnd machte sich der Schwertkämpfer auf den Weg in Sicherheit, doch der Blutverlust war längst zu groß. Nur ein paar Schritte und ihm wurde schwarz vor den Augen. Er konnte das Gleichgewicht nicht länger halten und brach zusammen. Die Kontrolle übers einen eigenen Körper war vorüber und seine Kräfte aufgezerrt. Wellen klatschen sanft gegen ihn und die Wunden. Es brannte höllisch, als würde er selbst in Flammen stehen.

Der Nebel verzog sich langsam. Es war kurz vor Mitternacht. Der Mond sah aus einem herrlichen Sternenhimmel herab und streichelte den Sieger des Kampfes mit sanften Lichtstrahlen. Wie eine Bettdecke senkte sich der Schein herab über ihn. Zoro sah bewegungslos zu seinem einzigen Besucher hinauf. Beide wussten, dass er die Schlacht gewonnen, aber den Krieg verloren hatte. Ob sich an Tashigis Hals nun wohl der Schmetterling gelöst hätte? Er würde es wohl nie erfahren. Auch nicht, wie verführerisch ihr Küssen schmecken würde und auch nicht, ob sie nun um ihn weinen würde. Zum Greifen nah sah er ihr Gesicht vor sich. Gern hätte er einfach nur die Hand ausgestreckt und es mit den Fingerspitzen berührt. Sie hatten sich zur falschen Zeit am falschen Ort getroffen. Ihre Gemeinsamkeit war viel zu kurz gewesen und zum Scheitern verurteilt. Langsam verschwamm der Mond vor seinen Augen wieder und er sackte langsam wieder ab in einen tiefen, endlosen Traum der Dunkelheit.

In der Vergangenheit hatte ihn der Schlaf vor dem sicheren Tod bewahrt und ihn geheilt. Würde er es auch diesmal tun? Wohl kaum, die Wunde schloss sich nicht. Was wohl die Crew denken würde, wenn er morgen früh immer noch nicht aufgetaucht wäre? Sicherlich würden sie ihn suchen. Aber auch finden? Viele, viele Gedanken kreisten durch seinen Kopf, bis es schmerzte. Er stellte sich vor, wie die halbe Mannschaft Wasserfälle um ihn heulen würde. Eines Tages würden sie darüber hinweg kommen.

„Schlaf ein! Dann hast du eine Chance!“ ermahnte er sich selbst.

In dieser Nacht war eine weltbewegende Entscheidung gefallen, die niemand sah. Ein Titel hatte seinen Meister gewechselt. Während der alte Meister der Schwertkunst in seinen letzten Zügen lag, führte der neue Meister einen letzten Kampf um sein eigenes Leben, das langsam verblasste.

Roronoa Zoro war nun der weltbeste Schwertkämpfer, doch niemals würde es jemand erfahren. Er konnte es niemanden mehr mitteilen. Wenn ihn der Schlaf nicht retten würde, dann würde er hier elendig verbluten und der Titel wäre nur Ruhm für Minuten gewesen.

„Wenn du allein gehst, dann ist es eine Einbahnstraßensackgasse!“ sprach einst der Fischer. Und in dieser Sackgasse war er nun. Es gab keinen Weg zurück und keinen Weg heim.

Er schickte einen letzten Gruß in Gedanken an die Crew und an seinen Engel.

„Tashigi...“

Natürlich war es dumm zu glauben, dass sie ihn hören könnte, auch wenn er es sich so sehr wünscht. Wieder wurde ihm schwarz vor Augen. Es war vorbei.

35 - Abschied eines Versprechens

Weit in der Ferne am anderen Ende der Insel ungefähr zur selben Stunde fuhr eine junge Frau aus dem Schlaf hoch. Sie musste hier am Lagerfeuer in ihrem bequemen Liegestuhl kurz eingenickt sein. Nun war das Feuer herunter gebrannt und glimmt dunkelrot aus. Alle anderen musste schon lange zu Bett gegangen sein. Hier und da drang bestätigendes Schnarrchen aus den offenen Zelten. Es war eine laue Nacht mit einem prachtvollen Sternenhimmel. Die Wellen rauschten sanft an den feinen weißen Paradiesstrand. Doch die Idylle trügte.

Jemand hatte doch ihren Namen gerufen? Davon war sie erwacht. Sie war sich ganz sicher und fasste sich an den Hals. Der rote Schmetterling flatterte wie wild und versprühte rote Funken. Es schmerzte nicht, sondern fühlt sich leicht und befreiend an. Er wollte wegfliegen, aber seinen feinen Füßchen klebten weiterhin an ihrem Hals fest, wie die Fliege in einem Spinnennetz. Tashigi sprang panisch von ihrem Stuhl auf und warf die Wolldecke weg in den Sand. Irgendwas war anders! Sie blickte in die Zelte und stellte Zoros Abwesenheit fest. Irgendwas war falsch! Böse Befürchtungen ließen sie frösteln und in Angst versetzen. Sie rannte zu dem Zelt, in welchem Chopper nächtigte. An seinem Geweih zog sie ihn hastig heraus und weckte ihn mit heftigem Schütteln. Es war ein Wunder, dass niemand sonst von der Crew aus dem Schlaf gerissen wurde und das merkwürdige Spektakel beobachten konnte.

Das kleine Rentier verstand die Welt nicht mehr, als es von dem ehemaligen Fähnrich zur See wortlos über den finsteren Weg hinauf auf den Hügel geschliffen wurde. Es jammerte und fühlte sich nicht wohl in seinem Fell. Erst oben angekommen, legten Tashigi eine Pause ein und der Arzt sah den glühenden Schmetterling, der wie eine rote Laterne den Weg samt Umgebung erleuchtete.

„Zoro ist nicht da!“ schrie sie ihn verzweifelt an.

„Nicht? Wo könnte er sein?“ Nun war Chopper endlich hellwach geworden und sah sich suchend und verwirrt um. Dann blickte er ihr ins Gesicht. Tränen standen ihr in den Augen. Erst jetzt begriff das Rentier den Ernst der Lage. Man musste mit dem Schlimmsten rechnen. Chopper hielt hier oben über allen Hügeln seine Nase in die Luft und nahm Witterung auf. Erschrocken zuckte er zusammen und wurde gar unter seinem dicken Fell blass: Er roch Blut, viel Blut. Darunter das von Zoro. Der Arzt deutete in einen Richtung und Tashigi, die jeden einzelnen Pfad noch aus ihrer Dienstzeit kannte, rannte wie von Sinnen voraus. Es war ihr egal, was sie dort vorfinden würde und ob es gefährlich wäre. Wenn er nur noch leben würde ...

Das Rentier konnte trotz seiner guten Trittfestigkeit der Vorauseilenden kaum folgen. Noch nie hatte er jemanden so rennen sehen. Natürlich war er selbst mehr als besorgt, wie es um seinen besten Freund stand, doch Tashigis Verhalten gegenüber Zoro konnte er nicht zuordnen. Sicher, die beiden hatten sich in den letzten Wochen gut verstanden, aber dass sie dann gleich so ausrasten würde vor Sorge? Das musste er bei Gelegenheit mal ergründen.

Sie rannte und rannte. Zielstrebig zu der Bucht, die Chopper eben in der Ferne gedeutet hatte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und der Angstschweiß rannte in Bächen ihren Rücken hinab. Hatte der Fischer nicht gesagt, sie sollten alle auf den Grünhaarigen aufpassen? Und nun so was! Hatten sie versagt? Wieder wurde sie panisch. Eigentlich müsste man sich um Zoro keine Sorgen machen, doch der Schmetterling tobte. Es war ein unmissverständlicher Hinweis, dass etwas Böses passiert sein musste.

Erschöpft und schwer keuchend erreichten sie endlich den gesuchten Ort. Der dunkle Weg hierher lag hinter ihnen und war den beiden wie eine Ewigkeit vorgekommen. Nun breitete sich vor ihnen gespenstisch schön ein breiter Steinstrand vor aus, aus dem hohe, blanke Felsen ragten und den Blick auf das tobende Meer einschränkten. Es waren die Bilder eines harten, vergangenen Kampfes und die Wellen krachten wie in Rage über die Naturzerstörung wild gegen den Strand. Der Nebel hatte sich gelichtet. Nun reflektieren die Steine das Mondlicht diffus.

Orientierungs- und atemlos setzten sie ihren Weg fort. Sie irrten über den unübersichtlichen Abschnitt und konnten sich erst nicht erklären, was eigentlich überhaupt passiert sein könnte. Erst als sie am anderen Ende der Bucht die Schatten von Mihawks Schiff erspähen konnten, wurde aus einer Vermutung eine handfeste Tatsache. In dem Zwielicht war schwer auszumachen, ob es sich dort um Steine oder Menschen handelte. „Bitte lass es Zoro sein...“ schickte Tashigi einen Wunsch zum Himmel. Mittlerweile gingen sie im Laufschritt über den holprigen Grund auf die entdecken Objekte zu. Kopflos. Sorglos. Sie sahen nicht nach rechts und links, ob Feinde oder ein Hinterhalt um sie herum wären. Alles verschwand in eine weit entfernte Welt. Nur noch das Vorausliegende war wichtig.

„Zoro!“ kreischte sie plötzlich los und rannte auf den leblos wirkenden Körper zu. Chopper folgte ihr entsetzt.

„Ah, wir brauchen einen Arzt!“ rannte das Rentier in panischen Kreisen um den Verletzten und seinen Engel, der heulend neben diesem kniete und hoffnungslos seinen Namen rief. Über allem schien leuchtend grell der rote Schmetterling.

Mit einem Stopp aus vollem Rentiergalopp kam Chopper wieder zu sich selbst. Sein bester Freund lebte doch noch! Was lief er selbst dann hier für Amokkreise? Zoro brauchte sofort ärztliche Notfallmedizin.

„Er muss aus dem Wasser raus! Hilf mir!“ riss er Tashigi zurück in die Realität. Gemeinsam zogen sie ihn ein gutes Stück an den Armen auf den trockenen Felsgrund. Dabei achtete der Arzt peinlichst genau, dass der schnell angelegte Druckverband am Hals nicht verrutschte. Er versorgte die Wunden so gut es ging. Tashigi wollte ihm dabei helfen, doch es gab für sie nichts zu tun. Sie fühlte weiter diesen bockigen Falter an ihrer Kehle.

„Was will sie denn noch? Er hat doch gewonnen?“ fragte sie wütend und enttäuscht in die Nacht hinein. Erstaunt blickte Chopper auf. Er wusste auch keinen Rat und wollte sie zurückhalten, wie sie aufsprang und sich suchend umsah. Da lagen das Kitetsu und das Shûsui. Bedächtig nahm sie beide an sich. Aber wo war das Wadôichimonji? Sie ging ein Stück weiter dorthin, wo sie Mihawk im Salzwasser entdeckte. Der Auslöser für all dieses Ganze lebte noch! Zorn wurde in ihr zu blinder Wut. Scheppernd ließ sie die beiden Katana fallen, stapfte energisch auf das menschliche Scheusal zu, welches ihr gerade ihre Liebe unbewusst in den Tod entreißen wollte.

„Du bist an allem Schuld!“ schrie sie gleichgültig darüber, ob der besiegte Samurai es überhaupt vernehmen würde. Da glänzte etwas wie pures Licht im seichten Wasser. Als würde Wadôichimonji sie rufen, strahlte es eine glänzende Wärme aus wie ein Lichtstrahl der Hoffnung. Sie griff in das eiskalte Wasser und zog es heraus. Der rote Schein des Schmetterlings wurde eins mit dem weißen Glanz des Katanas. Sie sah ihr Gesicht mit der Narbe wie in einem Spiegelbild in der hochpolierten Klinge. Warum war der Fluch nicht gebrochen? Was wollte ihre Schwester denn noch?

Wie von der Tarantel gestochen fuhr sie herum. Sie war nicht mehr Herr ihrer Gedanken. Außer Kontrolle wie von einem Geist besessen rammte sie Mihawk das weiße Katana in den Brustkorb.

„Lass uns endlich in Ruhe!“ kreischte sie hysterisch. Ob sie damit nun Mihawk oder Kuina meinte, würde auf ewig ihr Geheimnis bleiben. Es machte auch keinen Unterschied, denn für sie waren beide Schuld: Ihr Schwester, das sie der Auslöser dieser Suche war und Mihawk, weil er ihren Liebling verletzt hatte. Die Logik rückte dabei in weite Ferne. Knochen knackten, ein letztes Aufbäumen eines schon tot geglaubten Körpers und dann erlosch entgültig und ehrlos das Leben eines gefürchteten und geachteten Piraten.

Im selben Moment, wo dem Samurai seine Lebenskerze ausgeblasen wurde, löste sich der Falter von Tashigis Hals und hinterließ einen schemenhaften Abdruck. Taumelnd flatterte das rote Insekt erst noch etwas unbeholfen über die Steine, tanzte dann einige Kreise in der Luft und flog weiter an Choppers Nase vorbei zu Zoro, dass dieser aus seinem Schlaf geweckt wurde. Nur verschwommen durch einen Spalts einer Augen sah der Schwertkämpfer auf das rote Licht, dass sich da so leicht durch die Luft bewegte, wie ein Glühwürmchen. Kraftlos hob er kurz seine Hand, auf deren Fingern der Falter entlang hüpfte und einige Sekunden ins einer ganzen Schönheit verweilte. Dann erhob er sich wie ein Stern zum Himmel empor. Es war ein allerletzter Abschied.

Alle drei sahen gebannt auf dieses unglaubliche Wunder, bis es weit oben nur noch ein roter Tupfer war, der langsam erlosch. Zeitgleich erlosch auch der magischen Glanz von Wadôichimonji. Es würde für eine lange Zeit nicht wieder so einen Schein ausstrahlen wie bisher. Das Versprechen war eingelöst und der Fluch gebrochen.
 

Noch lange saßen sie schweigend da. Tashigi hatte Zoros Katana sorgfältig eingesammelt und sie dem offiziellen Schwertträger namens Chopper unter dessen Rucksack befestigt. Nun galt es, den Schwertkämpfer hier irgendwie in Richtung Thousand Sunny zu bekommen. Der kleine Arzt entschied sich dann letztendlich für die einzige Möglichkeit, sich groß zu machen und seinen besten Freund geschultert mitzuschleppen. Was anderes blieb ihnen nicht übrig. Es würde zu lange dauern, die Crew samt Schiff zur Hilfe zu holen, um sie hier aufzulesen. Gerade wollten sie gehen, als ihnen ein großer Fehler gewahr wurde. In der Ferne wurden Lichter deutlich, die zu Sturmlaternen gehörten. Und die große Gruppe von Menschen, die diese Laternen trugen, waren in Marineuniformen gehüllt. Mihawk hatte Besuch erwartet und der tauchte nun gnadenlos auf. Wie Ameisen kribbelte es nun aus allen Löchern.

„Lauft!“ hörten sie Zoro flüstern.

„Bist du bescheuert? Du kommst mit uns!“ fuhr in Chopper an, aber ein Schuss quer zwischen sein kurzes Geweih hindurch ließ ihn in Panik und wieder zurück in seine Rentierform verwandeln. Wenn sein bester Freund „Lauft!“ sagte, dann meinte er es auch so. Als Rentier folgte er ausschließlich animalischen Instinkten und die sagten ihm ebenfalls: „Lauf!“ Wie eine Rakete schoss er los Zickzack zwischen den Steinen und Felsen hindurch. Er musste so schnell wie möglich zur Sunny und die Crew holen. Höchste Eile und Hilfe war geboten. Er rannte wie von Sinnen und hörte auch nicht mehr Tashigis Stimme, die ihm noch seinen Namen verzweifelt nachrief.

Die junge Frau hatte ein ernstes Problem. Vor eigener Dummheit hatte sie ihre Schwerter nicht mitgenommen. Die standen noch an dem Liegestuhl in der Bucht sauber geordnet in Reih und Glied. Und mit Zoros Schwertern war eben ein durchgehendes Rentier in die Nacht geflohen. Somit hatte sie keine einzige Verteidigungswaffe am Leibe. Schützend stellte sie sich vor Zoro, der bereits wieder in einer Art Halbschlaf vor sich hindämmerte. Seine lebenserhaltenden Funktionen waren nun zwar stabil, aber zum Aufstehen oder gar Verteidigen war er viel zu schwach. Erst als der Schmetterling fort geflogen war, hatte er überhaupt wahrgenommen, dass Chopper und Tashigi ihn gefunden und gerettet hatten. Alles, was er aus den Augenwinkeln wahrnahm, war mehr als verschwommen. Worte erreichten ihn noch nicht. Er war unfähig, sich zu bewegen und unfähig, etwas zu fühlen.

„Vom Regen in die Traufe...“ dachte er sich, als er Marinesoldaten ausmachen konnte. Aber was hätte er auch anderes in seinem Leben erwarten können?

Sie waren umzingelt von gut drei Dutzend Soldaten, die ihre Waffen auf sie gerichtet hatten, als würden sie jeden Augenblick ausbrechen und alles niederschlagen wollen. Es war mehr als lächerlich. Ein Offizier mit kurzen, schwarzen Stoppelhaaren bahnte sich gebieterisch einen Weg durch seine Unterstellten. Er hatte sich bereist ein Bild von dem vorausgegangenen Kampf gemacht und stand nun Tashigi Auge in Auge gegenüber. Ein süffisantes Grinsen zierte sein ovales Birnengesicht mit der breiten Nase und dem ebenso breiten Mund. Obwohl er schlank und muskulös war, wirkte er aufgrund seiner geringen Körpergröße recht kompakt. Eigentlich ein recht hässlicher Vogel, dem man in Marinekreisen viele Bettgeschichten und uneheliche Kinder nachsagte. Daran musste ein Funke Wahrheit zu finden, denn Tashigi erinnerte sich nur zu gut an ihre Dienstzeit hier. Unzählige Briefchen und Geschenke hatte sie von diesem Mann bekommen, der sich Befehlshaber von Umeshu-Shima nannte. Doch alle waren gefühlskalt und nur darauf aus, sie in sein Bett zu bekommen. Mit Ausreden wimmelte sie ihn jedes Mal ab und war unendlich froh, als Smoker sie hier wieder einsammelte und mitnahm. Nun schien der Kerl zu triumphieren. Den größten Schwertkämpfer der Welt und eine Hochverräterin aus Marinereihen! Welch herrlicher Beutefang! Das passierte nicht alle Tage.

„Tashigi, ich sehe, Sie ziehen noch immer mit diesen Piraten? Ist es nur ein Vorwand, um diese Crew zur Strecke zu bringen oder haben Sie die Seiten gewechselt? Letzteres wäre doch äußerst bedauerlich!“ Fies lachend packte er sie am Kinn, um ihr direkt in ihr Gesicht zu sehen. Ein eiserner Blick stach aus ihren Augen, der Stärke kennzeichnete. Doch sie fühlte sich innerlich schwach und hilflos. Sie wollte ihre Liebe nicht verraten, hatte aber Angst um ihr Leben. Als Hochverräterin wurde sie weltweit von der Marine gesucht. An dieser Tatsache gab es wenig zu rütteln. Theoretisch dürfte man sie nun hier ohne Prozess an Ort und Stelle hinrichten. Sein Griff schmerzte an ihrem Unterkiefer und so schüttelte sie sich trotzig frei. Böse sah sie ihn an und beobachtete an seinen Gesichtszügen, für welchen Maßnahmen er sich nun entscheiden würde. Ein höherer Marinesoldat fragte nach weiteren Anweisung und ob die Gefangene auf der Stelle getötet werden sollten.

„Nein, steckt sie in den Kerker. Ich will sie einzeln verhören. Und dann werden wir auf dem großen Fest ein Zeichen gegen die Piraterie setzen: Roronoa Zoro wird dort öffentlich hingerichtet vor aller Piratenaugen. Dieses Piratenpack soll unsere ganze Macht spüren. Und diese kleine Verräterin stellen wir gleich daneben.“

Die Augen des Kommandanten leuchteten bei dieser Vorstellung. Sicherlich würde ihn das Marinehauptquartier mit Orden und Belohnungen überhäufen. Er strahlte förmlich vor Begeisterung. Tashigi hingegen wurde bei diesem Anblick und den Gedanken an einen frühen, plötzlichen Tod ganz schlecht. Eine ganze Welt brach für sie zusammen. Ihre Knie wurden weich und drohten nachzugeben. Aber sie hatte diesen Weg gewählt und nun musste sie ihn unweigerlich zu Ende gehen. Standhaft kämpfte sie gegen ihre Schwäche an. Sie wollte mit Stolz von der Bühne des Lebens gehen.

Zwei Soldaten packten sie hart an den Armen und drehten ihr diese über Kreuz auf den Rücken, um sie dann abzuführen. Sie kannte das Marinequartier dieser Insel. Es war zwar nicht groß und hatte nur ein kleines Büro. Darüber befanden sich vier Gemeinschaftsräume, in denen gegessen und geschlafen wurde. Als einzige Frau war sie damals ständig irgendwelchen Spannern ausgesetzt gewesen, mit denen sie sich unweigerlich dasselbe Zimmer teilen musste. Seit dieser Zeit hatte sie sich angewöhnt, Shigure als Schutz immer mit ihr Bett zu nehmen, was natürlich zu weiterem Spott führte. „Die macht es sich damit sicherlich selbst!“ höhnte einige, drehten sich aber verlegen weg, wenn sie auftauchte. Zum Glück waren nicht alle so gewesen. Sie hatte in ihrer Mannschaft auch einige fähige Kerle, die nicht so notgeil waren und sich jederzeit für sie einsetzten. Das Gebäude schien unscheinbar, aber die Kerkeranlage verzweigte sich tief in den Hügel und barg tiefes Grauen. Sie hatte diesen Ort schon ewig gehasst und gemieden. Eingetrocknetes Blut klebte bis heute an Wänden, Gitterstangen, Folteranlagen und auf dem dreckigen Fußboden. Kein Sonnenstrahl drang dort hinein. Noch ein letztes Mal wollte sie ihren Liebling sehen, bevor er dort in dem dunklen Verlies verschwand. Schlagartig riss sie sich los, wurde aber grob wieder gepackt. Doch sie hatte ihn noch einmal für Sekunden gesehen, wie er da so unbeweglich dalag. Blutüberströmt mit zerrissener Kleidung und dem Kopftuch. Sie unterdrückte Tränen und versuchte den Kloß in ihrem Hals herunter zu schlucken. Dann wurde sie von zwei Männern mitgezogen.

Zoro sah die Welt nur verschwommen und tonlos aus Augenschlitzen. Was auch immer der schmierige Kerl mit den vielen Rängen gesagt hätte, es war ein Aufschub an Zeit. Wertvolle Stunden, um alte Kräfte zurückzuerlangen. Wut kochte in ihm auf, als er am Rande mitbekam, wie sie Tashigi von ihm wegrissen. Aber sie war so tapfer und stolz. „Ob es Chopper zur Sunny geschafft hat?“ verschwendete er einen Gedanken. Ein derber Ruck an seinen Armen setzte ihn davon in Kenntnis, dass er nun mehr schleifend als gehend diesen Ort verlassen würde in eine ungewisse Zukunft.
 

Noch nie war das Rentier so schnell gelaufen und als er die Zelte in ihrer paradisieschen Bucht sah, schlug es kräftig Alarm.

„Die Marine hat Zoro und Tashigi gefangen! Los, wir müssen sie retten!“

Müde steckten die Strohhutmitglieder ihre Köpfe aus ihren Nachtlagern und verstanden zuerst gar nicht, warum der kleine Arzt hier dermaßen Amok lief. Von dem nächtlichen Treiben zuvor hatten sie nichts mitbekommen. Sie krochen hervor und versammelten sich um einen vollkommen aufgelösten Chopper. Am Horizont wurde es dämmerig. Die Sonne ging auf und wies den Zeitungsmöwen den Weg. Eine kreiste direkt über dem Zeltplatz und warf ein frisch gedrucktes Sonderblatt genau vor alle Füße. Die Schlagzeilen überschlugen sich:

„RORONOA ZORO BESIEGT DULACRE MIHAWK“

„Cool, er hat es geschafft!“ lachte Luffy voller stolz los. Er hatte die Zusammenhänge noch nicht ganz begriffen. Der Rest der Crew staunte ungläubig Bauklötze. Es kam allen viel zu plötzlich und unerwartet, als dass man es begreifen könnte.

„Hörst du mir überhaupt zu? Nach dem Kampf kam die Marine an!“ heulte Chopper.

Und um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen, drehte das Rentier das Sonderblatt um.

„HINRICHTUNG VON RORONOA ZORO IST HÖHEPUNKT DES PFLAUMENFESTS“

Die Presse hatte wirklich viel Druckerschwärze in kürzester Zeit verschwendet und eine Menge Papier verbraten. Die Mannschaft war über den Vorfall mehr als geschockt. Wie hatte das passieren können? Der kleine Arzt berichtete ausführlich. Natürlich war es vollkommen klar, dass der Schwertkämpfer aus dieser misslichen Lage sofort befreit werden musste. Nur Nami wurde ihr böses Gesicht nicht los. Sie triumphierte und fühlte sich nun absolut im Recht mit ihrem Verdacht, Tashigi würde sie alle nur verraten. Das war doch der eindeutige Beweis. Wie sonst hätte die Marine dort wie bestellt aufkreuzen können? Ein Nakama wäre dieser verdächtigen Frau ja nun ins Netz gegangen. Und man hatte ja beobachten können, wie diese Weib die letzte Zeit um ihn herumschlawenzelt hatte. Eine hitzige Debatte entbrannte über Tashigis unerkannten Pläne, bis Luffy dann in sich gekehrt seinen Strohhut ins Gesicht zog. Jeder wusste, was dieses Zeichen bedeutete. Er dachte nach und würde nun eine ernsthafte Entscheidung fällen. Langsam drehte er sich wieder um und blicket in Choppers verheultes Gesicht und dann auf Zoros Katana, die das Rentier noch immer mit sich herum trug. Anschließend musterte er jeden einzelnen seiner Crew.

Franky und Usopp schienen fest entschlossen, beide zu befreien, denn sie glaubten an die Unschuld der ehemaligen Marineoffizieren. Auch Sanjis Gesichtsausdruck ließ sich als Zustimmung deuten. Auch wenn ihm Zoro eigentlich egal sein müsste, so würde ihm dann in Zukunft ein Streitpartner fehlen. Und eine Dame ließ man obendrein nie ohne Schutz, selbst wenn sie ihn verraten würde. Robins Gesicht war neutral und undurchsichtig wie immer, während Namis Mine immer noch wie ein Stück Kohle glühte. Sie wartete auf Bestätigungen, die nicht kamen.

Luffy dachte an sein aller erstes Crewmitglied, welches immer loyal zu ihm gehalten hatte. Es war ihm nicht entgangen, dass sich der Schwertkämpfer in den letzten Monaten verändert hatte. Später hatte der Strohhutjunge erkennen müssen, dass der Schwertkämpfer richtig lag. Aber sie waren beide durch ein unsichtbares Band der Freundschaft und des Vertrauens verbunden, dass oft zu reißen drohte, jedoch immer wieder geknotete werden konnte. Bis zur letzten Sekunde hatte Luffy gehofft, dass Zoro in vom Schafott befreien würde. Er war nicht enttäuscht worden. Man mag den Kapitän dieser sonderbaren Mannschaft für naiv halten, doch es war ihm nicht entgangen, dass Tashigi langsam, aber stetig eine besondere Rolle im Leben seines engsten Mitstreiters einzunehmen schien. Wie das ausgehen würde, wusste der Gummijunge nicht, doch sein Vertrauen in Zoro war ungebrochen. Wenn es dem Grünhaarigen so wichtig war, dann hatte es einen indiskutablen Grund.

„Wir befreien beide!“ sagte der Captain mit fester Stimme. Die Entscheidung war unanfechtbar, auch wenn der Navigatorin für den Bruchteil der Sekunde die Gesichtszüge entgleisten und das Blut in den Adern gefror.

36 - Kreuzverhör

Die Befreiungsaktion Luffys entpuppte sich dann letztendlich doch eher nach der Nadelsuche im Heuhaufen. Sie waren sofort noch im Morgengrauen aufgebrochen und über die Pfade und Hänge losgestürmt, als Chopper kurz zuvor verwundet und erschöpft seine Nakamas erreicht hatte. Jedoch war es eher ein kopf- und planloses Unternehmen, was ihnen nun einen ziemlichen Irrmarsch über das Eiland bescherte. Nami hatte zwar die Karte der Insel aus dem Gedächtnis vor Augen, musste aber zugeben, dass sich nicht nur die Wege und Buchten im Laufe der Jahrzehnte durch Verwitterung und Naturerscheinungen verändert hatten, sondern auch die Marinebasis gar nicht verzeichnet war. So langsam begriffen sie, warum diese Landerhebung auch die Insel der Labyrinthe genannte wurde. Man konnte zwar von einem Hügelkamm zum nächsten Hügelkamm sehen, doch der Weg dahin war eine verschlängelte Ewigkeit. So verging ein gehintensiver Tag, der an den Nerven der Strohhüte zerrte. Doch als die Abenddämmerung einsetzte und sich das Gesicht der Insel zum Schlaf änderte, hatten sie zum ersten Mal das Gefühl, endlich auf dem rechten Weg zu sein. Es wurde kühler, rauer und nebeliger. Ein fast kreisrunder Mond stieg langsam dunkelrot am Himmel auf und wirkte bedrohlich unheilverkündend, als wüsste er bereits von einer blutigen Nacht, die da folgen würde.

Und plötzlich stoppte der Gummijunge mitten aus dem Lauf von einer zur anderen Sekunde ab. Dort, hinter der nächsten Wegbiegung lugte tatsächlich am Horizont eine vom Meerwind zerrissenen Marineflagge hervor, die schlaff an ihrem zerrosteten Masten hing. Die Gruppe hatten endlich ihr Ziel erreicht. Vorsichtig suchten sie sich eine geschützte Deckung zwischen den Büschen, um die Lage zu inspizieren. Das Haus wirkte wie eine baufällige Baracke. Das Marinehauptquartier schien kein Interesse zu hegen, sich um ihre weit verstreuten Liegenschaften auf der Grandline zu kümmern, denn nicht nur die ergraute Außenfarbe blätterte von der Holzverkleidung herunter wie Herbstlaub, sondern auch die Fenster waren nur notdürftig geflickt, die Tür eingetreten und die Fensterläden hingen schief in den Angeln. Links und rechts neben der Eingangstür war jeweils ein großes, dreckiges Fenster und ließen Büroräume vermuten. Sehr kleine Fenster in der ersten Etage deuteten auf Mannschaftsunterkünfte hin. Mehr schien diese Häuschen dort nicht zu bieten. Allerdings sah es doch recht verdächtig aus, wie es dort so an der Felswand lehnte. Ob es vielleicht das falsche Gebäude war? Luffy wollte sich schon auf den Weg machen, um den Soldaten, der vor dem Haus Wache schob, einfach mal auf seine eigens ganz persönliche Art auszufragen. Immerhin war er Strohhut-Luffy ohne Furcht und Tadel mit hohem Steckbrief. Da müsste schon eine Antwort drin sein. Doch Nami hielt ihn zurück, denn gerade konnte sie noch rechtzeitig erkennen, dass wohl dort unten im Hafen sehr viele Kriegsschiffe vor Anker lägen. Also müssten hier definitiv noch mehr von den Marinesoldaten sein. Es war nur die Frage zu klären, wo diese sich verstecken würden.

Sie blieben also in ihrem Versteck hinter den Büschen und warteten, dass der Mond weiter aufstieg. Das tat er dann auch wie gewöhnlich und strahlte nun mit seiner ruhigen silbernen Farbe herab. Franky pustete einmal erleichtert tief durch. Es wäre schief gegangen, wären sie einfach drauf losgerannt. Zusammen mit Sanji und Robin hatte er sich zwischenzeitlich den Hafen genauer angesehen. Zwei große Schiffe legten gerade an. Es war an den Flaggen nicht schwer zu erkennen gewesen, dass sie in diesem Moment zwei sehr unliebsame Gäste auf der Insel bekommen hatten.
 

Von einer Befreiungsaktion vor den Toren weit draußen durch die Strohhutbande ahnte Tashigi im inneren des Marinegebäudes nichts. Erst hatte man sie im Polizeigriff über die halbe Insel gestoßen, dass sie dachte, ihr Rücken würde nachgeben und brechen. Mehrere Male war sie dabei gestürzt. Zum Teil über ihre eigenen linken Füße, zum anderen durch das vorwärtstreibende Schubsen der Soldaten, die sowohl Hände als auch Gewehrkolben dafür nutzen. Viele blaue Flecke und Abschürfungen hatte sie sich dabei zugezogen und sogar die Hose an den Knien zerrissen. Sie war eine Gefangene, eine Hochverräterin. Da konnte sie sich wohl nicht über eine derartige Behandlung beschweren. Den ganzen Weg dachte sie darüber nach, ob sie ihre Gefangenen auch jemals so behandelt hätte und wusste, dass es nie so gewesen war. Dafür hatte sie sich oft von Vorgesetzten anhören müssen, sie wäre viel zu weich und naiv. Aber ihre innere Stimme bestätigte ihr, richtig gehandelt zu haben. Sie wollte Verbrecher bestrafen und die Welt beschützen. Doch dreckig behandeln für solche Missetaten müsste man niemanden. So würde man sich nur auf dieselbe Stufe stellen, befand sie und tröstete sich, dass sie sich nichts vorzuwerfen hätte. Aber das alles war nun Vergangenheit.

Immer wieder hatte sie versucht, sich unauffällig umzudrehen, um zu schauen, wo Zoro stecken könnte. Doch dieser war weit am Ende des Trosses in Gefangenschaft und in der Dunkelheit nicht zu sehen. Es wurde ihr aber auch kaum Gelegenheit gegeben, auch nur einen einzigen Blick zu erhaschen. Irgendwann tauchte die wohlbekannte Marinebasis auf, die sie damals selbst spöttisch „Pflaumenkiste“ genannt hatte. Sie hatten also nun alle ihr Ziel erreicht. Es schauderte sie, als sie an die Anlage weit drinnen im Berge dachte. Doch sie wollte stark und stolz sein und ließ sich ihre Angst nicht anmerken. Innerlich war sie nahezu zerfetzt. Der Faden, der ihre Nerven zusammenhielt, war zum Zerreißen gespannt und wurde mit jedem Schritt dünner.

Der Marsch endete in einem quadratischen, fensterlosen Raum, der sicherlich mal gekachelt war. Doch jetzt waren schon viele der ätzend grünen Kacheln heruntergefallen und lagen zerbrochen auf dem dreckigen Fußboden. Eine grelle Deckenlampe war die einzige Lichtquelle.

Nun saß sie schon seit Stunden auf einem wackeligen Holzstuhl, wo man auf der linken, hinteren Pobacke sein Gewicht verlagern musste, um keine Kippelgeräusche ertönen zu lassen. Das tat sie schon seit ihrer Ankunft den ganzen Tag lang und war mehr als anstrengend, da sie sich keinen Millimeter bewegen konnte. Die verhörenden Soldaten wollten ein Geständnis erpressen. Warum war sie Komplizin der Strohhutbande? Wo waren die Strohhüte? Sie wurde mit einer hellen Tischlampe geblendet, angeschrien, dürsten und hungern gelassen, bis sie zum Schluss von zwei Soldaten als weiteres Druckmittel an den Stuhl gefesselt wurde. Ein Bein an das linke Stuhlbein und das andere Bein an das rechte Stuhlbein. Ihre Hände waren ebenfalls gefesselt und mit einem weiteren Strick so knapp an eines der vorderen Stuhlbeine gezurrt, dass sich ihre Wirbelsäule wie ein gespannter Flitzebogen streckte und sich die Stuhllehne hart in ihr Kreuz bohrte. Das Seil schnitt in ihre zarte Haut an Fuß- und Handgelenken. Sie spürte, wie sich warme Blutstropfen aus den frischen Wunden ihren Weg zum Boden suchten. Flecke würden sich dort unten sammeln und sich mit dem alten, vertrockneten Blut aller Vorgänger mischen. Dennoch waren die Soldaten nicht zu ihrem gewünschten Ergebnis gekommen. Tashigi blieb stumm wie ein Fisch, ließ ihre zerstrubbelten Haare über das blasse Gesicht und die verbogenen Brille hängen und harrte der Dinge aus. Ihr ganzer Körper schmerzte von den Torturen und der unbequemen Sitzhaltung. Sie wartete auf eine Absolution oder ein Zeichen, doch nichts geschah.

Irgendwann standen die Protokollanten auf, verließen den Raum und löschten das Licht. Stockdunkel war es nun um sie herum und mucksmäuschenstill. Es war ein unangenehmes Gefühl. Einerseits war sie froh, endlich allein zu sein, andererseits bekam sie Angst. Sie fühlte sich blind, kalt und lebendig begraben. Ihr Nervenfaden war nur noch eine dünne Faser.

Minuten zogen sich wie Stunden, als die Tür krachend aufflog und sich gegen das Licht vom Flur eine Silhouette eines Mannes abzeichnete. Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Der Kotzbrocken von einem Marineoffizier latschte breitgrinsend herein, stellte einen der Stühle direkt vor ihren und hielt eine Taschenlampe so unter sein Kinn, dass es wohl einen furchterregenden Eindruck in seinem Gesicht ergeben sollte. Doch es war mehr als lächerlich. Lange saßen sie sich so gegenüber, bis der Befehlshaber den Soldaten vom Gang den Befehl gab, die dicke Eichentür von außen zu schließen. Augenblicklich wurde es wieder dunkel in dem Verhörraum. Nur die Taschenlampe spendete schwaches Licht. Der Kerl grinste noch immer und wagte es nun gar, seine schmierigen Griffel an den Innenflächen ihrer Oberschenkel zu reiben.

„Vielleicht wird es ja nun doch noch etwas mit uns beiden? Das würde dich vor dem sicheren Tod morgen früh bewahren!“ Der heiße Atem des Ekelpakets benetzte ihre Wange und flüsterte nun hinterlistig in ihr Ohr:

„Gib es auf! Das Fünkchen Leben deines Mitstreiter hat es bereits vor einer guten Stunde getan ...“

Dann packte er sie am Kinn, so dass sie geschockt die Augen aufreißen musste. Doch es war nicht der Befehlshaber, der ihren Willen brach, sondern das schwarze Etwas, was nun vor ihren Augen aus seiner Hand fiel und im Scheinwerferkegel der Taschenlampe wie totes Laub zu Boden sank. Das schwarze Tuch schwebte leise wie eine Feder in Zeitlupengeschwindigkeit zu ihren Füßen und legte sich dort lautlos nieder.

Sie kniff die Augen zusammen und sah nicht mehr hin. Nein! Sie biss sich die Lippen blutig und blieb stumm. Ein übler Geschmack machte sich in ihrem Mund breit. Ekel stieg auf. In ihren Augen sammelten sich verzweifelte Tränen. Zoro konnte nicht tot sein! Das war nicht sein Kopftuch! Das war doch nur ein böser Trick! Der letzten Fasern ihres Nervenfadens lösten sich auf. Alles in ihre schrie bestialisch und wartete auf den Moment, wo ihr Gehirn diese Botschaft so weit verarbeitet hätte, dass alles aus ihr herausbrechen würde. Nein, niemals! Das war alles nur ein Lüge. Er konnte nicht tot sein. vollkommen unmöglich! Und dann brach der Damm. Es war ein hysterisches Heulen, wie sie es selbst noch nie aus ihrem eigenen Mund gehört hatte. Sie fühlte sich, als würde sie neben sich als Geist stehen und selbst fassungslos auf ihren Körper starren, der eben unkontrolliert sich gegen die Fesseln bäumte und nur noch schrie und schrie. Das Ekel hingegen lachte und lachte. Es ergötzte sich an ihrer Hilflosigkeit und Verzweiflung. Ein Außenstehender hätte beim Anblick der beiden an Patienten eines Tollhauses gedacht, doch die Wahrheit war bitterer.

Irgendwann versagte ihre Stimme, denn sie war heiser und nur noch ein Wimmern erfüllte den Raum. Die Striemen von fünf Fingern schwollen dick auf ihrer Wange an. Es war der Handabdruck des Offiziers, der dann doch chancenlos das Gebrüll der jungen Frau beenden wollte. Gerade, als sie nun doch die ganze Geschichte gestehen wollte, um den ungenierten Berührungen des Offiziers zu entgegen, sprang die Tür ein zweites Mal auf. Jedoch war es wohl auch ihr letztes Mal, denn sie zerbarst krachend zu Boden in unzählige Splitter. Tashigi musste nicht raten, wer da nun eben ihre Rettung gewesen war. Es gab keinen Zweifel. Als hätte sie eine Erscheinung gehabt, stierte sie zum Licht und zu der Person. Sie wusste es, denn sie kannte den Geruch von beißendem Tabak seit jeher und es war einer der wenigen Augenblicke, wo sie eben diesen Zigarrenrauch nicht hasste. Der Qualm suchte sich langsam seinen Weg über den dreckigen Fußboden und hüllte alle Füße ein wie Nebel. Doch der Dunst war nicht weich, sondern wie aushärtender Beton, der alles in ihm stecken ließ.

„Hina lässt den dreckigen Rest hier erst mal in Gewahrsam nehmen, wenn dir das Recht ist! Soll ich den da auch gleich mitnehmen?“ hörte Tashigi Hinas genervte, dunkle Stimme zu Smoker sagen. Ohne eine Antwort abzuwarten, schlossen sich Hinas Teufelskräfte sei Dank, Eisenfesseln um den Marineoffizier.

Smoker nickte zustimmend, kaute ebenfalls genervt auf seinen Zigarren rum und knipste die Deckenbeleuchtung ein. Erst jetzt sah er, wie schlecht seine ehemalige Unterstellte aussah. Verheulte Augen, aufgeriebene Haut von den Fesseln, eine blau geschlagene Wange und dunkle Ringe unter den Augen. Die Schürfungen und zerrissene Kleidung rundete das Ganze noch negativ ab. Der Rauch wurde messerscharf und zerschnitt die Stricke an ihren Armen und Beinen lautlos und fast unmerklich. Sie war wieder frei. Dann setzte sich Smoker mit verschränkten Armen vor der Brust auf einen an der Wand gelehnten Stuhl und betrachteten das Häufchen Elend in der Raummitte. Sicherlich war nun überhaupt nicht der richtige Moment, um eine psychisch labile Person zu verhören, doch es ging nicht anders. Er war zwar froh, dass er sie endlich gefunden hatte, doch das alles hätten sie sich beide gegenseitig ersparen können, wäre sie damals nicht einfach so aus Loguetown verschwunden. Wenigstens hätte sie sich erst einmal irgendwo an einem sicheren Ort verstecken sollen, wenn sie schon weglief. Aber nein, sie musste ja ausgerechnet auf große Abenteuerfahrt gehen. Er kannte sie schon viel zu lange und viel zu gut. Für solche Abenteuer war sie einfach nicht gemacht, obwohl sie sich doch wackerer geschlagen hatte, als er es jemals gedacht hätte. Dennoch war er felsenfest davon überzeugt, dass die Welt, die Tashigi betreten hatte, absolut nicht gut für sie war. Sein Plan sah daher für sie und ihrer weitere Zukunft anders aus. Mit gefälschten Protokollen war er losgefahren. Sie müsste nur unterschreiben und alles wäre wieder wie früher. Sie wäre wieder im sicheren Schoß der Marine.

„Warum bist du abgehauen? Traust du uns nicht mehr?“ klang es mehr beleidigt als vorwerfend vom Qualmer. „Meinst du nicht, wir hätten da schon was geregelt, um dir zu helfen? Die Marine war doch dein ein und alles? Bist du denn nur blöde?“ Eine fast unendlicher Monolog an Vorwürfen und Fragen flossen aus dem Mund des Admirals wie ein breiter Fluss.

Tashigi rührte sich keinen Millimeter und lauschte den Worten mucksmäuschenstill wie von einem anderen Stern. Kaum waren die Seile durchtrennt, hatte sie sich auf dem Stuhl sitzend zusammengerollt und den Kopf zwischen den angezogenen Knien vergraben. Es war ihr egal, was Smoker da von sich gab. Sollte es doch eine Gardinenpredigt von ihm werden. Sie starrte hohl auf das schwarze Tuch am Fußboden. Die Welt um sie herum verschwamm aus ihrer Wahrnehmung. „Zoro ...“, hauchte sie über ihre Lippen. Zeitgleich biss der Raucher vor Wut seine Zigarre durch. Die dumme Kuh hatte ihm doch tatsächlich kein einziges Wort zugehört. Und noch schlimmer befand er die Tatsache, dass sich sein alptraumhafter Verdacht eben bestätigt hatte. Der Grund ihres Verrats war eine alberne Liebelei.

„Komm mit!“ fuhr er sie barsch an, dass sie zusammenzuckte. Sie zögerte, doch als sich der schneeweiße Dunst um ihren Körper schlängelte wie eine Würgeschlange und sie vom Stuhl sanft anhob, folgte sie wenig überzeugt ihrem ehemaligen Chef. Sie wunderte sich erst, warum sie immer tiefer in die Kerker von ihm geführt wurde. Was sollte sie hier? Auf ihre Hinrichtung morgen früh hätte sie auch oben in dem Kachelraum warten können.

„Ich kenne dich viel zu lange, als das du mich jemals belügen oder mir etwas vormachen könntest!“ hallte die rauchige Stimme des Flottillenadmirals in den schwarzen Gängen ohne Fenster und Frischluft. Es wurde immer stickiger, je tiefer sie in den Berg vorstießen. So weit war nicht einmal sie selbst vor vielen Jahren hier herein gelangt, als sie hier Wache schob. „Ich habe dich durchschaut!“ blubberte Smoker weiter wie ein überkochender Suppentopf und sie war froh, dass er nicht sehen konnte, wie kreideweiß sie in diesem Augenblick wurde. Mit ihrer fahlen Hautfarbe und dem stützenden Qualm um sich herum hätte man meinen können, der Admiral würde von einem Geist mit wehendem Gewand verfolgt werden.

„Er ist nicht tot. Wer hätte den hinrichten sollen? Von den Idioten hat sich ja keiner mehr in die Nähe seiner Zelle gewagt! Alles Versager hier!“ schimpfte der Qualmer weiter vor sich her, aber für Tashigi war es ein absoluter Glücksmoment. Zoro lebte!

Viele Gängen und Treppen weiter und tiefer standen sie dann plötzlich vor einem Seesteingitter. Die kleine Sturmlaterne in Smokers Hand spendete nicht genug Licht, um den Raum dahinter vollständig zu beleuchten. Der Admiral wies die Wachen an zu gehen. Er hätte auch gar nichts sagen müssen, denn die beiden Soldaten vom Dienst direkt vor der Zelle sahen es eher als Erlösung an, endlich von diesem Ort und dem höchst merkwürdigen Gefangenen Abstand zu nehmen, bei dem sich der Boden schwarz verfärbte und die Augen rot wie Feuer geleuchtet hatten. Das war ein Dämon, ein Teufel. Lieber hütete man einen großen Sack voll Flöhe, als so eine gruselige Bestie.

Dabei taten sie Zoro eigentlich Unrecht. Artig hatte er sich im komaartigen Wachzustand über die felsigen Wege schleifen lassen. Er musste jede Möglichkeit nutzen, etwas Schlaf zu finden. Doch die Soldaten stellten sich beim Schleifen selten dämlich an, dass er das Gefühl hatte, kein einziges Schlagloch auf dem langen Weg ausgelassen zu haben. Dann konnte er sich nicht mehr so recht in dieser Finsternis erinnern, wie er die Treppen polternd hinab gekommen war. Da war nur noch der Gedanke, dass es verdammt schmerzhaft war, mit den Gelenke gegen jede einzelne Stufe zu schlagen. Ein Ruck an seinen Armen brachte ihm die recht unbequeme Position an dieser langen Kette ein. Sie hing schwer von der Decke herab und hatte am unteren Ende Seesteinhandschellen. Es war dem Schwertkämpfer schleierhaft, warum es Seestein sein musste, denn er hatte nie Teufelskräfte besessen, doch er spürte die Panik der Soldaten. Er musste grinsen, erhielt aber zur Strafe gleich einen unliebsamen Tritt ins Gesicht. „Na, warte...“, dachte er sich grimmig und sah den Treter unter seinem schwarzen Kopftuch hervor an wie der rotäugige Teufel persönlich. Der Soldat war aber auch nur einer Abreibung Zoros auf dem Fuß entkommen, da nun die lange Eisenkette hochgezogen wurde. Dadurch rissen seine Arme rücklings in die Höhe, so dass er den Oberkörper beugen und auf die Knie sinken musste. Anderweitig hätte er sich durch sein eigenes Körpergewicht wohl die Arme ausgekugelt. Wie reizend! Er schloss die Augen. Es fehlten nur noch ein paar Stunden Schlaf, auch wenn er merkte, dass sich alle seine Kräfte wieder zu sammeln begannen. Dringend brauchte er Ruhe und musste sich deshalb das Marinepack vom Leibe halten. Siedend heiß suchte er nach einer Lösung, die schleichend von ganz allein kam: Der Boden färbte sich schwarz. „Geh weg, du dummes Ding!“ schimpfte er in Gedanken mit seinem zweiten Ich und führte einen sinnlosen Versuch aus, den Schutzkreis unter sich mit den Füßen und Knien wegzuschieben, was in seiner Hängeposition mehr als makaber komisch aussah. Nein, er hatte diesen Hokuspokus absolut nicht im Griff. Aber als er dann sah, dass die Wachen davor Angst bekam und sich panisch auf der anderen Gitterseite an die Mauer drückten, fand er die Situation gar nicht mal so übel und schloss die Augen. Es war der erquickende Schlaf der Genesung. Niemand wagte seitdem, auch nur einen Schritt in seine Nähe zu setzen.

Ohne eine Erlaubnis abzuwarten, öffnete Tashigi die schwere Gittertür und schlüpfte hinein in die Dunkelheit. Vorsichtig tastete sie sich mit ausgestreckter Hand Schritt für Schritt vorwärts. Der Schein ihrer kleinen Lampe wurde vollkommen von dem schwarzen Boden verschluckt. Es schien, als würde sie über eine zeitlose Wolke laufen, anstelle des steinigen Bodens, doch sie wusste es besser: Es war ein Bannkreis. In ihrem Rücken spürte sie den durchbohrenden und beobachtenden Blick Smokers, doch sie missachtete es. Und plötzlich hatte sie Zoro in dem Dunkel gefunden. Bei seinem Anblick schlug sie entsetzt die Hand vor den Mund. Es ist schwer, jemanden so zugerichtet sehen, den man liebt. Wenigstens war die schlimme Halswunde von Mihawk schon sehr gut verschorft und würde nicht so leicht wieder aufbrechen. Ein bösartiger Blick starrte sie augenblicklich an, denn der Gefangene hatte beim Erwachen erst wieder einen der Wärter vermutet. Doch als er Tashigi sah, verschwand das Rot sofort und es war wieder dieses unruhige Grau von wildem Wind.

„Was machst du hier?“ fragte er sie nun doch etwas erstaunt, wusste aber sofort, dass er jedes Wort bedenken musste. Der Marinequalmer stand dort am Gitter und beobachtete jede Bewegung argwöhnisch. Was zum Henker suchte der denn hier?

Die junge Frau sagte kein Wort. Sie schlang einfach nur ihre Arme um seinen Hals und schmiegte weinend ihr Gesicht gegen seines. Der Lichtkegel der Laterne erhellten kurz ihre beiden Gesichter und Zoro sah die Striemen auf ihrer Wange. Wut kochte in ihm hoch, doch er blieb ruhig.

„Du hast dich verraten, dumme Nuss!“ Es lag kein Vorwurf in diesem Satz. Nur eine Feststellung.

„Das ist mir egal. In der Morgendämmerung stellen sie uns eh an die Mauer“, meinte sie emotionslos. Es war keine einzige Regung in ihr. Nur eine große Leere.

„So, ihr Turteltäubchen! Sag’ dem Piraten Lebewohl! Wenn ich dich da so an ihm wie eine Klette klammern sehe, wird mir echt schlecht!“ polterte nun Smoker los, als wäre er extrem unter Zeitdruck. Zu gern hätte er Tashigi am Arm mitgerissen, doch er konnte einfach diesen schwarzen Kreis nicht betreten. Sobald er in die Nähe kam, durchfloss in eine Strömung, wie er sie nur kannte, wenn er Seestein berührte. Was war das? Er kaute auf seinen Zigarren angespannt hin und her, schob sie von rechts nach links und zurück. Kräftig zog er daran, dass er sich sogleich zwei Neue anzünden musste. Dabei beobachtete er das Szenario in der Zelle und den merkwürdigen schwarzen Fleck. Dieser kleine grünhaarige Dämon konnte sich tatsächlich vor Teufelskräften schützen. Na, das würde er sich gut merken. Sehr gut sogar!

Die Schwarzhaarige schüttelte aber nur den Kopf. Sie wollte nicht mehr zurück zu Hina und Smoker und den ganzen anderen. Die letzten Tagen waren die bisher schönsten in ihrem Leben gewesen. Lieber wollte sie diese herrlichen Erinnerungen haben, als wieder im grauen Trott der Marine zu versinken und seelische Qualen zu erleiden. „Geh’ schon!“ flüsterte ihr nun Zoro aufmunternd ins Ohr und der Raucher meinte schon sich verhört zu haben. Er schickte sie weg.

„Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Wir sterben morgen!“ fragte sie den Schwertkämpfer erschüttert, erhielt aber als Antwort nur sein freches Grinsen. Sie erhob sich und schlich mit gesenktem Kopf auf ihren ehemaligen Vorgesetzten zu. Gerade war sie bei diesem auf gleicher Höhe angekommen, blieb ihr Blick auf dem kleinen Schreibtisch der Wachposten hängen. Blitze da nicht etwas im Dunklen auf? Vor Smoker verbergend tasteten ihre Finger über die staubige Tischplatte und griffen zu. Sie fühlte einen kleinen, eiskalten Gegenstand in der Faust. Und als sie diese öffnete, lüftete sich sofort das Geheimnis. Der Schlüssel zu den Handschellen!

Von Sinnen drehte sie sich um und rannte die knappen Meter auf Zoro zu. Aber auch Smoker reagierte blitzschnell und schoss eine Rauchsalve los, die Tashigi knapp am Fuß packte. Diese stürzte vorn über, konnte sich aber noch knapp am Seesteingitter festhalten.

„Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ brüllte Smoker, dass die Wände widerhallten. Plötzlich war ein Donnern und Beben im Berg zu vernehmen und der Raucher wurde für eine Sekunde unaufmerksam. Sein Qualm berührte den Seestein und löste sich auf. Die Gefangene nutze die Chance, lief weiter und öffnete die Handschellen.

Der Admiral tobte vor Zorn und ließ seine beiden Gegenspieler mit der rhetorischen Frage zurück, wie sie wohl jemals wieder hier herauskommen würden. Dabei drehte er sich um und ging, nicht ohne die Tunnel mit seinen Wolken so zu verstopfen, dass sie versteinerten. Zoro und Tashigi waren hier nun im Kerker lebendig eingemauert.
 

Luffy hatte nun nach seinem eigenen Befinden lange genug gewartet. Es war hell geworden und er hatte bereits eine Mahlzeit verpasst. Das hielt er Sanji unentwegt vor. Dann hatte er zum Sturm auf die Baracke geblasen, die unter Frankys und Usopps Feuerwaffen wie ein Kartenhaus zusammenfiel und lichterloh brannte. Sanji, Robin und Nami beschäftigten sich unterdessen mit Hina, die wütend aus dem brennenden Haus herauskam. Der Koch hatte so seine argen Probleme, nicht vor Liebe zu zerschmelzen und hatte schnell eine Eisenfessel von der Marinekapitänin umgelegt bekommen. So war es an der Archäologin und der Navigatorin, die Situation zu klären. Nach einem zähen Gefecht wurde Hina letztendlich ein Opfer von Namis Klimataktstock. Heftige Gewitterblitze durchleuchteten sie wie ein Röntgenstrahl und sie musste aufgeben. Der Strohhutjunge hatte in der Zwischenzeit alle Soldaten aus dem Weg geräumt. Nun lief er schreiend hinter dem Rentier hinterher, denn er verstand nicht, warum Chopper so willenlos ins Feuer galoppierte. Diese Frage konnte der kleine Arzt auch nicht beantworten. Seit er aus der Bucht letzte Nacht geflohen war, um seine Nakama zur Hilfe zu holen, hatte er sich keine Sekunde von Zoros Schwertern getrennt. Als er nun ins Feuer starrte, durchflutete ihn ein Sog, dem er sich nicht entziehen konnte und seinen Verstand nahm. Wie schon damals suchte Kitetsu den Weg zu seinem Herren und Chopper war der würdige Überbringer.

Während sich die restliche Crew draußen um die Marieneinheiten kümmerten und sie siegreich in Schach hielten, rannten Luffy und Chopper ins Ungewisse. Es wurde kälter, dunkler und enger. Bald wusste das Rentier den Weg nicht mehr und der Gummijunge schon gar nicht.

Ihr Lauf wurde erst gestoppt, als sie vor sich eine schwache Laterne leuchten sahen. Doch schlimmer war der Lampenträger: Smoker!

„Wo sind Zoro und Tashigi, du qualmender Windbeutel!“ tönte Luffy lautdrohend heraus.

„Dorthin, wo der Rauch hinzieht...“ antwortete der Angesprochene und grinste. Der Tag wurde immer besser. Erst hatte er Zoro hinter sich im Berg eingeschlossen und nun würde mit Luffy selbiges passieren. Gummi war gegen Qualm machtlos. Tashigis Schicksal verdrängte er eiskalt. Abstriche musste man einfach machen und schließlich war es ihre eigene Dummheit. Soldat blieb Soldat und Pirat blieb Pirat. Niemals würde er zugeben, dass es seine schwerste Entscheidung war, sie dort im Berg zu lassen.

„Gomu Gomu no Jet-Gatling“ zimmerte der Gummijunge mit seinen Fäusten in die Richtung seines Feindes, doch er vergrub sich nur immer weiter in den Nebel, der klebte wie Kleber. Hilflos versanken sowohl der Captain, als auch sein Schiffsarzt in den Wolken. Sie raubten ihnen den letzten Atem und umschlossen sie sanft und weich, wie ein dickes Federbett. Dann ging ihnen die Luft aus.

Plötzlich geschah etwas Unerwartetes: Der Nebel wurde wieder gasförmig und sie fielen beide hart zu Boden. Schnell pumpten sie keuchend Luft in ihre Lungenflügel, die sich nun aufblähten wie ein Ballon. Smoker sackte geschwächt in die Knie.

Was war geschehen? Nachdem Zoro frei gekommen war, wollte er keine Sekunde untätig herumstehen, sondern schleunigst diesen Ort verlassen, das war angesichts der Dunkelheit nicht leicht gewesen. Kaum hatte er Tashigi gefunden und an der Hand genommen, damit sie sich nicht wieder verlieren würden, stolperten sie vorwärts durch die Gitterstäbe hindurch zu dem Schreibtisch, wo tatsächlich noch eine Taschenlampe lag. Dann war der Schwertkämpfer einfach wild entschlossen auf die Wolkenfront zumarschiert. Wenn es Teufelskräfte waren, dann müssten diese nun unter seinen dämonischen Kräften nachgeben. Wenn nicht, dann hätten sie ein ernstes Problem. Doch es ging. Zwar schmolzen die Wolken nur langsam, aber immerhin etwas. Innerlich hoffte Zoro, dieser magische Zustand würde noch lange anhalten und nicht einfach so vergehen, wie er vor ein paar Stunden gekommen war. Irgendwann kamen sie auf der anderen Seite beim Raucher an, der jetzt als Verlierer da stand und grimmig zusehen musste, wie sich die Strohhüte aus dem Staub machten. Der Schwertkämpfer nahm seine Katana wieder an sich, als wäre nie etwas passiert. Zusammen mit seinem Captain schlugen sie eine Tunnelschneise nach draußen. Mit Tashigi auf dem Rücken folgte Chopper den beiden in die Freiheit.

Die Crew hatte siegreich auf dem Platz vor der Marinebasis gewartet, von der nur noch Asche übrig war. Erfreut blickten sie auf ihre Mitstreiter, die nun aus dem Berg kamen. Gemeinsam kehrten sie zu ihrer Bucht zurück. Wunden mussten versorgt und nach Luffys Empfinden mittlerweile drei Mahlzeiten nachgeholt werden. Außerdem musste Zoros erfüllter Traum und der jetzt funktionierende Abwaschautomat von Franky und Usopp gefeiert werden. Und dann war da noch das große Fest heute Abend, weshalb sie ja überhaupt erst hergekommen waren. An diesem Tag sollte noch soviel los sein, dass es fast schon in Terminstress ausartete.

37 - Unter einem klaren Vollmondhimmel

Kaum war die Strohhutbande schon ein paar Meter voraus über den Pfad um die Hügel herum allen Blicken entschwunden, begann sich Merkwürdiges unter den verkohlten Überresten der Baracke zu regen. Zwischen dem Feuerrauch mischte sich ein schneeweißer Nebel und stieg elegant in sich gewunden zum Himmel auf. Knapp über dem Schutt verfestigte sich diese sonderbare Wolke zu einer kurzen Säule, die schnell menschliche Gestalt annahm. Smoker war wieder auf die Füße gekommen und war Luffys faustgeschlagenen Fluchtweg hinaus auf den Vorplatz gefolgt, wo sich nun dem Admiral ein ziemlicher Trümmerhaufen bot. Verletzte und geschlagenen Soldaten versorgten Kameraden, Hina keifte mit einer Frisur von weit abstehenden und verkohlten Haaren Befehle umher und ließ in Gewahrsam genommene Marineangehörige auf ihr Schiff bringen. Der Raucher beobachtete noch eine Weile mit finsterer Mine das Treiben auf dem Hof und stieg dann langsam zu Hina herab. Seine Laune war eisiger als das Eis der Polkappen. Kaum hatte er eine Zigarre angezündet, so war sie schon aufgeraucht. Die Tabakindustrie müsste eine wahre Freude an diesem Konsument haben.

„Na, eine schöne Pleite haben wir uns da eingefangen!“ begrüßte Hina ihren alten Bekannten sarkastisch. Da dieser nämlich gleich von Bord hinunter zu den Verhörkammern gegangen waren, hatten sie beide noch nicht die Gelegenheit gehabt, das ein oder andere Wort zu wechseln, obwohl sie seit Kosa stets nebenher gesegelt waren.

„Halt den Mund!“ kam es nur mürrisch zurück. „Wie siehst du überhaupt aus?“ Damit meinte Smoker ihre aberwitzige Frisur und die vielen kleinen Brandflecken, die er doch recht erstaunt betrachtete.

„Das war diese orangehaarige Ziege! Wenn ich die erwische!“ zeterte die ranghohe Marineoffizieren aufgebracht und pofte ebenfalls an einer Zigarette, die schräg in ihrem Mundwinkel hing. Im Rauchen stand sie Smoker in Nichts nach und vermutlich wäre Sanjis Rauchgewohnheit ein Nichts zu diesen beiden.

„Die werden sicher nicht sofort abhauen! Wir finden die schon!“ gab Smoker zurück und befahl einigen Soldaten, sein Smoke-Bike zu holen. In seinem Kopf formte sich ein neuer Plan. Er sann auf Rache für diesen bodenlosen Frevel.

Kaum kam sein fahrbarer Untersatz angeraucht, grabbelte er nach der dort am Lenker angebrachten DenDenMushi und ließ sich mit den Marinehauptquartier verbinden. Es würde schwer werden, Verstärkung anzufordern, wo er doch gerade zwei Niederlagen einstecken musste und obendrein ein Stützpunkt in Schutt und Asche lag.

„Lass dir mal eine kreative Ausrede einfallen, Hina!“ blubberte er sie an, noch bevor jemand am anderen Ende der Leitung im Hauptquartier abnehmen konnte.

„Schon wieder eine Ausrede? Wofür? Dass die Strohhüte weg sind? Dass die Basis gefallen ist? Oder dass dein persönlicher Liebling nicht hier geblieben ist? Ich habe dir vor Wochen schon gesagt, dass Tashigis Abgang zu begrüßen ist. Sie taugte nie etwas in der Marine und wird es in Zukunft auch nicht tun. Das hast du selbst einmal gesagt. Sei doch froh, dass sie weg ist! Obwohl: Ihr Dummheit fehlt als Belustigung schon manchmal.“ Obgleich Hina stets solch einen Sarkasmus am Leibe trug, war sie heute mehr als gereizt. Sie zauselte sich durch ihre Haare und klopfte ihren Mantel aus, aber die Kampfesspuren blieben. Smoker wollte ihr gerade noch eine Drohung aufgrund ihrer Äußerungen an den Kopf werfen, doch in diesem Moment nahm die Rufzentrale ab und leitete ihn gespielt freundlich weiter. Das Telefonat dauerte eine längere Zeit an und die Laune des Qualmers wurde nicht besser. Aus den Wortfetzen konnte Hina heraus verfolgen, dass die Marineleitung nicht gerade von den Vorfällen begeistert war, doch stimmte sie nach längeren Verhandlungen zu, Verstärkung zu schicken. Es sollte eine Flotte zusammen gezogen werden, wie man sie schon seit langer Zeit in keinem Gewässer mehr gesehen hätte. In gut vierundzwanzig Stunden würde sie die Insel erreichen. Die Schlacht konnte beginnen!
 

Der Rückweg der Piraten zur Sunny war recht still verlaufen. Obwohl die Rettungsaktion besser als geplant verlief, wussten sie doch, dass Smoker nicht ruhen würde, solange sie auf ein und derselben Insel waren. Es war also oberste Vorsicht geboten. Sie beschlossen daher gemeinsam, die Bucht zu wechseln. Ihr Zeltlager in der alten Bucht war schnell geräumt und kurze Zeit später befanden sie sich wieder auf Fahrt. Nami steuerte das Schiff durch einige Riffe hindurch und dann in eine sehr enge Klamm hinein. Das Meerwasser toste hier so laut, dass sie sich nicht verständigen konnten. Es peitsche an den Wänden hoch und dort, wo es an den Felsen verblieb und in der Sonnenwärme trocknete, bildeten sich bizarre Meersalzfiguren. Erstaunlich, wie facettenreich diese Insel war. Am Ende der Klamm tauchte eine Höhle auf, die nach oben hin wie ein Krater geöffnet war. In ihr war das Wasser spiegelglatt und kristallklar. Man konnte den steinigen, tiefen Grund sehen. An den Höhlenwänden entlang schmiegte sich ein feiner, dünner Strand um sie herum und bildeten einen fast runden Kreis. Der Sand war so weiß und fein wie Pulverschnee. Über die nackten Felswänden stürzte vereinzelte Wasserfälle hinab in die Tiefe, doch ein Rauschen war hier drin kaum zu vernehmen. Die Sunny sah inmitten des Höhlensees klein aus wie ein Spielzeugschiff. Franky hatte es zusammen mit Usopp geschafft, ihr Schiff nun über eine bautechnisch geschickte Seiltreppenkonstruktion vom Ausguck hinauf mit dem oberen Kraterrand zu verbinden. Oben angekommen, konnte man nicht einmal aus der Nähe den Krater erahnen und das tiefe Geheimnis im Inneren des Hügels erraten. Sie hatten ein wahrlich gutes Versteck gefunden.

Der Tag verging wie gewöhnlich. Sanji kümmerte sich umgehend um ein mehr als reichhaltiges Buffet, um sich nicht länger das Gejammer des Captains anhören zu müssen. So konnte jeder nach eigenem Gutdüngen sich etwas zu Essen holen und dann seiner Wege gehen. Natürlich nutze Luffy die Chance dieser Selbstbedienung und der Koch hatte fast Mühe, der Fressgeschwindigkeit mittels Nachschub folgen zu können. Immerhin war es eine Ehre für ihn, den Tisch immer so mit Leckerein bestückt zu halten, dass man nie bis auf die Tischplatte sehen konnte.

Die beiden Tüftler hatten genug an der Seiltreppe gearbeitet und sich mit vollbeladenen Tellern in den Bauch der Sunny zurückgezogen. Die Werkstatt brauchte etwas Ordnung. So kramten und räumten sie den ganzen Nachmittag und wurden nicht mehr gesehen.

Die Navigatorin hatte sich mit Robin in der Bibliothek gemütlich gemacht, um ihre Seekarten von dieser Insel zu aktualisieren, während die Archäologin ihre Bücher nach Hinweisen zu den geheimnisvollen Kerzen wälzte.

Das Rentier hatte Tashigi vorsichtig verarztet. Die Schürfungen und blauen Flecken waren nicht so schlimm, wie sie aussahen. Dann hatten sie bis spät in den Nachmittag auf dem Sofa nahe des Steuers vor sich hergedöst und eine Mütze Schlaf genommen. Als sie erwachten, sah man nach oben durch das Kraterloch, dass der Himmel nicht mehr blau, sondern orange wurde. Die Sonne senkte sich zum Abend. Tashigi begann Shigure zu putzen, welches eine Reinigung dringend gebrauchen konnte, doch ihr Reispapier war weg. Sie seufzte bei dem Gedanken, Zoro anpumpen zu müssen. Er hatte seit der Befreiung kein Wort mehr mit ihr gewechselt und sich von ihr ferngehalten. Sie war vollkommen verunsichert, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte. Ein glücklicher Zufall kam ihr zu Hilfe. Da Chopper darauf bestand, dass auf Zoros Wunde auch ein Topf Salbe müsste, jedoch seine Widerspenstigkeit befürchtete, hoffte er auf Tashigis Hilfe. Sie bezweifelte zwar, dem Arzt helfen zu können, aber es war ein guter Vorwand, in Zoros Nähe zu sein. Beide kletterten nun hinauf zum Krähennest. Kaum steckten sie ihren Kopf durch die Luke, kam schon eine barsche Ansage:

„Ich hatte doch gesagt, Chopper, dass ich nichts von dir brauche!“

„Das interessiert mich nicht! Ich bin der Arzt und ich sage, da muss Salbe einmassiert und ein neuer Verband angelegt werden. Wenigstens bei der schlimmen Wunde am Hals!“ schimpfte Chopper zurück und drückte Tashigi eine Mullbinde in die Hand. „Hältst du die mal eben kurz?“ In solchen Situationen blieb er ebenso stur, wie es sonst nur sein Freund sein konnte. Gemeinsam gingen sie hinüber zu Zoro, der auf der Rundbank entlang der Fenster saß und seine Schwerter putze. Er hatte es noch nicht für nötig gehalten, sein zerrissenes Shirt gegen ein frisches einzutauschen oder sich den Dreck aus dem Gesicht zu wischen. Sein Gesichtsausdruck war sehr ernst, denn er versuchte angestrengt die vergangenen Ereignisse in sein Gedächtnis zurückzuholen. Doch es gelang ihm nicht, einige wichtige Lücken zu füllen, so sehr er sich auch anstrengte. Es verärgerte und verunsicherte ihn zugleich. Nie zuvor hatte er jemals einen Filmriss gehabt.

„Du hast Glück! Ich habe die Pinzette zum Fäden ziehen vergessen! Das rettet dich noch ein paar Minuten!“ triumphierte der Arzt siegessicher und verschwand wieder durch die Bodenluke. Die beiden im Ausguck Hinterbliebenen schwiegen sich an, bis der Schwertkämpfer sie fragend aufforderte:

„Erzähl’ es mir! Alles, was passiert ist, als du mich da im Kerker gefunden hast!“ Sie sah in verwundert mit großen Augen an. Doch es schien ihm so sehr wichtig zu sein, dass sie zu erzählen begann. Ihre Erzählung war schnörkellos, aber nicht langweilig. Kein Detail ließ sie aus und als Chopper zwischenzeitlich wiederkehrte, lauschte dieser nur gespannt ihren Ausführungen. Bereitwillig gab sie dem Schwertkämpfer Auskunft, wenn dieser manchmal nachhakte. Als sie geendet hat, wurde es schon langsam dämmerig, dass es nötig gewesen wäre, ein Licht zu entzünden. Zoro starrte ernstblickend aus dem Fenster hinaus. Die Stille in dem kleinen Ausguck lag wie Blei auf allen.

„Warum fragst du sie das, wenn du doch genau neben ihr standest?“ fragte Chopper verwirrt.

„Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie wir da durch die Wolken gingen...“ gab der Schwertkämpfer nun ernst, aber doch recht kleinlaut zu. „Da fehlt mir echt was. Wie so ein Filmriss...“

„Amnesie? Also das glaube ich nicht so ganz“, grübelte das Rentier fachmännisch und fand sich ganz in seiner medizinischen Welt wieder. Weiter kamen ihre Überlegungen nicht, denn Sanji kam vom Deck des Schiffes hinaufkletterte und steckte nun auch seinen Kopf durch die Luke:

„Wir wollen in einer guten Stunde zum Fest losgehen.“

„Dafür kraxelst du hier hoch? Wie liebenswürdig...“ witzelte Zoro böse zu dem Koch rüber, der nun wie der Blitz auf den Schwertkämpfer schoss, um diesen gehörig mit geschickten Kicks die Meinung zu sagen. „Das war ja auch nicht für dich, sondern für meine süße Tashigi-Maus!“ Ein großes Herzauge machte sich in Sanjis Gesicht breit und eine ganze Flut von kleinen rosa Herzchen stiegen säuselnd in den Himmel. „Wenn ich dich begleiten und die meine Ahnd reichen dürfte, meine Teuerste?“ flüsterte er ihr zärtlich zu und machte einen tiefgebeugten Diener.

Bei Zoro hingegen klickte im Kopf ein Schalter auf Konfrontation. Wie hatte der Kochlöffel eben seinen Engel betitelt? Tashigi-Maus? Der sollte bloß die Finger von ihr lassen! Das bedeutete Krieg! Die beiden Streithähne waren wieder in ihrem Element, die sich immer weiter in das Gefecht reinsteigerten. Eine Weile sahen das Rentier und die junge Frau unbeteiligt zu. Es wäre sinnlos, sich nun einzumischen. Sollten die sich doch hier austoben. Vielleicht wäre deren Hitzköpfigkeit wenigstens auf dem Fest vorübergehend ermüdet. Doch das wäre eher zu bezweifeln.

„Komm, Chopper! Wir machen uns für heute Abend schick! So, wie die sich eben hier benehmen, nehmen wir sie bestimmt nicht mit!“ sagte Tashigi nun gespielt arrogant. Dabei zwinkerte sie dem Arzt vergnügt zu. Sie konnte sich ein Lachen kaum verkneifen bei der Vorstellung, was die Macht der Worte gleich bewirken würde.

Kaum hatte sie den Satz fertig gesprochen, standen die beiden Streitenden wie zur Salzsäule mitten in der Bewegung erstarrt sich gegenüber. Beide wurden knallrot, als hätte jemand den Temperaturregler auf Sahara-Klima gestellt. Bei Sanji lag es daran, weil er eben von einer liebreizenden Dame einen unerklärlichen Korb bekommen hatte. Es hagelte zwar regelmäßig Körbe, aber so war er noch nie abgefertigt worden, denn man warf ihm schlechtes Benehmen vor. Das konnte er sich nun gar nicht erklären. Zoro war nur sauer und wusste eigentlich gar nicht so genau, weshalb. In der nächsten Sekunde aber pfefferten sich die beiden neue Handgreiflichkeiten und Worte um die Ohren. Doch da waren Tashigi und Chopper schon längst draußen aus dem Krähennest und verschwanden unten in ihren Zimmern.

Eine gute Stunde später zog die komplette Mannschaft los, eroberte einen Tisch in bester Festlage und verbrachten einige gemeinsame Stunden dort zusammen, bis sich die Tafel langsam auflöste. Das bunte Treibe veranlasste jeden, allein oder in Kleingruppen durch die Gassen zu schlendern. Gelegentlich trafen sie sich in dem Gewusel wieder.
 

Nein, er hatte sich sicherlich nicht verlaufen, die Anderen wären ihm sicherlich nur mal wieder abhanden gekommen, versuchte sich Zoro einzureden, als er bereits zum vierten Mal um den selben Häuserblock gelaufen war. Überall gab es nur diese widerlich süße Pflaumenzeug-Brühe. Das schoss einem zwar sofort in die Birne, aber der Geschmack war seiner Ansicht auf Dauer nicht zu ertragen. Das Sakefass ein paar Tische weiter war doch eine wahrlich bessere Beute. Als er jedoch den hölzernen Bottich klauend erobert hatte, war der Tisch der eigenen Crew außer Sichtweise geraten und so begann wieder einmal die Odyssee des Roronoa Zoro durch kleine Straßengassen, Hügelpfade, dunkle Buchten und wieder zum gleichen Ausgangspunkt zurück, wo er einst gestartet war. Nur an dem eigenen Tisch kam er nie vorbei. Es war wie verhext seit jeher. Nie hatte er sich diese Schwäche eingestehen wollen, aber nun kam er bereits zum siebten Mal wieder an ein und der selben Stelle an und da musste man schon ein wenig vor sich selbst kapitulieren. Wenn das bloß keiner mitbekäme. Der größte Schwertkämpfer der Welt fand seinen eigenen Weg nicht. Ein diabolisches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Der Titel erfüllt ihn mit Stolz, auch wenn erst jetzt jede hinterste Zelle seines Körpers diesen Tatbestand endlich realisiert hatte. In der Aufregung der letzten Stunden war an Erlebnisverarbeitung und Auswertung gar nicht zu denken gewesen. Das kam nun ganz menschlich nach und nach. Er gab sich selbst noch einen allerletzten Versuch, den Rest der Mannschaft wiederzufinden. Ansonsten würde der leckere Inhalt dieses schönen Fasses anderorts seiner Bestimmung folgen müssen. Dem Fass wäre es egal und ihm selber allemal. Schon selbst ahnend, den Weg nicht finden zu können, nahm er sich von einem anderen Tisch noch einen leeren Krug mit, denn direkt aus einem Fass saufen gehörte sich wirklich nicht. Das Gedränge war hier allerdings viel zu groß und das Publikum viel zu besoffen, als dass es hier jemals auffallen würde.

Und so trabte er nun zum achten Mal los durch die vielen Menschen in Begleitung eines Holzfasses und eines Zinnkruges. Er überlegte, ob die Restmannschaft vielleicht sogar irgendwo in der Nähe saß, ihn beobachtete und sich scheckig lachte. Seine Miene verfinsterte sich für den Moment. Nein, als er vor vielen Stunden los ging, lag der Koch bei irgendwelchen Weibern in den Armen, und Nami und Franky soffen um die Wette. Die Navigatorin hatte es bis heute nicht geschafft, den Cyborg zu schlagen. Wie auch immer dieser Trick ging. Sicher waren Chopper und Usopp schon längst irgendwo betrunken und vollgestopft unter einen Tisch gesunken und schliefen tief und fest. Vielleicht wäre ihnen Luffy schon vollgefuttert ins Reich der Träume gefolgt. Nur die Archäologin würde wie immer kerzengerade auf ihrem Stuhl sitzen, an einem Longdrink nippen und lächeln, als hätte sie nie Böses gesehen. Es war ein sehr merkwürdiges Lächeln, was zwar lieb und vertraut wirkte, aber nicht ganz den Verdacht ausräumte, schon lange von Robin durchschaut worden zu sein. Eine eigenartige Frau! Auch wenn sie schon oft ihre Loyalität bewiesen hatte und vollständiges Mitglied der Gruppe war, so hob sie sich dennoch von ihnen allen ab. Aber wer tat das nicht? Jeder jagte seinem Traum nach. Schlagartig wurde dem Schwertkämpfer nun bewusst, dass er gar keinen Traum mehr hatte und somit aus der Gruppe der Tagträumer ausscheiden müsste. Was nun? Er hatte nie über die Zukunft nachgedacht. Nunja, er würde bei der Crew bleiben und mit Luffy zum One Piece schippern. Bis dorthin war es ja noch eine ganze Weile hin. Ob mal so ein Greenhorn auftauchen und ihn nun wegen des Titels herausfordern würde, wie er selbst es damals bei Mihawk gemacht hatte? Zoro grübelte. Klar würde das jemand machen! Also Vorsicht!

Er ging immer weiter und stellte nun fest, dass er mal wieder aus dem Dorf heraus gekommen war. Aber diese Stelle war neu und unbekannt. Vor ihm tat sich nun eine lange Treppe auf, die sich steil im Hang eines kleinen Hügels hinaufschlängelte. Rechts und links des Stieges waren aus Stroh geflochtene Bänder um die krummen Sträucherstämme geknotet worden und deuteten darauf hin, dass es sich vermutlich um einen heiligen Ort handeln könnte. Zoro hatte mit göttlichen Heiligtümern nicht viel im Sinn, weshalb er dem Ganzen wenig Beachtung schenket. Da er nichts besseres zu tun hatte und das Fass geleert werden wollte, stieg er über einige schlafende Gestalten am Treppenansatz hinüber und erklomm gelangweilt die Stufen nach oben. Es war nicht weit und so war er kurze Zeit später auf einer großen freien Fläche oben am Gipfel angelangt. Steinlampen beleuchteten wildromantisch den Steinweg zu einem kleinen Holzschrein, an dessen Außengitter unzählige kleine Täfelchen hingen. Bei genauerem Hinsehen entpuppten sie sich als Ema mit Wünschen und Gebeten von unzähligen Menschen. In dem Altarraum schien bis auf ein paar abgebrannte Räucherstäbchen und geplünderten Opferschalen nichts zu sein. Obwohl die Steinlampen eine Ruhe ausstrahlten und diesem Ort etwas Unberührtes gaben, konnten sie nicht mit dem Vollmond und dem klaren Sternenhimmel konkurrieren. Man hörte nur das Rauschen des Meeres und vereinzelte Musikfetzen gepaart mit Stimmen, die verirrt hier hoch wehten. Man mochte kaum glauben, dass es hier inmitten eines tobenden Festes so einen magischen Hort von Stille und Frieden geben konnte. Nicht einmal ein paar hier hochverirrte Piraten, die ihren Suff ausschliefen, konnte diese Harmonie stören.

Längst hatte Zoro sich an den Rand des Platzes unter die Mondschatten der Büsche neben sein Fass gesetzt und den Krug eingetaucht. Zu allem Unglück war der Sake lauwarm und schmeckte wie der Schweiß von Pferdefliegen, doch der Durst trieb es dann doch unermüdlich rein. Das Fass war fast leer, als eine Person die Treppe hinauftorkelte, die er zwar nicht sofort sah, aber dessen Gefühlswellen nicht unbekannt waren. Er dachte erst, sich getäuscht zu haben. Seine Meinung änderte sich sofort, als die Gestalt nun etwas entfernt von ihm wie eine Erscheinung über den Steinweg auf den Tempel zuging. Mehr schlecht, als recht bekritzelte sie eine Ema und heftete diese recht unbeholfen an das Holzgitter des Schreins zwischen die anderen. Beim Weggehen wäre sie fast gestürzt, als sie tollpatschig auf den unteren Rand ihrer weiß-rosa geblümten Yukata trat und das Gleichgewicht suchte. Tashigi! Was zum Teufel machte die hier oben? Sturzbetrunken, heulend und ganz allein? Da war doch etwas faul. Es lag soviel Enttäuschung in ihr. War etwas passiert? Irgend etwas musste er auf seinen Abwegen heute Abend verpasst haben.

Gerade wollte er aufstehen und sie fragen gehen, aber er bemerkte ein altes Männlein, welches einen Reisigbesen in der Hand hielt und Tashigi nun ansprach. Gewiss war er der Schreinpriester, denn er trug die passende Kleidung. Sein Gesicht war rund und schrumpelig wie ein Apfel, seine Lippen zierten ein gutmütiges Lächeln und die Proportionen zwischen Kopf und Rumpf waren annähernd gleich. Er wirkte recht kompakt und reichte seiner ganzen Körpergröße nach Tashigi gerade man bis zum Oberarm.

„Vorsicht, junge Frau!“ sagte er ruhig und gutmütig. Mit seiner ausgestreckten Hand half er ihr wieder auf die Füße.

„Danke, es geht schon!“ gab Tashigi dankbar zurück und rappelte sich wieder auf. Dem Alten war nicht entgangen, dass die junge Frau vor ihm ein verheultes Gesicht hatte und erkundigte sich lieb nach ihrem Befinden. Es war nicht Zoros Art, andere zu belauschen, doch ihm wurde schnell klar, dass es hier um Wichtiges ging.

„Ich habe beschlossen, meine Crew zu verlassen,“ begann sie traurig.

„Och, das ist aber schade. Taugt die Besatzung nichts?“ Der Alte schien ein guter, selbstloser Zuhörer zu sein. Also schüttete Tashigi ihm ihr kleines Herz aus, während Zoro plötzlich ein Empfinden hatte, als wäre im mit voller Wucht ein Medizinball in die Magengegend getreten worden. Sie will weg?

„Doch! Es ist die beste Besatzung der Welt!“ versuchte sie Luffys Crew zu verteidigen. „Aber ich bin kein Pirat und werde auch nie einer sein. Und ich bin da nicht bei allen willkommen. Die Navigatorin hasst mich. Die Archäologin hat mich mal ganz schlimm angegriffen und mich gewürgt und mir das Knie verdreht. Seit dem tut es immer mal weh...“ Sie seufzt und der Schwertkämpfer spitze die Ohren.

„Der Koch nervt mit seinem ständigem Geschleime. Aber der Rest ist total in Ordnung“, versicherte sie. Zoro konnte sich kaum das Lachen verkneifen, als sie über Sanji redete. Er dachte nach. Gründe zum Gehen waren das nun aber alles nicht. Niemand hatte von ihr verlangt, ein Pirat zu werden. Sie konnte mitreisen und das war in Ordnung. Das schien auch ihr kleiner Zuhörer so zu sehen.

„Och, wenn es nur so ein paar sind, die Ärger machen... Wichtig ist doch, was der Captain sagt!“

„Aber einer von denen hat mich furchtbar betrogen und belogen. Er hat mich nur missbraucht, um seinen Kapitän freizubekommen. Ich bin da total reingefallen. Es liegt ihm gar nichts an mir. Überhaupt gar nichts! Und dabei ... “Sie konnte den Satz nicht zu ende bringen. Dicke Tränen kullerten unter ihrer Brille hervor die Wangen hinab.

Zoro sackte zusammen wie ein angeschossener Vogel, dass er fast kleiner war, als sein hölzerner Sakefreund neben ihm. Vor Wut hatte sich der Zinnkrug in seiner Hand zu einem Metallklumpen verformen lassen. Wie war die denn drauf? Das konnte doch nur dem Alkohol zuzuschreiben sein, denn sie war rappelpappel voll. Sie schien das Pflaumenzeug absolut nicht zu vertragen und schaukelte nun von einer Stimmung in die nächste. Bei ihrem Talent konnte das nur so Böse enden, als würde man einem Kleinkind Schere, Messer und Licht zugleich in die Patschehände drücken. Vorhin in der Gruppe hatte sie doch noch über jeden Blödsinn so herzlich gelacht. Und nun? Wie kam sie nur auf so einen Blödsinn? Bekanntlich sagten kleine Kinder und Betrunkene die Wahrheit. Mal sehen, was da so noch kommen würde.

„Och, das tut mir sehr leid für dich. Warum denkst du so etwas?“ erkundigte sich nun behutsam der Priester, als hätte er geahnt, dass sich ein wohlbekannter Schwertkämpfer in unmittelbarer Nähe neben einem Sakefass eben selbiges gefragt hatte.

„Manchmal tut er ganz nett und dann lässt er mich wieder stehen wie einen Regenschirm bei Sonnenschein. Ich verstehe das alles nicht. Aber er sagt ja auch nichts.“ Sie sah kalt in den Horizont auf. Der Alte hatte nun die Zusammenhänge verstanden und lachte:

„Ah, ich sehe schon. Du suchst keinen Nakama, sondern einen Freund!“

„Nicht mehr! Ich werde ihn fangen und ausliefern. So, wie ich es seit dem Beginn meiner Reise vor hatte“ sagte sie verbittert und blickte dem Priester hinterher, der sich entschuldigte, denn er müsste nun weiterfegen. Die Nacht wäre die einzig günstige Gelegenheit dafür.

Zoro hatte genug gehört. Sollte sie doch denken, was sie wollte. Es wäre ihm vollkommen egal. Sollte sie doch sehen, wie sie weiter klar käme. Und nie wieder bräuchte sie bei ihm ankommen mit diesem süßen Lächeln, welches ihm alles verzieh, diesen großen Kulleraugen, in die er so gern sah wie in einen Spiegel und diesem hübschen Gesicht, aus dem er gern ihre Haarsträhnen strich. Blöde Kuh, Schlampe, Biest, Miststück! Schon wieder dachte er an sie. Sie und ihre Wärme und Liebe. Oder die Fingerspitzen, die ihn des Nächtens gesucht und sich fragend an seine Haut geschmiegt hatten. Es waren nur zwei Nächte gewesen, aber sie wogen mehr als alle Nächte, in denen er allein gewesen war. Aber jetzt war Schluss. Noch einmal würde sie ihn nicht einwickeln. Mit diesem Beschluss wollte er diesen Ort schleunigst verlassen. Wütend sprang er auf und gab dabei seinem hölzernen Kameraden einen dummen Schubs, so dass er polternd umfiel. Mit einer unentdeckten Flucht war es wohl nun vorbei. Dann könnte er ihr auch kräftig die Meinung sagen. Langsam trat er mit verschränkten Armen aus dem Schatten heraus direkt auf sie zu. Mit jedem Schritt formten sich Sätze und Vorwürfe, die er ihr gern an den Kopf geworfen hätte, aber keiner dieser Sätze drückte die Sache zu seiner Zufriedenheit aus. Also verwarf er auf den wenigen Metern ein ums andere Mal seine Thesen ohne Bessere finden zu können. Erstaunt blickte sie ihn an, als könne sie sich nicht vorstellen, dass er es wirklich war. Ausgerechnet hier! Dann starrte sie wütend vor sich auf den Boden, ballte ihre zarten Hände zu Fäusten und suchte ebenfalls nach den richtigen Worten. Um keinen Pries wollte sie ihm nun in die Augen sehen.

Sie standen sich nun schweigend nur einen knappen Meter gegenüber. Wütend und aufgebracht. Verletzt und enttäuscht. Verunsichert und traurig. Unfähig, diese Situation zum Guten oder Schlechten zu wenden.

Ein lauwarme Brise zog vom brausenden Meer auf, zupfte sanft an den Ästen der Pflaumenbüschen die vertrockneten Blätter ab, trieb sie verspielt durch die sternenklare Luft und dann wieder raschelnd über den steinigen Boden. Der Wind zog weiter, ließ die Kleidung der beiden Regungslosen leicht mitwehen und strich über ihre Haare. Immer noch hielt Tashigi den Kopf gesenkt und genoss, wie die Brise ihre Tränen trocknete und sie tröstend umschmeichelten.

„Sieh mich an, wenn du das alles eben ernst meintest!“ sprach er und sie konnte nicht deutend, ob es wütend oder traurig klang.

„Warum?“ gab sie trotzig zurück.

Nur widerwillig hatte sie dem bittenden Druck seiner Hand an ihrem Unterkinn nachgegeben.

Erst fühlte es sich wie ein sanfter Hauch an, jedoch anders als die Meeresbrise an ihrer Wange. Es war fast ein Nichts, was über ihre Lippen strich. Ganz zärtlich und vorsichtig, eher schüchtern und fragend. Dann wurde es mutiger und verlangender, fast schon frech. Überrascht riss sie ihre Augen auf, nur um sie im nächsten Moment hingebungsvoll wieder zu verschließen. Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch. Ihr Herz klopfte so heftig, dass es aus ihr heraus zu springen drohte und vermutlich wäre sie in einem Gefühlsstrudel versunken, wenn sie nicht schon längst eng umschlungen hier gestanden hätten. Beschützt von einer mystischen Aura des Vollmondlichts, aus welcher der Rest der Welt in weite Ferne rückte. Der erste Kuss verging ihr viel zu schnell und sie stupste ihn auffordernd mit ihrer Nase an, um eine Zugabe zu erbieten, als sie sich ihre Lippen wieder voneinander lösten.

Er drückte sie fester an sich und strich ihr sanft über den Rücken. Ihr Kopf ruhte an seiner Halsbeuge. Ein seltenes Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Hatte er ihr nicht gerade noch böse sein wollen? Kleines Biest mit großen Kulleraugen! Er hatte keinen passenden Satz gefunden und was anderes war ihm nicht eingefallen. Es war ein reines Bauchgefühl gewesen und im schlimmsten Falle hätte er nur eine gepfeffert bekommen. Aber alles war nun vollkommen gleich. Vielleicht hätte sie nun ein wenig begriffen, dass ihre Sorgen unbegründet und sich ihr Wunsch längst erfüllt hatte: Er war bereits gefangen. Aber es war kein Seil, welches ihn festhielt, sondern ihr Herz. Es war ihm richtig bewusst geworden, als sie sich hier gegenüberstanden. Und wie ihre Küsse schmeckten, wusste er nun auch: Ganz weich und sanft wie die eines Engels ... und ein bisschen nach Pflaumenwein.

38 - Filmriss

Es war eine Mischung aus Peinlichkeit und Karneval, aus Lumpensammler und Silvesterrakete. Arm in Arm in einer Dreierreihe liefen der Sogeking, der Gummijunge und das Rentier die Straße entlang, sangen ausgelassen ein recht dümmliches Lied, welches sie gerade auf dem Fest gelernt hatten und lallten so auffällig, dass sich wirklich ein jeder nach ihnen umdrehte.

„Kling Klang, du und ich, Kling Klang, die Straßen entlang...“ gröhlte es aus ihren Kehlen und selbst ein Partyfreund wie Franky konnte nur noch fassungslos den Kopf schütteln. Die Tonlage war mehr als schief und der Tanzstil äußerst skurril. Er hielt sich daher lieber in sicherer Entfernung hinter den Dreien auf, um im Zweifelsfalle jegliche Zugehörigkeit abstreiten zu können. Dabei gab es doch soviel zu feiern! Usopps Geschirr-Abwasch-Automat mit Trocknung, der nur lief, nachdem Franky einen nicht explodierenden Motor eingebaut hatte, mystische Kerzenlegenden und Zoros Sieg. Wo steckte der eigentlich wieder? Na egal! Kling Klang, die Straßen entlang ... Wo war eigentlich Brook, wenn man ihn mal brauchte? Er hätte da sicherlich einen genialen Rhythmus untergemixt und aus diesen schrägen Tönen noch ein Lied gezaubert. Es wäre wirklich an der Zeit, dass sie ihn mal wieder vom Twin Cape abholen sollten, dachte sich der Cyborg und trabte weiter hinter dem Gesangstrio hinterdrein. Man gut, dass Nami und Robin schon lange vorausgegangen waren. Die Navigatorin wollte den neuen Kurs festlegen, denn sie hatten einen heißen Tipp erhalten, wie es nun weitergehen könnte. Die Archäologin wollte dazu die passenden Bücher und die alten Karte aus Perkas Truhen wälzen. Schon bald könnten sie aufbrechen. Aber dazu wollten sie erst auf dem Schiff mehr berichten, denn Luffy hatte nichts Gescheiteres zu tun gehabt, als sich seinen Magen so lange mit Fleischleckerein voll zu stopfen, bis er einem Ballon glich. In dieser Lage war er für crewinterne Entscheidungen quasi nicht mehr zu gebrauchen und Nami war nicht in der Laune gewesen, sich mit ihrem Captain darüber auseinander zu setzen. Also wurde der Kurs klargemacht. Ohne Kapitän. Der wäre eh überzeugt, sobald es nach Abenteuern riechen würde.

Der Schiffsbauer blickte sich weiter suchend um. Nicht nur Zoro war wieder einmal abhanden gekommen, auch von Tashigi und Sanji fehlten jede Spur. Franky gingen die Bilder des vergangenen Abends nicht aus dem Kopf, wie die junge Frau durch den Weingenuss immer stiller und stiller wurde. Die Kleine machte nicht den Eindruck, dass sie diese rauen Mengen gewohnt war. Hoffentlich hatte sie den Weg zu ihrem Bett auf dem Schiff gefunden und geisterte nicht noch hier so ganz allein herum. Er machte sich doch ein wenig Sorgen um sie, denn er schätze sie derzeit für recht labil ein. Sie hatte viel durchmachen müssen und war doch recht tapfer gewesen. Immerhin war sie so ein Piratenleben nicht gewohnt. Dennoch passte sie in die Mannschaft und brachte frischen Wind in die Truppe. Das war auch gut so. Die Kleine war ihm einfach sympathisch mit ihren Kulleraugen, ihrer kindhaften Tollpatschigkeit und ihrer Naivität. Zudem hatte er festgestellt, dass sie den Schwertkämpfer ohne viel Tun verdammt gut im Griff hatte. Und das war noch viel besser. Der Cyborg musste unweigerlich schmunzeln.

„Na, da schau mal an! Wo hat der wohl die Nacht verbracht?“ überlegte Franky für sich grinsend, als er Zigarettenqualm roch und ihm nächsten Moment auch den dazugehörigen Raucher an eine Häuserwand im Halbschatten gelehnt entdeckte. Lässig wie immer zog der Koch der Strohhutbande an seinem Glimmstängel, versteckte seine leichten Augenringe einer durchgemachten Nacht hinter einer Sonnenbrille und gesellte sich dann zu dem Schiffsbauer. Aus den Augenwinkel heraus konnte dieser noch das leichte Zuschlagen einer Fensterlade hinter sich ausmachen. Dahinter versteckte sich ein junges Mädchen in eine Bettdecke gehüllt und lugte sehnsüchtig dem blonden Smutje hinterher. Es war der traurige Blick eines gebrochenen Herzens. Sanji musste es wohl tatsächlich mal geschafft haben, ein Mädel abzuschleppen. Meist ließen ihn bekanntlich die Damen am Ende der Fete stehen.

„Was treiben die Idioten da?“ erkundigte sich Sanji leicht gereizt und blickte auf den Dreierchor.

„Das könnte ich dich auch fragen, so wie du aussiehst!“ fragte der Cyborg provozierend.

Doch der Koch blieb ihm eine Antwort schuldig. Emotionslos blickte er die Straße entlang einem neuen Morgen entgegen, zog noch mal kräftig an der Zigarette und ärgerte sich ein wenig, dass die Herzdame der letzten Nacht nun hier bleiben musste. Augen wie Mandeln, Lippen so zart wie ein Pfirsich und die Haut so weich wie ein frischgeschlagenes Soufflé. Ein wahres Sahnestückchen. So süß und zärtlich. Aber das richtige Sahnehäubchen oben drauf fehlte irgendwie und da es überall Sahneschnitten auf der Welt gab, würde sicher bald wieder eines davon seinen Weg kreuzen. Vielleicht hätte es sogar noch eine weit bessere Rezeptur. Man müsste nur erst mal kurz dran naschen, ob es mundete. Diese Erkenntnis brachte den erhofften Trost.
 

Als Tashigi langsam erwachte, wusste sie erst nicht, wo sie war und schon gar nicht, wie sie hierher gekommen war. Langsam schoben sich die doppelten Bilder eines grauen Klotzes vor ihren Augen zu einem Originalen zusammen. Nein, es war keine Klotz, sondern ein großer Felsen aus graublauem Stein. Oh, diese verfluchte Achterbahn in ihrem Kopf! Es rauschte und ratterte so furchtbar in den Ohren. Erst jetzt traute sie sich, mit einem Augenblinzeln den Rest der Umgebung zu mustern. Ohne Zweifel war dieses eine langgezogene Bucht mit einem kargen Steinstrand, an welchem wahllos viele dieser großen Felsen herumlagen, als wären sie einem Riesen im Gehen aus der Tasche gefallen. Hier und da sah man Spuren eines frischen Kampfes, denn einige Gräben und Trümmer mischten sich zwischen diese in Fels geprägte Idylle. Und nun konnte sie sich auch dieses Rauschen erklären. Natürlich kam es nicht von einer Achterbahn, sondern es war die wilde Schönheit des Meeres, wie es seine Wellen immer gleichmäßig an dem Strand zerschellen ließ. Eine kalte Brise vom Meer wehte über all dieses hinweg über den Strand zu den Dünen, wo sich ein Hauch von Morgendämmerung ankündigte. Irgendwie kam ihr dieser Ort vertraut vor, als wäre sie schon einmal hier gewesen. Doch sie konnte es gerade nicht einordnen.

Sie lag seitlich gekrümmt auf einem großen flachen Fels, der an einem weiteren etwas größeren Felsen lehnte. Um ihren Oberkörper wickelte sich gelber, dünner Stoff schützend vor dem Wind. Ihr Kopf ruhte auf weicher Baumwolle und es fühlte sich angenehm warm an. Sie schloss wieder die Augen, döste eine Weile ausnüchternd vor sich her und lauschte den Wellen, die beruhigend rauschten und sie in einen leichten Schlaf wogen. Wenn es ihr später besser ginge, könnte sie sich Gedanken machen, wie um alles in der Welt sie hierher gekommen war.

Ihr vermeintliches Kopfkissen entpuppte sich letztendlich als Zoros linker Oberschenkel. Der Schwertkämpfer saß mit ausgestreckten Beinen dicht neben ihr, nutze den einen Felsblock als Lehne und hielt in der rechten Hand eine fast leere Sakeflasche. Schweigend, fast nachdenklich beobachtete er, wie die Wellen sich erst auftürmten und dann zerbrachen. Langsam verblassten die Sterne am Nachthimmel und der Vollmond zog schnurgerade zur Ziellinie seines nächtlichen Marsches. Stiller war es geworden auf dem Fest drüben im Dorf, denn die meisten hatten sich mit vielen Fässern von dem leckeren Getränk eingedeckt und feierten auf ihren Schiffen. Manch eine Mannschaft war sogar schon von ihrem Kapitän zum Aufbruch ermahnt worden. Es mochten nicht mehr allzu viele Menschen auf der Insel sein. So schnell wie das Fest und deren Besucher gekommen waren, so schnell verflüchtigten sie sich auch wieder. Das Ende der Erntesaison war eingeläutet. Bald würden die Büsche vom Herbstwind kahl gezupft und die Nächte kühler werden.

Zoro zog langsam die kühlenden Luft ein, die vom Meer her den Geruch von Salz und Herbst brachte. Es lag Vergängliches in ihr, aber bald würde sie nach Eiswasser riechen und alles Alte ersticken. Erst der Frühling würde diese Melancholie beenden.

Obwohl es eine Sommerinsel war, würde es auch hier einen Herbst mit seinen Farben und Winden geben, obgleich dieser um einiges milder wäre als andernorts. Er mochte den Herbst. Vielleicht lag es daran, dass er im Herbst geboren worden war oder er aus einer Gegend stammt, dessen Klima eher herbstlich war. Er wusste es nicht. Lange hatte er in den letzen Wochen nachgedacht und feststellen müssen, dass er kaum etwas aus seiner Vergangenheit wusste. So sehr er sich auch erinnern wollte, sein Mosaik der Erinnerungen wies beträchtliche Lücken auf. Wie hieß sein Dorf doch gleich? Es wollte ihm partout nicht in den Sinn kommen. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er Heimweh und wollte dahin zurück, woher er kam, bevor die Erinnerungen ganz verblassten. Er blickte auf das Mädchen an seiner Seite, welches ein Teil aus seiner Vergangenheit war. Oder war es die Gegenwart? Die Mosaiksteinchen dieses Rätsels fielen aus seinen Händen und zerbröselten zu Pulver. Er leerte mit einem letzten Schluck die Flasche uns stellte sie neben sich auf dem flachen Stein ab. Ohne den Blick vom Meer abzuwenden, legte er sanft seine Hand auf ihre Taille und streichelte sie, bis sie sich durch diese ungewohnte Berührung regte.

Sie wollte erschrocken hochfahren, doch ihr dicker Schädel vom Weingenuss in den Stunden zuvor machte ihr einen bösen Strich durch die Rechnung. Schwindel und ein heftiger Kopfschmerz ließen sie wieder zurücksinken. Noch nie hatte sie soviel Wein getrunken. Um ehrlich zu sein hatte sie noch nie in ihrem Leben Alkohol getrunken. Wie hielten die Piraten das nur aus? Besonders Zoro soff das Zeug wie Wasser ohne mit der Wimper zu zucken, dass man meinen könnte, er hätte ein handfestes Alkoholproblem. Mystische Gespenster jagten durch ihren Kopf und spielten Fangen mit ihren Traumbildern, die sie festhalten wollte. Doch in diesem Wirbelsturm tänzelten sie wie bunte Drachen im Wind und flatterten zu Vögeln geworden davon. Immer schneller und schneller wie ein altes Karussell. Gleich würden dem Felsen Beine wachsen und loshoppeln! Sie bekam Panik und klammerte sich nun reflexartig an den Arm des Schwertkämpfers, obwohl sich weder Steinblock, noch Umgebung in irgendeiner Weise bewegten. „Nie wieder Alkohol“, dachte sie und war der Verzweiflung nahe, den Unterschied zwischen oben und unten zu verlieren.

Nun aber schmiegte sie sich noch ziemlich schläfrig an Zoros Oberarm und starrte durch eine schiefsitzende Brille direkt auf das schwarzen Kopftuch vor ihrer Nase. Ein Tuch, welches ihr gestern so eine Angst bereitet hatte, als sie im Verhörraum der Marine gequält wurde. Aber es war hier an seinem rechten Platz. Alles war soweit in Ordnung. Oder doch nicht? Irgendetwas irritierte sie furchtbar, bis es „Klick“ in ihrem benebelten Köpfchen machte. Sie war samt Kleidung nass bis auf die Knochen und nur Zoros Hemd schütze sie vor dem kühlen Wind. Im Gegenzug saß der Schwertkämpfer natürlich nun mit freiem Oberkörper neben ihr. Ruckartig rückte sie einen halben Meter von ihm weg, sodass sie von ihm nur einen erstaunten Blick über diese Hektik erntete.

„Was mache ich hier? Wieso bin ich pitschenass und habe dein Hemd an? Was hast du mit mir gemacht?“ brüllte sie ihn an. Was auch immer gerade für wilde Fantasien in ihrem Kopf herumspukten, ihre Vorstellungen waren in diesem Moment mehr als belustigend. Zoro musste einfach laut loslachen, fügte dann aber übelst grinsend in geheimnisvollem Tonfall hinzu: „Nur perversen Schweinkram...!“

Seine Augen funkelten frech, denn es war ihm vollkommen bewusst, dass diese Worte sicherlich zu explosionsartigen Reaktion ihrerseits führen würde. Und das taten sie auch. Tashigi starrte ihn erst geschockt mit einem Rotschimmer auf den Wangen an, als wäre Leib und Seele vollkommen entblößt worden. Dann lief sie knallrot vor Wut an:

„Du ... ! Du, du bist echt das Allerletzte! Du, du ... Pirat!“

Immer noch musste in ihrem Wortschatz Pirat ein Synonym für das absolut Allerschlimmste sein, was wohl auf Erden wandeln könnte. Da schien selbst jeder andere Kraftausdruck wie Arschloch oder dergleichen vollkommen bedeutungslos. Jedoch hatte Zoro keinen weiteren Moment, sich über dieses Tatsache zu belustigen, denn in der nächsten Sekunde fühlte er einen zwiebelnden Schmerz auf seiner Wange. Dieses Weib hatte ihm doch tatsächliche eine gelangt, dass es lauter klatsche als die Wellen dort unten an die Felsblöcke! Und angesichts des glühenden Schmerzes lag in dieser Ohrfeige eine unerwartet große Kraft voller Wut und Enttäuschung. Etwas verlegen biss er sich auf die Unterlippe. Ohne etwas gesagt zu haben, hatte sie recht. Diese boshafte Lüge war taktlos gewesen und verdiente eine derartige Bestrafung. Kein Haar hatte er ihr gekrümmt. Warum musste er sie auch so aufziehen? Er erkannte sich selbst nicht wieder und wusste auch nicht, was in ihn gefahren war. Doch der Reiz, sie immer wieder so zu necken, übte einen großen Spaß aus.

„Das hätte nun aber nicht so heftig sein müssen. Ich habe dir gar nichts getan“, kam es nun aber doch leicht vorwurfsvoll von ihm zurück und er sah beschämt in ihr wütendes Gesicht. Sie rieb sich ihre Hand, mit sie gerade ausgeholt hatte. Tränen standen ihr in den Augen, doch sie kämpfte gegen einen Heulkrampf tapfer an.

„Dann sag nicht so was zu mir. Woher soll ich denn wissen, dass du nicht lügst?“

„Woher soll ich wissen, dass du immer noch so schlecht von mir denkst?“

Da erkannten sie, dass sie beide Recht, aber auch Unrecht gehabt hatten. Fast gleichzeitig nuschelten sie sich ein „Tut mir leid!“ zu und es blieb ein betretendes Schweigen. Zoro plagte das schlechte Gewissen, dass er ihr eine Erklärung schuldig wäre.

„Du bist ins Meer gefallen. Und weil du dann im Wind so gefroren hast und halt auch so durchsichtige Klamotten hattest vom Wasser, hab ich dir als Decke mein Hemd gegeben. Das war alles.“

„Was hab ich denn hier gewollt?“ Sie war mehr als verwundert und er lauschte erstaunt auf. Sie schien sich an nichts mehr so recht erinnern zu können.

„Das da!“ antwortete er und zeigte auf einen großen, schwarzen Gegenstand aus Metall. Das Black Sword! Tashigi verstand nun gar nichts mehr. Doch als sie sich umblickte, wurde ihr einiges klarer. Natürlich! Hier war die Bucht, wo sie Zoro nach dem Kampf gegen Mihawk gefunden hatte. Aber sie saß doch gestern mit den anderen Strohhüten am Tisch? Wie kam sie hierher und warum war sie ins Meer gefallen? Sie kramte in ihrem Gedächtnis und dann kam es langsam wieder zurück.

Ja, da saßen alle Strohhüte mit an dem Tisch und sie hatte sich von der Trinkgeschwindigkeit anstecken lassen. Ausgelassen und heiter war es gewesen, bis zu der Stelle, wo Zoro Sake-Nachschub holen wollte und einfach nicht wiederkam. Natürlich hatte er sich nur wieder verlaufen, aber der Alkohol belog sie übelst, dass er sicherlich ein anderes Mädel getroffen hätte. Eines, welches sicherlich viel hübscher und nicht so tollpatisch wäre wie sie. Da war sie depressiv geworden, hatte zur Bande gesagt, sie bräuchte eine kleine Pause vom Feiern und war ziellos fortgegangen. Blind vor falscher Eifersucht hatte sie begonnen, sich die blödesten Geschichten einzureden bis die Tränen ihr den Weg verschleierten. Wie dumm sie doch war. Finstere Lügen erzählte ihr der Wein, dass sie nur benutzt und ihre Liebe betrogen worden war. Und dann war da doch noch die Unterhaltung mit dem netten Priester am Schrein. Der Rest war ein großes, klaffendes Loch in ihrem Gedächtnis. Es tat ihr alles so furchtbar leid. Ein Wunder, dass sie ihm noch unter die Augen treten durfte.

Sie setze sich mit angezogenen Knien und einem respektvollen Abstand seitlich neben Zoro, dass sie ihm auf keinen Fall ansehen musste. Er hatte sie aus den Augenwinkeln beobachtet, wie sie dort vom schlechten Gewissen geplagt saß. Ihre Ideen waren aber auch mehr als seltsam. Noch eine ganze Weile hatten sie dort oben eng umschlungen am Schrein gestanden, bis sich mehrere finstere Gesellen die Treppe dorthin aufmachten. Also hatten sie beschlossen, zum Schiff zurück zu gehen. Die Müdigkeit steckte besonders Tashigi in den Knochen.

„Ich geh erst schlafen, wenn ich noch mal in der Bucht war!“ kam es ganz energisch aus ihrem Mund und plötzlich stand sie kerzengerade neben ihm. Die Erklärung dieses Motivationsschubes folgte auf der Stelle. „Ich will alle kostbaren Schwert der Welt aus den Händen schlechter Menschen entreißen. Und das Black Sword von Mihawk liegt da noch am Strand! Das hat es nicht verdient!“ Das war nicht nüchtern gesprochen und gedacht, aber der Wille war eisern und so rappelte sie sich zusammen und torkelte ein paar Schritte davon.

„Die hat sie doch nicht mehr alle!“ stellte der Schwertkämpfer perplex fest und schielte zu seinem Engel hinüber, der von einer Seite auf die andere taumelte, als hätte man ihm eben gerade erst die Flügel gestutzt. So würde sie wohl niemals auf direktem Wege zu der Bucht kommen. Aber immerhin würde sie den Ort finden. Er selbst hatte keinen blassen Schimmer mehr, wo der Platz seiner Heldentat gewesen war. Eigentlich recht peinlich, doch was soll’s? Es wäre noch nicht einmal sicher, ob das Schwert dort überhaupt noch zu finden wäre. Vielleicht hätte das Meer schon Besitz von ihm ergriffen und es in die nassen Tiefen im sandigen Grund verschlammen lassen. Oder die Marine hätte es als Schlachtensouvenir einkassiert. Letzteres wäre mehr als bedauerlich und inakzeptabel.

Recht schnell kamen sie dann in der Bucht an. Mihawks schwimmender Sargdeckel war nirgends mehr zu entdecken. Auch sein Leichnam war nicht mehr da. Entweder hatte die Marine ihn geborgen oder er war von den Wellen hinaus in ein nasses Grab getragen worden. So oder so war es auf jeden Fall besser, dass er nicht mehr hier lag.

Das Black Sword steckte unübersehbar im steinigen Grund in der Brandung fest und Tashigis Ungeduld brachte ihr dann den Sturz in das kalte Salzwasser ein. Mehrmals hatte sie mit ihrer ganzen Kraft an dem Schwert gezerrt, doch es rührte sich keinen Millimeter. Nicht nur, dass es wie einbetoniert dort steckte, sondern es war auch durch sein Eigengewicht für die zierliche Frau nicht händelbar. Es war nun an Zoro, sie samt Schwert aus dem salzigen Nass herauszufischen.

Das alles erzählte der Schwertkämpfer ihr in kurzen knappen Sätzen, doch ihren Kuss ließ er erst einmal unerwähnt. Wenn sie so schlecht von ihm dachte, dann musste sie auch nicht wissen, dass er sie mochte. Tashigi hingegen musste sie ihm gleich unter die Nase reiben, dass sie immerhin dem Samurai der Meere den Gnadenstoß verpasst hatte. Jawohl! Mit dem Wadôichimonji! Und dann wäre der rote Schmetterling zum Himmel aufgestiegen und der Glanz des Katanas erloschen. Darum wäre nun das Black Sword ihre Siegestrophäe. Zoro grinste. Immerhin war es ja nun doch seine Vorarbeit gewesen, die es ihr diese Chance ermöglicht hatte.

„Wenn du es tragen kannst, ist es deins...“

Maulend stützte sie ihren Kopf wieder auf ihre Knie. Nein, sie würde es niemals allein vernünftig tragen können. Höchstens könnte sie es hinter sich herziehen wie einen Baumstamm und das wäre sicherlich nicht gut, wenn sie das Black Sword in einem ganzen Stück zur Thousand Sunny bekommen wollte. Welch missliche Lage! Sie versuchte sich auf andere Gedanken zu bringen.

„Ich habe etwas Komisches geträumt“, murmelte sie nach einer ganzen Weile lautdenkend vor sich her und da von ihrem Gesprächspartner keine Antwort kam, fügte sie hinzu: „Ich habe geträumt, ich wäre total sauer auf dich, aber du bist einfach so aufgetaucht und hattest mich geküsst.“

„So lange es kein Alptraum war ...“ gab er eher zurück und überlegte, warum sie genau diese Sache genau jetzt ansprach. Da war sicher noch ein Haken dabei.

„Ich fand das aber schön, Idiot!“ murmelte sie schläfrig weiter, wollte ihn mit der geballten Faust seitlich knuffen, verfehlte aber ihr Ziel und wäre fast vom Stein gepurzelt, hätte er sie nicht schnell noch am Handgelenk gepackt und zu sich an seine Seite gezogen. Die Sakeflasche bekam dabei einen Schubs und rollte den Stein hinunter. Ein Geräusch von Glassplittern besiegelte ihr Ende. Nun saßen sie sich dicht gegenüber, sodass man den Atem des Anderen spüren konnte.

„Was machst du denn wieder für Blödsinn?“ tadelte er sie.

„Ach, es ist alles so ... so ...“, jammerte sie leise und suchte nach den richtigen Worten. Wieder schwappte sie von einer Stimmung zu einer anderen. Sie schien selbst nicht zu wissen, was sie überhaupt in ihrem Leben wollte und wie ihre Zukunft aussehen sollte. Für Zoro war es nun genug mit der Geduld. Es war Zeit, einen Schlussstrich unter dieses Theater zu setzen.

„Jetzt hör mir mal gut zu! Hör auf, dir über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die du nicht ändern kannst oder die schon vorher klar waren. Du bist jetzt hier und nicht mehr bei der Marine. Das war deine alleinige Entscheidung. Also akzeptier’ das endlich mal! Ich hatte mittlerweile den Eindruck gewonnen, dass du dich ganz gut in unsere Crew eingefunden hast. Mal abgesehen von Namis Zickenalarm. Oder etwa nicht?“ fuhr er sie an. Vielleicht war es etwas heftig, doch es konnte so nicht weitergehen. Prüfend sah er sie eine Weile an, wie sie dort stumm mit zusammen gepressten Lippen saß. Er hatte nicht ganz den Punkt ihres Hauptproblems getroffen. Und deshalb fügte er hinzu:

„Trotzdem bist du ständig misstrauisch. Aber so läuft das nicht. Unsere Mannschaft hält durch Vertrauen und gegenseitige Hilfe zusammen. Versuch mal, dass du uns allen mehr vertraust.“

Sie nickte ihm als Antwort zu, dass er recht hatte. Sie mochte die Mannschaft wirklich gern, denn sie war wie eine großen Familie und hatte so rein gar nichts mit ihren überholten Vorstellungen von Piraten gemeinsam. Wenn da nur nicht diese unglückliche Konstellation mit der Liebe wäre. Und tatsächlich war da eine Menge Misstrauen, was sie ihm entgegenbrachte. Warum eigentlich?

„Aber ich bin einfach kein Pirat. Ich kenne euch Piraten nur als etwas Schlechtes. Ich bin das nicht gewohnt, jetzt plötzlich immer wegzulaufen und mich zu verstecken. Bei der Marine war es zwar auch nicht besser, aber das kannte ich halt. Da war alles in meinem Leben geregelt. Ich bin habe nicht gelernt, mir über alles eine Meinung und ein Urteil zu bilden. Auch wenn die Marine eine große Lüge ist. Und du hast mich doch auch nur belogen. Du hast mich nur ausgenutzt, um Luffy zu befreien. Und dabei habe ich ...“

Sie schluckte den letzten Satz hinunter, denn sie wagte es nicht, ihn zu beenden. Mehr traurig als verzweifelt senkte sie ihren Blick. Der Wind spielte mit der Seide ihrer Kleidung und trocknete sie zusehends. Mit beiden Händen hielt sie das Hemd an der Knopfleiste zusammen, als würde es wie ein Schutzmantel alles von ihr fern halten können. Es war schwierig. Einerseits war er immer für die da gewesen und andererseits ließ er sie fallen wie eine heiße Pellkartoffel. Wie sollte man da vertrauen?

„Was hast du?“ Er sprach leise zu ihr, denn es schien sie zu beruhigen und ihre Gedanken zu ordnen.

„Nichts“, wollte sie sagen, vergrub aber stattdessen lieber wieder still den Kopf in den Armen. Es war doch eh aussichtslos.

„Ich habe dich nicht ausgenutzt“, sagte er. „Und du hast auch nichts geträumt.“

Erstaunt über diese Worte hob sie rasch den Kopf und blickte ihn das, was ihr Vertrauen zurückgab. Graue Augen, die frech aufblitzten und in denen sie so gern versang. Ein leichtes Lächeln, was nur sie bekam.

Andere würde vielleicht sagen „Ich liebe dich!“. Zoro sagte zwar nur, dass es kein Traum war, aber die Bedeutung war irgendwie dieselbe. Zumindest klang es für Tashigi so. Und so war es auch gemeint.

Ein vermeintliches Happy End wurde jedoch dadurch zerstört, dass sich Zoro plötzlich ruckartig umdrehte und angestrengt auf den Horizont starrte. Irgendwas war dort draußen auf den Weiten des Ozeans. Der Schwertkämpfer konnte es deutlich spüren. Viele Seelen waren dort unterwegs mit großem Kampfeinsatz auf ihren schwimmenden Untersätzen. Doch sie waren noch zu weit entfernt, als dass man es genauer beschreiben könnte. Doch für Zoro war klar: Da war nichts Gutes auf dem Weg hierher, sondern eine bedrohliche Gefahr.

Während er noch so darüber nachdachte und die Situation vollkommen zu fassen versuchte, kamen die unbekannten Feinde näher Stück für Stück und legten sich wie einen unsichtbaren Ring um die Insel. Das Eiland war lückenlos umstellt. Es war Zeit zu gehen.

39 - Wow, Tashigi!

Ein grelles Licht, heller als ein Blitz. Bruchteile einer Sekunde vergingen. Ein lauter Knall. Fensterscheiben klirrten, Dachziegeln schepperten. Viel aufgewirbelter Staub. Und alles, was blieb, war ein riesig großer Krater inmitten auf der einzigen Dorfstraße der schon seit jeher zerpflügten Insel. Langsam regnete der Staub hernieder und bedeckte alles wie sanfter Schnee.

„Was war das denn?“ kam es schockiert aus den Kehlen des singenden Trios gekreischt. Mit weit aufgerissenen Augen und heruntergeklappten Kiefern starrten sie entsetzt auf ein riesiges Loch, welches vor wenigen Augenblick noch nicht die Landschaft zierte.

Auch Sanji und Franky waren nicht weniger überrascht als ihre drei Freunde. Doch im Gegensatz zu jenen suchten sie erst einmal schnell Deckung. Wo ein Loch auftauchte, folgte sicher schnell ein nächstes. Der Koch spähte den Horizont entlang, konnte aber keine Abschussstelle ausfindig machen. Dabei bemerkte er, dass nun ihre Gruppe zersplittert worden war. Zusammen mit dem Schiffsbauer stand er auf der einen Seite des Bombenkraters und der unmusikalische Gesangschor auf der anderen Seite.

Kaum war die Überraschung der Ernüchterung gewichen, so folgte auch schon die nächste Detonation etwas weiter unten an den Klippen. Und dann krachte es immer schneller und schneller.

Während der Gummijunge noch diesen Frevel des feigen Hinterhaltbeschusses lauthals anklagte, das Rentier und der Kanonier mit dem Tod vor Augen um die Wette kreischten und der Smutje weiterhin über diesen unbekannten Feind nachdachte, hatte der Cyborg wieder einmal mehr sein Talent bewiesen, aus allem möglichen umherfliegenden Abfall in Höchstgeschwindigkeit eine Luxusausführung eines Holzstegs über den Abgrund zu bauen. Kaum waren sie wieder vereint, stürzten sie in Richtung Schiff davon, auch wenn der Captain den Sinn nicht so recht einsehen wollten. Er forderte trotz Schulterzucken der anderen den offenen Kampf und ließ sich nur mit Mühe eiligst den Rückweg entlang schleifen. Gerade hatten sie den Ort hinter sich gelassen und den Hügel erklommen, wurde ihr Lauf wieder unterbrochen. Überall am Horizont tauchten schemenhafte Umrisse von Kriegsschiffen auf. Es war ein Rätsel, wie sie aus dieser Entfernung die Insel unter Beschuss nehmen konnten.

Die Insel war umzingelt. Selbst Luffy erkannte nun den Ernst der Lage und gab die Anweisung, sofort samt Crew und Schiff aus diesem Belagerungskessel auszubrechen. Koste es, was es wolle!
 

Die Sunny lag zum Ende der Nacht in ihrem geheimnisvollen Versteck in tiefer Nachtruhe eingebettet wie unter einer schützenden Käseglocke. Ihr Wasserbett war im Mittelpunkt des Höhlensees so klar wie Kristall und so glatt wie poliertes Glas. Man könnte meinen, sie wäre fest mit der Wasseroberfläche in einem Guss gegossen und unzertrennlich mit ihm vereint, denn sie rührte sich keinen Millimeter. Das erste, fahle Licht eines neuen Morgens leckte oben an dem Kraterrand und sabberte mit den kleinen Wasserfällen in die Tiefe hinab, so dass sich sanfte Konturen vom Schiff gegen die Höhlenwände abzeichneten.

Noch schien alles friedvoll und ruhig. Es war zu ruhig. Hoch oben im Krähennest saß Zoro im Schneidersitz auf der Trainingsmatte, starrte düster vor sich her und kämpfte gegen seinen heißgeliebten Schlaf an. Er witterte die Gefahr draußen vom Meer her und suchte stumm in Gedanken die anderen. Wo waren diese Idioten bloß? Wieder und wieder versuchte er sich zu konzentrieren. Doch der Ring von Feinden legte sich um das Eiland wie eine Schlinge, die sich nun langsam zuzog. Viele Seelen waren da draußen und schrien vor Angst und Angriffslust zugleich. Ihre Gefühle überfluteten ihn und versuchten ihn zu ersticken. Unruhe machte sich in ihm breit und der Kopf begann zu hämmern. Ein einzelner grüner Lichtfunke stieg vor seinen Augen auf. Das Ausblühen bahnte sich mit deutlichen Zeichen an. Zoro verfluchte sich, sein ganzes verqueres Leben, diese unheilvollen Kräfte, die Schlechtigkeit der Welt und dass ihm so rein niemand helfen wollte oder konnte. Letzteres würde er von sich aus jedoch nicht zugeben, auf Hilfe angewiesen zu sein. Das verbot ihm sein falscher Stolz. Er zog mit eingezogenem Kopf die Knie an seinen Oberkörper und umschlang sich mit den Armen, als wollte er sich selbst erdrücken. Wenigstens brachte es Linderung und die Schmerzen legten sich etwas. Langsam fand er seine eigene, innere Mitte wieder und die Welt wurde wieder klarer. Warum zum Teufel war er gerade jetzt in diesem Moment knapp davor, die Kontrolle zu verlieren? Die letzten Tage waren auf der Insel Hunderte von Seelen um ihn herum gewesen und es hatte ihn in keinster Weise beeinflusst. Nicht einmal die hier lebenden Geister hatte er wahrgenommen. Sie alle wirkten wie ausgelöscht und in einer weit entfernten Dimension verschollen. Warum aber kamen sie jetzt wieder? Eine Frage ohne Antwort.

Ein lautes Krachen riss ihn wieder zurück in die Realität, aber auch aus der Konzentration. Irgendwo musste eine Bombe eingeschlagen sein. Der Feind war nun in direkter Schlagdistanz. Der Schwertkämpfer tadelte sich selbst, sich zusammenzureißen und sprang auf. Wenn ihm der verfluchte Hokuspokus nun einen Strich durch die Rechnung machen würde, dann hätte der Angreifer ein mehr als leichtes Spiel. Der Blick durch das Fenster verriet ihm, dass die Detonation auch die anderen alarmiert hatte, denn Tashigi, Nami und Robin tauchten fast zeitgleich unten auf der Bildfläche auf. Die Archäologin schien nie Schlaf zu benötigen und stets zu arbeiten, denn sie steckte nur irritiert den Kopf aus dem Bibliotheksfenster. Unweigerlich dachte Zoro an Tashigis Schlagfertigkeit, als sie zusammen wieder auf der Sunny eintrafen und der wachsamen Leseratte über den Weg liefen. Natürlich hatte seine Süße ihm sein Hemd auf dem Rückweg wiedergeben, denn Vorlagen für dumme Bemerkungen musste man der Crew nicht servieren. Dennoch fragte Robin, wo der Rest der Crew wäre. „Keine Ahnung“, hatte da Tashigi gemeint und angegeben, dass sie vor den anderen nach Hause wollte und unterwegs Zoro eingesammelt hätte, der sich wieder einmal verlaufen hatte. Das war zwar eine Lüge und obendrein ein Seitenhieb für den Schwertkämpfer und seine Orientierungslosigkeit, aber es klang so verdammt logisch und simpel, dass die Archäologin trotz ihrer hohen Intelligenz kein Fünkchen Verdacht schöpfte. Nein, auf den Mund gefallen war die Offizieren wirklich nicht. Nur wieder einmal mehr auf die Nase, als sie sich beim Herunterklettern vom Ausguck in der Seilleiter verhedderte und den letzten Meter böse fiel. Mit einem gemurmelten „Gute Nacht“ verschwand sie augenblicklich durch die Tür der Frauenkabine, wo auch schon ihr Bett auf die verkaterte Besitzerin wartete.

Nun aber durch die Explosion geweckt, stand sie schlaftrunken in der Tür. Irgendwie musste sie es geschafft haben, in ihrem Alkoholdreh die durchnässte Yukata gegen einen Schlafanzug zu tauschen, was ziemlich misslungen war. Die schlichte Hose saß verkehrt herum und das Oberteil war falsch geknöpft. Oben war bei der Knopfleiste ein Knopf zu viel und am unteren Ende ein Knopfloch. Gekrönt wurde das ganze Styling noch mit einer schief sitzenden Brille und zerstrubbelten Haaren. Zoro konnte sich bei diesem lustigen Anblick kaum ein Lachen verkneifen. So wie sie dort stand, war sie einfach sie selbst, wie man sie kannte.

„Mach’ doch mal Platz! Du bist hier nicht allein’!“ keifte es nun stutenbissig aus dem Raum hinter der ehemaligen Soldatin. Nami hatte ein paar Stunden mehr geschlafen und war nun putzmunter. Um ihren Worten den passenden Nachdruck zu verleihen, schubste sie Tashigi boshaft beiseite und stand nun hellwach und komplett angekleidet mitten auf dem Deck. Sie blickte nach oben zum Krähennest.

„Was war das?“ fragte sie laut nach oben, damit Zoro sie verstehen konnte.

„Das weiß ich auch nicht! Aber wir sollten nachsehen!“

Die Navigatorin nickte zustimmend und kurz darauf standen sie zu viert nebeneinander oben am Kraterrand. Ganz gleich in welche Himmelrichtung sie auch blickten, es bot sich dieselbe Szene: Kriegsschiff an Kriegsschiff. Es glich einer nautischen Meisterleistung, eine Ringformation trotz Calm Belt, North Blue und Grandline derart exakt zu bilden.

Da explodierte es in direkter Nähe und ein weitere Kugel raste bereits durch die Luft heran. Es war Zoros schneller Reaktion zu verdanken, dass er das Kaliber noch mit einem gezielten Schlag in der Luft zerschmetterte. Und schon forderte das nächste Geschoss seine ganze Aufmerksamkeit.

Nami zeterte und warf Tashigi wieder einmal mehr Verrat vor. Diese hingegen versuchte sich brüllend zu verteidigen. Ihre Argumente waren zwar nicht schlecht, stießen aber bei der Navigatorin auf vollkommen taube Ohren. Der Streit eskalierte, als Robin den beiden streitenden Damen mit ihren Teufelkräften den Mund zuhalten wollte.

„Fass’ mich nie wieder an, du Hexe!“ schrie Tashigi los. „Dir habe ich mein kaputtes Knie zu verdanken!“ Sich keiner wahren Schuld bewusst, war nun auch die Geschichtsforscherin mehr als angesäuert.

„Pass mal auf, du hochnäsiges, kleines Ding! Nur, weil Luffy dich hier mitfahren lässt, hast du mir gar nichts zu befehlen!“ kam es mehr als streng aus ihrem Mund.

Zoro traute seinen Ohren nicht. Immer wieder hielt er eins ums andere Mal die Geschosse auf, damit sie nicht den Hügeln träfen. Nur ein Treffer und die Kuppel über der Sunny würde zusammenbrechen. Sie waren umzingelt von unzähligen Feinden, wurden arg beschossen und die Weiber hatten nichts anderes zu tun, als schwere soziale Probleme auszutragen? Wenigstens tauchte in der Ferne der Rest der Crew auf. So konnten sie sich bald aus diesem Hexenkessel verabschieden.

„Seid ihr nun alle total durchgeknallt? Wir müssen zusehen, dass wir die Sunny hier rausbekommen oder sie wird unter dem Berg begraben! Ihr seid echt bescheuert! Alle drei!“ brüllte nun der Schwertkämpfer seinen Kommentar hinüber zu der zickige Runde. Das war plausibel und ausnahmsweise kam auch kein Gegenkommentar. Robin machte sich sofort daran, ein Netz aus vielen Händen zu spannen, welches die Kanonenkugeln wie in einem Käscher fingen. Unterdessen schickte Nami Gewitterwolken los, um die Kriegsschiffe direkt anzugreifen. Tashigi kletterte schnell die Leiter hinab, schnappte sich aus ihrem Spind einen Regenponcho und rannte nach vorn zum Steuerrad. Bereits jetzt fielen von den Erschütterungen der Detonationen Gesteinsbrocken von der Höhlendecke herab und platschen laut in das Kristallwasser. Es war ein Wunder, dass das Schiff noch nicht ernsthaft beschädigt worden war. Doch was sollte sie so allein tun?

Es war der Moment, wo sich in ihrem Kopf ein Schalter umlegte und es „Klick“ machte. Ohne lange darüber nachzudenken, hatte sich in ihrem tiefsten Inneren eine Entscheidung geformt, die es nun umzusetzen galt. Sie wollte nicht mehr einfach nur das dumme kleine Mädchen sein, was hier herumgeschubst wurde. Auch wenn sie die Crew mochte, fühlte sie sich doch oft Fehl am Platze und gar überflüssig. Das sollte sich nun hier und jetzt ändern. Sie war zwar ein Tollpatsch und manchmal schwer von Begriff, aber sie hatte auch Fähigkeiten. Das sollten die anderen mal sehen! Und sie würde das jetzt unter Beweis stellen. Jawohl! Nicht mehr länger wollte sie ein Marine-Dummerchen sein, sondern respektvoll behandelt werden! Besonders Nami wollte sie es zeigen, damit sie nicht länger so verachtend zu ihr wäre. Aber auch Robin sollte sehen, das sie kein Schwächling war. Entfacht von falschem Ehrgeiz, blinder Wut und übertriebenem Größenwahn lichtete sie kurzerhand den Anker und nahm das Steuer in die Hand.

Immer weitere Brocken fielen herab. Das Kraterloch wurde größer, der Ausgang in der Höhlenwand kleiner. Schon bald setze ein Steinregen ein. Ängstlich schaukelte die Sunny in den Wellen auf und ab.

„Vertrau’ mir!“ flüsterte Tashigi dem Schiffchen zu, als würde es jedes einzelne Wort verstehen. „Hilf’ mir!“ bettelte die junge Frau innerlich, auf das diese Brigantine ihr gehorchen würde. Es war fast ein Ding der Unmöglichkeit, die Sunny vollkommen allein zu steuern. Aber Tashigi hatte keine Wahl: Entweder hier im Schutt untergehen, an den Felsen der Klamm zerschellen oder auf dem offenen Meer vom Kugelhagel zersiebt werden. Letzteres erschien ihr zynisch gesehen mehr als heldenhaft und angemessen.

Durch das Geschaukel der aufkommenden Wellen begann die Sunny zu treiben. Schon bald wurde sie von der Strömung erfasst, die sie genau in die Klamm zog. So weit, so gut. Doch die Strömung wurde ungleichmäßig stärker. Das Piratenschiff brach am Heck auf und begann sich zu drehen wie ein Stück Holz in einem Wasserstrudel. Panisch steuerte Tashigi dagegen an. Um keinen Preis durfte sie die Richtung verlieren und quer durch die Öffnung treiben, sonst wäre der Spaß schon am Höhleneingang vorbei. Niemand könnte das Schiff dann noch herausziehen, wenn es erst einmal dort verkeilt wäre.

„Wir dürfen jetzt beide nicht aufgeben!“ machte sie dem Schiff und sich selbst Mut. Mit aller Kraft stemmte sie sich in das Steuerrad, um den Kurs zu halten. Geschafft! Über ihr erschien zwischen steilen Felswänden der Himmel. Sie war ohne Verlust in die Klamm gelangt.

Doch nun setzte ein reißender Strom ein. In halsbrecherischem Tempo riss es die Brigantine durch den papierdünne Gang wie eine Flaschenpost. Wellen peitschen auf, klatschten über ihr zusammen aufs Deck und verwandelten die Planken in eine glitschige Rutschbahn. Spitze Felsen ragten wie Krokodilzähne aus dem eiskalten Nass und schnappten gefährlich nach dem schwimmenden Holzgefährt, um es böse in ihren Mäulern knacken zu hören. Es waren nur Millimeter, die in jeder Sekunde das Schiff von den messerscharfen Steinen trennten und vor dem Kentern retteten.

Nur mit Mühe konnte sich Tashigi auf den Beinen halten. Immer wieder verlor sie auf dem glitschigen Grund den Halt und verriss dabei fast das Steuer. Das Wasser prasselte wie ein Taifun auf sie herab und spülten ihr die Brille von der Nase. Blind und bewegungsunfähig hielt sie tapfer die Stellung. Jede Klamm hatte irgendwann einmal ihr Ende. Auch diese, jedoch kam nach Tashigis Zeitgefühl ihr dieser Engpass unendlich vor. Schneller und schneller raste eine Felswand um die andere auf sie zu, nur um im nächsten Moment wieder eine neue Kurve freizugeben. Hinzu kamen die Gerölllawinen von oben. Die Klamm begann, hinter ihr ein zu stürzte.

„Nur noch ein paar Meter“, dachte sie verzweifelt. Am Ende ihrer Kräfte angelangt, war es schwer zu sagen, ob sie das Steuer umklammerte, um nicht von Bord gespült zu werden oder ob sie noch versuchte, den Kurs zu halten. Plötzlich stieg der Wasserpegel rasend schnell und eine Gegenströmung setzte ein, so dass ein heftiger Wellengang die Sunny zu überrollen drohte. Einen Augenblick später sah sie die Katastrophe verschwommen auf sich zukommen: Die Klamm war zwischen der Bucht und ihrer eigenen Position durch einen Steinschlag vollkommen blockiert. Die Sunny raste darauf zu. Bremsen war aussichtslos.
 

„Waahhh! Das ist ja schlimmer als der Buster Call!“ schrie Chopper und sprintete mit Sanji zusammen zu dem Hügel, in dessen Bauch sie ihr Piratenschiff versteckt hatten. Dicht gefolgt von Usopp, Luffy und Franky, die den Weg frei schossen und zugleich allen Rückendeckung boten, erklommen sie den letzten Abhang und waren wieder mit den anderen vereint, die sich hatten durch dem Bombenhagel vom Hügel wegtreiben lassen.

„Na, das wird aber auch Zeit! Wir müssen weg!“ tadelte Zoro die Spätankömmlinge.

„Nun mach’ aber mal halblang! Wer ahnt denn so was? Und ich dachte, du könntest so was fühlen?“ kam prompt angriffslustig vom Smutje die Antwort.

„Ich geb’ dir gleich Gefühle! Aber welche, die zwiebeln!“ konterte der Schwertkämpfer gereizt.

„Schluss damit! Sind alle da? Wo ist die Kleine?“ stellte Franky irritiert fest.

„Die ist runtergeklettert zur Sunny ...“ erklärte Robin, nahm aber sofort wie die anderen reflexartig eine Schutzhaltung ein, als es in direkter Nähe einschlug.

„Sag’, dass das nicht unser Hügel war...“ entfiel es Usopp und alle drehten sich entsetzt dorthin, wo eben noch ihr Versteck gewesen war. Die große Kuppel über der Höhle war weggesprengt und letzte Brocken fielen krachend in das Wasser hinunter. Alles unter ihnen war nun begraben ohne Hoffnung auf Überlebende.

„Tashigi!“ brüllte Chopper. „Die Sunny!“ brachte Nami hervor.

Es war zum verzweifeln. In Zoros Kopf drehte sich alles und die hämmernden Schmerzen kehrten wieder. Der Boden wurde schwarz. Finsternis ergriff lautlos in Windeseile Besitz von der Umgebung. Grüne Funken strahlten wie Sterne und tanzten fröhlich zum Himmel auf. Unter größter Anstrengung gelang es Zoro, das Gleichgewicht zu halten.

„Oh nein, nicht das auch noch! Chopper, was sollen wir jetzt nur machen! Zoro blüht aus!“ stellte der Kanonier überfordert fest.

„Das weiß ich doch auch nicht!“ heulte das Rentier. „Er muss irgendetwas drücken...“

Der Rest der Crew verstand nichts von alledem. Doch es war, als würde die Zeit stillstehen. Kein Kriegsgeschrei und kein Explosionsgeräusch. Kein Meeresrauschen und kein Wind. Nur Finsternis zu ihren Füßen und ein knallblauer Himmel über ihren Köpfen. In weiter Ferne das Meer und die Kriegsschiffe in mittlerweile greifbarer Nähe.

„Nimm’ meine Hand, wenn es helfen kann, wie Chopper sagt.“ Der Gummijunge sprach so ruhig und vertraut, dass es mystisch war. Und als sein engster Nakama aufblickte, sah er in brennende rote Augen, die ihn durchbohrten. Luffy lief ein Schauer über den Rücken. So verändert war Zoro ihm absolut fremd. Langsam verstand der Strohhutträger, was es mit allem in den letzten Monaten auf sich hatte. Hier war etwas im Gange, was weit über ihrer aller Verstand hinaus ging. Irgendetwas Höheres. Ungreifbar und unvorstellbar. Das war der einzig wahre Grund für Zoros Verschwinden gewesen. Er hatte die Crew nicht in Gefahr bringen wollen. Und Luffy selbst war blind gewesen, die Probleme seiner Mitglieder zu sehen. Er übersah Choppers Monsterproblem und er übersah Zoros Dämonenproblem. Und wer weiß, was noch alles. Die wenigen Meilen kurz vor Raftel hatten ihn blind gemacht. Was für ein schlechter Captain.

Seine Gedanken endeten abrupt, als sich Zoros eiskalte Hand um die seinige schloss und wie ein Schraubstock zufasste. Doch Gummi konnte man nicht zerquetschen und so war das Schmerzempfinden weniger als gering.

„Sie ist weg“, sprach der Schwertkämpfer stockend und plötzlich war der ganze Spuk vorbei. Alles war wie zuvor.

„Wer ist weg?“ fragte Franky.

„Tashigi und die Sunny! Sie waren nicht mehr in der Höhle, als die Kuppel zusammenbrach“, kam es knapp zurück.

„Und dafür die ganze Theatralik?“ grinste der Cyborg und Zoro wusste, dass er verstanden hatte.

Es gab nur noch einen Weg für sie alle: Oben an den Kanten der Klamm entlang. Bis runter zur Bucht.
 

Das Rentier war von allen in dem unwegsamen Gelände am Schnellsten, dicht gefolgt von Usopp, der seinen Angsthasenturbo eingeschaltet hatte.

„Da drüben! Sie steuert auf die Felsen zu!“ erfasste der kleine Arzt die ernste Lage.

„Kein Problem! Kabuto Atlas-Komet“ rief die Langnase und schoss. Vier Feuerhörner wie die eines Atlaskäfers schnellten gegen die Gerölllawine und zerbarsten sie zu feinstem Staub. Das angestaute Wasser der Klamm floss nun in einer großen Welle in die Bucht und zog die Sunny mit sich in die Bucht. Das Schiff war fürs erste gerettet.

„Wahnsinn! Super, Tashigi!“ brüllte Luffy hellauf begeistert. Auch Nami blickte erstaunt auf eine unversehrte Sunny und schob schnell den Gedanken beiseite, dass Tashigi die Brigantine hatte klauen wollen. „Wie hat sie das gemacht?“

Die Angesprochene klammerte immer noch am Steuer, hob vollkommen erschöpft von dem harten Kampf die Kopf und lächelte müde.

„Melde gehorsamst! Schiff vor feindlichen Zugriffen geschützt!“ witzelte sie leise.

Sie hatte es tatsächlich geschafft. Ganz allein. Ohne irgendeine Hilfe. Ein Gefühl des Glücks und innerer Zufriedenheit durchströmte sie warm und zufriedenstellend. Unglaublicher Stolz erfasste sie und in diesem Moment war ihr vieles egal geworden. Sie wusste, was sie konnte. Da waren die Meinung der anderen vollkommen egal. Ab heute begann ein neues Leben. Das Alte war Vergangenheit. Sie hatte Ziele vor Augen und die würde sie auch allein erreichen. Letztendlich musste man alles allein entscheiden. So war es nun mal im Leben. Und eine tolle Crew hatte sie auch gefunden. Danke, Zoro! Es wäre wirklich mal höchste Zeit für ein Dankeschön nach allem, was er für sie getan hatte. Und sie war ihm nur mit Zickerei und Depressivität begegnet. Das sollte vorbei sein. Sie nahm es sich fest vor.
 

Mittlerweile waren wieder alle vereint an Bord. Noch einmal wurde Kraftreserven mobilisiert, Cola-Flaschen gefüllt und Kabuto bestückt. Der Durchbruch durch die Seeblockade stand bevor.

„Wir steuern nach Süden!“ sagte Tashigi entschlossen.

„Du spinnst wohl. Da sind die Strömungen der Grandline! Du hast selbst gesagt, dass man dort nicht durchkommt!“ zeterte Nami.

„Und genau deshalb wird uns niemand folgen. Der Marinegürtel wird dort am dünsten sein. Es gibt aber eine winzige Möglichkeit!“ Die Offizieren blickte mehr als entschlossen voraus. Sanji hatte das Steuer übernommen und die junge Frau saß auf dem von Meerwasser durchtränkten Sofa.

„Das kommt gar nicht in die Tüte...“ wollte die Navigatorin entgegen, doch Luffy entschied: „Nach Süden!“ Dabei strahlte er über das ganze Gesicht. Er sah nur das Abenteuer und Tashigis Navigationskünste waren für ihn mehr als überzeugend gewesen.

Und so setzten sie Segel und fuhren mit voller Fahrt dem offenen Kampf entgegen. Immer nach Süden.

40 - Wasserkugel

Kaum hatten sie die schützende Bucht hinter sich gelassen, wurden sie augenblicklich von der Marine entdeckt. Dennoch steuerten sie mit Höchstgeschwindigkeit auf die Angreifer zu. Der Seegang war ruhig und die Sicht vollkommen klar. Ein großer Nachteil für die Strohhüte, denn sie lagen dort auf dem Meer wie die Speise auf dem Präsentierteller. Es war Tashigis Wissen zu verdanken, wie sie das Piratenschiff zu steuern hatten. Nur sie allein kannte jeden taktischen Manöverzug der Kriegsmarine und durchschaute ihn sofort. So gab sie kurz vor Erreichen der Feindesschlagdistanz präzise Anweisungen, die ihre Wirkung nicht verfehlten und die Angreifer arg in Bedrängnis brachten.

„Hart backbord!“ gab sie energische Befehle an Chopper weiter, der das Steuerrad übernommen hatte. Sie selbst thronte kerzengerade auf dem Sofa wie eine Prinzessin und ihr weiter Regenponcho umhüllte sie wie ein großzügig geschnittenes Ballkleid. Ihr harter Gesichtsausdruck ließ hohe Konzentration erahnen und keine Widerworte zu. Selbst Namis Argwohn schien sie zu überhören. Sie hätte wohl unantastbar königlich gewirkt, hätte sie nicht als Brillenersatz das Fernglas direkt vor ihre Augen gehalten, um ihre Umgebung hochauflösend erkennen zu können. Doch wen kümmerte schon in Zeiten wie diesen die äußere Erscheinung?

Der Rest der Crew war bereits im Kampfgetümmel und wehrte ein ums andere Mal Geschosse ab. Immer schneller und schneller flogen die Kugeln bis es einem einzigen Hagelschauer glich. Von allen Seiten her fuhren Kriegsschiffe auf sie zu und die Sunny schlug Haken wie ein panisch davonrennendes Kaninchen. Es waren auf beiden Seiten Teufelskräfte im Spiel. So wuchsen plötzlich Dornenranken aus dem Deck der Sunny, die sich wild wuchernd um Arme und Beine legten, die Haut zerrissen und kräftig zogen. Im nächsten Augenblick schwebten Silberkugeln übers Deck, die heftig explodierten. Oder ein weiteres Mal griff ein Leutnant an, der sich in einen Kugelblitz verwandeln konnte. Es war keineswegs leicht. Weshalb jedoch weder Hina noch Smoker ihre Kräfte einsetzten, blieb ein Rätsel. Auch wenn die Mannschaft schon weit heftigere Kämpfe in der Vergangenheit hinter sich gebracht hatte, so war es einfach nur noch nervig und Kräfte zehrend, sich hier wieder einmal mehr mit der Marine herumschlagen zu müssen.

Und plötzlich brach eine Lücke im Abwehrgürtel zwischen Kriegsschiffen auf, die nicht sofort wieder geschlossen werden konnte. Es war ein taktischer Fehler der Marine, den Tashigi nervenaufreibend herausgekitzelt hatte. Eine winzige Chance. Die einzige Chance.

„Da drüben!“ brüllte sie Chopper zu, der sofort wieder das Ruder herumriss und bangend auf diese schmale Lücke hinzusteuerte. Nur noch ein paar Meter. Zu spät sahen die zuständigen Offiziere ihren Fehler ein und versuchten nun mit einer schnellen Wende ihre Verteidigung wieder aufzubauen. Mit derselben Geschwindigkeit, die das Piratenschiff auf die Lücke zuschoss, preschten die Marineschiffe von rechts und links heran.

„Tashigi, wir kollidieren gleich!“ kreischte das Rentier in Panik.

„Nein ...“, kam es leise von der ehemaligen Soldatin zurück. Der kleine Arzt wusste nun nicht, ob es ein Widersprechen oder ein Zugeständnis war, dass sie sich verschätzt hatte. Doch sie schien nur noch einen Tunnelblick auf die rettende Freiheit zu haben, die mit jeder Sekunde enger und enger wurde. Sie wollte dort hinten durch. Koste es, was es wolle. Lieber hier auf dem Meer versinken, als noch mal in Gefangenschaft zu geraten.

„Vorwärts, Sunny! Wir beide haben die Klamm gemeistert. Da ist doch nun das hier ein Klacks!“ schickte sie ein Stoßgebet an den Klabautermann des Schiffes.

„Sanji? Usopp? Könntet ihr mal dort den Weg freimachen?“ schrie sie zum anderen Ende ihres schwimmenden Untersatzes.

„Klar doch, Tashigi-Schneckchen!“ flirtete der Koch und auch der Kanonier hatte verstanden. Sie stürmten herbei und jeder der beiden nahm sich ein Schiff vor. Während der Scharfschütze gezielt sein Opfer mit Kabuto beschoss, schickte der Smutje postwendend alle ankommenden Kanonekugeln mit geschickten Kicks zurück und traf. Im nu sanken beide Kriegsschiffe und der Weg war frei.

Das Meer glitzerte in der Sonne wie abertausende Diamanten und war ruhig und flach wie ein Bügelbrett. Kein Lüftchen regte sich. Die Fahrt gen Süden hatte ihren Preis. Tashigi hatte kalkuliert, dass sie nun mitten im Calm Belt hängen würden, den sie mit den Schaufelrädern oder dem Coup de Bust überwinden könnten. Doch eines hatte sie nicht bedacht: Diamanten ... Erst jetzt schrillten die Alarmglocken in ihrem Kopf. In diesem Abschnitt des Calm Belts begann die Diamantpassage. Natürlich gab es hier keine echten Diamanten. Das hätte Nami sonst wohl sofort gewusst und eine große Verladeaktion gestartet. Aber das Wasser hatte hier eine besondere Konsistenz. Die Wassertropfen auf der Wasseroberfläche waren Rasierklingenscharf und hart wie Diamanten. Jede winzige Bewegung des Bootes mit diesen Tropfen erzeugte Reibung, die jedes Schiff bisher zerstört hatte. Das war auch der Grund, weshalb es hier keine Seekönige gab. Selbst diese mieden die scharfen Kanten.

Mittlerweile hatte die Crew bemerkt, dass es von Seiten der Marine keine Angriffe gab. Die Schiffe formatierten sich neu und lauerten. Durch das Fernglas konnte Tashigi sehen, wie viele grinsten. Die Marineangehörigen warteten gelassen auf den Untergang der Sunny. Smokers Schiff tauchte zwischen den anderen auf und durch eine Lautsprecher-DenDenMushi ertönte die raue Stimme des Admirals.

„Nicht schlecht, deine Ausweichmanöver, Tashigi. Aber nun hast du deine neuen Freunde wohl in ihr eigenes Grab gelotst!“ Man konnte die Schadenfreude förmlich über die Schallwellen spüren.

Die Angesprochene vergrub ihren Kopf in ihren Händen. Machte sie denn nie etwas richtig? Jetzt würde sie sicherlich Ärger bekommen und alle Versuche, hier in der Mannschaft Fuß zu fassen, wären zunichte. Die Strohhüte hatten sich zwischenzeitlich alle vorn um das Sofa gescharrt und blickten die junge Frau etwas irritiert an. Worum ging es?

Ein Knarren an der Beplankung der Sunny brachte die böse Gewissheit, dass der Zerreibungsprozess begonnen hatte.

„Ich...“, schluchzte sie kleinlaut, „ich ... habe nicht an die Diamantenpassage gedacht. Das Wasser hier ... zerschneidet Schiffe!“ Sie traute sich nicht aufzusehen.

„Na, das hast du ja toll hinbekommen, du blöde Marinezicke! Das war doch Absicht!“ zeterte die Navigatorin los. Nur mit Mühe konnte der Koch Nami davon abhalten, mit geballten Fäusten auf die Offizierin einzuschlagen.

„Was? Ich kann nicht schwimmen!“ kam es aus dem Mundes des Kapitäns und des Rentiers gleichzeitig. Größere Probleme hatten die beiden noch nicht durchdacht.

Franky seufzte. „Hey, die Kleine hat’s nur gut gemeint. Lasst uns mal gucken, in wie weit das Wasser hier der Sunny Schaden zufügt. Das dürfte wegen dem Adamholz sehr gering sein.“ Und so ließ er sich mit Usopp und Zoro zusammen an langen Leinen an der Außenwand des Schiffes hinunter, um den Zustand zu untersuchen. Tatsächlich hielt das Wunderholz gut stand, jedoch wäre es nur eine Frage der Zeit, bis erste Rissen auftauchen würden. Guter Rat war teuer. Man beschloss, für die nächsten Stunden nichts zu tun, außer die Marine im Auge zu behalten, die dort immer noch Stellung bezogen hatte. Smoker hatte zwischendurch mal ein Angebot gemacht, sich einfach zu ergeben, doch das war großzügig überhört worden. Und so kehrte Stille ein.

Der Tag verging ruhig. Die Sonne lachte von einem strahlend blauem Himmel herunter und streichelte ein paar fliegende Möwen mit ihrer Wärme. Die Brigantine lag immer noch im Calm Belt und die Marine unverändert einige gute hundert Meter weiter. Es war ein Katz-und-Maus-Spiel, welches eben eine Pattsituation eingegangen war. Ein jeder suchte sich auf der Sunny eine Beschäftigung, wenn er nicht gerade Wache schob.

Chopper zoffte sich eine Weile mit Zoro, da dieser wieder einmal die Bandagen von seinem Körper entfernt hatte und zu trainieren begann. Der Schwertkämpfer begründete dieses, dass er keine Mumie wäre und die Mullbinden zudem ziemlich lästig wären. Der kleine Arzt gab es nach einer Weile auf und begann, seine Arztutensilien in seinem Rucksack zu ordnen und eine Bestandsaufnahme zu machen. Es war mal wieder eine große Menge an Verbandszeug und Salbe verbraucht worden. Da müsste er dringend Nachschub ordern. Er ließ Zoro allein im Krähennest zurück, um wenigstens in seiner Praxis neue Salbe herzustellen, wenn er schon hier oben seinen hartnäckigen Patienten nicht behandeln konnte. Medizinherstellung würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Eine schöne Beschäftigung! Der Schwertkämpfer blickte ihm monoton nach und ließ sich nicht beim Heben und Senken seiner Hanteln aus dem Rhythmus bringen.

Tashigi fühlte sich schuldig für die Misere. Sie war in des Mädchenzimmer geschlurft und hatte sich vor ihrem Spind aufgebaut. Schon wieder war sie nass bis auf die Knochen. Also runter mit dem nassen Zeug! Es war ihr gleich, ob die Klamotten nun unordentlich auf dem Fußboden lagen und sie nun splitterfasernackt hier stehen würde. Sie kramte ein langes Baumwollnachthemd aus ihrem Spind hervor. Das war zwar weder modisch, noch schön, aber wenigstens kuschelig warm. Sie schlüpfte hinein und schlang sich ein Handtuch wie einen Turban kunstvoll um ihre nassen Haare. Mit dieser Aufmachung hatte sie sich anschließend unter ihre Bettdecke verkrochen. Die Müdigkeit zollte ihren Tribut und so fielen ihr unter der warmen, kuscheligen Decke bald die Augen zu. Immerhin konnte sie hier im Bett niemanden ärgern oder etwas falsch machen. Sehen konnte sie ohne Brille eh nichts. Ein langer Traum erschloss sich ihr. Sämtliche Eindrücke der letzten Monate vernudelten sich wie ein Wollknäul ineinander. Hilflos begann sie in den Fäden zu strampeln wie eine Fliege im Spinnennetz. Dann zerriss das Netz und sie fiel und fiel in die Dunkelheit, bis sie Hände fühlte, die sie hielten. Sie kannte diese Hände und diese Wärme und sie glaubte, immer noch den Geschmack seiner Lippen auf ihren zu schmecken. Ein wirrer Traum.

Robin tauchte etwas später in dem Zimmer auf und nahm von Tashigis Schlaf Notiz. Eine Weile stand die Archäologin inmitten des Raumes und betrachtete die Offizierin. „Ein seltsamer Weg hat dich hierher gebracht. Wie wir alle hier in der Crew“, dachte sie leise vor sich hin, nahm einen Stift aus ihrem Nachtschrank und setzte sich an den kleinen Tisch, um etwas zu ihren persönlichen Notizen niederzuschreiben. Als sie geendet hatte, warf sie noch mal einen Blick zu der Schlafenden hinüber. Dann verschwand sie wieder nach draußen. In diesem Moment hatte sie Tashigis Anwesenheit nach einer langen Beobachtungszeit vollkommen akzeptiert. Es war ihr damals in der Bucht in Wanane merkwürdig vorgekommen, als sie dort mit Zoro und Chopper verschüchtert auftaucht. Welche Abmachung auch immer zwischen diesen Dreien bestanden hatte, sie hatte sich zum Positiven entwickelt und für die Geschichtlerin war nach all den Wochen mehr als genug bewiesen, dass Tashigi eine große Wandlung durchgemacht hatte. Es war in Ordnung.

Ganz und gar nicht in Ordnung war Namis Weltbild. Oben in der Bibliothek begann sie eine Karte zu zeichnen, nur um sie im nächsten Moment unkonzentriert zu zerreißen. Wut tobte ihn ihr. Wut auf Tashigi, die einfach so temporär ihren Posten einer Navigatorin brillant übernommen hatte. Wut darauf, dass nicht sie selbst die Sunny gerettet hatte, sondern dieses Marineweib. Und Wut darauf, ... ach worauf eigentlich? Eigentlich auf sich selbst. Warum regte sie diese Frau so auf? Könnte sie nicht locker über den Dingen stehen? Tashigi war nun mal an Bord. Das hatte der Captain so entschieden. Ein Seufzer entfuhr ihr. Mit dem Handrücken wischte sie sich aufsteigende Tränen aus den Augenwinkeln. Tashigi war da und Nami hatte ihrem Chef versprochen, die Umstände zu akzeptieren. Und darin wollte sie sich nun versuchen. Nur akzeptieren, nicht mögen.

Luffy, Franky und Usopp lümmelten an der Bar herum, spielten Karten und nervten Sanji, der die Küche umsortierte. Nach einigen Stunden an Langeweile erkundigte sich Luffy bei Franky, warum sie nicht einfach mit dem Coup de Bust wegflögen. Doch der Cyborg winkte müde ab. Die Flugdistanz wäre zu kurz. Das Schiff würde wieder irgendwo auf den Diamanttropfen aufsetzen und den Boden aufreißen. Sie könnten nur warten, ob die Marine mal für einen Moment unachtsam wäre. Dann könnte sie wieder den selben Weg zurücknehmen, den sie gekommen wären. Der Kapitän seufzte bedröppelt. Das war nicht sein Sinn von Abenteuern.
 

Es geschah inmitten der Nacht, als alles friedlich und sanft ruhte. Nur ein leises Plätschern der kräuseligen Wellen war zu vernehmen, wenn sie sacht gegen die Planken schlugen. Müde rieben sich vereinzelte Wachposten auf den Kriegsschiffen die Augen, denn diese Monotonie war mehr als ermüdend. Der abnehmende Mond brachte die Wasseroberfläche zum Funkeln und Strahlen, so dass sich die Silhouette des Piratenschiffes dunkel gegen das helle Meer abhob, welches es zu bewachen galt. An sich war es eine idyllische Atmosphäre, wenn die Situation nur nicht so furchtbar langweilig, aber auch wichtig gewesen wäre. Und so starrten die Wachen weiterhin angestrengt durch ihre Ferngläser auf das im Calm Belt hängende Schiff, ob sich irgendetwas tun würde. Doch es tat sich rein gar nichts. Lediglich das Wetter schien umzuschlagen. Langsam zogen Regenwolken auf. Sie verdeckten die Sterne und den Mond. Das Glimmen der Diamantpassage erlosch ohne das Mondlicht. Die Sunny, die gerade eben noch mit bloßem Auge zu erkennen gewesen war, entschwand in der Dunkelheit, wie alles andere auch.

Und so bemerkte niemand die mystischen Ereignisse, die sich schleichend in Bewegung setzten. Selbst der Strohhutband, die tief schlummernd im Land der Träume war, entging ein einzigartiges Schauspiel. Als würde man einen Finger in Moosgummi drücken, dellte unter der Sunny die Meeresoberfläche ein. Es war so langsam, dass es weder Geräusche machte, noch die Fahrt nach unten zu spüren gewesen wäre. Die Delle formte sich zu einem tiefen Schacht, in dessen Mitte das Schiff ganz langsam nach unten sackte wie auf einer Hebebühne des Theaters. Nach einer guten Stunde hatte die Mastspitze selbige Höhe wie die Wasseroberfläche erreicht. Noch einen Moment später begann sich das Meer über der Sunny zu schließen. Wie in einer riesigen Luftblase schwebte sie nun senkrecht zum Meeresboden und verharrte dort.

Als sich über der Wasseroberfläche die Regenwolken aufgelöst hatten und wieder der Mond die Szenerie erhellt, war von einem Piratenschiff weit und breit keine Spur mehr zu sehen. Große Aufregung setzte auf Seiten der Marine ein. Wohin sind die Piraten entkommen? Hatte niemand etwas gesehen? Doch sämtlich Erklärungsversuche brachten nichts: Das Schiff war weg!

Die Soldaten zogen Lose, denn niemand traute sich, ihrem Admiral die unfrohe Botschaft zu überbringen. Doch es musste jemanden treffen und dieser eine schlich zitternd und ein Unheil erwartend zu Smoker auf die Kommandobrücke. Aber es geschah nichts dergleichen. Hina verdrehte nur genervt die Augen und Smoker saß wie eine Statue in seinem Stuhl, eine Hand stützte nachdenklich den Kopf und Zigarren wurden synchron aufgeraucht. Er sagte keinen Ton, doch am Rauchaufkommen konnte man erahnen, dass er einer innerlichen Explosion sehr nahe war.

An das Marinehauptquartier wurde nur ein Satz übermittelt: „THOUSAND SUNNY IN DER DIAMATNPASSAGE VERSCHOLLEN!“
 

Sanji erwachte als erster durch seine innere Uhr, die ihm verriet, dass es nun die übliche morgendliche Stunde wäre, um das Frühstück für den verfressenen Haufen zuzubereiten. Er blickte beim Waschen und Ankleiden nicht aus dem Fenster, sondern schlussfolgerte nur aufgrund des geringen Lichteinfalls, dass heute wohl nicht die Sonne schien. Erst als er aus der Tür trat, um hinüber zur Küche zu gelangen, traf ihn die neue Umgebung wie ein Blitzschlag. Für den Bruchteil der Sekunde blieb er wie eine Salzsäule in der Tür stehen und betrachtete die kugelrunde Wasserwand um die gesamte Sunny herum. Es glich einer Schneekugel, die man in den Händen halten und kräftig schütteln musste, damit der Kunstschnee stoben würde. Doch anstelle einer Märchenfigur lag im inneren dieser Schneekugel die Brigantine leicht aufgesetzt auf dem Meeresboden und um sie herum war kein Glas, sondern das Meerwasser. Eine verirrte Qualle schielte zu Sanji hinüber, schwamm auf ihn zu und platschte dann aus dem Wasser heraus auf den feuchten Meeresboden. Erst das Aufschlaggeräusch holte den Koch aus der Faszination zurück in die Realität und er brüllte energisch die Crew aus den Federn.

„Hoch mit euch, ihr Schnarchnasen! Wo zum Henker sind wir hier?“

Nur einige Sekunden später trippelten die anderen verschlafen heran, um sich dann mit Augen so groß wie Untertassen gleichzeitig durch die Tür quetschen zu wollen. Das war ja der helle Wahnsinn! Auch bei den Damen regte sich nun etwas und sie alle standen nun gemeinsam auf dem Rasendeck und starrten ungläubig auf ihr kunstvolles Unterwassergefängnis. Das Wasser zog schimmernd in Schlieren wie eine Ölpfütze in Blaugrüntönen um sie herum und aus dem einen Blickwinkel sah man in die dunklen Tiefen des Ozeans, aus einem anderen Winkel reflektierte man sich selbst und das eigene Spiegelbild lachte einem zu. Über ihnen konnte man anhand der sich im Wasser brechenden Lichtstrahlen erahnen, dass es Tag wurde. Totenstille herrschte hier und jedes Geräusch schien durch die Wasserwand verschluckt zu werden. Selbst wenn sie laut sprachen, klang es recht leise.

Luffy holte kräftig aus und schlug gegen die Wasserwand. Mit Leichtigkeit bohrte sich seine Faust in das nasse Gebilde, durchbrach es aber nicht. Es war, als wäre in diesem Moment das Wasser aus Gummi. Der Gummijunge musste darüber lachen. Nicht nur er selbst war aus Gummi, sondern das Meer auch. Wenn das mal nichts wäre! Er erntete dafür aber nur eine heftige Kopfnuss von Nami und verwunderte Blicke der anderen.

„Bist du wahnsinnig? Die Luftblase könnte platzen!“ herrschte Usopp ihn an. Es wäre mehr als fatal, erklärte er, denn dann würden die Wassermassen über ihren Köpfen hereinbrechen und sie alle ertränken. Wo der Kanonier recht hatte, hatte er recht.

Der Cyborg überlegte, warum die Luftblase hier unten blieb und nicht von selbst seinen Weg nach oben sucht, und auch die Archäologin gab zu, noch nie von einem derart merkwürdigem Geschehnis gehört zu haben. Zudem warf sie die Frage auf, wie sie wohl wieder hinauf kommen könnten.

„Was ist das für ein Zauber?“ flüsterte Chopper Zoro zu. Dieser aber zuckte nur unwissend die Schultern. Er fühlte nichts. Weder die Wellen seiner Freunde, noch die der dusseligen Quallen. Gar nichts. Es war, als hätte er niemals irgendeine dieser dämonischen Kräfte besessen, und der Schwertkämpfer überlegte still, ob er sich darüber nun freuen sollte oder nicht.

Noch eine ganze Weile betrachten, berührten und untersuchten die Strohhutpiraten die ungewohnte Umgebung. Es waren schon viele Schiffe in der Diamantpassage versunken, wie man an den unzähligen Wracks feststellen konnten. Durch die Wasserkugel hatten sie Einblicke in die Unterwasserwelt wie in ein Aquarium. Jedoch gab es nichts interessantes zu entdecken: Wracks, Quallen, trübes Wasser und schlammiger Meeresboden. Nur Tashigi war an Bord der Sunny geblieben, denn sie sah alles nur verschwommen ohne ihre helfende Brille. So stand sie an die Reling gelehnt, um nicht vollkommen die Orientierung zu verlieren. Die Bande stellten fest, dass sie hier festgehalten waren und sie selbst kaum eine Chance hätten, dem Ganzen zu entfliehen. Es war zudem auch fraglich, wie die Qualle hier hereinfallen, von ihnen aber keiner hinausgehen konnte.

„Wie lange mag der Sauerstoff reichen?“ überlegte Franky gemeinsam mit dem kleinen Arzt.

„Schwer zu sagen. Ich weiß nicht, ob das Wasser Sauerstoff abgeben kann oder ob unser Schiffsgarten reicht, die Luft zu filtern“, antwortete das Rentier immer noch vollkommen seiner Eindrücke erlegen.

Sanji tischte das Frühstück mitten auf dem Rasendeck als Picknick auf. Es hatte eh niemand Lust, sich in den Speisesaal zu begeben. Und so kauten sie alle ungewöhnlich still und andächtig an ihrem Frühstück und betrachteten die Wasserkugel über ihren Köpfen. Der Smutje war in seiner charmant schleimenden Art so zuvorkommend gewesen, Tashigi das Fernglas zu reichen, damit sie auch etwas von ihrer Umgebung wahrnehmen konnte.

Hätte Robin nicht zwischenzeitlich immer mal wieder das Uhrglas, welches die Bordzeit maß, umgedreht, so wäre es ihnen allen verborgen geblieben, dass Stunde um Stunde verstrich.

41 - Das Treffen der Prismenträger

Es war der Ort mit der perfekten Aussicht. Viel zu weit weg über allem Irdischen schwebend. Unberührt von Touristenschwärmen, ein Traum für Romantiker und unerreichbar für Verliebte. Obgleich hier oben Einsamkeit, Kälte und Totenstille herrschte, würde sich niemals ein Besucher auf dieser Handvoll Erde daran gestört fühlen, falls überhaupt jemals einer vorbeikäme. Dazu war dieser Anblick von hier oben einfach zu überwältigend und so wirkte diese Ruhe eher geheimnisvoll und vollkommen. Nirgends gäbe es wohl je einen besseren Platz, um auf die Welt herunterzusehen als von einem Meteoriten, der hier mit vielen seiner Artgenossen belanglos im All herumtrieb und sich von der Anziehungskraft der dort unten liegenden Welt mitschleifen ließ, bis er irgendwann einmal in die Atmosphäre eintreten und als Sternschnuppe verglühen würde.

Blau war der Planet, der sich dort unten ruhig und selig um seine eigene Erdachse drehte. Deutlich waren alle vier Blues zu sehen, ebenso die Grandline, welche sich durch ihre Strömung von den Blues abzeichnete. Nur große Wolkenfelder bedeckten gelegentlich die Sicht nach unten und zeitweise blickte man mit etwas Glück auf Sky Island herab. Das blaue, unruhige Wasser wurde von unzähligen Inseln wie farbige Mosaiksteine unterbrochen. Ein krasser Farbkontrast bildete die Redline mit ihren rötlichen Kliffs, schneebedeckten Bergen und rostfarbenen Wüsten. Bunte Farbtupfer wurden von weiten Grasebenen und Wäldern, aber auch von tiefblauen Flüssen und Seen gekleckst. Wie ein großes gewürfeltes Tuch breiteten sich hier und da Äcker und Wiesen aus. Was für eine wunderschöne Welt! All dieses wurde umarmt von einer sternenüberfluteten Galaxie, aus deren Mitte eine Sonne die Welt und ihre Monde anstrahlte. Eine vollendete Harmonie des Gleichgewichts.

Unerwartet legte sich plötzlich ein hellroter Schein über den Meteoriten wie eine Käseglocke und schloss den neuen Raum darunter von der Außenwelt ab. Sauerstoff und Wärme hielt sich nun so unter dieser Kuppel, wie die Küken unter ihrer Glucke. So wirkte der fliegende Klumpen Weltallsand wie ein futuristisches Gewächshaus mit rot getöntem Glas. Jedoch fehlten ihm die Pflanzen. Nur Staub war materiell gesehen unter dem Glas und sonst nichts. Doch das sollte sich von einer Sekunde auf die andere ändern, als aus dem Nichts eine kleine und eine große Gestalt inmitten des gläsernen Gebildes standen.

„Warum noch mal müssen wir hier oben abhängen?“ fragte die größere Gestalt in dem schwarzen, wallenden Umhangmantel mit Kapuze zynisch und klopfte sich den Staub von den ebenso schwarzen Stiefeln. Der Stimme nach schien sie weiblich zu sein, obgleich ihre Stimme tiefer wie die einer älteren Erwachsenen war.

„Weil es so in der Nachricht stand,“ kam flüsternd, aber dennoch recht sarkastisch, von der Kleineren zurück. Es war ein Mädchen von Anfang zwanzig mit einem viel zu großem Kleid und tiefen Kulleraugen, so dass sie wie die Unschuld in Person wirkte.

„Is’ schon klar!“ kam die prompte Antwort und die Kapuze wurde zurückgeschlagen. „Lass mal sehen, wo wir gerade sind.“

Die Frau ging an den Rand ihres schwebenden Untergrunds und blickte zur Welt hinunter. Gerade drehte sich die Welt zu einem Tageswinkel, wo die Redline unter ihnen lag. Deutlich hob sich der Reverse Mountain ab, der wie ein Geysir von oben herab wirkte.

„Schau mal! Da wohnen wir! Das da ist der East Blue und dort liegt Kosa und der Korridor! Sieht doch super aus, oder? Das hat echt nich’ jeder!“ Wild fuchtelnd mit ausgestreckten Armen erklärte sie der Kleineren die geographischen Lagen, doch das Mädchen schien eher gelangweilt, trat ebenfalls an den Rand und blickte in die Ferne.

„Diese Jugend von heute kann man aber auch für so rein gar nichts mehr begeistern,“ schimpfte die Große vor sich her ohne sich so genau im Klaren zu sein, wem das Schimpfen eigentlich etwas bringen sollte. Und so starrten sie beide nebeneinander her hinunter, wie sich der Planet langsam unter ihnen weiterdrehte und sich Tag und Nacht einen nie endenden Wettlauf lieferten. Niemals würde der Tag die Nacht fangen und niemals die Nacht den Tag. Eine harte Linie aus Licht und Schatten trennte sie und bewegte sich wie ein Schiedsrichter auf gleicher Höhe mit.

Doch die Welt hatte sich drastisch verändert und die vorgegaukelte Harmonie schien zu schwanken. Das Eis beider Polkappen hatte sich ausgebreitet und war schon weit über dem jeweiligen Polarwendekreis hinausgewachsen. Dicke Eispanzer bedeckten Meer und Land unter sich. Aber auch die Redline hatte in den letzten hundert Jahren einiges durch die permanente Meeresströmung der Grandline abbekommen. Küstenlinien brachen weg und veränderten das Gesicht des Kontinents. Er wurde schmäler und schmäler. Die Frau versuchte sich zu erinnern, wie es einst zu ihren Kindheitstagen gewesen sein mochte. Da war der Kontinent größer gewesen und die Meere tiefer. Nun trieben die Versandungen den Meeresspiegel in die Höhe. Nichts davon würde in den nächsten Jahrzehnten davon übrig bleiben. Ein ehemals großes, endloses Reich ging unter. Ebenso beunruhigend waren die Wetterbeobachtungen. Man sah große Wirbelstürme und schwarze, fette Wolkenfronten große Teile der Redline und vieler Inseln bedecken. Es war unheimlich auf die schwarzen Stellen zu blicken. Man hatte das Gefühl, in eine unüberwindbare Leere hineingezogen und verschlungen zu werden. Vielleicht war es doch gar keine schlechte Idee gewesen, sich einmal hier mit allen Verantwortlichen für diese Zerstörung dort unten auf der Welt hier oben im All zu treffen.

Eine dritte, noch kleinere Gestalt tauchte auf und gesellte sich neben die Größte der nun Dreien. Der Neue war männlichen Geschlechts, hatten den Kopf einer Fledermaus und Augen so undurchdringlich wie die eines Sumpfmondes.

„Kivi, mein Freund, was soll das da unten werden, wenn es fertig ist?“ sprach die Frau nun vorwurfsvoll den Fledermausartigen an und zeigte auf die dicken Eispanzer.

„Das habe ich dir doch neulich erst beim Tee erklärt“, seufzte Kivi und wandte sich an das Mädchen. „Hört sie dir auch nie zu, wenn ich ihr was erzähle? Sei gegrüßt, Azarni! Oh, ich sehe, du hast heute noch keine Seelen gefressen?“

Azarni drehte emotionslos den Kopf und blickte die Fledermaus tonlos an. Sie wirkte tatsächlich seelenlos und ausgehungert.

Yurenda beschwerte sich, dass sie in der Tat sehr genau zugehört hätte, als Kivi ihr von seiner Eisaktion berichtete, doch dass es bereits so eine große Fläche eingenommen hatte, war ihr wahrlich nicht bewusst gewesen. Das hätte man doch schon genauer mitteilen können. Immerhin war es seit dem Untergang des Vergessenen Königreichs eine handfeste Absprache, Welt verändernde Dinge allen drei Prismenträgern mitzuteilen. Der Beschuldigte hingegen erwähnte kurz und knapp, dass ein jeder der Dreien Dreck am Stecken hätte und sich daher auch jeder einmal mehr an die eigenen Nase fassen solle. Oder wäre die Aktion mit dem Hanyô etwas anderes gewesen als ein Alleingang?

Die Dame in Schwarz wurde für einen Moment so bleich, dass sie in ihrer Kleidung wie eine frisch gekalkte Stallwand aussah. Schnell fuhr sie der Fledermaus über den Mund, auf dass die fette Kröte es bloß nicht hören möge, wenn sie hier in Kürze auftauchen würde.

Doch zu spät. Das Wesen, welches von Yurenda eben noch als „fette Kröte“ betitelt wurde, taucht just in diesem Moment mit einem Plopp-Geräusch aus dem Nichts auf und sah sie alle scharf aus den Schlitzaugen an. Tatsächlich erinnerte das Wesen an eine dicke, fette Kröte mit olivgrüner Haut, einem breiten Maul, großen Glupschaugen und unzähligen ekelhaften Warzen. Zudem tropfte eine Schleimspur der einer Schnecke gleich unter dem Wesen vor sich her. Überdeckt wurde dieses Subjekt von einer braunen Stoffkutte, welches eher einem Vier-Personen-Zelt glich und auf dem rechten Ärmel prangte ein gelbes Dreieck. Ein widerliches Monster und obendrein übel riechend. Yurenda rümpfte angewidert die Nase, Kivi wurde speigrün und auch Azarni zeigte eine Emotion tiefster Ablehnung, indem sie das Gesicht verzog.

„Ich sehe, es sind alle anwesend!“ kam es tief quakend aus dem Großmaul, welches sich mit seiner Körpergröße wie eine überdimensionale Boulette breit machte, als würde ihm der Meteorit persönlich gehören.

„Sei gegrüßt, Sammakko....“ wollte Kivi beginnen, doch Sammakko fuhr gleich frei weg brüllend mit seinem Anliegen fort, so dass seinen Gesprächspartner fast die Haare im Atemwind wegwehten und die Kleidung wild flatterte.

„Schluss mit der Gastfreundschaft! Ich bin nicht länger bereit, den Schwur zu halten! Ich habe euch beide durchschaut, ihre Dreckspack! Ihr intrigiert gegen mich! Aber das werde ich euch zunichte machen! Ich verlange die Auflösung des Paktes!“

Für einen Augenblick herrschte Stille auf der Sandscholle. Längst hatte die Fledermaus respektvoll hinter der schwarzen Dame Schutz gesucht und lugte hervor. Das Mädchen stand immer noch regungslos da. Was waren das eben für Worte? War die Kröte verrückt? Yurenda stand mit verschränkten Armen dort, blickte abfällig auf den viel zu großen Frosch und überlegte, ob sie ihm nun kräftig die Meinung sagen oder ihn einfach von der Meteoritenplattform treten sollte. So viel Frechheit schrie nach einer Bestrafung. Doch sie war lange Jahre genug Diplomatin gewesen, um zu wissen, wie man hier geschickt vorgehen könnte. Und so erkundigte sie sich mit einem gewissen Spott in der Stimme, worauf Sammakko denn hinaus wollte und fügte hinzu, dass das Ende des Paktes absolut unmöglich wäre.

Die Kröte tobte. Sie spukte Gift und Galle. Der Meteorit drohte aus dem Gleichgewicht zu geraten und zu zerbersten. Ein jeder hatte Mühe, sich auf der schaukelnden Fläche zu halten.

„Hör’ mit der Wackelei auf! Deine Vorwürfe sind vollkommen unbegründet. Unserem Empfinden nach ist es bis jetzt die richtige Entscheidung gewesen, sich nicht in die Belange der Welt einzumischen, obwohl wir es könnten. Fingen die Problematiken nicht eher damit an, dass sich deine künstlich erzeugten Wetterkapriolen auf der Redline über die Landmasse ausbreiteten? Es war somit lediglich die Aufgabe Kivis und mir, dagegen zu halten“, verteidigte Yurenda ihren Kurs. „Die Zeit läuft für uns alle drei ab!“

Die Augen des Unkentieres wurden noch schmaler, dass es schon fast unmöglich war, überhaupt noch durch diesen Schlitz etwas sehen zu können. Man hätte meinen können, dass sich beim Öffnen der Augen vermutlich ein Blitzstrahl aus ihnen lösen würde, um den Gegner mit einem Blick zu töten. Wut konnte äußerst extreme Formen annehmen. Die Quakstimme wurde nun sehr ruhig und drohend zugleich.

„Selig und glücklich könnt ihr sein, die ihre Macht unbekümmert nutzen können, wie es ihnen belieben könnte. Ich war auf der Suche gewesen. Die Spur habe ich auf der Donnerebene verloren. Der Hochmut wird euch noch vergehen. Ich werde den einen finden und dann werden wir sehen, wer zuerst auf der achten Route ist!“ fauchte Sammakko übelst bedrohlich, machte einen ungeschickten Satz und entschwand in die Tiefe Richtung Planet.

„Pass auf, dass du nicht aufschlägst oder die Welt verfehlst!“ brüllte Kivi noch spöttisch hinterher und rückte dann seinen kleinen Zylinder wieder ordentlich auf dem Kopf zurecht. „Nun denn, ich sehe den Pakt als aufgelöst an. Oder etwa nicht?“

Die beiden Frauen nickten nur zustimmend. Der Pakt war erloschen. Rot, Gelb und Blau würden nun getrennte Wege gehen. Es lag nun an ihnen, das beste daraus zu machen. Sie alle drei setzen sich an den Rand der rot schimmernden Sauerstoffkuppel, ließen die Füße baumeln und sahen sich die Welt unter ihren Füßen an. Solch Luxus konnte sich nicht jeder leisten. Nach einer kurzen Weile schickte Yurenda das Mädchen los. Sie sollte als Botschafterin in ihrem Auftrage der Weltregierung übermitteln, dass deren Regierungszeit beendet wäre. Und zwar ab sofort. Es würde nun ein Kriegszustand herrschen. Sicherlich würde das nicht auf Zustimmung treffen, doch sie sollte sich über nichts Gedanken machen und nur deren Antwort der fünf Weisen wieder zurück übermitteln. Und so entschwand Azarni nach Mariejoa.

Es vergingen Minuten. Aus diesen wurden Stunden. Noch immer saßen die Frau und die Fledermaus nebeneinander wie auf einer Parkbank und sahen zu ihren Füßen, wie sich der Planet unter ihnen weiterdrehte. Länder waren eben noch da und schon waren sie hinfort gewandert, um neuen Platz zu machen.

„Es ist das erste mal in meinem Leben, dass ich nicht genau weiß, wie das alles weitergehen soll“, gab Yurenda zu und setzte so das schon lange versiegte Gespräch fort.

„Was hast du dir überhaupt dabei gedacht? Allen Unwissenden zum Spott ist es unsere Aufgabe, die Welt im Gleichgewicht zu halten und auf One Piece acht zu geben. One uns läuft da unten nichts. Kein Leben, kein gar nichts. Das ist zwar vergessen und lange ausgelöscht, aber wir drei wissen es. Du weißt doch was passiert, wenn nur ein einzelner seine Macht allein einsetzt.“

Es klang etwas vorwurfsvoll. Aber es lag auch Trost in der Stimme eines guten, alten Freundes, Beraters und Wegbegleiters. Natürlich wusste sie, was passieren würde.

Es gab drei Prismenträger, die alle gleichwertig waren. Damals, als die alte Welt noch an andere Götter und Mythen glaubte, da wurden sie noch verehrt. Ihre Namen waren recht einfach und kurzum ihren Farben entnommen: Rot, Gelb und Blau. Auch das Prisma hatten den Namen nur, weil es eben so aussah, wie ein farbiger Glaskörper in einer Tetraederform. Doch dabei waren es keine Glaskörper, sondern pure Energie und reinstes Licht, was ein jeder Träger in sich trug. Es gab Tempel, Riten und der ganze, weiterführende Kitsch, der niemals die Entscheidungen dieser Drei bestimmt oder beeinflusst hatte, aber sollten doch die Menschen daran glauben. Das Vertrauen war ungebrochen. Damals vor unendlich langer Zeit.

Da gab es nun aber einmal Kivi, der erst seit 300 Jahren ein Prisma in sich trug. An den Vorgänger vermochte sich Yurenda nicht mehr so recht zu erinnern. Es war ein Blaues in ihm und beinhaltete nicht nur die unendliche Stille und Weite der Meere, sondern auch ein ozeangroßes Wissen. Seine Ruhe war ebenso unendlich wie ein Ozean, doch niemand sollte es jemals wagen, den Strand zu finden. Dann konnte auch ein Kivi sehr ungemütlich werden. Auch die wachsenden Polkappen gingen auf sein Konto, denn auch Eis ist reines Wasser. Ein leichtes für ihn, diese zu formen wie ein Stück Knete. Und dort, wo Blau war, konnte Gelb nicht einfach so sein, ohne das es kollidieren würde. Es war zwar Yurendas Bitte, aber allein sein Geschick, welches die Sunny mühelos aus dem Kosaschen Korridor zog und rettete.

Bei der fetten Kröte sah das alles schon recht anders aus. Sie hatte erst seit guten 70 Jahren diesen Posten inne. Jedoch hatte sie in dieser Zeit schon eine Menge Mist in ihrem matschigem Hirn ausgebrütet und eine große Gefolgsschar gesammelt, die nur zu gern die alte Welt wiederaufleben lassen wollte. Alle in diesem Gefolge ließ sich von der Kröte Honig ums Maul schmieren und sich von diesen Lügen blenden, nur das gelbe Prima wäre das einzig wahre Prisma. Das Gelbe beinhaltete eine immense Kampfkraft. Aber Hass und Jähzorn rumorten darin ebenso wie Lügen und Verrat. Daher wechselte der Träger des Gelben wie Unterwäsche, weil es kein Träger so recht schaffte, sich gegen das leuchtende Licht durchzusetzen und der Verführung zu widerstehen. Und so war es eines abends in einer Teelaune heraus geschehen, dass Yurenda als Trägerälteste beschloss, das gelbe Prisma einfach verschwinden zu lassen. Nur ein einziges Mal könnte die wahre Macht des Gelbem nämlich eingesetzt werden, denn das wäre zugleich die Auflösung der Welt. Ein einziger, großer Knall würde alles beenden. So grell und gelb wie die Sonne. Natürlich schrie das Ganze nach Putsch, Revolution und Verrat, aber was sollte man schon machen? Und so behalf sich Sammakko damit, alle leeren Gegenstände durch seine Restkraft zu lenken, mit seinen Panzerreitern über die Redline zu toben, mehr Schaden als Nutzen anzurichten und alles aus dem Ruder laufen zu lassen. Natürlich gab es für ihn nur ein Ziel: Sein Prisma musste wieder zurück in seine Hände gelangen. Ganz logisch!

Und dann war da noch das rote Prisma, welches der Redline zugeteilt war. Oft wurde es verspottet, doch eigentlich keinen rechten Nutzen zu haben, doch der Schein trog. Alle Gefühle, Träume, Wünsche und Sehnsüchte sammelten sich darin. Freud und Leid einer ganzen großen Welt. Das Menschen lachten und weinten, sich liebten und zankten, sich Leben gaben und Leben nahmen, lag allein in Yurendas Händen. Welche Macht konnte größer und schwieriger sein?

All dieses schoss ihr durch den Kopf in einer Kurzfassung. Immer noch war sie Kivi eine Antwort schuldig.

„Es war alles falsch!“ Ihre Fäuste krampften sich, so dass die Fingernägel sich in die Haut bohrten. Enttäuschung machte sich in ihrem Gesicht breit.

„Was war falsch?“

„Alles! Schau dir doch nur an, was los ist! Wir haben uns in nichts eingemischt. Die Geschichte ist weiter gelaufen. Doch was hat es gebracht? Nur Hass und Krieg. Wäre es nicht ein Leichtes für mich, für Eintracht zu sorgen? Wäre es nicht ein Leichtes für dich, allen Menschen Wasser zum Trinken und Beackern zu geben? Wäre es nicht ein Leichtes?“

„Hör’ damit auf! Selbstvorwürfe bringen nichts! Wenn es knallt, dann knallt es. Es ist die Entscheidung der Menschen. Sie wissen es nicht besser.“

Doch um Yurenda doch etwas Mitleid und Trost zu spenden fügte er noch hinzu: „Lass uns sehen, was wir noch retten können!“

Mit diesen Worten erhob sich Kivi und machte sich reisefertig. Noch einmal erhob er die Stimme:

„Ich habe das Mädchen in Wanane gefunden. Sie war eh schon von allein auf dem richtigen Weg zur Donnersteppe unterwegs. Ganz, so wie du es wolltest. Und ich hoffe, es ist dir recht, dass ich die Crew samt Schiff für unbestimmte Zeit erst einmal auf dem Meeresboden festgesetzt habe. Da sind sie sicher vor allen.“

Sie nickte nur still und als die Fledermaus von dem Meteoriten verschwand, weinte sie bitterlich über ihr eigenes Versagen. Sie liebte diese Welt da unten. Bunt und voller Leben. Es gab Möglichkeiten, den Wahnsinn noch zu stoppen, aber man würde Opfer bringen müssen oder wie Kivi scherzhaft zu sagen pflegte: „Mit 50% Verlust muss man immer rechnen!“

Dann ließ sie sich plötzlich fallen. Wie ein Fallschirmspringer mit allen vieren von sich gestreckt raste sie auf die Welt zu. Irgendwo würde sie schon landen oder zumindest eine Weile in den unendlichen Weiten des Weltalls dümpeln. Ein Prismenträger wurde durch sein Prisma geschützt und gar selbst ausgewählte Seelen unter Schutz stellen. Sie waren unsterblich und zu einem ewigen Leben verdammt, wenn sie nicht selbst von dem Posten loskämen. Während sie fiel, überlegte sie, wie es wohl der Strohhutbande ergehen würde. Was würde Zoro eben machen? Der wusste bis jetzt nur die halbe Wahrheit. Wäre es nicht hinterlistig, ihn einfach so für ihre Zwecke zu missbrauchen? Eigentlich schon. Doch solange Kivi seine schützende Hand über die Crew hielt, konnte sie selbst nichts zu tun. Nicht einmal das ganze Ausmaß dieses abstrusen Plans konnte sie ihm mitteilen. Wo Blau war, konnte Rot nicht sein. Wenn sie wenigstens wüsste, wo sie sich gerade befinden würden. Sie seufzte. Ihr würde etwas einfallen. Es war ihr in der Vergangenheit immer etwas eingefallen. Wenn sie sich nur erinnern könnte.

42 - Glasperlen

So tief unten im Meer, wie die Sunny lag, gab es keinen richtigen Tag und keine richtige Nacht mehr. Die Wände der Wasserkugel wechselten schimmernd ihre Farben in allen Türkisnuancen je nachdem, ob das Licht der Sonne außerhalb des Meeres nun schien oder nicht. Nicht immer konnte man die sich im Wasser brechenden Sonnenstrahlen erahnen. Doch der Tag-Nacht-Rhythmus verlor sich schleichend, aber gänzlich und wäre für die immer noch gefangenen Strohhüte vermutlich auf ewig verschwunden, wenn sie nicht weiterhin die große Sanduhr in der Bibliothek regelmäßig umgedreht und Zeitkartenmarkierungen gemacht hätten. Es gab sonst keine andere Zeitangabe und Chopper begann, seinen Kalender danach zu richten. Täglich strich er einen Tag nach dem anderen durch und schon bald war er am unteren Ende des Kalenderblattes angekommen. Der Oktober war vorüber und das kleine Rentier riss das Blatt ab, um auf der November-Seite die „1“ einzukreisen.

„Schon 10 Tage…“, murmelte er besorgt. Es waren tatsächlich schon gute eineinhalb Wochen vergangen, seit die Sunny in einer Art Wasserloch versank und die Mannschaft nun hier unten am Meeresgrund festsaß. Und es tat der Crew körperlich, als auch seelisch ganz und gar nicht gut. Zu Beginn hatten sie sich alle an der Wasserkugel erfreut, das Farbspiel und den Blick in die Meerestiefe wie aus einer Tauchkugel heraus bewundert und die Wasserwand untersucht. Doch nun war es nur noch ein elendiges Gefängnis, indem Vorräte und Sauerstoff knapp wurden. Der Strohhutjunge hatte schon nach zwei Tagen einen Boxenkoller bekommen und wie wild auf die Wand eingehämmert. Nichts durchbrach diese Mauern und so gaben sie alle allmählich die Hoffnung auf, mit Bordmittel diesem Kerker entkommen zu können. Die Resignation war nahe.

Obgleich sich ein jeder bemühte, sich durch irgendeine Beschäftigung abzulenken, drückte die träge Atmosphäre auf die Gemüter und sie wurden immer müder und antriebsloser.

Der Crewarzt seufzte, rührte weiterhin in seinem Tiegel eine Salbe an und blickte dabei abwesend aus dem Bullauge nach draußen. Es könnte gerade über ihren Köpfen Tag sein, denn das Wasser war heller und vereinzelte Lichtstrahlen brachen sich an der Oberfläche. Es war wahrlich ein wunderschöner Anblick, doch es könnte auch das Letzte sein, was sie alle jemals zu Gesicht bekommen würden, wenn sie weiterhin hier unten wären. Er vermisste die Sonne sehr und konnte nun erahnen, weshalb die Polarnacht Depressionen auslösen konnte. Chopper schüttelte sich bei dem Gedanken an einen qualvollen Ertickungstod. Er ließ die Salbe nun doch in Ruhe, denn sie war durch das stundenlange, monotone Rühren schon so flüssig wie Salatöl, und trottete in seiner Rentiergestalt quer durch die Küche und dann hinaus über das Deck. Doch es war niemand zu sehen. Er sah sich genauer um.

Sein Captain stand unten auf dem Meeresgrund und tobte sich wieder einmal an der Wasserwand aus. Seit er wusste, dass sie eh nicht platze oder zerbrach, reagierte er seinen gesamten Gefängnisfrust dort ab, indem er immer wieder auf die Wand wie auf einen Boxsack eindrosch. Es war ein äußerst merkwürdiges Verhalten für Luffy, doch die Umstände machten sie allesamt komplett verrückt. Robin las bereits jedes Buch schon zum x-ten Mal, während Nami ihr Gesellschaft leistete und wie wild Karten zeichnete. Doch die Navigatorin war mit ihrer Arbeit absolut nicht zufrieden, da sie einfach keine innere Ruhe und eine ruhige Hand fand. Sanji sortierte eins ums andere Mal die Vorräte, putze die Küche und wäre nun eben sicherlich wieder im Vorratslager zu finden. Doch da der Smutje prinzipiell eine große Ordnung hegte, gab es bereits schon am zweiten Tag rein gar nichts mehr für ihn zu tun. So polierte er zwischenzeitlich auch mal das Geschirr und das Besteck, dass man sich darin wie in einem Spiegel sehen konnte. Zoro hatte trotz Bandagen und Wunden wieder wie ein Irrer oben im Krähennest trainiert. Und wenn er das nicht tat, dann schlief er. Es wäre nicht ungewöhnlich, doch seine Schlafstunden wurden mittlerweile länger als seine Wachstunden. Der kleine Arzt rechnete nach, dass er den Schwertkämpfer schon seit vier Tagen nicht mehr gesehen hätte. So lange lag sein bester Freund also schon im Schlaf. Vielleicht sollte man ihn wecken, damit er vor Langeweile nicht ganz ins Koma absacken würde? Hm, eine schwere Entscheidung, denn Zoro hasste es, durch Klauentritte im Kreuz aufzuwachen. Das Echo könnte für das Rentier sehr empfindlich ausfallen. Die einzigen beiden, die an Bord kein bisschen gelangweilt waren, hockten unten im „Keller“. So nannte das Rentier Usopps und Frankys Bastelecke. Die beiden Tüftler probierten neue Ideen und Erfindungen aus und schlugen so problemlos ihre Zeit tot.

Das Rentier beschloss, nach Tashigi zu sehen, denn um ihren Zustand machte er sich am meisten Sorgen. Sie tat immer freundlich und spielte die Sorglose vor, wenn man sich mit ihr unterhielt. Jedoch konnte sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie im Grunde ihres Herzen tieftraurig war. Sie verkrümelte sich unter ihre Bettdecke oder war im Garten auf der Schaukel, wo sie schwunglos hin- und herschaukelte und sich dunklen Gedanken hingab. Eines Tages hielt es der Arzt nicht mehr aus, sie nach dem Grund ihrer Traurigkeit zu fragen. Er vermutete, den Trennungsschmerz zur Marine, aber sie verneinte und lächelte dabei gespielt, als wäre es ihr nie schlecht ergangen. Sie wischte alles mit einem Lächeln weg und Chopper musste sich geschlagen geben. Auf so eine einfach Art und Weise würde er aus der jungen Frau nichts herausbekommen. Er verstand es nicht, denn er hätte gedacht, dass sie gute Freunde wären und gute Freunde könnten sich doch alles erzählen. Doch das ehemalige Marinemitglied winkte nur ab, dankte für seine Nachfrage und meinte, es wäre etwas, was sie ganz allein hinbekommen müsste. Und so war das Rentier dann mit hängendem Kopf wieder gegangen.

Doch eines Tages beobachtete er Sonderbares: Tashigi begann wie eine Wilde unglaubliche viel auf Blockpapier zu schreiben. Was auch immer der Inhalt ihrer Niederschriften sein mochte, sie war damit sehr beschäftigt und oft so vertieft, dass sie nicht einmal mehr mitbekam, wenn man sie zum Essen rief. Selbst das Schlafen würde sie vergessen, hatte Robin ihm berichten können, denn sie würde oft bis in die Nacht mit einer kleinen Lampe unter der Bettdecke hocken und schreiben. Dunkle Augenringe bezeugten diese verrückte Sache. Leider konnte aber die Archäologien auch nicht sagen, worum es in den Schriftstücken ging. Einmal hätte sie probiert, mittels ihrer Teufelskräfte hinter dieses Geheimnis zu kommen, doch die Offizierin ertappte sie dabei und war mehr als erbost. So blieb das Geheimnis zu Robins Ärger ungelüftet. Sie liebte Geheimnisse und diese Entdeckung nagte ungeduldig an ihr.

Chopper wandte sich zur Frauenkabine hinüber und klopfte höflich an. Niemand antwortete und ein Blick ins Innere des Raumes bestätigte ihm, dass er leer war. Wo mochte Tashigi stecken? Obwohl das Schiff sehr übersichtlich war, gab es so einige Orte, wo man sich versteckt aufhalten konnte, wenn man seine Ruhe haben wollte. Da gab es den Keller mit den Lagerräumen. Das Soldier Dock System, wo man sonst herrlich im Channel 4 im Pool paddeln konnte und die ganzen Balkone, über welche man in alle Winkel des Schiffes gelangen konnte. Er schnaubte nachdenklich und kletterte hinunter in den Keller.

Die Tür stand weit offen und man hört bereits auf der Treppe im Soldier Dock System das fröhlich laute Lachen des Schiffsbauers und das Keifen des Kanoniers. Vermutlich hatte Usopp wieder einmal einer seiner Lügengeschichten zum Besten gegeben und Franky lachte ihn, ohne auch nur ein einziges Wort zu glauben, amüsiert aus. Das wiederum verärgerte den Jüngeren zwar oft, doch in der nächsten Sekunde war der Ärger bereits wieder verflogen. Das Klappern der Klauen ließ die beiden aufhorchen und sie blickten durch die Tür dem Rentier entgegen.

„Hei, Chopper! Was treibt dich in unsere Rumpelkammer?“ fragte Franky auch gleich gutgelaunt wie eh und je.

„Och nichts. Hat einer von euch Tashigi gesehen? Ich mache mir echt ein wenig Sorgen, weil sie immer so traurig ist“, antwortete Chopper wahrheitsgemäß.

„Ach, uns geht’s allen nicht gerade gut. Das Gefängnis hier nervt einfach!“ startete Usopp den Versuch einer simplen Erklärung, doch Frankys Mine wirkte ernster. Er lehnte sich auf seinem alten wackligen Holzstuhl zurück und rieb sich nachdenklich das Kinn. Auch wenn er nicht zu denen gehörte, die vor lauter Neugier die Nase in alle Sachen steckten, so hatte er doch ein Händchen dafür, die Problemchen seiner Mitmenschen zu erkennen. Das kam nicht von ungefähr, denn die Franky Family war selbst nur ein Trümmerhaufen von gescheiterten Existenzen gewesen. Da musste man manchmal die ein oder andere Gratwanderung ausbalancieren. Und auch hier an Bord hatte er schon einiges beobachten und durchschauen können. Doch es war stets geschickter, seinen Mund zu halten und einfach nur ein stiller Teilhaber des Wissens zu sein. Das vermied den Streit. Auch bei Tashigi war ihm einiges klarer geworden. Es schien entweder noch niemand bemerkt zu haben oder es wollte vielleicht auch niemand merken, dass zwischen der Kleinen und dem Grünen etwas lief. Vermutlich noch nicht viel, aber immerhin etwas.

„Mach mal die Tür von innen zu, Chopper und mach es dir gemütlich“, wandte er sich dann doch an das Rentier und der Kanonier bekam große Ohren, denn er kannte den Ingenieur nur zu gut, dass nun etwas Interessantes kommen würde. Das Adamholz des Schiffes schluckte jedes Geheimnis und jedes gesprochene Wort. Wenn die Tür zu war, dann drang aus dem Raum nichts nach draußen. Alles blieb unter sich.

„Sag’ mal, wie kam es, dass Tashigi damals überhaupt bei euch war auf der Redline? Und dann noch in so einer Eintracht?“ bohrte der Ältere nun. Er wollte ganz sicher sein und brauchte noch den ein oder anderen Hinweis, um Lücken zu schließen. Der kleine Arzt war verwundert, aber begann die Geschichte zu erzählen. Als er geendet hatte, grinste Franky vergnügt und Usopps Ohren glühten vor Spannung. Ebenso gespannt wie ein Flitzbogen sah nun das Rentier zum Cyborg auf. Es erhoffte sich nun des Rätsels Lösung.

„Is’ doch total klar, was die Kleine hat: Liebeskummer! Is’ ja niedlich!“ Franky lachte herzhaft. Doch es war keine Belustigung über Tashigis Gefühle, sondern er freute sich sehr für sie. Obgleich sich Zoro und sie auf den ersten Blick in keinem Punkt zu ergänzen schienen, so passten sie beide seiner Meinung nach irgendwie zusammen. Man müsste wohl nur dem Grünen mal einen kräftigen Tritt in den Hintern verpassen, damit der sein Glück auch mal ergreifen möge. Na, die beiden würden sich schon irgendwann vielleicht mal finden, auch wenn sie wie zwei verlorenen Seelen im Goldfischglas im Kreis um sich herumschwammen.

Der Groschen war dagegen bei Usopp und Chopper weder gefeilt, noch gefallen. Erst bekamen sie Augen so groß wie Kuchenteller und dann ging die aufgeregte Fragerei los: „Was? Wer denn? Seit wann denn?“

„Mann, seid ihr beide herrlich blöde!“ rollte Franky genervt die Augen und warnte sie: „Aber wehe, ihr verplappert euch! Kein Wort zu niemanden! Es ist Tashigi bestimmt nicht recht, wenn man darüber redet, sonst hätte sie es schon längst selbst getan.“

Die beiden nickten eifrig, auch wenn sie jetzt schon wussten, dass ihnen dieser Auftrag schwer fallen würde.
 

Zur selben Zeit erwachte einige Etagen höher ein übelst gelaunter Schwertkämpfer mit einem grässlich knurrenden Magen. Er hatte ein wirres Zeug geträumt und anhand der Knurrgeräusche schloss er, dass der Alptraum garantiert ein tagelanger Marsch gewesen war. Missmutig blickte er sich um und dann durch die Fenster nach draußen. In abwechselnd grünen und blauen Farbtönen wabberte Wasserströme an der Kugelwand vorbei und verrieten ihm, dass sich wohl an der misslichen Lage der Sunny samt Crew nichts verändert hätte. Und da eine gleichmäßige Staubschicht auf allem lag, war wohl in den letzten Tagen auch niemand hier herauf gekommen, um nach ihm zu sehen. Solche Freunde, wie die dort unten, hielten es wohl einfach nicht für nötig. Im Prinzip war es ihm auch Einerlei. Es war auch nicht üblich, dass jemals jemand hier an Bord nach ihm gesehen hätte, aber irgendwas fehlte. Aber was? Der Magen meldete noch einmal hartnäckig sein Verlangen und lenkte Zoro von einem aufkommenden Gedanken ab. Mit halbgeschlossenen Augen, zerstrubbelten Haaren und einem Knautschfalten-Abdruck vom Kopfkissen im Gesicht kletterte er schlaftrunken herab. Herzhaft gähnend schlürfte er über das Deck zur Küche in der Hoffnung, der Smutje hätte noch irgend einen Restekrümel irgendwo vergessen, anstelle ihn in den Kühlschrank zu verschließen. Dass Sanji so etwas übersehen würde, wäre zwar recht unwahrscheinlich, aber für den Notfall kannte er dank Franky schon lange den Zahlencode am Kühlschrank. Praktisch!

Gerade kam er an der einen Treppe an, als er aus dem viel zu kleinen Augenwinkel eine Gestalt auf der Schaukel entdeckte. Auch wenn er vor Müdigkeit alles nur verschwommen sah, so konnte er anhand der Haarfarbe und der Körperproportionen die Person als Tashigi identifizieren.

„Morgen ... oder is’ schon abends?“ kam es verschlafen von ihm.

„Weder noch! Nach der Sanduhr oben in der Bibliothek müssten wir gerade den frühen Vormittag haben“, gab sie bereitwillig Auskunft und ein kicherndes Lächeln huschte über ihre traurige Mine mit der schneeweißen Haut und den dunklen Augenringen. Auch sie sah alles nur verschwommen, was aber eher an ihrer nicht vorhandenen Sehhilfe lag. Allerdings hatte sie feststellen müssen, dass es nicht mehr so schlimm war wie zu Beginn, als sie die Brille verloren hatte. Chopper meinte dazu nur, dass sich die Augen der neuen Situation anpassen würden und wenn sie nun problemlos alles etwas schärfer sähe, dann hätte die Gläserstärke der alten Brille eh nicht mehr richtig gepasst und sie bräuchte eh eine schwächere Brille. Soweit dazu. Doch ob nun scharf oder verschwommen: Zoro konnte sie immer erkennen. Allein schon an den mintgrünen Haaren und neidvoll musste sie Sanjis Kreativität anerkennen: Nichts passt darauf besser als Marimo. So im Moment schlaftrunken, zersaust und etwas tollpatschig wirkend verfehlte Zoro seine Wirkung bei ihr nicht, dass sie ihn in diesem Moment wieder einmal mehr süß fand, als ihr lieb war. Aber diesen Gedanken versuchte sie zu verdrängen. Zudem war sie unbeholfen damit beschäftigt. etwas mittelgroß Flaches unter ihrem schlapprigen T-Shirt zu verstecken, was ihm trotz der Umstände nicht entging.

„Hm? Is’ was mit dir?“ Er war stehen geblieben und bemühte sich stark um ein scharfes Bild vor Augen und einen hellerwachen Verstand, aber das war so kurz nach dem Aufwachen ohne Gefahr in Verzug fast zuviel verlangt.

„Nein, nein! Alles Bestens!“ winkte sie verstört ab und versuchte eine sorglose Mine aufzusetzen. Dabei wandte sie ihr Gesicht beschämt von ihm ab. Sie ging immer noch davon aus, dass er die Gefühle anderer spüren konnte und da wären ihm sicherlich ihre feuchten Träume in den letzten beiden Nächte nicht verborgen geblieben. Und das berührte sie mehr als peinlich. Sie kam sich dumm, entlarvt und kindisch vor. Sie ertappte sich dabei, wie sie dann doch wieder den Blick vorsichtig hob, um an ihm haften zu bleiben. Abwechselnd heiß und kalt lief es ihr den Rücken runter, als ihre Augen heimlich jeden Millimeter hervorschauender Haut absuchten und da er wieder einmal mit einem offenen Hemd herumlief, gab es viel zu sehen, was sie vollkommen durcheinander brachte. Schnell schossen Erinnerungen hoch, als sie in seinen Armen lag und Wärme und Geborgenheit genießen konnte. Aus Sehnsüchten war jedoch mittlerweile Verlangen geworden und verkomplizierten die Gesamtsituation. Sie kniff die Augen zu und tadelte sich innerlich und wollte standhaft sein, doch Enttäuschung verdrängte wieder einmal mehr alles in ihr. Kein einziges Mal hatte er sie beachtet, seit sie wieder hier auf der Sunny unterwegs waren, geschweige denn hier unten an Grund lagen. Sie spürte einen dicken Kloß in ihrem Hals anschwellen, der sich nicht runterschlucken lassen wollte, sondern lieber seinen Weg über die Tränendrüsen ins Freie suchte. Nein, auf keinen Fall wollte sie nun hier schon wieder vor ihm heulen. Das hatte sie ihrer Meinung schon zu oft getan in der Vergangenheit. So langsam musste er doch echt von ihr denken, dass sie eine Heulsuse und total sentimental wäre. Das komplette Gegenteil von dem, was eine Marinesoldatin und Schwertkämpferin leisten müsste und von ihr zu erwarten wäre. Vielleicht wäre es besser, nun in diesem Augenblick zu gehen und woanders zu heulen. Zoro war wie der wind. Sie dachte, sie könnte das ertragen, aber sie hatte sich gewaltig geirrt: Sie konnte es nicht. Sie war nicht der Typ dafür, mal eben so auf Abruf für einen Kerl zu stehen, der sich nur kümmerte, wenn es ihm passend schien. Sie war kein Gegenstand, sondern eine Persönlichkeit. Und so wollte sie auch behandelt werden.

Damit stand sie auf und stackelte auf wackligen Beinen davon. Zoro blickte ihr verwundert hinterher.

„Ich habe doch grad’ gefragt, was los ist...“ Das klang nun schon recht verärgert, denn er fühlte sich von ihr belogen und er konnte keinen Fehler an der Situation finden.

„Ach, lass mich doch in Ruhe, du Idiot!“ giftete sie ihn laut an, ohne sich auch nur einmal kurz ihm zu zuwenden. In ihrer Stimme lag etwas, was auf Krawall gebürstet war und ihn nur noch mehr verwirrten.

„Pass mal auf! Wenn du Scheiß-Laune hast, dann nerv’ mich nicht damit!“ Nun war auch er auf Krawall aus. Pah, die dürfte sich jetzt was anhören, wenn sie weiter so ein Verhalten ihm gegenüber an den Tag legen würde.

„Du bist doch an allem schuld!“ brüllte sie und wollte gerade durch die Seitentür beim großen Aquarienzimmer verschwinden, doch für ihn war nun das Fass weit übergelaufen. Er verstand nun gar nichts mehr. Irgendwie kam er bei ihren Anschuldigungen nicht mehr ganz mit. Hatte er etwas verpasst? Oder war etwas geschehen, was wieder einmal zu einem Blackout geführt hatte? Letzteres schwante ihm als üblen Alptraum und ließ selbst ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Aber nur für einen Moment.

„Du bist total durchgeknallt!“ Er sah absolut nicht ein, sich so behandeln lassen zu müssen und schon gar nicht ohne einen offensichtlichen Grund. Doch sie sagte nichts mehr. Für ein Sekunde erhaschte er einen Blick in ihr Gesicht, als sie die Tür unaufmerksam hinter sich schloss. Es war etwas, was sich wie ein Bild in seinem inneren Auge einbrannte.

Wutentbrannt setzte er stapfend seinen Weg zur Kombüse fort, um anschließend wieder in sein heiß geliebtes Krähennest zu verschwinden. Dort hatte er wenigstens seine Ruhe vor soviel Irrsinn. Das eben war ihm zu hoch gewesen. Vielleicht war er aber auch nur zu blöde, um sie zu verstehen. Ihre Gedankengänge und Gefühlsekstasen waren ihm zu abstrakt und verstrickt. Konnte sie nicht simpler sein? Dann hätte er wenigstens eine Chance, sie zu verstehen.

Tatsächlich stand auf dem Tresen in der Küche eine Schüssel mit Onigiri, etwas Obst und ein Krug Wasser. Von dem Koch war weit und breit keine Spur. Noch bevor irgendjemand Notiz von ihm nehmen konnte, schnappte sich er die Leckereien, pflanzte sich auf einen Hocker am Tresen und schaufelte alles schnell in sich hinein, noch bevor der Koch den Lebensmittelraub auf frischer Tat ertappen würde. Sein Blick glitt durch die Küche, um sich abzulenken. Er wollte nicht weiter über Tashigi nachdenke. Mit allen hier hatte er schon gestritten und es war ihm jedes Mal herzlich egal gewesen, was sie dachten. Später nahm es sowieso keine Seite mehr übel. Bei Tashigi war das anders und das nervte ihn just um so mehr. Öfters als es ihm lieb war, sah er sich einfach nicht mehr in der Lage, seinen Gedanken auf anderes zu konzentrieren. Ganz gleich, was er tat, es fehlte immer ein Stück. Nämlich sie. Und das würde ihm sicher noch mal zum Verhängnis werden, prophezeite er sich selbst. Sie hätte wohl doch lieber niemals mitkommen sollen.

Sein Kauen wurde jäh beendet. Fast hätte er sich verschluckt. Der Wasserhahn tropfte langsam vor sich her. Wasser sammelte sich unter dem Sprudelsieb, bildete eine Traube, wuchs immer größer und fiel dann langsam wie eine Glasmurmel ins Becken. Dort zersprang sie in tausende und abertausende Spritzer. Zoro starrte auf diese Alltagsbanalität wie auf ein Weltwunder, denn für ihn war es ein Deja Vu. Vor ein paar Minuten hatte er so etwas gesehen. Wassertropfen so groß wie Glasperlen. Aber sie kamen nicht aus einem Wasserhahn, sondern purzelten über ein süßes Gesicht an einer rosafarbenen Narbe entlang.

Fassungslos starrte er zum Wasserbecken und versuchte Tashigis Gesicht aus seinem Kopf zu verbannen, wie sich dicke Tränen in ihren Augenwinkeln sammelten und über ihre Wangen liefen. Nein, er wusste mit so etwas wirklich nicht umzugehen und war planlos, was er nun machen sollte. Noch immer zogen die Wassertropfen an der Spüle ihn in ihren Bann und erinnerten ihn, wie noch eine weitere Träne ihren Weg hinab in die Tiefe sucht. Und noch eine. Es kam ihm wie Zeitlupe vor, wie sich langsam das Wasser in ihren Augen sammelte, in einer Tränenspur über ihre Wange glitt, das Licht aufnahm und beim Heruntertropfen wie ein Stern reflektierte. Noch nie zuvor hatte er sie auf diese Art und Weise weinen sehen. Nie zuvor. Auch nicht, als er dort im Kerker festsaß und sie sich voller Todesangst an ihn schmiegte. Die Stimmung war vollkommen surreal und bizarr. Damals an ihrem Geburtstag hatte er sich gegen sie entschieden, weil er nicht wollte, dass sie traurig wäre. Es wäre eine Chance gewesen, darüber hinweg zu kommen und zu vergessen, aber mit jeder neuen Tränenperle wurde ihm klar, dass es für ihren persönlichen Seelenfrieden die falsche Wahl gewesen war. Sie besaß in diesem Punkt eine erstrebenswerte Hartnäckigkeit und hatte ihr Herz an einen Kerl verloren, der doch beziehungsmäßig ein hoffnungsloser Fall war. Millionen liefen da draußen auf der Welt herum, doch sie hatte sich entschieden. Für ihn! Warum? So richtig kannten sie sich doch noch nicht einmal. Kleine dumme Nuss! Wieder rollte eine Perle voll Wasser aus dem Hahn hinab und zerschellte in unzählige Tröpfchen auf dem Beckenboden. Die nächste Perle stoppten seine Fingerspitzen. Er war an die Spüle herangetreten und sah auf den Wassertropfen auf seiner Hand, als würde er ihm alle Rätsel der Welt lösen. Der Tropfen jedoch dachte gar nicht daran und zerrann in die Tiefe zum Holzboden.
 

„Das nennte man Wasser und benutzt man zum Waschen. Aber so was kennst du ja eh nicht“, höhnte es von der Eingangstür her. Sanji war zurückgekehrt und holte den Schwertkämpfer derart schnell in die Realität zurück, als wäre ihm mit einer Bratpfanne ins Gesicht geschlagen worden. Überrumpelt zuckte er zusammen, wandte jedoch nicht seinen Blick von dem winzigen Nass ab.

„Noch nicht aufgewacht aus dem Koma?“ fügte der Koch trocken hinzu und stellte fest. „Na, du hast die Reste von vorgestern gefressen. War ja angemessen für dich.“ Und ehe er sich versehen konnte flog auch schon blitzschnell der erstbeste Gegenstand in seine Richtung. Auf die Schnelle konnte Sanji das gewisse Etwas als Blanchiermesser identifizieren, was ihn rasend machte. Der Marimo wagte es doch tatsächlich, eines seiner heiligen Küchenutensilien als Mordwaffe zu verwenden. Ebenso schnell wie das fliegenden Messer war er hinter dem Tresen in der Kombüse geflitzt, um Zoro einen kräftigen Kick auf die grüne Rübe zu zimmern. Der Teufel müsste wohl in den Schwertfuchtler gefahren sein. Oder ein Dämon. Ach, der wäre ja angeblich schon ein Halber. Dennoch kein Grund, sich in seiner hochheiligen Küche aufzuhalten!

Wild flogen die Fetzen, bis Sanji dann doch verdutzt innehielt, denn Zoro hatte bis dahin noch kein einziges Wort gesagt. In der Regel hätte schon ein Schwall an Beleidigungen aus dessen Munde quellen müssen. Der Smutje war derart verdutzt, dass es Zoro schafft die Schwertspitze drohend an Sanjis Kehle zu setzen.

„Ich werde dich und deine sabbernde Schleimart nie leiden können, aber auf diesen Kindergartenscheiß hier habe ich echt keinen Bock mehr!“ sprach nun der Schwertkämpfer in einer eisigen Kälte und absoluten Dunkelheit, dass der Koch ernsthaft nachdachte, ob es wohl wirklich der leibhaftige Nakama wäre, doch er willigte ungläubig ein. Seit diesem Zeitpunkt herrschte zwar immer noch harter, unnützer Konkurrenzkampf zwischen ihnen, aber er verlief im Hintergrund. Mit den albernen und überflüssigen Prügeleien war es urplötzlich vorbei. In der Zukunft verschwendete Sanji ab und zu einen Gedanken an diese surreale Szene. Das Geheimnis von Zoros Sinneswandel lüftetet er nie. Und so wurde es irgendwann egal und vergessen.

Wieder starrte Zoro in das Spülbecken, dachte an die Tränen und Tropfen wie Glasperlen und versuchte krampfhaft seine Freunde zu fühlen. Keine Welle erreichte ihn. Nicht mal ein Plätschern. Der Kokon aus Meerwasser schluckte alles. Weit weg war die Außenwelt. Sie waren hier wie lebendig begraben.

Ein letzter Wassertropfen rutsche vom Abflussrand durch die Löcher hindurch in die Dunkelheit des Wasserrohres. Wie Tashigis Tränen...

Manche Situationen bewirken, dass sich Weichen im Leben stellen und Schalter im Kopf umlegen, die man noch vor ein paar Sekunden gar nicht kannte. Plötzlich waren sie da und so selbstverständlich, als gäbe es gar nichts anderes. Sie waren das Natürlichste auf der ganzen, weiten Welt. Hatte er nicht neulich noch zu ihr gesagt, man sollte sich den Kopf nicht über Dinge zerbrechen, die man nicht ändern könnte? Er selbst hatte ihr noch gesagt, dass man nicht um Dinge weinen sollte, die man schon lange vorher wusste. Und für Zoro war exakt jetzt der Punkt gekommen, wo es Zeit war, Wendepunkte zu markieren und Schicksale hinzunehmen, die man noch drehen konnte. Koushirou hätte wohl gesagt, sein ehemaliger Schüler hätte einen erwachsenen Gedanken. Dann hätte er wieder selig auf Zoro herab gelächelt und die Taten abgewartet, die da kommen würden. Enttäuscht wurde er noch nie.

Zoro machte auf dem Absatz kehrt, marschierte an Sanji vorbei und ging dorthin, wo er Tashigi zuletzt gesehen hatte.
 

Draußen auf dem Balkon, von wo über diesen zum Maschinenraum gelangte und sonst niemand langging, lag ein Futon auf dem Fußboden und obenauf versteckte sich ein still weinendes Häufchen Elend unter einer großen Decke. Sie zeigte keine Regung, als sie Schritte hörte. Es schien ihr gleichgültig. Als sich jedoch Zoro zu ihr herunterhockte, drehte sie sich um und zog die Decke über den Kopf. Ein Zeichen tiefster Enttäuschung und Ablehnung. Es gab wohl ihrer Ansicht eben keine Chance mehr für irgendeine Basis.

Hilflos blickte er auf sie herunter und dachte über die vergangenen Tage nach. Er rief sich die Worte zurück in sein Gedächtnis, als sie ihr enttäuschtes Herz dem Mönch oben auf dem Tempelberg ausschüttete. Dort hatte sie geweint. Eigentlich hatte sie sehr oft geweint, seit sie wieder zurückgekehrt war. Er streckte Hand nach ihrer Schulter aus. Die Berührung brachte ihm nur eine abwehrende Knuffbewegung ein, die wegen der Decke ins Leere ging. So kam er nicht weiter. Alles, was in an Worten und Sätzen durch den Kopf jagte, kam ihm so herrlich bescheuert, kitschig und unpassend vor. Sie hatte ihn einmal vor längerer Zeit als dumm, eingebildet und arrogant betitelt. Vielleicht würde der Abstieg vom hohen Ross zum Boden der Realität noch etwas retten. Fakten und Eingeständnisse. Die Zugabe von Fehlern. Noch nie hatte er Fehler zugegeben. Immer waren die andern schuld, auch wenn er sich manchmal doch ein wenig gebessert hatte.

„Du hast recht. Ich bin ein Idiot.“

Verlegen biss er sich auf die Lippe. Der kleine Hüpfer über den eigenen Schatten ging doch leichter als gedacht. Unter der Decke jedoch regte sich nichts. Nicht einmal ein Schluchzen drang hervor. Entweder war sie eingeschlafen oder die ersten Ansätze von Selbsterkenntnis reichte wohl noch nicht.

„Es tut mir echt leid, aber ich habe da halt keinen Plan von.“

„Von was?“ kam es schnell, aber trotzig. Sie hatte also doch zugehört, wollte sich aber partout nicht zeigen.

„Du weißt genau, was ich meine“, sagte er ungeduldig und sich auch ein wenig .

„Nein, weiß ich nicht. Ich kann nämlich nicht Gedanken lesen so wie du!“

„Das konnte ich auch noch nie. Und seit wir hier unten im Meer sind, sowieso nicht mehr. Und das ist auch total ok so.“

„Wirklich?“

„Wirklich!“

Sie pellte sich aus der Decke als wäre es eine Gemüsezwiebel und schob die Nasenspitze über den Saum empor. Die Augen waren geschwollen und die Nase gerötet. Sie sah wirklich schrecklich aus und zeigte keine Gegenwehr, als er mit seinen Fingerspitzen eine Träne auf ihrer Wange auffischte. Wie eine Glasperle. Wie vorhin beim Wasserhahn. Eine ewige Weile verharrten sie beide so, bis der salzige Tropfen Augenwasser von seinem Finger fiel. Längst hatte sie sich eingemummelt an die Bordwand gelehnt und beobachtete ihn und seine Reaktion genau. Unsicher, ob sie ihm überhaupt glauben konnte, erwartete sie eine Erklärung. Und die würde fast schon unerwartet kommen:

„Ich hatte nie einen Gedanken darüber verschwendet, dass es dich so verletzten könnte oder dass es dir so ernst ist. Ich habe über gar nichts nachgedacht, weil ich das noch nie musste. Also über so was. Es war mir ja nicht mal selber klar, dass es mittlerweile reichen könnte, um nicht allein zu sein. Das kam mir erst vorhin in den Sinn. Ich habe dich echt nie belogen, aber ich tauge halt nicht für so’n Beziehungsromanzenkram. Du hast recht, wenn du sagst, ich bin zu blöde. Zumindest für so was. Ich weiß auch gar nicht so genau, was du dir vorstellst oder so erwartest.“

Tashigi hatte aufmerksam gelauscht und jedes Wort in ihrem Kopf noch einmal aufgerufen, um auch ja nichts falsch zu verstehen. Ihr wurde klar, dass der Schlüssel zum Problem sich schon lange nicht mehr um Liebe oder Abneigung drehte, sondern um Geschwindigkeit. Sie war zu ungeduldig und viele Schritte voraus geeilt. Zoro humpelte da noch unsicher hinterher und war dieser Art von Herausforderung noch nicht gewachsen. So seltsam es klang, so war es.

„Dass es reichen könnte, um nicht allein zu sein“, murmelte sie nachdenklich. Hieß das nun alles, dass er ebensolche Gefühle für sie hegte? Anscheinend ja, aber er konnte oder wollte es wohl nicht so zeigen. Das Leben bestand nur aus Kompromissen. Vielleicht musste man hier einen eingehen, um nicht wieder alles auf eine Karte zu setzen und zu verspielen. Sie schlang langsam die Arme um seinen Hals, so dass er das Gleichgewicht verlor und nach vorn auf die Knie fiel.

„Ich will, dass es reicht!“

Und um ihrer Forderung aufmunternden Nachdruck zu verleihen, begann sie zärtlich Küsse über seine Hals entlang und dann zu seinen Lippen hinauf zu verteilen. Jeder Kuss brannte wie Feuer auf seiner Haut. Es war fremd, ungewohnt und süchtig machend zugleich. Letzte Nacht hatte sie es noch geträumt und nun war es Realität. Jeden Millimeter von ihm wollte sie erkunden, und regungslos, fast ein wenig perplex, ließ er es sich gefallen. Langsam umarmte er sie und zog sie dicht an sich heran.

„Aber nur, wenn du nie wieder so weinst!“ war seine einzige Bedingung. Damit ließ er sich mit ihr seitlich auf die Matratze fallen. Aneinander geschmiegt tauschten sie gegenseitig Streicheleinheiten und Zärtlichkeiten aus, ohne den anderen zu bedrängen. Nähe und Geborgenheit war alles.

43 - Das Ende einer Ära

„Wie kannst du so was alles vergessen?“ tadelte Azarni nach ihrer Rückkehr vom Ausflug zur Weltregierung die schwarze Dame, obwohl es dem Mädchen gar nicht zustand, das Handeln einer Prismenträgerin zu hinterfragen oder gar sie zurecht zu weisen. Leider hatte das Mädchen nur von einem Scheitern ihres Auftrages berichten können, sprich: Die fünf Weisen hatten schallend über sie gelacht, sie für verrückt erklärt und die Wachen gerufen. Es war zu bewundern, wie so eine kleine, schmächtige Person überhaupt bis in die heiligen Hallen der fünf Weisen vordringen konnte. Da war wohl mehr als eine Teufelskraft am Werk. Azarni hatte dem allen nur emotionslos gelauscht und geantwortet: „Die Prismenträger werden kommen...“ Und damit war sie gegangen, noch bevor sie hinausgeworfen werden konnte. Und nun das: Yurenda war etwas wichtiges aus alter vergangener Zeit eingefallen, was ihnen schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte von Nutzen sein können.

„Ich weiß es doch alles nicht mehr ...“, jammerte nun Yurenda fast schon verzweifelt. Denn gerade eben erst war ihr klar geworden, wie sie die Strohhutbande tief unten am Meeresgrund erreichen könnte, obgleich es nicht ihr Territorium war.

Kivi hielt die Piraten nun schon die vierte Woche in Folge vor der ganzen Welt in der überdimensionalen Luftblase versteckt. Dieser Schachzug war geschickt, als auch ungeschickt zugleich. Zumindest hatte er damit eine Patt-Situation heraufbeschworen, welche außer den Prismenträgern und deren Anhängern noch niemand auf der Welt erahnen konnte. Es schien in seiner Hand zu liegen, ob One Piece jemals gehoben und der Wahnsinn der Welt gestoppt werden könnte oder nicht. Ein jeder, der ein wenig mehr wusste, glaubte dieses, denn das Wasser war sein Element, wie auch Wissen und Weisheit ein Element des blauen Prismas war.

Doch was nutzte alles Wissen und Weisheit, wenn man die Gesamtkonstellation rein nüchtern betrachtete und sich nur an seine eigenen Fähigkeiten klammerte? Kivi hatte etwas übersehen in seinem Plan, was vielleicht ein folgenschwerer Fehler sein könnte, den sich nun Yurenda zu nutze machen wollte.

Wie ein Stein hatte sie sich von dem Meteoriten zur Welt hinab stürzten lassen, mit Tränen in den Augen ihren Lieblingsplaneten begutachtet mit all seinem Leben, obwohl sie selbst gar nicht von ihm stammte, und war dann knallhart auf einer der Meeresoberfläche aufgeschlagen. Ihr rotes Prisma schützte sie vor Schaden, aber eine Erinnerung war wiedergekehrt. Sie trieb inmitten des West Blues wie ein Holzbrett vor sich her und dachte nach. „Komm zurück, du bekloppter Fetzen Erinnerung! Was wolltest du mir sagen?“ schrie sie in den azurblauen Himmel hinauf. Und dann kam es bruchstückhaft zurück. Gefühle und Träume waren ihr Gebiet. Auch wenn die Piraten in einem Wassergefängnis saßen, so lebten sie immer noch. Und sie fühlten und träumten! Das war ihre Chance!

Irgendwann später trieb sie das Meer an den Strand einer kleinen, aber bewohnten Insel. Die Anwohner staunten nicht schlecht, als die Prismenträgerin vollkommen unbeschadet, aber klitschenass bis auf die Knochen aus der Brandung stieg und zielgerichtet den Hafen ansteuerte. Denn so frisch stapfte noch nie ein Gestrandeter übers Land.

Eine Fähre nahm die schwarze Dame mit nach Marijoa.
 

Das Deck der Sunny wirkte wie ausgestorben. Schlaff hingen die Blätter der Obstbaumkronen herunter und wurden langsam schal. Nach und nach verloren auch die Äste ihre Kraft und gaben der Schwerkraft nach. Die Bäume glichen nun eher Trauerweiden als hoch gewachsenen Orangenbüschen. Der Rasen nahm allmählich eine braune, ungesunde Farbe an. Überhaupt macht der Garten einen ungepflegten Eindruck, auch wenn kein einziger Halm Unkraut hochschoss. Die Blumen hatten als erste die Köpfe hängen lassen und wirkten nun grau und trist. Die Luft wurde stickiger und beißender. Der akute Sauerstoffmangel zeichnete sich stetig ab. Die Pflanzen waren nicht in der Lage, genug Sauerstoff zu produzieren, sie verzögerten nur die Atemnot und dehnten die Luftknappheit wie ein Kaugummi aus. Man hätte meinen können, der Zahn der Zeit würde an dem Schiff und seinem Garten unsichtbar nagen und hätte die Besatzung schon längst dahin gerafft.

Nichts regte sich, und auch die Piraten waren nirgends zu entdeckten. Längst hatten sie sich dorthin verzogen, wo man bequem ruhen konnte. So lag jeder in seinem Bett oder in einer anderen Schlafgelegenheit und schlummerte vor sich her. Es war ein Vorschlag des Cyborgs und darauf hin die Anweisung des Captains, dass Atemluft gespart werden müsste. Im Schlaf wurden kaum Sauerstoff und Vorräte verbraucht. Es fiel allen nicht schwer, dieser Anweisung zu folgen, da sie aufgrund der schlechten Luft eh erschöpft durchhingen. Jede Bewegung wurde zur Qual und bereitete Atemnot, die sich durch starkes Japsen und Keuchen äußerte.

Doch nicht nur die körperlichen Beschwerden wurden zusehends mehr. Die Seele der Crew und deren Motivation nahmen schlagartig ab. Die Hoffnung starb bekanntlich zu letzt und jeder warf täglich mehrer Blicke auf die Wasserwand, ob sie nicht doch die kleinste Veränderung aufwies. Es war nicht nur ein kontrolliertes Begutachten, sondern wurde schon fast zur Sucht. Keine Minute verging ohne ein akribisch langer Blick auf die Wasserkugel. Zwar war auch Luffy nach wie vor überzeugt, aus diesem Unterwassergefängnis zu entkommen, doch wurde selbst er immer stiller und ernster. Es war allen klar, dass es nur noch wenige Tage sein würde, die über Leben und Tod entschieden. Entweder passiert nun endlich etwas oder es war aus.

Eine hitzige Diskussion war noch vor Kurzem in der Küche beim Abendessen ausgefochten worden, wer denn nun schuld an der Misere wäre. Zwar hatte Nami sich geschworen, über Tashigi kein Wort mehr zu verlieren und sich zusammenzureißen, jedoch konnte sie es nicht lassen, der ehemaligen Offizierin diese prekäre Situation anzulasten. Immerhin wäre es ihre Idee gewesen, durch den Calm Belt abzuhauen. Und hier im Diamantmeer oder wie immer es auch hieß, würden sie nun alle den Tod finden. Die Nerven lagen bei allen blank und so fetzten sie sich heftig und laut, bis sie allesamt röchelnd über dem Tisch hingen. Dabei hatte ein Wort das anderer gegeben; eine Lösung hatten sie dabei aber nicht gefunden. Der Rest der Essenstafel war Schweigen. Und ebenso leise löste sich die Versammlung auf und jeder verschwand wieder zu einem beliebigen Schlafplatz. Und so folgten sie einem Rhythmus von Schlafen und Essen, was Zoro im Prinzip nur zu gern entgegenkam.

Er erhob sich als einer der ersten von seinem Platz und verließ den Speisesaal wie von einer uralten Gewohnheit getrieben zu dem Balkon achtern, wo man vom Aquarienraum hinüber zum Motorenraum gelangte. Immer noch lagen hier die Matratze und die Decke herum, wohin sich Tashigi oft verkrümelte und so würde sie auch bald hier auftauchen. Nach der Aussprache und den Bekenntnis zwischen ihnen beiden vor einigen Tagen hatte es sich wie von allein ergeben, dass sie sich hier trafen. Auch wenn es nur kurze Momente waren, so war doch jede Minute kostbar.

Mit ausgestreckten Beinen, dem Rücken an die Wand gelehnt und seine drei Schwerter hübsch säuberlich an die Wand gereiht, starrte er auf die türkis schimmernde Wasserwand und wartete. Die Tür klappte, doch die Schritten verrieten ihm, dass es sich nicht nur um seine Süße, sondern auch um den Cyborg handeln müsste. Franky? Was machte der hier? Egal! Der Schiffsbauer war alt genug, um keine duseligen Fragen oder Anspielungen zu machen. Garantiert würde er auch nicht losrennen und unmittelbar quatschen. Die Zweisamkeit war kein erzwungenes Geheimnis, aber es war auch nicht Zoros Art, mit so was hausieren zu gehen oder gar anzugeben. Es war, wie es war und sein Engel teilte da unausgesprochen seine Meinung.

„Lasst euch nicht stören, aber ich muss dringend mal nach dem Colavorrat im Antriebstank schauen“, sagte der Schiffsingenieur auch sogleich großen Schrittes im Vorbeigehen und verschwand im Maschinenraum. Tashigi ließ sich auf der Matratze nieder und legte ihren Kopf auf Zoros Oberschenkel als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Sie genoss seine streichelnde Hand auf ihrem Rücken und hielt es manchmal für sehr wundersam, wie sanft er sein konnte. Eine halbe Stunde mochte verstrichen sein und der Schiffsbauer tauchte wieder auf. Zielstrebig ging er an den beiden vorbei und witzelte laut lachend:

„Aber keine Schweinereien!“

Franky war einfach nur cool. Und weg war er auch schon wieder.
 

Zoros Schlaf-Ess-Rhythmus wurde jäh gestört, als Tashigi ihm eines Abends den ganzen Stapel einer losen Blattsammlung in die Hände drückte, der über und über mit ihrer Handschrift versehen war. Es war der Abend des elften Novembers und wieder einmal trafen sie sich für eine kurze Weile auf dem Balkon. Verwundert blickte er sie an. Zwar hatte er ihren Schreibwahn beobachtet, aber was er nun damit sollte, war im schleierhaft.

„Du hast mir so oft geholfen. Eigentlich hast du ganz oft mein Leben gerettet“, begann sie zaghaft.

„Naja, ich habe halt überlegt, wie ich mich mal dafür bedanken könnte...“, fuhr sie fort.

„Du brauchst dich gar nicht bedanken“, schnitt er ihr schnell das Wort ab.

„Doch! Ich will dir heute zum Geburtstag was schenken. Ich habe lange überlegt, was es sein könnte, was du auch brauchen könntest. Hier! Ich habe alles aufgeschrieben, was ich über dich weiß und was ich über dich alles gehört habe.“

Zoro blickte sie wie ein Fragezeichen an, denn er fühlte sich gerade ziemlich gläsern und ausspioniert. Es war ihm noch nicht mal bewusst gewesen, dass er heute Geburtstag hatte. Hier unten ruhte das Zeitgefühl. Noch nie zuvor hatte er ein richtiges, persönliches Geschenk zum Geburtstag bekommen. Geburtstage hatten erst an Bedeutung in seinem Leben gewonnen, als er feststellte, wie herrlich man sich an zu solchen Tagen die Birne zusaufen konnte ohne ernsthaft negativ aufzufallen, da ja alle zu dieser Gelegenheit irgendwie soffen.

Doch Tashigi ließ sich nicht beirren und redete weiter:

„Du hattest mich gefragt, wie wir aus dem Kerker entkommen konnte. Weißt du noch? Du hattest dieses Dämonische wieder an dir. Ich glaube, dass du immer eine Erinnerung verlierst, wenn du nicht du selbst bist. Verstehst du, was ich meine?“

Er nickte kurz und war irritiert, wie viele Gedanken sich eine Person wie sie in ihrem Köpfchen machte. Noch nie hatte jemand so viele Gedanken an und über ihn verschwendet.

„Mit meinen Notizen kannst du nichts vergessen. Du hast ja selbst gesagt, dass du nicht wüsstest, was noch alles passieren wird.“

Sie war wirklich pfiffig, musste Zoro sich eingestehen. Langsam blätterte er die Seiten durch und las. Es gab viele Lücken und Fragezeichen. Vermutlich waren es alles Stellen, die sie nicht füllen konnte. An der Wasseroberfläche wäre es sicherlich schon tiefste Nacht. Längst war Tashigi eingeschlafen. Doch er las immer noch bedächtig jedes einzelne Blatt durch und musste manchmal schmunzeln. Sie hatte versucht, einem möglichst neutralen Schreibstil zu wählen, hatte aber nicht verhindern können, dass sich eine persönliche Note und auch ihre eigene Wahrnehmung zwischen den Zeilen widerspiegelte. Da war beispielsweise ihr aller erstes Treffen in Loguetown. Haarklein beschrieb sie die Szenerie und man konnte herauslesen, dass sie sein Schwertwurf mit dem Kitetsu bis heute beeindruckte. Es war eigentlich nur ein einfacher Jahrmarkttrick und hing mit dem Abwurfwinkel zusammen. Aber wenn sie das so schwer beeindruckt hatte, dann war es im Nachhinein etwas Gutes.

„Tjoa, Sanji“, dachte er sich dreckig grinsend. „Weiber erobert man nicht mit Herzchenaugen, sondern indem man ein Schwert in die Luft wirft.“ Der Gedanke war derart albern, dass Zoro ihn kurz lachend verwarf. Die Situation hier unten am Meeresgrund raubten einem echt jeglichen Nerv und Verstand.

Er las weiter. Shimotsuki-mura. Exakt war jedes Haus und jede Gasse beschrieben und auch, wer in welchem Haus wohnte. Langsam ging er alle Namen durch. Bei einigen wusste er noch sehr genau, wer die Menschen waren und wie die Häuser aussahen. Beim Großteil konnte er sich einfach nicht mehr erinnern. Er blätterte weiter und zählte unzählige Fragezeichen an den Blatträndern. Tashigi hatte an diesen Stellen Zusammenhänge wohl nur erahnen können oder es fehlten ihr komplexe Informationen. Allerdings musste er feststellen, dass er das ein oder andere auch nicht wusste. Hatte er es jemals gewusst oder schon vergessen? Die Stellen würden sie gemeinsam füllen, wenn sie wieder aufwachen würde. Doch bis dahin war noch etwas Zeit. Er legte den Papierstapel ordentlich beiseite und gönnte sich ebenfalls einen tiefen Schlaf.
 

Ein bizarres Traumtheater öffnete nun den Vorhang in Zoros Kopf. Kaum war er eingeschlummert, begann in seiner Phantasie ein kräftiger Wind zu blasen. Er war weder warm, noch kalt, weder stark noch schwach. Selbst die Richtung hätte der Schwertkämpfer nicht bestimmen können. Dennoch stand er mit beiden Beinen fest auf einem unsichtbaren Grund und starrte in eine sternenlose Nacht, falls es Tag oder Nacht überhaupt gab. Es war ganz gleich, welchen Weg er einschlagen würde, denn es gab keinen. Und so ging er los ohne so recht voran zu kommen. Der Schwertkämpfer ließ sich nicht beirren und stapfte voran. Erst als der Wind zu einem Sturm wurde und Zoro zum Schutz die Arme hob, bemerkte er die Kleidung, die er am Leibe trug. Über seiner altbekannten schwarzen Hose hatte er ein schwarzes dünnes Shirt und darüber seinen Regenponcho, der ihm aber bis zum Boden reichte. Seine Füße steckten wie gewohnt in seinen schwarzen, abgetretenen Stulpenstiefeln. Einzig und allein seine drei Schwerter vermisste er.

Der Sturm wurde zu einem Orkan, der wie ein Stier mit gesenkten Hörner keck den orientierungslosen Schwertkämpfer ins Visier nahm und von allen Seiten angriff. Bei jedem Treffer taumelte er von einem Bein auf das andere und bemerkte kaum, wie die Sturmböen violettfarbene Gestalten annahmen. Wie lange schleiernde Fäden zogen sie über die schwarze Ebene, die immer eisiger wurde. Sie vernudelten zu Knoten, zogen sich wieder auseinander und wickelten sich um ihr Opfer nur um es im selben Augenblick wieder freizulassen. Zoro strauchelte und fiel auf die Knie. Seine Hände berührten nacktes, schwarzes Eis. Es strömte eine nie gekannte Kälte aus und ließen ihn selbst erfrieren, dass er fast regungslos wurde. Was für ein Alptraum!

In der Ferne hörte er eine weibliche Stimme verzweifelt seinen Namen rufen. Doch es war zu weit weg und zu verzerrt, um sie jemanden zuzuordnen können. Plötzlich hatte er das Gefühl, jemand stünde direkt neben ihm. Er blickte sich zu allen Seiten um. Niemand war auszumachen, aber das Gefühl blieb hartnäckig. Stimmen eines unsichtbaren Kinderchors drangen vom Wind getragen an sein Ohr. Es war ein unschuldiger Singsang voller Naivität und Leichtigkeit.

„Wünsch dir was .... Wünsch dir was!“

„Dann soll das aufhören!“ wollte er gegen den Sturm anschreien, doch kein Laut drang über seine Lippen.

„Das musst du etwas genauer definieren!“ hallte es nun in seinem Kopf. Stimmen im Kopf! Zoro schlug beide Hände gegen seinen Schädel und war dem Durchdrehen nah.

„Ich will, dass wir wieder so wie vorher oben an der Meeresoberfläche sind!“ formte es sich schlagartig in seinen Gedanken.

Plötzlich brach das Eis auf und taute von einer Sekunde auf die andere. Wahre Flutmassen umspülten ihn nun und rissen ihn mit sich fort in die ewig nasse Finsternis. Aus allen Richtungen tauchten nun Eiswände auf, die binnen Sekunden zu Wasserfällen zusammenkrachten. Aus dem Sturm war ein Unterwassersog geworden. Zoro bekam keine Luft mehr. Gleich würde er ersticken.

„Gomu Gomu no ...“ schwappte und blubberte es von irgendwoher, ein Griff am Arm und der Schwertkämpfer wurden gegen sämtlichen Wasserdruck entgegengesetzt gezerrt wie ein gefangenes Beutetier, welches nun von den Jägern in der Luft zerfetzt wurde. Zoro verlor im Strudel alles: Orientierung, Sicht, Gehör und Bewusstsein.
 

Als er wieder zu sich kam, lag er klitschnass mitten im Garten der Sunny und starrte in einen überwältigenden Sternenhimmel über dem Schiff. Das Meer schien ohne Seegang zu sein, denn das Piratenschiff lag absolut ruhig wie auf einem Bügelbrett und rührte sich keinen Millimeter. Von Wind und Feinden keine Spur. Freiheit!

Er holte mehrmals tief Luft, um seine Lungenflügel kräftig durchzulüften, griff mit den Händen in das Gras und fühlte sich lebendiger als eh und je. Es war also nun kein Traum mehr. Er war wach und wieder vollkommen in seiner gewohnten Umgebung in der realen Welt. Aber was war mit seinen Freunden? Wie kam es, dass sie nun wieder hier oben auf dem Meer waren? Es schossen ihm derart viele Gedanken durch den Kopf, dass es ihm schwer fiel, in diesem Moment alles Eindrücke zu sortieren. Der Zusammenhang von Alptraum und Realität schien eine Einheit zu bilden und verschmolz undefinierbar.

Langsam drehte er den Kopf zur Seite und konnte erkennen, dass alle anderen Crewmitglieder ebenfalls auf dem Rasen lagen und den frischen Sauerstoff inhalierten. Die Sunny war über und über nass vom Salzwasser. Es tropfte an allen Ecken und Enden herab und erzeugte einen Klang, als würden die dicken Tropfen eines warmen Sommerregens hernieder prasseln.

Niemand würde später sagen können, wie viel Zeit vergangen war, bis sie sich alle nach und nach langsam regten und sich aufrappelten. Überwältigt von der plötzlichen Freiheit dem nächtlichen Sternenzelt blickte jeder nach oben und konnte selbst noch nicht glauben, dass sie tatsächlich noch lebten. Es war einfach zu unglaublich. Ein leichte Brise kam auf trieb sie alle nun in absoluter Stille, fast unmerklich davon. Einzelne Lichter in der Ferne verrieten die Insel, von der sie vor einigen Tagen geflohen waren.

„Sollten wir nicht mal so langsam verschwinden?“ nahm nun Usopp trotz aller Ergriffenheit das Wort an sich. Er fürchtete noch vereinzelte Wachpatrouillen der Marine, die Meldung machen würden und dann wie ein Hornissenschwarm sie wieder jagen würden.

Sanji erhob sich als einer der ersten, ging hinüber zur Reling und entzündete eine Zigarette. Langsam zog er an ihr und blies dann eine nachdenkliche Wolke Tabak in den Himmel. Überaus wachsam spähte er den Horizont ab. Nein, sie schien vollkommen allein zu sein.

„Hier ist niemand! Die Feiern sicher schon seit Wochen unsere Versenkung!“ Damit drehte er sich wieder um und trat den aufgerauchten Glimmstängel aus nur um sich gleich den nächsten zu genehmigen.

Zoro hatte noch gar nichts gesagt, sondern erst einmal alles auf sich wirken lassen. Er spürte wieder die Gefühle der Mannschaft. Es war ein eigentümliches Gemisch aus Angst, Unsicherheit und Hochachtung. Und er konnte dem Koch Recht geben: Hier draußen war niemand.

„Was ist passiert?“ fragte er nun doch dunkel. Alle drehten ruckartig die Köpfe zu ihm und starrten ihn fassungslos an.

„Was?“ platzte sein Kapitän lauthals heraus. „Das fragst du noch? Seit Wochen versuche ich die Luftblase zum Platzen zu bringen und du spazierst da einfach so drauf los, berührst die und das Ding geht kaputt. Ganz leicht! Das hättest du echt mal früher machen können!“

„Aber echt, ey!“ ergänzten nun Chopper, Franky und Usopp aus einem Munde.

„Unser Schwertkämpfer scheint das gar nicht mitbekommen zu haben!“ stellte nun auch Robin verwundert, aber mit einem Lächeln auf den Lippen fest.

„Du bist schlafgewandelt und warst dann wieder so ... dämonisch, Zoro“, drang eine sanft, fast schon verstörte Stimme an sein Ohr. „Ich hatte nach dir gerufen, aber du hast nicht reagiert und als die Wassermassen auf uns nieder rauschten, hatte Luffy dich gerade noch retten und rausziehen können. Dann sind wir mit der aufsteigenden Luftblase nach oben geschossen wie ein Sektkorken“, führte Tashigi weiter aus. Sie sah verängstigt und erschöpft aus.

Wieder herrschte Stille und betretenes Schweigen und da keiner so recht wusste, wie es nun weitergehen sollte, wurde der schnelle Beschluss gefasst, erst einmal auf der Insel Vorräte zu fassen und sich dann neue Ziele abzustecken.
 

Die Crew lechzte nach Informationen und während sie sich dem Eiland näherten, überlegten sie, was wohl alles auf der Welt passiert sein möge. Tage und Wochen waren verstrichen und spurlos an ihnen vorüber gezogen. Für sie waren es gestohlene Tage.

Sie hatten nicht mitbekommen, dass die Marine die Suche nach ihnen beendet und die Sunny für gekentert erklärt hatte. Bis auf eine Handvoll Marinesoldaten waren alle Truppen abgezogen und die Insel wieder in einen Schlummerzustand verfallen bis zum nächsten Herbst, wo man wieder ein prächtiges Pflaumenfest feiern würde..

Die Revolutionäre unter Dragons Führung hatten die Südhalbkugel der Welt gestürzt und übten eine bittere Kontrolle aus. Brutale Kämpfe waren diesen Eroberungssiegen vorausgegangen und zollten in immer mehr Landstrichen ihren Tribut: vernichtete Ernten, brennende Dörfer und eine leidende Zivilbevölkerung.

Auf der Nordhalbkugel hingegen breitete sich das Eis immer weiter aus. Der North Blue versank in subpolarer Kälte, langen, finsteren Nächten und kurzen, dämmerigen Tagen. Auch hier sah es für Flora und Fauna nicht besser aus, die unter einem dichten Eispanzer verschwand. Die Redline war nach wie vor Gebiet der Heerscharen des gelben Prismas. Sie tobten mit ihren hohlen Panzerreitern über das Land, dicht gefolgt von der schwarzen, donnernden Wolkenfront. Dabei verwüsteten sie alles, brachten Pest und Cholera über die Menschen und trampelten alles nieder. Lange würde der einzige Kontinent dem nicht mehr standhalten. Wetterkapriolen überfluteten weite Teile der Redline und rissen Land mit sich ins Meer. Selbst das milde Sommerklima des East Blue nahm ab und wurde rauer.

Wie auch immer es Yurenda vollbracht hatte, war ungewiss. Augenzeugen berichteten von einer zielstrebigen Person, die direkt in Marijoa in das Regierungsgebäude marschierte und eine kurze Erklärung abgab, dass die fünf Weisen abgesetzt wären. Kurz darauf trat sie auf den Balkon und sprach zu all denen auf dem riesigen Schlossvorplatz eine Rede. Ein jeder hatte sich urplötzlich hier versammelt. Alte und Junge, Männer und Frauen, Bettler und Adlige, Geister und Dämonen, die dem normalsterblichem Volke verborgen blieb.

Sie holte noch einmal tief Luft, denn schon lange hatte sie keine Ansprachen mehr gehalten. Etwas Zynismus gepaart mit einer Prise Motivation, aber einem ganzen Schlag an Hoffnung wollte sie vermitteln.

„Ihr Völker der Welt! Seid gegrüßt und höret meine Worte!

Vergessen habt ihr, was euch alle schützte und prägte. Vor 800 Jahren ging das Königreich verloren und die Weltregierung wurde von 20 Königen in guten, wie auch schlechten Absichten gegründet. Verträge und Versprechungen wurden gemacht, doch was ist geblieben?

Nichts dergleichen!

Die fünf Weisen haben mit ihrem Instrument namens Marine nicht die Gerechtigkeit walten lassen, die wir einst erhofft und gefordert hatten. Schauet euch nur um!

Armut, soziale Ungleichheit, Gewalt und Unterdrückung sind ihr Werk.

Ein böses Werk voller falscher Gerechtigkeit!

Ihr Völker der Welt!

Dieses ist das Ende einer Ära: Das Ende der Weltregierung und ihrer dubiosen Machenschaften.

Ihr Völker der Welt!

Erinnert euch! Die Wahrheit mag bitter sein und euch verunsichern. Ihr habt euch niemals verlassen haben. Und durch alle wilden Tage unserer verrückten Existenz haben wir immer ein Versprechen gehalten. Das Versprechen, euch euer Leben selbst gestalten zu lassen.

Nun stehe ich hier und traurig um diese Welt und auch traurig augenscheinlich mit den eigenen Waffen geschlagen zu sein.

Das hat niemals so sein sollen, doch ist es eben geschehen.

Ich gebe euch den Schwur aus alter, vergangener Zeit zurück!

Den Schwur von Raftel!

Was soll ich sagen? Oder habe ich zuviel gesagt?

Aber sehet mich an und ihr wisst: Jedes Wort ist wahr!“

Damit endete die Rede. Nach einigen Sekunden Totenstille brach ein tobender Applaus los. Das Volk starrte ungläubig und begann sich magisch zu erinnern und wer sich noch nie erinnert hatte, bekam die Erleuchtung.

Dort oben stand ein Prismenträger. Ein Hüter des einen, wahren Lichtes.

Das Licht war wieder da!

44 - Herbstwasser

Es klirrt und schepperte schrill in der Kombüse der Sunny. Feinstes Chinaporzellan fiel zu Boden und zersprang in tausend Teile. Winzige Splitter flogen empor und verflüchteten sich in die hintersten Ritzen von Möbeln und dem Holzfußboden der Schiffskombüse. Somit war die Strohhutbande in Sekunden um ein gutes Dutzend edler Teller ärmer. Entsetzt schlug die junge Frau die Hände vor ihr Gesicht und piepste in einer gefährlich hohen Tonlage einen Schwall an Entschuldigungen los, dass jeder im Umkreis von 50 Metern Tinitus bekommen müsste.

„Sanji, das tut mir ganz furchtbar schrecklich leid! Wirklich! Ganz ehrlich!“

„Ach, Tashigi-Maus. Das ist doch gar kein Problem. Du bist so süß, wenn du tollpatschig bist“, strahlte der Smutje mit pinkfarbigem Herzchenauge wie ein Atomkern und wirbelte dabei verliebt wie ein Brummkreisel herum. Auch wenn Tashigi den Koch gewarnt hatte, sie auf die Liste der Küchenhilfen zu setzen, so ging es an Bord nun einmal seinen ganz normalen Weg, dass ein jeder mit dem Dienst an der Reihe wäre. Dennoch hätte sie lieber irgendetwas anders gemacht. Wäsche waschen oder Klamotten flicken zum Beispiel. Das machte zwar auch nicht mehr Spaß als Küchendienst, aber da ging in der Regel nicht ganz soviel kaputt wie beim Abwaschen. Wenigstens verzieh ihr Sanji dieses Missgeschick. Zumindest im Moment. Später würde er sich sicherlich doch noch für die Zerstörung seiner Küchenutensilien ärgern, übellaunig an einer Kippe ziehen und finster aufs Meer starren. Doch das würde er sich gegenüber einer Dame niemals anmerken lassen.

Die Navigatorin ließ sich ihren Frust über die zerbrochenen Teller in ihrer stutenbissigen Art sofort anmerken. „Na toll, das Geschirr war sündhaft teuer und Designerware. Alles Unikate! Das wirst du bezahlen. Mit mindestens 50% Zinsen!“ keifte sie den Pechvogel an, der sich mittlerweile mit einem Handfeger und Kehrblech auf dem Küchenboden entlang zuschaffen machte. 50% Zinsen? Das würde sie niemals an Geld aufbringen können. Sie hatte schon Probleme gehabt, für neue Klamotten das Geld zusammenzukratzen, als sie alles verloren hatte. Das Unglück wurde abgerundet, indem sie sich böse an einer der Scherben in die Hand schnitt. Blut quoll hervor und tropfte nun auf ihre Kleidung und den Fußboden. Nami konnte nur noch die Augen verdrehen über soviel motorische Dummheit und nippte weiter an ihrem fruchtig-frischem Cocktail, welchen sie noch vor einem Augenblick liebevoll vom Smutje gemixt bekommen hatte.

„Tashigi-Süße! Lass mich dir doch helfen!“ flötete Sanji unvermindert weiter, kniete sich unverschämt nahe zu ihr herunter und wickelte edel wie ein Gentleman ein blütenweißes Küchenhandtuch großzügig um die verletzte Hand. Dabei strahlte er eine beturtelnde Aura aus, dass Tashigi schon ganz mulmig wurde. So ehrenhaft sich der Koch auch gegenüber Frauen geben mochte, für sie war das Ganze eine weite Spur zuviel und auch zu anschleimend.

„Ach, dass ist doch nichts ungewöhnliches“, lenkte sie schnell ab, erhob sich plump und stieß dabei Sanji noch so ungünstig an, dass dieser sich auf den Hosenboden setzte. Die einseitig romantische Stimmung war somit gekippt. Flink eilte die Verletzte zu Choppers Behandlungszimmer, wo eine große Tube Salbe für ihre Wunde inklusive einer professionellen Verarztung warten würden. In wenigen Schritten durchquerte sie den Raum und nahm im Vorbeigehen noch drei Stühle vom Esstisch mit. Sie fluchte laut. Ja, sie war tollpatschig, aber ohne ihre Brille war es durch nichts zu übertreffen.

„Oh, du hast dich verletzt!“ begrüßte sie der kleine Arzt schon in der Tür besorgt, betrachtete den glatten Schnitt in der Handinnenfläche fachmännisch von allen Seiten und gab dann erleichtert Entwarnung. Die Wunde war groß, aber nicht tief. Schnell zierte ein fest angelegter Verband Tashigis Hand. Sie bedankte sich freudig und ließ das Rentier wieder allein über seiner Einkaufsliste brüten. Auch sie musste sich langsam Gedanken machen, was sie noch dringend für die weitere Fahrt bräuchte.

Vor zwei Tage waren sie wieder auf Umeshu-Shima angekommen und hatten in einer kleinen Bucht in der Nähe des Dörfchens geankert. Anschließend lagen sie allesamt auf Choppers Anordnung an Deck, um die herrlich frische Herbstluft zu inhalieren, die ihnen hier kühl um die Nasen wehte. Die Zeit unter Wasser hatte bei allen die Atemwege aufs Äußerste strapaziert und der Arzt hatte wie ein Schießhund darauf geachtet, dass sich niemand überanstrengte. Streitereien zwischen bestimmten Crewmitgliedern waren da einfach vorprogrammiert und trotz heftigster Verbalgefechte konnte das Rentier dann nach zwei Tagen für alle das Signal geben, dass sie sich langsam wieder erheben könnten. Die Lungenflügel wären nun ausreichend durchgelüftet worden. Niemand aus der Truppe ließ sich das zweimal sagen, auch wenn der ein oder andere manchmal noch etwas wackelig auf den Beinen stand. Es wurde beschlossen, Einkaufslisten zusammenzustellen und nach einem deftigen Mittagessen schnell alle Einkäufe zu erledigen. Anschließend wollte man sich ebenso schnell aus dem Staub machen. Wohin sie segeln würden, wollte Nami eröffnen, wenn alles startklar wäre.

Der Vormittag verging schleppend. Kaum einer konnte es so recht erwarten, endlich von Bord zu kommen und festen Boden unter den Sohlen zu spüren. Besonders Luffy hatte seine lieben Probleme, ruhig zu bleiben. Er konnte sich nicht entscheiden, was er nun sehnlichster erwartete: Mittagessen oder Landgang.

Als Tashigi das Rasendeck hinüber zum Schlafraum der Frauen überqueren wollte, hielt sie kurz an der Reling inne und ließ ihre Seele baumeln. In den letzten zwei Tage hatte sie keinen Blick für ihre Umgebung gehabt, doch nun versank sie förmlich in diesem malerischen Ausblick und träumte vor sich her. Über einer tiefblauen See mit leichtem Wellengang spannt sich ein strahlendblauer Himmel ohne Wolken wie ein großer Papierbogen über das Szenario. Der Herbst hatte mit seinem Farbpinsel allen Bäumen und Büschen ein neues Outfit verpasst. Die Pflaumenbüsche leuchteten in einem Tomatenrot. Vereinzelte Bäume mischten sich mit satten Orange- und Gelbtönen dazwischen. Ein seichter Wind bewegte die Zweige leicht hin und her und verursachten ein feines Rauschen, welches sich mit dem Meer mischt. Der felsige Untergrund der Insel wirkte gegen die bunte Farbpracht fast schwarz. Hier und da stieg Wasserdampf wie Nebel aus den heißen Quellen hervor, kroch die Bergkämme entlang und stieg dann wie Qualm in den Himmel.

„Als würde die Insel wie ein großes Lagerfeuer lichterloh brennen“, dachte Tashigi vollkommen verträumt und starrte den Alltag um sich herum vergessend weiterhin auf den knallroten, rauschenden Blätterwald. So etwas schönes hatten sie noch nie gesehen. Oder besser gesagt, sie hatte da zuvor nie drauf geachtet. Wie konnten ihr solch schöne Naturmomente all die Jahre entgangen sein?

Luffys lautes Organ holte sie in die Realität zurück. „Los geht’s!“ brüllte dieser absolut übermotiviert und war auch sofort einer der Ersten, die in der Mini-Merry Platz nahmen. Zu ihm gesellten sich noch Robin und Sanji und schon düsten sie einer flinken Nami auf dem Waver hinterher zum Strand. Zurück blieben Franky, Usopp, Chopper, Zoro und Tashigi, welche sich nur kopfschüttelnd das Rettungsboot teilten und nun gemütlich lospaddelten.

„Zurück müssen wir eh mehrmals fahren“, meinte der Konstrukteur.

„Ja, mit dem Proviant können ja nicht alle gleichzeitig zurück und zum ein- und ausbooten brauchen wir ja auch immer noch wen“, ergänzte der Kanonier die Überlegung.

Der Rest im Boot nickte als Zeichen des Verstehens. Niemand sprach ein Wort und so hörte man nur das gleichmäßig Eintauchen der beiden Paddel, mit welchen Zoro und Franky das Boot langsam in Bewegung setzten. Auf der Mitte des kurzen Weges zum Strand begannen der Scharfschütze und das Rentier dann doch loszuschnattern wie zwei aufgeschreckte Gänse. Usopp erzählte von wundersamen Zauberdingen auf seiner Einkaufsliste und Chopper hoffte, das ein oder andere Becherglas erwerben zu können. Franky fühlte sich kurz darauf genervt und blubberte die beiden Tratschtaschen an, sich etwas ruhiger zu verhalten. Den Krach würde man bis zur Redline hören. Und so kabbelten sie sich eine Weile zu dritt. Tashigi blieb stumm, blickte abwechselnd aufs Wasser und dann zu Zoro. Doch jedes Mal wenn zu versuchte, einen Augenkontakt zu erhaschen, wich er ihr aus. War das ein dummes Spiel um sie zu ärgern oder lag es schlichtweg daran, dass sie nun beide nicht mehr allein und unter sich waren? Sie seufzte. Vermutlich war Letzteres der Grund, weshalb sie nun wieder der unsichtbare Mensch für ihn war. Sie kam nicht dazu, den Gedanken zu ende zu spinnen, denn ein sanfter Ruck durchs Boot und die plötzlich laute, quengelige Stimme ihre Captains signalisierte, dass sie nun den Strand erreicht hatten.

Der Strand war, ebenso wie die Bucht, nicht sonderlich groß und lag zu Füßen der einzigen Einkaufstraße der Insel. An den Schleifspuren auf dem Strand konnte man erahnen, dass wohl gelegentlich kleine Fischerboote hier aufs Wasser gesetzt und später wieder herausgezogen wurden. Unregelmäßig klecksten sich dünne Sandstreifen an das felsige Ufer, überdeckt von den wildroten Sträuchern. Es reichte zum Anlegen, aber kaum zum Baden oder Verweilen. Ein schmaler Pfad schlängelte sich fast unbemerkt zwischen den Büschen ins Inselinnere. Gemeinsam folgte sie seinem Lauf, bis sie bereits nach wenigen Kurven an ein altes, aber stabiles Lagerhaus aus schwarzem Holz kamen. Daneben lag eines der vermuteten Fischerboot. Es wäre fast nicht aufgefallen, wenn die Büsche derzeit nicht so einen farblichen Kontrast gesetzt hätten. An der schwarzen Hütte gabelte sich der Weg. Links ab wurde aus dem Pfad ein breiter Fahrweg, der tiefe Radspuren aufwies als Zeichen einer erst kürzlichen Benutzung. Rechts ab wurde der Pfad noch schmaler und wilder.

„Ok!“ riss Luffy das Wort an sich. Er war immerhin der Chef der Bande und da musste ab und zu mal etwas gesagt werden. „Jeder kann machen, was er will, aber morgen Mittag sind alle wieder hier am schwarzen Haus“, und wies mit einer unübersehbaren Armbewegung auf die Hütte. „Dann fahren wir weiter, nachdem es was zu futtern gab. Nami, wohin?“ Sanji rollte bei dem Wort „Futter“ nur die Augen, während Nami sich an eine kurze Erklärung machte.

„Meine liebste Robin hat sich mit mir zusammen noch mal durch alle Karten aus den sieben Truhen gewälzt. Dabei fielen uns viele kleine Markierungen in den Karten auf. So kleine Kästchen. Wir haben die großartige Vermutung, dass es sich hierbei unter anderem um Lagepläne der Porneglyphen handelt.“

Die Crew war erstaunt.

„Was? Wirklich?“

„Tatsächlich? Wie viele sind es denn?

„Wo liegen die denn alle?“

„Was macht euch so sicher?“ überschlugen sich die neugierigen Fragen.

Robin lächelte geheimnisvoll und gab dann bereitwillig Auskunft.

„Es ist nur eine Vermutung, aber dort, wo ich Porneglyphen gesehen habe, war auf der Karte so ein Zeichen. Das ist doch ein sehr ungewöhnlicher Zufall. Und da das nächste Zeichen ganz in der Nähe ist, könnten wir das doch leicht überprüfen. Es sind mehr als 500 Zeichen in der Karten.“

„500?!“ kam es aus allen Mündern gleichzeitig.

„Und wie viele hast du davon schon gelesen?“ erkundigte sich Usopp vorsichtig.

„121“, gab die Archäologin zurück und fügte hinzu, „Es sind einige sogar auf der Redline. Das hätte ich nicht so sehr vermutet. Unser Plan war halt, dass wir vielleicht das Kerzenrätsel lösen, wenn wir alle Porneglyphen besucht haben. Und mit der Karte wäre das sehr viel einfacher. Mit Namis Hilfe werde ich auch eine Liste erstellen, was ich wo gelesen habe. Vielleicht kann man anhand der Karte sogar ein Schema ausmachen.

Robins Augen leuchten wie Sterne und ihre Wangen glühten wie heiße Kohlestücke. Sie war dem Ziel ihrer Träume das entscheidende Stückchen näher gekommen. Der Plan klang simpel und schlüssig. Selbst Luffy hatte ihn auf Anhieb verstanden und segnete augenblicklich die ganze Aktion ab.

Franky erkundigte sich bei der Navigatorin, wo denn der nächste Steinquader mit den komischen Inschriften stehen würde. Diese lachte und nannte das Twin Cape. Luffy freute sich. Sie könnten mit Brook die Mannschaft wieder komplettieren und zudem Laboon wiedersehen. Eigentlich hatte er sich das zwar erst für den Schluss der Reise aufheben wollen, aber manchmal ging das Abenteuer eben andere Wege. Morgen Mittag wären sie also wieder auf See und hätten ein neues Abenteuer vor sich. Die Jagd nach den Porneglyphen.

„Ok, seid bitte pünktlich an diesem Treffpunkt, damit wir gemeinsam den Proviant verladen können. Das geht dann schneller. Morgen hier an der Hütte, wo sich der Weg gabelt. Den Weg dort geht es zum Schiff“, zeigte paffend der Smutje und zog an seiner Zigarette. „Kannst du dir das merken, Marimo?“

„Schnauze!“ kam es nur trotzig zurück. Ohne sich auch nur irgendeinen Ärger anmerken zu lassen, schritt der Schwertkämpfer voran.

Die kleinen schwarzen Hütten mehrten sich am Rande des Fahrwegs. Einige sahen gut gepflegt aus, andere fielen fast in sich zusammen. Jeder Inselbewohner schien hier sein eigenes privates Lagerhaus zu besitzen. Plötzlich machte der Weg eine scharfe Rechtskurve weg vom Hang, an dem oberhalb das wohlbekannte Dorf mit seiner einzigen Einkaufsstraße war. Dafür war aber in den Felsen zwischen den Büschen in unregelmäßigen Abständen unförmige Treppenstufen gehauen: eine Abkürzung zum Dorf. Die so kurz wirkende Treppe entpuppte sich dann doch als Bergsteigerparadies. Usopp sprach bereits bei Stufe 32 von Höhenangst und totaler Erschöpfung, aber auch der Rest musste nach der Hälfte des Aufstiegs feststellen, dass sie wohl hier kein zweites Mal hinaufkraxeln würden. Endlich wurde Stufe Numero 854 erklommen und somit die Hangkante erreicht. Dort war eine kleine gedrungene Mauer und ein kleiner Durchlass zur Dorfstraße. Mit hängenden Zungen lehnten die Crew an das Mauerwerk, japste nach Luft. Dabei betrachteten sie die bildschöne Aussicht auf die Bucht zu ihren Füßen und der dort ruhenden Sunny.

„Ohje, das Wetter wird umschlagen“, warnte die Navigatorin und deutete auf dunkle Regenwolken am Horizont. „Bis zum Abend sind die hier!“

„Sturm?“ fragte Sanji.

„Nein, aber ein kräftiger Guss wird über uns runterkommen“, antwortete Nami fachmännisch.
 

Die Gruppe löste sich langsam auf und ein jeder ging allein oder zu zweien seiner Wege. Die Damen zogen gemeinsam los. Sie benötigten nichts besonderes und so einigte man sich sofort ohne Worte zu verlieren aufs Shoppen. Durch das erst kürzlich vergangene Piratenfest waren wieder viele Handelswaren auf die Insel gekommen und auch bei den neusten Kollektionen der Modehochburgen fehlte nichts. Nami erfreute sich nicht nur an den neusten Klamotten, sondern auch an ihren sündhaft günstigen Preisen. Da konnte man tatsächlich mehr zugreifen, als sie tragen konnte. Viele knappe Tops, kurze Röcke und enge Jeans landeten schließlich in gut einem Dutzend Einkaufstüten. Robin hatte ihr stets zufriedenes Lächeln auf den Lippen und gab sich mit zwei neuen Hüten, drei Jacken, ein Paar Stiefeln und einer dunklen Wildlederhose zufrieden. Als sie jedoch Tashigis hilfloses Wühlen in den Klamottenbergen sah, empfand sie es als richtigen Zeitpunkt, der ehemaligen Soldatin in punkto Mode kräftig unter die Arme zu greifen. Es lag eine gewisse Schwierigkeit daran, Tashigi zu überzeugen, von ihrem Schlabber-Chaos-Look auch mal abzuweichen und stattdessen Farben und Formen vernünftig zu kombinieren. Nach unzähligen Outfits stand fest, dass ihr gedeckte, kräftige Farben sehr gut standen. Und so füllte sich langsam, aber sicher auch bei Tashigi die Einkaufstüten. Nun fehlten nur noch ein paar neue Schuhe und schon war sie komplett neu ausstaffiert. Den Regenanorak zog sie gleich über und schlug den Kragen hoch, denn Nami sollte recht behalten: Dicke Regenwolken und ein kühler Wind zogen auf. Niemand der drei Frauen wusste zwar hinterher noch, was von den Textilwaren schon probiert und was noch nicht probiert war, aber da sie in diesem Laden eine große Stange Geld lassen würden und es eh keiner wagen würden, Piraten die Meinung zu geigen, sagte keiner der Ladenverkäuferinnen auch nur ein Wort. Sie bedankten sich fröhlich für das gute Geschäft und seufzten später, als sie mit dem Aufräumen in dem kleinen Laden begannen.

Die Piratinnen beschlossen nach dem anstrengenden Kaufmarathon, es sich in einem Cafe mit einem leichten Abendessen und warmen Getränken so richtig gut gehen zu lassen. Die Lokalität war auf der Dorfstraße schnell gefunden. Und ebenso ihr Strohhutchef. Der saß mampfend über einem Berg von leeren Tellern, bestellte ebenso schnell nach, wie er futterte und trieb die Gaststätte an den Rand der Lagerkapazitäten. Die Navigatorin seufzte. Dort, wo Luffy aß, hinterblieb meist ein Saustall und Tischmanieren kannte der Strohhutjunge eh nicht. Auch wenn sie erst so tun wollte, als würde sie ihn nicht kennen, gesellte sie sich dann doch mit den beiden anderen an seinen Tisch, denn Luffy hatte sie schon überschwänglich winkend begrüßt und unverständliche Laute mit vollem Munde von sich gegeben. Es war mehr als peinlich.

„Wo sind die anderen geblieben?“ fragte Nami den Gummijungen, während sie wie die beiden anderen auf ihre Getränke warteten.

„Öhm...“, grübelte dieser. „Also Usopp, Chopper und Franky waren erst zusammen los. Dann ist Chopper bei so’ner alten Kräuterhexe Einkaufen gegangen, wo der auch Sanji angetroffen hat. Und Franky hat mit Usopp Werkzeug gekauft. Er wollte aber nicht auf Usopp warten, weil der noch in den Krempelladen wollte. Und Franky wollte wieder zur Sunny, damit die nicht solange allein und unbewacht ist. Zoro habe ich den ganzen Tag noch nicht so richtig gesehen.“

„Der war doch bei euch mit bei?“ staunte Nami etwas entnervt, nachdem sie Luffys komplizierter Aufzählung gefolgt war. „Und wo bleibt eigentlich mein Kaffee? Hey, Bedienung?“ Damit stand sie auf und ging leicht angesäuert zur Theke. Der Gummijunge fühlte sich keiner Schuld bewusst. Immerhin war er schon seit der Erklimmung der Treppe an diesem Platz. Da konnte er doch wirklich nicht wissen, wo alle sein würden.

Robin lachte und auch Tashigi fand es mehr als komisch. Einige Tassen Kaffee später tauchte der Smutje der Crew auf und wurde umgehend von den Damen zum Einkaufstütenschleppen eingeteilt. Mit einem „Natürlich, liebste Nami! Ich bin gleich wieder an deiner Seite“, wirbelte er verliebt von dannen gen Sunny wie auch immer er es geschafft hatte, gut 25 übervolle Tüten im XXL-Format gleichzeitig an den Griffen zu packen.

„Ich möchte auch noch mal los. Weiter die Straße runter gibt es einen Glaser. Vielleicht hat der wenigstens eine Sammellinse als Brillenersatz“, meinte Tashigi und erhob sich. Der Rest nickte ihr fröhlich zu.

Als sie durch die Tür des kleinen Gasthauses ging, wehte ihr ein kalter Wind entgegen. Mit ihm trieb rotes Laub wie aufgeschreckte Fliegen durch die Straße und verlor sich hilflos über dem Abhang zum Meer hinüber. Jenes hatte ein unruhiges grüntürkis angenommen und wirkte mit den gekräuselten Oberfläche dreckig. Tashigi trat vom Eingang der Kneipe weg und blickte über die Mauer hinunter in die Bucht. Auf den Wellenkämmen bildeten sich grauweiße Schaumkrönchen. Ihr Piratenschiff schaukelte aufgebracht auf und ab und schien so seine Crew anzuprangern, die es ganz allein gelassen hatten. Es war die richtige Entscheidung des Schiffbauers gewesen, zurück zur Sunny zu gehen bei diesem Wetter. Hoffentlich könnten sie morgen überhaupt auslaufen. Sie lächelte. Natürlich würden sie auslaufen. Sie waren Piraten. Denen war das Wetter egal. Die Himmel hatte sich verfinstert. Dicke, graue Wolken hingen tief herunter und jagten sich gegenseitig, so dass sie sich zerfetzten. Die ersten dicken Regentropfen begannen zu fallen. Wenn sie nicht klitschnass werden wollte, dann musste sie sich beeilen. Und so rannte sie gegen den Wind die Straße entlang, um den Glaser mit einem mehr als ausgefallenem Wunsch heimzusuchen. Aus den einzelnen Tropfen wurden Wasserfäden. Innerhalb von Sekunden schüttete es wie aus Eimern und verwandelte die Straße in einen Fluss. Nass bis auf die Knochen stürmte sie die kleine Glaserei, wo ihr schon im Eingang große Hitze vom Brennofen entgegen schlug. Tatsächlich bekam sie so eine Sammellinse. Dankend zahlte sie und ließ das kostbare Glas in ihre Anoraktasche fallen. An dem rauschendem Trommeln auf dem Dach hörte sie, dass der Regen noch nicht nachgelassen hatte. Sie würde wohl noch etwas verweilen müssen, bis der Regen nachließ.
 

Nicht sehr weit entfernt von der Glaserei und somit auch von der Dorfstraße lag der Tempelhügel. Er war einer der höchsten Punkte der Insel und bei gutem Wetter bot sich dem Besucher eine herrliche Aussicht über das gesamte Areal. Jetzt jedoch war es ungemütlich geworden. Der Wind blies kräftig über den platten Bergkopf und rüttelte an dem kleinen Tempelschrein wie ein Stier, der mit gesenkten Hörnern Anlauf auf ein rotes Tuch nahm. Die tiefen Regenwolken hingen an dem flachen Gipfel fest und hüllten in nassen Nebel.

In dem Tempel hockte der alte, bucklige Mönch hinter den Holzläden und lugte hindurch auf den Vorplatz. Er kannte die Wetter hier oben seit Jahrzehnten und gab seinem Gast einen Rat:

„Es wird Zeit zu gehen für dich, mein Freund! Sonst verwandelt sich die Treppe in einen reißenden Wasserfall und dann wird der Abstieg ungemütlich. Wann legt ihr wieder ab?“

„Morgen gegen Mittag, wenn alles verladen ist“, antwortete Zoro ruhig und ließ den Nachmittag vor seinem inneren Auge noch einmal Revue passieren.

Schnell hatte er sich gegen Mittag von den anderen Strohhüten getrennt und war ziellos in eine andere Richtung gegangen. Die Ereignisse der letzten Tage wollte er allein für sich ordnen. Die Bande würde da nur stören. Irgendwann stand er dann am Spätnachmittag vor der Treppe, die ihm unheimlich bekannt vorkam, aber nun bei Tageslicht für einen Roronoa Zoro absolut nicht mehr einzuordnen war. Wie so alles, was mit Orientierung zu tun hatte. Am Schrein angekommen, hatte er sich dann in der Windschattenseite des Schreins niedergelassen und war kurz darauf von dem kleinen Mönch, der übrigens Arax hieß, angesprochen worden.

„Du kannst die hier oben alle sehen, oder?“ hatte er gesagt, dabei auf die ganzen Geisterseelen gedeutet und dabei so ein unverschämt gütiges und allwissendes Lächeln wie Koushirou auf den Lippen gehabt. Allein diesen Wink einer Erinnerung verdarb Zoro den Spaß an der Ruhe und machte den kleinen Wicht verdächtig.

Dennoch gab er sich halbwegs nett und bejahte die Frage in der Hoffnung, Arax gleich wieder loswerden zu können. Doch der kleine Mann wollte sich so nicht abspeisen lassen. Er nahm neben dem Schwertkämpfer Platz und war durch seine geringe Größe auch im Sitzen nicht höher als die Schulter Zoros. Im Gegensatz zu der vergangen Vollmondnacht, trug Arax nun aber nicht sein simples Kuttengewand, sondern einen wertvollen Seidenkimono, in dem bordeauxrote Dreiecke eingewebt waren, die sich kaum von dem schwarzen Stoffuntergrund abhoben. Das ganze sah sehr teuer und elegant, fast festlich aus.

„Ich weiß Bescheid über dich und wollte dich neulich schon ansprechen, aber das wäre wohl nicht gut gekommen in dem Moment“, fuhr das Männlein unbeirrt fort.

„Hm?“ Argwöhnisch betrachtete Zoro seinen Gesprächspartner. Jemand, der Ahnung hätte und Bescheid wisse? Woher das denn? Der Typ wurde immer suspekter.

„Na, das Mädchen, was so traurig wegen dir war. Wie geht es ihr?“

„Du bist ganz schön neugierig!“

„Du beantwortest meine Frage nicht.“

„Was weiß ich, wie es ihr geht ...“ Der Schwertkämpfer verspürte keine Lust, weiter über dieses Thema zu plaudern.

„Du lügst“, stellte der Mönch nun breit grinsend fest und sein Grinsen wurde noch breiter, dass es von einem Ohr zum anderen reichte. „Grünhaarig, hitzköpfig, vorschnell, hochmütig, aggressiv, aber auch müde, genervt, zielstrebig, treu... Du und alle aus deiner Linie. Ihr seid alle sehr ähnlich, um nicht zu sagen: gleich.“

„Was weißt du?“ brach es laut und aggressiv aus Zoro hervor. Das ging nun doch zu weit und auf keine Kuhhaut mehr. Wenn der Kerl neben ihm etwas zu sagen hatte, dann sollte er das jetzt tun oder sich andernfalls zurück in seinen Schrein verziehen und ganz fest die Tür hinter sich zunageln.

Und so begann Arax kurz und knapp zu erzählen, wie es einst die Prismenträger mit großer Macht gab und dass sich um diese Prismen eine Religion und einen Kult entwickelte hatte. Er selbst würde das rote Prisma und seine Eigenschaften favorisieren, obwohl er selbst nicht so genau wüsste, wer oder was das wäre. Aber er würde feste daran glauben, zeigte stolz seinen Kimono und es wäre mehr als ein Weltwunder ein echtes Kalikind neben sich sitzen zu haben. Den die Kalikinder wären ja das Nonplusultra in diesem Kult.

In Zoros Kopf kitteten sich winzigste Scherben aus Informationen der letzten Wochen und Monate zusammen. Nun wurde ihm klar, warum das Orakel im Haus der Stille von Rot, Gelb und Blau sprach. Selbst die Panzerreiter auf der Redline waren nun kein Rätsel mehr. Sie gehörten wie die Alte in dem Bauernhaus im Schnee und der Wirt aus dem Blitzableiterschüsselhaus zum gelben Prisma. Das alles war ein Teil von Raftels Geschichte und auch die Kalikinder gehörten zu dieser Geschichte. Wie, war noch unklar, aber die Antworten würden schneller kommen als jemals gedacht. Auf jeden Fall schien sich alles um eine große, düstere Sekte zu drehen, wo Zoro doch so rein gar nicht an Götter glaubte. Das passte wie die Faust aufs Auge.

Der Schwertkämpfer seufzte innerlich. Er hatte vor Kurzem beschlossen, sich seinem Schicksal zu fügen. Und dazu gehörte wohl ein ganzer Rattenschwanz an Mysterien, die nicht sonderlich nach Spaß schrien.

In diesem Moment tröpfelten die ersten Regentropfen von einem zerfetzen Wolkenhimmel herab.
 

Tashigi wusste nicht, wie lange sie gewartet hatte, doch der Regen wurde einfach nicht weniger. Wenn er doch nur ein kleines bisschen abgenommen hätte. Doch solche Wünsche wurden selten erhört. Also zog sie die Kapuze über den Kopf und ging hinaus in die Nässe. Es war bereits Abend und dunkel, wodurch ihr die Orientierung sehr schwer viel. Sie ging langsam voran und hoffte, den richtigen Weg zum Schiff zu finden, doch nach einer guten Stunde Marsch durch nasse Pfützen und Matsch wurde ihr schnell gewiss, dass sie auf dem Holzweg war. Sie hatte sich verirrt. In der Ferne leuchtete etwas. Heller Lichtschein aus den Fenstern eines Haus! Vorsichtig schlich sie sich an, stolperte aber über ihre Füße und war nach weiteren Metern über und über mit Matsch bezogen. Leise fluchte sie und spähte durch ein Fenster.

„Verdammt!“ entfuhr es ihr leise. Sie war an den Ruinen des kleinen Marinestützpunkt gelandet. Notdürftig waren hier schon wieder erste Mauern gezogen worden. Im Inneren saßen eine Handvoll wachhabender Offiziere und zu allem Unglück ihr ehemaliger Chef. Soviel Pech konnte man doch kaum haben. Wenigstens war Hina nirgends zu sehen.

„Wen haben wir denn da?“ tönte eine männliche Stimme und schon spürte Tashigi eine Pistole im Rücken. Ein Angriff ihrerseits wäre nun der vollkommen falsche Weg gewesen, weshalb sie sich entschloss, den Anweisungen des Wachsoldaten Folge zu leisten. Langsam schob sich das ungleiche Pärchen von draußen in das wohlig warme Innere des Notgebäudes. Schon in der Eingangstür drang der Gestank von Tabak in ihre Nase und sie musste sich eingestehen, dass sie diesen von früher gewohnten Geruch absolut nicht vermisst hatte. Obwohl sie es verhindern wollte, schwappte bei jedem Schritt Regenwasser aus ihren durchnässten Schuhen und die Dreckflecken auf dem Fußboden mischten sich herrlich zu einem Matschmuster. Im Großen und Ganzen, war es ein elendiger Auftritt.

Der Qualmer saß mit dem Rücken zu den gerade Hereingekommenen, hörte sich die Meldung des Soldaten an und zeigte keine Regung.

„Ok, ihr Pfeifen! Ihr verlasst alle den Raum und verzieht euch oben auf eure Unterkünfte. Wehe, es kommt auch nur einer raus, bevor ich es sage!“ drang es rauchig aus Smokers Mund. Die Soldaten flitzten los. Strafen von Smoker sollte man sich niemals einfangen.

Noch immer zeigte der Admiral keine Regung. Ungewohnt ruhig klang seine Stimme.

„Du wagst es noch, hierher zu kommen?“

Tashigi traute sich nicht, den Mund aufzumachen aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Das einzige, was sich bewegte in diesem Moment, war der Rauch von Smokers Zigarren.

Eine Sekunde später plumpste draußen vor der Tür etwas unsanft nieder. Die Eingangstür flog aus den Angeln und eine weitere, regennasse Person betrat das Gebäude. Den Fußstapfen zu urteilen, war die Gestalt extrem missmutig.

„Den hatte ich schon fast vermisst...“ ergänzte Smoker weiterhin gelassen, aber dennoch ironisch, über Zoros plötzliches Erscheinen. Dem Qualmer war nicht zu entnehmen, ob er über diese bizarre Treffen sich freuen oder heulen sollte. Zumindest warf er niemanden raus: „Und glaube man ja nicht, dass ich euch beide nun ziehen lasse!“

Der Admiral wirbelte herum. Eiskalter, weißer Rauch schlängelten sich wie Schlangen auf ihre Opfer zu.

„Das hat letztes Mal schon nicht geklappt und wird es diesmal auch nicht“, konterte der Schwertkämpfer trocken, lässig im Eingangsbereich stehend mit den Händen in den Hosentaschen. Er hoffte inständig, dass ihn seine unkontrollierbaren Kräfte nun nicht im Stich lassen würden.

Smoker wusste mit dieser Aussage nichts rechtes anzufangen. Klar erinnerte er sich an den Vorfall vor einigen Tagen unten in dem Kerkerlabyrinth. Allerdings war es dort stellenweise zu dunkel gewesen, um die möglichen Ursachen seines Scheiterns zu analysieren. Letztendlich schob er es in die Schublade „Unerklärliche Phänomene“ und damit war die Sache für ihn abgehakt. Er staunt dann im nächsten Augenblick nicht schlecht, als die Nebelschlange seine beiden Kontrahenten nicht wie geplant fesselte, sondern wie eine kreisförmige Spirale gen Zimmerdecke flog und sich dort verflüchtigte. So sehr er sich auch anstrengte, um den weißen Rauch zu verfestigen, waren seine Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Innerlich tobte er, aber nach außen hin durfte man sich so eine Verzweiflung niemals anmerken lassen. Aus schmalen Augenschlitzen und mit versteinerter Miene konnte er nur noch mit ansehen, wie der grüne Teufel seine ehemalige Untergebene am Arm packte und mit sich zog. Dabei wanderte ein schwarzer Klacks zu deren Füßen wie ein Schatten mit den beiden mit.

„Was zur Hölle bist du? Hast du eine Teufelsfrucht gegessen?“ brüllte er dem Piraten hinüber, noch bevor dieser durch die Tür entschwinden konnte. Smoker war sichtlich genervt.

Zoro blieb abrupt stehen, dachte einen Moment nach und sagte ohne seinen Feind anzusehen: „Finde es raus!“

Dann ging er ohne auch nur ein einziges Mal nach hinten zu sehen, denn er wusste, dass der Admiral sich nicht rühren würde. Er konnte es fühlen. Ganz anders erging es Tashigi. Sie ließ sich tonlos mitziehen. Zoros Griff an ihrem Oberarm glich einem Schraubstock und schmerzte höllisch. Sie kam nicht davon ab, ein allerletztes Mal über ihre Schulter hinweg zu ihrem ehemaligen Chef zu blicken. Es war nur kurz, aber es war wie ein Abschied. Fast hätte sie gemeint, so etwas wie einen Hauch von Traurigkeit in Smokers Gesicht erkennen zu können. Aber vielleicht spielte ihr die Fantasie auch nur einen dummen Streich. Das Kapitel namens Marine war abgeschlossen.
 

Draußen prasselte der Regen immer noch wie die Salven eines Maschinengewehres. Er durchtränke die Kleidung in Windeseile mit eisiger Kälte. Jeder Tropfen auf der Haut fühlte sich wie Hagelkörner an. Wenigstens war es fast windstill.

Ebenso scheußlich wie das Regenwetter empfand Tashigi den Rückweg. Kaum draußen auf dem Vorplatz angekommen, hatte Zoro sie losgelassen. Nun stapften sie beide durch die schwarze, nasse Nacht zurück zum Dorf. Kein Wort hatten sie mit einander gewechselt. Nicht mal einen Blickkontakt. Sie war wieder der unsichtbare Mensch und bereits nahe der Annahme, dass er mehr als sauer war. Wieder einmal hatte sie sich selbst in Schwierigkeiten gebracht und wieder einmal hatte er sich aus dem Schlamassel befreit. Tausend Gedanken kreisten ihr durch den Kopf, warum er wohl plötzlich aus dem Nichts dort aufgetaucht war oder warum er so schlecht gelaunt war oder, oder, oder... Sie hielt es für besser, zu schweigen. Schon einmal hatte sie miterlebt, dass Zoro auch gewaltig explodieren konnte. Das schien zwar nur in den allerseltensten Fällen zu geschehen, aber haben musste sie das definitiv nicht.

Der Regen hatte die schmalen Pfade in zu Tale stürzende Bäche und Moraste verwandelt. Das Vorankommen wurde immer schwieriger. Arax sollte also recht behalten, dass man bei diesem Wetter lieber zuhause blieb. Nach einer gefühlten Unendlichkeit tauchten in einigen Metern Entfernung die Dorfstraße auf. Zoro hielt inne.

„Wir sollten heute Nacht hier oberhalb bleiben. Bei der Pampe kommen wir eh nicht unten am Strand an. Oder willst du da heute noch runter?“

Die Antwort war ein undefinierbares Nicken.

„Was ist los? Du redest doch sonst auch immer wie ein Wasserfall?“

„Ich dachte, du wärst sauer auf mich. Ich wollte da nicht hingehen. Aber die Dunkelheit. Und ohne meine Brille...“ Verschämt senkte sie den Kopf zu Boden.

„Nein, bin ich nicht. Aber Smoker wird nun nachforschen, was da gerade passiert ist. Das ist alles.“

Tashigi fühlte sich beruhigter. Ihr war klar, dass dieses eben eines der Gespräche waren, die nur sie beide etwas angingen und sonst niemand. Genauso wie das, was sie in das Buch schrieb. Sie hatte es ihm zum Geburtstag übergeben wollen. Jedoch bekam sie es einige Tage später zurück.

„Schreib weiter!“ hatte er sie beauftragt und da hatte sie sich doch schon etwas stolz gefühlt.

Einige Minuten später stellten sie sich unter einer Veranda eines einfachen, leer stehenden Steinhauses unter. Das Nachbarhaus und somit auch der Ortseingang lagen noch einige Meter weiter den Weg entlang. Der Schwertkämpfer ging davon aus, dass heute niemand mehr hier entlang geistern würde und kurzerhand war das Vorhängeschloss an der Tür geknackt. Das Haus war typisch für die Gegend. Die Tür und Fensterläden aus schwerem Holz waren bunt bemalt, die Wände unverputzt grau und der hintere Gebäudeteil war in den Fels eingelassen. Es war vielmehr ein Häuschen, denn der quadratische Raum hinter der Eingangspforte maß vielleicht gute 5 Meter Länge. Die Schlafecke war etwas erhöht auf einem Podest in der hinteren Ecke. Im vorderen Bereich war ein winziger Tisch und ein Regal mit Konserven, ein Paravent verbarg einen Waschzuber und ein kleines Waschbecken. In der Mitte von allem war eine Feuerstelle. Eine feine Staubschicht auf Boden und Möbel gab Gewissheit, dass der Bewohner wohl schon länger ausgeflogen war. Dennoch war alle sehr ordentlich hinterlassen worden.

Erstaunt stellte Tashigi fest, dass der Wasserhahn tatsächlich sauberes Wasser fließen ließ und so gab sie an, sich den Dreck von Haut und Haar abzuschrubben und sich dann schlafen zu legen. Der Tag heute würde ihr reichen. Kaum gesagt, hörte man schon Wasser plätschern und die nasse Kleidung hing schief über dem Paravent zum Trocken. Zoro zuckte nur mit den Schultern und inspizierte das Regal, nachdem er eine Kerze in die Finger bekam. Der Magen hing durch und gab böse Worte von sich. Eine Sakeflasche wurde gefunden und sofort entkorkt. Nach einem kräftigen Schluck fragte er durch den Raum:

„Ramen oder Birnen?“

„Hm?“

„Mehr Essbares gibt es nicht“, meinte Zoro und hielt seiner Süßen beide Konservendosen hin. Bei der übersichtlichen Essensmenge war man sich einig, beide Dosen auszulöffeln. Es war stellenweise schwierig für den Schwertkämpfer, nicht laut loszulachen, denn Tashigi war einfach sie selbst und hatte es zustande gebracht, das komplette Repertoire an Linkshändigkeit binnen von Sekunden an den Tag zu legte. Und so beließ er es bei einem amüsiertem Schmunzeln, als sie sich erst an der Dose schnitt, dann die Zunge am heißen Suppenlöffel verbrannte und zu guter letzt die Birnenstücke auf dem großen Badetuch verteilte, welches sie umhüllte. Unzufrieden über ihre eigene Tollpatschigkeit trollte sie sich umgehend unter die Bettdecke, wo sie aus einem Deckenspalt heraus in den dunklen Raum spähte und ihren Freund beobachtete, wie dieser sich ein Tuch schnappte und seine Katana von der Regenfeuchtigkeit befreite.

„Es leuchtet nicht mehr“, stellte sie fest, als Zoro den Lappen einmal über die Klinge des Wadôichimonji zog und es prüfend in den Feuerschein hielt. Immer noch glänzte es wie frisch poliert und geschmiedet, doch der wundersame blauweiße Glanz, der das Schwert magischen wirken ließ, war seit dem Einlösen des Versprechens verschwunden.

„Ja, das ist wohl so...“ antwortete er ihr mit einem Seufzer in der Stimme.

Auf dem Dach trommelte unbeirrt der Regen. Es gluckerte und blubberte vor der Eingangstür. Ein Klang dafür, dass auch die Dorfstraße nun mehr einem Wildwasserbach glich. Shûsui – klares Wasser im Herbst. Auch wenn der Regen so vertraut und beruhigend gleichmäßig auf die Erde tropfte, so zerstörerisch waren hinterher die Wassermassen, die sich sammelten und Hänge, Böschungen und alles andere, was sich ihnen in den Weg stellte, in braunen Schlammwassern mitriss. Vielleicht hieß das Shûsui deshalb so, weil es eine ebenso starke Wirkung hatte, wie draußen der Herbstregen. Aber die Schwertschneide war immer ungetrübt glänzend. Die Schmiede der Schwerter hatten sich sicherlich etwas orakelhaftes bei der Namenswahl ihrer Meisterwerke gedacht. Zoro hatte sein Putzwerk vollendet und seine Katana an die Wand gelehnt.

„So nass und dreckig kommst du hier nicht rein!“ beschwerte sie sich. Das Bett war zwar nicht sonderlich kuschelig, sondern leicht kratzig, aber warm und trocken. Im Gegensatz zu ihr hatte sich Zoro nicht um seine klatschnasse Kleidung gekümmert. Nun saß er dort leichtschräg auf der Bettkante und hinterließ einen Wasserklecks auf dem Laken. Das ging gar nicht!

Mürrisch richtete sie sich auf, um ihn runterzuschubsen. Das machte ihm aber rein gar nichts aus, entledigte sich seiner Stiefel und schubste sanft zurück. Der kleine Engel wurde gerade wieder biestig, wenn er maulte. Gerade so fing sie die Gegenwehr ab, konnte aber nicht verhindern, dass ihr Handtuch runterrutschte und ihre Schulterblätter und Rücken entblößten. Mit einer Hand knüllte sie den oberen Handtuchsaum, um nicht gleich vollkommen frei zu sitzen, mit der anderen Hand knuffte sie den Schwertkämpfer kräftig in die Seite. Piraten waren einfach frech und dieses Exemplar schien darauf eh ein Dauerabonnement zu besitzen. Also wäre noch ein zweiter Knuffer angebracht. Soweit kam sie nicht, denn er ließ sich langsam mit ihr zurück aufs Bett sinken, während er sie küsste. Sie ließ ihn genießerisch gewähren, schlang ihre Arme um seinen Oberkörper, nur um im nächsten Moment mit ihren Fingerspitzen langsam seinen Rücken hinauf zu gleiten. Sanft griff sie in den Stoff seines Hemdkragens und zog daran bis es nachgab und das Hemd leise irgendwo neben dem Bett zu Boden fiel. Sie war verrückt nach diesem Kerl und wollte ihm nahe sein. Näher als sonst und bisher. Ebenso rhythmisch wie der prasselnde Regen verschmolzen in dieser Nacht zwei Körper und fühlten sich eins. Sie liebten sich dieses und noch ein weiteres Mal bis die Müdigkeit stärker wurde und sie in sein eigenes Reich des Schlafes holte.
 

Es war weit nach Mitternacht, als Zoro ruckartig aufwachte. Etwas hatte sich verändert und etwas schlich die Straße draußen entlang. Schnell war er hellwach und witterte gedanklich in die Umgebung hinein. Nein, dort war nichts bis auf eine Handvoll Raben, die sich draußen krächzend von einem Baum in den Himmel erhoben. Das Trommeln auf dem Dach war verklungen. Der Regen hatte aufgegeben. Dennoch erhob er sich, schlupfte nach einer Weile suchen in seine Unterhose, nahm auf dem Weg zur Tür automatisch die Sakefalsche mit, in der noch ein winziger Rest schwappte und ging auf die Veranda.

Die Wolkendecke war aufgerissen und vereinzelte Fetzen jagten noch vom Wind gepeitscht über das Firmament. Sterne funkelten dazwischen und schienen die Wolken wie ein großes Publikum bei einem Wettrennen anzufeuern. Es war ein unruhiger Himmel und es roch nach dem Meerwasser, was aufgeregt rauschte unten an den Ufern der Insel. Er ortete die anderen Crewmitglieder. Drei waren auf dem Schiff, zwei unten bei der schwarzen Hütte und der Rest wohl noch immer in der Dorfkneipe. Alles war friedlich.

Zoro starrte in die Nacht und zu den Sternen. Ob das zwischen ihm und Tashigi wirklich so eine gute Idee war und besonders das, was noch vor ein paar Stunden geschah. Die Antwort lag irgendwo, aber nicht in Griffweite. Er kratze sich am Kopf und atmete einmal tief und kräftig durch. Naja, würde schon passen. Er wollte sich einen Schluck genehmigen und hielt dann aber inne. Nein, jemand wie sie hatte es nicht verdient neben einem nach Alkohol stinkenden Kerl zu pennen. Und so geschah etwas, was zuvor noch nie geschehen war. Zoro drehte die Flasche auf den Kopf und sah, wie der Sake auf den Verandaboden plätscherte. Die Flasche flog weit auf der anderen Straßenseite in die Büsche. Er stand noch etwas an Ort und Stelle blickte der Flasche hinterher, obwohl sie in der Dunkelheit nicht auszumachen war. „Eigentlich schade drum, aber was soll’s“, dachte er sich und ging zurück zu ihr.

45 - Feinde

Der Wind hatte in den frühen Morgenstunden gedreht und war zu einem wahren Sturm angewachsen. Keck peste er die Hänge hinauf und rüttelte die Insulaner aus ihrem Schlaf, indem er wild an den hölzernen Fensterläden und Türen riss. Dabei gingen Dachziegeln schmetternd zu Boden, leere Holzkisten zerlegten sich polternd in ihre Einzelteile und das Gehölz ließ reichlich rotes Laub fallen wie ein blutroter Schneesturm. Die Morgensonne schickte spärliche Strahlen zur Erde, doch zerfetzte Sturmwolken unterbrachen immer wieder die Lichtverbindung. Ein abwechselndes Spiel von Licht und Schatten.

Auch Tashigi wurde durch das ungewöhnlich laute Klappern der Fensterläden geweckt. Im ersten Augenblick verwirrt, wo sie überhaupt war, blinzelte sie umher. Die Kerze war schon lange heruntergebrannt. Somit war es fast stockdunkel in dem kleinen Raum. Nur ein fahles Licht fiel durch die Ritzen der Bretter von Tür und Fenstern. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Auch wenn sie Entferntes nur verschwommen sah, so konnte sie alles im Umkreis von drei bis vier Metern schon wieder recht gut ausmachen. Chopper sollte recht behalten, dass sich die Augenstärke auch verbessern könnte, wenn man ihnen nur die Chance dazu gab. Schon jahrelang war sie mit ihrer alten Brille herumgerannt ohne die jährlichen Kontrolluntersuchungen gemacht zu haben. Vielleicht hätte sie schon viel früher keine so starke Brille benötigt wie zuvor.

Sie machte eine grobe Schätzung, wie spät es wohl sein mochte. So oder so war es Zeit zu gehen. Leise beugte sie sich zu ihrem Freund hinunter und verteilte einige zärtliche Küsse auf seinem nackten Schulterblatt. Zwischen den Narben unzähliger Kämpfe auf seiner Haut schlängelte sie sich sanft einen Weg hinauf bis zu seinem Nacken. Sie lächelte, als sie zur Antwort ein undefinierbares, kurzes Murren erhielt. Eine Schlafmütze ohnegleichen. Doch es half alles nichts. Sie mussten zurück zum Schiff, wenn sie das Auslaufen nicht verpassen wollten. Bereits eine Viertelstunde später waren sie reisefertig und stemmte sich Zoro gegen die schmale Eingangstür, welche von außen vom Wind in ihren Rahmen gepresst wurde.

Kaum vor der Tür angelangt, bot sich den beiden ein trauriger Anblick. Schlamm bedeckte die Straße, Geröll lag herum und entwurzelte Büsche lagen quer. Über allem tanzten die roten Blätter einen wilden Hexenreigen. Aufgrund der schlechten Wegstrecke und den starken Böen kamen die beiden Piraten nur langsam voran.

„Mooooo’gääääääääääääääääääääään!“ brüllte es plötzlich über die ganze Straße des kleines Dorfes. Es war lauter als der Sturm, lauter als das Klappern der fliegenden Gegenstände, strahlender als die Sommersonne und eindeutig einem Sprecher zuordnungsfähig.

„Wollt ihr auch was vom Frühstück abhaben?“

Zoro hob verschlafen den Kopf an und blinzelte durch Schlafaugen auf die Figur mit Strohhut, die dort drüben nahe der Kneipe stand wie eine Aufziehpuppe und wild mit den Armen fuchtelte. Es war ein endloses Rätsel, weshalb der Strohhutträger es niemals schaffen würde, sich halbwegs zivilisiert und unauffällig zu benehmen. Es wäre sinnlos, sich Luffys Ideen zu widersetzen. Also folgten Zoro und Tashigi diesem Aufruf. Etwas Essbares im Magen wäre so früh am Morgen grundsätzlich nie verkehrt.
 

„Mensch, Luffy! Nich’ so laut!“ beschwerte sich der Kanonier der Strohhüte. Er lag halb über der Tischplatte und hielt sich genervt seinen dröhnenden Schädel einer durchzechten Nacht. Die beiden Neuankömmlinge gesellten sich samt ihrem Captain zu ihm, schlürften einen Kaffee und aßen feinste Buttercroissants mit süßer Marmelade. Nebenbei tauschte man sich über die Abfolge des Tages aus und filzte die frisch eingetroffene Morgenzeitung. Es stand auf den ersten Blick nichts wahnsinnig Neues drin. Luffys Vater beherrschte zusammen mit seinen revolutionären Gruppen nun endgültig die gesamte Südhalbkugel und baute ein Staatssystem auf, während die Nordhalbkugel im Wetterchaos und einer Eiswüste verschwand. Der Strohhutjunge las zwar nie Zeitung, doch erstaunt verschlang er ausnahmsweise mit den drei anderen den Artikel, dass die fünf Weisen nicht länger ihre Ämter als Regierungschefs ausüben würden, sondern eine Frau namens Yurenda Ly’Wendt. Ein großes Farbfoto zierte die Titelseite und auch ihre bewegte Rede war abgebildet. Eine äußerst merkwürdige Dame mit ungeahnten Mächten und politischen Ambitionen. Es konnte nur von Tashigi kommen, zu überlegen, wem sich nun die Marine oder die sieben Samurai der Meere komplett unterstellen würden. Da die Weltregierung nun nicht mehr amtierte, hatten diese beiden Gruppen auf einen Schlag ihren Befehlshaber verloren. Der Gedanke war an sich nicht dumm, aber mit solchen Dingen wollte man sich nun nicht sofort den Tag verderben und schob das Thema vorübergehend beiseite. Also kauten sie noch die letzten Croissants weg, während Luffy noch einmal Nachschlag bei der süßen Bedienung orderte. Sie war noch nicht alt, wirkte recht unschuldig, verstand es aber, Männer mit einem Augenaufschlag umgehend in ihren Bann zu ziehen. Auf ihren Schuhen mit viel zu hohen Absätzen stöckelte sie zurück hinter den Tresen und verschwand süß lächelnd nach nebenan. Tashigi ballte in der Jackentasche eifersüchtig die Faust, die sofort in das Gesicht des jungen Dinges fliegen würde, falls sie noch einmal so nahe um diesen Tisch herum schlawenzeln würde. Jäh wurde sie abgelenkt, als Luffy ausrief:

„Hier! Schau mal!“

Er hatte die Beilagen der Tageszeitung durchforstet und hielt einen Steckbrief vor Tashigis Nase. Das Bild war halbwegs gut getroffen und die Summe von 5 Millionen Berry war für den Anfang auch nicht wenig, aber dennoch brach für die ehemalige Marineoffizierin eine komplette Welt zusammen. Eben stand sie noch auf der Fandungsliste für Hochverräter und nun schon besaß sie ihren eigenen Steckbrief. Sie war fassungslos und am Boden zerstört. Natürlich war es voraussehbar und nur eine Frage der Zeit gewesen, dass man auch ihr einen Steckbrief verpassen würde. Dennoch traf es sie wie einen Schlag. Sie war nun endgültig aus der Marine rausgeflogen und wie die anderen Strohhüte ein Pirat. Doch sie versuchte es mit Fassung zu tragen.

„Das Foto geht ja noch ...“

Wo auch immer der Fotograf das Bild geschossen haben musste, so hatte er ihre Gesichtshälfte erwischt, die sie nicht als Schokoladenseite anpreisen würde. Ihr Blick auf dem Bild ging leicht zum Boden, ihre Haare hingen in nassen Strähnen herunter, konnten aber nicht die feine rosafarbige Narbe auf ihrer Wange überdecken. Selbst den Schatten, den der rote Schmetterling auf ihrem Hals als Abdruck hinterlassen hatte, konnte man ansatzweise erkennen. Anhand der durchnässten Kleidung auf dem Bild mutmaßte sie, dass das Bild gestern Abend entstanden sein musste, nachdem sie Smoker in die Arme gelaufen war. Sorgfältig faltete sie das Stück Papier zusammen und steckte es in ihre Jackentasche.
 

Zoro lehnte sich nachdenklich über diesen Umschwung der Weltgeschichte auf seinem Stuhl zurück und wandte sich dann an Usopp:

„Hey, kriegst du noch den Orkalspruch zusammen?“

„Wieso? Du warst doch dabei oder hast du wieder gepennt?“ Usopp war mit Kopfschmerzen gesegnet und derzeit nicht sonderlich an Erinnerungsgeschichten interessiert.

„Klappe! Ja oder Nein?“

„Ja ... Aua, nich’ so laut!“ er wollte gerade beginnen, als Zoro ihn zurückhielt. Dieser blickte unauffällig aus den Augenwinkeln um sich. Es war merkwürdig still geworden in der Kneipe. Die Bedienung ließ zulange auf sich warten. Und als sie dann doch auftauchte, war sie durchsichtig bleich und nur noch für einen Hanyô sichtbar. Für die übrige Welt war sie tot und entschwunden. Blut floss ihr aus der aufgeschnittenen Kehle. Ihre Augen waren verheult. Flehend sah sie zu ihren Gästen hinüber, die sie gerade eben noch bedient hatte und nun nicht mehr Teil ihrer Welt waren. Ein unschuldiges, sinnloses Opfer.

In der Ecke dieses Gasthauses saß immer noch ein komischer Kerl. Klein, untersetzt und eine Kartoffelrübe als Kopf. Zumindest sah es der Form nach so aus. Schon längst hatte er seine Tasse Kaffee geleert und nagte langsam an dem beiliegenden Keks, um Zeit zu schinden. Auch wenn er sich hinter der Zeitung versteckt, beobachtete er doch jeden Millimeter. Er hätte sich wohl besser Handschuhe anziehen sollen, denn sein gelbes, dreieckiges Tattoo auf dem Handrücken verriet seine Absichten. Vielleicht wollte er aber auch gar nicht unerkannt bleiben. Der Feind war da. Warum zum Teufel hatte er ihn nicht gespürt? Der Kerl verstand es also, sich einem Hanyô gegenüber unsichtbar zu machen. Wenn der das konnte, dann konnten das auch andere. Da war der Schwertkämpfer schlagartig überzeugt.

„Wir gehen! Sofort!“ zischte er nur. Unverständliche Blicke sahen zu ihm hinüber, doch niemand sagte etwas bis auf Luffy, der dem allen nicht so recht folgen konnte.

„Was? Ich hab’ noch nicht aufgegessen. Da kommen noch 73 bestellte Portionen ...“ beschwerte sich der Gummijunge gnatzig. Bedröppelt erhob er sich und schlürfte den dreien hinterher vor die Tür auf die Straße, wo sie nun zu viert die Umgebung abschätzten. Auch wenn er der Kapitän war und die Richtung ihrer Butterkreuzfahrt angab, konnte er sich auf das Gespür seines engsten Mitstreiters verlassen. Da gab es zumeist nichts zu rütteln.

Aus den Augenwinkeln blickte Zoro zu allen Seiten entlang und musterte die Umgebung. Das stürmische Wetter täuschte ihn nicht darüber hinweg, dass sich das Dorf seit der letzten verstrichenen Stunde krass verändert hatte. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ausgestorben. Obwohl man keine Leichen sah, krochen deren Geister verwirrt über ihr Schicksal durch die Winkel und Gassen und suchten heulend nach Erklärungen für dieses Massaker. Das Böse hatte die Oberhand in diesem kleinem Hort des ehemaligen Friedens ergriffen. Ein Grummeln näherte sich, doch es war kein Gewitter. Es war das Klappern von frisch beschlagenen, schwarzen Pferden in gepanzerten Rüstungen. Sie nährten sich und die schwarzen Donnerwolken folgten ihnen. Wie zum Teufel waren die so schnell auf die Insel gekommen?

Ein Grinsen voller Kampfeslust legte sich auf das Gesicht des Schwertkämpfers. Beim letzten Mal hatten sie den geschlossenen Rückzug angetreten, doch diesmal wusste er mehr über seinen Feind. Garantiert würde da gleich eine Masse an Panzerreitern ihren Weg kreuzen und er würde keinen einzigen entkommen lassen. Keinen einzigen! Kitetsu lechzte nach frischem Blut. Das spürte er.

Und dann kamen sie. Erst im Galopp, dann in einem versammelten Trab und letztendlich parierten sie durch zum Schritt. In Reihe und Glied, dicht an dicht und im Gleichschritt kamen sie die Straße hoch. Plötzlich standen sie und starrten außerhalb jeglicher Schlagdistanz auf die vier Piraten.

Längst hatte sich Usopp bibbernd hinter Luffy versteckt und faselte etwas von einer „Wir-werden-sterben“- Krankheit. Natürlich erinnerte er sich ebenso wie Zoro und Tashigi an das letztes Treffen mit den Panzerreitern in der Donnersteppe, wo sie dieser Heerschar komplett unterlegen waren. Die Piratin versuchte gefasst zu wirken und hatte bereits ihre Hand an Shigure. Sie war bereit zum Kampf mit allen Mitteln, doch ihre aufsteigende Panik war kurz davor die Oberhand zu gewinnen. Verzweifelt blickte sie zu Zoro hinüber, der eben gerade in eine andere Sphäre abdriftete. Luffy wiederum hatte noch keine derartige Bekanntschaft mit der wilden Reiterhorde gehabt und blickte verwundert und begeistert zugleich auf die gepanzerte Abteilung. Die Rüstungen wären cooler als die auf der Thriller Bark, meinte er, musste aber auch ungern einsehen, dass ihm wohl keiner der Reiter so eine Rüstung leihen würde.

„Geht schon mal vor und macht das Schiff klar zum Auslaufen. Wir sehen uns gleich“, raunte Zoro dunkel, als wäre er weit ab in eine andere Welt getreten.

„Hä?“ fragte der Gummijunge, der sich schon über eine Rauferei gefreut hatte.

„Kein Problem“, brabbelte der Kanonier, der kurz darauf seine Beine in die Hand nahm und schon auf halber Strecke zum Schiff war. Dabei packte er Tashigi am Arm, als hätte es ihm eine ungehörte Stimme befohlen. Widerstandslos ließ sich diese hinterher ziehen und blickte dabei wie in Trance auf Zoro und seine Gesamthaltung. Eben noch war er ihr so nahe und feinfühlig gewesen und nun erschien er ihr komplett fremd und nie gekannt gewesen. Es veranlasste sie zur Sorge.

„Seine Augen... Die hatten wieder so ein rotes Leuchten“, sprach sie leise wie durch eine Wolkenwand zu Usopp und war kaum fähig, sich an diesem festzuhalten. Aber der Kanonier hatte kein freies Ohr für ihre Probleme, denn er hatte die Blitzidee gehabt, einen Enterhaken mit einem Endlosseil aus seiner alten, braunen Kramtasche zu zaubern. Schnell war der Haken in die Mauer gerammt und fix ging es nun den Steilhang neben der Treppe hinab in die Tiefe. Es bereitete ihm so einiges an Mühe, Tashigi mit einem Arm zu halten. Sie war zwar ein Fliegengewicht, aber seine Statur war schmächtiger, als die der Restcrew und sonderlich viel Kraft hatte er nun doch nicht. Die Koordination von gleichzeitigem Abseilen und dem Festhalten eines Crewmitgliedes brachten ihn da arg an die körperlichen Grenzen.

„Er schafft das schon“, wimmelte er entnervt ihre laut gesagten Gedanken ab. Es war ihm in diesem Augenblick wichtiger, ohne Schaden unten am Fuße der Steilküste anzukommen, als sich nun über etwaigen Hokuspokus Sorgen zu machen. Kaum hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen, rannten sie die Straße entlang durch Matschlawinen und Geröll. Der Kanonier hielt sich dabei seine blutende Hand. Beim Abseilen hatte er keine Handschuhe getragen, so dass das Seil seine Handinnenfläche aufgerissen hatte. Der Schmerz brannte widerlich und so jammerte er die halbe Wegstrecke zum Schiff vor sich her. Leider ohne Erfolg. Bei Tashigi stieß er auf taube Ohren. Kein Mitleid in Sicht!

An der Kreuzung mit der schwarzen Hütte trafen sie auf Franky und Sanji, welche eine der letzten Vorratskisten in die Mini Merry verluden. Sie staunten nicht schlecht, als eine Langnase im Endspurt auf sie zugestürmt kam und etwas von einer sofortigen Abfahrt brabbelte.

„Was hat der denn?“ Sanji zog cool an seiner Zigarette und erstrahlte bei dem Anblick einer Crewdame. „Tashigi, mein Schatz. Schön, dass du wieder da bist! Hattest du einen erholsame Zeit?“

Franky überhörte die Flirtversuche des Kochs und beantwortete nur den ersten Teil seiner Rede.

„Keine Ahnung. Aber wo sind Luffy und Zoro?“ stellte er nüchtern fest. „Das riecht definitiv nach Ärger!“

„Sehe ich ebenso“, paffte der Smutje.

Kaum waren die Herannahenden bei den beiden angelangt, wurden sie auch sogleich ihrer Vermutung bestätigt. Auf der Überfahrt zur Sunny wurde alles weitere kurz und knapp geklärt. Zwar vermochten Franky und Sanji aus langer Erfahrung heraus den Erzählungen Usopps kaum Glauben schenken, als dieser die hohlen Panzerreiter auf ihren schwarzen Pferden ausschmückte. Aber Tashigi konnte die Geschichte bestätigen und somit war sie dann doch glaubwürdig.

Kaum an Bord wurde der Anker gelichtet. Alles war klar zum Auslaufen. Das gesamte Team stand an der Reling, beobachtete mit Argwohn die Steilküste und wartete unruhig auf Luffy und Zoro. Noch war nichts ungewöhnliches oder verdächtiges auszumachen, doch der Schein trog. Alle hofften, dass ein Kampf nicht lange dauern würde, denn sie konnte aus dieser Entfernung nichts tun.
 

Oben auf der Dorfstraße hatte sich noch kein Stein ins Rollen versetzen lassen. Alles verhielt sich absolut regungslos wie ein großes Heer an Schaufensterpuppen. Der Wind heulte einen letzten Totengesang über die Klippen und beklagte die bereits sinnlosen Opfer. Die Pferde schnaubten aufgeregt und scharrten ungeduldig mit den Hufen.

„Was sind das für komische Vögel?“ wollte der Strohhutjunge von seinem Mitstreiter wissen.

„Die haben uns schon auf der Donnersteppe gejagt. Sie sind innerlich hohl. Irgendein Wille lenkt sie. Sie sind zwar nicht sonderlich stark, aber äußerst brutal, sehr schnell und sehr, sehr viele. Darin liegt ihre Stärke. Schau bloß nicht zu lange in die schwarzen Wolken“, gab Zoro bereitwillig Auskunft, während er sich sein Kopftuch umband.

„Leere Rüstungen, die sich bewegen? Cooooooooolllll!“ Luffy war schier begeistert.

„Das sind unsere Feinde, Idiot!“ brüllte der Schwertkämpfer zurück.

Eine Sirene heulte aus einer undefinierbaren Richtung los. Die Schallwellen durchdrangen Mark und Bein, ließen den Kreislauf aufheizen und den Herzrhythmus hochschnellen. Der Gummijunge hielt sich vor Schmerz gequält mit beiden Händen die Ohren zu und sackte in die Knie. Auch Zoro hatte seine liebe Mühe, dieser eigentümlichen Tonlage standzuhalten. Er verengte die Augen zu Schlitzen und blickte auf die Reiterschar, die nun wie von der Tarantel gestochen losjagte. Es war ein Donnern und Beben, wie sie es nie zuvor erlebt hatten und sie hatten bis dahin schon fast alles gesehen. Mit jedem aufsetzenden Huf zogen die Reiter die schwarze Wolke hinter sich her. Sah man in das Dunkel hinein, wurde man magisch angezogen und hatte den Wunsch, dort hinein zu springen, sich in ihnen zu baden und vollkommen willenlos unterzugehen. Ein gefährliches Unterfangen.

Luffy war sich Zoros Warnungen über die Wolkenfront bedacht, und so schloss er die Augen und hämmerte sich will mit der Gomu-Gomu-no-Gatling voran. Irgendwen würde er schon bei der Vielzahl der Angreifer treffen. Anhand der klirrenden Panzerplatten erkannte er, dass seine Strategie aufging. Bald war die Luft erfüllt vom feinen Staub der zerschmetterten Rüstungen.

Der Schwertkämpfer machte sich ebenfalls rar. Mit seinem Dreischwerterstil schlug er sich scheppernd durch den berittenen Porzellanladen voran. Sicherlich war es nicht einer der Art von Kämpfen, die einen bis aufs Blut herausforderten und alles abverlangten, dennoch kroch durchs Zoros Adern diesmal etwas anderes, was er erst selbst nicht bemerkte und später auch nicht mehr erklären könnte.

Zu seiner Kampfeslust und der Freude, sich durch diese Herausforderung messen zu können, paarte sich eine böse Kombination aus Frust, Hass und Unverständnis. Mit jedem Angriff, jedem Schlag, gar mit jeder Bewegung wuchs es schleichend.

Die Angriffstaktik des zahlenmäßig überlegenen Feindes war wie schon damals auf der Donnersteppe gleich geblieben. Vielleicht wollten sie ihn auslöschen. Oder vielleicht war es auch nur ein kleines Spiel. Zoro war es egal. Er hatte genug davon. Genug von allem. Er war damals losgezogen, um seinen Schwur zu halten und sein Ziel zu erreichen. Das hatte er geschafft. Unabhängig und frei war er. Frei in allem, was er jemals tat und noch tun würde. Und er bereute nichts von alledem, was bisher geschehen war. Jede seiner Entscheidungen war letztendlich immer richtig gewesen und hatte ihn ein Stück vorangebracht. Das sollte auch in Zukunft so bleiben. Niemand würde ihm irgendetwas streitig machen, befehlen oder gar für irgendeine Sache missbrauchen. Niemand. Und schon gar nicht irgend so eine dahergelaufene, längst vergessene Sekte, die an bunte Dreiecke glaubte und für die er wohl angeblich ein wichtiger Schlüssel war. Sollten sie sich doch einen anderen Schlüssel suchen. Seine alleinige Absicht war es, mit der Crew Luffy zum One Piece zu bringen, damit er Piratenkönig würde. Alles andere konnten andere unter sich ausmachen. Und so wuchs der Zorn, der Frust und der Hass. Ein gefährliches Gefühl, welches die Sinne zu vernebeln begann und die Beherrschung zu verdrängen drohte. Sie waren umgeben von Feinden und nichts als Feinden. Egal, wohin sie ziehen würden, man würde sie finden. Und sie wären hartnäckiger als die Marine und auch schneller.

In seinen Händen und seinem Mund spürte der Schwertkämpfer die Seelen seiner Schwerter, wie er sie zuvor nie gespürt hatte. Schon immer konnte er ein Katana einordnen, ob es guten oder schlechten Willens war, ob es sich leicht oder schwer seinem Besitzer hingab. Doch zum ersten Mal wurde ihm bewusst, warum das so war. Auf Sandai Kitetsu lastete ein ewiger Fluch, der seinen Herren den Tod bringen würde. Es lechzte nach Tod, Blut und Zerstörung, bannte seine ehemaligen Herren in einen Rausch des Kampfes und zog sie willenlos fernab aller Vorsicht fort. Bei Zoro war das anders. Er konnte Kitetsu seit Beginn an beherrschen, weil er den eigenen starken Willen dazu hatte. Ein Mensch wäre dieser Last nicht gewachsen, nur Zoros dämonisches Ich. Das war der kleine, aber feine Unterschied.

Bald war die Luft erfüllt von einem Staubgemisch von rotem zerschlagenen Laub und pulverisierten Panzerplatten. Die Reiter waren im Nachteil, denn die Hänge waren selbst den trittsicheren Pferden zu steil. Unzählige schwarze Fußsoldaten flossen wie rauschende Bäche aus allen Winkeln und strömten auf die beiden Piraten zu. Man könnte meinen, es wären Ameisen, die mutiert wären.

Doch die Angreifer sollten chancenlos bleiben. Wie Spielzeugsoldaten wurden sie von den beiden Piraten erbarmungslos umgeschmissen und zerstört.

Später konnte niemand der beiden mehr sagen, wie lange sie gebraucht hatten, um jeden einzelnen auszuschalten. Der Schwertkämpfer war erst wieder vollkommen bei sich, als längst alles vorbei war. Er saß im Schneidersitz auf dem Boden, hatte das Haupt gesenkt und hielt in einer Hand Kitetsu, welches vor ihm zur Hälfte in den Boden gerammt war. Unweit stand Luffy mit nachdenklicher Mine auf der Steinmauer, hatte die Arme verschränkt und starrte hinüber zur Sunny. Beide hatten deutliche Zeichen des Kampfes von sich getragen. Aus allen Wunden floss Blut langsam heraus. Abschürfungen und blaue Flecke komplettierten das Gesamtbild einer körperlich schlechten Verfassung.

„Alles wieder klar?“ fragte der Strohhutjunge seinen engsten Mitstreiter.

„Klar!“ wollte dieser schon locker von sich geben, doch als er versuchte aufzustehen, durchfuhr ihn ein heftiger Schmerz im linken Knöchel. Wie ein Blitzschlag jagte es vom Fuß hoch durch den ganzen Körper und ließ in für den Bruchteil der Sekunde schwarz vor Augen werden.

„Was ist das denn?“ Zoro wurde gewahr, dass er wohl wieder einmal mehr einen Blackout gehabt haben musste, denn er konnte sich nicht erklären, wann er sich den Fuß wohl gebrochen hätte.

„Du hast gekämpft! Aber anders als sonst. Du warst komplett im Rausch. Es ging dir nicht wie sonst um den Kampf an sich. Es war ein reiner Vernichtungskrieg“, kam es befremdlich ernst von Luffy.

Als wäre er auf frischer Tat beim Klauen erwischt worden, senkte der Schwertkämpfer seinen Blick zu Boden. Der von seinem Chef beschrieben Tatbestand war unbemerkt an ihm vorübergezogen.

„Ich hatte damals Chopper rausgeschmissen, weil ich dachte, er wäre eine Gefahr für die Crew. Ich hatte den Fehler gemacht, ihm nicht zu vertrauen. Ich dachte, er würde das nicht in den Griff bekommen. Als du dann auch gegangen bist, war ich total verwirrt und gekränkt. Nun aber nach allem stelle ich fest, dass auch du anders und deshalb gegangen bist. Du hast es damals schon gewusst und wolltest es vertuschen, oder?“ überlegte der Gummimensch laut vor sich her.

„Nicht ganz. Es war Chopper gegenüber nicht fair. Aber zum Teil hast du recht. Kurz vor Raftel begann es und ich wusste nicht, was das sein könnte. Plötzlich wurden die Alpträume real, Geister waren sichtbar und als ich versehentlich mal unseren kleinen Arzt gestreift hatte, brach der zusammen als wäre ich aus Seestein. Das war neu“, gab er zu, obwohl es nicht zu ihm passte, so etwas preis zu geben. Doch Luffy verstand und wollte nur noch wissen:

„Also wusste Chopper Bescheid?“

„Ja.“

„Ok!“ Luffy schwieg und dachte grüblerisch nach. Einerseits wäre es ein Vertrauensbruch gewesen, gegenüber der Crew nichts zu sagen, aber andererseits hätte es die Crew vielleicht auch gespalten. Wer wusste das schon? Es war so oder so egal. Es war gelaufen und nicht mehr änderbar.

„Du hast deinen Traum erfüllt. Was machst du nun?“ wollte er nun doch noch wissen.

„Wir suchen One Piece. War doch so vereinbart damals?“ grinste Zoro und dachte unweigerlich daran, wie er damals in Morgans Marinebasis an das Kreuz gefesselt war und Luffy zu seiner bescheuerten Idee zusagen musste. Damals ... Lang war es her. Und wie klein und einfach die Welt da noch war ...

„Ja, der König der Piraten und der beste Schwertkämpfer der Welt in einer Crew finden One Piece!“

Der Strohhutjunge strahlte plötzlich wieder wie die Sonne und sein Lachmund reichte von einem Ohr bis zum anderen.

Luffy und Zoro. Das war ein unerklärliches Freundschaftsband. Stärker wie ein Pakt. Untrennbar und unzertrennlich. Für Außenstehende total undurchsichtig. Selbst dann noch, wenn der eine mal ganz anders drauf war und eine 180°-Wendung durchmachen musste. Das passte schon.
 

Die Stimmung war wieder gut. Die Reise konnte weitergehen. Auf zu neuen Taten! Luffy dehnte seine Arme und schleuderte sich hinüber zur Sunny. Natürlich wurde Zoro bei diesem Flug nicht vergessen, der sich schon üble Schmerzen bei der Landung ausmalte, wenn sie nicht ins Segel, sondern an den Mast krachen würden.

Tatsächlich erwischten sie den Mast.

Was auch sonst?

46 - Verbannung

Leise und sanft ließen sich eines Morgens Schneeflocken von einer beruhigenden Klaviermelodie begleiten, als sie auf die Sunny niederfielen und bedeckten sie wie ein weißes Seidentuch. Brook war wieder unter ihnen und seitdem war es mit der Stille an Bord vorbei. Auch wenn er sehr begabt so ziemlich jedes als Instrument definiertes Ding musikalisch beherrscht, konnte sein stundenlanges Üben und Komponieren manchmal gepflegt nerven. Doch die Crew hatte es nicht anders gewollt und war insgeheim auch sehr froh, das wandelnde Skelett wieder an Bord zu haben. Es stand einfach komplett außer Frage, ein Mitglied irgendwo auf der Welt einfach so versauern zu lassen. Schnurstracks waren die Strohhutpiraten von Umeshu-Shima über den Reverse Mountain gesegelt und hatten am Twin Cape den Musiker der Crew wieder eingesammelt. Es war ein herzliches und großes „Hallo“ gewesen, was um eine Feier nicht herum kam. Jeden einzelnen Schritt der Piratenfreunde hatten das musikalische Gerippe und der Wal Laboon aus Zeitungsartikeln verfolgt und waren nun mehr als froh, alle lebendig wiederzusehen. Lange genug hatte es gedauert. Selbst der Leuchtturmwärter legte ein zufriedenes Grinsen auf, was man so noch nicht von ihm kannte. Mehr jedoch erfuhr man von ihm nicht, obwohl die Mannschaft und allen voran Robin den Alten über die Grandline und die Weltgeschichte zu löchern begannen. Brook hingegen spielte erst einmal zu einer fröhlichen Willkommensmelodie auf, nachdem er sich einen kräftigen Hieb durch Tashigis Katana eingefangen hatte. Er brauchte fünf Tüten Milch, um den Knochenschaden zu beheben. Sie aber hatte kein Mitleid. So eine Unverschämtheit seinerseits ließ sie nicht durchgehen, obgleich sie von den restlichen Strohhüten vorgewarnt worden war. Nein, niemals würde sie ihm ihre Unterwäsche zeigen. Frechheit!

Zwei Tage später hatten sie das Twin Cape verlassen und waren weitergezogen. Sie hatten eine Route erwischt, die sie diesmal nicht nach Whiskey Peak bringen würde, sondern zu kleineren, unbewohnten Inseln. Ganze sechs Wochen waren sie nun unterwegs ohne nennenswerte Ereignisse oder gar Abenteuer. Luffy wurde allmählich zu einer Nervensäge für die Crew, denn er langweilte sich zu Tode. Lediglich die Archäologin freute sich, dass ihr Lageplan von den Porneglyphen stimmte, denn so hatten sie tatsächlich schon sechs dieser riesigen Quader aufstöbern können. Jedoch musste sie enttäuscht feststellen, dass sich lediglich ein Bruchteil von Heimatkunde der betreffenden Insel darauf zu lesen befand. Aber beim nächsten Steinklotz würden sie sicherlich alle mehr Glück haben. So motivierte sie sich selbst.

Es wurde kühler und die Flocken kleiner und dichter. Die Navigatorin schellte mit der Schiffsglocke, um die Crew auf ihre Positionen zu scheuchen. Das beständige Wetter und die nautischen Angaben aus der Seekarte waren unabänderliche Zeichen dafür, dass vermutlich eine Winterinsel direkt vor ihnen lag. Die bronzetönerne Glocke erhallte jeden Schiffswinkel. Wieder einmal aus dem Schlaf geweckt, drehte sich Zoro missmutig vom Rücken auf den Bauch und schob trotzig mit beiden Händen das Federkissen über seinen Kopf. Blödes Läuteding! Im Meer sollte man es versenken! Vielleicht wäre er wieder eingeschlafen, wenn da nicht wieder dieser bestialisch stechende Schmerz aus seinem Fußgelenk wäre. Einen Trümmerbruch hatte dort der kleine Arzt diagnostiziert, doch der Schwertkämpfer hatte den Fuß partout nicht eingipsen lassen wollen. Und so geschah nun dem unbelehrbaren Patienten das, was Chopper prophezeit hatte: Die Heilung würde länger dauern und die Knochen würden auch nicht ordentlich verwachsen. Zwar heilte sich Zoro selbst im Schlaf, doch nach all den vielen lebensgefährlichen Verletzungen war sein Körper arg gebeutelt und der zollte nun seinen Tribut in der Form, dass die gewohnte Selbstheilung am Ende aller Kräfte war. Auch wenn es Zoro niemals zugeben oder zeigen würde, machten sich mittlerweile die alten Kriegsverletzungen rege und piesackten ihn mal hier und mal da. Zu Beginn hatte er sich nicht darüber geschert, doch es wurde unaufhaltsam mehr und mehr.

„Wenn wir alles erreicht haben, dann schicke ich dich auf Kur!“ hatte Chopper dem Schwertkämpfer gedroht und das wohl auch extrem ernst gemeint. Zoro hatte nur genickt, was aber eher daran lag, dass er keine Lust auf Diskussionen hatte.

Schon wieder bimmelte die Schiffsglocke. Er schwang sich nun doch aus dem Bett, kleidete sich an und zog noch seine Winterjacke über. Das war auch die richtige Wahl, denn schon beim Türöffnen umhüllte ihn kalte Schneeluft. Langsam watete er durch den bereits knöchelhohen Schnee an Deck in Richtung der Couch am Steuerrad. Schnee! Der war nass und kalt. Seine Laune sank. Er war froh gewesen, dem Winter auf der Nordhalbkugel entgehen zu können, denn auf der Grandline gab es alle Jahreszeiten gleichzeitig. Doch diese Winterinsel musste er wohl trotzdem über sich ergehen lassen. Daran vorbeisegeln wäre eine bessere Alternative gewesen.

„Die Insel ist bestimmt cool“, stellte Luffy fest und schob gleich eine Begründung hinterher. „Die feiern hier die Nacht von Dezember auf Januar mit einem Feuerwerk!“

„Woher weißt du das denn schon wieder?“ erstaunte sich Zoro über das ungeglaubte Wissen seines Kapitäns.

„Das hat mir Usopp aus der Zeitung vorgelesen. Die kam gerade mit der Möwe!“

„Aha...“ murmelte er nur zurück und fragte den Kanonier strafend:

„Warum hast du das gemacht?“

„Naja, er hatte wieder den halben Morgen abgenervt und so ist er vielleicht erstmal abgelenkt und macht keinen anderen Quatsch...“ versuchte Usopp sich zu rechtfertigen, obwohl er selbst wusste, dass Luffy neben Feste feiern auch feste Abenteuer entdecken konnte.

Eine gute halbe Stunde später legten sie etwas abseits in dem kleinen Hafen an. Das Schneien hatte aufgehört und man blickte auf eine mittelgroßen Ort mit gepflasterten Straßen, mehrstöckigen Häusern und aufwendig verarbeiteten Fassaden. Es war eine Handelsstadt ähnlich Loguetowns, jedoch ruhiger und beschaulicher. Dennoch zeugten die Bauwerke von großem Handelsreichtum, denn spiegelten den Stil des Klassizismus wieder. Anhand der vor Anker liegenden Schiffe machten die Piraten aus, dass es wohl keine weiteren Piraten oder gar die Marine gab. Nur gut gepflegten Fischerboote und Handelsschiffe schaukelten gemütlich im leichten Wellengang. Der Schwertkämpfer ließ für einen kurzen Augenblick seine Gedanken über die Insel schweifen. Ja, hier war alles absolut idyllisch. Kein Hinterhalt und kein Feind. Natürlich konnte man sich da nie hundertprozentig sicher sein, aber bange machen galt noch nie. Die Crew machte einen gutgelaunten Eindruck. Selbst Tashigi schien ihre Krise schon recht gut überwunden zu haben. Sie alberte ab und zu mit dem ein oder anderen herum, stolperte von einem Fettnapf in den nächsten und zeigte sich zuweilen auch mal äußerst zickig. Doch da sie im Grunde eine äußerst liebe Art hatte, nahm es ihr niemand krumm, obgleich die Navigatorin manchmal doch den Eindruck dessen hinterließ. Zwei Zicken auf einem Haufen. Da musste es halt auch mal Reibereien geben. Nein, trotz allem wollte er sie nicht mehr missen.

Plötzlich stutzte Zoro verwundert. Für den Bruchteil von Sekunden hatte er ganz eindeutig zwölf Seelen an Bord gespürt, obwohl es nur zehn sein dürften. Doch so schnell wie der Hauch des Gefühls gekommen war, so wallte er auch schon wieder davon. Er schüttelte innerlich den Kopf. Vermutlich hatte sein zweites Ich ihm nur einen Streich gespielt.

Ganz automatisch teilte sich die Crew in ihre üblichen Gruppen auf, um die Insel zu erkunden. Es hatte sich eingespielt, wer wann das Schiff bewachen, Proviant einkaufen oder einfach nur die Insel erkunden würde. Als neue Aufgabe war hinzugekommen, nach Eternal Ports Ausschau zu halten. Die alte, verknüddelte Grandline-Seekarte aus Buggys Inventar war nach Namis Auskunft zwar mehr als brauchbar, doch allein mit einem Logport ausgestattet würden sie Ewigkeiten brauchen, alle sieben Routen abzusegeln. Und angeblich gäbe es ja auch noch die achte Route aus dem Orakelspruch. Kurzum wurde geschlussfolgert, sich alle Eternal Ports unter den Nagel zu reißen, die man irgendwem irgendwo abnehmen konnte. Selbst ein kleines, unbedeutendes Marineschiff musste schon vor gut zwei Wochen auf hoher See dran glauben. Vermutlich war es wohl das erste Marineschiff, welches jemals von einem Piratenschiff überfallen worden war. Und das einzige, was gestohlen wurde, waren Eternal Ports. Obgleich sich Tashigis Idee als Gold erwies, eine Marineschiff zu entern und man somit schon auf gut siebzig dieser nützlichen Kompasse kam, so hatte sie dann doch ein paar kleine Gewissenbisse. Sie schüttelte diese ab, indem sie Trost in den Armen ihres Freundes suchte.
 

In einer Dreiergruppe zogen sie durch die Straßen wie schon damals über die Redline ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Fürs erste tat es einfach nur gut, nach den letzten Tagen auf See einen Boden unter den Füßen zu haben, der nicht wankte und schaukelte. Das Rentier fühlte sich pudelwohl. Es mochte dieses kalte Klima und zog den Schwertkämpfer auf, der seine Hände in den Taschen und die Arme dich an sich gedrückt hatte. So kalt wäre es doch nun wirklich nicht, meinte der kleine Arzt und nervte mit seiner viel zu guten Laune. Tashigi belustigte sich über die beiden und beschwichtigte sie, nicht streiten zu müssen. Ihr langer, weiter Ledermantel bedeckte sie vom Fußboden bis hoch zur Nasenspitze vollkommen und gab der Kälte keine Chance. Sie liebte diesen Mantel und so konnte man ihn schon als ein Markenzeichen ihrerseits bezeichnen.

Die Stadt machte einen sehr ordentlichen Eindruck. Die Fußwege waren vom Schnee befreit worden und kleine Schneehäufchen reihten sich in der Gosse aneinander. In den meisten Fenstern leuchteten selbstgebastelte Sterne, Tannenzweige schmücken die Fensterrahmen und an jeder Straßenecke standen Tannenbäume mit Lichterketten behängt. Die Dekoration wirkte sehr festlich und besinnlich. In einem kleinen Krämerladen, in welchem das Rentier medizinische Kräuter erwarb, klärte der Verkäufer die drei verwunderten Fremdlinge auf, dass man auf dieser Insel das Weihnachtsfest feiern würde. Er erzählte ihnen noch beim Verpacken der Ware in kurzen Sätzen die Hintergründe für diesen Brauch und empfahl ihnen noch das bunte Feuerwerk am Abend abzuwarten. Danach folgten ein paar interessante Sitten rund um Silvester und Neujahr. Das dürfte man nicht verpassen. Auch der Ausverkauf des Weihnachtsmarktes sollten besucht werden. Mit so vielen Informationen gefüttert verließen die Drei wieder den Laden. „Eben haben wir die Zeit zwischen den Jahren“, hatte der Verkäufer fröhlich geplaudert. „Das weltliche Jahr ist noch nicht um, aber das Kirchliche schon. Das ist die Zeit der Ruhe und Einkehr. Man hat das Gefühl, die Zeit stünde still.“

Keiner der Drei war religiös in irgendeiner Form berührt und so war es immer wieder verwunderlich, wie Religionen das Leben von Menschen prägten.

Eine gute Viertelstunde später erreichten sie den Marktplatz. Einige Lücken in den Reihen der Buden verrieten, dass der ein oder andere Händler schon abgereist war. Andere verkauften noch Reste zum Schleuderpreis. Gerüche von gebrannten Mandeln, Lebkuchenherzen, aber auch deftiger Bratwurst oder heißem Glühwein mischte sich in der Luft und zog noch den ein oder anderen Kunden aus den warmen Häusern auf den kalten Marktplatz. Daher war einiges los, wenn auch überschaubar. Als hätte man es vorhersehen können, fand man hier auch zwei weitere Strohhüte wieder.

„Natürlich am Fressstand“, kommentierte Zoro den Aufenthaltspunkt von Luffy und Usopp trocken, während sie sich selbst zu ihnen gesellten. Eine Minute später hatte auch sie alle Drei einen heißen Pott Kakao mit Schuss in den Händen.

„Die Zeit der Ruhe und Beschaulichkeit...“, philosophierte Tashigi vor sich her. „Der Mann vorhin hat recht. Über allem schwebt so ein seliger Schein...“

„Hä, was faselst du da?“ mischte sich Usopp ein, der nicht so ganz das Gesprächsthema verstand.

„Ah, nichts. Ich hatte nur laut nachgedacht über das, was uns vorhin erzählt wurde“, erklärte sie lachend. Sie erzählte davon und Luffy verzog dann das Gesicht zu einer maulenden Schnute, als sie zu der Stelle kam, dass Silvester hier nicht als ein großes Inselfest, sondern eher daheim im Freundes- oder Familienkreis gefeiert würde. „Komisches Volk!“ merkte er enttäuscht an und kehrte dann mit seinen Freunden langsam schlendernd zum Schiff zurück. Im Laufe des Nachmittags trudelten auch alle weiteren Strohhüte ein und da sich der Logport in der kommenden Nacht neu einstellen würde, einigte man sich darauf, dass Schiff klar zum Auslaufen zu machen und noch das Feuerwerk abzuwarten.
 

In der Nacht zog die Temperatur schlagartig an. Eiswind wehte über das Deck und verwandelten den Rasen in einen Nadelwald und die Bohlen in eine Rutschbahn. Die Takelage wurde mit dicken Eis überzogen. Als die Strohhüte kurz vor Mitternacht aus dem gut beheizten Essensraum ins Freie traten, schlug ihnen die Kälte wie ein Hammer ins Gesicht. Der Alkohol im Blut tat ein Übriges dazu bei. Die Stimmung war feucht fröhlich gewesen. Bei leckerem Fingerfood wurden Karten gezockt, zu Brooks Liedern mitgegröhlt und viele Albereien getrieben. Einzig Frankie viel auf, dass Zoro nicht über eine einzige Flasche Sake hinaus kam. Das war doch recht ungewöhnlich.

„Ist der Sake schal oder warum nuckelst du nur so an der Pulle rum?“ fragte er in einer ruhigen Minuten den Schwertkämpfer unter zwei Augen.

„Alles in Ordnung!“ war nur die knappe Antwort und damit musste sich der Schiffsbauer zufrieden geben.

Auf die Minute genau erklangen die Neujahrsglocken und ließen ihr Läuten kraftvoll von der Domkirche über die Stadt und die Welt hinaus erklingen. Just in diesem Moment flogen auch die ersten Raketen gen Himmel und zauberten die buntesten Feuerblumen an das Nachtfirmament.

„Guckt mal! Die da zieht aus wie Sterntaler!“ freute sich Chopper über einen breiten zu Boden rieselnden Funkenregen.

„Ja! Und das wie große Rosen!“ stellte Nami fest.

Man hatte nicht zu viel versprochen: Das Feuerwerk war gigantisch. Aus den Gassen schallten Feuerwerksknaller herüber, um noch die letzten bösen Geister des alten Jahres zu vertreiben.

„Die zünden tatsächlich hier Knaller gegen böse Dämonen. Wir werfen dem Brauch nach Sojabohnen. Vielleicht sollten wie die mal gegen den Marimo werfen!“ giftete Sanji trocken.

„Ich geb’ dir gleich Sojabohnen. Und zwar links und rechts!“ fuhr ihn der Angesprochene aggressiv an.

Eine halbe Stunde später war der Zauber des Feuerwerks vorüber. Nur hier und da flogen noch vereinzelte Raketen wie Irrlichter in den Himmel. Die Crew lichtete den Anker und folgte dem aufgeladenen Logport zur nächsten Insel.
 

Das Eis sollte nicht von ungefähr kommen. Weit entfernt, irgendwo auf der nördlichen Redline befand sich ein alter Vulkan, der schon seit Jahrhunderten keine Feuerbälle mehr gespuckt hatte. Sein Fels war reinstes schwarzes Lavagestein, doch nun war es unter einem magischen Eispanzer verborgen. Mit diesem künstlichen Hindernis würde er nicht so schnell sein heißes Innerstes gegen seinen Eindringlich erheben. Dieser merkwürdige Eindringling hatte es sich wie eine schmarotzende Larve in der Mitte des Kegels gemütlich gemacht, indem er unzählige Erker, Treppen, Kuppel und Terrassen hatte bauen lassen. Es sah aus wie eine Miniaturstadt, welche sich an der Kraterwand nach oben streckte. Der Gipfel des Vulkans verschwand gänzlich in schwarzen Donnerwolken, die den Betrachter einfingen und ihm die Sinne raubten. In wenigen Abständen standen schwarze Panzerreiter mit ihren scharfen Waffen Wache in Reih und Glied und ließen keine neugierigen Blicke von außen zu.

Über lange Steinwedeltreppen trat einer dieser gepanzerten Wesen in die Tiefe des Kraters hinab. Er war ein Bote und auf dem Weg zu seinem Herren. Seine schweren Schritte halten durch die dunklen Gänge blechernd. Viele Schritte tiefer endete sein Weg vor einem schwarzen Tor, dessen Höhe man in der Finsternis nicht ausmachen konnte. Wie durch Geisterhand wurde ihm Einlass geboten und zielstrebig stampfte er quer durch die himmelhohe Halle. Nur rußende Öllampen stanken bestialisch und erleuchteten diesen ungemütlichen Ort spärlich. Dennoch herrschte hier unerwartetes Getreibe an den Saalrändern. Skurrile Gestalten hielten sich an gedrungen Eichentischen auf, spielten Karten um hohe Einsätze, tranken merkwürdigen Wein und ließen ihre unansehnlichen Körper auf weiten Kissen ruhen. Schräge Musik von einer Jazzkapelle dröhnte durch die Halle und übertönte das Stimmengewirr gelegentlich. Ein Ort der festlichen, zügellosen Orgie.

Der Bote hielt vor einem erhöhten Podest und plötzlich verstummte jegliches Geräusch. Im schwachen Lichtschein sah man aus allen Winkeln Augen leuchten, die nun alle gebannt auf den Panzerreiter starrten, um seiner Botschaft zu lauschen.

„Mein Herr!“ tönte dessen blecherne Stimme von den Wänden wieder. Den Anwesenden dehnte sich sekundenlanges Schweigen wie unendliche Stunden bis sich endlich oben auf dem Podium etwas regte. Der Körper einer dicken, fetten Kröte gleich thronte dort oben, die von Warzen übersäht war. Ein übler Gestank drang von diesem Vieh aus. Der breite Mund öffnete sich zu einem grollenden, aber dennoch kurzem Rülpser, sodass sich das Partyvolk geekelt die Nasen hielt, obgleich sie ebenso entsetzlich anzusehen und zu riechen waren. Aus schmalen Schlitzaugen starrte die Kröte seinen Boten an. Ein kurzer Wink mit seiner Hand gebot dem Schwarzen dort unten zu seinen Füßen zu sprechen.

„Herr, wir haben sie gefunden. Sie kreuzen auf der sechsten Route der ersten Hälfte der Grandline und habe bereits drei Inseln“, blecherte es von dem Boten, obwohl er überhaupt nicht den Mund bewegt hatte.

„Wir erwarten Euren Befehl, oh Herr!“ plärrte es metallisch weiter. Dann verstummte der Bote und er harrte aus der Dinge, welche auch immer da noch kommen würden. Er war hohl und besaß keinen eigenen Willen. Sein Herr würde ihn schon lenken.

Noch immer beherrschte die Totenstille den Saal. Die fette Kröte begann zu grunzen und dann ging es in ein irres, triumphierendes Lachen über, dass es nur so im Vulkankegel hallte. Seine Untergebene kämpften mit der aufsteigenden Angst. Noch nie war es jemandem gelungen, ihren Gebieter zu durchschauen. Was würde nun wohl folgen?

Die fette Kröte namens Sammakko, welche sich seit der Eroberung des Vulkans nur noch als „Herr“ anreden ließ, erhob sich unter dem aberwitzigen Gelache.

„Seht her, Ihr billiger Abschaum! Ich gebe euch Pack, was ihr wollte. Dunkelheit und Rausch und Kälte, auf dass die uns Gesinnten und unser Gleichen endlich frei sein können!“

Jeder Außenstehende würde Sammakko nun Größenwahn und Beklopptheit bescheinigen, wie er dort oben so lachhaft stand und über sein Gefolge aus Panzerreitern und Missgeburten eine tollkühne Rede schwang. Er würde sogar nun bestätigt werden, als die Kröte begann, mit den Armen in der Luft zu rudern, um auf nicht sichtbare Welten und Himmelsrichtungen zu deuten.

„Seht den Norden, den ich mit Eis überzog!“

Die Masse grölte begeistert, verharrt aber auch wieder so schnell.

„Seht die Redline, die auch im schwarzen Nebel des Irrsinns und der Auflösung versinkt!“

Wieder kurzes Gegröle.

„Und seht meinen letzten Sieg! Den Sieg über die ganze Welt!“

Der Siegesgeschrei des Pöbels wurde unbändig laut und lang, bis dann doch das Unerwartete geschah.

Ein kleiner dummer Zweifler übersah die Nichtigkeit seiner Person und wagte seinen Tischnachbarn bibbernd vor Angst zu fragen, wie denn die Weltherrschaft zu erreichen wäre ohne aber One Piece oder den Schlüssel zur achten Route zu haben. Doch Sammakko hörte diesen leisten Zweifel und strafte den Sprecher vor aller Augen mit dem Tode. Nur ein Häufchen Staub blieb über, welches im luftzugigen Raum verwehte.

„Wehe dem, der zweifelt!“ brüllte das fette Vieh in die Masse und beschwor sie:

„Die Macht allein liegt hier in meinen Händen. Das gelbe Prisma der Macht. Einmal eingesetzt, zerstört diese Welt. Aber was wollen wir mehr? Wir brauchen niemand und nichts. Die anderen sind keine Gefahr. Was wollen denn die Prismen mit „Wissen“ und „Gefühlen“ ausrichten? Und auch das blaue Prisma des Wissens wird bald unseres sein! Soll Yurenda doch da oben auf der Redline in Marijoa hocken und gefühlsduselige Erinnerungen an längst vergessene Dimensionen streuen. Das Volk hat längst vergessen. Niemand wird ihr folgen. Niemand!“

Das Lachen wurde noch irrer als zuvor.

„Und nun Musik! Ich will mir den Sieg nicht vermiesen lassen!“

Die Kröte war irre. Daran gab es nichts zu zweifeln. Doch es war nicht ihr innerstes Ich gewesen. Ein Prisma sucht sich zwar einen Träger aus, aber es manipuliert ihn auch zu dessen Gunsten. Und so hatte das gelbe Prisma, welches Macht und Kraft, aber auch Hass und Neid verkörperte, in seinem Träger unheilbare Narben hinterlassen. Sammakko wusste nicht mit dem Einfluss des Prismas umzugehen. Doch es war ihm ins einem verblendeten und vernebelten Geiste auch vollkommen egal. Er setze sich wieder bequem auf seinen Kissenberg und spreizte seine Froschhände bis die Schwimmhäute dazwischen schmerzvoll spannten. Nur mit einer Handbreit Abstand hielt er beide Handinnenflächen nebeneinander und starrte darin hinein, als würde er etwas halten. Tatsächlich tauchte kurz darauf ein grellgelber Schein auf in Form einer kleinen, sehr flachen Pyramide. Sie war purstes Licht und blendete seinen Träger fast bis zur Erblindung. Beschwörerisch stierte er auf die Lichtquelle, die zu einem gleißenden Blitzball wuchs. Murmelnd kam es über seine wulstigen Lippen in einem Schwall aus stinkendem Schleim:

„Verbanne sie! Irgendwohin, wo sie nie mehr Schaden machen können!“

Dann schoss das Licht los.
 

Der Morgen brach gerade auf der Sunny an, als ein grelles Licht durch die Fenster des Piratenschiffes drang. Es brannte ihn den Augen, dass alle sich vor Schmerz schreiend die Hände vor das Gesicht hielten.

„Ahhhhhh, was ist das?“

„Wo seid ihr alle?“

Doch niemand gab Antwort und nichts war zu hören. Es war nur das Licht, welches wie ein Blitz einschlug. Saß man gerade noch am Tisch auf einem Stuhl, so war dieser weg. Stand man gerade noch im Raum, so spürte man den Boden unter den Füßen nicht mehr. Es war ein unheimlicher Schwebezustand, welchen man aufgrund der Helligkeit nicht betrachten konnte.

Und plötzlich war alles vorbei.

47 - Lysø

Ein kräftiger Hustenanfall suchte Tashigi heim, der sie zurück ins Leben riss und als sie die Augen aufschlug, sah sie nichts außer einem steilen Sandhang umhüllt von dichtem Nebel. Gerade noch war sie von einem unerklärlichen Blitzlicht geblendet und betäubt worden. Zumindest war das der letzte Eintrag in ihrem Kurzzeitgedächtnis, auf welchen sie zurückgreifen konnte. Nun hatte sie Sandkörner in ihren Atemwegen, den Ohren und Haaren. Sie brauchte mehr Luft und wollte sich diesem Drang hingeben, indem sie sich aufzurichten versuchte. Jedoch ungewiss ihrer Umgebung, welche sie im Moment des Erwachens noch nicht genauer in Augenschein genommen hatte, wurde ihr das Aufrappeln zum Verhängnis. Und schon purzelte sie kopfüber einen nicht enden wollenden Sandhang hinunter. Der Absturz schien ihr eine Ewigkeit zu dauern. Hilflos suchten ihre Hände und Füße halt in dem weichen Sand. Es war ein chancenloser Unterfang und der feine Sand löste sich nun aus dem Hang und rutschte mit ihr in die Tiefe hinunter. Endlich unten angekommne, spürte sie ein hartes Kraut in ihrem Rücken. Doch der erste Schock saß so tief, dass sie sich im Liegen frei hustete und dann eine weitere Ewigkeit liegen blieb, um nur in den vernebelten Himmel zu starren Geräuschen zu lauschen. Der Nebel brachte eine klamme Kälte mich sich und der unbequeme Boden wurde langsam schmerzhaft. Ein zweiter Versuch sich aufzurichten, gelang ihr und sie blickte verwundert und aufmerksam zugleich umher.

Wo immer sie auch war und wie lange sie hier schon gelegen haben mochte: Hier war definitiv nicht mehr die Sunny und ihre Freunde. Aber wo waren sie alle? Hatte der Blitzschlag das Schiff zerschellen lassen? Oder war sie nun tot? Bei dem Gedanken, tot zu sein, schluckte sie hart einen dicken Kloß im Hals runter. Der Gedanke, ihre liebgewonnenen Freunde niemals mehr wieder zu sehen, versetzte ihr einen Stich ins Herz und dann noch einen Hieb hinterher, denn ihr Freund wäre ja dann auch in dieser Gruppe. Sie verjagte den Gedanken und befand, dass sie im Falle des Todes hier sicherlich nicht der Himmel wäre, sondern eher der Vorhof zur Hölle. Obwohl der Nebel dicht wie eine Betonwand war und alles um sie herum verschluckte, konnte sie Meeresrauschen ausmachen. schemenhaft tauchten vereinzelte Zypressengewächse, violett blühendes Heidekraut, hartes Dünengras und Kiefern auf. Vor ihr erhob sich bedrohlich der Sandhang, dessen Höhe man im Nebel nicht erkennen konnte. Sie riss sich zusammen und stand auf, klopfte sich den Dreck aus ihrem Ledermantel und hielt plötzlich hielt inne. Diesen Mantel hatte sie auf der Sunny nicht getragen, sondern hing zum Trocknen unten im Maschinenraum. Es war ihr sehr sonderbar, wer sie in ihren Mantel gesteckt hatte. Auch Shigure war dabei und hing fest an ihrem Mantelgürtel. Das war noch sonderbarer.

Da sie nicht wusste, wohin sie sich wenden sollte, beschloss sie, dem Meeresrauschen auf die Spur zu kommen und erklomm den Sandberg wieder hinauf. Es war in dem weichen, tiefen Sand mehr als mühsam. Oft musste sie sich nach vorn fallen lassen und die Hände zu Hilfe nehmen, um nicht gleich wieder den Weg hinab zu fallen. Wie ein Hund auf allen Vieren kämpfte sie sich nach oben. Doch jeder Berg ist irgendwann mal in seiner Höhe begrenzt. Nach einer Klettertortur hatte sie es geschafft. Sie stand ganz oben auf einer riesigen Sanddüne. Unten rauschte das Meer. Hart schlugen die Wellen gegen die Düne und rollten noch ein Stück herauf, um an ihr zu nagen wie an einem Sandkuchen. Auf der anderen Seite schien es einen Landstrich aus Heidelandschaft, Sumpf und krüppeligen Wäldern zu geben. Mehr konnte sie nicht ausmachen. Die weißen Schwaden verhinderten einen weiten Rundumblick.

Laut rief sie nach den Strohhüten, doch erwartungsgemäß antwortete niemand. Noch eine ganze Weile stand sie dort oben und war planlos, hoffnungslos und fühlte sich sehr elendig einsam. Selten hatte sie sich so allein gefühlt wie in diesem Moment und das trübe Wetter mit der öden Landschaft wirkte bedrohlich und beklemmend.

Hier oben konnte sie nicht bleiben. Mit der Hoffnung einen Ort und eine Bleibe zu finden, machte sie sich wieder die überdimensionale Düne hinab. Hoffentlich gab es hier überhaupt Zivilisation. Auf einer einsamen, verlassenen Insel wäre jede Aussicht auf Hilfe ein verschwendeter Gedanke. Dabei wusste sie nicht einmal, ob es sich um eine Insel oder die Redline drehte, auf der sie in der großen weiten Welt gelandet war.

Langsam stapfte sie wieder im Sand herunter. Das ging zumindest leichter und schneller als der Aufstieg. Ziellos streifte sie durch das Heidekraut, vorbei an gebückten Kiefern und Wacholdern, entlang an sumpfigen Senken, in welchen morastiges Wasser stand, dichte Schilfgräser und Birken wuchsen. Kein Pfad von Mensch oder Tier schlängelte sich hier entlang. Schon bald war die Düne komplett vom Nebel verschluckt worden und Tashigi verlor sämtliche Orientierung. Jedes Gebüsch und jeder Halm sahen gleich aus. Fast schon hatte sie vermutete, im Kreis zu laufen, als sich die Umrisse von Bäumen gegen den Himmel abzeichneten. Ein Wald tat sich auf. Auch hier war kein Pfad auszumachen. Dennoch beschloss sie, diesen Wald zu durchqueren mit dem Vorhaben, auf Einwohner dieser Gegend zu stoßen.

Stunde um Stunde vermochte sie nun wohl schon durch moorigen Morast, dorniges Beerengestrüpp und peitschendes Geäst gestapft zu sein. Ihr getroffene Entscheidung den Weg durch den Wald gewählt zu haben, bereute sie mittlerweile zutiefst. Der Nebel hing über den Birkenwipfeln wie ein Schirm, der das Tageslicht verschluckte. Sie hatte jegliche Orientierung verloren, eine Himmelsrichtung war in auszumachen. Längst waren ihre Stiefel vom Moorwasser durchtränkt, ihre Haare hingen in nassen Strähnen herunter und ihr Lebensmut war gesunken. Auf einem umgestürzten Baumstamm einer alten Kiefer machte sie halt, um wenigstens einmal das Wasser aus ihren Schuhen zu gießen. Trostlos wirkte der Wald, nass uns kalt. Die Atmosphäre drückte gespenstisch auf die eigenen Sinne. Die Traurigkeit im Herzen wurde zusehends größer und schwerer. Die Birken standen immer enger und ab zu und mischten sich mal eine Handvoll Kiefern dazwischen. Schilfgras, Moose und Flechten bedeckten kunstvoll Boden und Bäume. Aber ihre Kunst verlor sich zwischen der einsetzenden Dämmerung und dem drückenden Nebel. Sie atmete tief durch und appellierte an ihre eigene Disziplin. Irgendwann müsste dieser öde Sumpfwald doch mal enden. Weiter und weiter stapfte sie voran und motivierte sich selbst, aber motivierende Gedanken waren bald aufgebraucht. Langsam setzte die Dunkelheit ein. Bald war es kalte Nacht und stockfinster. Noch immer war sie im Sumpf. Es wurde mit ihren klammen Kleidungen am Leibe unerträglich kalt. Auf einen herausragenden Baumstumpf ließ sie sich noch einmal nieder. Die Nacht würde sie wohl hier verbringen müssen. Sie hatte sich verirrt.
 

Der nächste Tag begann, wie der letzte endete: Nasses Wetter, grau verhangener Himmel, Schwaden von Nebeln und kalter Morast. Emotionslos und ohne jegliches Wissen um eine Richtung irrte sie langsam voran. Stundenlang änderte sich am Gelände nichts. So verstrich auch dieser Tag und wieder senkte sich die Dunkelheit der Nacht herab. Gerade als sie sich schon mit ihrem Schicksal abgeben wollte und nach einem weiteren Nachtlager im Moor umsah, änderte sich der Boden. Die Gräser und der Heidesand wichen einer gepflasterten Straße. Eine Straße! Plötzlich erstrahlten wieder alle Lebensgeister in Tashigi und sie ging guten Mutes voran. Entweder würde diese Straße aus dem Wald heraus führen oder wenigsten zu einem Haus. Man würde sehen. Zumindest war es nun von unten her für ihre Füße um einiges trockener.

Tatsächlich hatte sie sich für die richtige Richtung entschieden und nach einer geschätzten Unendlichkeit inmitten der Nacht tauchten rechts und links der Straße Fußwege und gemauerte Häuser auf. Diese wirkten gedrungen und waren nebeneinander so eckig und geradlinig angeordnet, als hätte man Bauklötze aufgestellt. doch etwas war unheimlich, denn dieser Ort wirkte wie fluchtartig verlassen und ausgestorben. Kein Licht schien aus den Fenstern, aber die Straßenlaternen beleuchteten schwach die Innenstadt. Türen und Fenster waren zum Teil vernagelt, Tore verschlossen und die Schaufenster der wenigen Geschäfte wirkten verstaubt und ungeordnet. Überall flog Müll herum und Blutspuren ließen nichts Gutes verheißen. War das Örtchen einem Massaker zum Opfer gefallen? Eine unheimliche Kälte durchströmte von den Grundmauern dieser Stadt herauf durch die Gassen und umklammerten Geist und Seele seiner Besucher. Durch Mark und Bein zwang sich der vermutete Horror und umklammerte ihr Herz. Zeitungspapier flog über die Straße. Es schien aus den vollkommen übergequollenen Mülleimern magisch herausgerissen worden zu sein.

Tashigi schnappte instinktiv danach. Immerhin war es eine Chance, etwas über diese Stadt zu erfahren. Tief kramte sie in ihrer Manteltasche und fand tatsächlich die Linse, die sie auf der Pflaumenbauminsel gekauft hatte. Es würde ihr das Lesen sehr erleichtern.

In großen Lettern in einer fremden Sprache prangte der Name auf dem Titelblatt: FYRBY NYHEDER. Und darunter war der Tag der Ausgabe, nämlich TIRSDAG, 3. JANUAR 1523. Die Zeitung war also definitiv frisch gedruckt. Daran bestand kein Zweifel. Doch wer sollte sie schon kaufen in einem Ort, wo es anscheinend keine Leser gab? Mit der Zeitung in der einen und der Linse in der anderen Hand schlenderte Tashigi hinüber zu einer Parkbank. Dort wurde das Schriftstück erst einmal genau gefilzt, doch es war nichts Gescheites drin. Die Fremdsprache ähnelte ihrer eigenen. Vereinzelte Wörter ließen sich entschlüsseln. Lediglich Anzeigen und Dorfklatsch. Selbst Überregionales aus der Welt fehlte. Wenigstens könnte sie wohl nun Festhalten, dass sie in Fyrby gelandet wäre.

Gegenüber auf der anderen Straßenseite lärmte es. Eine Mülltonne war scheppernd umgefallen und ließen Tashigi erschreckt hochfahren. Automatisch sah sie durch ihre Linse und erstarrte. Dort drüben an der Häuserwand entlang taumelnd war eine Gestalt. Aber was für eine? Noch nie hatte sie so etwas bisher in ihrem ganzen Leben jemals zu Gesicht bekommen. Undefinierbar stand die Figur aufrecht auf zwei völlig verdrehten Beinen. Arme und Kopf schienen eng an den Körper unter einer dünnen Ballonhaut gepresst zu stecken. Das ganze Wesen bewegte sich unnatürlich wackelig und gegen jegliche gekannte Form der Fortbewegung. Tashigi stockte der Atem. Nein, so was hatte sie noch nie zuvor gesehen. Definitiv ein Monster. Mucksmäuschen still verhielt sie sich und wagte es kaum zu atmen. Um keinen Preis wollte sie ihre Anwesenheit hier im Halbdunkeln am Rande des Scheins einer Straßenlaterne preisgeben. Langsam senkte sie die linse und weg war das Getier des Teufels. Wieder hob sie die Linse vor ihre Augen. Tatsächlich sah man das Ungestüm nur durch ihr geschliffenes Glas. ein Deja vú durchfuhr sie. War es nicht auch die Camera Obscura gewesen, die Übernatürliches erst sichtbar macht? Der Kauf dieser Linse war ein Glücksgriff. Oder ein Fluch. Je nach dem. Dennoch war sie mehr als froh, als sich das Monster auf der anderen Straßenseite um eine Hausecke verzog.

Tashigi überlegte ihre nächsten Schritte sehr bedächtig. Wenn sie hier in eine Spukstadt geraten war, dann war oberste Vorsicht geboten. Das hatte sie bereits in der Villa im Bambushain gelernt. Eine Landkarte oder ein Stadtplan wären sicherlich nicht schlecht. Und vielleicht auch eine Umfassung für ihre Linse, damit sie nicht zerbrechen würde. Sie erhob sich von der Parkbank und durchschritt die vereinsamten und dunklen Straßen der Stadt. Ihre erste Idee konnte sie weit nach Mitternacht befriedigen. An einem Eingangstor zu einer Parkanlage stand eine Holztafel, an welcher Flugblätter, Anzeigezettel, aber auch ein mittelgroßer Stadtplan hingen. Niemals hätte sie sich das alles sofort einprägen können, zumal es alles in der fremden Sprache verfasst war. Kurzum riss sie den Plan einfach von der Holzwand und steckte ihn ein. Außer ihr würde wohl niemand einen Plan brauchen. Das Monster würde sicher allein seinen Weg nach Hause finden.

Sie lief weiter durch die Straßen. Keine Menschenseele, nur verwahrloste Häuser und Grundstücke, als hätten alle Einwohner die Ansiedlung in Panik schon vor langer Zeit verlassen. In einer Häuserzeile flankierten zwei große verhängte Schaufenster eine Glastür und darauf stand "Cafehuset" - ein Kaffeehaus. Die Tür stand zur Hälfte offen. Vom Hunger und Durst geplagt steuerte Tashigi exakt darauf zu, obwohl es unsinnig war, in dieser Geisterstadt noch essbare Nahrung finden zu können.

Im Inneren sah es nicht gerade einladend aus. Obgleich es früher einmal sehr gemütlich gewesen sein mochte. Nun bot sich ein Bild der Verwüstung. Umgekippte Stühle und Tische, herumstehendes verdrecktes Geschirr, verstaubtes Inventar. Nein, sicher gab es hier nichts zu Essen. Doch etwas enttäuscht, nicht mal einen Brotkrumen gefunden zu haben, sah sie sich um. Nanu? Dort drang Licht aus der Küchentür? Das war doch merkwürdig.

"Hallo?" rief sie vorsichtig, doch es kam keine Antwort. Vorsichtig zog sie Shigure aus der Saya und ging in Kampfposition, bereit zuzuschlagen, wenn sie gleich die Tür öffnen würde. Im Zeitlupentempo streckte sie ihre Hand nach dem verrosteten Türgriff aus und in dem Moment, wo sie daran ziehen wollte, wurde die Tür von der anderen Seite aufgerissen.

Es waren nur Sekunden, in denen sie registrierte, wie sie in eine gespannte Schleuder blickte. Sie schrie sich vor Angst die Lunge aus dem Hals und schlug reflexartig zu. Ihrem Gegenüber ging es nicht anders. Auch er schrie im Moment der Panik und ließ das Wurfgeschoß los. Shigure krachte in den Türrahmen. Splitter und Bretter flogen zu Boden, während das Wurfgeschoss durch die Zimmerdecke ging und sie teilweise zum Einsturz brachte. Ein großes Loch gab nun den Blick in den darüber liegenden Raum frei.

Beide Kontrahenten nahmen Deckung auf und lugten vorsichtig hervor. Erst als der Staub sich legte, wurde das Erstaunen sehr viel größer.

"Usopp?"

"Tashigi?"

"Was machst du hier?" kam es dann aus beiden Mündern zeitgleich.

Voller Freude, in dieser mysteriösen Stadt voller Merkwürdigkeiten sich gefunden zu haben und nicht mehr allein sein zu müssen, fielen sie sich in die Arme. Natürlich wurden sofort die Geschehnisse und Entdeckungen ausgetauscht.

Usopp war erst heute Morgen aufgewacht. Aber in einer ganz anderen Gegend. Beklemmend berichtete er von einem Appartement, wo es vor Müll und Verwahrlosung nur so wimmelte. Und als er dann von Mysterien und Monstern erzählte, glaubte ihm Tashigi jedes Wort. Sie kramte die Karte herbei, damit sie sich beide ein Bild von ihrem Standort machen konnten.

„Also ich muss irgendwo dort gelandet sein, aber mir scheint, dass es außerhalb der Karte liegt“, begann sie und deutete auf dem Stadtplan im nordöstlichen Teil den durchquerten Sumpfwald und die Zufahrtsstraße. Der Kanonier war überrascht, dass Tashigi bereits schon zwei volle Tage hier herumirrte und bewunderte ihren Mut. Er selbst hätte sich am liebsten unter einem Bett verkrochen, aber der Fußboden in dem Appartementgebäude war versifft und die ganzen dubiosen Gestalten hatten ihn schleunigst aus dem Haus getrieben. Er kramte in seiner braunen Ledertasche, die wohl unendliche Tiefen beherbergen mussten, nach einem roten Stift und begann in der Karte Markierungen vorzunehmen.

„Das Appartement lag hier unten im Süden. Ich bin erst weiter nach Süden gerannt. Hier, wo die Straße zu einem Vorort zwischen den Berghügeln führt. Aber da war die Straße komplett aufgerissen wie nach einem Erdbeben. Es stank dort bestialischen nach Qualm und Schwefel. Und der Boden dort wurde immer heißer. Der hat meine Schuhsohlen angesenkt.“

Um seine Geschichte zu bestätigen, deutete er sofort auf seine Sohlen. Tatsächlich sahen sie verschmorrt aus.

„Naja, aber schön war es da nicht und sehen konnte man auch nichts. Also bin ich wieder zurück, aber durch einen Hinterhof um das Appartement herum. Das müsste der dort sein. Und dann war ich auf der Parallelstraße, die aber auch gesperrt war und dann bin ich durch die Hintertür hier in die Küche rein.“

Tashigi hatte den ganzen Weg mit den Augen auf dem Plan verfolgt und maß nun mit den Fingern und dem angegebene Maßstab die Entfernung ab.

„Wow, das waren doch hin und zurück fast 10 Kilometer...“ stellte sie fest, aber sie wusste, dass der Angsthase namens Usopp in Panik jedem Marathonläufer Konkurrenz machen konnte.

„Und du konntest aber auch nichts weiter erkennen?“ fragte sie noch einmal nach. Der Scharfschütze schüttelte den Kopf.

Ein Schauer lief Tashigi über den Rücken. Ein schlimmer Verdacht machte sich in ihr breit.

„Ich glaube, ich weiß nun, wo wir hier sind“, sagte sie leise.

„Tatsächlich?“ Usopp machte Augen so groß wie Kuchenteller.
 

Ganz woanders in der Welt mitten auf der ersten Hälfte der Grandline trieb die Sunny mutterseelenallein über das Meer. Auch wenn der hölzerne Löwenkopf vorn am Bug keine Miene verziehen konnte, sah man ihm dennoch an, dass er über den Zustand der Führungslosigkeit nicht glücklich war. Wenigstens war das Schiff derart gut konstruiert, dass es wie ein Stehaufmännchen munter auf den Wellenkämmen ritt und überschlagende Wasserwogen es nicht zum Kentern brachten.

Gerade erst hatte sich das Wetter und der Seegang wieder beruhigt und die Sunny ließ ihre salzwasserdurchtränkten Planken in der Sonne trocknen, als sich von himmelwärts eine violette Lichtkugel langsam wie Ufo an Deck niedersetzte. Ein Plop-Geräusch ließ es verschwinden und gab den Blick auf drei Figuren frei.

„Argh, wir sind zu spät!“ kreischte die Große.

„Mir ist schlecht. Ich hasse teleportieren“, lallte die Kleine mit einem ernstzunehmenden grünen Gesichtsausdruck.

„Und nun?“ fragte die Mittlere.

„Was und nun? Guck mal in der Küche, ob du da ’nen magenfreundlichen Tee für Kivi findest. Am besten Pfefferminze oder so was. Und ich bringe den Kahn hier auf Kurs. Wäre ja sonst schade drum. Kivi? Willste da oben beim Steuerrad aufs Sofa oder legst du dich erstmal in Schlafraum hin?“ gab Yurenda Anweisungen. Als ob der Sunny der abwertende Ausdruck „Kahn“ nicht gefallen hatte, schlug sie über dem nächsten Wellchen einen Haken, sodass die drei neuen Passagiere fast überrumpelt hinfielen und über das Rasendeck kugelten.

„Hey!“ beschwerte sich die rote Prismenträgerin. Ja, das Schiff hatte eine Seele. Da sollte man wohl Vorsicht walten lassen.

Nur eine kurze Weile später saßen Azarni und Kivi mit dampfenden Tassen Tee in den Händen auf dem Sofa und starrten über das Meer. Kivi hatte Augen so groß, tief und rund wie Monde, welche den Horizont absuchten. Weit und breit kein Land in Sicht. Wenigstens war die Fahrt angenehm ruhig und sein Gesicht hatte wieder eine gesunde Farbe angenommen.

„Wohin geht es?“ fragte nun das Mädchen ihre Chefin, die grimmig am Steuerrad stand.

„Erklär’ du ihr meine Idee. Ich muss nachdenken...“, kam es nur von Yurenda knapp, aber bestimmt. Sie war mehr als sauer. Die Übernahme der Regierungsgeschäfte waren mehr als harte Arbeit, die Angestellten bockig und faul und die Marine spaltete sich ab in ein eigenes Lager. Auch die vier Yonkou und die sieben Shichibukai machten, was sie wollten und das erschwerte die Lage. Falls jemals jemand als Traum besäße, die Weltherrschaft an sich zu reißen, Yurenda würde sofort davon abraten. Der Job war echt hart und nervtötend. Kivi entgegnete da nur, dass man so etwas vorher hätte wissen können, aber als Träger des blauen Prismas, war eh sowieso allwissend. Da nutze jegliche Diskussion mit ihm nichts.

Kräftig schlürfte der Fledermausköpfige an seiner Tasse Tee, dachte kurz nach, wie er sein geballtes Wissen in leicht verständliche Sätze packen konnte und legte los:

„Die Insel Lysø liegt im nördlichen Calm Belt der Neuen Welt. Sie umfasst gute 400000 km², doch das Klima ist eher rau und die Vegetation biete keine guten landwirtschaftlichen Bedingungen. Die Insel wird umrandet von einem Dünen- und Sumpfgebiet. In der Mitte befinden sich bewaldete Hügelberge. Einzige Ortschaft ist Lysby. Dort wurden vor vielen, vielen Jahren große Vorkommen an Anthrazitkohle gefunden wurden. Natürlich wollte man diese Mengen abbauen. Die Weltregierung dort beschloss ein umfassendes Förderprogramm, welches dahin ausartete, die Berge und den Boden der Insel wie einen Käse zu durchlöchern. Die Stadt dort wuchs und brachte Wohlstand. Viele neue Stadtteile schossen wie Pilze aus dem Boden. Auch die Weltregierung lebte sehr gut vom Handel und ließ sich gewinnbringende Prozente auszahlen.

Allerdings geschah ein Grubenunglück. Die Kohle begann zu brennen. Das war vor 83 Jahren. Sie brennt noch heute und wird es auch noch die nächsten 1000 Jahre tun. Pro Tag verbrennen unter Tage vier bis fünf Meter der Kohleschichten. Das macht sich auch an der Oberfläche bemerkbar. Der Boden wird an einigen Stellen kochend heiß. Straßen reißen auf, Häuser brechen zusammen, die Natur verkohlt. Giftige Verbrennungsgase dringen an die Oberfläche und verpesten die Luft. Die halbe Insel ist schon dieser Katastrophe zum Opfer gefallen. Heute dürfte niemand mehr dort leben.

Allerdings kennt die Insel heute auch kaum jemand mehr. Nach dem Unglück ließ die Weltregierung die Einwohner evakuieren, Registrierungsbücher fälschen und die Insel aus den Karten löschen. Lysø ist komplett verschwunden.“

Das junge Mädchen bezweifelte die Notwendigkeit, die eigene Gesundheit auf so einer Gasdeponie in Gefahr zu bringen, aber Rot und Blau blieben da eisern hartnäckig. Der Kurs stand. Nächster Halt: Lysø.

48 - Nationalgalerie

Einst als Komplex für Nobelappartements aus dem Boden gestampft, ruhte das überdimensionale Gebäude nun verwahrlost auf dem Hügel des teuersten Stadtviertels von Fyrby, wo sich einst Reiche, Schöne und jene, die sich dafür hielten, die Klinke in die Hand gaben. Wie ein Hufeisen umschloss es sanft einen nun verwilderten, parkähnlichen Innenhof mit mittlerweile trockenem Swimmingpool. Obwohl die Anlage sich in eine Höhe von fünf Stockwerken empor streckte, schmiegte sie sich elegant an die angrenzenden Berghänge an und wirkte für den Betrachter kleiner, als sie im eigentlichen war. Die Architektur war schlicht, aber dennoch edel. Hohe Fenster, große Balkone und Freiterrassen zierten die jetzt heruntergekommene Fassade und boten den ehemaligen Mietern viel Platz für Stehpartys, Cocktailgeschlürfe und Smalltalks über den herrlichen Ausblick weit über die Dächer der Stadt bis hinüber zum Meer am Horizont.

Gegenwärtig war jedoch von all dem Luxus vergangener Tage nichts mehr zu sehen. Müllcontainer quollen über und hatten mittels Wind und Wetter ihren Inhalt über das gesamte Areal verteilen lassen. Hier und da wehten schwere Samtvorhänge durch eingeworfene Fensterscheiben, Poolliegen waren zerschlitzt, Briefkästen überfüllt von Post, die niemand abholen würde, und Dreck lag in allen Winkeln und Fluren. Kreuz und quer moderten Möbelstücke und Sperrmüll in den Treppengängen vor sich her. Regenwasser tropfte durch die Decken und zerstörten die wertvollen Tapezierungen. Ein bestialischer Geruch von Versiffung durchzog das ganze Haus. Es glich im Großen und Ganzem dem Heim von Mietnomaden mit Messie-Syndrom, welche längst Reißaus genommen hatten.

Weit oben im Westflügel des Gebäudes reihten sich Einzimmerwohnungen eng aneinander den Flurgang entlang. Auch wenn die Korridortüren längst verdreckt waren und bei jeder Bewegung in den Angeln lärmten wie ein Quietschentchen, trugen sie immer noch stolz auf einem mittig angebrachten Schild ihre Zimmernummer in goldenen Hochglanzziffern. Eine dieser Türen führte in den Raum 529 und ließen den Besucher auch sogleich mitten im Chaos stehen. Eine längst getrocknete Blutlache hatte den guten Teppich verdorben und den Mietpreis empfindlich gedrosselt. Rechter Hand war ein riesiges Loch in der Wand und gab den Blick in das Zimmer 530 frei. Linker Hand knickte der Raum hinter einem massiven Garderobenschrank in einen Wohn- und Schlafbereich weg, an dessen Ende eine Kochzeile und die Tür in ein Bad führte. Den einzigen Blick ins Freie konnte man durch zwei große Glasflügeltüren auf den Balkon erhaschen. Mehr als eine antike Kommode, einen zierlichen Holzesstisch und eine kompakte Schlafcouch gab es nicht. Weiteres Inventar war entweder geklaut oder im Raum zertrümmert worden. Vielleicht mag die Couch einst seinen Besitzer wie auf Wattewolken ruhen gelassen haben. Jetzt war sie nass vom einbrechenden Regenwasser, der feste Stoff abgewetzt und die Sitzfedern hatten sich ihren Weg durch den Bezug nach oben erkämpft. Alles zusammen war es mehr als ungemütlich.

Selbst Zoro konnte auf so einer abgewetzten Sitzgelegenheit nicht schlafen, obwohl genau das ihm eigentlich immer und überall gelang. Mit dem Gefühl auf einem Nagelbett geschlafen zu haben, rappelte er sich gähnend auf und staunte nicht schlecht, wo er gelandet war. Erst jetzt bemerkte er, dass die Federn des Sofas schuld für die schlechte Liegequalität waren und seine Kleidung nicht nur feucht, sondern auch extrem miefig war. Genau wie das Sofa. Überhaupt war die Luft mehr als bestialisch stinkend und abgestanden, weshalb er auf der Stelle überzeugt war, diesen Raum zu verlassen. Aber wohin?

Während er sich erhob und seine Schwerter wieder an seinem Haramaki befestigte, konnte seine Nase schnell die Ursache der Geruchsbelästigung ausmachen. Ein geschicktes Anschubsen mit dem Fuß verschloss die geöffnete Tür zum Bad, worin es aussah, als hätte es über die gesamten Badausstattung von der Zimmerdecke her Erbrochenes geregnet. Was für ein abstruser Ort!

Der Schließmechanismus der Korridortür war eingerostet und da man nie wissen konnte, was einen auf der anderen Seite erwartete schlüpfte Zoro leise durch den Durchbruch in der Wand in den Nebenraum. Sauberer war es hier auf keinen Fall, nur die Einrichtung unterschied sich von der Nachbarwohnung. Aber interessanter war es hier auch nicht. Wenigstens ließ sich die Tür zum Gang problemlos öffnen.

Er spähte aufmerksam zu beiden Seiten in den dunklen Gang und mutmaßte, zumindest augenscheinlich allein zu sein. Noch einen Moment verharrte er an Ort und Stelle, dann machte er sich auf. Viele Geister riefen und schwirrten umher, von denen er nichts wissen wollte. In seinem Kopf drehte sich alles. Vor seinen Augen verschwammen Konturen und erleichterten seinen Weg im Halbdunkeln nicht sonderlich. Nur mit Mühe hielt er sich auf den Beinen und wankte voran. Noch nie gehörte er zu denjenigen, die sich Schwäche hätten jemals anmerken lassen, aber es ging definitiv nicht anders. Sein Gesicht glühte wie ein Stück Kohle. An die nasskalte und verschimmelte Flurwand gelehnt, suchte er Kühle, die etwas Linderung brachte. Seine körperliche Schwäche konnte er sich nicht erklären. Er wollte nur raus aus diesem merkwürdigen Gebäude. Da verzichtete er lieber auf einen Gefühlswellencheck, um die innere Verwirrung nicht noch größer zu machen.

Stunde um Stunde waren bereits vergangen, doch die Gänge von einer Treppe zur nächsten schienen kein Ende zu nehmen. Immer wieder versperrten verschlossene Türen, Sperrmüll, eingestürzte Wände und Decken den Weg, so dass er gezwungen war, sich über Umwege durch die verlassenen Wohnungen kämpfen musste. Sonderbares kam da zum Vorschein. Manch ein Appartement war frisch renoviert, manch ein anderes wieder vollkommen abgewohnt und verstaubt, dann wieder eines total zerstört und vermüllt. Da war einmal eine Küche, in welcher noch Wasser aus dem Hahn lief oder eine Stube, in welcher noch Licht brannte und ein aufgeschlagenes Lesebuch auf seinen Leser wartete, der ewig verschollen schien. Dann waren da ein Fotolabor mit frisch entwickelten Bildern auf einer Trockenleine. Doch die Gesichter waren alle kreisförmig verzerrt. In einem anderen Raum hatte jemand Insekten präpariert und in Rahmen aufgehängt. Es flog kein einziges Tier, doch man konnte sie hören wie ein Wespennest im Angriff. Doch am sonderbarsten empfand er den Raum, wo eine alte Kinokamera eine Endlosschleife abspielte. Sie zeigte nichts anderes, als eine flackernde Glühbirne, die von Motten umkreist wurde. Da war der Raum nebenan mit seiner weißen Tapete und den roten Klecksen in Form von Blutspritzern nichts dagegen. Und so zog Zoro weiter und weiter durch das Haus.

Orientierungssinn hin oder her: Abgesehen von den mehr als verrückten Raumausstattungen hatte er das dumpfe Gefühl, hier mehr als an der Nase herumgeführt zu werden. Schon einige Treppen war her hinabgestiegen. Aber dem Erdgeschoss schien er nicht näher gekommen zu sein. Zimmernummern und Wohnungen wiederholten sich, obwohl er nicht ein einziges Mal kehrt gemacht hatte. Das Haus war verhext. Mittlerweile bestand seine Strategie aus nichts anderem, als in jedem Gang auf jede Klinke zu drücken und die nächste Wohnung unter die Lupe zu nehmen. Der Versuch, einfach eine Wand ins Freie einzureißen, war schon beim ersten Schlag gescheitert. Er zielte auf wackeligen Beinen, führte seinen Angriff aus und landete auf dem dreckigen Fußboden. Tatsächlich hatte er das Gleichgewicht verloren. Auf diese Art und Weise war es noch nie um ihn geschehen gewesen. Seine Körperkontrolle war mehr als außer Kraft gesetzt. Also wankte er weiter, sich nun bereits schon dauerhaft an der Flurwand abstützend.

Noch eine Klinke und noch eine Treppe. Zimmer 112. Die letzten fünf Male war diese Tür verschlossen. Nun sprang sie auf, als wäre es das einfachste von der Welt. Zoro hatte aufgehört, sich über so etwas zu wundern und es als verdächtig einzustufen. Die Wohnung dahinter war ordentlich, gewöhnlich und verlassen, so wie alle anderen Wohnungen auch. Aber zur Abwechselung stand die Balkontür sperrangelweit auf. Endlich ein Ausweg. Er zog den Vorhang beiseite und konnte sich gerade noch rechtzeitig daran festhalten. Anderenfalls wäre er ein Stockwerk in die Tiefe gestürzt, wie bereits der Balkon vor ihm, der nun dort unten auf den Pflastersteinen zerschmettert lag. Weiter sah man im Innenhof nur den leeren Swimmingpool, ein paar der Gartenliegen und Beistelltische. Der Rest ließ selbstlos sich vom Nebel verschlucken.

Die frische Luft tat gut in den Lungenflügeln, beseitigten aber nicht die Schwindelanfälle. Dennoch stand es für den Schwertkämpfer außer Frage den Sprung in die Freiheit zu wagen. Es glich jedoch mehr dem Sturz eines Mehlsackes, wie er unten auf dem Boden aufschlug und böse Schmerzen in unzähligen Knochen empfand. Vollkommen zeitlos blieb er alle Viere von sich gestreckt eine Weile auf dem Rücken liegen, starrte in die Nebelschwaden über ihm und begann sich mit geschlossenen Augen zu konzentrieren. Wenigstens wollte er wissen, ob seine Freunde in der Nähe wären. Es gelang ihm nicht und mit jeder Übung, um zur inneren Ruhe und Mitte zu gelangen, hämmerten Schläge in seinem Kopf los, die sich mit Kumas Schmerzblasen auf eine Stufe stellen könnten. Die Pflastersteine unter ihm waren eiskalt und er drehte seine Schläfe zu diesen mit der irrsinnigen Annahme, die Kälte würde den Schmerz einfrieren. Leicht öffnete er die Augen, als er meinte, ein Geräusch vernommen zu haben. Die Welt um ihn herum war plötzlich schwarz geworden. Ja, das kannte er, wenn sich sein zweites Ich durchsetzte. Und diesmal wurde ihm auch klar, was da jedes Mal passierte. Einzelne Konturen vom Innenhof in Komplementärfarben hoben sich umrisshaft aus dem Schwarz hervor. Es war die Welt in der er eben noch war und doch nicht: Er konnte in einer Parallelwelt wandern.

Um diese Erkenntnis reicher, aber ohne einen Sinn darin zu sehen, wozu man so etwas jemals gebrauchen könnte, drehte er sich auf die Seite. Seinen unterkühlten Rücken spürte er nicht mehr. Grüne Funkenlichter stiegen von ihm auf. Langsam, warm und vertraut. Nein, er wollte nicht ausblühen. Ein Steinbrocken vom Balkon lag in der Nähe. Mit einem verzweifelten Ausholen ergriff er das Stück Beton und drückte es in seiner Hand wie eine Zitrone zum Auspressen. Der Brocken zerbröselte und zerschnitt seine Handfläche. Blut quoll hervor und tropfte auf den Boden. Doch es half und der Spuk verschwand. Besser ging es ihm davon aber nicht. Langsam rappelte er sich hoch und kroch von Schwindelanfällen geplagt auf Händen und Füßen vorwärts bis zur nächsten Liege.

Wie lange er dort gelegen haben mochte, war absolut belanglos. Es war nur von Bedeutung, dass seine Lebensgeister wiederkehrten und ihm erlaubten, seinen Weg ins Nirgendwo fortzusetzen. Gerade wollte er gehen, als sein Blick auf den kleinen Beistelltisch fiel. Dort lag ein Brief, der vorhin noch nicht dort gelegen hatte.

„Für Zoro“, war auf dem Kuvert in einer künstlerischen Schnörkelschreibschrift zu lesen. Der Adressat wunderte sich über nichts mehr. Weder warum er sich hier mutterseelenallein in einer verhexten Wohnanlage aufhielt, noch dass ihm jemand einen Brief schrieb, obgleich hier niemand war, der ihn kennen könnte. Unbewusste blieb sein Blick am Poststempel hängen und wünschte sich im nächsten Moment, lieber ein Analphabet zu sein, um solche Informationen nicht lesen zu müssen. Der Stempelort war unkenntlich, jedoch nicht das Datum vom 11.11.1502. „Die Post hat wohl länger mit der Zustellung gebraucht“, dachte er zynisch bei sich.

Durch das Büttenpapier fühlte er einen Gegenstand in dem Brief eingeschlossen. Emotionslos riss er den Umschlag mit den Fingern auf. Ein kleiner Schlüssel rutschte heraus und mit ihm eine kleine Nachricht:

„Ich warte auf dich, mein Schatz! Wir treffen uns in der Nationalgalerie. Die Karte findest du im Briefkasten in der Eingangshalle.“

Zoro verzog das Gesicht. Auch wenn er nicht so recht wusste, was er sich von dem Inhalt versprochen hatte, so war es sicherlich kein Date mit einer anonymen Person an einem Ort voller Tod und Horror gewesen. Es war auch mehr als schleierhaft, warum er nun wieder in dieses widerliche Gebäude hineingehen sollte, um Briefkästen zu durchwühlen. Die Post fremder Menschen ging ihn nun wirklich nichts an. Immerhin war er doch gerade eben recht froh, dem Komplex endlich entkommen zu sein. Man hätte zudem aus reiner Freundlichkeit die Karte auch diesem Brief beifügen können. Nein, so was ging gar nicht und Zoro war kurz davor, den Brief einfach liegen zu lassen. In Gleichgültigkeit war er sehr gut geübt.

Andererseits fraß sich der Gedanke in seinem Kopf fest, wer seit seiner Geburt ausgerechnet an diesem Ort hier auf ihn warten würde. Und zudem wäre der Blick auf eine Karte sicherlich nicht der Verkehrteste. So wüsste er wenigstens, wo er auf der gesamten großen Welt gelandet war. Redline, Calm Belt? Grandline? Einer der Blues? Seufzend wandte er sich der Eingangstür zu, die gnädigerweise offen war. Zur Eingangshalle mit den vielen hunderten Briefkästen waren es nur wenige Meter und „hundert“ war wirklich nicht untertrieben. In langen Reihen rechts und links der großen Eingangstür hing Kasten neben Kasten wie Perlen an einer Schnur aufgefädelt. Langsam ging er an den Kästen entlang und versuchte die verblichenen Namen zu lesen. Nicht jeder Kasten war beschriftet oder aber dessen Schild unleserlich geworden. Zoro hatte genug und riss nun genervt den Inhalt der Postfächer heraus. Alles was er davon nicht brauchte oder nicht nach dem Gesuchtem ausschaute, fiel achtlos auf den Fußboden. Wen würde es schon stören?

Nach einer halben Ewigkeit hielt er den richtigen Brief in den Händen: selbes Kuvert, selbes Papier und selbe Schrift. Tatsächlich war ein Stadtplan enthalten und ein mit dickem Rotstift umkreister Ort kennzeichnete die Nationalgalerie. Allerdings wurde er nicht so recht schlau aus der Karte, wo er selbst sich befinden würde. Also steckte er den Plan ein und trat durch den Haupteingang ins Freie. Der Nebel war dicker als Erbsensuppe. Es war kaum möglich über den Vorplatz zu sehen, an dessen Ende sich nahtlos der Kiefernwald anschloss. Der Logik folgend, hielt er sich Hügel abwärts, wo er eher eine Galerie im Stadtzentrum vermutete als in Richtung Wald. Der Nebel wurde dichter und dichter. Mittlerweile lag die Sichtweite unter 25 Metern. Zoro hatte keine andere Wahl, als den Straßenschildern glauben zu schenken, die ihm den Weg ins Stadtzentrum wiesen. Man selbst hatte das Gefühl durch Wolken zu laufen.

Die einsame Landstraße zog sich in die Länge und nichts gab den geringsten Anhaltspunkt, wo er sich befand. Kiefernwald und Sandboden säumten den Straßenrand. Alle paar Kilometer gab ein Meilenstein die zurückgelegte Entfernung an und dann tauchte eine Kreuzung auf. Ohne irgendein Hinweisschild. Verdammt. Ratlos stand der Schwertkämpfer in Kreuzungsmitte und drehte sich langsam um sich selbst. Es war kaum etwas zu sehen. Nur ein Leichter Schatten in der einen Ecke hob sich gegen die weißen Schwaden ab. Der Schatten versprach unerhofft Hilfe: eine Haltestelle für den Pferdebus. Neugierig trat Zoro näher und kramte wieder den Plan hervor. An dem Halteschild waren Fahrpläne angeschlagen und tatsächlich eine Route.

„Gammel Vej/Klitvej“, entzifferte Zoro seinen Standort laut. Das war doch mal Glück! Tatsächlich fand er nun auch die Kreuzung seinem Plan und schätze mit der Handbreite am Maßstab ab, wie weit es noch bis zum Ziel sein mochte. Vielleicht eine gute halbe Stunde. Zumindest schien er bereits Dreiviertel des Weges geschafft zu haben.

Und wieder machte er sich auf den Weg. Immer entlang der Haltestellen und nun auftauchenden Straßenschilder. Die ersten Vorstadthäuser tauchten aus dem Nebel auf. Leere Fenster gähnten den einzigen Besucher in den Gassen an und ließen ihn willenlos passieren. Zoro irrte umher. Entweder passte die Karte nicht mehr oder seinem Orientierungssinn war auch mit einem Plan nicht mehr zu helfen. Stunde um Stunde schlenderte er durch das Straßengewirr, ließ seinen Blick über die Häuserfassaden streifen und nahm nicht einmal zur Kenntnis, dass die Dunkelheit über ihn hereinbrach. Die Nacht senkte sich wie eine große Käseglocke des Vergessens über allem. Erst als sich die Straßenlaternen entflammten, stellte er fest, wie lange er hier schon umhergegangen sein musste. Dieser Ort war merkwürdig. Er nahm einem jegliches Zeitgefühl, war heruntergekommen, menschenleer und machte einen mehr als depressiv und gleichgültig.

Die Häuser hörten auf und die Straße änderte sich abrupt. Sie war zwischen den Kopfsteinpflastern aufgerissen. Heißer Dampf strömte dort aus und kochte die Umgebung. Bäume und Sträucher waren verkohlt wie nach einem Waldbrand und von einstigen Gebäuden sah man nur noch die Grundmauern, wenn nichts sogar nur noch die Bodenplatten.

Etwas ganz anderes rauchte dort in der Ferne unter einer Straßenlaterne, wo eine Parkbank stand. Oben auf der Lehne hockte jemand und hatte die Füße auf der Sitzfläche stehen, was wegen dem Dreck auf der Bank nur allzu verständlich schien.

Man hätte wohl jeden auf der großen, weiten Welt antreffen können, aber man traf meist nur die Negativgestalten. Aber so war es nun einmal.

„Was treibst du hier?“ kam es von dem Zigarettenraucher herüber.

„Selber!“ gab Zoro zurück und ging auf den Smutje der Strohhutbande zu. Auch wenn er es nicht zugab, war er doch etwas froh, jemanden gefunden zu haben, der nicht orientierungslos war. Von seinem mysteriösen Treffen wollte er Sanji jedoch erst einmal nichts sagen. Hohn und Spott wollte er sich derzeit nicht anhören.

„Wo ist der Rest? Hast du etwas von Namilein, Robinchen oder Tashigi-Maus gehört?“ fragte Sanji nachdenklich ernst und versankt dann sogleich in Sorge. „Wenn ihnen doch nur nichts passiert ist an diesem schrecklichen Ort?“

Zoro tat mehr als unschuldig und antwortete nur: „Schrecklich?“ Und schluckte den Funken Ärger und Eifersucht herunter, als Sanji Tashigi mit einem albernen Kosewort betitelte.

„Hast wohl wieder die ganze Zeit gepennt, Marimo? Die ganzen `rumrennenden Monster und merkwürdigen Dinge, die hier passieren, kann man doch gar nicht übersehen!“ blaffte der Koch nun los. Für soviel Ignoranz der eigenen Umgebung hatte er absolut gar kein Verständnis.

„Aha“, gab der andere nun doch merklich erstaunt zurück. Wenn Sanji die Umgebung auch als so horrormäßig wahrnahm, dann waren es keine Einbildungen, sondern tatsächlich Realität. Es hatte also diesmal nichts damit zu tun, dass er im Gegensatz zu anderen Menschen Geister sehen konnte. Zoro hockte sich zu seinem Nakama auf die Banklehne und kramte die Karte hervor.

„Guck’ mal, wo wir hier sind“, beauftragte er abfällig seinen Banknachbarn, sich den Plan genauer anzusehen.

„Wo hast du die denn her?“ Nun lag das Erstaunen auf Sanjis Seite. „Was soll der rote Kreis da?“

„Kein Plan, aber da geht’s hin“, gab der Gefragte tonlos zurück.

Unter aufflackerndem Protest des Smutjes zogen beide weiter die Straße hinunter in die neblige Dunkelheit, nachdem der Jüngere mittels der Karte den Weg klar gemacht hatte. Schweigend und wachsam.

Nur gute zwanzig Minuten später standen sie vor einem Haus, welches zu recht die umgangssprachliche Bezeichnung „alter Kasten“ tragen müsste. Ein Stockwerk maß sicherlich an die drei bis vier Meter Höhe und davon gab es geschätzt an die drei. Der alte Schuppen schloss obig mit einem kupfernden Kuppeldach ab, das aber über die Jahrzehnte bereits zu einer grünlichen Farbe oxidiert war. Der Schlüssel aus Zoros Brief passte wie frisch gefeilt in das Schloss und ließ sich so leicht drehen, als hätte es nur auf den Schlüssel gewartet.

Sanji verschluckte die Frage, woher in aller Welt sein Mitstreiter den passenden Schlüssel besaß. Kaum waren beiden in der großen Innenhalle angekommen, fiel auch schon die schwere Eichentür hinter ihnen krachend ins Schloss.

Es roch muffig in den weitläufigen Räumen, aber das elektrische Licht brannte schwach und flackerte gelegentlich. Die Wände waren zugepflastert mit Malereien, die man im Halbdunklen aus der Ferne kaum zu erkennen vermochte. Jedes Bild war eingefasst von einem schweren, breiten Goldrahmen. Alles in allem war die Nationalgalerie tatsächlich ein Museum für richtig alte Bilderschinken, die sich hier schon seit Jahrzehnten abhingen und den Besuchern ihre Kunst darboten.

„Schau dich mal mit um, ob du hier entweder so einen Brief oder eine Person findest.“ Dabei schwenkte er Sanji mit dem Kuvert vor der Nase herum. „Ich bin aufgewacht und da lag dieser Wisch.“

Die Nationalgalerie war groß und verlassen. Dennoch hatte sich kaum Staub abgesetzt und es wirkte alles sehr gepflegt, obwohl der ein oder andere helle Fleck an der Wand vermuten ließ, dass Kunstdiebe sich hier bereits schon einmal kräftig bedient hatten. Von einander getrennt schlenderten Zoro und Sanji suchend durch die Gänge, doch mehr als Bilder und Erklärungstafeln gab es nicht. Als sie nach gut zwei Stunden wieder in der Eingangshalle aufeinander trafen, waren sie nicht schlauer als zu Beginn. Sie ließen sich nachdenklich an einer Wand nieder und starrten gedankenlos auf den alten Schinken ihnen gegenüber. Sanji qualmte genüsslich an seinen Zigaretten, während Zoro nichts anderes zu tun hatte, Als ein Nickerchen zu halten.

Auf dem alten Schinken hatte der Maler eine Kunstvolle Vase malte, in welcher ein großer Strauß Sommerblumen steckte. Sicherlich war das Bild mal sehr farbenfroh, aber der Fixierer hatte die Farben gedunkelt. Nur noch leicht konnte man die Margeritten und Sonnenblumen erkennen, während die grünen Stängel und Blätter im Braunschwarz untergingen. Sanji schätze das Gemälde als wertvoll ein, denn es war sehr photorealistisch umgesetzt worden, aber so viel Ahnung von Kunst hatte er dann doch nicht. Seine Blicke wanderten weiter über das Bild und seine gleichmäßig Fläche. Aber was war das denn? An der unteren Ecke hatte sich jemand irgendwann einmal zu schaffen gemacht und Farbe abgetragen. Doch darunter kam nicht die Leinwand zum Vorscheinen, sondern es machte den Eindruck, als gäbe es darunter noch ein Motiv. Er zündete sich wieder eine neue Zigarette an und erhob sich. Nun dicht vor dem Bild stehend, fing er an, vorsichtig mit den Finger an dem Loch zu kratzen, um die obere Schicht von der Unteren zu lösen. Es gelang ihm nicht, sondern die untere Schicht zerstörte sich ebenfalls. Ärgerlich!

„Hey, Marimo! Wach auf!“ sagte er laut, immer noch auf das Bild starrend. „Was siehst du da?“

Schläfrig gähnte der Aufgeweckte und blinzelte zu seinem Nakama hinüber.

„Lass es bloß wichtig sein, wenn du mich weckst!“ drohte er grummelnd.

„Quatsch nicht. Was sieht du da?“ fragte Sanji noch einmal.

„Was soll da sein? Ein Strand. Nee, ...“ Zoro blinzelte. „... Blumen?“

Nun war er wach. Das Bild änderte sein Motiv und blieb nun der Blumenstrauß in der Vase. Immer noch von Kopfschmerzen und Schwindelgefühlen geplagt, erhob er sich und berührte sanft das Bild mit den Handflächen. Ein Blitz durchzuckte ihn. Er hörte Meeresrauschen, spürte die wärmenden Strahlen der Sommersonne auf seiner Haut und schmeckte das Salzwasser im Munde. Erschrocken fuhr Zoro zurück und stierte auf seine Hand. Für den Bruchteil einer Sekunde war er in der Landschaft unter dem Vasenmotiv gewesen.

„Es sind die Bilder“, stellte Sanji nüchtern fest. „Vielleicht musst du nur das richtige Bild finden.“

„Mir ist aber nichts ungewöhnlich aufgefallen, als ich durch die Gänge ging.“

„Du warst ja auch nicht oben in den Gängen, wo ich war.“

Das stimmte wohl. Also stiegen sie die breite Marmortreppe ins oberste Stockwerk und schritten bedächtig den Flur hinab. Ein Gemälde mit spielen Kindern hatte ein Doppelbild in sich, jedoch verbarg es nur einen lichten Frühlingswald. Es gab nichts, was bis dahin die Aufmerksamkeit der beiden erregt hatte bis der Schwertkämpfer plötzlich vor einem riesigen Bild stehen blieb, welches direkt an der Fußleiste unten begann und fast am die Decke reichte. Man blickte in eine lange, nicht enden wollende Herbstallee mit knallbuntem Laub und weichen Lichteinfällen. Jedoch nicht das Motiv war interessant, sondern:

„Dahinter ist eine Tür.“

„Aha,“ kam es von Sanji zurück, der ohne großes Bitten umgehend das Bild mit einem gezielten Drehkick von der Wand beförderte. Krachend fiel es vorn über auf den blitzblanken Fußboden. Der Rahmen zerschellte, wenigstens war das Kunstwerk ganz geblieben. Die kleine Holztür dahinter war wenig einladen, quietsche unangenehm laut und führte durch einen schmalen Holzgang, über eine ebenso schmale Holztreppe auf den Dachspeicher. Hier stapelten sich große Kisten mit Kunstschätzen, waren verhängte Bilder gelagert und viel Staub. Wieder trennten sie sich und suchten den Dachboden systematisch ab.

Und dann stand es im hintersten Winkel. Zwischen vieler anderer Gemälde. Zoro zog es heraus und lehnte es an die zugige Dachschräge. Den am Rahmen steckenden Brief knüddelte er in seine Hosentasche, denn das Bild hatte schlagartig seine Geschichte erzählt, als er es berührte. Ein unglaublicher Kinofilm spielte nur für einen Moment in seinem Kopf ab, aber das mehr als genug. Mehr als er jemals sehen wollte. Ja, da war er wieder in diesem Raum gewesen, wo er heute früh erwacht worden war. Zimmer Nummer 529. Es waren nur vier Personen in diesem Raum anwesend, doch es war ein unglaublich großes Teil seines Mosaikpuzzles. Und mit dieser Sequenz wurde ihm schlagartig klar, dass mindestens die Hälfte seines kleinen, unbeutenden Lebens eine Lüge gewesen war. Eine gottverdammt Lüge.

Wütend, kreidebleich und verstört machte er auf dem Absatz kehrt und stapfte wieder den Pfad im Staub zurück.

„Sanji, wir gehen!“ rief er streng durch den halben Dachboden. Bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Was ist los?“ fragte der Koch.

„Später!“ kam es als Antwort tonlos zurück und für Sanji war es mehr als klar, dass hier jegliche Art von Konversation mehr als unangebracht wäre. Schweigend und mit eiligen Schritten verließen sie die Nationalgalerie.

49 - Azarni

Weit entfernt in einem anderen Winkel und zu einer anderen Zeit am anderen Ende der Insel bot sich dem dort Erwachenden ein böses Bild. Die Erde war warm und von grauer Asche überzogen. Bei dem leichtesten Windstoß flog er empor wie Pulverschnee. Dazwischen ragten verkohlte Baumstämme schwarz in den Himmel und drohten mit ausgestreckten Zeigefingern gleich der hier geschehenen Umweltkatastrophe. Der dicke Nebel verringerte die Sichtweite und gab dem Ort eine noch viel unheimlichere Note. Durch dieses Ödland führte eine Straße, dessen Asphaltdecke längs aufgerissen war. Der darunter verborgene Boden quoll wie Hefeteig an die verpestete Luft. Einst musste der Versuch unternommen worden sein, an Ort und Stelle der Erde ein paar Atemlöcher zu verpassen, um den Druck aus den unterirdischen Stollen zu nehmen, denn kreuz und quer waren Ofenrohr in den Boden gerammt. Aus ihnen drang übler Gestank nach Feuer, Verbrennung und Tod.

Der Junge rückte seinen Strohhut zurecht und schleppte sich unter Atemnot voran. Hier wollte er nicht bleiben, denn auch wenn kein Laut zu hören war, so fühlte er die Bedrohung unter seinen Füßen tief im Innersten der Mine. Je mehr er nach Luft japste, desto schlimmer wurde es mit dem Luft holen. Die Welt um ihn herum drehte sich. Mehrmals würgte er bis er sich schließlich übergab. Es musste zweifelsohne an dem Rauch aus den Schornsteinen liegen. Das stand für Luffy außer Frage. Aber wohin nun? Er wusste weder, wo er war, noch wo seine Freunde steckten. Er konnte nicht einmal so recht die Tageszeit festmachen. Wenigstens war noch nicht die Nacht über ihm hereingebrochen.

Er blickte auf. Dieser furchtbare Nebel. Eine dicke, weiße Suppe wabberte über allem, schlang sich um die Baumleichen und wand sich leise über dem Ascheboden. Die geschätzte Sichtweite lag bei knappen zwanzig Metern. Luffy stellte sich vor, dass so Blindheit sein müsste, nur dass nicht alles schwarz, sondern weiß war. Wohin man auch blickte: Bis auf die graue Asche und die schwachen Silhouetten der Stämme gab es nichts, woran sich das menschliche Augen orientieren konnte. Er erschauderte bei dem Gedanken, dass es Wesen gab, die ewig blind waren und war froh, nicht selbst davon betroffen zu sein. Der Qualm zog talabwärts. Also kroch der Gummijunge den Hügel hinauf. Obwohl der Weg kurz war, so schien es ihm eine Unendlichkeit zu dauern. Irgendwann war er oben und brach vom Rauch besiegt bewusstlos zusammen.
 

Es mochte vielleicht nur eine halbe Tageslänge später sein, als an selbigem Ort ein aufgeregtes:

„Yohohohoho!“ erklang und dazu noch ein:

„Da liegt einer!“

Kurzum wurde das liegende Objekt mit einer Hand am Kragen gepackt, gute zweieinhalb Meter in die Höhe gerissen und kritisch beäugt.

„Wah! Das ist unser Captain! Wach auf, Luffy!“

„Schüttel’ ihn nicht so sehr, Brook! Das ist nicht gut“, wurde mit einer schwachen Stimme das wandelnde Skelett in seiner rasanten Aktion gestoppt.

Der Crewmusikant hatte zuvor das Rentier am Straßenrand aufgelesen und kurzerhand unter den Arm geklemmt, als es sich recht regungslos benahm. Erst im Laufe ihrer Wanderung konnte Chopper dem verwirrten Brook erschöpft mitteilen, dass es selbst an einer heftigen Kohlenstoffdioxid-Vergiftung litt. Es müsste dringend in ein Krankenhaus gebracht werden. Dann tauchte es immer wieder in die Bewusstlosigkeit weg. In Panik und Sorge um seinen kleinen Freund hatte Brook, der ohne Lunge von dem Gas bislang nichts mitbekommen hatte, sofort seine Beine in die Hand genommen und war losgerannt. Darin war er neben Usopp ein wahrer Meister, obwohl er wegen des Nebels oft den Eindruck hatte, dass sich die Landschaft um ihn herum keinen Millimeter bewegte und er immer noch an demselben Fleck wie bereits vor Stunden war.

Er unterbrach erst seinen Lauf, als er hier oben auf der kleinen Anhöhe Luffy entdeckt hatte und da dieser die gleichen Symptome wie Chopper zeigte, war dem Skelett ohne Choppers Arztdiagnose klar, dass auch ihr Kapitän solch eine Vergiftung heimgesucht haben musste. Schon einmal in der fernen Vergangenheit hatte Brook seine Kameraden sterben sehen, bevor er sich im Florianischen Dreieck auf dem beschädigten Schiff ins Nichts treiben ließ. Ja, das war bevor er Luffy und seine Bande traf. Damals dachte er, er würde niemals mehr wieder seinen Schatten zurückbekommen und einer Mannschaft beitreten können. Das Ereignis von damals sollte sich auf keinen Fall wiederholen, denn diesmal konnte er handeln. Also klemmte er jeweils einen Nakama links und rechts unter und nahm wieder seinen Sprint auf. Immer der Straße entlang, von der er erhofft, eine Stadt zu erreichen.
 

Der einzige Hafen auf Lysø lag außerhalb von Fyrby-City und war zu seiner Zeit einmal der größte und modernste Hafen weit und breit gewesen. Es mag verwunderlich sein, wie eine Insel im Calm Belt überhaupt einen Hafenbetrieb halten konnte, doch ein geschicktes Kanalsystem hatte es ermöglicht. Es war denkbar einfach und doch hatte es noch niemand auf der ganzen Welt kopiert, womit diese Insel den Prototyp meisterlicher Konstruktionskunst inne hielt. Es war eine schwimmende Betonwanne, die sich von diesem Hafen von Sandbank zu Sandbank über das Meer entlang erstreckte und erst außerhalb des Calm Belts auf der Grandline endete. Ein weiterer Vorteil für die Seefahrt lag auch daran, dass in diesem Kanal kein Seegang herrschte. Man konnte also wetterunabhängig reisen.

So schön dieses technische Bauwerk auch war, der Nebel verschlang es und die alleinigen Hafenbesucher hatten auch keinen Moment verschwendet, darüber zu staunen. Sie waren alle an verschiedenen Stellen im großflächigen Hafenbereich erwacht. Nach langem umherirren zwischen Lagerhallen, Frachtgütern und verwaisten Anlegeplätzen hatten sich die drei Piraten dann überglücklich an der Hauptpier getroffen. Ratlos saßen sie nun auf einer Bank und tauschten ihre Überlegungen aus. Wie könnte es nun weitergehen? Robin hatte noch nie von einer Insel im Nebel gehört. Auch Franky konnte sich nur schwach an eine Legende erinnern, die von einer vernebelten Stadt handelte, unter der sich die Hölle auftun würde. Nami wollte darüber nichts hören. Solche Geschichten erschauderten sie bis auf die Knochen. Ihr machte dieser Ort Angst, aber das wollte sie sich gerade nicht offiziell anmerken lassen. Und so schwiegen sie allesamt nun schon seit einer kurzen Weile und starrten umher ins Leere.

Irritiert und perplex stierte der Cyborg auf etwas am Horizont, was einfach nicht Wirklichkeit sein konnte. Das musste einfach ein Traum sein. Er bat seine Begleiterinnen, ihm einmal kräftig in den Oberarm zu kneifen.

Robin jedoch lehnte die Aufforderung trocken ab, denn Metall könnte man selten schlecht kneifen, vorauf hin Franky protestierte. Diesen Zwiespalt von Mensch und Maschine hatte er sogar in einem Blues verarbeitet. Den bekam sein unwilliges Publikum auch sogleich als Hörprobe, wo auch immer er die Gitarre hergezaubert hatte. Nichts desto trotz sah auch die Archäologin ebenso wie Nami mehr als verwundert auf das, was sich da durch den weißen Dunst schob wie ein Geisterschiff. Das erste an Land fliegende Tau zum Festmachen brachte aber Realität und Gewissheit: Die Thousand Sunny, ihr heißgeliebtes Piratenschiff, legte hier an diesem Hafen an.

Nun hielt die Drei nichts mehr auf ihren Sitzplätzen. Wie explodierende Sektkorken sprangen alle zugleich auf.

„Hey, was treibt ihr da mit unserem Schiff? Wer bist du überhaupt?“ brüllte Franky den Fledermausköpfigen aggressiv an. Kivi war ihm bis dato vollkommen unbekannt.

„Yurenda? Azarni? Was macht ihr hier?“ mischte sich nun auch die Navigatorin ein. Robin hingegen hielt sich nicht lange mit dem Frage-und-Antwort-Spiel auf. Sie witterte Gefahr und ging mit überkreuzten Armen in Kampfstellung.

Die schwarze Dame höhnte nur, ob dieses nun der Dank wäre, wenn man ihnen doch so großzügig das Lieblingsschiff sicher über die Meere bugsieren würde. Die Tonlage in ihrer Stimme war aber mehr als Hohn. Es war Gefahr. Und eine unmissverständliche Warnung an alle, die sich nun ihr in den Weg stellen wollten. Das Blatt hatte sich gewendet und Yurenda einen Entschluss gefasst. Sie war auf aggressiven Krawall aus.

Festen Willens schritt sie von Bord, zu allem bereit, um nun Nägel mit Köpfen zu machen. Ihr schwarzer Mantelumhang umhüllte sie wehend und ließ sie noch größer und unheimlicher wirken. Sie verbreitete eine Angst einflößende Aura, als würde es Nacht und eisig kalt werden. Fast hätte man meinen können, der Boden zu ihren Füßen hätte sich schwarz verfärbt.

Entsetzt mit weit aufgerissen Augen begriffen die drei Strohhutmitglieder, in welcher tatsächlichen Falle sie sich befanden. Noch ehe die Archäologin ihre Arme wachsen lassen, die Navigatorin einen Donnerblitz entfachen und der Cyborg eine Rakete abfeuern konnte, wurde ihnen auch schon alles unter ihren Füßen weggerissen. Es war ein Gefühl der momentanen Schwerelosigkeit, in welcher sie ein Wechselbad aller Gefühle der Welt in ihren Herzen verspürten. Niemals zuvor hatten die Drei Freude, Leid und alles, was dazugehört, in einer Sekunde mit voller Wucht durchlebt. Ein Super-GAU der Gefühle. Dann schlugen sie auf dem Boden auf. Der Spuk war vorbei und die Piraten bewusstlos im Land der Träume.

Kivi beschwerte sich nörgelnd, ob dieser Missbrauch des Prismas und diese brutale Härte wirklich notwendig gewesen wären. Immerhin hätte sich die Strohhutbande bis zum aktuellen Zeitpunkt als handzahm erwiesen. Zumal durch diesen Primeneinsatz die fette Kröte nu wisse, dass sie hier auf der Insel wären. Auch wenn die Prismen derzeit in drei Teile zertrennt wären, so wären ihre Kräfte noch miteinander verbunden.

Doch die rote Prismenträgerin scherte sich um solche Einwände und Überlegungen kein Stück. Sie herrschte missgelaunt Azarni an, wenn sie endlich ihren Schwur loswerden und frei sein wollte, dann sollte sie endlich einen Fuß auf diese gottverdammte Insel setzen. So befohlen, so getan. Noch etwas zaghaft und unsicher verließ die junge Frau die Holzplanke, auf welcher sie die ganze Zeit über unbeweglich verweilt hatte, und betrat festen Boden. Eine plötzliche Verwandlung und Schmerzen durchfuhren sie. Die Armen um sich selbst geschlagen, hielt sie sich krampfhaft den Bauch. Sie krümmte sich und wand sich. Nichts brachte Abhilfe. Ihr weißes Sommerkleid verfärbte sich auf Unterleibshöhe blutrot. Noch einmal sah sie auf und ihre panischen, schmerzverzerrten Augen trafen die von Rot und Blau. Tränen liefen ihr über die Wangen. Erst nun, wo ihre langen Haare nicht mehr ihr Gesicht verdeckten, sah man, wie hübsch sie doch war. Ihre Augen waren silbergrau, wie die von Vollmonden. Ihr Antlitz war leicht oval, schloss oberhalb mit einer leicht hohen Stirn ab. Über knochige Wangen lief ihre Gesichtsform gleichmäßig zu einem feinen Kinn zusammen. Ihre Nase war klein und spitz. Dann brach sie von Schmerzkrämpfen gepeinigt zusammen und verblasste zu einem Nichts, als hätte sie niemals existiert. Aus einem festen Körper wurde schlagartig ein Geist, der nun im Nebel und den Straßen von Fyrby entschwand.

Rot drehte sich genervt weg und tat es der befreiten Seele gleich. Sie ging davon. Blau seufzte nur über soviel Arroganz und gefühlsbesudeltes Handeln. Wenn man wie er das Prisma des Wissens in sich trug, konnte man nur rational Denken und solche Dinge nicht anders bewerten als Dumm und unüberlegt. Auch er hatte nun einen Entschluss gefasst. Die Freundschaft zu Rot war gebrochen.
 

Erst Stunden später erwachten die drei geschlagenen Piraten wieder, als ihnen ein aromatisch-herber Duft von frisch gekochtem Tee in die Nase stieg. Sie saßen alle nebeneinander wie die Orgelpfeifen aufgereiht auf dem großen Sofa im Speisesaal der Sunny und wunderten sich sehr über die Geschehnisse. Und als dann auch noch Kivis Kopf hinter der Theke auftauchte, waren sie schlagartig wach und wieder bei allen Sinnen. Franky nahm sogleich wieder Fahrt auf:

„Was zum Henker machst du hier?“

„Tee kochen“, kam es nur knapp von der Fledermaus.

„Sehr lustig. Was war das eben? Wieso ist Yurenda plötzlich so falsch zu uns?“ konterte Franky sofort.

„Na, na! Welche Manieren hast du denn gelernt? Aber um deine Frage zu beantworten: Sie sieht ihre Felle davonschwimmen. Ihr Plan läuft nicht so, wie sie es wollte“, gab Kivi an.

Nun mischte sich auch Nami ein, die Blau anfuhr, sich nicht alles aus der Nase ziehen zu lassen. Er könnte schon etwas mehr Auskunft geben, welches dubiose Spiel hier gespielt werden würde. Doch Kivi winkte ab und deutete auf Robin. Die Archäologin hätte einst zu Rayleigh gesagt, sie möchte die wahre Geschichte der Welt selbst herausfinden wollen. Darum würde er selbst schweigen wie ein Grab, obwohl er ja alles wüsste.

Die drei Strohhüte seufzten. Unbefriedigt ihrer Neugier konnten sie es nur dem blauen Prismenträger gleichtun: Abwarten und Tee trinken.
 

Der Weg war lang, ziellos und schweigsam. Es mochte bereits die achte oder neunte Runde sein, die der Smutje und der Schwertkämpfer einträchtig um ein und denselben Häuserblock gezogen waren. Sanji rauchte eine Zigarette nach der anderen ohne zu wissen, was er hier überhaupt verloren hatte, während Zoro mit vor Wut geballten Fäusten in den Taschen den einen oder anderen Stein auf der Straße wegtrat und in tiefster Finsternis vor sich herstarrte. Aus den Augenwinkeln betrachtet hatte der Koch längst gemerkt, dass im Gemüt seines Mitstreiters so schnell keine Sonne aufgehen würde. Wieder tauchte die Nationalgalerie auf und wieder begannen sie eine neue Runde. Stopp! Sanji wurde es mehr als zu blöde, stundenlang schweigend ohne Ziel im Kreis zu rennen. Er hielt inne. Tatsächlich unterbrach auch Zoro seinen Gang und blickte den Koch fragend an.

„Wir nehmen mal einen anderen Weg“, schlug dieser als Antwort vor. „Wir rennen hier wie die Idioten um den Block. Lass uns mal da lang gehen.“

Er zeigte in eine ganz andere Richtung, die von Zoro nur mit einem mürrischen Grummeln abgesegnet wurde. In ihm ordneten sich Zusammenhänge und nachdem nun Mihawk als altes Feindbild zerbrochen war, klärte sich in ihm ein neues Feindbild vor seinen Augen. Yurenda. Die komische Frau in Schwarz mit dem schrägen Humor, welche keine Hilfe gab, aber ihn wohl schon länger gesucht hatte. Sie war der Beginn des Übels, denn das Gemälde vom Dachboden hatte es ihm in der kurzen Filmsequenz gezeigt. Falls ihm das Weib jemals wieder über den Weg laufen würde, dann gäbe es dringenden Klärungsbedarf. Vielleicht war es sogar noch geschickter, sie zu suchen. Aber erst einmal musste er dem nervigen Koch an seiner Seite im Geheimen recht geben, der ihn aus den Gedanken riss, als er plötzlich in die Stille sagte:

„Wir sollten unsere Freunde suchen. Kannst du die nicht irgendwie orten?“

„Nein, hier sind einfach zu viele Seelen. Aber sie sind irgendwo hier auf der Insel.“

„Verstehe.“

Sie schlenderten weiter die nun neu eingeschlagene Route entlang. Es war eine Einkaufsstraße mit sonderbaren Auslagen. Viele Fenster waren mit Holz vernagelt oder deren Scheiben eingeworfen. Schaufensterpuppen waren halb entkleidet, Obst vollkommen zu brauner Pampe verfault, Teleschnecken brummten, Teleschnecken-Monitore flackerten auf Schneetreibeneinstellung, Radios jaulten. Ein anderes Fenster war über und über mit fremdartigen Schriftzeichen versehen.

Beim übernächsten Geschäft gab es ein freudiges Wiedersehen. Wie der Blitz schoss eine Gestalt aus dem Fotoladen und klammerte sich wie eine Klette an den Schwertkämpfer. Dabei schlang es die Arme um seinen Hals, als wäre er die letzte im Wasser treibende Rettungsboje.

„Zoro!“ rief Tashigi laut aus und vergaß in diesem Moment vollkommen, dass die Crew noch gar nichts von ihrer Beziehung wusste. Auf der Sunny waren sie sich nur dann näher gekommen, wenn sie allein waren. Schlagartig wurde sie sich der Anwesenheit von Usopp und Sanji bewusst. Der Kanonier stand wie angewurzelt mit heruntergeklappter Kinnlade in der Ladentür und klatschte sich dann mit der flachen Hand an die Stirn. Natürlich. Da hätte er auch selbst drauf kommen können, als damals der Schiffsbauer seine Andeutungen gemacht hatte. Für den Smutje zerbrach in diesem Moment eine heile Welt. Den Himmel auf Erden hätte er ihr bereitet, wie allen Damen der Mannschaft. Aber wen wählte sie? Ausgerechnet den Marimo. Sanji flehte sie um eine einleuchtende Erklärung an, wie man ausgerechnet Liebe für diesen schlafenden, versoffenen Idioten empfinden konnte.

Überrumpelt murmelte sie etwas unverständliches, versank sie doch gerade eh in einem Gefühlsmeer der Peinlichkeiten. Sie versuchte ihr knallrotes Gesicht an der Schulter ihres Freundes zu verbergen, doch als sie seine Arme um ihren Körper und seine Wange an ihrem Kopf spürte, fühlte sie sich beruhigt und nicht mehr als Verräterin. Über Zoros Gesicht huschte ein Lächeln. Sie traf auch wirklich jedes Fettnäpfchen, jedoch war sie wohl in diesem Moment einfach nur froh gewesen, ihn lebendig wiederzusehen. Er war zwar kein Mensch für Heimlichkeiten, aber an die große Glocke hängte er auch nichts. Egal, ob es nun Freund oder Feind war. Darum war das Mitwissen der anderen nun letztendlich in Ordnung. Aber wenn Sanji nicht sofort mit der Schmollerei aufhören würde, dann würde er auf der Stelle seine Abmachung mit dem Koch vergessen und ihm tierisch mit der Faust die Meinung sagen. Das stand nun mal gerade fest.

„Alles klar bei euch?“ fragte er sie und blickte auch hinüber zu Usopp. Ja, alle waren in Ordnung. Sie stellten fest, dass sie alle an verschiedenen Orten auf der Insel aufgewacht waren und so gab es noch Hoffnung, dass der Rest der Mannschaft auch hier irgendwo wäre. Gemeinsam gingen sie weiter die Einkaufsstraße hinunter, bis sich diese in einer T-Kreuzung gabelte. Gegenüber erstreckte sich ein Barockgarten, linke und rechte Hand Geschäftshäuser mit darüberliegenden Wohnungen. Der Kanonier stellte fest, dass ihm der Park bekannt vorkam und ein Blick auf die von Tashigi abgerissene Karte brachte die Erkenntnis, dass sie tatsächlich schon einmal vorbeigekommen sein mussten.

Und nun? Etwas ratlos blickten sie zwischen Stadtplan und Umgebung umher. Ohne sich etwas anmerken zu lassen verharrte der Schwertkämpfer für den Bruchteil einer Sekunde inne. Wie ein warmer Sommerwind hatte ihn ein Hauch gestreift. So weich und sanft wie eine Feder. Dann war es auch wieder weg. Er blickte in die Richtung, wohin dieses Gefühl entschwunden sein könnte, sah aber nichts. Und plötzlich war alles wieder da. Alle Geister, Seeelen und Dämonen waren wieder einzeln zu fühlen, wo auch immer sie umher kreuchten. Der Einheitsbrei der Gefühle war aufgelöst. Ganz klar, da waren die drei Nakama an seiner Seite, drei weitere waren gar nicht weit entfernt rechts die Straße hinunter und noch drei weitere näherten sich aus weiter Ferne im Eiltempo diesem Gebiet. Aber er spürte auch, dass der Schein trog. Etwas war hier nicht in Ordnung und die derzeitige Stille nur die Ruhe vor dem Sturm. Da zog etwas durch die Gassen und die Dunkelheit verwischte deren Spuren.

Auf Zoros Hinweis hin wandte sich die Gruppe sich der Karte nach zum Hafen, der nicht weit sein könnte. Je mehr sie dorthin gingen, desto mehr wurde der Schwertkämpfer den Verdacht nicht los, dass rein nach Seelenanzahl nicht vier, sondern sechs mit ihnen zogen. Das waren definitiv zwei zuviel. Vorsichtig blickte er sich um, doch das Signal war zu schwach, um der Ursache auf den Grund gehen können.

„Hast du was?“ fragte der Scharfschütze den Schwertkämpfer.

„Ich denke manchmal, dass wir eben verfolgt werden.“

„Wie verfolgt?“ mischte sich Sanji ernst ein.

„Also ich sehe nichts“, versuchte Tashigi ihre Freunde zu beruhigen. Sie blickte durch den Sucher einer einfachen, handlichen Kamera und untersuchte damit ihre nähere Umgebung.

„Was wird das denn?“ zweifelte der Koch den Verstand der jungen Frau an.

„Ach, das war so. Meine Brille war doch kaputt und da habe ich auf der Pflaumeninsel beim Glasmacher so eine Linse erstanden, die auch Dinge sichtbar machen kann, die das gewöhnliche Auge nicht sieht. Das wusste ich aber da noch nicht, sondern erst seit ich hier bin. Mir fiel das zufällig auf. Und weil das so unpraktisch nur mit der Linse ohne Fassung war, war Usopp so lieb und hat mir eine Kamera drum gebaut. Leider gab es in dem Geschäft keine spirituellen Filme“ erklärte sie ganz schnell plappernd, aber Sanjis Gesicht nahm bei der Geschichte eine eher mitleidige Miene an, dass es ihm schwer fiel, ihr zu glauben. Nur Usopp als Erbauer der Kamera war überzeugt und Zoro seit dem Abenteuer in der Villa im Bambushain sowieso. Tashigi hatte eine neue Camera Obscura. Zwar konnte sie dort ohne die magischen Filme keine Geister auf dem Bild einsperren, aber wenigstens sichtbar machen. Das war erstmal für den Anfang mehr als genug. Zoro glaubte ihrer Aussage, auch wenn er immer noch der unausgesprochenen Meinung war, dass in ihrer Vierergruppe zwei Gefühlswellen mehr mitschwappten. Noch sonderbarer war es, dass diese beiden Wellen vollkommen vertraut, klein und schützenswert schienen. Noch bevor er diese Gedanken innerlich ordnen konnte, tauchte aus einer Seitenstraße ein neues Problem auf.

Als hätte sie hier schon seit ewigen Zeiten gewartet, stand die schwarze Dame mitten auf der Straße als wäre nun Highnoon. Mit der übergezogenen Kapuze und dem langen, wallenden Mantel wirkte sie größer und bedrohlicher. Da sie die Arme vor ihrer Brust verschränkt hielt, bot es sich für sie an, die Hände gegenseitig in den Mantelärmeln zu verstecken.

„Das ist eine ganz üble Aura“, stellte Tashigi mit einem Auge an der Kamera fest. Der Boden zu Füßen der Gestalt sah durch die Kamera merkwürdig aus. Sie warnte ihre Freunde, sofort stehen zu bleiben. Der Weg vor ihnen zum Hafen war versperrt. Die Überwindung dieses Hindernisses in Dämonengestalt würde kein Zuckerschlecken werden. Die vier Piraten machten sich bereit. Die Prismenträgerin zu besiegen wäre sicher aussichtslos, aber wenigstens wollte man ihr im Kampf standgehalten oder zumindest einen Fluchtweg frei geschlagen haben.

Und dann ging alles ganz schnell. Zu viert griffen sie gemeinsam vereint an, doch auf sie wirkte dieselbe Kraft, die zuvor auf Franky, Nami und Robin. Sie gingen ebenso bewusstlos zu Boden. Ein Kampf im Bruchteil eines Augenschlages. Nur der Schwertkämpfer allein war lediglich in die Knie gegangen, keuchte schwer und stützte sich mit seinen Händen auf den Oberschenkel ab. Er wusste nicht wie, aber seine dämonisches Ich hatte ihn wieder einmal vor dem Schlimmsten bewahrt. Zoro schüttelte den Kopf. Soviel Glück konnte doch nicht normal sein.

„Dafür, dass du keinen Plan von nichts hast, hast du das ja eben gut überstanden. Nicht schlecht, nicht schlecht“. Spott und Anerkennung zugleich war aus ihrer Stimme herauszuhören. Langsam schritt sie auf den Knienden zu und stoppte kurz vor ihm.

„Gib` endlich auf.“

„Niemals!“ drang es trotzig zu ihr herauf und ehe sie sich versah, hatte er ihr Handgelenk gepackt. „Erzähl mir lieber was!“

Sein dreckiges, kampfeslustiges Grinsen legte sich auf sein Gesicht. Als er sie berührte, schossen ihm Bilder durch den Kopf. Nicht viele, aber aussagekräftige. Er hatte genug gesehen.

„Du bist gar keine Dämonin oder irgend so etwas Überirdisches, wie ich es erst dachte. Du bist bloß ein ganz normaler Mensch. Alles verdankst du dem roten Prisma.“

Sie war durchschaut. Sauer trat sie zurück und versuchte sich, aus seinem Griff zu reißen. Jedoch blieb dieser starr wie ein Schraubstock. Und dann wurde um sie herum alles Schwarz und sie entschwanden beide gemeinsam in unbekannte Dunkelheit.
 

Mal keine 200 Meter Luftlinie auf der Sunny entfernt, zuckte in diesem Augenblick Kivi erschrocken zusammen, so dass ihm die Teetasse aus der Hand fiel und am Boden in tausend Teile zersprang.

„Was is’en jetzt schon wieder?“ kommentierte Franky das Ganze.

„Sie haben sich beide gefunden. Hier ganz in der Nähe.“

Als wäre ein Startschuss gefallen, sprangen die drei Piraten auf und rannten los. Weg vom Schiff und durch die Straßen. Üble Vorahnungen quälten sie, dass sie irgendwo dort draußen das Schlimmste vorfinden würden.

Doch dort war nichts weiter als ein vollkommen verwirrter Brook mit dem Rentier und dem Captain unter den Armen geklemmt, der gerade darüber nachdachte, wie er drei ohnmächtige Nakama wieder zurück in die Realität holen könnte. Am Besten spiele er nun einfach ein Lied, dachte er sich, denn das hülfe immer. Andererseits bräuchten Luffy und Chopper sofort Hilfe. Das war eine verflixt schwere Situation.

Ein Stein fiel ihm von seinem längst verrottetem Herzen, als er Nami, Robin und Franky daher gerannt kommen sah. Schnell waren alle in Sicherheit auf die Sunny gebracht worden und da sie nicht wussten, dass Zoro zuvor noch bei der Dreiergruppe gewesen war, konnten sie ihn jetzt gerade auch nicht vermissen. So wurden lediglich Tashigi, Usopp und Sanji jeweils in ihre Betten gesteckt und Luffy und Chopper klemmten hinten im Maschinenraum mittels Atemmasken an großen Sauerstofftanks. Das wäre das einzige, was helfen würde, meinte Franky und als Konstrukteur hatte er schon von so einigen Arbeitsunfällen auch mit CO2 gehört. Erst Kivis erstaunte Frage machte die Crew darauf aufmerksam, dass der Schwertkämpfer hätte dabei sein müssen. Natürlich versetzte diese Aussage die Gruppe in Nervosität, jedoch mussten sie sich eingestehen, dass die Suche nach ihm sinnlos auf so einer riesigen Insel wäre. Sie waren machtlos und konnten ihm nicht helfen. So blieb ihnen schon zum zweiten Mal an diesem Tage nichts anderes übrig, als weiterhin einen Tee zu schlürfen und zu warten. Dass der Tag langsam verging, merkte man nur an der Uhr an Bord. Durch den Nebel wirkte der Hafen und der Tag zeitlos. Nichts hatte sich verändert.
 

Es war mitten in der Nacht, als Tashigi wieder zu sich kam. Verunsichert blickte sie umher und war mehr als verwundert, in ihrem Bett auf der Sunny zu liegen. Von Namis Bett her drang ein leichtes Atmen als Zeichen dafür, dass sie tief und fest schlief. Gegenüber im Sessel saß Robin und las im Schein der kleinen Lampe einen dicken Wälzer. Freundlich blickte sie zu der eben Erwachten herüber, denn sie hatte bemerkt, dass sie sich unter der Decke regte.

„Wie bin ich hergekommen?“

„Wir haben euch gefunden und hierhergebracht. Ihr ward allesamt bewusstlos.“ Dabei verschwieg die Archäologin erst einmal wohl wissend Zoros Abwesenheit.

Mit Robins Antwort gab sich Tashigi zufrieden, denn ihr unscharfer Blick blieb an ihrer neuen Kamera hängen, an welcher der Sucher im schwachen Blaulicht aufleuchtete. Sie erinnerte sich an das Vorgängermodell, welches leider auf ihrer langen Reise verloren gegangen war. Ein gelbes Licht hatte sich als Gefahr und ein blaues Licht als Hinweis erwiesen.

Das musste untersucht werden.

Auf taumeligen Beinen und nur mit einem Pyjama bekleidet stolperte sie unter Robins erstaunten Blicken hinaus. Es war kalte Nacht dort draußen und der Nebel schien nun noch stärker und dicker geworden zu sein. Er verschlang alles. Selbst die Hand, die man sich direkt vor die Nase hielt, war nicht zu sehen. Sie sah wieder auf den Sucher. Er leuchtete heller.

Nun drehte sie sich um sich selbst, um zu sehen, zu welcher Richtung der Sucher am Stärksten ausschlug. Es war der Steuerbereich des Schiffes.

Sie wetzte die Treppe hinauf weiter dorthin, wohin sie die Kamera führte. Plötzlich hob sich ein Umriss auf dem Sofa ab, den sie wegen des Nebels nicht zuordnen konnte. Sie blieb stehen und hielt sich den Fotoapparat vor ihr Auge. Die Gestalt angepeilt, schlich sie langsam voran. Auf dem Spiegel innerhalb der Kamera projizierte die magische Linse einen bläulichen Kreis. Für Tashigi sah es nun aus, als hätte sich ein großer Ring um ihr Fotoobjekt gelegt. Mit jedem Schritt kam sie dem Objekt ihrer Begierde näher und erkannte nun auch die dort sitzende Person. Gerade wollte sie seinen Namen sagen, als der blaue Ring wie ein Blitz leuchtete. Reflexartig drückte sie auf den Auslöser bahnte ein mysteriöses Abbild auf den Film. Sie bedauerte, dass sie das Geheimnis leider erst nach der Entwicklung sehen würde, denn die spirituelle Kraft war augenblicklich verschwunden. Der Sucher leuchtete nicht mehr.

Das Klicken des Auslösers veranlasst nun Zoro zu Tashigi hinüber zusehen. Er hatte eine frohe Mine und schien nicht überrascht zu sein, sie hier zu sehen.

„Spielst du wieder Geisterjägerin?“

„Die Kamera hat geleuchtet. Was war das?“ Sie fröstelte. Längst hatte der Nebel ihre Kleidung befeuchtet, so dass es mittlerweile nicht nur kalt, sondern auch ekelhaft nass war.

„Kannst du dich bis zum Frühstück gedulden?“

Sie verzog ihr Gesicht zu einer mauligen Fratze. Nein, warten wollte sie eigentlich nicht, doch da Zoros Frage eine Rhetorische war, würde sie heute und hier mitten in der Nacht auf dem Steuerdeck nichts mehr erfahren. Erst als sie von ihm an der Tür zu ihrer Schlafstätte abgeliefert wurde, kramte er in seiner Hosentasche und zog einen zerknitterten Brief hervor.

„Das kannst du zu deinen Aufzeichnungen tun. Schlaf gut, Süße!“ Dann küsste er sie flüchtig und schob sie durch die Tür ins Warme. Natürlich entgingen Robins fragenden Augen im Rauminneren nicht, dass die Crew wieder vollständig war.

„Bin wieder da!“ rief er ihr entgegen und schloss rasch die Tür. Das vermied sämtliche Diskussionen und blöde Fragereien. Auch wenn sich keiner der Strohhüte gegenseitig Rechenschaft schuldig war, so waren sie doch eine große Familie. Da war es eine ungeschriebene Pflicht gegenseitig aufeinander zu achten.

Dann begab auch er sich in den Schlafraum zu seinem Bett. Viele Schnarchgeräusche drangen von der Bettenseite an sein Ohr. Alles schlummerte friedlich vor sich her. Die Crew war einfach durch nichts zu erschüttern, auch wenn dort draußen eigentlich ein Ort lag, der nicht nur eine böse Vergangenheit, sondern auch Gegenwart hatte.

Noch als er sich in sein ungemachtes Bett legte, überlegte der Schwertkämpfer, ob das Foto oben an Deck wohl etwas geworden wäre. Es war ein magischer Moment gewesen. Der warme Frühlingshauch, den er am Tage schon in den Gassen gespürt hatte, war wieder gekehrt. Eine Seele hatte Gestalt angenommen, sich ihm gezeigt und ihm kurz durch seine strubbeligen Haare gestrichen. Azarni hatte ihn für Sekunden besucht. Aber es war eine Magie von verlorenen Jahren.

Er seufzte leise und schluckte die Vergangenheit hinunter. Azarni war vielleicht auf Ewigkeiten fort. Eine Seele in Ungnade und sie könnte ihren Fehler niemals wieder gut machen. Aus ihrer Sicht war es nicht mal ein Fehler gewesen. Es war nicht zu ändern.

Morgen früh würde es weitergehen, obwohl er jetzt schon wusste, dass „morgen früh“ zu früh war, um aufzustehen und er dazu sowieso keine Lust dazu hatte. Und so schlief er ein.

50 - Vielleicht, vielleicht ...

Schon als der neue Morgen graute, war die Crew wieder auf den Beinen und versammelte sich rund um das Sofa am Steuerrad. Kivi hatte alle aus den Betten geschmissen. Nun sah er auf den bunt gewürfelten Haufen Schlaftrunkener und Hellwacher zugleich vor sich und schmunzelte. Eine wirklich ungewöhnliche Truppe voller komplizierter Charaktere mit eigenem Background. Ein Team von einzigartigen Individuen, wie man sie kaum ein zweites Mal in irgendeiner anderen Gruppierung finden würde. Großartig! Der blaue Prismenträger freute sich über soviel Freundschaft und Verschworenheit in kriegerischen Zeiten wie diese, wo Unruhen und alte Weltordnungen nun gerade zerbrachen. Langsam musterte er jeden einzelnen ohne denjenigen dabei direkt anzusehen. Ein Stoßgebet gen Himmel schickend, wünschte er im Stillen der Crew, dass sie nicht noch einmal auseinanderbrechen würde. Dann war es Zeit für einen Abschied und für allerletzte Tipps.

Auf sein Anraten sollten sie nur langsame Fahrt machen. Das Unsterbliche würde auf der verfluchten Insel weilen. Da sollte man nie weglaufen, denn das errege dessen Aufmerksamkeit. Bei ein bis zwei Knoten Fahrt würden sie zwar gute drei Wochen brauchen, aber sie kämen ungeschoren und ungesehen davon.

Luffy wollte protestieren. Trotz seines Steckbriefes fühlte er sich als freier Mensch, der gehen konnte, wann immer und wie immer er wollte. Da müsste er sich nun wirklich nicht an irgendwelche Regeln halten. Trotzig stand er in seiner Lieblingsdemonstrationspose an Deck: Mit den Füßen standhaft leicht auseinander, die Arme verschränkt und die Mundwinkel nach unten. Chopper protestierte ebenfalls, denn er war überhaupt nicht damit einverstanden, dass der Gummijunge seine Atemmaske abgenommen hatte, um Krawall zu schlagen. Als Arzt könnte er so etwas nicht zulassen. Sie müsste noch mindestens für ein paar Tage getragen werden, wenn von der Gasvergiftung keine bleibenden Schäden zurückbleiben sollten. Das laute Zankgerede brachte sowohl Luffy, als auch Chopper außer Atmen, so dass sie japsend zusammensackten. Somit war das Thema erst einmal erledigt.

Kivi ignorierte alle Einwände des aufsässigen Strohhutjunges und dann verschwand der Fledermausköpfige einfach vor aller Augen. Eben noch vollkommen sichtbar und in der nächsten Sekunde verblasst und weg. Die Crew war wieder allein und unter sich.
 

Wie gesagt, so getan. Nami berechnete den Kurs, stellte dann aber fest, dass dieses nicht notwendig wäre. Die Sunny trieb problemlos mittig in der Kanalströmung wie ein Bummelzug auf Schienen dahin. Schnell war die Insel hinter ihnen im Nebel eingetaucht und vom Horizont verschluckt.. Nur leicht erahnte man die Kanalbegrenzungen zu beiden Seiten der Sunny. Es passte nur ein Schiff in die eine Richtung auf den Kanal und sie rätselten, wie man wohl dem Gegenverkehr ausweichen könnte. Vermutlich hatte man damals immer nur Konvois hin und her geschickt. Das wäre denkbar.

Sonst war da nichts mehr als Nebelwände und pechschwarzes Wasser zäh wie ein Ölteppich. Es war nasskalt an Deck. Der kalte Dunst benetzte Haut, Haar und Schiff. Ohne eine warme Jacke trat niemand vor die Tür. Geräusche waren aufgesogen. Nicht mal ein Plätschern war zu hören.

„Wie lebendig begraben“, kommentierte Sanji eines morgens beim Abwasch die Lage, als er aus dem Fenster blickte. Dann zog er wieder an der Zigarette und wusch den nächsten Teller ab.

Es gab nichts weiter zu tun für die Mannschaft, als das Schiff auf Vordermann zu bringen und dann irgendeiner Beschäftigung gegen die Langeweile nachzugehen. Irgendwann war jedes Besatzungsmitglied in einem Winkel ihres Piratenschiffes verschwunden, kramte und werkelte vor sich her oder verdingte sich sonst einem mehr oder weniger sinnvollem Hobby. Besonders Luffy tat sich nach seiner Genesung schwer mit dem Zeitvertreib und ging allen gehörig auf die Nerven. Auch Brooks Geübe wurde mit der Zeit eine Zerreißprobe für die Nerven, obwohl es ja gar nicht mal schlecht klang. Wenigstens ließ das harte Holz da Adamsbaumes keinen Laut aus dem Schiffsbauch nach oben dringen. Dort unten hämmerte Franky etwas zusammen und der Rhythmus der Schläge auf dem Amboss wollte nicht so recht zu dem Takt der Geigenmusik passen.

So vergingen die ersten Tage. Nur geprägt vom Hell des Tages und vom Dunkel der Nacht.
 

Tashigi hatte es sich zur Gewohnheit werden lassen, ihr Aufzeichnungen oben in der Bibliothek zu erledigen. Zumeist herrschte hier eine angenehme Ruhe. Nami war beim Kartieren hochkonzentriert und Robin verlor sich beim Lesen in ihre Bücher. Nur gelegentlich sprachen sie über Belangloses, lachten und lästerten über die kuriosen Verhaltensmuster der Jungs. Nur ab und zu unterbrach das Türklappern die ausgeglichene Atmosphäre, wenn Sanji eine kulinarische Leckerei anschleppte oder einer der Piraten den Weg hoch ins Badezimmer aufsuchte.

Heute saß Tashigi allein im Zimmer und starrte gedankenverloren durch das Fenster in die dicken Schwaden. „Was für’n dicke Suppe“, sprach sie laut zu sich selbst. Das Wetter drückte auf ihr Gemüt und die vielen neuen Dinge in ihrem Verstand taten ihr übriges dazu. Nachdenklich kaute sie auf dem Ende ihres Bleistiftes herum wie schon die letzten Tage. Es war nun schon Bleistift Nummer Fünf, der zwischen ihren Zähnen nachgab und splitterte. Chopper hatte er prophezeit, dass eines Tages sich ein Stück vom Stiftholz lösen und sich in ihrem Hals verfangen würde. Dann würde sie hilflos ersticken.

Bei dem Gedanken an das kleine Rentier mit den besorgten Kulleraugen musste sie auflachen. Ach ja, Chopper. Er war stets so liebenswürdig bemüht um alle, aber trotzdem nahm man oft seine ärztlichen Ratschläge nicht an. Das müsste doch manchmal echt frustrierend für ihn sein. Zum Glück ging es ihm gesundheitlich wieder gut. Gerade erst neulich hatte er sich wieder wild mit Zoro gestritten, dass der ein oder andere Verband doch noch etwas auf den Verletzungen bleiben müsste. Für Zoro hingegen gab es absolut keinen Grund, einen Verband länger als einen Tag zu tragen. Und wieder war der kleine Arzt als Verlierer vom Platz gezogen. Auch wenn Chopper eine Gleichgültigkeit vorspielte, traf es ihn manchmal sehr in seinem kleinen Rentierherzen. Seine Anerkennung und Ehre als Mediziner waren dahin. Dann verzog er sich stillschweigend in seine Praxis und rührte in Medizintöpfen längst gerührte Salben an oder zählte zum tausendsten Male seine Pflanzensamen, die er von Yurenda bekommen hatte. Er wusste immer noch nicht, was er damit anstellen sollte oder was überhaupt aus den Samen jemals sprießen würde. Jedoch traute er sich auch nicht, einen von diesen Saatkörner wissenschaftlich zu sezieren. Die Anzahl der Körner würde sich ändern und vielleicht hätte es einen Sinn, dass es genau 625 wären. Aber das war nur rein spekulativ.

Tashigi seufzte. Sie wusste um die Sturheit ihres Freundes. Da würde es auch nichts bringen, ihn einmal auf Choppers gutgemeinte Hilfe anzusprechen. Immerhin verstanden sich die beiden eigentlich ganz gut. Vielleicht könnte sie das Thema ja um ein paar Ecken entlang beginnen. Aber nein. Zoro könnte so was sofort erspüren und Lunte riechen. Etwas erspüren ...

Ihr Laune änderte sich zum Schlechten. Vielleicht würde der blöde Kerl auch mal merken, dass sie sich sehr vernachlässigt fühlte seit ihrer Abfahrt von Lysø. Bis auf ein Hallo und kurze Sätze war da nichts weiter gewesen. Man musste ja nicht Händchenhalten durch die gegen rennen. Das lag ihr selbst nicht. Aber ein bisschen mehr Aufmerksamkeit wäre doch sicherlich nicht zuviel verlangt. Ein Anflug von Wut über diese Behandlung stieg in ihr auf, denn er hatte seit der Weiterfahrt nichts anderes gemacht, als Fressen, Pennen oder Trainieren. Sie kam in seinem Tagesablauf derzeit nicht eine Sekunde vor. Aber hinterher rennen wollte sie ihm auf keinen Fall. Das fehlte noch!

Ihre Wut wuchs, doch es fiel ihr erst auf, als das Papier auf ihrem Tisch einriss. Unbewusst hatte sie mit ihrem geborstenen Bleistift darauf rumgekritzelt und war dann mit der Mine abgerutscht. Sie zerknüddelte das bekritzelte Blatt Papier und warf es achtlos in den Papierkorb. Sich selbst zur Ordnung und Disziplin ermahnend, nahm sie sich ein neues Blatt vor. Aus den kurzen Stichworten und Aufzeichnungen für ihren Freund erwuchs allmählich ein dicker Sammelordner. Mittlerweile schrieb sie auch nicht mehr in losen Stichpunkten alles nieder, sondern war ganz von allein in eine Tagebuchform übergegangen. Es tat ihr gut, sich in stillen Minuten alles von der Seele zu schreiben, was sie belastete und nicht so recht im Moment mit irgendjemanden teilen konnte. Auf dem Fensterbrett am ihrem Arbeitsplatz hatte sie einen Karton gelagert, der von den anderen respektiert wurde, indem niemand hineinsah oder ihn gar anrührte. Alles, was sie bisher geschrieben und gesammelt hatte, lag im Innersten tief verborgen und behütet.

Ihr neuster Schatz waren das Bild aus der Kamera und ein ungeöffneter Kuvert von Zoro. Ob sie den wohl mal aufmachen sollte? Wie sollte sie den sonst in ihre Sammlung einordnen? Sie betrachtete das Bild. Ihr Freund saß dort auf dem Sofa. Leicht vorn übergebeugt, die Unterarme auf den Knien ruhend. Azarni strich ihm über den Rücken und sah verheult aus.

Als Tashigi in dieser Nacht diese Szene fotografiert hatte, war sie eifersüchtig gewesen. Nun nicht mehr. Wie hätte sie auch wissen können, dass sich hier Mutter und Sohn ein kurzes Lebewohl sagten? Sie hatten sich beide zuvor noch nicht einmal in ihrem Leben gesehen. Das Schicksal zog manchmal grausame Kreise.

Das Foto war eigentlich gut gelungen, obwohl es ein so trauriges Motiv hatte. Sie legte Zoros einzige wahre Familienerinnerung wieder in den Karton zurück und riss nun doch seinen Brief auf, den er bei dem Gemälde gefunden hatte. Es hatte eine schlimme Geschichte erzählt und diese hatte er ihr wiederum weiter erzählt. Obwohl es unfassbar war, erschütterte sie der Inhalt des Kuverts nicht. Als hätte sie es geahnt, war ein amtliche Dokument darin versteckt. Und so war es noch einmal Schwarz auf Weiß auf Zoros Geburtsurkunde zu lesen, dass Azarni ihn tatsächlich geboren hatte: Am 11. November 1503 in der Nähe von Shimotsuki-Mura, Redline. Vielleicht hing Zoros Verhalten damit zusammen. Vielleicht, vielleicht ...

Kurz dachte sie nach und begann wieder einmal, ihr Tagebuch weiter zu schreiben:
 

„Überwasserkanal Lysø – Namida City, den 15. Januar 1523

Die Überfahrt ist total öde. Nichts als Nebel weit und breit. Seit Tagen hat sich weder Seegang, Luftdruck, noch Temperatur verändert. Hoffentlich erreichen wir bald Namida City, die Stadt der Tränen. Das soll wohl eine Nachtinsel mit Dauerregen und blühendem Leben sein, aber trotzdem wäre dort endlich mal wieder Normalität los. Zumindest hoffe ich das. Aber erst müssen wir laut Seekarte durch das „Meer der verdrängten Träume“ segeln. Kein Plan, warum es so heißt. Aber es hat garantiert etwas zu bedeuten, sonst hätte es diesen Namen ja nicht bekommen. Logisch.

Einerseits nervt es mich tierisch mit der Eintönigkeit an Bord, anderseits habe ich endlich mal alles in meiner Kiste ordnen können und da haben sich wirklich so mache Fragen gelöst. Dafür habe ich aber auch wieder Neue gefunden. Wie hält Robin so was in ihrem Beruf nur aus? Sie macht ja auch nichts anderes den ganzen Tag lang, als ständig neuen Fragen nachzujagen und jede gelöste Frage ist eine neue Ungelöste. Ist doch unbefriedigend. Ich frage sie einfach mal.

Tja, was weiß ich denn nun so alles?

Erstmal zu der Insel, wo wir waren. Ich bleibe einfach bei der zeitlichen Reihenfolge, sonst komme ich wieder durcheinander, so wie neulich. Mir fällt sowieso immer das meiste noch zwischendurch ein und dann ist es eh wieder Chaos. Mein Schreibstil ist beschissen. Das war er schon immer. Ständig nur Halbsätze, Wortwiederholungen und der Inhalt kreuz und quer. „Genauso kreuz und quer wie in deinem Kopf, Tashigi“, hatte mein Ausbilder in der Kadettenschule immer gesagt und behauptet, ich könnte es niemals in die Offizierslaufbahn schaffen.

Egal, nun aber zurück. Also, die Insel hatte ein schlimmes Unglück mit dem Kohlenbrand dort Untertage, worauf die Weltregierung die Insel von den Karten gelöscht hat, damit dort niemand hingelangen könnte. Das wäre ja auch viel zu gefährlich wegen der Umweltverseuchung. Aber die Insel hat seitdem etwas besonderes. Ein böser Fluch hat sie Parallelwelten belegt. Das hat Kivi vor seiner Abreise beim Tee erzählt. So was hatte ich zuvor noch nie gehört und konnte mir darunter auch gar nichts vorstellen. Es funktioniert ganz leicht: Je länger man dort ist, desto mehr landet man in seiner eigenen persönlichen Welt. Man kommt da auch nicht mehr raus. Jagt man diesen Trugbildern nach, ist man rettungslos verloren. Die Welten spielen sich wie Alpträume im eigenen Kopf ab. Man sieht selbst Dinge und Erinnerungen, die ein anderer nicht unbedingt sehen kann. Jeder wird mit einer Sache aus seinem eigenen Leben konfrontiert, was noch nicht abgeschlossen und geklärt ist. Es sind alles nur Illusionen, die einen an den Rand des Wahnsinns treiben. Daher ist diese Insel auch als Verbannungsort so beliebt. Entweder erstickt man an den Gasen oder man wird wegen den Halluzinationen in den Suizid getrieben.

Zoro hat erzählt, er wäre durch ein riesiges Haus gegangen. Na, so wie er das erzählt hat, würde ich eher wohl behaupten: Verirrt. Dort hat er Räume gesehen, die eigentlich nicht in dem Haus drin sein dürften, sondern ganz woanders in der Welt. Später hat er Sanji aufgegabelt und ist mit ihm durch eine Galerie gelatscht, wo ein Gemälde auf einem Dachboden versteckt war. Da hat er den Brief gefunden. Ich habe reingeschaut. Es war seine Geburtsurkunde drin. Ich würde ja zu gern wissen, wer den Wisch dahin gehängt hatte. Wieder so eine ungeklärte Frage. Vielleicht gibt es nicht immer eine Antwort. Das ist irgendwie blöde. Ach, die Parallelwelt war sicher daran schuld. Das klingt doch nach einem guten Grund.

Das Bild dort oben hat aber die Wahrheit gezeigt. Azarni war eine Tempelpriesterin in einem kleinen unbekannten Tempel auf der nördlichen Redline. Sie war fleißig, beliebt, hübsch und hilfsbereit. In ihrem Dorf genoss sie hohes Ansehen. Jedoch verliebte sie sich in einen Umherreisenden. In dem Tempel hatte sie sich dann immer heimlich mit ihrer großen Liebe getroffen, die sich erst später als Dämon entpuppte. Kurzum: Azarni musste Dorf und Tempel schwanger verlassen, da man ihr vorwarf, ihre Aufgaben als Priesterin verletzt zu haben.

Zu diesem Zeitpunkt taucht nun die schwarze Dame namens Yurenda auf. Sie verschleppte die Hochschwangere, um das Kind bei sich selbst zu behalten. Durch den Stress jedoch erlitt Azarni eine Frühgeburt und Zoro kam dann halt auf der Durchreise in irgendeinem Hotelzimmer Nummer 529 zur Welt. Die Mutter verblutete elendig bei der Geburt, konnte aber mit der Prismenträgerin den Deal abschließen, an deren Seite weiterzuleben, um nur noch einmal später ihr Kind sehen zu können. Das war der Schwur. Warum nun aber unbedingt Zoro das Objekt der Begierde war, ist unklar. Auch Yurendas wahren Absichten sind mir immer noch schleierhaft.

Sie war jedenfalls über diese Gesamtentwicklung stinksauer und zoffte sich mit dem plötzlich auftauchendem Kindsvater, der nun ebenso auf Anspruch auf seinen Sohn haben wollte. Ein Halbdämon wie Zoro könne weder unter Menschen, noch unter Dämonen leben. Schon gar nicht mit derart grünen Haaren, wie es nur die Kalikinder hätten. Es endete damit, dass sich erwartungsgemäß die schwarze Dame durchsetzte. Sie versiegelte Zoros Kräfte mit einem Bann, damit ihn niemand finden würde und setzte ihn bei Roronoas vor der Haustür ab. Dumm nur, dass sich Zoros Kräfte immer dann entfalten, wenn er mit seiner wahren Vergangenheit konfrontiert wird, wie damals, als er in Yurendas Umkreis in Kosa trifft. Da bricht der Bann irgendwie auf. Eine Tatsache, wohl nicht bekannt war. Vielleicht ist das des Rätsels Lösung, weshalb er ihren Kräften auf der Insel Paroli bieten konnte. Es muss also einen Zusammenhang zwischen den Kräften der Kalikinder und den Kräften der Prismen geben, wenn sie sich gegenseitig stand halten können.

Jedenfalls haben sich Roronoas zwar sehr über den Zuwachs, den sie dann Zoro nannten, gefreut, waren selbst aber nur verarmte Bauern. Missernten häuften sich und so wurde das Durchfüttern eines weiteren hungrigen Mauls schwierig. Auch begann das Dorf über ein grünhaariges Kind zu reden und zu spotten, welches schon im Kleinkindalter kräftiger war, als alle anderen Gleichaltrigen.

Bei meinem Besuch in Shimotsuki-Mura meinte mein Vater damals zu mir, dass die Roronoas nur schweren Herzens ihre Einwilligung gaben, dass Zoro bei ihm im Dojo bleiben könnte. Wie es dann weiterging, wissen wir ja.

Eigentlich haben Zoro und ich eine Gemeinsamkeit: Wir sind beide bei Zieheltern aufgewachsen.

Bleibt trotzdem die Frage: Warum der ganze Aufwand, den Tod einer Mutter in Kauf zu nehmen und ein Kind zu verstecken? Nur um One Piece zu finden? Nein, zweifelsohne steckt da mehr dahinter.

Ich weiß, dass es da auf der Insel eine mehr als aggressive Auseinadersetzung zwischen Yurenda und Zoro gab. Aber dazu wollte er sich nicht äußern. Noch nicht. Da hab ich ihm gesagt, dass sich so aber nichts aufschreiben könnte. Das hatte ihn aber nicht interessiert.

Ich frage mich manchmal, ob ihn eben überhaupt was interessiert. Vielleicht sollte es mir auch alles egal sein, wen ihm alles egal ist. Warum schreibe ich hier eigentlich alles auf?

Wir schippern planlos durch die Gegend, wissen nicht genau, wo wir sind und was wir machen müssen. Wir wissen ja noch nicht mal, wo wir so eine Kerze vom Kerzenmacher finden oder was das überhaupt sein soll. Vielleicht unterscheidet das die Marine von den Piraten. Piraten ziehen einfach über die Meere von Abenteuer zu Abenteuer. Zwar suchen sie One Piece, aber wie lange es dauert, scheint egal zu sein. Vielleicht ist der Weg das Ziel und nicht das Ziel selbst? Vielleicht, vielleicht...

Ich benutze dieses Wort „vielleicht“ in der letzten Zeit sehr oft. Viel zu oft. Vielleicht ist so ein unbestimmtes und zeitloses Wort. Vielleicht passiert etwas. Vielleicht auch nicht. Aber im Grunde ist es egal.“
 

Sie machte eine Pause mit dem Schreiben und las noch einmal das eben Verfasste zur Fehlerkontrolle durch. Ein Außenstehender würde bei so einem Text sicherlich urteilen, eine Verrückte hätte ihn geschrieben und es wäre Zeit für die Klapsmühle. Sie tröstete sich damit, dass sie es besser wusste und blickte durch das Fenster. Nichts hatte sich dort draußen verändert. Mal zogen die Nebenschwaden dicker, dann wieder dünner über das Schiff. Würde man unten vor dem Bug nicht eine kleine Welle erahnen können, so hätte man auch behaupten können, sie hätten sich seit Tagen nicht mehr von der Stelle bewegt.

Den Blickwinkel etwas kürzer gerichtet und betrachtete sie ihr Spiegelbild in der Glasscheibe. Die Narbe über ihre Wange bis hoch zur Schläfe verblasst zusehends. Bald würde nur noch eine feine weiße Linie davon zurückbleiben. Welch dumme Idee hatte sie doch damals gehabt, sich ihr Gesicht zu zerschneiden, weil sie dachte, es würde Probleme lösen.

Den Schatten des Schmetterlings an ihrem Hals würde man wohl ewig sehen. Wie eine dunkle Hautverfärbung schimmerte er hauchzart rosa auf ihrem hellen Teint. Da hatte sich nichts verändert.
 

Die Tür wurde aufgestoßen und mit nasskalter Luft zusammen strömte Franky herein, flankiert von einem Werkzeugkasten in der einen und einem langen Plastikschlauch in der anderen Hand.

„Ach, hier bist du. Der Rest hockt unten im Aquarienzimmer und versucht mal wieder, eine Runde Karten zu spielen.“

Das Kartenspiel. Das war in den letzten Tagen ein großer Streit gewesen. Usopp hatte die grandiose Idee umgesetzt, dass Skat-Blatt einfach durch ein paar neue Karten Marke Eigenbau zu einem Rommé-Blatt zu erweitern. Jedoch tauchten bei jedem Spielgang einfach immer mal wieder neue Joker auf. Mittlerweile gab es statt der üblichen sechs schon gute fünfzehn Stück davon. Und da sie alle von Usopp selbst gezeichnet waren und jede Joker-Karte wie dem Ei ein anderes glich, konnte sich nun überhaupt nicht erklärt und geklärt werden, wer da nun immer schummelte. Vielleicht würden sie heute mal eine vernünftige Runde zusammenbekommen.

„Ja, ich komme da gleich hin. Ich schreibe hier nur noch das Stück fertig“, lächelte Tashigi freudig zurück.

„Bin auch gleich da. Aber einer der Idioten ist zu blöde, ein Klo zu benutzen. Es ist verstopft“, beschwerte sich Franky noch, als er bereits schon die Leiter mit Sack und Pack nach oben erklomm.

„Na, du kennst doch unsere Pappenheimer!“ lachte sie ihm fröhlich hinterher, um ihn aufzumuntern.

So mochte den Cyborg, der sie von Alter und Statur an ihren alten Chef Smoker erinnerte. Die Vaterrolle, die der Qualmer damals noch für sie inne hielt, hatte längst zu Franky gewechselt. Kurzum nahm sie sich ein Herz und kletterte ebenfalls die Treppe hoch.

„Kann ich dich was fragen?“ sprach sie ihn zögerlich an.

„Aber immer doch, meine Kleine.“ Kam es irgendwo hinter dem Klokasten hervor. „Wenn ich dabei weiterschrauben kann?“

„Klar!“

„Was ist los?“

Sie überlegte. Eigentlich konnte man dem Schiffsbauer nichts vormachen. Also wäre wohl frei heraus die beste Überlegung.

„Also, das ist schwer zu erklären. Stell dir vor, du müsstest noch eine Entscheidung abwarten. Von dieser Entscheidung hängt aber nicht nur deine eigene Situation ab, sondern auch noch die von anderen. Würdest du den anderen davon erzählen, auch wenn noch nichts Handfestes vorliegt? Oder wartest du, bis die Entscheidung steht? Verstehst du, was ich meine?“

„Puh“, überlegte Franky, während er sich den kalten Hammer auf die Beule drückte. „Schwer zu sagen. Das hängt mit der Tragweite der Entscheidung zusammen. Und auch, worum es denn überhaupt geht.“

„Aber prinzipiell würdest du auch vorher keine Pferde scheu machen?“

„Nein. Wohl nicht. Hast du irgendetwas vor?“

Er blickte sie an und sah in ihr sehr nachdenkliches Gesicht. Plötzlich hellte sich ihre Miene wieder auf.

„Danke, du hast mir sehr geholfen!“ Dann verschwand sie wieder durch die Bodenluke hinunter in die Bibliothek, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb noch einige Zeilen darunter. Dann wurde alles sorgfältig in die Kiste gelegt.

Sie rief dem verwunderten Nakama noch zu, dass sie schon mal vorgehen würde und weg war sie. Kopfschüttelnd versuchte Franky hinter diese Gesprächszeilen zu blicken, doch ihm fiel im Moment nichts Gescheites ein. Vielleicht später.
 

Unten im Aquarienraum hatte sich schon die ganze Bande versammelt und natürlich ging es wieder einmal um die Joker, welche zu einer langen Spielpause geführt hatten. Die Archäologin ließ ihren Kartensatz von ihren Teufelskräften halten und trank amüsiert eine Tasse Kaffee. Die Navigatorin keifte, dass sie die Vorderseiten der Joker durchnummeriert hätte. Wie könnte denn nun zweimal Joker Nummer drei auftauchen? Usopp war sich keiner Schuld bewusst und schmollte beleidigt. Zoro war längst über den Streit eingeschlafen und saß samt Karten und Katana in eine Ecke und schnarchte vor sich her. Luffy und Chopper verstanden nur Bahnhof, wo denn überhaupt das Problem wäre. Ob man nun sechs oder fünfzehn Joker im Spiel hätte, wäre doch egal. Hauptsache, sie würden endlich überhaupt mal anfangen. Der Smutje hatte längst sein Kartenblatt beiseite gelegt und erst einmal einen Nachschub an Fingerfood organisiert. Die Diskussion könnte ja noch dauern, besonders da Brook versuchte, den Streit zu schlichten.

Tashigi gesellte sich zu der streitenden Runde. Der Abend würde noch länger dauern.

51 - Das Meer der verdrängten Träume

Chopper konnte nicht schlafen. Erst wälzte er sich unruhig von der einen Seite auf die andere und nun lag er schon seit gut zwei Stunden auf dem Rücken und starrte Löcher an die Decke. Es war nicht das erste Mal auf der langen Reise der Strohhutpiratenbande, dass sie zwischen den Inseln kreuzten, doch so eintönig war es noch nie gewesen. Täglich dasselbe Wetter, täglich dieselbe Beschäftigung, täglich dieselben Gesichter, was sich logischerweise nicht vermeiden ließ. Es gab innerhalb der Fahrrinne im Nebel nicht einmal irgendetwas zu beobachten, was einem die Zeit hätte vertreiben könnte. Auch kein einziger Fischschwarm machte sich an ihrer Schiffsseite entlang des Weges, den man hätte angeln können. Und so tat man den ganzen lieben langen Tag nichts anderes als Essen, Schlafen und gelangweilt herumzuhängen.

Das Rentier stand auf. Es spürte keine Müdigkeit und hatte auch keine Lust mehr, den Schnarchern in den Nachbarbetten weiter zu zuhören. Sein Schlafrhythmus war durch das Gammeln an Bord komplett durcheinander gekommen. Nun war es hellwach, gelangweilt und genervt. Seine Augen sahen äußerst gut im Dunkeln des Zimmers. Es würde kein Licht benötigen, um den Raum trittsicher und unauffällig verlassen zu können.

Draußen an Deck atmete es tief durch. Die Nachtluft war angenehm kühl und von Feuchtigkeit durchtränkt. Es sah gen Himmel, wo sturmzerfetzte Wolken sich vom Wind treiben ließen. Vereinzelt blickte ein Stern vom Nachtfirmament hernieder. Erst jetzt wurde dem Arzt gewahr, dass es keinen Nebel mehr gab. Sollten sie nun wirklich nach gut zehn Tagen aus dem Bannkreis der Insel entkommen sein? Das Wasser in der Fahrrinne hatte sich nicht verändert: Nach wie vor schien es zähflüssig wie ein Ölteppich zu sein. Aber außerhalb des Kanals war das Meer tobend und aufgebracht. Wild kräuselte sich die Wasseroberfläche, dass einem schon vom alleinigen Anblick schwindelig wurde. Wellen zerschlugen sich selbst außen an der Kanalwand.

Von vereinzelten Stimmen am Bug des Schiffes angelockt, stiefelte Chopper die Treppe hinauf und fand am Steuerrad den Smutje nebst Navigatorin. Nami tastete mit ihren Augen durch das Fernglas die Horizontlinie ab. Doch sie blieb ihr in der Dunkelheit unendlich weit verborgen.

„Der Nebel ...“ gesellte sich Chopper zu den beiden anderen.

„Ja. Das Wetter schlägt um. Wir scheinen schneller als gedacht nach Namida City zu gelangen, obwohl wir kaum Fahrt machen in diesem Kanal. Aber das Meer macht mir schon Sorgen“, antwortete Nami ihm nachdenklich.

„Es scheint jetzt auch `ne andere Strömung im Kanal zu sein. Die Sunny treibt nicht mehr allein geradeaus. Man muss leicht gegensteuern“, rundete Sanji die Informationen ab.

„Meinst du, es gibt einen Orkan?“ erschauderte Chopper und sah die Navigatorin erschrocken an. Ein Sturm würde sie übel mitnehmen und in dieser Rinne könnte sie ihn nicht einmal umschiffen.

„Nein, ich würde eher sagen, wir steuern genau auf eine Regenfront zu. Ich denke, noch gute vier oder fünf Tage. Dann sind wir da. Aber wir müssen aufpassen. Es ist eine Insel, die unter Whitebeards Einfluss steht.“

Nami sah besorgt und nachdenklich aus, sagte aber nichts weiter, sondern wandte sich wieder den Beobachtungen durch das Fernglas zu. Sanji hielt eisern das Steuerrad fest und die Sunny auf Kurs. Daran, wie er an seiner Zigarette zog, erkannte man seine Angespanntheit.

Für das Rentier gab es hier oben nichts weiter zu tun. Es wandte sich achtern, wo alles im Dunkeln lag. Oder nein, doch nicht. Es verwunderte ihn, warum aus seinem Arbeitszimmer ein schwacher Lichtschein durch die Fenster fiel. Er hatte nicht vergessen, das Licht zu löschen. Da war er sich absolut sicher. Neugier und Angst rangen um eine Entscheidung. Die Neugier siegte, auch wenn eine Spur von Angst in ihm blieb. Wenn es gefährlich würde, dann würde er einfach nach seinen Freunden schreien.

Langsam machte er sich auf den Weg zu seiner Praxis und redete sich dabei ein, dass es sicherlich eine stinknormale Erklärung dafür gab. Sie waren hier mutterseelenallein irgendwo in der Neuen Welt. Weit und breit nichts und niemand. Eindringlinge hätte Zoro mit seinem Gespür garantiert schon bemerkt.

Der nasse Rasen an Deck befeuchtete seine Klauen und als er die Tür zur Mensa aufschob, gähnte ihm Dunkelheit wie aus einem großen Tiermaul entgegen. Fast hätte er doch Furcht in sich aufsteigen lassen, wären dort hinter seiner Praxistür nicht allzu menschliche Geräusche gewesen. Zudem drang Licht durch den Türspalt. Mutig schritt er voran, öffnete die Tür ganz und erstarrte für einen Bruchteil der Sekunde. Er schaut mehrmals zwischen geöffnetem Medizinschrank, durchwühlten Dosen auf dem Tisch und der dampfenden Tasse „Irgendwas“ in Zoros Händen hin und her. Erst dann machte es in seinem Kopf Klick.

„Was zum Teufel machst du hier?“ brüllte er seinen Gegenüber an. Unfassbar, dass mitten in der Nacht ohne sein Wissen jemand unsachgemäß sich an seinen Vorräten bediente und seine Schränke durchwühlte. Inakzeptabel!

„Ich kann nicht schlafen“, kam es nur trocken von dem Mitstreiter zurück.

„Du kannst nicht ... WAS?“

Das Rentier schlug sich mit der Faust an die Wange. Es schmerzte höllisch. Aber es war ein sicheres Indiz dafür, nicht zu träumen, sondern sich in der Realität zu befinden. Zoro und Schlaflosigkeit. Das war so, als würde Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen. Hier war etwas definitiv oberfaul, aber sein vermeintlicher Patient sah eigentlich recht kerngesund aus.

Der kleine Arzt schnupperte, was aus der Teetasse so herausdampfte. Der Geruch verwies auf ein finsteres Gebräu mit vielen Kräutern, die aus dem großen, roten Napf aus der hintersten Ecke seiner Arzneiteesammlung stammen könnten. Es roch nach einer starken Dosis.

„Wie viel zum Henker hast du da aufgebrüht?“

„Hm, ungefähr soviel, “ zeigte Zoro mit den Fingern die Höhe des Teesatzes unten am Tassenboden. Das war mindestens ein Drittel des Bechers.

„Was?“

Das Rentier seufzt entsetzt. Es war hoffnungslos, seinen Nakama zu belehren. Solange dieser noch aufrecht und locker dort mit dem Gesäß auf der Pritschenkante lehnte, konnte er keine Kräutervergiftung haben. Man würde sehen, wie sich die Arznei in den kommenden Stunden auswirken würde. Dennoch fragte sich das Rentier nach dem Warum des Ganzen.

„Und wie viel willst du von dem Zeug saufen? Glaub man ja nicht, dass ich es noch einmal zulasse, dass du dich an meinem Inventar vergreifst! Warum überhaupt? Du, du!“

Chopper wollte drohen, um seiner Wut Luft zu machen und seinem Anliegen Nachruck zu verleihen. Doch als er Zoros gleichgültige und regungslose Haltung sah, spürte er einen Hauch von Verzweiflung. Der Schwertkämpfer hielt die dampfende Tasse mit beiden Händen in der Nähe seines Mundes und pustete nachdenklich hinein, auf das es sich schneller abkühlen würde.

„Was ist los?“ fragte der kleine Arzt nun doch vorsichtig.

„Sie rufen mich ...“

„Hä? Wer ruft dich? Geister?“

„Keine Ahnung!“

Zoro knallte nun doch wütend erregt die Tasse auf den kleinen Schreibtisch. Fast wäre sie übergeschwappt, hätten den Tisch eingesaut und seine Finger verbrannt.

„Im Schlaf höre ich ständiges Rufen. Hier an Bord gibt es mehr Seelen als Leute. Manchmal sehe ich alles wie im Zeitraffer, dann aber wieder wie im Schnellvorlauf. Ich krieg hier eben einfach `ne Macke“, beschwerte er sich, obwohl er wusste, dass Chopper die falsche Adresse wäre. Helfen konnte dieser ihm sicherlich nicht. Wenigstens hörte er sich aber seinen Ärger an.

Für das Rentier war jedoch in diesem Moment klar, dass sich sein bester Freund in einer äußerst schweren Lage befand. Der Schwertkämpfer sprach niemals über seine Probleme. Auch nicht, wenn die Welt bereits untergegangen war. Das er es nun doch tat, war aber kein Zufall, sondern einem Zwischenfall zu verdanken, als sie beide damals allein auf dem North Blue ihren Weg fortsetzen und sich dabei übel in die Flicken bekamen. Seitdem ließ Zoro dann doch mal den einen oder anderen Satz gegenüber Chopper fallen, wenn es wirklich aussichtslos war.

Der kleine Arzt seufzte noch mal und begann, die alt bekannte Ordnung in seinem Schrank wieder herzustellen. Dabei drückte er Zoro beiläufig eine andere Kräutermischung in die Hände.

„Hier, trink die! Was anderes weiß ich auch nicht“, gab er seine Anweisung.

„Ok, danke!“ Damit verschwand der Nakama zur Küche, wo noch heißes Wasser stand. Dann klappte die Tür zum Deck und weg war er. Verwundert rubbelte sich Chopper das Ohr. Hatte er eben tatsächlich das Wort „Danke“ vernommen? Komische Anwandlung. Irgendwie begannen alle, am Rad zu drehen. Lag wohl an der Eintönigkeit. Mit dem Aufräumen war er nun fertig und da er nichts weiter zu tun hatte, versuchte er wieder in seinem Bett etwas Schlaf zu finden. Von Zoro war weit und breit keine Spur zu finden.
 

Für Zoro hingegen war noch lange kein vernünftiger Schlaf in Sicht. Mit der Teetasse eisern in der Faust umklammert stapfte voran, überquerte das Rasendeck, nahm einem Umweg an seinem Bett vorbei, wo er sich seine Bettdecke schnappte und schlürfte dann dem Krähennest hoch oben über allem entgegen. Er wusste, dass er im Trainingsraum allein sein würde. Der Stahlfußboden war angenehm kühl. Genau das richtige für seinen steinkohlegleich glühenden Kopf. Er hatte steigendes Fieber, doch sein Kämpferstolz verbat es ihm, sich vor Chopper bloßzustellen. Die Hoffnung tat sich schwer, hier oben in der Einsamkeit nun den inneren Frieden zum Einschlafen zu finden. Da waren wieder diese Stimmen, die riefen und klagten. Furchtbar!

Lange drehte und wälzte er sich auf seinem kalten, harten Lager hin und her. So etwas war im bisher vollkommen fremd gewesen. Nicht einschlafen zu können: Ätzend. Stunde um Stunde verging. Bald würde es draußen dämmerig werden. Der Regen trommelte gegen die Fensterscheiben und deren Lärm mischten die Stimmen in seinem Kopf zu einem Geräuschebrei. Die Geister riefen und klagten in einer fremden Sprache, die er nicht verstand, aber seinen Namen hörte er heraus.

Choppers Schlaftrunk verfehlte jedoch nach einer langen Zeit seine Wirkung nicht und schickte den von innerer Unruhe Geplagten in ein dubioses Land schlechter Träume.
 

Der Traum begann zwischen den Gräsern und Blumen einer unendlichen Steppe. So weit das Auge reichte, wiegten sich die knallgrünen Halme im lauschig warmen Wind. Da war nichts am Horizont als Gras, Gras und noch mal Gras. Der Himmel über ihm war im klarsten Azurblau gehalten. Keine Wolke verhunzte das Firmament. Es musste wohl Mittagszeit sein, denn die Sonne stand fast senkrecht über ihm.

Ohne zu wissen, was ihn antrieb, ging er schnurgerade los. Er genoss das angenehme Frühlingswetter. Die wochenlangen Wintertage mit ihrem Schmutzgrau drücken auch ihm aufs Gemüt. Da war diese Idylle mehr als erholsam. Ab und zu schaute er zurück und sah nur den platt getretenen Pfad in der kniehohen Wiese. Nur selten wuchsen weiße Magaritten und gaben der grünen Fläche ein paar abwechslungsreiche, weiß-gelbe Tupfer.

Er ging weiter und weiter. Zoro versuchte die Zeit abzuschätzen, denn anhand des Pfades, musste er schon sehr lange gegangen sein. Seinen Startpunkt konnte er nicht mehr sehen. Allerdings bewegte sich die Sonne keinen Millimeter am Himmel.

Also lief er weiter ohne Eile, jedoch ohne gänzlich zu bummeln. Nichts veränderte sich. Weder das Grün der Gräser, das Weiß der Magaritten, noch das Blau des Himmels. Auch der Stand der Sonne war unverändert. Er war vollkommen allein und nichts deutete darauf hin, dass er irgendwann einmal irgendjemanden treffen würde.

Plötzlich stutze er, denn genau vor ihm tat sich ein Trampelpfad in dem Gras auf. War er doch nicht allein? Er betrachtete den Weg genauer. Er war noch frisch hineingetreten und führt schurgerade aus zum Horizont.

Zoro hatte nichts anderes zu tun, als diesem Weg zu folgen. Vielleicht würde er jemanden begegnen, der ihm Auskunft über diese Steppe geben könnte. Doch niemand tauchte auf. Er wusste selbst nicht warum, aber ein übler Verdacht tat sich in seinem Unterbewusstsein auf. Um diesem Verdacht auf die Schliche zu kommen, trat er aus der Spur heraus und begann parallel zur ersten einen neuen Weg nebenher.

Seine übelste Befürchtung bestätigte sich tatsächlich nach einer endlosen Wanderung, als sich vor ihm viel, viel später der Anfang einer zweiten Spur auftat. Es war tatsächlich seine eigene Spur gewesen, an dessen Anfang er vorhin geraten war. Und nun stand er vor dem Anfang der zweiten.

Er wunderte sich, wie man bei einem Weg, der exakt geradlinig verlief, im Kreis laufen konnte. So schlimm war sein Orientierungssinn nun wirklich nicht, versuchte er seinen Makel herunterzuspielen. Ihm kam der irrsinnige Gedanke, dass er vielleicht auf einem Steppenplanet gelandet wäre, den er nun schon zweimal umrundet hätte. Aber das war absurd, selbst wenn es nur ein Traum war. So etwas albernes träume man nun wirklich nicht.

Kurzum machte er eine 90°-Kehre und entfernte sich von seinen beiden alten Pfaden. Als hätte er es erahnt, kam er später wieder genau senkrecht bei den beiden Parallelen vor ihm an und überquerte sie. Eine Kreuzung war entstanden. Es war eines der sinnlosesten Träume überhaupt.

Der Orientierungslose hatte nun keinen Lust mehr, weiter im Kreis in einer eintönig grünen Landschaft umherzuspazieren. Nun im Gras liegend, betrachtete er den Himmel und lauschte in die Gegend hinein. Bis auf den Wind hörte man kein Lebewesen.

Ein plötzlicher Schatten ließ ihn hochfahren. Dort, wo eben noch die Kreuzung gewesen war, stand wie von Zauberhand ein alter kleiner Baum ohne Blätter mit schwarzem Stamm und Geäst. Hoch oben saß etwas.

Zoro war fast geblendet von diesem Wesen. Er schützte seine Augen mit dem Handschatten und ordnete das schlafende Tier als einen Pfau ein. Seine Schwanzfedern hingen herunter und sein Kopf steckte unter einem Flügel. Seine Federn schimmerten in der Sonne wie poliertes Metall in allen Blau- und Grüntönen, die jemals ein menschliches Auge gesehen hätte. Aber die Pfauenaugen waren mysteriös. Sie waren pechschwarz und wenn man hineinblickte, so verlor man sich in ihnen. Als würde man wie Wasser von einem trockenen Schwamm aufgezogen. Der Schwertkämpfer kannte dieses Schwarz. Die Donnerwolken der Panzerreiter hatten denselben Effekt.

„He!“ rief Zoro hinauf ohne wirklich daran zu glauben, dass der Pfau seine Sprache sprechen würde.

Der Vogel reagierte erst, als ein von Zoro geworfener Ast ihn streifte.

„Kiek mal, Olle!“ gähnte das verschlafene Vieh daraufhin und meinte dann weiter: „Olle, wi häbben ein Gast.“

Na toll, das Tier konnte also wirklich reden. Nur leider mit einer sehr alt schrill-krächzenden Stimme auf Platt. Das würde die Kommunikation erschweren. Zoro verstand nur Bahnhof.

„Kannst du auch richtig reden?“ fragte er genervt.

„Olle, der Gast is echt frech. Der wohnt hier net und blubbert rum. Wat sagste dazu?“

Zoro blickte sich um. Bis auf sich selbst und dem Pfau gab es hier nichts und niemanden. Mit wem redete das Vieh denn da bloß? Vermutlich war es schon solange allein, dass es einfach mit sich selbst sprach und das nicht gerade grammatikalisch einwandfrei. Es schaute zudem sehr erbost herunter und schien auf etwas zu warten.

„Nu stell uns deine Frage. Du hast uns doch gerufen“, drängelte der Pfau.

„Frage? Gerufen?“ Zoro war verwirrt und erntete verdrehte Augen von dem Vogel.

„Ja doch! Du hast deine Lebenslinie gekreuzt und uns gerufen. Respekt, dass könnt ihr Hanyô sonst nämlich nicht. Aber ihr Grünhaarigen könnte ja auch sonst nichts. Ihr Schicksalslosen!“

Da lachte der Hahn zu sich selbst und schickte sich an, eine neue Schlafposition zu finden und die Augen zu schließen.

Für Zoro war wie vom Blitz getroffen klar, dass dieses unhöfliche Tier sicher eine ganze Menge über ihn und seine Kräfte erzählen konnte. Wenn es jetzt nur nicht einschlafen würde.

„Wie viele Fragen habe ich denn?“

„Nur eine und die hast du eben verbraucht“, gähnte es herunter.

„Vergiss es! Erzähl mir mehr über die Hanyô. Du weißt es wohl.“

„Wieso? Du bist einer, du musst es selber wissen. Oder hast du schon zu viele Erinnerungen verbraten, dass du nichts mehr weißt? Ah, ihr Schicksalslosen!“

Der Pfau war arrogant und respektlos. Nichts wollte er preisgeben. Ihn also direkt ausquetschen zu wollen, schien ein aussichtsloses Unternehmen zu sein. Zoro dachte nach. Man müsste dieses Vieh doch reinlegen können. Vielleicht ging es mit einem Themenwechsel. Manchmal konnte man das Feld von hinten aufrollen.

„Weißt du eigentlich, dass unsere Welt im Chaos liegt und sich gerade selbstzerstört?“

„Ja, ist uns aber egal! Nerv’ uns nicht mit Belanglosem!“

Der Vogel schlug drohend mit den Flügeln. Der Windstoß war so stark, dass es Zoro überraschte und ihn rücklings umwehte. Er rappelte sich zum Sitzen hoch.

„Warum ist es egal? Du wirst auch davon betroffen sein.“

„Ist doch toll. Endlich Ruhe. Wir sind alt. Haben alles gehört, gesehen und gelebt. Wir haben schon zu lange gelebt. Alles ist uns jetzt egal!“

Noch einmal schlug der Hahn mit den Flügeln und Zoro purzelte wieder ein paar Meter weiter. Das sollte nicht noch einmal geschehen. Schnell sprang er auf die Füße in die Hocke und rammt das Shûsui vor sich in den Boden. Möge es ihm bei dem nächsten Flügelschlagen Halt und Standfestigkeit bieten.

„Wenn alles egal ist, dann kannst du ja auch was erzählen. Wäre ja egal, ob du es sagst oder nicht“, grinste der Schwertkämpfer frech nach oben.

„Sieh an, Olle. Der tut recht schlau und will uns reinlegen. Wir lassen ihm den Triumph. Dann freut er sich. Er ist anders, als die anderen. Meinst du nicht auch, Olle?“

Tatsächlich hatte der Pfau das Spiel von Zoro durchschaut, gab aber vergnügt nach. Vermutlich hatte hier am Baum noch nie jemand gestanden, der so hartnäckig und unwissend zu gleich war. Auch wenn der Vogel in dem Menschen dort unten einen Schicksalslosen sah, so war dieser wohl besser als gar kein Gesprächspartner. Also hüpfte der Pfau ein paar Äste herab und erst jetzt konnte Zoro erkenne, dass das Tier sicher so groß wie er selbst war. Die Perspektive nach oben hatte ihn sehr getäuscht.

„Überrascht, dass ich so groß bin?“ amüsierte sich das Tier und schob noch hinterher: „Ich weiß, was du denkst.“

Überrascht und irritiert zugleich, zog der Schwertkämpfer eine Augenbraue nach oben, sagte aber nichts. Wenn der Hahn nun auch noch Gedanken lesen konnte, dann würde die weitere Fragenstrategie kaum zu planen sein.

„Du willst wissen, wer du bist, wo die achte Route ist und der Kerzenmacher. Und warum du kein Schicksal hast. Welch dumme Fragen. Alles total sinnlos. Längst zu spät!“

Der Pfau lachte kichernd und glucksend, dass es einem die Ohren schmerzte. Er sprang vom Baum herunter direkt vor Zoros Füße und tat so, als wolle er ihn picken. Dann schlug er sein Pfauenrad auf.

Der Himmel wurde finster. Regenwolken und Sturm brachen los. Schon nach Sekunden war Zoro komplett von dicken Regentropfen durchnässt bis auf die Knochen, doch der Pfau stand dort unverändert mit seinem grell glitzernden Pfauenrad, dessen Muster an das eines Kaleidoskops erinnerte, welches sich auch noch immer schneller und schneller zu rotieren und zu verändern begann. Die Pfauenaugen blickten durchbohrend genau in sein Innerstes und entblößte sein Herz und seine Seele.

„Hör’ uns zu, du Schicksalsloser. Ihr Hanyô tragt die achte Route in euch und habt nur eine einzige Aufgabe. Ihr verlauft euch nie, sondern lauft immer exakt auf der achten Route. Darum habt ihr keine Orientierung zu anderen Orten. Das ist der Trick. Begib’ dich direkt zum Tempel der 1000 Kerzen. Der liegt auf der achten Route. Aber beeil dich. Die Zeit ist eh schon so gut wie abgelaufen. Meinst du, Olle, der schafft es? Nein, wir meinen nicht, dass du es noch schaffen kannst.“

Das Krächzen wurde zu einem metallisch-schrillem Lachen, welches im Sturm verwehte. Dann wurde der Sturm urplötzlich zu einem Orkan, der den Pfau mit sich nahm und auflöste, als wäre sie schon immer eins gewesen. Bunte Metallfedern flogen in finsterster Nacht wie grelle Blitze umher. Gräser mit ganzem Wurzelwerk wurden aus der Erde gerissen und umschlangen Zoros Körper. Shûsui fand keinen Halt mehr, als das Erdreich aufriss. Der Schwertkämpfer flog nach hinten und wurde unter umher fliegenden Grasbrocken begraben und gefesselt. Und plötzlich war alles vorbei.
 

Als Zoro aufwachte, lag er wie gehabt ihm Krähennest. Er hatte sich in seine eigenen Decke verheddert. Die kleine Waschschüssel in der Nähe hatte er im Schlaf wohl umgestoßen und sich selbst mit Wasser beschüttet. Er befreite sich aus seiner misslichen Lage und richtete sich auf.

Der Regen prasselte an die Fensterscheiben. Nach wie vor war es draußen Nacht. Unten rief Sanji zum Frühstück.

„Wir tragen die achte Route in uns“, murmelte er nachdenklich vor sich her. „Und haben kein Schicksal.“

Durch den Regen begab er sich zum Essensraum. Beim Frühstück und einem Pott Kaffee würde er in Ruhe über diesen Alptraum nachdenken können. Vielleicht würde ihn die laute Bande auch etwas ablenken.

Diese war fast vollzählig versammelt. Natürlich waren Luffy und Usopp mal wieder einer der ersten, die am Tisch saßen und mit dem Besteck ungeduldig klapperten. Die restliche Crew trudelte gemächlich mit dem Schwertkämpfer zusammen ein, schüttelte die Regentropfen von den Jacken und nahm auf ihren gewohnten Stühlen Platz.

„Boah, habt ihr auch alle so’n Mist geträumt wie ich? Das war ja krass!“ hörte Zoro den Kanonier sagen. Er spitzte die Ohren, denn es wäre wohl diesmal keine komplette Lügengeschichte, sondern hätte einen Funken Wahrheit in sich. Er sah aus den Augenwinkeln, dass einige Nicken. Es lag Verwunderung und Neugier zugleich zwischen ihnen.

„Ist doch logisch. Wir durchqueren gerade das Meer der verdrängten Träume. Da soll so etwas typisch sein“, gab die Archäologin gewohnt gekonnt an.

„Aha!“ kam es nur von einigen zurück und dann wurde sich auch schon über das frisch aufgetischte Frühstück hergemacht. Es war wieder einmal ein herrliches Buffet. Dennoch entging es dem Schwertkämpfer nicht, dass seine Süße sich gerade mal ein halbes Brötchen reinwürgte und mit Mühe etwas Wasser trank. Nanu? Sonst aß sie mit gutem Appetit und sah auch bei weitem morgens nicht so blass aus. War ihm etwas entgangen? Gewissensbisse plagten ihn, denn er wusste, dass er sie die letzten Tage mehr als vernachlässigt hatte. Zu sehr hatte er sich mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Namis Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Hört mal alle her. Ich habe den Kurs neu berechnet. Wir werden schon morgen für auf der nächsten Insel ankommen. Also seit wachsam, was Feinde angeht. Alles klar?“

„Ja, eine neue Insel!“ brüllte Luffy los und hatte leuchtende Sternaugen. Er konnte die Ankunft kaum erwarten. Auch die Crew war froh, demnächst wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Bald würde es soweit sein.

52 - Zwei Seelen

(Anmerkung: Das Lied ist die englische Version von „When Spirits Are Calling My Name“ gesungen von Roger Pontare)
 

Das Meer der verdrängten Träume hatte es in sich. Es wirkte still und leise auf jeden, der es durchquerte. Ob Meeresbewohner oder Seefahrer, das war ihm gleich. Heimlich schlichen seine mystischen Auras durch das Unterbewusstsein und verbarrikadierten sich im tiefsten Winkel der Seele. Seine Opfer nahmen die Vorzeichen gewöhnlich nicht wahr. War es zuerst nur ein unruhiger Schlaf, unterbrochen von ständigem Erwachen, verfiel die Crew am folgenden Tag einer heftigen Müdigkeit, die sie alle in ihre Betten oder zumindest auf einen bequemen Schlafplatz trieb. Dort niedergelassen, überkam sie bald ein komaartiger Tiefschlaf. Wilde Träume zwischen Genie und Wahnsinn, Freude und Angst, Regenbogenfarben und Monocolor wechselten sich in einer unsortierten Reihenfolge ab. Ein jeder ging seinen eigenen alleinigen Weg durch seinen eigenen alleinigen, persönlichen Traum und sie sollten auch alle erst wieder aufwachen, als die Fahrrinne schon längst passiert war und das Alptraummeer hinter ihnen lag. Das war ein Zeitraum von geschlagenen vier Tagen, die vorbeigezogen waren, als das Meer sie allesamt wieder freigegeben hatte. Hinterher sprach niemand von ihnen über ihren Weg durch das Traumland. Jeder verhielt sich den anderen gegenüber merkwürdig still und nachdenklich.

Hatte man das Meer erst einmal überstanden und hinter sich gelassen, erschien einem Namida City wie eine halluzinierende Fortsetzung aller Träume. Zwischen Regenfronten, Nachtschatten und der panischen Vorstellung, eigentlich eine gute halbe Woche lang hilflos und schutzlos auf einem Meer herumgetrieben zu sein, erhob sich aus alle dem die Insel wie eine Utopie empor. Strahlend bunt wie ein Reklameschild. Fest wie ein Fels in der Brandung. Zu unglaublich, um Realität zu sein.

Die Insel war der Inbegriff von Energieverschwendung, gewagter Stahlarchitektur, Reichtum, aber auch Ghettoslums und Armut. Eine Nachtinsel mit Dauerregen. Das gesamte Eiland maß nicht sonderlich viele Hektar und war nichts anderes als ein felsiger Zuckerhut, der sich steil zerkluftet aus dem Meerwasser nach oben schraubte. Das war Grund genug, den Ort nicht in die Weite, sondern an den Abhängen entlang in die Höhe zu verbauen. So weit das Auge reichte, sah man nichts anderes als hellbunt erleuchtete Hochhäuser, die sich zu ihren Füßen durch ein Labyrinth an Tunneln, Übergängen, Brücken und Passagen verbanden. Die wenigen Straßen versteckten sich vor dem Regen unter Glasdächern. Die unterschiedlichsten Schornsteine durchbrachen schändlich die glitzernden Fassaden und gaben die Abgase einer übersättigten Stadt nach draußen frei.

Die Höhe und die Örtlichkeit des jeweiligen Hochhauses verriet die gute oder schlechte sozial-wirtschaftlichen Lage. So gab es oberhalb Edelhotels mit ebensolchen Edelboutiquen, ein Finanzzentrum und Handelsplatz, aber auch ganz unten auf dem Boden und Untertage verlassene Viertel, Kneipen und Kriminalität. Namida City war mehr als eine Großstadt. Es war eine Metropole. Ein schwer kontrollierbares Monster, welches niemals schlief, jedem Charakter Obdach zwischen seinen Häuserschluchten gebot und nur Dank Whitebeards Friedensabkommen derzeit politisch stabil schien. Es war einem Außenstehenden kaum möglich zu erkenne, wie dieser Hexenkessel friedlich zu bleiben schien und das innerste Brodeln unter dem Kesseldeckel versteckt und unterdrückte. Stadtregierung und Aufsichtsorgane leisteten eine gute Arbeit. Man munkelte, es würden sich tagtäglich gut eine Million Einwohner und mindest ebenso viele Durchreisende in Namida City tummeln. Aber so ganz genau wüsste das niemand. Die Devisen stimmten und alles andere war nicht wichtig.

Der felsige Berg im Inselzentrum verlor sich zwischen den Hochhäusern und fiel nicht sonderlich auf. Auf seiner Bergspitze ruhte ein längst vergessenes Stück alte Geschichte, von der keiner mehr in der Stadt Notiz nahm. Das Interesse an solchem Wissen war mehr als gering. Nur der Name der Stadt „Namida“ gab ein wenig Aufschluss über die geschichtsträchtige Historie. Zumindest erzählte man hinter vorgehaltenen Händen solch alten Geschichten. Und so hatte die Bevölkerung selbst vergessen, wie man diesen Gipfel erreichen könnte. Warum auch? Die lebendige Inselwelt tobte zwischen Häuserschluchten und Schauplätzen.

„Woah, ist das cool!“ brüllte Luffy mit Sternen in den Augen gegen den Regen an, während die Crew alle Hände voll zu tun hatte, zwischen den starken Meeresströmungen die Thousand Sunny auf Kurs in Richtung Hafen zu halten. Doch man musste dem Captain Recht geben, denn das Lichtermeer der Stadt brach sämtliche Rekorde in allem, was sie bisher erlebt und gesehen hatte. Wie ein Diamant funkelte und strahlte die Insel gegen die Dunkelheit an. Grund genug trotz harter Manövrierarbeit andächtig an der Rehling zu stehen und zu staunen.

Der Seegang war trotz des Niederschlags relativ ruhig. Die Hafeneinfahrt lag empfangsbereit vor ihnen. Marinestationen gab es hier nicht. Ein mittelgroßer Liegeplatz zwischen unzähligen anderen schwimmenden Untersätzen bot ihnen geschützte Sicherheit vor Dieben und Gesindel. Sofort kamen zwei hell bekleidete Herren in Ölzeug des Weges, die sich als höfliches Hafenpersonal ausgaben und zu Namis Zufriedenheit einen sehr lächerlich geringen Betrag für die Hafenliegezeit einsackten.

Schnell hatte sich die Mannschaft in dünne Regenjacken gehüllt, denn kühl war es nicht, nur nass von oben. Gegenüber der Sunny türmten sich bereits aus Stahl, Beton und Glas die Fassaden des ersten Hochhauskomplexes auf. Eine große Eingangtür aus getöntem Glas führte in den Bauch dieses Wohnklotzes. Das Innere war überwältigend. Es gab soviel zu sehen und zu bestaunen. In dieser mehrstöckigen Passage reihten sich Bars, Cafes und Restaurants nebeneinander. Viele Menschen zogen friedlich und ausgelassen feiernd durch die Gängen oder saßen in Gruppen um kleine Tische herum vor den Lokalitäten. Hier und da sangen einige die Lieder der auftretenden Musikanten und Bands mit. Die Strohhutbande ließ sich von dem Gewusel und der freudigen Stimmung mitreißen. Soviel Freude und Spaß hatten sie schon lange nicht mehr gehabt. Hier war sicherlich der richtige Ort, um einmal die Seele baumeln lassen zu können.

Wie in einem Flussstrom trieben sie davon und landeten dann alle gemeinsam in einem Restaurant, in welchem dämmeriges Licht orangefarbige Wände beleuchtete. Herrliche Kachelmosaike aus kleinen bunten Steinchen rundeten die Wandgestaltung als graphisches Highlight ab. Es gab keine Stühle. Man saß in niedrig gemauerten Steinkojen auf sehr dicken Kissen in dunkleren Farbtönen um kniehohe Flachtische herum. Kerzen in Buntglaskugeln zauberten in diese Oase des Friedens eine geruhsame Atmosphäre.

Sie ließen sich eine Koje zuweisen und der Gummijunge, dem bereits vor Hunger der Magen bis auf den Boden hing, fragte auch sofort nach den Spezialitäten des Lokals. Bereitwillig verteilte die Bedienung kleine, aber feine Speisekarten und klärte die Gruppe über gekochte Lammgerichte in exotischen Saucen und feinstem Basmatireis auf. Passende Getränke dazu wären Mixe aus Joghurt und Obstsaft. Die Mädels und Sanji wollten sich diesen besonderen Gaumenschmaus nicht entgehen lassen und bestellten, während der Rest der Jungs müde abwinkte und mehr am Bier interessiert war. Danach folgte das, was immer folgte. Die Speisekarte wurde rauf und runter gegessen. Und das mehrmals in beide Richtungen. Es war mehr als lecker und eine ganz neue Geschmacksrichtung. Der Smutje der Crew kam nicht umhin, seine Nase einmal kurz in die Restaurantküche zu stecken. Solche Rezepte erregten seine höchste Aufmerksamkeit. Er versackte dann aber bei der süßen Bedienung und ward für den Abend auch nicht mehr gesehen.

Nachdem der erste Hunger gestillt war, löste sich die Gruppe auf. Der Logport würde gute drei Tage benötigen, um sich aufzuladen. Da könnte jeder sich in Ruhe in der Stadt umsehen. Die Navigatorin ordnete an, sich spätestens übermorgen wieder seeklar zu machen und gab jedem Mitglied etwas Geld aus der Sammelkasse. Man wollte nicht durch unbezahlte Zechen und Rechnungen auffallen.

Luffy und Usopp blieben fürs erste auf den großen Kissen liegend zurück. Mit vollgeschlagenen Mägen konnte sie keinen Meter gehen. Brook hatte den Wein nicht verkraftet und hing ebenfalls über einem Kissen. Keiner der Freunde verstand bis heute, wie man als Skelett überhaupt Wein körperlich aufnehmen konnte, denn ein Stoffwechsel war zwischen den Knochen definitiv nicht vorhanden. Dennoch hatte der Schädel an den Wangenknochen einen roten Alkoholschimmer. Chopper staunte jedes Mal aufs Neue darüber. Franky leistete den Dreien noch etwas Gesellschaft. Sein Cola-Vorrat war leer, aber der Nachschub für sein Bauchfach ließ auf sich warten. So mischte sich nur die restliche Mannschaft unters Volk.

Die Stimmung war gigantisch. Im Entenmarsch drängelten sie sich zwischen den Menschen voran. Schon bald wurden ihre Abstände untereinander größer, denn es gab so viele Eindrücke zu sehen und zu hören.

Nur einige Meter weiter, Nami und Robin waren schon weit aus Tashigis Sichtfeld, verspürte sie einen sanften Griff an ihrem Oberarm. Fragend drehte sie sich um und sah nur, wie Zoro sie zu sich an die Seite und heraus aus der Masse an die Hauswand zog.

„Was ist?“ brüllte sie ihm gegen den Straßenlärm ankämpfend entgegen.

„Nichts. Wohin gehen wir?“

„Ich weiß nicht…“, überlegte sie laut und unschlüssig vor sich her. „Lass uns doch mal da gucken.“

Mit ausgestrecktem Arm wies sie auf einen mittelgroßen Quader inmitten einer Passagenkreuzung hin. Bei genauerer Betrachtung entpuppte sich der Quader als Miniaturnachbildung des Hochhausblocks, in welchem sie sich befanden. Es war eine dreidimensionale Karte mit genauen Angaben über Standpunkt und Lage von Kneipen, Restaurants, Geschäften und deren Warenlagern. Auf einer Tafel um diesen kleinen Tower herum wurde auf benachbarte Komplexe hingewiesen. Zweifelsohne war hier der Vergnügungskomplex. Dann gab es dort nach Norden noch Banken- und Wirtschaftskomplexe, im Westen den Handelskomplexe, im Osten den Forschungskomplexe, im Süden den Freizeit- und Hotelkomplexe und natürlich dazwischen auch viele Wohnkomplexe von nobel bis elendig. Nur über den mittigen Inselberg war dort nichts zu lesen. Es war der blinde Punkt der Inselkarte. Fast wie ausradiert

Sie waren sich beide unschlüssig über ihr nächstes Ziel und bummelten dicht nebenher die nächstbeste Passage entlang, in der weit weniger los war, als noch auf der Hauptstraße. Dennoch war man hier nicht allein. Eine Traube von Menschen um eine kleine Bühne wuchs rasend zu einer Masse heran und erregte die Aufmerksamkeit der beiden. Von einer Minute auf die andere war die Passage mit Menschen verstopft und ein Weiterkommen für Zoro und Tashigi unmöglich. Stau in der Fußgängerzone.

„Schnell, schnell. Die Subs treten gleich auf! Ein Geheimkonzert!" hörten sie aus dem Stimmengewirr heraus. Der Stimmung und den vielen Leuten nach, die sich hier in Windeseile vor der kleinen Bühne postierten, mussten die „Subs“, wie die nun kommende Band wohl hieß, weit mehr als eine kleine eingeschworene Fangemeinde besitzen.

Die Subs. Das war eine vierköpfige Gruppe und nannte sich eigentlich „Subways Downstairs“, aber das war für den allgemeinen Sprachgebrauch natürlich viel zu lang. Zeit ist Geld und so war der Name sofort unter Anhängern abgekürzt worden. Wie dem auch sei: Schon beim ersten Song hämmerten die Drums, klampfte die Gitarre, dröhnte der Bass und tobte der Mopp vor der Bühne. Die dunkle, warme Stimme der Sängerin ergriff die Zuhörer und brachte sie zum Kochen und Mitsingen.

Zwischen den vielen Menschen wurde es immer enger und demnach auch immer heißer und stickiger.

„Ich will hier raus“, murmelte Tashigi vor sich her, die im Gesicht immer weißer wurde. Es war bereits das unzähligste Mal in der letzten Zeit, dass ihr Kreislauf nicht mitspielte. Schwärze zog vor ihre Augen und die Hände wurden taub und kalt. Wenigstens konnte sie es jetzt gerade auf die Hitze schieben und kam nicht in Erklärungsnöte gegenüber ihrem Freund, der sich zwar wie gewöhnlich verhielt, aber dennoch einen Hauch von Sorge im Gesicht nachweisen ließ. Schützend hatte er seine Arme um sie geschlungen, um sie vor dem Umkippen zu bewahren, während er sich langsam durch die Masse kämpften und nach einer etwas geschützten Nische Ausschau hielt. Nebenbei klaute er noch unauffällig einen gefüllten Bierkrug von einem unbeobachteten Serviertablett und reichte ihn seiner Süßen weiter. Wasser wäre wohl besser gewesen, doch das schien hier nicht auf der Getränkekarte zu stehen.

„Trink was,“ bat er sie und sie begann langsam an dem kühlen Blonden zu nippen. Es war kalt, süffig und leicht süß. Alkohol schien es kaum zu enthalten. Das ging reicht gut runter, obwohl ihr übel wurde.
 

Der erste Song endete. Die Sängerin griff sich das Micro und sprach zu der Menge:

„Ok, Ihr Süßen! Alles klar?“

Großes Gejubel und Geschrei.

„OK. Ich hab euch wen mitgebracht. Zusammen singen wir unsere Hymne! Applaus!“

Unter lautstarkem Applaus schritt ein junger Mann mit einer großen Trommel in der Hand auf die Bühne. Schon die ersten Schläge brachten einen Rhythmus in den ganzen Raum, der durch Mark und Bein ging und Kopf und Herz erfasst. Und Tashigi und Zoro, die beide sich gerade schon fast nicht mehr um ihre Umgebung geschert hatten, rissen ruckartig ihre Köpfe herum. Perplex lauschten sie den Klängen und sahen auf das Publikum, das nun durch nichts mehr zu halten war. Aus allen Kehlen erklang im Chor ihre Hymne, dass die Band oben auf der Bühne schon fast übertönt wurde.
 

”I am caught in a trap, there is no turning back, I'm finally facin' the fear.

The sky is on fire, and up with the flames, my hope and my dreams disappear.

So bring me the power, I'll be the king of the land and the seas.

Show me the way to go, let me fight with my body and soul.
 

Let me be the native son with freedom in my heart.

Life will never be the same when spirits are calling my name.

My name...
 

Let me out of the darkness, the shadow of pain, and I'm keepin' my promise to you.

My people, my spirit, the home of my heart - you're with me wherever I go.

So bring me the power, I'll be the king of the land and the seas.

I've got a way to go, let me fight with my body and soul.
 

Let me be the native son with freedom in my heart.

Life will never be the same when spirits are calling my name.

My name...“
 

Das Lied war etwas Besonderes. Es erzählte eine Geschichte und ein Lebensgefühl. Das Lebensgefühl von …

„Den Trommler da oben sollten wir uns später mal schnappen…“, murmelte Zoro vollkommen im Bann und hochkonzentriert. Tashigi verstand nicht, was an diesem Musiker so besonders sein sollte, doch an der Reaktion ihres Freundes erkannte sie, dass es sich um eine äußerst verdächtige Person, wenn nicht gar um einen Feind drehen musste. Allerdings hatte sie gerade nicht die Muße, sich um so etwas Gedanken zu machen. Beide Arme um seine Lenden geschlungen und den Kopf an seine Brust gelehnt, wartete sie auf die Rückkehr ihrer Lebensgeister. Nur langsam besserte sich ihr Zustand. Es tat so gut, in seinen Armen zu liegen und seine Hand auf ihrem Rücken zu spüren, die sie fast unmerklich und sanft streichelte.

Die „Subs“ spielten noch zwei Lieder und eine kurze Zugabe. Dann verschwanden sie unter großem Beifall und einer kurzen Verabschiedung so schnell von der Bühne, wie sie hergekommen waren. Nur ein kurzer Blickaustausch genügte zwischen den beiden den beiden Schwertkämpfern, um sich einig zu sein, eine unauffällige Beschattung zu beginnen.

Die Gruppe verließ den Ort in verschiedene Richtungen. Der Musiker mit seiner großen Trommel auf dem Rücken verschnallt ging in einem eiligen Rennschritt voran dem Ende der Passage entgegen. Als sein Abstand zur Bühne und zum Publikum so groß war, dass man ihn von der Fangemeinde aus nicht mehr wahrnahm. Verlangsamte er seinen Gang zu einem angenehmen Tempo.

Die Gänge wurden kleiner, dunkler und menschenleerer. Stets gingen sie immer wieder öffentliche Treppen hinunter. Bald konnte man nicht mehr sagen, wie weit sie schon im Untergrund waren. Doch die Gegend war nicht mehr feierlich wie noch eben in den weit oberhalb liegenden Restaurantpassagen. Es war kalt, roch muffig und wirkte mit den beschmierten Wänden und leerstehenden Geschäften schäbig. Hier und da quoll ein Mülleimer über. Betrunkene lagen auf Bänken und schliefen ihren Rausch aus, während ein schräg Singender mit seiner nicht gestimmten Gitarre in einer Ecke Passanten um ein paar Berry anbettelte. Es wurde immer einsamer und die, die hier unten herumliefen, hatten es sehr eilig. Sie folgten farbigen Beschilderungen mit Richtungsangaben weiteren Treppen in die Tiefe.

Um nicht weiter als Verfolger aufzufallen, verharrten die beiden hinter ein paar dicken Stützpfeilern und blickten auf eine merkwürdige Karte mit farbigen Linien.

„Ein Zugstreckenplan? Wo soll der fahren?“ wunderte sich Tashigi vor sich her. Langsam aber sicher fühlte sie sich wieder wohl auf den Füßen.

Zoros Gespür warnte sie beide plötzlich.

„Er hat unsere Verfolgung bemerkt. Die anderen aus der Gruppe sind nun auch in der Nähe“, raunte er seiner Freundin zu.

„Was versprichst du dir von dem?“ traute sie sich nun doch leise zu fragen.

„Er ist so einer wie ich.“

„Ein Hanyô?“

„Hmm…“, nickte Zoro zustimmend.

Der Verfolgte drehte sich von einer Sekunde auf die andere abrupt um und blickte ihnen nun genau ins Gesicht. Dann drehte er sich wieder um und rannte wie von Sinnen eine Treppe hinunter. Die beiden Schwertkämpfer taten es ihm gleich und nun wussten sie auch, wo der Zug fuhr: Hier untertage. Es stank nach dem Rauch, den die vorbeidonnernde Dampflok ausstieß. Der Zug hielt nur kurz, ließ ein paar Fahrgäste hinaus, nahm ebensolche auf und war schon wieder in der dunklen Röhre verschwunden. Wie Katzenaugen leuchteten noch die roten Rücklichter eine Weile aus der Schwärze nach. Und dann standen sie ganz allein auf dem Bahnsteig. Zoro schnippte mit dem Daumen eines seiner Katana aus der Schwertscheide.

Ein Kampf stand bevor. Die Luft knisterte vor Anspannung. Das Areal war nachteilig. Viele Stützpfeiler stemmten die tonnenschwere Decke. Nur wenige Lampen beleuchteten den Bahnsteig schummerig.

Der Trommler war aus ihren Blicken entschwunden, nicht aber seine Bandkollegen, die nun von vier Seiten auftauchten, ebenfalls Waffen zogen und langsam auf die beiden zugingen. Der Schwertkämpfer bekam seinen typischen grinsenden Gesichtsausdruck. Für ihn war es mehr als eine gute Gelegenheit zu beweisen, dass er zu recht den Titel des besten Schwertkämpfers verdiente. Er kämpfte nicht des Sieges wegen, sondern des Kampfes an sich. Das sich messen und vergleichen stand ganz oben. Aber siegen selbst war natürlich auch nie schlecht und mehr als eingeplant und angemessen. In Tashigi hingegen sah es innerlich ganz anders aus. Ihr Herz schlug ihr bis in den Hals. Sie wusste, dass sie flink und sauber war mit Schwerttechnik. Sie liebte ebenso die Schwertkunst, war aber dennoch froh, wenn sie im Gegensatz zu Zoro nicht ständig ihr Können beweisen musste. Auf solche Kostproben verzichtete sie in Angst um ihr Leben gern, zumal sie sich eben gesundheitlich angeschlagen fühlte.

Es wurde nicht lange gefackelt. Rasch drangen Geräusche von gegeneinander klirrenden Schwertern an alle Ohren. Der Feind geizte keineswegs mit seinen Teufelskräften. Künstliche Regenwolken eröffneten alle Schleusen und setzen den Bahnsteig unter Wasser, während Nebelfelder die Sicht erschwerten. Allein die Stützpfeiler und die Bahnsteigkante boten eine Orientierung, mit der Zoro so rein gar nichts anfangen konnte

Der Kampf war kurz und heftig. Bereits nach wenigen Minuten waren alle von Kampfblessuren gezeichnet. Blaue Flecke am Körper und Blut aus klaffenden Wunden. Rücken an Rücken standen Tashigi mit einem Katana und Zoro mit seinen drei Katana nun in der Mitte, umzingelt von ihren Angreifern. Die Lage war nichts aussichtslos, aber gewonnen hatten sie noch lange nicht.

Blut rann von Zoros Schläfe über seine Gesichtshälfte und tropfte zu Boden. Auch Tashigi hatte eine Schnittverletzung quer über ihre schwertführende Hand, welche Shigures Griff mit Blut tränken ließ

„Mach doch mal was!“ zischte Tashigi gereizt ihrem Kampfpartner zu. „Wozu hast du denn den Hokuspokus?“

„Halt die Klappe“, fauchte er zurück. Was nutzen all die Kräfte, wenn sie nie dann kamen, wenn er es selbst wollte? Er hatte es bis jetzt noch nicht geschafft, den Grund zu finden, wie ihm sein zweites Ich von Nutzen sein könnte. Lediglich den Übergang in die Parallelwelt konnte er sich erklären, wenn Erinnerungen oder Konfrontationen mit seiner Vergangenheit auftauchten.

Es gab keine Verschnaufpause für Grübeleien. Eine neue Angriffswelle raste auf die beiden zu und trennte sie. Aus den Augenwinkeln sah der Schwertkämpfer, wie durch die Wucht Shigure brach und Metallstücke klirrend zu Boden fielen. Entsetzt starrte Tashigi auf den Tod ihres heißgeliebten Katana. Es war mehr als ein Schwert. Es war ein Teil von ihr gewesen und dessen Zerstörung glich dem Ende eines Teils von ihr selbst. Nun war sie schutz- und deckungslos zugleich und dem Feind hilflos ausgeliefert. Ein absoluter Grund für Zoro, ihr sofort zur Hilfe zu eilen.
 

„Stop! Das reicht!“ hallte eine kräftige Stimme durch den Haltestellenbereich. Der Trommler war wieder da. Und sofort waren sämtliche Kampfaktivitäten seitens der „Subs“ wie auf Knopfdruck beendet. Dennoch stellte sich der Schwertkämpfer schützend vor seine Freundin und lauerte in Angriffsposition.

Langsam, aber bestimmt schritt der Trommler an seinen Freunden vorbei auf seine beiden Verfolger zu und musterte sie mit einem leichten Grinsen auf den Lippen. Der Regen hatte nicht nur seine feuerroten Haare durchnässt, sondern wusch zudem eben diese Farbe heraus. Rote Bäche flossen wie Blut über Gesicht und Kleidung und gaben die natürliche Haarfarbe frei: Ein sattes Maigrün strahlte giftig hervor. Zoro hatte mit seinem Verdacht recht gehabt.

„Ihr seid keine Feinde. Entschuldigt unser Empfangskomitee, aber in Zeiten wie diesen muss man äußerst vorsichtig sein!“ legte der Maigrünhaarige seine Gründe dar, während die anderen Bandmitglieder ordentlich ihre Waffen wegsteckten und nun auf sie zu schlenderten.

„Seid unsere Gäste!“
 

Mit dem nächsten Zug verließ die ganze Gruppe diesen ungemütlichen Ort zum Domizil der Band. Sie drängelten sich in den Waggon hinein, der sich auch sogleich durch die Tunnel unter der Stadt hindurch rumpelte. Auch hier war es wieder eng, stickig und voller Leute, wie schon zuvor bei dem Konzert. Obgleich die Gruppe von Kampfspuren, Wasser und Blut gezeichnet waren, nahm niemand Notiz von ihnen. Es war die Anonymität der Großstadt, die jegliches Schenken von Aufmerksamkeit zu einem Nichts auflöste. Tashigi fragte sich selbst, wie man überhaupt in so einer großen Stadt leben könnte. Nur Nacht und Regen vor der Tür, kein grüner Baum oder Strauch, Dreck, Lärm und viel zu viele Menschen, die sich gegenseitig auf die Füße trampelten. Nein, das hier war nicht ihre Welt, auch wenn sie es für den Moment eines Kurzurlaubs sehr aufregen und spannend fand.

Unzählige Stationen später am anderen Ende der Insel waren sie am Ziel. Die Bahn öffnete ihre Türen an einer Nobelhaltestelle. Breite Marmortreppen mit rotem Teppich und goldenen Geländern führten vorbei an Wachpersonal in eine große Luxusempfangshalle, die von einem überdimensionalen Kronleuchter an der Decke erleuchtet wurde.

Die Band brauchte nicht einchecken. Sie war hier Dauergast und logierte in der obersten Etage des „Grand Hotel Namida City“ mit einem Blick über die Hochhausdächer dieser Stadt. Dort oben mit dem Lift angekommen, verabredete man sich zum morgigen Frühstück und wies den beiden Gästen ihre Räumlichkeiten zu mit dem freundlichen Hinweis, jederzeit den Zimmerservice auf Bandkosten anklingeln zu dürfen. Dann entschwand jeder in seine Privatgemächer.

Das Zimmer war mehr als großzügig, in warmen Erdtönen farblich abgestimmt und mit klaren Formen und funktionellem Design bei den Möbeln ausgestattet. Es gab einen weichen Teppich, ein großes Doppelbett, eine gemütliche Polstersitzecke um einen runden Couchtisch herum und in einer Ecke einen Arbeitsbereich. Gegenüber allem eröffnete sich eine breite Fensterfront mit einem herrlichen Ausblick über die ganze Stadt. Gleichmäßig trommelte der Regen an die Scheiben und verschmierte die Aussicht zu grell leuchtenden Farbschlangen.

Andächtig schlüpfte Tashigi aus ihren Schuhen, fühlte den angenehm schmeichelnden Teppich unter ihren Füßen und strich beim Rundgang durch den Raum sachte mit den Fingerspitzen über das dunkle Edelholz des Tisches. Das Zimmer strahlte eine harmonische Ruhe aus, als könnte nichts und niemand diesen Ort hier oben über den Dächern von Namida City erreichen. Dreckig und nass wie sie war, hinterließ sie eine Kleiderspur auf dem Fußboden und steuerte müde die Tür an, hinter der sie das Badezimmer vermutete.

„Bin mal kurz im Bad“, murmelte sie einem irritierten Zoro zu, der ihr sprachlos hinterher sah. Ihre Gefühlswellen sprachen von Traurigkeit, Müdigkeit und Verzweiflung, die eben noch nicht in dieser Form dagewesen war. Also folgte er ihr. Im Türrahmen hielt er inne. Sie zog einen Bademantel über, drehte sich zu ihm und rang sich ein Lächeln ab, während sie einen Waschlappen unter den fließenden Wasserhahn hielt, um ihre Wunden zu säubern

„Was ist los?“ wollte er wissen.

„Hier! Brauchst du auch ein Handtuch?“ sagte sie nur gespielt freundlich, als hätte sie seine Frage überhört, und reichte ihm ein Frotteetuch.

„Hallo? Ich rede mit dir“, gab er streng zurück.

Zoro wurde ungeduldig. Auf solche blöden Gespräche, wo man nicht ganz normal seine freie Meinung sagen konnte, hatte er keine Lust. Es dauerte ihm zu lang und einen großen Sinn sah er in so etwas auch nicht.

Als wäre sie bei irgendetwas ertappt worden, zuckte sie zusammen. Keineswegs war ihr der gereizte Unterton in der Stimme ihres Freundes verborgen geblieben.

„Es ist nichts. Ich bin einfach nur müde und kaputt. Das war heute alles zuviel für mich“, winkte sie ab. Sie hatte gelogen und war sich todsicher, dass sie durchschaut war. Aber sie wollte einfach nicht darüber reden.

Er bemerkte, dass er bei ihr auf Granit beißen würde, wenn er nun einen Streit vom Zaun brechen würde. Da blieb nichts weiter übrig, als einmal kräftig durchzuatmen und den Rückzug anzutreten. Er schlug einmal mit der Faust sauer gegen den Türpfosten, drehte sich um und ging. Es war nicht seine Art, den Kürzeren zu ziehen und manchmal wunderte er sich über sich selbst, wie es Tashigi in den wenigen vergangenen Monaten doch unterschwellig geschafft hatte, dass er sich in der einen oder anderen Situation anders verhielt als früher. Weniger zornig und weniger hitzköpfig. Aber nur manchmal.

Vorhin hatten sie in aller Öffentlichkeit Arm in Arm gestanden. Früher wäre ihm so etwas nicht im Traum eingefallen. Eine Liebe ist ein Schwachpunkt und den hätte er mit so einem Auftritt auf dem goldenen Tablett serviert. Die Gefahr war da viel zu groß, dass ihr etwas zustoßen oder sie gar als Druckmittel von einem unbekannten Feind gegen ihn eingesetzt werden könnte. Längst hatte er sich selbst eingestanden, dass er sie braucht und liebte, auch wenn er ihr das noch nie gesagt hatte.

Zurückgezogen ließ er sich in einer dunkleren Nische des Zimmers im Schneidersitz nieder, einen Arm um die Schwerter geschlungen und mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Durch das Fenster starrte er das gegenüberliegende Gebäude an. Viele Fenster dort drüben waren hell erleuchtet. Es war wohl ein Büro oder dergleichen, in welchem Menschen hektisch ihren Schreibtischarbeiten nachgingen. Doch der Regen verwischte jegliche scharfe Sicht. Zoro ließ den Kopf hängen und nickte ein.
 

Es mochte nur ein oder zwei Stunden hergewesen sein, dass er traumlos eingeschlafen war. Sein Gefühl, dass etwas nicht hundertprozentig in Ordnung war, hatte ihn geweckt. Verwundert spähte er durch das Zimmer, konnte sich aber erst keinen Reim darauf machen, denn alles war ruhig. Selbst im gesamten Hotel schien alles friedlich zu schlummern. Doch als sein Blick an dem unberührten Bett hängen blieb, wurde er stutzig. Wo war Tashigi? Steckte die immer noch im Badezimmer?

Für einen Bruchteil der Sekunde stieg ein Anflug von Panik in ihm auf. Oft hörte man von Menschen, die in der Badewanne vor Müdigkeit eingeschlafen und dann ertrunken waren. Schnurstracks ging er hinüber zur Badezimmertür und drückte die Klinke. Verschlossen!

Zoro wusste nicht, ob er ratlos herumstehen oder wütend werden sollte. Sein innerer Schweinehund nahm im die Entscheidung ab und gebot ihm, an die Tür zu klopfen.

„Tashigi?“

Stille. Nur ein leises Schluchzen war zu vernehmen.

„Alles OK. Ich kann bloß nicht schlafen“, kam es mit gespielt fester Stimme aus dem Bad.

„Und warum schließt du dich dann ein?“

Diese dumme Nuss. Oft war sie ihm ein Buch mit sieben Siegeln. Es musste generell irgendetwas zwischen Männlein und Weiblein geben, was eine normale Kommunikation verhinderte. Seine Faust ballte sich und es war nur eine Sache der guten Erziehung, dass er nicht die Tür einschlug, um ihr gehörig die Meinung zu sagen, wie sehr ihn dieses Gelüge nervte.

Sie befanden sich in einer Patt-Situation und er überlegte, ob er sie nicht einfach links liegen lassen sollte, bis sie wieder normal wurde oder ob es Sinn machte, noch etwas herauszubekommen. Er spürte Verzweiflung und Angst, aber den Grund konnte er nicht erraten.

Zoro ließ sich wieder nieder und lehnte rücklings gegen die Tür. Er kam sich reichlich albern vor, mitten in der Nacht wegen einem zickigen Weib vor einer verschlossenen Badezimmertür zu hocken und auf das Ende aller Zeiten zu warten. Immerhin könnte man wichtigeres um diese Uhrzeit unternehmen. Schlafen zum Beispiel. Gähnend döste er vor sich her.

Es mochte eine ganze Weile vergangen sein, als sich die Eingeschlossene dann doch zu Wort meldete. Ihre Tonlage war nicht mehr so verweint wie zuvor. Vermutlich hatte sie sich gefangen.

„Es tut mir leid.“

„Was`n jetzt schon wieder?“ brachte er schlaftrunken hervor.

Er mochte die Sekunden des Erwachens nicht, denn es war die Zeit, wo alle Seelen um ihn herum auf ihn einprasselten. Ohne Selbstbeherrschung und Konzentration konnte er sie nicht filtern. Besonders heftig erschien es ihm, dass er seit der Weihnachtsinsel das Gefühl hatte, verfolgt zu werden. Da waren immer zwei Seelen mehr, als es Leute gab. Manchmal hatte er schon den Verdacht gehegt, jemand aus der Crew wäre von einem bösen Geist besessen. Aber das ließ sich nicht nachweisen

„Alles. Ständig mache ich alles falsch. Nur Ärger und Probleme.“

„Du bist tollpatschig. Den Rest redest du dir ein. Muss ich noch lange mit der Tür reden?“

Wieder folgte ein betretendes Schweigen.

Zwei Seelen.

Da huschten sie wieder durch das Meer der Gefühlswellen.

Die Lösung des Problems traf ihn wie ein Schlag, dass es ihn förmlich durchzuckte. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde ihm gewahr, was es hieß, wenn es einem heiß und kalt gleichzeitig den Rücken hinab lief. Mit der flachen Hand schlug er sich vor den Kopf und fluchte sich selbst einen Idioten, dass er nicht schon früher darauf gekommen war.

„Es ist nicht deine Schuld. Es ist unsere Schuld. Meinst du nicht?“ fragte er sie möglichst beruhigend, was im angesichts seiner starken Vermutung nur schlecht gelang.

Der Schlüssel im Schloss drehte sich fast geräuschlos. Als er in ihr Gesicht blickte, waren ihre Augen und Nase immer noch etwas gerötet.

Langsam zog er sie zu sich heran und umarmte sie, wie ein kleines Kind, welches Schutz vor der großen, weiten Welt brauchte.

„Zoro, ich ....“ begann sie verzweifelt.

„Ich weiß ... morgen früh. Jetzt solltest du lieber schlafen gehen,“ flüsterte er ihr beruhigend zu und ging mit ihr langsam zum Bett hinüber.

Das Leben strickt oft einen seltsam verworrenen Faden mit vielen Problemknoten. Hatte man einen Knoten eben gelöst und entwirrt, verhedderte sich der Faden an einer anderen Stelle zu einem ganz neuem Knoten. Und der war nicht gerade klein. Tashigi war schwanger.

53 - Treppen

Der Morgenregen prasselte leise und gleichmäßig in feinen Tröpfchen gegen die großen Fensterscheiben des Luxuszimmers im Grand Hotel. Das sanfte Rauschen durchdrang die Stille des Raumes, mischte sich mit den ruhigen Atemzügen der dort im Bett Schlafenden und wog sie in ihrem Ruhen weiter.

Dennoch war jeder Traum irgendwann einmal zu Ende geträumt und der Tagesanbruch holte sie unweigerlich wieder zurück in den Alltag.

Ihr Schlaf war tief und fest gewesen. Zwar konnte sie sich nicht mehr an ihre Traumbilder erinnern, doch es war kein Alptraum darunter, denn als sie ausgeruht erwachte, räkelte sie sich im Halbschlaf genüsslich in den dicken Federkissen und schmeckte noch nimmer eine Nuance von Salz auf ihren Lippen. Sie kicherte kurz auf und lächelte, als sie die letzte Nacht noch einmal Revue passieren ließ. Dachte dabei an zärtliche Berührungen, leidenschaftliche Küsse und wilde Liebe. Dabei strich sie sich unbewusst einmal über die Lippen, um ihre Erinnerungen aufzufrischen.

„Zoro…?“ fragte sie verschlafen, während sie sich unter der Decke herumdrehte und die Hand nach ihm ausstreckte. Doch sie griff ins Leere. Der Platz neben ihr im Bett war verlassen.

Tashigi war schlagartig wach und schreckte hoch. Tatsächlich war die zweite Decke zurückgeschlagen und die andere Betthälfte verwaist. Das kalte Laken gab einen stummen Hinweis, dass ihr Freund schon längere Zeit abwesend sein musste.

Sie blinzelte umher. Draußen war es dunkel wie gehabt. Aber der Regen war gewichen und hatte ein leichtes Tröpfeln zurückgelassen. Endlich hatte man nun einen der äußerst seltenen Ausblicke über die halbe Insel und das umliegende, weite Meer. Doch das scherte sie nicht weiter im Geringsten. Sie war allein in dem Zimmer und es gab nirgends eine Nachricht, warum das so war. Nicht mal ein einfacher gekritzelter Satz von ihm war auf einem Stück Papier geschrieben worden.

Gegenüber auf dem Couchtisch stand ein Tablett mit Frühstück und ein paar aktuelle Zeitungen lagen dabei. In der Nähe der Tür war ein rollender Kleiderständer mit ihren frisch gewaschenen Klamotten. Der Zimmerservice musste es vor kurzer Zeit hier abgestellt haben. Langsam schlurfte sie in ihre Bettdecke gehüllt hinüber zur Polstersitzecke. Die pompöse Couch bot gute Gelegenheit zum bequemen Herumlümmeln.

Der Tee in der Kanne war kalt und das Teelicht darunter im Stövchen längstens erloschen. Wie lange hatte sie geschlafen? Die Uhr auf dem Schreibtisch gab ihr die Antwort, als diese plötzlich elfmal hintereinander lang schlug. Elf Uhr mittags schon? Während sie an einem trockenen Croissant nagte und kalten Tee trank, blätterte sie in der Zeitung umher ohne die Inhalte wahrzunehmen. Wie war das doch gleich gestern noch gewesen? Der fremde Hanyô hatte Zoro zu einem Gespräch eingeladen. Vielleicht dauerte das Gespräch noch und Zoro war noch nicht zurück? Oder vielleicht hatte er sich auf dem Rückweg im Hotel verlaufen? Oder vielleicht …? Hach, herrje … Da waren sie wieder: Diese ganzen „Vielleichts“. Sie schüttelte ihren Kopf, um diese fragenden Gedanken loszuwerden.

Im Boulevardteil überflog sie die Überschriften über Stars und Sternchen der örtlichen Künstlerszene. Die meisten Namen kannte sie nicht. Auch die Gesichter auf den Fotos hatte sie zuvor noch nie gesehen. Klatsch und Tratsch hatte sie seit jeher noch nie groß interessiert. Doch an der einen Schlagzeile blieb sie dann doch hängen und ließ sie nachdenklich werden:

„SCHAUSPIELERIN SACHIKO SITZENGELASSEN!“

Und nur eine Zeile kaum kleiner darunter:

„Verlobter verließ hochschwangeren Theaterstar am gestrigen Abend wegen 15 Jahre jüngeren Geliebten!“

Es war nicht das Schicksals Sachikos, was Tashigi traurig werden ließ, sondern der Hauch einer Parallelen zu ihr selbst. Schwanger sitzengelassen. Ebenso wie diese Schauspielerin saß sie hier nun ganz allein in einem Zimmer und war allein und verlassen.

Nein, Zoro war sicher nicht so, hoffte sie. Dennoch hatte sie sich von ihrem nicht greifbaren, inneren Gefühl verleiten lassen, ihm kein Sterbenswort von der Schwangerschaft zu sagen aus Angst vor einem großen Reinfall. Niemals hätte sie ihren Freund als Familienmenschen eingeschätzt und sie selbst hatte auch niemals auch nur einen einzigen Gedanken an ein Kind verschwendet. Dazu war sie zu sehr auf eine Marinekarriere bestrebt gewesen. Nun aber hatte sich ihr Leben im letzten Dreivierteljahr komplett um 180° gedreht und Zoro hatte in der vergangenen Nacht kein Wort darüber verloren, ob ein Kind nun erfreulich oder unerfreulich wäre. Vermutlich musste er diesen Zustand erst einmal für sich allein verdauen. Aber sie deshalb hier sitzenlassen? Nein, so würde er es nicht machen. Bestimmt nicht.

Sicher gab es eine Erklärung dafür, dass er nicht hier war. Und sicherlich mochte er ihr wohl hoffentlich nicht unterstellen, ihm ein Balg anhängen zu wollen. Nein, bestimmt nicht. Noch ein stilles Stoßgebet ging gen Himmel.

Spätestens auf der Sunny würden sie sich wieder sehen. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen stiegen.

Die Teetasse war geleert und das Croissant aufgegessen. Sie entledigte sich der herrlich kuscheligen Decke und machte sich im Bad frisch. Der heiße Wasserstrahl aus dem Duschkopf prickelte massierend auf ihrer Haut. Es tat so gut und entspannte sie. Obwohl sie fast geweint hatte, blickte ihr aus dem Spiegel über dem Waschbecken eine hübsche, junge Frau entgegen, die eigentlich zufrieden sein müsste. Die Narbe war fast vollkommen verblasst, ebenso der Schmetterlingsabdruck. Sie wirkte ohne Brille viel jugendlicher und sanfter. Früher hatte sie davon nie Notiz genommen. Stets hatte sie alle Bemühungen unternommen, ernst und hart zu sein. Oft hatte sie versagt und im stillen Kämmerlein über sich selbst und ihre akute Dummheit geheult. Smoker hatte sie dafür manchmal aufgezogen.

Verdammt noch mal! Warum hatten früher nur so viele andere Meinungen einen so großen Einfluss auf sie? Zoro hatte recht: Sie bildete sich viel ein, was es gar nicht gab. Sie hatte schon vieles überstanden und auch oft ohne Hilfe. Sie würde auch dieses hier meistern. Egal wie. Irgendwie …

Sie verließ das Bad, kleidete sich an und warf noch einmal einen prüfenden Blick durch das Zimmer. Sollte sie auf ihn warten? Sie war ratlos. Mit dem gefassten Beschluss, hier keine Aufgabe mehr zu haben, ging sie aus der Hotelzimmertür hinaus auf den Gang und dann hinüber zum Lift. Ohne Shigure fühlte sie sich schutzlos und nackt. Doch das edle Katana war im Kampf für immer in die heiligen Jagdgründe übergegangen und es würde nie zurückkommen. Was Shigure damals alles für sie getan, würde Kashû nun in Zukunft tun dürfen, sprach sie zu sich selbst. Sie schluckte Zweifel gegenüber ihren eigenen Fähigkeiten hinunter. Mit etwas Training würde sie Kashû schon beherrschen lernen. Da war sie sich sicher. Es war Zeit, wieder Haltung und Disziplin anzunehmen. Das hatte sie seit ihrem Marineausstieg schleifen lassen.

Es war Zeit, endlich auf eigenen, festen Füßen zu stehen und seinen Lebensweg zu gehen.

Noch im Fahrstuhl zählte sie ihre letzten Berry zusammen. Viel war es nicht mehr, aber für eine kleine Shoppingtour würde es noch reichen. Dringend bräuchte sie eine neue Hose. Ihre aktuellen Beinkleider begannen am Bauch zu spannen. Sie war bereits im dritten Monat. Bald würde es schwer werden, das Bäuchlein zu verstecken.

Aber was soll`s. Dann sollten eben alle bescheid wissen. Mit Wut knallte sie einmal mit der geballten Faust an die Fahrstuhlwand, dass es dem Liftboy ganz unheimlich zumute wurde. Von Tashigi musste er sich anfahren lassen, nicht so blöde zu glotzen. Pah, sie würde schon klar kommen. Ernst, stark und diszipliniert wollte sie sein. So wie früher, nur besser. Und Zoro? Der würde sich gehörig was anhören dürfen, wenn sie den wieder zu Gesicht bekommen würde. Der sollte nur mal sehen.

Für wenig Geld kaufte sie sich eine Fahrkarte für den Untergrundzug ohne genau zu wissen, wo lang die einzelnen Linien sie bringen würden. Hauptsache erstmal weg und irgendwann zur Thousand Sunny, wo ein Nachfolgerschwert auf seinen neuen Einsatz wartete.
 

Eine innere Stimme befahl dem Schwertkämpfer, sich bereits schon mit dem Gongschlag der Zimmeruhr um halb neun aus dem Bett zu hieven, obgleich man noch weit länger hätte schlafen können. Doch er wollte das Gespräch mit dem trommelnden Hanyô schnell abhaken, also blieben ihm da nicht viele Wahlmöglichkeiten. Bald musste die Sunny weiter, weil der Logport aufgeladen war, doch der Weg lag in Finsternis und Unwissenheit.

Er gähnte herzhaft, als er zur Tür trottete. Bevor er das Zimmer hinter sich ließ, warf er noch mal einen versichernden Blick auf Tashigi. Sie schlief ruhig und fest und das sollte sie auch noch weiterhin eine Weile tun. Wer wusste schon, wann sie später wieder festen Boden oder wenigstens ruhige Gewässer unter dem Kiel hätten. Er vermutete, dass Gespräch würde nicht allzu lange dauern. Bis sie wieder wach würde, wäre er wohl wieder zurück.

Gleich an der nächsten Flurecke stieß er mit einem jungen Pagen zusammen, der einen Frühstückswagen vor sich her schob. Er gebot diesem, mindestens ein Tablett davon in sein Zimmer zu liefern und auf gar keinen Fall Tashigi zu wecken, was der Page von Dienst aus höflich auch sofort befolgte. Der Schwertkämpfer überlegte einen Moment. Seine Süße mochte es nicht, in dreckigen Kleidern herumzulaufen und gestern hatten sie ihm Kampf gewaltig etwas abbekommen.

„Ihr Klamotten kannste auch mal mitnehmen zum Waschen“, gab er dem nun loswetzenden Zimmerboy noch mit auf den Weg mit.

Dann trottete Zoro mit den Händen in den Hosentaschen, einem schlafzerknitterten Gesicht und einer Laune so schlecht wie das Wetter dieser Insel los. Das Hotel war verwinkelter, als vorher angenommen. Ständig zweigte sich ein Gang ab und die sahen allesamt gleich aus. Bordeauxroter Teppichboden, weiße Türen und beigegestreifte Tapeten. Dazwischen goldene Kerzenleuchter.

Aber vielleicht war es auch immer derselbe Gang, der sich zu einem Kreis schloss. Wer weiß das schon? Und da er weder einen Namen seiner Gastgeber wusste, noch jemanden in den Gängen antraf, konnte er auch niemandem um Rat fragen.

Das Problem erledigte sich nach einer langen Irrwanderung durch die Hoteletage von allein, als eine Tür aufgestoßen wurde und eine laut lachende und böse witzelnde Sängerin der „Subs“ heraustrat. Sie machte zu dem Trommler-Hanyô noch einige schwarzhumorige Witze und verabschiedete sich.

Beim Wegdrehen entdeckte sie den Schwertkämpfer, der etwas unschlüssig mitten auf dem Gang verharrte und die ganze Szene beobachtet hatte.

„Hey, dein Gast ist da!“ flötete sie übertrieben fröhlich, machte auf dem Absatz kehrt und schritt im Marschtempo zum Aufzug.

Das Gespräch dauerte nur eine Kaffeetassenlänge. Viel konnte der Gastgeber nicht von sich Preis geben. Er wusste einfach nichts mehr. Als er seine Macht entdeckte und beherrschen lernte, hatte er nicht die Kehrseite der Medaille bedacht. Je mehr Zauber er nutze, desto mehr vergaß er. Seinen Namen, seine Heimat, seine Herkunft. Daher nannte ihn jeder, wie er wollte. Nur wenig war ihm als Erinnerungsfetzen geblieben. Nur dieses Lied, was er auswendig kannte und wie eine Hymne klang, spukte in seinem Kopf ewig und ewig umher. Aber wenn er Zoro einen Tipp geben könnte, dann solle er mal den höchsten Punkt von Namida City besuchen. Und er sollte die Archäologin mitnehmen. Die könnte ihm helfen. Warum? Das hatte er auch vergessen.

Es war schon zum Verzweifeln und Zoro unterdrückte in seiner ernsten, verschlossenen Art ein Seufzen. Manchmal fühlte er sich nur umgeben von Idioten, die alles besser wussten, aber dann doch nichts zur Lösung seines Problems beitragen konnten. Oder er steckte noch in seiner Parallelwelt und hatte es selbst noch nicht bemerkt. Und wenn er dann mal aufwachen würde, dann läge er noch an Deck der Going Merry irgendwo im East Blue. Die Grandline wäre noch in weiter Ferne. Ja, der East Blue. Da war damals die Welt noch so klein und in Ordnung gewesen.

Die beiden Gleichgesinnten verabschiedeten sich knapp und der Schwertkämpfer wandte sich zum Gehen. Wo war noch mal der Ausgang? Während er sich umsah und so tat, als würde er zielgerichtet durch die Gänge schlendern, wurde er stutzig: Tashigi verließ das Zimmer.

Während er darüber nachdachte, wohin sie so schnell aufbrechen mochte, beschleunigte er seine Schritte. Sein Irrlauf durch die Flure kostete wertvolle Zeit und so war es vorausschaubar, dass er zu spät kam. Die Fahrstuhltür schlug im vor der Nase zu und fuhr mit ihr nach unten. Bis das dumme Ding wieder oben angelangt war, war Tashigi schon längst unten ausgestiegen und mit dem nächst besten Untergrundzug auf und davon.

Er machte seinem Ärger Luft und schlug einmal wütend gegen die Metalltür. Das hinterließ eine leichte Delle, machte den Lift aber auch nicht schneller. Endlich ebenfalls unten angekommen verrieten ihm seine Kräfte, dass sie längst weg war. Er würde sie definitiv zur Rede stellen, was dieser fluchartige Aufbruch von ihr zu bedeuten hätte. Darauf könnte sie Gift nehmen. Verärgert trat er durch den Haupteingang auf die Geschäftsstraße hinaus und witterte konzentriert um sich. Er benötigte Robins Hilfe und würde sie nun dringend aufsuchen müssen. Ja, da waren ihre Gefühlswellen. Querfeldein sicherlich nicht sehr weit von ihm entfernt. Und so ging er los, um sie zu finden.
 

Tashigi kam gut voran. Schnell hatte sie den Streckenfahrplan aus unzähligen bunten Linien durchschaut. Nur noch einmal Umsteigen und dann müsste sie in der Nähe der Sunny sein. Eine halbe Stunde später betrat sie das Deck ihres geliebten Piratenschiffs und begab sich in die großzügige Kabine, wo die Damen der Mannschaft ihre Unterkunft hatten. Unter dem Bett kramte sie das gesuchte Katana hervor. Mit Vorsicht entfernte sie die schützende Wolldecke, die es umgab. Sie zog es sachte es aus der Saya und prüfte das wertvolle Schwert von oben bis unten. Der herrliche Wellenschliff erinnerte tatsächlich an eine verträumte Blumenwiese und machten somit seinem Namen Kashû, dem Blumenland, alle Ehre. Der feine Glanz war so sanft wie Blütenblätter von Frühblühern. Aber das Tsuka-Ito war durch die groben Behandlungen seines Vorbesitzers so stark beansprucht, dass es besser ausgetauscht und neu gewickelt werden müsste. Es war keine leichte Arbeit, so einen Schwertgriff mit einem neuen Band kunstvoll und praktikabel zugleich einzuwickeln. Das erforderte viel Kraft, Übung und das Auge eines Meisters. Sie würde also nicht nur nach neuer Bekleidung, sondern auch nach einem Waffenmeister Ausschau halten müssen.

Mit dem neuen Schwert bewaffnet ging sie zurück aufs Deck und traf überraschen den Bordarzt, der bereits einige wichtige Heilmittel eingekauft hatte und diese nun in seiner Schiffspraxis verstaute. Beide begrüßten sich überschwänglich und das Rentier begann sofort von einem riesiggroßen Kräuter- und Gewürzbazar zu erzählen. Die Düfte der Kräuter dort waren betörend und die Farben der Gewürze unglaublich vielfältig. Da musste er einfach zugreifen und das eine oder andere gehandelte Schnäppchen schlagen.

Sie beschlossen, zusammen loszubummeln, ihre wenigen Besorgungen zu erledigen und dann weiter die Insel zu erkunden. Das ging zunehmend schneller und mobiler, nachdem Tashigi das Rentier in die Geheimnisse der U-Bahn-Fahrerei eingewiesen hatte. Chopper staunte mit kuchentellergroßen Augen. So etwas hätte er in seinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten.

Nach unzähligen gesuchten Sehenswürdigkeiten landeten sie in einem kleinen Eckcafe, wo sie sich bei einem großen Eisbecher mit Sahne stärkten.

„Na, ihr beiden, schmeckt´s?“ fragte eine weibliche Stimme fröhlich.

„Ohja! Super!“ mampfte das Rentier und drehte sich dann erst um.

„Hey Robin! Zoro! Setzt euch doch“, lud er die beiden Neuankömmlinge an ihren Tisch ein, ohne zu registrieren, dass sich Tashigis Miene auf einen Schlag verfinsterte.

„Wieso bist du abgehauen?“ kam es anstelle einer Begrüßung recht patzig von Zoro heraus.

„Wieso bist DU abgehauen?“ kam es ebenso patzig, aber wesentlich lauter von Tashigi zurück.

Und von einem Moment zum Nächsten brach ein Streit los, der an den Ausbruch eines Weltkrieges erinnerte. Ein laut gebrülltes Wort gab das Andere. Man begann bei Alpha und endete bei Omega. Cafegäste setzen sich an entfernte Tische. Passanten blickten im Vorbeigehen mehr als verwundert auf das sich mit Worten duellierende Pärchen und blieben teilweise sogar stehen. Selbst dem Ober war es zu gefährlich, sich in diesen Streit einzumischen, um diesen zu schlichten. Also versteckte er sich hinter seinem Tablett. Chopper krallte sich erschrocken an der Tischkante fest. Er konnte nicht wissen, was zu dieser Auseinandersetzung führt. Robin lächelte gepflegt und holte sich mit ihren Rankenarmen das bestellte Kännchen Kaffee vom Tresen. Man könnte ja nie wissen, wann die beiden fertig wären.

„Was ist denn bloß los mit denen?“ Das Rentier war fassungslos.

„Hey, jetzt hört damit auf!“ brüllte es noch hinterher.

„Klarer Fall von falscher Kommunikation. Zoro redet von Natur aus zu wenig und Tashigi zu viel“, amüsierte sich die Archäologin. Sie ließ Arme wachsen, fesselte beide sanft und bugsierte die beiden Aufgebrachten auf verschiedene Stühle. Danach waren beide wieder frei, zwar leiser, aber nicht ruhiger.

„Ich denke, wir wollten noch auf den Berggipfel klettern und das Geheimnis lüften?“ fragte Robin in die Runde. Tashigi und Chopper wurden als Unwissende kurz über den neuen Sachverhalt aufgeklärt und dann zogen sie nach los. Irgendwo musste es doch einen Weg nach oben geben.
 

Die Suche nach einem Aufstieg zum Berggipfel wurde zu einer länger andauernden Odyssey. Befragte Einheimische kannten keinen Weg hinauf. Ratschläge endeten in Sackgassen. Auch ein Blick auf die Kartenquader brachte keinen Abbruch der Prozedur. Dort waren viele Treppen und Straßen verzeichnet, die sich den Berghang hinaufschlängelten, doch bis ganz nach oben führte keiner. Immer wieder probierten sie den einen oder anderen Weg und landeten schließlich in einem gehobenen Wohnviertel auf einer Treppe, die neben einer Zweiten parallel in einer Tunnelröhre verlief und sich von allein bewegte.

„Coool!“ brach Chopper begeistert heraus, hüpfte etwas unbeholfen auf eine Stufe und ließ sich auf ihr begeistert aufwärts tragen. Die restliche Gruppe folgte ihm stumm. Die eintönige Suche nach dem richtigen Weg hatte ihre Neugier ermüdet. Die Rolltreppe bot Abwechselung und interessante Einblicke in Hinterhöfe, Häuserwinkel und Wohnungen. Dazu prasselte gleichmäßig der Regen auf das Röhrendach. In regelmäßigen Abständen endete die Rolltreppe und führte über einen kurzen Absatz mit einer weiteren Treppe noch höher hinauf. Die Fahrten dauerten ewig. Je höher sie kamen, desto weniger Menschen trafen sie an und bald waren sie ganz allein.

Noch zwei Etagen weiter erklommen sie wieder einen Absatz, von wo keine Fahrtreppe mehr weiter führte, aber genau gegenüber eine große, unscheinbare Doppelschwingtür den Durchgang behindert. Der Schwertkämpfer rüttelte an der Klinge. Verschlossen. Doch von einem inneren Gefühl geleitet, trat er ohne Zögern die hinderliche Pforte ein. Klirrend und scheppernd zerbrach sie, doch hier oben in aller Abgeschiedenheit hat niemand Notiz davon und so würde wohl auch kein Ärger folgen.

Zum Erstaunen aller tauchte dahinter eine alte Steintreppe auf. Die Stufen waren mühsam heraus gemeißelt worden und mussten schon uralt sein. Regen und unzählige Besucher aus vergangenen Tagen hatten sie ausgetreten und blank gewaschen. Der Niederschlag ließ die Steine glatt glänzen und rann über die Kanten in den Abgrund. Die Breite maß gut Platz für zwei Personen nebeneinander. Noch eine größere Entdeckung jedoch waren die Tempellampen aus Stein, die wie Perlen auf der Schnur nebeneinander aufgereiht zu beiden Seiten der Treppe hinaufliefen und sie wie ruhende Wächter flankierten. In ihnen brannten grünliche Lichter, eingefasst in kleinen Glaskugeln. Feuerflämmchen waren es nicht. Es erinnerte eher an kleine Sterne. Der ganze Aufstieg wirkte mysteriös, aber vertraut.

Die Gruppe tauschte Blicke aus und machte sich an den Aufstieg. Als Zoro mit dem ersten Schritt seinen Fuß auf die antiken Steine setzte, zogen feine violette Schwaden vom Boden hoch und ein fast unmerkliches Leuchten wie kleine, violette Blitze flitzen in den allen Mauerwerksfugen gen Gipfel. Chopper sprang vor Schreck Tashigi auf den Arm. Nein, niemals würde er sich an diesen Hokuspokus von dem Schwertkämpfer gewöhnen können. Teufelskräfte waren das eine, aber so was Dämonisches war ihm einfach zu unheimlich. Robin bemerkte nur trocken:

„Ich glaube, hier sind wir richtig!“ und ging abenteuerlustig die Stufen weiter nach oben.

Zoro kommentierte die Situation gar nicht. Obwohl sie allein waren, wurde er den Verdacht nicht los, aus jeder einzelnen Lampe heraus auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden.

Der Regen nahm zu. Bald waren sie durchnässt bis auf die Knochen. Obwohl der grünliche Schein in den Steinlaternen die Stufen in ein seltsames Licht tauchten, nahm der Niederschlag der Gruppe die Sicht. Das Ende des Aufstiegs lag in unendlicher Dunkelheit. Ziemlich geschlaucht vom Treppensteigen passierten sie ein verfallenes Steintor, welches von Robin sogleich eingehend begutachtet wurde. Dann folgte noch ein Tor und noch eines. Das Rentier staunte, wie die Archäologin trotz des vielen Wassers vom Himmel mit einem Bleistift Notizen in ein klatschnasses Büchlein schreiben konnte.

Und dann waren sie endlich oben. Eine antike Tempelanlage tat sich vor ihnen auf. Das Areal in Kreisform mochte nicht viele Meter Durchmesser haben. Vielleicht zwanzig, höchstens dreißig Meter. Ein überschaubarer Fleck. Die runden Außenmauern lagen zum größten Teil umgestürzt dar. Nur hier und da standen sie noch in seiner vollkommenen Höhe von geschätzten vier Meter. Bunte, kryptische Bildnisse auf der Mauerinnenseite erzählten eine lange Geschichte. Im oberen Drittel wölbte sich die Mauer wie ein Lilienblatt nach innen zum Hof und bildete einen kunstvollen Säulengang. Der Innenhof verlief rings um ein kuppelartiges Gebäude und war von Efeu überzogen, das vom Regen voll wie ein Schwamm und glitschig wie eine Rutschbahn war. Das Kuppelgebäude in der Mitte entpuppte sich äußerlich als zur Schnecke gedrehter Zuckerhut. Eine Eingangstür gab es nicht, sondern man betrat den finsteren Innenraum durch eine große, kreisrunde Öffnung.

„Kannst du damit etwas anfangen?“ rief Zoro sich Robin zuwenden gegen Wind an.

„Bestimmt, aber es wird etwas dauern. Die Relikte sind sehr verwittert. Man erkennt kaum etwas. Und die Lichtverhältnisse sind auch dürftig“, rief die Angesprochene zurück und machte sich sofort an die Arbeit.

„Na, das kann eine Weile dauern“, merkte Chopper an. Tashigi nickte zustimmend. Sie zitterte. Der Regen war einfach nur ekelhaft nass und kalt. Planlos trotteten sie beide hinter dem Schwertkämpfer hinterher, der sich zu einem letzten, erhaltenen Stück des Säulengangs aufgemacht hatte. Kalt war es dort auch, aber wenigstens windgeschützt und trocken.

Robin brauchte sehr viel mehr Zeit, als sie es selbst geschätzt hätte. Längst war Zoro im Schneidersitz eingeschlafen und auch Tashigi und Chopper nickten immer wieder in einen Schlaf hinweg. Erst nach Stunden hatte Robin die Untersuchung der Außenwände abgeschlossen und ließ ein erstauntes „Aha!“ oder „ Unglaublich!“ verlauten. Doch ein laut entsetztes „Oh, nein!“ weckte die Schlafende. Sie entdeckten ihre Mitstreiterin am Eingang des Zuckerhutes. In ihren Händen eine Fackel, die den Innenraum ausleuchtete.

„Was ist los?“ kam es nur von den Drei erweckten.

Doch als sie keine Antwort erhielten, sprangen sie auf und liefen zum Eingang. Was sie dort sahen, machte sie sprachlos und gab Robins erstauntem Ausruf eine Berechtigung.
 

Ein schwarzer Stiefel fuhr durch die zerbrochenen Glasscherben, schob etwas Metall beiseite und verharrte dann. Eine Handvoll Augenpaare untersuchten die zerborstene Doppelschwingtür, die über viele Jahre das Geheimnis einer verborgenen Treppe für sich behalten hatte. Doch die Versiegelung war nun schändlich zerbrochen und das Geheimnis kurz vor der Enthüllung.

Ein kurzer Blickaustausch, dann setzten sich formiert Panzerreiter im langsamen Gleichschritt in Bewegung und stapften mit gezückten Waffen zuvor die Steintreppe empor wie bereits die fremden Eindringlinge. Begleitet von grünem Sternenschein aus Steinlaternen, der drohend, aber auch Hilfe suchend zu glimmen und glühen begann, legte sich wie ein Ring das Unheil um den alten Tempel.

54 - Zwielicht

Mit schief gelegtem Kopf, einer hochgezogenen Augenbraue, verschränkten Armen vor dem Brustkorb und einem großen Fragezeichen über dem Haupt bestaunte Franky eine blecherne Panzerfußgruppe in glänzendem Schwarz, die sich ihren Weg durch die Menschenmassen bahnte. Sie sahen dermaßen frisch poliert aus, als wären sie gerade eben erst aus der Produktion vom Fließband gesprungen. Fast ausnahmslos blickte jenen Dunklen die Menge neugierig hinterher. Es war Rushhour und alle Einkaufstraßen waren über und über verstopft.

Der Schiffsbauer war sich hundertprozentig sicher, dass er von diesen schwarzen Gestalten schon gehört hatte, doch der Groschen brauchte seine Zeit, bis er im Geiste rund gefeilt war und endlich langsam fiel.

„Wir kriegen Probleme!“ polterte er in seiner üblichen Art los und erreichte dadurch die notwendige Aufmerksamkeit beim Schiffskoch, der gerade noch mit dem Kanonier ein ernstes Wort sprach. Usopps Gejammer über schmerzende Knochen und einer Prise Mitleid ging ihm gehörig auf die Nerven. Und das alles nur, weil sich die Langnase nicht im Stande sah, sein selbst erstandenes Werkzeug nun auch noch zum Schiff zu schleppen.

„Was ist?“ fragte Sanji abgelenkt.

„Die dunklen Ritter da drüben. Sind das nicht die, die dich damals auf der Redline verfolgt hatten?“ gab er Auskunft und schob die Frage sogleich an den Scharfschützen weiter.

„Waaahhh!“ brachte dieser bei dem Anblick der Schwarzen nur hervor und verschwand klappernd wie eine Klapperschlange hinter Frankys breitem Kreuz.

„Hey, lass den Scheiß!“ brüllt nun dieser wiederum los. Usopp war ein wahrer Angsthase und konnte mit dieser plumpdummen Art wirklich tierisch nerven.

Ein Feuerzeug klickte. Zigarettenqualm verströmt seinen urtypischen Duft. Sanji zog langsam genüsslich an einem Glimmstängel, wie er es immer tat, wenn er zwar die Situation überblickt, aber eine Lösung noch nicht gefunden hatte. Und hier musste einerseits schnell, andererseits wohlbedacht gehandelt werden. Er wusste aus Berichten, dass mit diesen gepanzerten Riesen nicht gut Kirschen essen war. Einen Kampf zwischen all diesen Menschen und in diesem labyrinthartigen Areal zu beginnen, glich einem Himmelfahrtskommando. Vielleicht würde gar eine Panik ausbrechen und alles in einem Fiasko enden.

„Was meint ihr? Unauffällig die anderen suchen und dann abhauen?“ teilte er seine Überlegungen mit.

„Wie soll das gehen? Wir sind hier in einer Millionenstadt. Der Rest von uns kann überall sein. Wir sollten heimlich zur Sunny laufen und aufpassen, dass der Feind sie nicht vor uns noch im Hafen versenkt“, warf Usopp ein.

Franky nickte zustimmend, denn der Kanonier hatte recht. Niemals würden sie hier ihre Nakama finden. Der Schutz ihres Piratenschiffs und das ruhige Ausharren, bis alle wieder zur vereinbarten Zeit dort eintreffen würden, war die einzige Möglichkeit, die sich ihnen bot.

Also nahmen sie die Beine in die Hand und suchten den direkten Rückzug.
 

Bereits an Bord der Sunny langweilte sich eine Piratenkapitän in der Schiffsbibliothek und maulte seiner Navigatorin die Ohren zu.

„Och menno, Nami! Warum mussten wir denn schon wieder zurückgehen?“

„Weil du dein Taschengeld bereits verfuttert hast und allein den Weg nie zurückgefunden hättest“, kam die schnelle schnippische Antwort. Die vereinbarte Zeit zur Weiterfahrt rückte langsam näher und das war Grund genug, die Seekarten zu studieren.

„Hol mir doch mal die Seekarten dort drüben!“ befahl sie ihm unter Androhung von Kopfnüssen und Luffy gab sich trollend nach.

Das musikalische Skelett gebot beiden, ihren Streit beizulegen. Es lass die Zeitung, die Nami immer sofort auf ihrem Schreibtisch bunkerte. Die Welt dort draußen war unheimlich. Die Revolutionäre lieferten sich wilde Schlachten mit den Überresten der Marineeinheiten im Süden. Seit Yurenda die Regierungsgeschicke lenkte, hatte sie alle Organe der Weltregierung aufgelöst, konnte es aber nicht Verhindern, dass sich große Teile der Marine abspalteten und nun ihre eigenen Regeln aufstellten und Truppen zusammenzogen. Von Norden her rückte das Eis immer näher und dehnte sich schon über den Calm Belt aus. Bald würden beide Fronten auf der Grandline zusammentreffen. Was dann geschehen würde, mochte sich niemand ausmalen. Es herrschte Chaos auf den Weltmeeren. Ganze Völker wurden zu einer Wanderung gezwungen. Das alles beunruhigte Brook. Er hatte in den letzten Jahrzehnten viel gehört und gesehen, aber so etwas war eine noch nie da gewesene Bedrohung.

Nami bedankte sich bei ihm, als er begann ihr die gefährlichen Seerouten aus den aktuellen Meldungen der Zeitung zu diktieren. Daraus schloss sie, dass die Überfahrt zur nächsten Insel nicht leicht werden würde. Die Gruppe würde einige Umwege in Kauf nehmen müssen.
 

In der Zwischenzeit war Robin oben im Tempel längst zu ihrer neuen Entdeckung gestürmt und hatte ihre Freunde noch an der Pforte stehen lassen. Zielstrebig war sie in die dunkle Mitte des Zuckerhutgebäudes gelaufen und untersuchte nun akribisch wie ein kleines Kind ihren Fund.

Im Fackelschein glitten ihre Finger aufgeregt über kalten, aalglatten Stein. Die Nässe des Regens ließ die Oberfläche des großen Quaders inmitten des Raumes geheimnisvoll glänzen. Er war so groß, dass er knapp bis an die Decke reichte. Weiter war hier nichts zu entdecken. Die Wände innerhalb dieses Tempels waren spiegelglatt, schwarz und schlossen sich über ihren Köpfen zu einer Rundung ab.

Immer wieder und wieder ertasteten die Fingerkuppen der Archäologin die dort in Stein gemeißelten antiken Schriftzeichen, als müsste sie sich selbst durch das Ertasten davon überzeugen, dass sie real waren. Schweiß stand ihr auf der Stirn und eine Hitzewelle jagte auf ihrem Rücken abwechselnd die Kälteschauer. Ihre Hektik und Aufregung gaben ihren Begleitern deutliche Zeichen, dass dieses hier ein ganz besonderes Porneglyph sein musste. Womöglich war es sogar das wichtigste Porneglyph überhaupt. Aber ob es den ersehnten Schlüssel zur Wahrheit brachte? Robin gab außer wirren Selbstgesprächen nichts von sich Preis. Das Rentier fürchtete schon, sie wäre komplett närrisch geworden und versuchte sie in Gespräche zu verwickeln. Doch sie war der Welt um sich herum total entglitten und nicht ansprechbar. Die Inschrift des Porneglyphs musste genial einzigartig sein.

Die Anderen wurden langsam ungeduldig. Eine ungemessene Zeitspanne hatten sie hier oben im Regen verbracht, sich durchweichen und die feuchte Dunkelheit ertragen lassen. Es gab wohl kaum einen unangenehmeren Aufenthaltsort als eine Tempelruine auf einer Nachtinsel bei kühlem Regenwetter.

Obendrein mahnte nun auch noch Zoro seine Gefährten zur Eile. Andernfalls würden sie hier oben in wenigen Minuten einen ungemütlichen Empfang von unliebsamen Feinden bekommen.

„Gleich, gleich“, winkte Robin desinteressiert ab, die langsam ihren Verstand wieder sammeln konnte und ihren kühlen Kopf und den messerscharfen Verstand wiederfand. Wie wild schrieb sie Notizen in ihr kleines Heft.

Unbeeindruckt schnippte der Schwertkämpfer angespannt mit dem Daumen eines seiner Schwerter aus der Saya. Mochte die antike Geschichte noch so sensationell sein, momentan näherten sich andere Probleme dem Berggipfel. Er spürte die Seele des gelben Prismenträgers, der sich hinter schwarzen Panzern versteckte. Der Feind war nicht unbezwingbar, aber lästig, zumal der Grund dieser Verfolgungsplage im vollkommen unklar blieb. Chopper und Tashigi beobachteten die Situation nervös und zuckten zusammen, als Zoro noch hinzufügte:

„Is’ jetzt eh zu spät. Sie kommen gerade die letzten Treppenstufen hoch.“

Doch Robin ließ sich durch nichts und niemanden beirren.

„Einen ganz kleinen Moment noch!“ sagte sie ernsthaft bestimmt

„Robin!“ kam es aus Tashigis und Choppers Mund gleichzeitig. Sie konnten nicht verstehen, dass ihre Mitstreiterin sämtliche Warnungen vor dem drohenden Feind in den Wind schlug.

Doch die Archäologin las nur mit ruhiger, kraftvoller Stimme den letzten Absatz auf dem Steinquader vor:

„Im Jahre 402 stellten die Bewohner der Wassergärten von Ren Island ihren Handel mit Teufelsfrüchten ein und wurden von Kalis Kindern, den Wächtern Raftels, in eine ferne Zeit erhoben.

Den Kindern sei hier an Ort und Stelle ein Denkmal gesetzt, die ihre Macht niemals ausnutzten, um die Welt zu spalten. Auf das sie in Ewigkeit ihrer Route folgen und schweigen. Sollen sie niemals vergessen und verblassen.“

Robin triumphierte wie eine Schneekönigin. Endlich bekam sie lang gesuchte Antworten auf viele ungelöste Fragen.

Das Jahr 402. Es war das Jahr, wo die große Geschichtslücke begann. Die Inschrift klang wundersam und geheimnisvoll, doch sie war just in diesem Moment entschlüsselt.
 

Trotz intensivster Forschung konnte geologisch nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht geklärt werden, wie die Grandline sich bildete und ihre heutige Struktur annahm. Eine Vielzahl an Theorien überflutete den wissenschaftlichen Markt der Möglichkeiten. Grob genommen lässt sich sagen, dass die wichtigsten Meeresströmungen vor vielen tausend Jahren ihre Richtung änderten. Aus einer ehemaligen Nord-Süd-Richtung über die magnetischen Pole hinweg verlagerte sich die Strömung von Westen nach Osten auf der Höhe des Äquators entlang. Das blieb nicht ohne Folgen für die Geographie und Natur der Welt. Große Teile der Polgesteine wurden mitgerissen. Ihre magnetischen Reste verblieben als neue Inseln und Orte dort, wo die heutige Grandline als fünfter Ozean verläuft. Ein Hauptgrund, weshalb jede Insel dort ein eigenes magnetisches Feld und Jahreszeiten hat. Die Grandline selbst wiederum nagt mit ihrem Wellengang heftig an der Redline und versucht sie zu durchbrechen.

Im Jahre 0 hatte man dann endlich das Portal am Reverse Mountain fertig stellen und die Grandline erschließen können. Kolonien schossen wie Pilze aus dem Boden. Seit der Besiedelung der des fünften Ozeans zählte man die aktuelle Zeitrechnung. Ein wahrer Boom zog ganze Völker von der schwindenden Redline hinaus in das ferne Ungewisse. Heute wie damals war es ein gefährliches Abenteuer und brachte schon in den Anfängen der Kolonialisierung vielen Auswanderern den nassen Tod. Nicht zuletzt, da die Erfindung des Logport erst gute zwei Jahrzehnte später das Licht der Welt erblickte. Ab da wurde das Reisen zielgerichteter.

Die antiken Zeichnungen an den Innenwänden des Hofes zeigten ausführlich das Leben eines Volkes von Wassergeistern namens Mizuashura, welche zur Gattung der Ashura angehörten. Schon weit vor dem Jahre 0 lebten sie an den Polen zwischen Eis und Kälte und hegten und pflegten dort in großen Wassergärten Teufelsfrüchte. Als einzige Wesen in einer menschlichen Gestalt konnten sie sowohl über, als auch unter Wasser problemlos leben und sich jedem Lebensraum anpassen. Auch konnte sie Teufelsfrüchte wie normales Obst essen, ohne deren Auswirkungen zu spüren wie beispielsweise die Schwimmfähigkeit zu verlieren. Sie waren äußerlich absolut nicht von Menschen zu unterscheiden. Die Mizuashura bildeten kein zusammenhängendes Volk, sondern lebten sehr verstreut, teilweise sehr abgelegen und einsam. Es kam vor, dass sie sich unter die Menschen mischten, um nicht als Eremit sein Dasein fristen zu müssen. Dennoch blieben sie in ihrer Art sehr stolz, gar eingebildet, und sahen auf die Menschen herab.

Und so blieb es nicht aus, dass es den einen oder anderen Nachkommen gab, der zur einen Hälfte Wassergeist und zur anderen Hälfte Mensch war. Sie kamen mit Haaren in allen Grünschattierungen des Meeres zur Welt und bei manch einem schlugen sonderbare magische Fähigkeiten durch. Von den Wassergeistern nicht als vollständigen Ashura anerkannt und verspottet, fanden sie dort keinen Platz. Die Menschen fürchteten sich wiederum vor diesen Mischlingen und schimpften sie Kalis Kinder, da sie glaubten, schwarze Flecken, neun Arme und drei Köpfe bei diesen Kindern zu sehen. Sie waren Hanyôs und diesen bot man unter menschlichen Dächern keinen Schutz an.

„Das Kind hat den Fluch des Wassers“, munkelte man unter sich und zeigte mit Fingern auf sie. Verzweifelte Eltern gaben ihren verstoßenen Sprösslingen dann Teufelsfrüchte zu essen, die sie von den dämonischen Kräften bereinigten. Tatsächlich gelang dieses, aber die Stellung des Kindes änderte sich oft trotz allem nicht.

Die veränderten Meeresströmungen verlagerten die Anbaugebiete der Teufelsfrüchte, so dass sie fortan nur noch auf der Grandline wuchsen. Als die ersten Siedler auf der Grandline die Teufelsfrüchte und deren mystischen Kräfte für sich entdeckten, wurden sie zu Beginn verteufelt. Erst knapp hundert Jahre später sollte ein florierender Markt auf einem Atoll namens Ren Island mit diesem seltenen Obst erblühen. Menschen strebten nach Macht und die Teufelsfrüchte halfen ihnen dabei. Viele Städte verdankten ihren rasanten Aufstieg allein Teufelsfruchtbesitzern, die ihre Kräfte perfektionierten und sich selbst zu Göttern erhoben.
 

Es war nicht zu ergründen, weshalb ausgerechnet im Jahre 402 diesem Treiben ein Ende gesetzt und die Geschichte für 300 Jahre ausgelöscht wurde, jedoch schienen die Erbauer der Porneglyphe diese Lösung als die einzig Richtige zu sehen. Robin wusste, dass noch mehr Porneglyphe auf sie warteten. Schon bald würde sie wissen, was mit Ren Island tatsächlich geschah und warum es damals sein musste. Garantiert würden die Fäden der Geschichte den besonderen Wille der Menschen mit dem „D“ im Namen erklären und das verlorene Königreich aufdecken. Hundertprozentig würden sich diese Fäden alle miteinander verknüpfen lassen. Auch würde sie schon bald dahinter kommen, welche Kraft genau diese Kali Kinder besäßen, wenn die Weltregierung für deren Ausrottung so großen Aufwand betrieb. Zumindest schien es Sinn zu machen, dieser traurigen Geschichte hier oben ein Mahnmal zu setzen. Namida City, die Stadt der Tränen. Sie hieß wohl nicht allein des Regenwetters so.

Aber das Interessanteste an diesen ganzen Erkenntnissen war gar nicht mal die gemeißelte antike Schrift, sondern die krakelige Handschrift eines Schmierfinken darunter, der mitten unter die versteinerten Sätze mit einem unsauberen Pinselstrich in grellstem Grün seine Nachricht gezogen hatte:

„Den Kindern geht es gut und sie lassen schön grüßen …“

Robin konnte sich keinen Reim darauf machen. Wer mochte das geschrieben haben? Gab es noch mehr solcher Kinder? Dann wäre es doch eine interessante Frage, weshalb dann ausgerechnet Zoro von all diesen Kindern auserwählt war. Worin lag hier der entscheidende Unterschied?

Sie wandte sich fragend an ihre Freunde. Erst jetzt bemerkte sie, dass diese sich bereits gefechtsfertig gemacht und sich nicht so sehr der wissenschaftlichen Arbeit gewidmet hatten, wie sie es eben getan hatte. Ein großer historischer Moment war an der ahnungslosen Gruppe vorübergezogen, die nur Augen für die ersten auftauchenden Feinde hatte.

Ein fliegender Speer aus dem Hinterhalt verfehlte Tashigis Kopf nur knapp und eröffnete den Kampf. So tollpatschig sie auch war, umso besser und geschickter zog sie ihre Schwerttechnik präzise durch. Es erstaunte sie selbst, wie gut sie mit ihrem neuen Katana zurecht kam. Es milderte den Schmerz über das verlorene alte Schwert. Das Rentier hatte sich Dank eines Rumble Balls vergrößert und schlug tapfer den Weg frei. Wie eine Boxmaschine haute es eine um die andere wandelnde Rüstung um. Die Archäologin hatte gelesen, was sie wollte. Eine glückliche Erfolgswelle erfasste sie innerlich. Schnell drehte sie sich um die eigene Achse, kreuzte die Arme und ließ weitere Arme wie frische Triebe überall aus den schwarzen Rüstungen sprießen. Ein kurzes Knacken und nachhaltiges Scheppern besiegelte das Ende der Panzerriesen. Doch es sollte nicht reichen. Neue Ritter stürmten empor. Und noch eine andere sonderbare Beobachtung machten sie: Zerschlagene Rüstungen setzten sich wieder zusammen.

Dieser Zustand war mehr als beunruhigend. Aus den Augenwinkeln heraus hatte Zoro im Kampf sowohl die neue Fähigkeit des Feindes, als auch seine tapfer kämpfenden Freunde beobachtet. Sie könnten noch lange so weiterkämpfend bis ihre Kräfte versiegen würden. Oder sie müssten sich eine Schneise schlagen und dann rennen, was das Zeug hielt. Beides waren keine guten Alternativen.

Zoro grübelte über einen guten Plan nach, während er sich durch die feindlichen Reihen schlug. Am Einfachsten wäre es, man könnte einfach unsichtbar allen entschwinden. Einfach entschwinden… Noch ein Schlag und noch ein Schlag. Wieder prasselten Panzerscherben zu Boden und setzten sich schnell wieder zusammen. Diese Magie musste doch irgendwie zu stoppen sein!

Später würde er nicht mehr sagen können, welche innere Stimme ihn veranlasst hatte, seine Schwerter zurück in die Saya zu stecken. Vor seinen Augen tauchte alles um ihn herum in einen weichen Lichtschein. Sanfte Konturen zeichneten sich auf Tempel, Außenmauer, Boden und Rüstungen ab. Die Regentropfen schluckten dieses Licht und funkelten wie Diamanten. Die Welt verlangsamte sich. Geräusche entschwanden. Die Welt versank in einem Zwielicht ohne Lichtquelle von außen. Weiterhin herrschte auf dieser Nachtinsel finsterste Nacht. Keine Sonne oder Mond erreichten dieses Eiland. Dennoch war überall diese seltsame Dämmerung, die so beschützend wohlig warm wirkte.

„Zoro!“ rief es irgendwo her und holte ihn zurück in die Kälte, die Dunkelheit und die Nässe. Sofort waren der Lärm und das Schlachtengetümmel wieder da. Es schmerzte in seinen Ohren. So plötzlich war er wieder in die Realität zurückgekehrt. Er machte einen Befreiungsschlag und stellte beim Umsehen fest, dass Chopper ihn gerufen haben musste, denn dieser sah ihn schockiert an.

„Seit wann träumst du ihm Kampf?“ fragte dieser noch verdattert.

„Es ist nichts“, murmelte er zurück. Das Zwielicht. Suchend blickte er sich um, doch es blieb nass und dunkel wie bisher. Er dachte an seine Träume und auch an die Situation in Lysø. Dort war er in Parallelwelten gewandelt und hatte es auch geschafft in eine solche Yurenda mitzureißen. Soviel war schon mal klar. Besonders letztere Aktion war gelungen, weil er es einfach wollte. Plötzlich war es einfach da gewesen, was er nicht erklären konnte. Aber diese Parallelwelten waren kalt, schwarz, verschwommen und schwindelerregend. Die Dämmerung war anders gewesen. Warm, weich und hilfreich. Die Perfektion einer gefundenen Kraft.

Geistesgegenwärtig starrte er auf seine Faust, als könnte sie hier und jetzt etwas an allem ändern oder etwas bewirken. Dann drehte er sich um und rannte auf seine Freunde zu, die mittlerweile im Kampfgetümmel auf dem Innenhof weit verstreut waren. Man sah ihnen die ersten Anzeichen einer Erschöpfung an. Besonders Tashigi litt unter den Strapazen.

Nein, sie mussten hier heraus und weg.

„Los, greift meine Hand!“ rief er gegen den Lärm klirrender Schwerter und Rüstungen an.

„Was? Bist du nun total durchgeknallt?“ rief das Rentier aus, doch es wurde nur vom Schwertkämpfer am Geweih gepackt und mitgerissen. Tashigi riss es fast von den Füßen, als sich Zoros Arm um ihre Taille legte und fortzog. Robins Teufelskraft Hände ergriffen sein Handgelenk.

„Das Dämmerlicht …?“ wunderte sich Tashigi.

„Wahnsinn…Wie machst du das?“ erstaunte sich Robin daran, als sich die Gruppe langsam in ein weiches Zwielicht tauchen ließ. Zoro schüttelte nur den Kopf als Zeichen, dass er selbst keine Antwort wusste.

Unter ihren Füßen hatte sich ein großer violetter Lichtschein gebildet, der immer wechselnde Lichter aussandte, die sich wie ein Blumenmuster anordneten. Die Welt versank im Zwielicht und stand verstummt still. Mit jedem Schritt, den sie taten, wanderte das Lichtgebilde zu ihren Füßen mit und hielt sie in dieser mystischen Sphäre fest.

Der Spuk endete nur wenige Minuten später unten am Fuße der Rolltreppe, und als die gepanzerten Ritter das Verschwinden ihre Feindes bemerkt hatten, waren die Piraten längst schon durch alle Gassen in Richtung ihres Piratenschiffes geflohen.
 

Keineswegs wäre Zoro jemals im stand gewesen, die Welt anzuhalten. Er tat lediglich das, was auf dem Porneglyph gestanden hatte: Er hatte den Ort in eine ferne Zeit erhoben. Damit war nichts anderes gemeint, als dass sich die Kinder Kalis in selbst erschaffenen Parallelwelten bewegen konnten. Zudem konnte sie auch Menschen und Ort in diesen Parallelwelten zwischenparken, solange sie dieses wollten. Das ganze hatte nur einen Haken: Je mehr sie von ihrer Kraft gebrauch machten, desto mehr Teile ihrer Erinnerung verschwanden. Und so verlorenen sie sich dann erinnerungslos selbst zwischen Realität und Illusion und kehrten meist nie wieder zurück.

Für Außenstehende sah es aber eher so als, als wäre da an Ort und Stelle ein Teil der Welt verschwunden. Alsbald hafteten den Hanyô an, sie könnten Zeitreisen unternehmen, was niemals der Fall gewesen war. Dennoch war das ein Grund, weshalb sie gefürchtet wurden.

Kurzum: Für Zoro war zwar wieder ein persönliches Rätsel gelöst worden, zugleich aber auch neue Probleme entstanden. Wie lebte man ohne Erinnerungen? Wie viel verlor man davon, wenn man seine Kraft gebrauchte? Wenn er in Tashigis Aufzeichnungen blätterte, musste er sich eingestehen, dass er vieles von dem Erzählten selbst nicht mehr wusste, obwohl er es doch erst ihr vor ein paar Tagen anvertraut hatte.

„Wer keine Vergangenheit hat, hat auch keine Zukunft“, sagte ein altes Sprichwort. Und je mehr er vergessen würde, desto mehr musste Zoro die Wahrheit dieses Sprüchleins schmerzlich erkennen.

55 - Kalis Kinder

Wenn Tashigi von der Berganhöhe hinunter über die unzähligen Reisfeldterrassen von Rice Island blickte, erfüllte sie innerste Harmonie und Zufriedenheit. Alle Strapazen von Namida City bis hierher schienen so unglaublich weit fern und vergessen, dass ihr die Metropole auf der Regennachtinsel in ihren Erinnerungen nur wie ein schlimmer Traum vorkam.

Wie ein großer Schirm spannte sich ein knallazurblauer Himmel mit kleinen Schäfchenwolken und strahlendem Sonnenschein über das gesamte Areal. Die Luft wehte Mensch und Tier in angenehmen Böen um die Nase und war voll an frischem Sauerstoff. Man sog ihn ein, als hätte man nie etwas Besseres zum Atmen bekommen können.

Rice Island bestach durch seine herrlich vielfältigen Naturressourcen. Es war eine Frühlingsinsel mit mildwarmen Klima, ausgewogenen Wetterwechseln und langem Sonnenstand. Ganz besonders aber an dieser Insel war es, dass hier alle Jahreszeiten innerhalb von sechs Monaten vorüber zogen. So hatte man also in einem kompletten Jahr jede Jahreszeit zweimal. Auch Felder wurden zweimal im Jahr bestellt und abgeerntet. Die Wechsel geschahen so schnell in wenigen Wochen, dass man der Natur bei dieser überdimensionalen Kraftanstrengung zusehen und bestaunen konnte.

Hohe, steile Berge mit sanften Kuppen bildeten den Inselkern. In den genau dreizehn langgezogenen und schmalen Tälern säumten sich an den Berghängen über und über ungezählte Terrassenfelder mit Reispflanzen. Viele Quellflüsse mit klarstem Wasser und ein ausgeklügeltes System an Bewässerungsgräben, Windmühlpumpen und Kanälchen speisten sie.

Dazwischen schmiegten sich kleine, einfach Dörfer mit knallbunten Häusern und engen Gassen. In den Bauergärten wuchsen Gemüse, Obst und Edelkräuter. Die emsigen, aber besonnenen Einwohner hatten ihren eigenen Tagesablauf und steckten mit ihrer Ausgeglichenheit förmlich jeden Inselbesucher an. Einige wenige hielten von ihnen Ziegenherden und hier und da auch mal ein oder zwei Kühe. Außergewöhnliche Waren gab es in dem kleinen und einzigen Kolonialwarenladen. Zwar hatte Rice Island niemals auch nur je eine einzige Kolonie erobert, aber das interessierte eigentlich niemanden auf dieser Insel. Hauptsache die Auswahl des Geschäfts war extrem vielfältig und ungewöhnlich.

Palmen und Bambus wechselten sich in ihrer Vegetation ab. Sie zwängten sich an den Gräben und Wegen nahe der Reisfelder entlang und bildeten schattige Alleen, auf denen man lange Spaziergänge unternehmen konnte. Umrundet wurde die Insel von breiten, weißen Sandstränden. Es hatte etwas von einem Paradies auf Erden.

Obgleich die Strohhutbande erst vor guten vier Wochen hier angekommen war, hatte sich Tashigi bereits bei der Ankunft Hals über Kopf in diese Naturpracht verliebt. Viele schöne Orte hatte sie schon gesehen, aber keiner war wie dieser. Aber vielleicht lag es auch einfach nur allein daran, dass Rice Island einen kompletten Kontrast zu Namida City darstellte. Die letzten Inseln ihrer Route waren beschwerlich mit finsterstem Wetter gewesen, welches einem aufs Gemüt schlug. Die vergangenen Aufgaben und Kämpfe hatten kostbare Reserven verbraucht. Da war diese grüne Oase wahrer Balsam für die geschundenen Seelen und ausgemergelten Körper.

Wenn sie an die Flucht aus der Großstadt und die Überfahrt hierher dachte, empfand sie es mehr als ein Wunder, überhaupt angekommen zu sein. Als die schwarzen Panzerriesen ihre Schlacht begannen, hatte es sich nicht mehr verhindern lassen, dass eine Massenpanik ausbrach und das gesamte Stadtleben im Chaos versank. So schlimm es auch war, so war es doch die einzige Möglichkeit gewesen, sich heimlich aus dem Staub zu machen. Niemand von ihnen hätte ahnen können, dass nur wenige Seemeilen später heftigste Orkanstürme auf der Grandline tobten und die Thousand Sunny kurz vor dem Kentern stand. Harte vier Wochen lang waren sie in diesem Weltuntergangssturm unterwegs gewesen. Die ersten Tage versuchten sie noch gemeinsam, den Kurs zu halten, danach ließen sie sich einfach ihrem Schicksal ergeben dahin treiben. Man hoffte, nicht auf ein Riff oder eine Sandbank aufzulaufen, während man die Wassermaßen pausenlos über Bord schöpfte. Irgendwann ungezählte Tage später beruhigte sich der Sturm wieder und ob es nun ein Zufall war oder nicht, trieb dieser sie an die Ufer von Rice Island, denn der Logport wies eher einen ganz anderen Weg.

Der erste Schock saß tief, als man erfuhr, dass sich der Logport nur sehr langsam aufladen würde. Man müsste mindestens mit gute drei Monate rechnen. Zuerst gab es unter den Mannschaftsmitgliedern ein betretendes Schweigen, welches dann in genervte Ratlosigkeit umschlug. Drei Monate? Solange?

Es war Franky, der dann aber einwarf, dass ihr heißgeliebtes Piratenschiff nach den Strapazen gewartet und repariert werden müsste und daher so ein Zeitraum nicht im Mindesten zu wenig wäre. Und so begann dann jeder für sich, seinen Weg allein oder zu mehreren zu gehen, mit welchem man für sich dann die Zeit sinnvoll vertrieb. Der Schiffsbauer besserte wie angekündigt die Sunny aus und hatte mit Usopp einen treuen Gehilfen. Robin hatte sich Nami angeschlossen. Während die Navigatorin sich den Smutje als Vermessungsgehilfen für ihre Kartenarbeit geschnappt hatte und die Insel durchkämmt, wollte die Archäologin nach einem Porneglyph Ausschau halten. Luffy wiederum schloss sich dieser Truppe an, da er von Langeweile geplagt war und sich eine Schatzsuche inklusive Abenteuer erhoffte. Manchmal sah man sie tagelang nicht, dann waren sie wieder für wenige Nächte zurückgekehrt, um ihre Daten auszuwerten und ihre Abenteuer zum Besten zu geben.

Brook war mal hier mal da. Ihm gefiel die Akustik zwischen den Bergen und lauschte andächtig dem Echo, welches von ihnen widerhallte. Und so probierte er viele verschiedenen Ort zum Musizieren aus. Oft trug der Wind einen Hauch seiner gefiedelten Melodien herbei.

Einer ganz anderen Aufgabe hatte sich Chopper gewidmet. Immer noch trug er den von Yurenda geschenkten Beutel mit Samen in seinem Rucksack durch alle Höhen und Tiefen ihrer Reise spazieren. Die Samen wogen schrecklich viel, nahmen verschwenderisch viel Platz weg und nervten mittlerweile das Rentier. Es wusste weder, was daraus einmal erwachsen würde, noch ob es jemals dafür in seinem kurzen Leben den besten Boden der Welt finden würde. Und als dann auch noch Zoro einmal einwarf, dass es sowieso keine Argumente gäbe, für eine derart falsche Schlange wie Yurenda irgendwelche Böden zu suchen, um Saat auszustreuen, fühlte sich der kleine Arzt nur noch mehr in dem Beschluss gestärkt, endlich diesen elendigen Ballast loswerden zu wollen.

Hier auf Rice Island war nun ein günstiger Moment dafür gekommen. Mit einem Stock bewaffnet schritt er die Wege zwischen den Reisfeldern ab und bohrte Löcher in den Boden, in welche er jeweils einen Samen warf. Ob und wann die Saat zu kleinen Pflänzchen anlaufen würde, konnte niemand sagen, aber mit jedem Schritt wurde der Rucksack leichter und Chopper zufriedener.

Lange hatte Tashigi die Pflanzaktion bezweifelt. Als sie die Insel erreichten, lag die Natur noch in einem Winterschlaf. Das Wasser auf den Reisfeldern blickte ihnen wie schwarze Augen entgegen. Dazwischen hatten sich feine Eisschollen um Gräser gelegt, die den feuchten Flächen eine respektable Tiefe vorgaukelten. Zwar vertrieben nach einigen Tagen die ersten Sonnenstrahlen der Frühlingssonne den Winter, doch nachts war es immer noch bitterkalt. Tashigi befürchtete, die Saat würde im kalten Boden erfrieren. Auch die Inselbewohner schüttelten noch amüsiert den Kopf. Doch schon bald wurden auch die Nächte milder und die Regenzeitwoche setzte ein. In großen lauen Tropfen prasselte es vom Himmel und füllte die halbgefüllten Terrassenbecken auf. Danach strömten die Reisbauern auf die Felder und setzte Steckling um Steckling in den matschigen Boden.

Und so vergingen die ersten vier Wochen seit ihrer Ankunft, in der die beiden nichts Weiteres taten, als Samen in Bodenlöcher zu vergraben und ganz nebenbei selbst Teile der Insel zu erkunden. Manchmal war der Schwertkämpfer bei ihnen, manchmal auch nicht. Zoro hatten einen ganz eigenen Rhythmus von Trainingsphasen und Schlafenszeit. Zu den Trainingsphasen gehört auch ein ausgiebiger Marathonlauf einmal um die ganze Insel. Dann sah Tashigi ihren Freund tagelang nicht. Es lag aber nicht an der Länge der Strecke, sondern da allein daran, dass Zoro es selbst schaffte sich zu verlaufen, obwohl er nur immer am Strand entlanggelaufen war und schlussfolgernd bei einer Insel eigentlich einen Kreisweg beschreiben müsste. Aber manche Menschen waren einfach hoffnungslose Fälle und der Schwertkämpfer gehörte dazu. Tauchte er mal wieder auf, hielt er sich ganz in der Nähe der beiden bei der nächstbesten Schlafgelegenheit auf.

Chopper entrutschte einmal der laute Gedanke, wie Tashigi mit jemanden zusammen sein könnte, den man nie sah oder der nur schlafen würde, doch sie hatte nur lachend geantwortet, dass es doch recht praktisch wäre. So könnten sie sich gegenseitig nicht nerven. Das Rentier nickte erstaunt über solch eine Schlussfolgerung und kramte aus seiner Doktorentasche sein Stethoskop hervor. Nicht nur für eine Schwangere, sondern auch für einen Arzt war eine Schwangerschaft unglaublich spannend und nun, wo Tashigi bereits im vierten Monaten war, ließ es sich auch nicht mehr verbergen. Aufgeregt hörten sie Herztöne ab und beobachteten jede neue Entwicklung. Und auch Zoro, der jedes Mal sehr unbeeindruckt von diesem Wunder der Natur tat, fragte stets wie es der jungen Mutter gehen würde. Sie war sehr froh, die schwierigen ersten drei Monate überstanden zu haben. Es ging ihr nun deutlich besser und auch die Übelkeit war fast ganz verblasen.

Die Crew hatte das freudige Ereignis positiv aufgenommen und für Luffy war es die Gelegenheit gewesen, bei Sanji ein großes Festessen zu ordern. Dieser wiederum war sich nicht so sicher, ob es vorteilhaft wäre, demnächst von noch mehr solchen Grünhaarigen umgeben zu sein. Ein „Zoro“ allein würde doch schon reichen.
 

Und wieder verging eine Woche ins Land und eine Weitere. Es war ein früher Morgen, wo sie alle gemütlich beisammen unten an dem weißen Strand saßen, eine große Picknickdecke mit Leckereien ausgebreitet hatten und genüsslich schlemmten. Die Sonne war bereits aus der Dämmerung hervorgekrochen und wärmte langsam den Sand auf. Oben an den Hängen schossen die frischen Frühblüher mit weiteren Geästen und Gräsern um die Wette.

Es war ein Morgen, an welchem der Gummijunge verkündete, dass es Zeit für ein neues Abenteuer wäre. Ein Tal hätten sie nämlich noch nicht näher durchsucht und da sollte die Reise nun endlich einmal hingehen. Es hatte ihn mehr als neugierig gemacht, dass die Inselbewohner dieses „dreizehnte Tal“ mieden, denn dort würden nach deren Aussage nur „die Verrückten“ wohnen.

Also machten sie sich alle gemütlich auf den Weg. Das Tal lag nicht weit. Alle außer Luffy gingen von einem kurzen Abenteuer aus, von welchem sie wohl am Abend wieder zurück sein würden. Die Wanderung glich einem gemütlichen Spaziergang durch die gerade erwachende Natur. Sanft wogen Äste im Wind. Sonnentaler blitzten zwischen den Blätterschatten auf den Wegen. Lange würde es nicht mehr dauern und die ersten Sommertemperaturen würden den Spätfrühling weiterschicken.

Unterwegs redeten sie von Belanglosem.

„Dein Strohhut ist schon ganz abgewetzt. Meinst du, der hält noch, bis du jemals Shanks wieder triffst?“

„Klar tut er das!“

„Was macht dein Garten, Chopper?“

„Och, da hat sich noch nichts getan. Ich weiß ja nicht, wann und ob die Saat aufgeht.“

„Sanji, ich hab Hunger!“

„Du hast eben doch schon gefressen!“

„Zoro, wach auf! Wir müssen da lang!“

So schwirrten ihre Stimmen umher und niemand bemerkte, wie schnell sie sich dem Tal näherten und die Zeit verstrich. Es war bereits Mittag und die Sonne stand hoch über ihren Köpfen am Himmel. Gnadenlos heiß schien sie herab und die Gruppe entschied sich zu einer schattigen Rast. Dabei schweiften ihre Blicke in die Ferne.

Nichts Ungewöhnliches gab es hier zu sehen. Die Berghänge lagen wie zur Siesta rechts und links gestreckt vor ihnen. Die Reisterrassen waren jedoch nicht so akribisch genau bestellt worden, wie in den anderen Tälern. Vielleicht nahm man es hier nicht so genau. Jedoch gab es dazwischen schon die ein oder andere Kuriosität. Franky wunderte sich sehr über eine Schneckenschraube, um Wasser anzuheben. Nur leider würde diese Schraube niemals funktionieren, denn ihre Schraubblätter lagen genau falsch herum. An einer Kreuzung gab es einen Wegweiser, doch dieser war verdreht und stand gar auf dem Kopf.

Hinter der nächsten Wegbiegung tat sich eine eigenwillige kleine Ansiedlung auf. Häuser ohne Dach. Wände ohne Fenster. Türen gingen falsch herum auf. Treppen führten in den Himmel. Aber auch die Einwohner hier rannten einher, als wären sie allesamt närrisch geworden. Sie trugen Lampenschirme auf dem Kopf, verschiedene Schuhe an den Füßen oder gar Regenmäntel bei Sonnenschein. Vor sich her schob eine Frau eine Schubkarre als Kinderwagen. In einem Goldfischglas steckte ein Kohlkopf. Weiter weg hielt jemand eine Katze in einem Vogelkäfig fest und trällerte ihr Lieder vor. Alle strömten umher, als wären sie eilig beschäftigt. Doch ihre Handlungen waren wirr. Doch eines war ihnen gemeinsam: Sie waren ein Volk von Grünhaarigen.

Die Strohhutbande staunte mit großen Augen vor sich her und beobachtete stumm das Treiben. Es ging ununterbrochen so weiter. Usopp nahm sich ein Herz und versuchte, einen der Passanten anzusprechen. Vergeblich. Niemand nahm Notiz von ihm, sondern zog hastig weiter, als wäre die Langnase aus Glas.

„Gib dir keine Mühe. Sie können nicht mehr mit dir reden“, rief eine Stimme zu der Crew herüber.

„Wah, die Giraffe kann reden!“ Chopper setzte sich vor Schreck auf den Hosenboden.

„Du doch auch!“ entgegnete diese freundlich lachend.

Dankbar, einen Ansprechpartner in diesem Tollhaus gefunden zu haben, traten sie an das Savannentier heran. Langsam beugte es seinen langen Hals und seinen riesigen Schädel zu ihnen herunter und begutachtete die Besucher aus sanften Augen.

„Hast du wie Chopper eine Teufelsfrucht gegessen? Und warum reden diese Einwohner nicht?“ bohrte Robin. Die Archäologin witterte eine heiße Spur.

„Das hab ich sehr wohl. Aber verzeiht meine Unhöflichkeit. Mein Name ist Esra. Ich bin hier, sagen wir es mal so, der Aufseher dieses Tals. Was führt euch zu mir?“

„Was ist mit ihnen?“ Robin ließ nicht locker und deutete auf die emsigen Einwohner.

„Sie wissen nichts mehr. Sie haben alles vergessen. Ihnen fehlen alle Erinnerungen. Und irgendwann kommen sie dann hierher. Bis jetzt sind sie alle hierhergekommen.“

Ersa hob seinen Kopf und blickte über zwei schräge Zäune hinweg auf einen Mann, der versuchte mittels einer Fischerangel Fliesen an die Hauswand zu hängen. Die Giraffe seufzte. Hoffentlich stürzte das Männlein nicht ab.

„Wisst ihr, sie wollten vieles. Zu vieles. Nach und nach haben sie ihre Macht und somit ihre Erinnerungen verbraucht. Und dann landeten sie hier, weil hier das Magnetfeld auf der Grandline dem der alten Heimat am ähnlichsten ist. Kalis Kinder landen alle hier.“

„Würde ich auch hier landen?“ Zoro trat nachdenklich hervor.

„Früher oder später sicherlich. Es sind schon lange keine mehr hergekommen. Das hat mich gewundert. Aber es wunderte mich noch mehr, dass du jetzt schon herkommst. Du bist noch nicht so weit.“

„Wann wäre denn der Zeitpunkt, dass ich herkommen müsste?“

„Schwer zu sagen, aber ich denke schon sehr bald.“

„Ok, dann weiß ich genug. Auf Wiedersehen!“ sprach der Schwertkämpfer und wandte sich ab.

„Auf Wiedersehen, Roronoa Zoro!“ grüßte Esra zurück.

„Hey, wohin willst du?“ riefen die anderen ihm nach und folgten ihm. Sie konnten sein Verhalten nicht nachvollziehen und versuchte ihn am Weggang zu hindern. Immerhin könnte die Giraffe doch so einiges preisgeben. Doch Zoro ließ sich nicht daran hindern. Wütend über seine eigene Lebenslage, aus der es wohl kein Entrinnen gab, stapfte er voran. Niemand seiner Nakama konnte ahnen, das der Schwertkämpfer tatsächlich mehr wusste. Aber dazu später.

Die Mannschaft zerstreute sich zeitweilig.

Nur Tashigi war ebenso wie Robin stehen geblieben, dachte traurig nach und wandte sich dann an Esra. Höflich wandte sich der große Giraffenkopf ihr zu.

„Sag mir, Esra. Du kennst alle von Kalis Kindern, oder? Können sie die Gefühle der anderen lesen?“

„Das ist eine gute Frage. Nein, können sie nicht. Zumindest habe ich es noch nie beobachtet und diese Seelen hier sind allesamt leer.“

„Wie können wir Zoro helfen?“

Die Giraffe machte traurige Augen.

„Das weiß ich leider nicht.“

„Sagt dir der Kerzenmacher etwas?“

„Der Name sagt mir etwas. Aber leider kann ich die Schrift auf seinem Grabstein nicht lesen. Vielleicht könnt ihr das ja.“

Ein Grab? Die Giraffe beschrieb ihnen den Weg. Sie müssten wieder zurück zum Strand und dann dort eine gute Stunde weitergehen. Dort gäbe es einen kleinen Pfad zwischen Dattelpalmen entlang, zwischen welchen das gesuchte Ziel wäre.

Sie bedankten sich bei Esra und machten sich auf den Weg hinter ihrer bereits davongezogenen Gruppe auf.

Als sie wieder bei ihrem Picknickplatz am Strand ankamen, hatte sich schon der Abendhimmel über das Szenario gesenkt. Als glutroter Feuerball versank die Sonne im tiefblauen Meer. Weniger fröhlich als sonst aßen sie zu Abend. Durch die Vorkommnisse des Tages war die Stimmung gedämpft. Erst im Laufe des Abends lockerte sich die angespannt Haltung.
 

Es war schon weit nach Mitternacht als Zoro mit einer Fackel in der Hand Robin ansprach. Der Rest der Crew lag schlummernd auf Kissen und Decken und bemerkte nichts.

„Liest du mir den Stein vor? Tashigi sprach davon.“

Die Archäologin gab ihre Antwort mit einem abenteuerlustigen Lächeln und erhob sich von ihrem Platz. Zügig gingen sie durch den noch warmen Sand. Über ihnen funkelten die Sterne eines bevorstehenden Sommernachthimmels. Seichte Wellen rauschten an den Strand.

Tatsächlich fanden sie das Grab wie beschrieben und zur Freude der Archäologin war es auch das seit Wochen gesuchte Porneglyph. Nur war es auf der Karte vollkommen falsch verzeichnet gewesen. Da hätte sie noch lange suchen können.

Im Feuerschein von Zoros Fackel las sie vor.

Der Kerzenmacher war nicht eine einzelne Person, sondern ein Priesteramt, welches von Generation zu Generation durch eine harte Ausbildung weitergegeben wurde. Mittels eines Rituals war es einem Kerzenmacher möglich, eine magische Kerze zu erstellen und auf der achten Route zu wandeln.

Für den Schwertkämpfer war es das, was er geahnt hatte: Die Kerze eines Kerzenmachers hätte eine Alternative sein können. Doch in diesem Falle war es nur eine Sackgasse.

56 - Abschied

Kein Wort hatten weder Robin noch Zoro gegenüber der Crew über den nächtlichen Besuch am Grab des Kerzenmachers verlauten lassen. Ihre Entdeckung empfanden sie als nicht sonderlich überragend wichtig und diskussionswürdig. Zumindest ordneten sie die in Stein hinterlassene Nachricht auf dem Porneglyph nach ihren Einschätzungen so ein. Bahnbrechend sah anders aus. Vielleicht war es auch eine gute Idee, die Hoffnung an den Kerzenmacher am Leben zu erhalten. Niederlagen wirkten sich oft negativ auf die Stimmung und den Kampfgeist einer Gruppe aus. Und bloßer Glaube versetzte ja bekanntlich Berge.

Schweigend waren sie nebenher zurück zum Strand geschlendert, denn sie hatten nichts zu bereden und der feine Sand ließ keinen schnelleren Schritt zu. Längst war die Fackel niedergebrannt, doch man fand in dieser Mondscheinnacht den Weg auch so zurück. Eilig hatten sie es eh nicht. Gerade erst beim letzten Abendessen hatte sich Nami genervt über die Tatsache geäußert, dass der Logport noch immer keinen neuen Weg gewählt hatte.

„So langsam könnte sich doch einmal etwas ändern, damit wir weitersegeln könnten“, hatte die Navigatorin angemerkt und dabei genau den Logport an ihrem Handgelenk beäugt. Doch die Nadel in der kleinen Glaskugel pendelte wie schon die letzten Wochen unbekümmert hin und her und wollte sich noch nicht auf ein neues Magnetfeld festlegen. Noch saßen sie also auf unbestimmte Zeit auf diesem Eiland fest. Wenigstens war es kein unangenehmer Aufenthaltsort.

So schön diese Insel aber auch war, so wurde sie für unsere Abenteurer nun doch allmählich zu langweilig. Die Navigatorin hatte jeden Winkel vermessen, die Sunny war gewartet und geflickt worden, alle Vorräte waren aufgefüllt, alle Geheimnisse gelöst ohne den gewünschten Schatz zu finden und alle Energiereserven der Crew waren wieder auf ein Toplevel angestiegen. Nichts gab es hier nun noch, was sie hätte halten können. Niemand von ihnen mochte noch weiter warten, obgleich es keiner von ihnen so recht aussprach. Doch sie waren Piraten und abenteuerlustig. Das Fernweh in ihren Seelen ermunterte sie zum Aufbruch und machte sie allesamt innerlich kribbelig.

Der Weg zurück zum Strandlager war nicht weit, aber dennoch weit genug, sich bis dorthin einige Gedanken zu machen. Im Kopf des Schwertkämpfers rumorte es wild hin und her. Seit der Ankunft auf Rice Island hatte er begonnen, wieder einen halbwegs geregelten Tagesablaufes von Essen, Schlafen und Training abzuhalten. So war es weit aus effektiver, sich auf höchstem Konditionsniveau zu halten und sich zu verbessern. Klar brachten Kämpfe immer neue Erfahrungen, aber verfestigt werden konnten sie so nicht. Auch die hier herrschende Ruhe war sehr wichtig für diese Ziele. Zu gern hätte er die Geschehnisse des gesamten letzten Jahres über Bord geschmissen und von den Grübeleien darüber abgeschaltet, doch es gelang ihm nur selten. Sie störten seine Meditationsphasen und zerrissen seine innere Stille. Oft begann er seine angefangenen Trainingseinheiten entnervt wieder von vorn.

Schlimmer war jedoch die Tatsache, dass die Erinnerungen immer spärlicher wurden. Zu Beginn hatte er es noch gar nicht so recht bemerkt, denn es verschwanden erst ganz unwichtige Erinnerungen. Vielleicht wäre es ihm auch gar nicht aufgefallen, wenn Chopper ihn nicht neulich erst gebeten hätte ihm etwas aus dem Kolonialwarenladen mitzubringen. Zoro mochte es nicht zugeben, doch er rätselte den ganzen Weg bis zu dem Geschäft, wie denn verdammt noch mal Pfefferminzblätter aussahen. Er hätte schwören können, dass er so eine Pflanze vor kurzem noch erkannt hätte. Peinlicher wurde das Ganze auch noch, als er im Laden vor einem Sack voller Pfefferminzblätter stand und den Kaufmann fragte, wo er eben diese Blätter in den Regalauslagen finden könnte.

Ein anderes Mal erwischte es ihn während einer Trainingseinheit. Er übte Grundtechniken mit seinen Schwertern. Doch bei der Fußarbeit verwechselte er die Reihenfolge der Schritte, was ihn ärgerte und aus dem Konzept brachte. Der Schock traf ihn umgleich, als ihm einfach so ein Katana aus der Hand in den Sand viel. Obwohl er nicht gottesgläubig war, schickte er ein Stoßgebet zum Himmel, dass niemand diesen Ausrutscher gesehen haben möge.

Zoro begann Vermeidungsstrategien zu entwickeln, um seinen Gedächtnisverlust zu umschiffen und vor seinen Freunden zu verbergen, doch die Erinnerungen gingen dennoch ihren zielgerichteten Weg ins Nirwana. Besonders der Verlust seiner lang antrainierten Schwertkunst machte ihn schutzlos, angreifbar und war mit einer der letzten Dinge, die ihm noch geblieben waren. Schwertkampf hatte sein Leben ausgefüllt und nun klaffte da eine Lücke, die immer größer wurde.

Übel war es auch, wenn nur Teile einer Erinnerung verschwanden. Erst waren da feine Risse, die zu Löchern und dann zu großen Lücken wurden. Schnell konnte man Tatsachen und Fakten verwechseln. Eine Stufe höher an Boshaftigkeit wurde es, wenn das Gedächtnis anfing, diese Löcher mit falschen Tatsachen zu stopfte, um noch eine gewisse Art von Logik aufrecht zu erhalten und einen roten Faden zu spinnen. Lüge und Wahrheit vermischten und bevor sich sein letztes bisschen Halbwissen verbal verselbständigen und Schaden anrichten würde, wurde er noch schweigsamer und zurückhaltender, als er eh schon immer gewesen war. Kampflos musste er sich seinem Schicksal ergeben, mehr und mehr zu vergessen und früher oder später bei Esra im Tal der Bekloppten zu landen. Noch nie hatte er eine derartige Hilflosigkeit verspürt wie in diesen letzten Tagen und Wochen.

Trotz der inneren Kapitulation vor sich selbst, schmeckte ihm das Alles keineswegs. Immer öfters bat er Tashigi um ihre Aufzeichnungen und nach jedem Nachschlagen ertappte er sich dabei, über die Hälfte von ihrem gemeinsamen Abenteuer auf der Redline schon vergessen zu haben. War es tatsächlich schon ein Dreivierteljahr her, dass er sich damals mit Chopper zusammen durch die nassen Wälder der Redline geschlagen hatte? Die Zeit raste davon.

Die Folgen dieses Vergessens ließen nicht lange auf sich warten. Oft wusste er nicht einmal mehr, wie seine Kameraden hießen. Mühsam probierte er, sich solch wichtigen Dinge wieder einzuprägen, nur um sie bald wieder zu verlieren. Auch mit Tashigi verwickelte er sich zunehmend in unnötige Streitereien.

Sie hatte damit begonnen, ihre Aufzeichnungen und Notizen ins Reine zu schreiben und zu überarbeiten. Es war schon soviel an Informationen zusammengekommen, dass es einer Überarbeitung dringend bedarf, um nicht selbst den Überblick zu verlieren. Natürlich war sie dadurch auf Zoro angewiesen und benötigte seine Hilfe, aber er konnte noch so sehr in seinem Gedächtnis kramen, es kam nicht mehr viel zusammen. Auch wenn sie sehr viel Verständnis für ihn aufbringen wollte, so war es doch für sie eine echte Erprobung ihrer gemeinsamen Liebe. Seine stolze Art, sein Problem nicht zuzugeben und mit ihr teilen zu wollen, ärgerte sie maßlos. Still und heimlich in einer ruhigen Minute zweifelte sie oft daran, dass Zoro ihr vertraute. Es waren unausgesprochene Worte ihrerseits, doch spürte er an ihren Gefühlswellen, dass sie oft panisch daran dachte, er könne eines Tages sogar seine Liebe zu ihr vergessen. Der Schmerz und die Kluft wuchs zwischen ihnen Stück für Stück und machte für beide die Beziehung unerträglich. Die Situation war vollkommen verfahren.

Nein, Zoro wusste keine Lösung für diese Problem, außer diesem ganzen Treiben ein Ende zu bereiten. Es störte ihn mehr als alles andere, dass er ihr ein unausgesprochenes Versprechen gegeben hatte, welches er nicht im Stande war, es zu halten. Nämlich, dass sie nie mehr traurig sein sollte.

Der Schwertkämpfer war mit sich und der Welt unzufrieden, wie er es selten zuvor jemals gewesen war. Das alles musste aufhören und sicherlich gab es dafür eine ganz einfache Lösung, die er eben jedoch nicht sah.
 

Der Lagerplatz rückte in sichtbare Nähe und nur wenige Schritte später hatten sie ihn erreicht. Friedlich schlief die Mannschaft in Träumen versunken und hatte von der Abwesenheit der beiden Freunde nichts bemerkt.

Robin begab sich zu ihrem Liegestuhl, um im Schein der Petroleumlaterne noch etwas zu lesen, während Zoro verhalten stehen blieben und über das ruhige, schwarzblaue Meer in die Ferne starrte, wo man am Horizont bereits die Dämmerung der Morgensonne erahnen konnte. Eine tropische Nacht übergab den Staffelstab an einen neuen Tag.

Weiter gab es dort draußen nichts zu entdecken. Oft hatte er in letzter Zeit das Bestreben gehabt, einfach loszugehen. Schnurgerade über das Wasser, als ob er es könnte. Nur die menschliche Logik, nicht auf Wasser laufen zu können, hielt ihn davon ab. Etwas zog ihn magisch zum Horizont wie der Magnet das Eisen. So langsam wurde ihm klar, was diese besondere achte Route bedeutete. Es war der ganz eigene Weg durch die Welt dorthin, wo die Grandline endete, der auch nicht durch einen normalen Logport bestimmt werden konnte. Dort hinten irgendwo lag Raftel und vielleicht das Ende aller Geheimniskrämereien. Das dort Verborgene war weiterhin für ihn im Ungewissen, aber der Weg der Hanyô führte genau dorthin, denn sie besaßen einen ureigenen inneren Logport. Der Schwertkämpfer war sich sicher, etwas an diesem ganzen Rätsel übersehen zu haben. Aber was?

Robins Frage holte ihn aus seinen Gedanken in die Realität zurück.

„Kommt es mir nur so vor oder riecht es etwas nach Eis?“

„Nach Eis?“

Zoro hielt seine Nase kurz in den Wind schnupperte. Er war leicht und frisch, mit einer Prise Meeressalz getränkt und hatte noch die letzten Nuancen von Regengewitter inne.

„Hm, nein. Ich denke, nicht“, gab er zurück und wandte sich vom Meer ab.

Seinen Schlafplatz suchte er bei Tashigi. Ihm war bewusst, ihre Zuneigung zu ihm arg strapaziert zu haben, jedoch gab es da nicht sonderlich viel dran zu ändern, solange er stets vergas. Es war ein Desaster. Dennoch schmiegte sie sich an ihn, als er sie in die Arme am, als wäre nichts gewesen und die Zeit zurückgedreht. Nie hatten sie der Crew offiziell von ihrer Beziehung berichtet, aber das war auch nicht notwenig. So recht war hier niemand auf den Kopf gefallen und es lag am Team an sich, sich nicht in Privatbelange einzumischen. Die Strohhüte zeichneten sich dadurch aus eine Truppe zu sein, in der Vertrauen herrschte und wo jeder so akzeptiert wurde wie er war. Folglich hatte man niemanden Rechenschaft über sein Handeln abzulegen. Es war, wie es war und das Ergebnis ihrer innigen Zweisamkeit war auch so schon nicht mehr zu übersehen.
 

Der Frühling zog so schnell vorüber, wie er gekommen war. Die ersten Anzeichen eines heftigen Sommers läuteten sein Ende ein. Es sollte eine Zeit beginne, die die Reisbauern als Regenzeit betitelten. Glutheiße Tage und Hitzegewitter wechselten sich ab. Tagsüber war es oft unerträglich drückend und so hielt man sich bewusst im Schatten auf. Nachts hingegen suchten wahre Wassermassen ihren Weg hinab in die Täler und riss einiges an Schlamm mit sich. Die Reisbauern begrüßten diese Phase des Wetters, denn der Regen füllt die Reisbecken ohne ihr Zutun. War der Regen dann einmal vorüber, war die Luft stickig und schwül. Das Atmen fiel schwer.

Dass Robin mit ihrer guten Nase doch recht behalten sollte, erfuhren die Strohhüte eines schönen Morgens. Gerade erst war ein orkanartiges Gewitter abgezogen und die Aufräumarbeiten begannen. Es galt Sturmschäden zu beseitigen und die allgemeine Lage der Insel genau unter die Lupe zu nehmen. In den Dorfgesprächen konnte man einig feststellen, dass es wohl eines der schlimmsten Hitzegewitter überhaupt gewesen sein mochte. Schwarz wie die Nacht und mehr Regen, als die Grandline jemals Wasser geführt hätte, munkelte und fachsimpelte man.

Plötzlich setzte dem Ganzen ein besonderes Stück Treibgut am Strand noch die Krone auf. Helle Aufregung herrschte dort unten in der Bucht und schon bald war alles, was die Beine in die Hand nehmen konnte, unten an der Meeresbrandung und begutachtete den riesigen Eisklotz. Er maß mindestens die Höhe von zwei übereinandergestellten Häusern und war so breit, dass wohl das Schiff der Strohhutbande dreimal hintereinander Platz gefunden hätte.

Es war vollkommen untypisch für das Klima und die Lage von Rice Island, hier einmal Eis an den Strand gespült zu bekommen. Große Spekulationen über den weißen kalten Klotz machten die Runde und gaben Anlass für die wildesten Hirngespinste. Man beschloss im schnell einberufenen Dorfrat, diese neue Naturphänomen genau zu beobachten und stellte Strandwachen ab, welche nun rund um die Uhr mit Ferngläsern bewaffnet akribisch jeden Millimeter des Horizontes absuchten.

Als es immer mehr Eisblöcke wurden und die Temperatur rapide absank, wuchs die Unruhe in der Bevölkerung. Neugierig und ehrfürchtig zugleich wandelte man an der Meeresbrandung entlang und betrachtete die gefrorene Kälte. Gerüchte über einen radikalen Klimawechsel, einen Angriff eines Teufelsfruchtinhabers oder ein Komplott der Marine verbreiteten sich wie ein Lauffeuer und verbreiteten Angst und Schrecken. Die größte Sorge galt der Ernte. Erste zarte Reispflänzchentriebe erfroren und starben ab.
 

Es war bereits der dritte Tag vergangen, seit die Eisblöcke aufgetaucht waren, als am Abend die Fischer mit ihren Booten glücklos heimkehrten. Auf See sei es schon so kühl, dass Winterbekleidung angebracht wäre und Fischschwärme würden sich in das viel zu kalte Nass auch nicht mehr verirren. Mit hängenden Köpfen kamen die Fischer an Land. Sie hatten einige Zeitungsmöwen an Bord, die sich strickt weigerten, ihre Flugroute gen Norden fortzusetzen. Ebenso wie die Fischer erzählten sie von einer weiten Eisdecke, die nun auch die Grandline über den Calm Belt hinaus erreicht hätte. Bald wäre ein Weiterkommen mit dem Schiff unmöglich. Eine Möwe wusste sogar von Eispanzern in großen Teilen des South Blue zu berichten. Die erste Hälfte der Grandline wäre dort sogar schon unter dem Eis begraben. Sie hätte genau gesehen, wie alles, was mit diesem Teufelszeug in Berührung gekommen war, sich augenblicklich selbst zu Eis verwandelt hätte. Heilfroh war sie gewesen, fliegen zu können. Kollegen warfen ihr Spinnereien vor, doch die Möwe beharrte auf ihren Beobachtungen und versuchte, diese Wahrheit glaubhaft zu machen.

Diese schockierenden Nachrichten saßen tief bei der Piratenbande, denn natürlich dachte man sofort an all die guten Freunde in der alten Welt. Vergeblich versuchten sie mit diesen Kontakt aufzunehmen, doch Teleschnecken wurden nicht abgenommen und Briefe nicht beantwortet. Es schien unmöglich, etwas über den Zustand der Welt auf der anderen Halbkugel herauszubekommen.

Die Ereignisse überschlugen sich und noch in der Nacht wurde von Luffy der Entschluss gefasst, Rice Island zu verlassen. Um keinen Preis wollte er hier festsitzen und erfrieren. Flucht schien angemessen und angebracht zu sein. Großer Protest seitens der Crew schlug ihm entgegen. Der Logport wies ihnen kein neues Ziel. Sie würden sich hoffnungslos auf der Grandline verirren und sich nur unnötig uneinschätzbaren Gefahren ausliefern.

Letztendlich siegte Luffy mit seiner simplen Logik, dass es doch egal wäre, wo sie einfrieren würden. Dann aber doch lieber später als jetzt. Damit hatte der Captain sein Machtwort gesprochen und Luffys Autorität zweifelte man dann doch nicht an.
 

Gegen Mitternacht in gespenstisches Vollmondlicht getaucht legte die Sunny ab. Einige Anwohner standen winkend am Strand und wünschten viel Erfolg. Man war sich unter ihnen einig, dass die Piraten verrückt sein müssten bei diesen Witterungsbedingungen die Flucht übers Meer zu versuchen. Zumindest war es aber die erste Mannschaft, die nicht brandschatzend und plündern über ihre Insel gezogen war. Eine sympathische Truppe.

Das Meer lag spiegelglatt dar und schwappte wie Altöl vor dem Bug der Thousand Sunny her. Scharfkantig ragte Packeis aus dem Wasser und glitzerte bizarr wie die Sterne am pechschwarzen Himmel, wo sich keine einzige Wolke zeigte. Nami hatte einen geschätzten Kurs in Südostrichtung einschlagen lassen und hielt die Crew ordentlich auf Trab. Die Temperatur sank weiter steil bergab und die Luftfeuchtigkeit stieg gleichermaßen an. Somit war es oberste Gebot, die Taue und Planken zu enteisen, auf Treibeis zu achten und es von der Sunny fern zuhalten. Oft mussten sie Eisberge umschiffen. Ihr Zickzackkurs wurde eckiger und verschlungener. Ungezählte Stunden kurvten sie so umher.

Das schwere Meerwasser nahm erste Formen von gestoßenem Eis an. Erste Wolken zogen am Himmelszelt auf. Sie verdeckte die Sterne und stahlen das Mondlicht. Bald war alles so schwarz, dass man nicht mal mehr die Hand vor Augen hätte sehen können. Aus einer langsamen Fahrt wurde ein Schneckentempo, welches in einem Stillstand endete.
 

Als die Sunny sich festsetzte und durch die Crew abgesichert war, dass ihr Schiff erst einmal nicht so schnell vom Eis zerdrückt würde, trommelte Luffy auf Namis Bitte hin die Crew im Speisesaal zusammen. Klappernd vorn Kälte kauerte jeder an seinem Platz.

„Leute, die Flüssigkeit im Thermometer verkriecht sich schon unten im Vorratsgefäß!“ stellte Usopp beim Eintreten in den Saal erstaunt fest und klopfte gegen das kleine Glaskügelchen am unteren Steigrohrende. Die Skala begann erst bei -50°C. Schnell schloss der Kanonier hinter sich die Tür. Der Ofen im Speisesaal feuerte aus allen Rohren und hatte dennoch größte Mühe, den Raum halbwegs warm zu halten.

„Eben, und genau deshalb möchte Nami uns etwas mitteilen. Wo sind Robin, Brook und Sanji?“ sprach der Gummijunge zu seiner Truppe. Franky, der wie die Langnase sich eben erst auf seinen Stuhl am Tisch niedergelassen hatte, gab an, die drei würden über die Eisdecke wachen, damit die Sunny nicht beschädigt würde.

Luffy nickte diese Information ab. Die Sicherheit der Mannschaft und des Schiffes war mehr als wichtig.

Die Navigatorin hielt sich nicht lange mit Umschreibungen auf und kam sofort zu ihrem Anliegen. Über der aufgerollten Karte, welche sie einst von Buggy geklaut und mit eigenen Notizen ergänzt hatte, schilderte sie die Problematik.

„Hier sind wir nach meinen letzten ungenauen Berechnungen“ sagte sie und zeigte mit dem Finger auf eine Stelle mitten im Blauen auf der Grandline in südöstlich von Rice Island. Dann fuhr sie mit dem Finger über das alte Kartenpapier und beschrieb eine nördlichere Route.

„Da sind wir das letzte Mal lang gesegelt. Dort ist Crispy Rocks, wo Chopper und Zoro uns verlassen hatten. Ungefähr fünf Tage später kamen wir dort an, wo wir Raftel vermuten. Ihr seht also, wir haben es wieder einmal geschafft, fast ans Ende der Grandline zu gelangen. Ich denke, von unserer jetzigen Position wären es bei guten See- und Wetterbedingungen vielleicht mal gute sechs oder sieben Tage, aber …“, sie stockte und brach den Satz ab. Alle Augenpaare ruhten auf ihr, um den Haken an der Geschichte zu hören. Sie fand die Stimme wieder und flüsterte leise:

„… aber mein Wettergefühl hat mich noch nie getäuscht und es wird sich nicht ändern. Wir sitzen hier fest.“

„Hey, wir schaffen das schon“, wollte Luffy sie beruhigen. „Wir schlagen uns da vereint schon den Weg frei.“

„Luffy, das ist arschkalt da draußen. Wir werden erfrieren, wenn Brennholz und Vorräte leer sein. Du hast es doch vorhin auch gesehen. Wenn du das Eis zerschlägst, bildet sich sofort Neues“, warf Usopp ein.

„Hier, die Zeitung von vor drei Tagen berichtet auch, dass die ganze Welt einfriert. Das hätte ich mir niemals träumen lassen. Da haben wir die Lage total unterschätzt“, gab Franky an und suchte die passende Doppelseite. Tatsächlich sah man auf dieser Weltkarte alle eisbedeckten Gebiete, die schon Dreiviertel der gesamten Welt ausmachten.

„Was? Wir werden alle sterben!“ schrie Chopper los, stürzte sich panisch mit Usopp in die Arme und brüllte dann mit ihm um die Wette.

„Ruhe! Da kann ja keiner bei schlafen“, beschwerte sich Zoro, der eben noch mit dem Kopf auf der Tischplatte gelegen hatte.

„Wir werden alle sterben, du Schlafmütze!“

Zoro schaute nur ungläubig drein.

Innerlich erschüttert, aber nach außen hin eine feste Haltung bewahrend, stand Tashigi ruckartig auf.

„Ich sag es den anderen“, sprach sie, zog ihre Jacke über und ging.

„Warte, wir kommen mit“, rief der Strohhutjunge hinter ihr her und hatte so den passiven Befehl für alle erteilt, sich ebenfalls hinauszubegeben.

Bereits in der Tür verspürte Nami, dass die Temperatur wieder im einige Grade gefallen war.
 

Es war eine kraftraubende Arbeit, das Eis zu bezwingen. Wie wild schlug jeder mit Fäusten, Schwertern, Äxten und Spitzhacken auf das glatte Weiß ein. Nach knappen zwei Stunden gaben sie erschöpft auf. Die Sunny hatte sich trotz aller Bemühungen keinen Millimeter bewegt.

Man beschloss, sich für eine Weile auszuruhen und später noch einen neuen Befreiungsschlag zu versuchen.
 

Die Kälte kroch über das Deck der Sunny. Sie brachte Eis mit sich und verhüllte alles unter einem dicken Panzer. Dann schlich sie sich leise wie ein Dieb an die Türen heran und schlüpfte durch jede noch so kleinste Ritze in die Schlafräume. Dort begann es mit dem Feuer in den Öfen ein Tauziehen um die wärmende Energie, doch noch hielten die Kohlestücke dagegen, sich das Feuer klauen zu lassen. Noch war die Kohle nicht ausgeglüht.

Tashigi hielt es nicht mehr aus. Die Kälte hatte sie geweckt. Sie zitterte und klapperte am ganzen Körper, obgleich sie unter mindestens zwei Dutzend Wolldecken in ihrem Bett lag. Sie erhob sich, schmiss sich zwei von den gut gefüllten Daunendecken über und schnappte sich den Kohleeimer. Ein Nachschlag für den Ofen war sicher drin, wenn auch Sanji zur Sparsamkeit aufgerufen hatte. Aber was soll’s? Sie wollte nicht erfroren sein, während die Lager der Sunny noch gut gefüllt waren. Mit wehenden Fahnen musste man hier nicht untergehen. Den Stolz würde hier niemand sehen oder ihn gar honorieren.

Die Kälte zerrte emsig an ihren Körpern und würde bald den Kampf um ihre Lebensgeister gewinnen. Selbst Robin lag unter vielen Decken versteckt und schlief. Tashigi konnte sich nicht genau erinnern, wann sie die Archäologin jemals hatte längere Zeit schlafen sehen. Auch Namis Atmung ging eher flach als normal. Tashigi wandte ihren Blick von den beiden Schlafenden ab.

Doch etwas machte sie im Raum stutzig. Etwas war anders und etwas fehlte. Sie blickte über ihre persönlichen Gegenstände hinweg und dann war es, als hätte sie der Blitz getroffen. Mit einem Griff packte sie das Katana, welches nicht ihres war und starrte es an, als wäre es Falschgeld. Dann rannte sie mit ihrer Entdeckung in der Hand hinaus aufs Deck.
 

Eiseskälte schlug ihr ins Gesicht. Die Glätte brachte sie zum Schlittern. Fast wäre sie die Treppe hinuntergestürzt. Hektisch suchte sie die pechschwarze Gegend ab. Nur das Eis schimmerte in der näheren Umgebung, als würde es siegessicher darüber lachen, der kalte Tod der Crew zu sein.

Schnell hatte sie die Steuerbordseite abgesucht und hechtete hinüber nach Backbord.

„Zoro!“ schrie sie über die Reling hinaus in die Weite.

Tausende Gedanken schossen ihr durch den Kopf, als sie ihn dort auf dem Eis so stehen sah. Allein. In einen dunklen Kapuzenmantel gehüllt und mit ihren Aufzeichnungen in den Händen. Was um alles in der Welt hatte er vor? Und plötzlich erkannte sie, dass ihr die Antwort nicht schmecken würde. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals, der ihr die Stimme raubte.

Plätschern von Wasser drang an ihre Ohren. Das Eis auf der Sunny schmolz. Das Zwielicht. Es war so warm und weich.

Das alles geschah in Sekunden.

„Tashigi? Hör mir zu! Versucht die Redline oder eine Insel zu erreichen! Okay?“

Sie konnte nicht anders, als zu nicken. Die Aufgabe, die Zoro zu lösen hatte, lag in der Gegenwart, aber dort war für die Crew kein Platz. Sie würden den Erfrierungstod finden. Um die Crew zu retten, brauchte sie also einen anderen Platz. Einen, wo sie alle ausharren konnten. Und wo könnte es einen besseren Ort geben, als in einer parallelen Welt?

„Aber wenn du dich nicht mehr erinnerst … ?“ warf sie ein. Ihr war bewusst, wie viel Kraft und Erinnerungen diese Rettungsaktion ihren Freund kosten würden. Vielleicht sogar seine letzte Erinnerung. Das wäre fatal, denn dann würden sich ihre beiden Welten, die sich eben voneinander lösten, niemals wieder zusammenfügen können. Es wäre eben vielleicht sogar ein allerletztes Mal, dass sie sich sehen würden.

„Ich hab doch dein Buch“, versuchte er ihr die Angst zu nehmen, auch wenn er es ihm klar war, wie unsinnig diese Worte waren. Etwas besseres fiel ihm jedoch nicht ein.

Die Zeit entrann ihnen. Er hatte einen Abschied vermeiden wollen, doch nun kam er nicht drumrum.

„Ich komme zurück!“

Tashigis Finger umklammerten das weiße Katana, dass sie sich verkrampften und schmerzten. Es war die Ironie des Schicksals, dieses Schwert überreicht zu bekommen, aber so hatte sie sich es nicht gewünscht. Wadôichimonji. Wieder einmal lag auf ihm ein erdrückender Schwur. Der neue Schwur, sich wieder zu sehen.

„Ich weiß, dass du es wirst!“

Das Zwielicht tauchte sie mehr und mehr ein, ummantelte sie und das Piratenschiff in einer angenehm wohligen Wärme. Langsam verloren sie beide den Sichtkontakt.

„Ich liebe dich!“ flüsterte sie leise und als hätte er es hören können, bildete sie sich ein, seine Stimme zu vernehmen.

„Ich dich auch!“

Erschrocken blickte sie auf, doch da war nichts mehr als das Meer, der Horizont und die Morgendämmerung.

Ihre Welten hatten sich getrennt.

57 - Reset

Die Kälte des Eises und die Schwärze der Nacht bildeten eine ganz eigene Symbiose für sich. Sie verschlangen sich gegenseitig zu einer undurchdringlichen Einheit, schmiegten sich aneinander und verwischten die Horizontlinie. Arm in Arm eng umschlungen wie zwei Liebende gewährten sie keinem Eindringling einen Platz zwischen ihren verschwenderischen Weiten. Fremdlinge waren Fremdkörper gleich. Alles, was ins stetig ausdehnende Eis geriet, änderte in Sekunden seine Materie und wurde selbst zu einem gefrorenen Nass. Delphine im Sprung, Fischer beim Auswerfen der Netze, Menschen bei der Arbeit. Sie alle waren Eisskulpturen ebenso wie Inseln, Berge, Wälder und Städte. Ein bizarrer Skulpturenpark von einem erbarmungslosen Künstler gefertigt, umschlossen von einer kalten Nacht.

Wie der Mond ein Trabant zur Welt ist, so zog die Finsternis mit dem Eis im Gleichschritt voran über die Ozeane, verschluckte alle Spuren, nahm traurige Erinnerungen aus vergangenen Tagen und den Verlustschmerz des eben genommenen Lebens. Hinterhältig war sie und verbarg ihr Angesicht hinter finsteren Wolkenwänden, die den Betrachter magisch anzogen, um mit der Hoffnung auf Erfüllung eines nicht existenten Paradieses sich hineinzustürzen. Einmal dort hineingefallen, gab es keine Wiederkehr. Der Körper wurde seelenlos.

Inmitten allem zog ein Mann Schritt für Schritt seine Bahn vorwärts, ohne zu wissen, wohin ihn sein Weg führen oder wie weit es überhaupt sein würde. Man sah ihm an, dass er dem Eis und den finsteren Wolken längst zu nahe gekommen war. Auch wenn die Kälte trocken und an sich kaum spürbar war, so hatten sich Arm- und Beinglieder längst vom zentralen Nervensystem verabschiedet und fühlten sich taub und schwer wie Eisklötze an. Selbst der gefütterte Kapuzenmantel half da nichts mehr. Die Mimik seines Gesichts schien eingefroren zu sein.

Die Dunkelheit spielte den Augen dumme Streiche, sie wären erblindet. Also war es besser, sie zu schließen und so weiter zu gehen. Fuß um Fuß, Schritt für Schritt.

Mühsam war der Marsch durch die ewige Wüstenei. Wüsste man nicht, dass man sich selbst bewegte, würde man denken, sich in den letzten Stunden keinen Zentimeter bewegt zu haben.

Zoro hatte längst aufgehört, an markanten Punkten in der Umgebung festzumachen, ob er eventuell im Kreis oder die gewünschte Gerade lief. Das Gefühl für Zeit und Raum galt hier nicht mehr. Feinste grüne Funken stiegen tänzelnd von ihm auf und verloren sich in der pechschwarzen Nacht, in der kein Mond und kein Stern jemals sein Licht durchdringen lassen könnte. Er blühte aus.

Und dann noch diese rasenden Kopfschmerzen. Er konnte nicht sagen, wo es in seinem Kopf am Schlimmsten hämmerte. Es war auch egal. Wenn es nur irgendwann aufhören würde.

Das Eis war schuld. Da war sich der Hanyô sicher. Alles erstarrte im Eis, aber er selber nicht. Seine Fähigkeiten schützen ihn, auch wenn er dafür mit jedem weiteren Meter Weg eine seiner Erinnerungen verlor und sich seine Kräfte erschöpften. Das Eis und die Finsternis. Sie beide erkämpften sich winzige Stücke von ihm und sogen ihn aus wie ein Vampir seine Opfer.

„Wie herrlich wäre es, diesen Kopfschmerzschädel genauso einfrieren zu können“, dachte er bei sich und blinzelte durch seine Augenlieder etwas hinaus in die düstere Umgebung. Der Schmerz hämmerte nicht mehr. Er hatte sich mittlerweile wie ein großes Kissen in seinem Kopf ausgebreitet, war nun allgegenwärtig da und brachte seinen Kopf kurz vor den Super-GAU. Zu seinen Füßen glänzte metallisch schön wie ein hochglanzpolierter Spiegel das Eis und strahlte diese unverschämt kalte Frische aus.

„Warum eigentlich nicht? Nur eine Weile...“, überlegte er sich weiter und ließ sich der Länge nach einfach vornüber auf die glatte Fläche fallen.

Ah, wie gut das tat, als die Kälte auf den Schmerz traf. So lag er da, umringt von einem leuchtend violetten Farbgebilde von floralen Elementen einer großen Eisblume gleich, in Fachkreisen Bannkreis genannt, und schlief ein. Zuviel hatte er vergessen. Shimotsuki war weit weg und vergessen, ebenso Koushirou und all die anderen aus diesem Dorf. Er besaß Schwerter, aber wozu waren sie gut? Er wusste es nicht mehr. Gesichter geisterten durch seine Erinnerungen. Es waren seine Nakama. Aber wie hießen sie? Tashigis Heft hatte er unter seiner Kleidung deponiert. Sicher war sicher. Nicht, dass er auch noch vergaß, dass man so ein Buch festhalten musste und es dann irgendwo in der Eiswüste lag, weil es herunterfallen war.

In seinem Schlaf sah er nur ein einziges Traumbild vor sich. Tashigi wie sie an der Reling auf der Sunny stand und im Zwielicht verschwand.

Von ihm unbemerkt zogen die schwarzen Wolkenfronten auf und legten sich langsam wie ein Ring um ihn. Er hätte es gar nicht erst bemerkt, wenn ihn nicht die Gefühlswellen eines anderen Wesens geweckt hätten. Jemand Fremdes war in seinen Bannkreis eingetreten und hielt sich ohne einer Nachfrage um Erlaubnis bei ihm auf.

„Du hast mir gerade noch gefehlt“, brach es aus Zoro heraus, als er nach oben blinzelte und eine schemenhafte weiße Qualmwolke erblickte, die sich just in diesem Moment in einen Menschen verwandelte. Es schien, dass ein einfacher Bannkreis schon genügte, Teufelskräfte lahmzulegen. Er wusste zwar nicht mehr, wer diese Person war, aber soviel gaben seine Erinnerungen noch preis, dass diese ihm unheimlich bekannt vorkam und sein Leben schon öfters unangenehm durchkreuzt hatte.

„Ach, du bist das! Hätte dich gar nicht erkannt, so … nackt“, höhnte es von dem kräftig gebauten Mann herunter.

„Nackt?“ Zoro verstand erst nicht.

„Na, so ohne … Schwerter“, kam es auch sogleich sarkastisch zurück. „Ein Schwertkämpfer ohne Schwerter.“

Smoker grinste und steckte sich eine neue Zigarre an. Ohne Rauch fühlte er sich unvollständig und wenn er sich schon selbst nicht in Zoros Gegenwart verwandeln konnte, dann sollte wenigstens künstlich nachgeholfen werden, ein rauchiges Klima zu schaffen.

„Schnauze!“

Der Schwertkämpfer ohne Schwerter rappelte sich hoch und wandte sich zum Gehen. Mit dem Qualmer, dessen Namen er nicht mehr wusste, wollte er keine Reisegesellschaft gründen. Dennoch wurde er plötzlich stutzig.

„Wieso bist du nicht zu Eis erstarrt wie alles andere?“

„Weil ich in Rauchgestalt gasförmig bin, den Boden nicht berühre und auch nicht so schnell abkühle. Aber es zerrt doch sehr an den Energiereserven“, kam es logisch vom Kettenraucher zurück.

„Aha“, für den Hanyô war hier das Gespräch und das weitere Interesse beendet. Einen Energie raubenden Schmarotzer mitzunehmen, könnte in dieser Wildnis tödlich sein.

„Wo ist sie?“ raunte der Qualmer.

Diese Frage beendete abrupt seinen Schritt und hastig drehte er sich wieder um.

„Wen meinst du?“ gab er mit einem bockigen Unterton zurück.

„Wenn wohl. Tashigi natürlich.“ Smoker klang etwas genervt über soviel Begriffsstutzigkeit.

Blitzschnell dachte Zoro nach. Nein, dem Raucher war er absolut keine Rechenschaft schuldig.

„Das geht dich gar nichts an!“

„Na denn“, gab der Admiral zurück. „Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Aber wenn du nach Raftel möchtest, dann ist es gleich dort hinten um die Ecke. Wollte schon immer mal wissen, was passiert, wenn ein Kalikind dort aufkreuzt.“

Eine Rauchwolke zog empor, wandte sich wie eine Schlange in der Luft und strömte dann in die Richtung, welche auch Zoro seinem inneren Hanyô-Instinkt nach gewählt hätte. Es konnte also gar nicht mal so falsch sein.

„Der Raucher weiß eine ganze Menge. Das ist mal klar“, dachte sich der Schwertkämpfer. Jedoch war er sich selbst nicht so ganz schlüssig, ob er so unbedingt von ihm wissen wollte, woher sein Wissensschatz herrührte. Es verwunderte ihn auch nicht mehr. In den letzten Monaten waren zu viele dubiose Gestalten aufgetaucht, die irgendwie irgendetwas wussten und ihren Teil vom großen Kuchen abhaben wollten. Plötzlich hatte sich ein großes geschichtliches Geheimnis aufgetan, in welchem er eine Rolle spielte. Und alle wussten plötzlich davon. Nur er selber nicht. Da kam man sich schon recht blöde und verklappst bei vor.

„Pah, sollen sie doch alle machen, was sie wollen“, schoss es Zoro durch den Kopf. „Ich bringe das hier jetzt zu ende. Egal, was es überhaupt ist. Ich weiß eh schon nicht mehr, warum ich hier bin.“

Gedacht, getan. Er schritt weiter durch die schwarze Eiswüste. Geschützt von einem gleißenden Bahnkreis zu seinen Füßen, umringt von feindlichen Wolken. Und der Qualmer folgte ihm unauffällig und schweigend wie ein Schatten.
 

Smoker sollte recht behalten. Tatsächlich hoben sich schon bald markante Quader schemenhaft am Horizont ab und deuteten wie Fingerzeige den richtigen Weg einer langen Reise an.

Stumm steuerten sie auf das nächstbeste Porneglyph zu. Es war wie alles in der Welt zu Eis geworden, schimmerte spiegelglatt und majestätisch schön streckte es sich in den Himmel. Es war schwer, die weiteren großen Steine auszumachen, die den wohlbekannten Ring bildeten. Sie beide wanderten langsam umher, um sicher zu gehen, tatsächlich an der gesuchten Stelle angekommen zu sein.

Zoro zog das Heft unter seinem Mantel hervor und blätterte darin. Tashigi hatte notiert, was Robin über dieses Ringporneglyph in Erfahrung bringen konnte. Konzentriert las er Satz für Satz:
 

„Die Inschrift auf allen Porneglyphen lautete: „Brenne, brenne weiter oder brenne, brenne nieder!“ Es deutet auf ein großes Ritual des Kerzenmachers hin. Kerzenmacher hielten die Gabe inne, die Seele eines Hanyô zu rauben und sie in das Wachs einer Kerze einzuschließen. Der Hanyô selbst starb dabei. Wurde so eine Kerze entzündet, brannte sie mit einer hellgrünen Flamme und öffneten ein Portal in das persönliche Zwielicht seines Seelenbesitzers.

Die Vermutung liegt nahe, dass hier an dem Ringporneglyph mehrere Kerzen benötigt werden. Nämlich für jedes Porneglyph exakt eine. Erst so scheint das Tor in die richtige Dimension geöffnet werden zu können. Sind nicht genug Kerzen entzündet, so brennen sie einfach nur nieder ohne Veränderung.

Durch Aufzeichnungen auf den alten Karten aus den sieben Truhen lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass inmitten des Rings tatsächlich eine Insel gelegen haben muss, welche im Zwielicht verschwand und somit unerreichbar wurde.

Nicht interpretiert werden konnten bisher Erkenntnisse, die sich auf die aktuelle Ringmitte beziehen. Es ist nicht zu beweisen, ob dort durch die bisher verschobenen Dimensionsverhältnisse ein problemloses Zurückholen Raftels möglich ist. Es ist ebenso möglich, das Zeitgefüge bei erneuter Anwendung von Mächten komplett in ein Zeitenchaos zu stürzen.“
 

Tief durchatmend klappte der Schwertkämpfer das Buch wieder zu. Diese hochtrabend geschriebenen Wissenschaften klangen alles andere als rosig. War die Reise sinnlos gewesen?

„Also sind wir im Eis verloren“, stellte Smoker nüchtern fest, der arge Probleme hatte, in seinem gasförmigen Aggregatzustand zu verweilen.

„Hey, was fällt dir ein, einfach so über meine Schulter hinweg mitzulesen?“ pampte Zoro zurück. Er war gereizt und konnte noch nicht so recht fassen, dass alles umsonst gewesen sollte. Mit Niederlagen umzugehen war seit jeher noch nie ein großes Hobby von ihm gewesen. Zudem hätte er sich ohrfeigen können. Immerhin stand dieser Text schon lange dort und den hätte er nun sich wirklich schon früher zu Gemüte ziehen können.

„Ich muss einfach irgendwas übersehen haben!“ gab er weiter murmelnd an und stapfte eine lange Strecke weiter bis zu der Stelle, wo er die Mitte des Ringes vermutete.

Er blickte umher. Die schwarze Wolkenfront schob sich von allen Seiten gleichmäßig konstant vor und verschluckte bereits den Porneglyphring. Der Rest war Dunkelheit.

Sich um die eigene Achse drehend starrte Zoro in das Schwarz. Smoker hatte sich ihm dabei längst aus den Augen und aus dem Sinn geschoben.

Was hatte er nur übersehen? Irgendetwas.

Weiter und weiter drehte er sich, als würde ihm die Lösung zufliegen. Der Schlüssel lag in den Prismenträgern versteckt, die an einem Strang ziehen müssen, doch diese nicht taten.

Diese verfluchte Kröte war an allem Schuld. Sie hatte alles in dieses Eis versinken lassen, nur um Machtansprüche und einen Traum von einem eigenen Reich durchzusetzen. Kivi schien alles gleichgültig zu sein. Und Yurenda? Die Alte hatte er eh gefressen. All ihr Handeln hatte sie hinterhältig versucht zu entschuldigen und etwas unverständlich Dummes davon gefaselt, dass das Prisma weitergewandert wäre.

Schneller dreht er sich und schneller. Vom Drehwurm von den Beinen gerissen, ließ er sich auf die Knie fallen und wartete das Ende des kurzen Nachschwindels ab.

Was hatte er nur übersehen? Er warf Tashigis Buch vor sich auf den Boden, riss die Seiten auseinander und las Zeile um Zeile. Irgendwo dazwischen war die Lösung.

Weit entfernt klang Smokers fragende Stimme und schon in der nächsten Sekunde war sie aus Zoros Welt entschwunden.

Zoro las sich in einen wahren Rausch. Die Welt um ihn herum versank und begann sich zu drehen. Schneller und immer schneller flog alles an ihm vorbei. Die Magie, die diesen Ort umgab, entfaltete seinen Zauber. Erinnerungen aus dem Buch wurden zu gelebten Geschichten, die so schnell kamen, wie sie wieder vergingen und auf ewig verloren waren.

Was gelesen war, geschah. Und was geschah, war gelesen.
 

Die Sonne brannte heiß auf ihn herab und als Zoro die Augen aufschlug, konnte er nur blinzeln, wollte er nicht durch die Grelle erblinden. Sein Magen sprach böse Worte mit ihm, denn seit den letzten Tagen hatte dieser nichts Festes zur Verdauung bekommen und klagte nun knurrend sein Leid.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit. Ein staubiger, von der Sonne ausgemergelter Boden hob sich kaum von einer hellen Steinmauer ab, die das Areal umschloss.

Ihm kam dieser Ort unglaublich bekannt vor, doch der Groschen war noch nicht rund gefeilt, dass er fallen konnte. Erst als er diesen Ort verlassen wollte, spürte er einen festen, einschneidenden Zug von Stricken um Arme und Taille, die ihn an einem provisorischen Holzkreuz zurückhielten. Es dämmerte ihm.

Schlagartig wurde ihm die Situation bewusst, als er das Getuschel von zwei jugendlichen Stimmen vernahm. Luffy und Corby hatten ihn gefunden.

Er hörte sich selbst die beiden anreden, konnte aber sein eigenes Handeln nicht beeinflussen.

Es war ein äußerst unangenehmes Gefühl, seine eigene Geschichte noch einmal durchleben zu müssen und zu wissen, wie es ausging, ohne in das Geschehen eingreifen zu können. Es war so furchtbar real und echt, als würde es eben erst zum allerersten Mal passieren. Hier und heute.

Die Geschichte nahm seinen Lauf und er kam sich mehr als hilflos vor, dem Ganzen einfach so ausgesetzt zu sein.

Und schon hatte sein altes Ich mit Luffy den Deal abgeschlossen, mit ihm über die Meere zu ziehen. Wie oft hatte er genau diese Entscheidung und diesen Tag verflucht. Aus einem einfachen Versprechen gegenüber Kuina wurde eine Mission. Ein Wechsel vom Piratenjäger zum Pirat. In diesen Sekunden wäre die Chance gewesen, auszusteigen und alles zu ändern. Die Chance war verstrichen.

Doch es tat sich plötzlich für ihn eine ganz neue Perspektive auf. Sein Weg würde ihn über kurz oder lang über Loguetown führen. Welch schwacher Trost.
 

Zoro kam nicht dazu, sich weiter Gedanken darüber zu machen. Die Buchseiten blätterten nun fast magisch wie von selbst weiter und hielten ihn wie einen Gefangenen in seiner eigenen Geschichte fest.
 

So traf er auf Buggy und sammelte erste Teufelsfruchterfahrungen. Mal ganz abgesehen, von den Scherzen seines Captains. Nami tauchte auf, nur um sie mit ihrer Flucht zum Arlong Park reinzulegen. Da waren Usopp, von dem Zoro ihm nachhinein sagen mochte, dieser hätte sich nicht wahrlich geändert, und Sanji. Ja, das Baratie und das erste Treffen mit Mihawk. Zoro hatte ganz vergessen, wie schmerzhaft es damals war, seine Narbe von ihm zu bekommen.
 

Aber auch diese Kapitel sollten bald abgehakt sein und Zoro selbst war nur noch mehr als erstaunt, was Tashigi alles notiert hatte. Tashigi…
 

Am Horizont tauchte Loguetown auf.

Und dann standen sie sich gegenüber. Sie hockte am Boden und er starrte sie heruntergebeugt einfach nur an, wie sie dort so saß. Nicht fähig auch nur ein Wort zu sagen und es lag nicht allein an ihrer Ähnlichkeit zu ihrer Schwester.
 

Weiter blätterte es.
 

Sie forderte ihn heraus. Sie hatte es so gewollt.

Das Klirren vom aufeinanderschlagenden Metall der Klingen hing in der Luft, ebenso der aufziehende Sturm und das Prasseln des Regens. Sie war definitiv unterlegen. Von Beginn an. Aber damals wie heute besaß sie diesen unverschämt großen Ehrgeiz. Zickig und zornig versuchte sie einen aussichtslosen Kampf zu gewinnen.

Nach nur wenigen Schlägen saß sie mit dem Rücken an der Wand fest.

Tausend Gedanken jagten ihm durch den Kopf. Er war ihr eben so unglaublich nah, wie er es bald lange nicht mehr sein würde, aber noch waren sie Rivalen. Also ging er. Sein altes Ich tat es aus anderen Beweggründen, als sein übergeordnetes Wissen. Gleich würde sie losbrüllen und sie würden sich bis aufs Blut streiten, dass selbst die rund umstehenden Soldaten nur dumm aus der Wäsche schauen würden.

Und da kam auch schon die Frage aller Fragen aus ihrem Munde. Zutiefst verletzt und bis auf die Knochen beleidigt, prallte diese simple Frage wie ein Messer an seinen Hinterkopf und bohrte sich ganz tief in Erinnerungen.

„Du hast nicht richtig gekämpft. Warum tötest du mich nicht?“

„Weil ich nichts töten kann, was ich liebe, du dumme Nuss“, schoss es ihm unkontrolliert durch die Gehirnwindungen, doch sein altes Ich wusste es nicht besser, sondern war naiv blöde. Dieses schob nämlich alles auf Kuina und die verblüffende Ähnlichkeit ab. Eine praktische Not.

Doch bevor die Situation eskalierten konnte, flogen die Erinnerungen geblättert weiter.
 

Noch einmal wurde der Reverse Mountain befahren, Whiskey Peak gemetzelt, Wachsspiele von Little Garden gespielt, alle Dünen von Arabasta durchwandert, die Wolken von Sky Island bestaunt und nach dem elendigen Sturz aus der Höhe Water Seven erreicht.

Und noch einmal wurde Enies Lobby in Schutt und Asche gelegt, sich auf der Thriller Bark gegruselt, um dann auf dem Sabaody-Archipel von Kuma in alle Winde zerstreut zu werden.

Und so weiter und so fort.

Es war ihm nie klar gewesen, mit welcher Geschwindigkeit er durch dieses Leben gejagt war. Eine Fülle von Erlebnissen und Informationen prasselten nun ungefiltert auf ihn herein. Schwer war es, all das für sich zu bewerten und daraus Lehren und Schlüsse zu ziehen.
 

Und wieder begann die Geschichte von vorn.

Zoro saß in seinen eigenen durchlebten Erinnerungen fest. Ein böser Teufelskreis hatte begonnen, aus dem es keine Flucht zu geben schien. Denn immer, wenn er auf den Seiten bei dem Ziel „Raftel“ anlangte, dann begann alles wieder damit von vorn, dass er hier nun saß und seine Geschichte las.
 

Der Kreislauf der ewigen Wiederkehr. Daraus gab es kein Entrinnen, so sehr er es sich nun auch wünschte.
 

Plötzlich schoss in dieses lineare Gedankending etwas Neues, etwas Unbekanntes. Etwas, was vorher nicht in den Zeilen, sondern schon lange zwischen den Zeilen stand, krachte wie ein Blitz grell und laut dazwischen. Das Gesuchte war gefunden worden.
 

„Stopp!“
 

Und dann war da nichts mehr als wohlige Dunkelheit.

58 - Loguetown

Niemals würde Tashigi diese letzte Szene vergessen, als Zoro vor ihren Augen verschwand. Sie war klar umrissen, als ewiges Traumbild in ihrem Gedächtnis eingebrannt und so jung wie der frische Morgentau, welcher eben auf den Grashalmen lag, sich zu Tropfen sammelte und das Licht brach. Das Funkeln einer Kristallsammlung war ein Nichts dagegen. Die Szene wurde stets lebendig vor ihren Augen, sobald sie an Deck der Sunny hinüber zur Reling ging. Wie ein Déjà-vu-Erlebnissen wiederholte sich die Handlung immer wieder und wieder. Also ließ sie es nach ein paar Tagen bleiben, unnötige Wege an Deck zurückzulegen. Es sollte genügen, vom Schlafraum zum Bad oder zur Küche zu gehen und den Kopf nicht zur Reling zu wenden. Doch es war schwer. Diese Art von Erinnerungen schmerzte sehr und war unerträglich.

Sie hatte nicht heulen wollen, doch als an jenem Tag von Zoros Verschwinden die Crew aus ihrem Schlaf erwachte und auch einmal nach und nach an Deck trat, konnte ihr verheultes Gesicht kein Lügengerüst aufbauen, dass alles in Ordnung wäre. Es gab Situationen, da war es einfach besser, nichts zu sagen und so ging sie wortlos an allen vorbei und verkroch sich tief unter ihrer Bettdecke. Zwar verstand im ersten Moment niemand ihre merkwürdige Reaktion, doch schon bald war klar, dass eine große Veränderung eingetreten war. Zoro war verschwunden. Wieder einmal. Und niemand wusste das Wieso und das Warum. Es war unnötig darüber nachzudenken, ob so etwas unverschämt oder typisch für ihn war.

Der Mannschaft war klar, dass nur allein Tashigi die Antwort zu diesem plötzlichen Verschwinden geben konnte. Doch man schwieg für den Anfang rücksichtsvoll. Längst war zudem allen die unerzählte Schwangerschaft aufgefallen. Bei dünnen, zierlichen Frauen ließ sich ein Babybauch im knapp fünften Monaten nur schwerlich verbergen.

Doch an jenem besonderen Tag gab es ein ganz anderes Phänomen zu betrachtet, welches ebenso spannend war wie die Aufregung um ein vermisstes Crewmitglied. Noch vor wenigen Stunden in absoluter Dunkelheit einer Eiswüste zu Bett gegangen, überstrahlte nun ein ungewöhnlich warmes Zwielicht die komplette Szenerie. In dieser Dämmerung zu stehen und zu wandeln ließ sich kaum in Worte fassen. Wie ein frischer blühender Frühlingstag durchströmte er die vereisten Seelen der Crew und gab jedem einzelnen von ihnen neue Lebenskräfte.

Aber schon bald wich das warme Licht einem malerisch schönen Sonnenaufgang. Pastellfarben breiteten sich am Firmament aus, wie man sie selten gesehen hatte und ließen den Himmel so unglaublich hoch und weit erscheinen. Unerreichbar und endlos. Und auch jetzt wurde den Piraten erst gewahrt, dass sie von den weichen sanften Wogen der Grandline umgeben waren, die fast geräuschlos an die Planken der Sunny schlugen. Die Sonne stieg empor und erwärmte mit ihren Strahlen die letzten eingefrorenen Glieder der Mannschaft. Ein herrlicher sommerlicher Tag hatte begonnen, als wäre nie etwas geschehen.

So unglaublich und seltsam auch alles sein mochte, der Alltag holte sie schnell ein: Hunger machte sich in allen Mägen breit und schon kurze Zeit später versammelten sich alle wie gewohnt um den großen Tisch im Speisesaal. Man ließ sich Sanjis Gaumenfreuden schmecken und diskutierte die neue Situation.

„Wo ist den Zoro? Wie kann der einfach abhauen?“ überlegte Luffy lauf mampfend.

„Ach, halt doch die Klappe. Siehst du nicht, das Tashigi traurig ist?“ musste sich der Captain von Franky grob zurückweisen lassen.

„Richtig, du Grobian. Sei nicht so hart zu ihr!“ tobte Sanji bestätigend aus der Kombüse hervor und fügte noch an: „Ich habe fast keine Vorräte mehr. Wir müssend dringend einen Hafen anlaufen.“

Die Navigatorin seufzte über diesen Trubel und brachte dann mit einem heftigen Faustschlag auf den Tisch die Meute zur Ruhe.

„Ok, Leute! Was auch immer passiert ist, wir müssen uns dennoch um das Vorratsproblem kümmern. Ich habe vorhin unsere Position bestimmen können. Wir sind nach wie vor in der Nähe von Rice Island, von wo wir vor kurzem abgelegt hatten. Aber auch Raftel müsste nicht weit sein. Ich schlage vor, wir kehren erstmal nach Rice Island zurück. Die Insel war ja sehr schön und Vorräte bekommen wir dort auch.“

Aufmerksam hatten ihre Freunde gelauscht und nickten nun zustimmend. Selbst Luffy ließ sich diesen Weg ohne Protest vorschreiben, denn Essensbeschaffung war immer ein akzeptables Argument. Zudem beschäftigte ihn das Abhandengekommenseins eines seiner Crewmitglieder innerlich mehr, als es jeder einzelne in der Gruppe auch nur erahnen könnte. Es war nur die Ruhe vor dem Sturm.
 

Zur lauschigen Mittagszeit erreichten sie die seichten Gewässer von Rice Island. In der Ferne zeichneten sich in hellem Taubenblau die ersten Berge der grünen Insel gegen das Azurblau des Himmels ab. Man freute sich an Bord über dieses grüne Eiland, obgleich man sich bei diesem Anblick kaum noch an die Kälte und Dunkelheit der Eiswüste zurückerinnern vermochte. Die Sonne strahlte wie nie und brutzelte den Deckrasen der Sunny derart intensiv, dass es Franky zum Grübeln brachte. Erste unansehnliche braune Stellen von verbrannten Halmen machten sich auf dem Grasflecken breit. Der Zimmermann verschwand mit einem Kopf voller aberwitziger Pläne in seinem Bastelraum, dass es wohl dringend Zeit für eine vernünftige Rasenberegnungsanlage wäre. Die Crew amüsierte sich über diese Konstruktionspläne. Nur Franky könnte auf solch verrückte Ideen kommen. Da waren sie sich allesamt einig.

Mit Ankunft der Zeitungsmöwe sollte sich diese heitere Stimmung ändern. Erst hört man nur ein Keifen einer wütenden Navigatorin und dazwischen ein empörtes Krächzen der gefiederten Flugbotin.

„Verarschen kann ich mich auch allein! Ich will keine Uralte, sondern die Zeitung von heute haben!“ brüllte Nami die Möwe mit hochrotem Kopf an.

Diese aber beteuerte, dass es eine aktuelle Ausgabe wäre und flog beleidigt von dannen nicht ohne im Abflug aus Frust noch einmal auf das Schiffsdeck zu scheißen. Tobende Flüche wurden ihr hintergerufen, doch das alles scherte den weißen Vogel nicht. Sollte die Frau doch schreien. Es gab weit aus nettere Kundschaft. Mit erhobenem Schnabel flatterte sie beleidigt davon, um den nächsten Zeitungsleser ausfindig zu machen.

Nami hingegen stampfte wütend über den vermeintlichen Kaufbetrug hinauf zum Essraum. In ihrer Hand zerknüllte sich das Zeitungspapier.

„Nami-Süße, was erregt dein zartes Gemüt so sehr?“ säuselte Sanji aus der Kombüse herüber.

„Ach, schaut euch das an“, warf sie ihren Freunden sauer an den Kopf. „Die Zeitungsmöwe hat mich reingelegt. Das Käseblatt ist fast ein ganzes Jahr alt!“

„Nö, nur ein Dreivierteljahr“, korrigierte sie Usopp, der das zerknüddelte Etwas sachte mit seinen Händen glättete. Auf seinen Einwand hätte er jedoch lieber verzichten sollen. So kassierte er umgehend eine üble Kopfnuss.

Das Wetter mochte sich nicht entscheiden. Schäfchenwolken und eine flotte Brise machten sich auf. Und so vertröstete man Nami, sich doch einfach eine aktuelle Zeitung auf Rice Island zu besorgen, denn die Brise würde sie schnell zu ihrem Ziel vorantreiben.
 

Der anfängliche Zeitungsfrust wandelte sich jedoch schon bald in ein böses Erwachen, als die Navigatorin gezielt zu den Zeitungsauslagen ging und mit großen Augen feststellen musste, dass auch hier nur das bereits von ihr kürzlich erworbene Exemplar zu finden war. Nachdenklich ging sie wieder an Bord und verkroch sich in die Bibliothek. Sie war derart in ihre Überlegungen versunken, dass sie es vollkommen vergaß es zu bemängeln, dass wieder einmal Vorräte und sonstige Einkäufe von ihren Freunden überall zwischengelagert wurden, wo sie eigentlich nichts zu suchen hätte.

Wiederholt ließ sie ihre Augen über die Titelseite der Zeitung gleiten und fühlte sich in einen Alptraum versetzt. Dann stand sie auf und entnahm dem Regal das Logbuch, welches sie zu diesem damaligen Tag geführt hatte.
 

„15. August 1522

6.00 Uhr: Seegang ruhig, Wetter bei 25°C, sonnig.

12.00 Uhr: Seegang ruhig, Wetter bei 32°C, sonnig. Kurs: 62 Seemeilen vor Bamboo Village.

20.51 Uhr Ankunft auf Bamboo Village.

Besondere Vorkommnisse: Zoro und Chopper sind von Bord gegangen.“
 

„Zoro und Chopper sind von Bord gegangen …“ gab sie diesen einen letzten Satz noch einmal laut murmelnd von sich. Gewohnt neutral sachlich war dieser Satz gehalten, wie es für ein ordentlich geführtes Logbuch typisch war. Zwischen den Zeilen würde niemals jemand von dem großen Streit und den vielen Tränen an jenem Tage damals erfahren. Nur zu gut erinnerte sie sich an ihre aufgewühlten Gedanken, an die Traurigkeit und Verzweiflung, was um alles in der Welt passiert war. Wie hatte es nur so weit kommen können?

Nun aber standen sie wieder an diesem Punkt. Jedoch war die Ausgangslage anders. Sie hielten nicht Kurs auf Bamboo Village und es würde um Choppers Monsterform wohl auch keinen Streit geben. Aber Zoro war wie damals weg. Dafür war nun Tashigi da.

„Tashigi…“, schnaufte Nami leise grollend. Warum fuhr dieses Weib eigentlich mit? Klar wusste sie um Luffys Entscheidung und die Sachzusammenhänge. Aber es ging mehr um den Gedankengang, weshalb es ihr selbst ein Dorn im Auge war. Wenn sie genau darüber nachdachte, gab es eigentlich keinen Grund. Aber das ließ die Navigatorin nicht gelten. Vielleicht lag es einfach daran, dass diese Frau zur Marine gehörte und eine Feindin war, obgleich Tashigi niemals eine ernsthafte Bedrohung für die Bande dargestellt hätte. Sie war zu einfach gestrickt und tollpatschig, um jemals gefährlich hätte werden können. Aber das hätte Frau Leutnant eh niemals gewollt, denn es ging ihr eh immer nur um die Privatfehde mit Zoro. Den hatte sie ja nun wie auch immer auf ihre ganz eigene Art und Weise besiegt. Es war für Nami unvorstellbar, dass ausgerechnet jemand wie Tashigi den Schwertkämpfer so herumbekommen konnte. Ausgerechnet Zoro, der doch immer so unerschütterlich schien.

Es knackte zwischen Namis Zähnen und der Bleistift, den sie gedankenverloren bekaut hatte, gab dem Druck ihrer beider Kieferknochen nach. Sie erschrak darüber, denn sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie auf dem Schreibwerkzeug herumgekaut hatte.

Seufzend betrachtete sie die zernagten Überreste des Stiftes und wischte ihn mit einem Taschentuch trocken. Es war genau der passende Zeitpunkt, dass Robin in die Bibliothek trat, um einen Stapel Bücher wieder ins Regal zu sortieren.

„Robin? Glaubst du an Zeitreisen?“ sprach sie die Archäologin nachdenklich in der Hoffnung an, ihre abstrusen Gedanken bestätigt zu bekommen.

„Zeitreisen? Wie kommst du darauf? Nun, physikalisch ist es unmöglich. Doch seit wir mit den Prismenträgern und Kali-Kindern in Berührung gekommen sind, denke ich schon, dass vor uns noch ein weites Feld an Möglichkeiten liegt.“

Robin gab sich wieder immer lässig und ruhig. Nami bewunderte sie dafür, stets so ruhig und ausgeglichen sein zu können. Robin erklärte alles immer von einem rein wissenschaftlichen Standpunkt her. Und es klang jedes Mal so verständlich simpel, als wäre es das Natürlichste auf der ganzen Welt. Wie sollte man sich da Sorgen machen?

„Die Zeitung ist echt. Wir haben einen Zeitsprung gemacht zu dem Tag hin, als Zoro und Chopper gegangen sind. Meinst du, die Geschichte wiederholt sich? Sind wir nun in einem ewigen Kreis von Wiederholungen gefangen?“ gab Nami zurück.

Die Wissenschaftlerin dachte kurz nach.

„Hm, das ist höchst spannend. Aber wie könnte sich nun die Geschichte wiederholen? Die Ausgangslage ist eine ganz andere als damals. Es liegt an uns selbst, eine neue Zukunft zu gestalten.“

Die beiden Frauen diskutierten noch eine Weile über das neue Thema. Es tauchten neue Fragen auf, ob nur sie allein oder die ganze Welt zurückversetzt worden war und wer dahinter stecken könnte. Doch sie fanden kein befriedigendes Ergebnis und so wurde beschlossen, dass nun doch einmal Tashigi befragt werden müsste. Gleich sofort auf der Stelle.
 

Es passte sich, dass sich die ganze Crew zum Nachmittagssnack versammelte. Die Navigatorin ergriff augenblicklich das Wort und berichtete breit über die neue Situation. Eingehend ließ man sich hitzig über die Zeitreise aus. Über das Warum und Wieso. Und überhaupt. Stumm hatte Tashigi die Debatte verfolgt, doch innerlich bebte sie und Tränen standen ihr in den Augen.

„Ja, ihr habt in vielen Punkten recht“, begann sie mit gezwungen fester Stimme zu reden. Sie zitterte am ganzen Körper.

„Reg dich nicht auf, Tashigi! Denk an die Babies!“ wollte Chopper sie abhalten. Aber gewisse Dinge mussten zu gewissen Zeiten einfach gesagt werden.

„Zoro wollte nicht, dass wir im Eis versinken. Er wird nicht gewusste haben, wohin die Reise geht. Ich weiß auch nicht, wo er nun ist. Aber das ist mir egal. Er ist weg!“

Damit stand sie auf und ging. Draußen vor der Tür rutschte sie an der Wand herab und heulte sich dort platziert aus. Sie zitterte immer noch am ganzen Leibe, fühlte sich hilflos und leer.

„Und nun?“ hörte sie eine ruhige männliche Stimme.

Tashigi sah auf und starrte in Luffys verschlossenes Gesicht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihr folgen würde. Nun stand er dort mit den Händen in den Hosentaschen und gesenktem Haupt, wie er es immer machte, wenn er eine ernste Lage überdenken musste.

„Ich werde gehen. Ich habe euch schon zuviel Ärger gemacht und das Piratenleben ist nichts für kleine Babies. Vielleicht haben nur wir einen Zeitsprung gemacht und ich könnte in Loguetown wieder meinem alten Job bei der Marine nachgehen. Dann wären die Kinder versorgt und sicher. Und ihr könnt weiter das One Piece suchen“, überlegte sie laut plappernd.

„Ohne Zoro kommen wir nicht zum One Piece. Ich hätte erwartet, dass er mir seine Entscheidung mitteilt“, kam es nur kurz angebunden. Doch Tashigi hörte in seinem Tonfall eine große Wut. In ihrer Trauer war es ihr noch nicht in den Sinn gekommen, dass die Strohhutbande ohne einen Hanyô bei der Suche aufgeschmissen war. Sie hatte nur über sich und ihre eigene Zukunft nachgedacht. Doch nun fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, dass ihr Freund seinen Kapitän mal eben mir Nichts, dir Nichts in einer anderen Dimension ausgesetzt hatte. Ohne Erlaubnis, Nachfragen und ganz eigenmächtig und eigennützlich. Das würde Luffy wohl kaum verzeihen und verschmerzen können.

„Ja, das stimmt. Ich war dumm und habe nicht nachgedacht. Es tut mir leid“, sagte sie kleinlaut.

„Schon in Ordnung. Ist es wirklich dein innigster Wunsch zu gehen? Wir werden uns vielleicht so schnell nicht wiedersehen. Du wirst dann wieder auf Seiten der Feinde stehen.“

„Nein, es ist nicht mein innigster Wunsch. Es ist für uns alle die derzeit komfortabelste Lösung. Es muss so sein. Ich bitte um Erlaubnis, die Crew verlassen zu dürfen, Captain.“

Beide schwiegen. Der Wind wehte sanft übers Deck und bewegte die Grashalme. Er spielte mit den Haaren und der Kleidung und gab der Szene eine lange Atempause.

„Dann muss es wohl so sein. Wir werden dich nach Loguetown bringen.“ Damit wandte sich der Strohhutjunge zum Gehen.

„Danke, Luffy.“

„Kein Problem.“
 

Chopper brach an diesem Tage zum zweiten Mal in Tränen aus. Beim ersten Mal beweinte er den Tatbestand, seine gepflanzten Blumensamen niemals blühen zu sehen, denn die wären ja nun weit seiner Zeit voraus. Und beim zweiten Mal vergoss er viel Augenwasser über Tashigis zukünftigen Weggang. Zwei Nakama in so kurzer Zeit? Das ging nun wirklich nicht.

Auch Heulsuse Usopp stimmte in die Weheklagen des Rentiers mit ein und selbst die restliche Mannschaft bedauerte sehr ihren Abschied. Aber nichts konnte Tashigis Entschluss ändern.

Man versprach sich, in Verbindung zu bleiben, denn wozu gab es sonst die Teleschnecke, um sich irgendwann einmal wiederzusehen.
 

Gute zwei Wochen später sollte der Abschied an den Kaimauern von Loguetown noch tränenreicher enden. Lange stand die ehemalige Marineangehörige da und sah dem Schiff nach, bis es hinter der Horizontlinie verschwand. Nur zwei Seesäcke voller Habseligkeiten, ein Babybauch und Zoros Schwerter um die Taille gebunden erinnerten an ein großes, langes Piratenabenteuer.

Für die Sunny und ihre Besatzung ging das Abenteuer auf der Grandline weiter und man wartete gespannt auf die Entdeckung, ob sie nun Brook am Reverse Mountain antreffen würden oder nicht.

Luffy hatte sich in den Kopf gesetzt, One Piece zu finden: Mit oder ohne Zoro. Dann würde das Abenteuer eben noch länger und noch spannender werden. Ein schwacher Trost, aber immerhin.
 

Wie lange sie hier gestanden haben musste, vermochte Tashigi später nicht mehr zu sagen. Jedenfalls hatte die Sunny gegen Mittag in dieser ruhigen Ecke des Hafengeländes abgelegt und nun warfen die Lagerhallen entlang der Kaimauer bereits lange Schatten. Ein gewisses Zeichen dafür, dass schon einige Stunden zum Abend hin vergangen waren.

Sie riss sich aus ihren Gedanken und sah sich um. Die Gegend war verlassen. Staub wirbelte von der Hafenstraße auf, wenn man darüber lief. Die Luft war schwülheiß und stickig. Am Wochenende eines heißen Spätsommertages kam hier gewöhnlich niemand vorbei, daher hatte sie diesen Platz zum Anlegen auch mit bedacht ausgesucht.

Nun aber war sie wieder allein. Nur das Möwengekreische und das seichte Schlagen der Wellen an die Kaimauer unterbrach die Stille. Sie war wieder zuhause in ihrer Heimatstadt. Hier hatte das Abenteuer begonnen und jetzt schien es hier wieder zu enden. Loguetown, die Stadt, wo alles beginnt und endet. Tashigi lachte laut auf, als ihr dieser Gedanke kam. Sie wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Eine Heimkehr sollte Frohsinn und Glück verstrahlen, doch davon war sie weit entfernt.

Langes melancholisches Dahinschwelgen brachte nichts. Sie schulterte unbeholfen die beiden schweren Seesäcke und machte sich langsam auf den Weg zur Innenstadt. Die feuchte Hitze war drückend und schon bald lief ihr der Schweiß in Strömen vom Körper herab. Schweißflecke zeichneten sich auf ihrer Kleidung ab und ließ sie störend auf der Haut kleben.

Wohin sollte sie nun gehen? Wusste man hier von der Vergangenheit oder würde alles so sein wie früher? Das galt es als erstes herauszufinden. Erschöpft steuerte sie ein kleines Café an, bestellte eine große kühle Schorle und beobachtete das Geschehen. Sie dachte nach. Letztes Mal um dieses Datum herum war sie mit Smoker noch auf Mission. Sie waren in das gerade neu aufgebaute Marinehauptquartier geordert worden, um ihre Befehlsunterlagen für das kommende Jahr abzuholen. Dann brach die Sensation von Luffys Verhaftung durch und so bekamen sie letztendlich den Auftrag, die Seesteinkisten nach Loguetown mitzunehmen.

Sie würde sich also etwas Gutes einfallen lassen müssen, wenn sie sich hier wieder allein auf der Marinestation zurückmelden würde.

Tashigi blätterte in den ausliegenden Zeitungen und studierte die Anschläge und Steckbriefe an den Hauswänden. Nein, von Luffys zukünftiger Hinrichtung war nirgends etwas zu entdecken. Die Geschichte hatte sich demnach also verändert, denn die Strohhüte waren nicht wie damals nach Raftel gesegelt, sondern hierher.

„Leutnant Tashigi! Sie sind schon wieder zurück? Ist Admiral Smoker auch wieder auf der Station?“

Eine vorüber ziehende Patrouille hatte sie dort am Tisch sitzend entdeckt. Trotz der Hitze spürte Tashigi, wie es ihr nun noch heißer wurde. Schnell brauchte sie eine Idee. Smoker war also noch nicht da? Da ließ sich doch etwas daraus stricken.

„Ja, ich bin früher zurückgekehrt. Admiral Smoker hat noch eine Sondermission zugeteilt bekommen. Das kam sehr überraschend“, log sie mit hochrotem Kopf, welchen man auch auf die Hitze zurückführen konnte. Die Soldaten schöpften keinen Verdacht. Immerhin kam die Aussage von einer Vorgesetzten und so was zweifelte man nicht an. Sie ließen sich von Tashigi befehlen, die schweren Seesäcke zu schleppen.

„Das ging ja doch recht einfach“, dachte sich Tashigi verwundert und freute sich insgeheim über ihre Blitzidee, ihr Gepäck nicht mehr selbst tragen zu müssen. Lediglich die Schwerter hielt sie fest umklammert in den Fäusten.
 

Schnell kam das Trio voran. Die Straßen waren leer. Dafür sammelten sich Passanten in Straßencafés oder unten in der großen Badebucht am Meer.

Es waren die letzten Tage eines Sommers und die wollte man genießen, bevor die ersten Herbststürme wieder die dunkle und nasse Jahreshälfte einläuteten. Es gab wohl kaum einen Ort auf der Welt, wo die Jahreszeiten so bilderbuchhaft wie hier auf Loguetown waren. Zwar war diese Insel vom Stadtgebiet überbaut, jedoch gab es noch viele kleine Ecken Natur zu bewundern.

Während Tashigi noch einigen Träumen hinterherhing, hatte sie nicht bemerkt, dass sie plötzlich vor dem Marinequartier standen. Nichts hatte sich verändert. Alles war so wie damals, als sie gegangen war. Nun ja, es war ja auch „damals“.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“ erkundigte sich einer der beiden Soldaten, der sich über das Stehenbleiben seiner Vorgesetzten vor dem Gebäude wunderte.

„Hm? Ähhh, nichts. Mir war nur nie aufgefallen, wie sanierungsbedürftig doch die Stationsfassade ist“, log diese noch einmal und unterstrich nun die Verwunderung der Soldaten. Zwar war es richtig, dass die Station eines der schäbigsten Gebäude der Straßenzeile war, aber seit wann interessierte sich jemand für die Station? Tashigi beachtete die beiden nicht weiter, ließ sie kommentarlos stehen und betrat den Empfangstresen.

„Soldat, teilen sie der Mannschaft mit, dass Punkt 20 Uhr eine Besprechung im Mannschaftsraum stattfindet. Es herrscht Anwesenheitspflicht“, befahl sie dem wachhabenden Offizier.

„Jawohl, Frau Leutnant!“ salutierte dieser zurück.

Ihr Magen knurrte und ein Blick auf die große Uhr in der Wachstube ließ sie hoffen, noch einen Rest vom Abendbrot in der Kantine ergattern zu können.

Bei Saté-Spießen mit Reis ordnete sie ihre Gedanken und legte sich eine Taktik zurecht. Sie hatte noch eine gute Stunde Zeit bis zu der Versammlung. Da musste nun jede Handlung wohl überlegt sein, um keine Aufständler in den eigenen Reihen zu haben. Smoker fehlte und nun wäre sie selbst die Befehlshabende. Doch das musste der Mannschaft erstmal verklickert werden und es war auch nicht unbedingt ein Traumjob, über diese Truppe zu regieren. Loguetowns Truppe war eine Mannschaft der ewigen Nörgler. Schichtzeiten waren ihnen nicht recht, die Bezahlung war ihnen nicht recht, die Teambildung war ihnen nicht recht, ... Was war denen überhaupt recht? Zwar führten sie ihre Befehle aus, jedoch konnte es Nerven kosten. Es war Smokers souveränes Auftreten gewesen, welches diese bockige Truppe in der Vergangenheit gelenkt hatte.

Da fiel Tashigi auf, dass sie wohl kein gutes Auftreten hätte, wenn sie in ihrem aktuellen Zustand vor der Mannschaft stünde. Sie war verschwitzt, mit Staub bedeckt und die Haare zerstrubbelt. Ein Duschbad war dringend von Nöten.

Vielleicht war es am einfachsten, die Verantwortung abzuschieben. Ja, das war das Beste. Dazu müsste sie nur ein paar Faxe an das Marinehauptquartier schicken. Sollten die sich doch einen Kopf über ihre Truppen machen.

Gesättigt und gestärkt ging sie zurück in die Wachstube, kramt ordnungsgemäße Formulare hervor und machte sich ans Ausfüllen. Die Marine war auch nichts anderes als ein Amt. Da kam man bei den Formularen und Anträgen nicht herum, mindestens zu jedem Blatt drei Durchschläge anfertigen zu müssen. Ein Tatbestand, denn sie auf der Sunny nie vermisst hatte und ihr jetzt als ziemlich leidliche und stupide Arbeit vorkam. Das Teleschneckenfax ächzte unter den vielen Seiten, die übertragen wurden: eine Rückmeldung, dass sie ihren Posten wieder bezogen hatte, eine Anfrage, wer die Station leiten sollte und eine Mitteilung über ihre Schwangerschaft.

Während sich die Teleschnecke abmühte, sprang Tashigi unter die Dusche, nur um schon kurze Zeit später frisch gewaschen und gebügelt ihrem zukünftigen Mannschaftshaufen zu eröffnen, dass es hier nun einen neuen Führungsstil geben würde, bis Smoker wieder auftauchte.

Zwar nickte die Truppe und bestätigte diese Entscheidung mit einem „Jawohl, Frau Leutnant.“, aber das Grinsen in den Gesichtern deutete auf einen schweren Start hin. Man würde sehen müssen.
 

Loguetown war nicht allein die Stadt, in der alles begann und alles endete. Erst seit Goldrogers Ära haftete dieser Zweitname der Insel an. Doch schon viel früher wurde sie auch die „Insel der Farben“ genannt und man erfreute sich an den malerischen Jahreszeiten. Kaum nirgends hatte eine Insel ein so ausgewogenes Klima wie diese, so dass hier nicht nur auf Grund der günstigen Lage zur Grandline ein reges Handelszentrum sich etabliert hatte, sondern sie mittlerweile auch ein starker Touristenmagnet war.

Als Tashigi heimkehrte, war der August mit seinen langen, heißen Sommertagen gerade am Gehen. Er nahm die heftigen Hitzeunwetter und scheppernden Nachtgewitter ebenso mit sich wie all die vielen Badeurlauber, die sich unten in der großen Badebucht tagtäglich um jedes Sandkorn gestritten hatten. Gleichermaßen gingen die Strandkorbvermittler, die Eisverkäufer und die Souvenirladeninhaber davon. Man wollte die kleinen Strandbüdchen und Molen von Badeurlaubserinnerungen befreit haben, bevor der Herbst neue Kundschaft mit sich brachte.

Der Herbst hatte wie je her die Farben Orange, Braun und Gelb. Nachts wurde es nun schon bitterkalt. Die ersten Winde kündigten die stürmischen Regenwochen an. Sie spielten mit den bunten Blättern der Bäume und ließen sie in wilden Pirouetten umher tanzen. In den kleinen Wäldern tobte die Jagdsaison durchs Dickicht und zertrampelten die Pilzernte der wandernden Hobbysammler. Kinder sammelten Kastanien und Bucheckern. Das bunte Papierdrachenfest war ein Höhepunkt dieser Jahreszeit, welche mit dem Laternenfest ausklang. Der November brachte dann mit seinem Grau die große Traurigkeit und gab den Weg für die Nebelsuppe frei, die jede letzte Fröhlichkeit verschluckte.

Und plötzlich wurde alles weiß. Der Winter hatte mit seinem ersten Schneefall die letzten Nebelfelder des Herbstes vertrieben. Die Kälte klirrte förmlich und sollte über den Jahreswechsel sogar einen neuen Temperaturrekord aufstellen.

Tashigi träumte über ihren Teetassenrand hinweg hinaus durch das Fenster, wo leise dicke Schneeflocken zu Boden fielen. Es war ein Vorteil, nun die meiste Zeit in der Marinestation am Schreibtisch verbringen zu dürfen. Sie mochte nicht mehr durch die glatten Straßen auf Streife gehen. Der Herbst war zum Spazierengehen wunderschön gewesen, doch nun zum eisigen Winter war damit Schluss. Im neunten Monat der Schwangerschaft fiel ihr alles schwer. Jede Drehung und jede Bewegung wurde durch den kugelrunden Bauch beeinträchtigt. So langsam hatte sie keinen Lust mehr, schwanger zu sein und sehnte den Tag der Entbindung herbei.

Klatsch! Ein Schneeball haftete an der Fensterscheibe und draußen verflüchtigte sich Kinderlachen.

Das Geräusch riss Tashigi zurück in die Realität. Wie ihre beiden Kinder wohl werden würden?

Nur noch eine knappe Stunde bis Dienstschluss. Es sollte dann der letzte Dienst sein, den sie vor ihrem Mutterschutz antrat. Vor ihrer großen Reise hatte Tashigi es nie verstanden, warum sich Leute auf den Dienstschluss freuten. Nun wusste sie es: Es gab ein Leben außerhalb der Arbeit. Sie sehnte sich nach dem Leben auf der Sunny. Regelmäßig ging sie mit der Angst zu einer abgelegenen Telefonzelle. Die Angst, abgehört und verraten zu werden. Es waren lange Gespräche und Tashigis Geldbeutel wies regelmäßig zur Monatsmitte eine gähnende Leere auf. Die Berry-Taler rasselten förmlich durch den Münzapparat. Hängte sie dann schweren Herzens den Hörer in die Gabel, fühlte sie sich leer und verbraucht. Obgleich sie in Loguetown aufgewachsen war und wie ihre Westentasche kannte, hatte sie es all die Jahre versäumt, ein soziales Netz von Bekannten und Freunden aufzubauen. Sie war mit ihrem Job verheiratet gewesen, der sie ausgefüllt und gleichermaßen für die Schönheit der Welt erblinden lassen hatte. Vielleicht war es Zeit für eine Scheidung?

Sie haderte bei diesem Gedanken. Von was sollte sie leben? Ein Sprichwort sagte: „Kommt Zeit, kommt Rat.“ Tashigi schien es, als würde die Zeit gegen sie laufen. Bald hatte sie zwei kleine Kinder, die ebenfalls sicher und behütet versorgt werden wollten.

Schnell ordnete sie Akten und Berichte vom Schreibtisch weg. Akribisch verfolgte sie nun seit Monaten jede Meldung über Straftaten, die aus dem Teleschneckefax direkt vom Hauptquartier ins Haus flatterten. Doch so sehr sie, auch die Nachrichten durchforstete, sie fand keinen Hinweis über den Verbleib von Zoro oder Smoker.

Doch nun machte sie etwas stutzig als sie eine Überschrift auf einem der Faxe las.

„Schon wieder so was“, dachte sie. Es war nicht die erste Nachricht mit derart mysteriösem Inhalt gewesen. Es hatte ihre Neugier geweckt und daher war schon ein dicker Ordner mit diesem Thema angelegt worden.

Es klopfte an der Tür und vollkommen überrumpelt zerknüddelte Tashigi das Stück Papier und ließ es eilig in der Tasche verschwinden.

„Herein!“ rief sie.

Ein Mann mittleren Alters trat ein.

„Melde mich zur Wachablösung, Frau Leutnant!“ salutierte der Soldat gleichen Ranges wie sie selbst. Er war ihre Schwangerschaftsvertretung frisch eingeschifft aus einer entfernten Basis einer Westblue-Insel. Seine Akte las sich passabel und die Übergabe alle Unterlagen verlief reibungslos.

Für Tashigi blieb nun nichts mehr zu tun, als ihre letzten sieben Sachen zusammen zu suchen und zu gehen. Noch ein letztes Mal ging sie die Treppe nach oben, in ihr altes Zimmer, welches nun gespenstisch verwaist war. Nein, hier hielt sie nichts mehr. Viele Erinnerungen lasteten auf diesem Ort. Ihre Augen suchten den dunklen Ascheflecke, den einst Zoros Kohle geschwärzten Haare hinterlassen hatten. Doch diesen Abdruck würde die Wand nie zu spüren bekommen. Es war einfach der falsche Zeitstrahl. Leise ließ sie hinter sich die Tür ins Schloss fallen.

Ein kleines Zimmer in einem anderen Stadtviertel würde nun zukünftig ihr zuhause sein. Liebevoll hatte sie sich von ihrem wenigen Lohn Möbel gekauft und es hübsch eingerichtet. Warme Farbtöne strahlten von den Wänden. Es sollte keinen Grund zum Trübsal blasen geben.
 

Es war nur einige Tage später, als die Hebamme sich in der dunkelsten Nacht und im übelsten Schneegestöber einen Weg zu Tashigi bahnen musste. Vermutlich war es die finsterste und scheußlichste Nacht, die Loguetown je erlebt hatte. Der Teufel persönlich hatte Ausgang und er feierte es ausgelassen.

Nie zuvor war in den Stadtchroniken solch eine Nacht verzeichnet worden, wo sich Unglücke häufte, Häuser in Flammen aufgingen, Alte und Kranke verstarben und viele Einwohner von schlimmen Magenkrämpfen heimgesucht wurden.

Man bettelte und betet um das Ende dieser Nacht, doch die Sonne schien von der Nacht gefressen worden zu sein. Selbst Mond und Sterne waren nie dagewesen.

„Ein großes Unglück ist passiert“, murmelte die alte Serafina, mischte ihre Karten und putzte ihre Kristallkugel. Sie hatte panisch ihr Zelt verlassen, sich in der nächstbesten Kneipe verschanzt und nervte nun die verängstigten Kneipengänger mit einer Endzeitlegende.

„Der Gott der Sonne“, sagte sie. „Der Gott der Sonne braucht ein Opfer. Sonst wird sie nie wieder scheinen. Er hat sonst keine Kraft, um sich aus der Umarmung der Mondgöttin zu befreien.“

Dabei sah sie sich nach Freiwilligen um, doch niemand konnte verständlicher Weise für diese große Aufgabe gefunden werden und so warf man die alte Wahrsagerin letztendlich aus der Trinkstube.

Diese zeterte, lachte dann aber schrill und triumphierend, als dann doch eine erste Dämmerung am Horizont auszumachen war.

„Ja, es hat sich jemand gefunden!“ lachte sie laut.

Nahe Einwohner schüttelten nur den Kopf und erklärten sie für verrückt. Sie sollten nicht ahnen können, ob nun Legende hin oder her, dass ein junges Leben schon endete, noch bevor es begann.
 

Es hätten zwei Mädchen werden sollen, doch es wurde nur ein einziges kleines Baby. Geschafft von den Geburtsstrapazen, und innerlich zerrissen, beweinte Tashigi bitterlich mit ihrer Tochter im Arm den Tod deren kleiner Schwester. Die Leere und Einsamkeit in ihrem Herzen rissen die Wunde noch größer und tiefer. Nein, es gab keinen Halt mehr vor dem Fallen. Sie versank ins Nichts und Endlosigkeit. Fortan quälte sie die Depression mit Gleichgültigkeit und Heulkrämpfen. Sie wollte nichts mehr von allem, weder Marineangehörige, noch Pirat, noch Mutter sein.

Hinzugezogene Therapeuten verzweifelten an ihrem Zustand und hinter vorgehaltener Hand munkelte man darüber, ob es nicht besser wäre, zum Wohle des Kindes zu entscheiden. Eine Pflegefamilie wäre sicher ein geborgener Platz für so ein süßes kleines Mädchen.

Als Tashigi davon Wind bekam, schlug ein Schalter in ihrem Kopf um. Wochenlang hatte sie in einem seelischen Koma gesteckt und ihr Leben wie in Trance abgearbeitet. Alles hatte sie verloren. Und nun sollte auch Taiyoko gehen?

„Taiyoko, du bleibst schön bei Mama,“ sprach sie zärtlich zu ihr.

Taiyoko, das Sonnenmädchen.

„Du sollst nie traurig sein!“ versprach die junge Mutter dem kleinen Fratz, der gerade die Augen öffnete und neugierig in das Gesicht der Mama blickte. Es war ihr fremd, dass Mamas Gesicht lächelte. Und ganz plötzlich und unerwartet lächelte Taiyoko zurück, als hätte sie die Botschaft verstanden.

Sie stillte die Kleine, wickelte sie und packte sie dick und warm ein. Die dunklen Haare verschwanden unter einer Wollmütze.

„Wir fahren deine Schwester besuchen“, erklärte Tashigi. Und die Kleine, sichtlich begeistert von der frischen Aktivität, beäugte zufrieden den Kinderwagen, auch wenn sie kein Wort verstand. Doch der neue Klang in Mamas Stimme war wundervoll und machte Spaß.

Draußen vor der Tür spürte Tashigi erst, wie mild es nun bereits geworden war. Der März ging zu Ende. Tauwetter und große Pfützen beherrschten das Straßenbild. Die Kirschbäume warteten nur auf den Startschuss, den Frühling einzuleiten. All das war in der Zeit der Trauer an ihr vorübergezogen.

Es matschte und klatschte unter ihren Füßen und der Kinderwagen ließ sich nur schwer durch den Schneematsch schieben.

Es war nicht weit bis zum Stadtfriedhof. Unschlüssig blieb sie vor dem Tor stehen. Sie hatte das tote Mädchen Tsukiko genannt. In der Nacht, als es sich in der Nabelschnur verfing und verstarb, hatte der Mond die Nacht verlassen. Daher fand Tashigi den Namen „Mondmädchen“ passend. Tsukiko würde immer in ihren Gedanken sein, auch wenn man sie nie sehen würde. Gleichsam wie damals den Mond in der finsteren Nacht.

Tief atmete Tashigi durch und schritt durch das Tor. Unter den Kirschbäumen lag sie begraben. Diese blühten hier schon und die ersten Blütenblätter segelten in der weichen Brise des Meeres hinab wie große Schneeflocken. Bald würde man das Grab unter den Blättern nicht mehr sehen können.

Tashigi kamen die Tränen. Es war zu kitschig schön, um wahr zu sein, wie die Blüten das Grab weich umhüllten und beteten.

Es sollten vorerst die letzten Tränen sein. Der Frühling war da. Es könnte ein Anfang sein.

59 - Raftel

So musste es sein, wenn sich ein Kreis schloss. Man sagte im Allgemeinen, der Anfang wäre dunkel. Das Ende ebenso.

Ein einziger Funke einem Glühwürmchen gleich flammte kurz auf, gab einzelne Konturen frei und ließ sich dann beim Erlöschen wieder von der Dunkelheit verschlucken. Der graue Admiral paffte perplex an seiner Zigarre. Allmählich und mit viel Ruhe spulte er die vergangenen Bilder in seinem Kopf immer wieder und wieder ab, nur allein um zu verstehen, was in den Augenblicken davor geschehen war.

Eiskalt war es gewesen. Und finster. Schon seinem Schicksal ergeben, war er umhergequalmt und hatte seinen nahenden Erfrierungstod akzeptiert. Beinah wären ihm die Augen aus dem Kopf gekullert, als er diesen Grünhaarigen im Eis erspähte. Jeden hätte er antreffen können. Jeden! Aber ausgerechnet Roronoa Zoro lag da weit vor ihm wie ein Käfer auf dem Rücken und alle Viere von sich gestreckt mitten auf dem blanken Eis, als gäbe es nichts wichtigeres als dort ein gemütliches Nickerchen zu halten. Oder war er einfach nur tot?

Langsam näherte sich der Raucher dem Entdeckten. Nein! Der Pirat lebte. Smoker fühlte sich in seiner These bestätigt, dass Piraten wie Unkraut gedeihen würden. Man könnte sie stets ausreißen, aber nie vernichten. Sie keimten und gediehen immer und ewig. Schlug man einen tot, kamen mindestens gefühlte hundert von dieser Spezies nach. Die Piratenjagd war ein Fass ohne Boden, doch irgendwann fand jedes Fass einmal seinen passenden Boden. Davon war er überzeugt.

Das gefundene Objekt musste genauer betrachtet werden.

Und dann waren dort diese grünen Funken. Sie tanzen empor und strebten engelsgleich dem Himmel entgegen. Dort verblassten und verglimmten sie.

„Ach, so einer bist du also. Nun wird mir einiges klar“, dachte der Admiral bei sich. „Eines von diesen Kalikindern, von denen man immer in den geheimen CP-Akten liest.“

Die Erkenntnis fürs erste bei sich behaltend, hatte sich dann letztendlich Smoker dem dort Liegenden genähert.

Nur wenige ausgetauschte Sätze später waren sie zum Ringporneglyph marschiert. Die Kombination war gut. Smoker wusste den Weg und Zoro war der Schlüssel. Zumindest wurde es so von den Hanyôs behauptet, dass sie der Schlüssel zu irgendetwas wären.

Inmitten des Ringporneglyphes stoppte der Marsch.

Ab dann wurde es bizarr, als dem Admiral nicht mehr klar wurde, warum Zoro irgendwelche Notizen aus einem zerfledderten Heft las. Plötzlich drehte sich die die Welt um sie herum, als würden sie im Auge eines Tornados sitzen und als dann plötzlich der Pirat „Stopp!“ brüllte, war es schwarz geworden.
 

Es müsste das Ende sein, doch dafür war es zu realistisch. Smoker spürte einen harten Steinfußboden unter seinen Gliedern. Es war windstill und auch die Kälte schien weit außerhalb dieses Ortes zu liegen.

Smoker beschloss, dass es Zeit für mehr Licht als nur das Glimmen seiner Zigarre war. Er zog kräftiger daran und erspähte in der Kürze des Aufflammens eine einsam verlorene Fackel in der Nähe. Mit einem Raucharm holte er sie zu sich und entzündete sie.

Tatsächlich war dieses ein Gebäude, wie im flackernden Schein der Flamme gewahr wurde. Es mochte wohl ein Turm oder ein Treppenhaus aus großen grauen Steinquadern sein. Wie ein Schneckenhaus wendelte sich die Treppe an den Außenmauern nach oben in unbekannte Höhen. Der Lichtschein reichte bei weitem nicht, um über seinem Kopf hoch oben eine Raumdecke ausmachen zu können. Dazwischen lagen Stockwerke, die man nur durch große Rundbögen in den Wänden hindurch erahnen konnte. Da es jedoch in direkter Nähe nirgends ein Fenster zu geben schien, war zu vermuten, dass hier unten am Fuße des Gebäudes die Katakomben sein müssten.

Es sollte weniger die Neugier, als der Drang nach irgendeiner Tat gegen die Langeweile gewesen sein, was ihn letztendlich von seinem Sitzplatz hinweg zog. Jemand wie er, der allem Anschein nach nichts mehr zu verlieren hatte, war frei zu tun und zu lassen, was er wollte. Das Schicksal des Piraten interessierte ihn nicht sonderlich. Dieser lag gekrümmt über seinem Notizheft komaartig schlafend unmittelbar vor ihm und zeigte nicht ein Minimum an Bewegung.

Also war er los gequalmt. Beständig und lautlos wie heraufziehender Nebel erklomm er Stufe um Stufe und nahm jedes Stockwerk in Augenschein. Jede der Etagen verlor sich in einer Vielzahl an Gängen und Räumen, die irgendwann allesamt an ihre örtlichen Außengrenzen stießen. Schnell wurde dem Entdecker klar, dass er, abgesehen von dem Piraten unten im Kellergeschoss, absolut allein war. Diese gesamte Turmanlage mit verwinkelten Nebengebäuden war dem Fels mühselig geraubt und von den Bewohnern später verlassen worden. Es gab nicht ein einziges vergessenes Möbelstück, nicht mal einen einsamen Nagel in der Wand, der nähere Auskunft über den Verbleib der einstigen hier Lebenden geben konnte. Hier und da verlor sich die ein oder andere abgebrannte Fackel in den Fluren.

Die Entdeckungstour endete obig in der Turmspitze, von der aus man die sehr übersichtlich kleine, karge Insel aus massivem Fels gut betrachten konnte. Von weitem vermochte man nur blanken Stein erkennen zu können. Doch aus der Nähe entdeckte man überall im Gestein Kuppeln, Weg, Balkone, Gärten und so manches architektonisches Allerlei. Dort oben auf der Turmbalustrade verweilte er und dachte wieder einmal über das Denken nach. Es führte nach einer gefühlten Ewigkeit dazu, dass diese Insel, sollte sie tatsächlich Raftel heißen, eine ziemliche Enttäuschung war. Mythen und Halbwissen puzzelten sich zusammen, dass angeblich dieser Ort die Antwort auf alle Fragen von höchster kultureller Bedeutung wäre. Sogar One Piece sollte hier versteckt worden sein. Aber diese gesamte Insel war wie leergefegt. Entweder war schon jemand hier gewesen und hatte das Rätsel gelüftet oder es musste noch etwas mehr dahinter stecken.

Obgleich Smoker in der Marinenahrungskette recht weit unten stand, schlüpften immer mal Informationen durch das viel zu große Netzwerk des Verwaltungswasserkopfs auch in die hintersten Winkel der kleinsten Marinestation. Was waren da nicht alles für Geheimakten über seinen Schreibtisch durchgeflutscht. Viel gab es da zu lesen. Selbst eine interne Cipherpol-Einheit war mit dem Thema Raftel und deren mysteriösen Kali-Kindern beschäftigt worden. Man sollte herausgefunden haben, dass Raftel die Heimat dieser Kinder wäre. Wie nannten sie sich doch gleich in ihrer Sprache? Hanyôs. Vieles sagte man ihnen nach, aber wenn Smoker so an den Schwerstkriminellen einige Stockwerke tiefer dachte, bezweifelte er doch arg, dass Zoro all diese Eigenschaften zu erfüllen vermochte. Der mochte zwar nicht blöde sein, aber eine Intelligenzbestie war der freilich auch nicht. Zudem galten alle Hanyôs als ausgerottet, obwohl sicher der eine oder andere Abkömmling ohne es zu ahnen auf dieser Welt existieren könnte. Vielleicht war der Grüne auch so ein allerletztes Exemplar aus dem Tal der Ahnungslosen.

Der Admiral wollte sich von all diesen Spekulationen heraushalten. So etwas interessierte ihn nicht sonderlich. Mythologie war eine Wissenschaft für Verrückte und Spinner. Und so besann er sich auf die für ihn weit spannendere Fragestellung, wie es nun weitergehen würde.
 

Ein leichter Nebel aus schwefligem Gelb und blutigem Rot umhüllte die schwarze Insel. Das Wasser klatschte unruhig ölig gegen den Fels und dröhnte in den Ohren. Es war schwer zu sagen, ob es die Farbe von bleiernem Grau oder eher von nächtlichem Blau stammte. Vieles hatte der Qualmer schon gesehen, doch diese surreale Kombination war auch ihm neu. Als hätte ein Künstler seine Ölfarbenpalette vermengt auf den Horizont geklatscht. Und obgleich der Farbrausch einem wilden Chaos glich, so hatte es in sich eine gewisse Logik. Man konnte sich in diesen Farben verlieren. Es war, als würde man einen ewigen schrägen Traum träumen, wenn man zu lange auf eine Stelle starrte. Mit viel Willenskraft riss sich der Raucher aus dem erstarrten Blick los und seine Augen schweiften ziellos umher.

Da fiel es dem Betrachter von der Turmspitze aus nun doch auf, dass etwas dieses Farbchaos unterbrach. Ein dunkler Punkt stand auf dem Wasser und rührte sich zuerst nicht.

Smoker kniff seine Augen zusammen und spähte in die bizarre Farbtheorie hinab. Der Punkt hatte eine aufrecht längliche Form. Doch er als Betrachter war zu weit entfernt, um das Geheimnis lüften zu können. Also schwebte er hinunter und platzierte sich in dem Wehrgang, der in den Fels gehauen oberhalb der Brandung einmal um die ganze Insel verlief. Von hier aus sah man, dass unten zwischen den Brandungswellen ein langer steinerner Anlegesteg weit hinaus ins Meer führte.

Der Admiral war angstfrei, misstraute aber dem Meerwasser. Würde seine Qualmwolke Wasser abbekommen, lägen seine Teufelskräfte brach danieder. Sicherer schien es, in voller Gestalt über den Steg zu gehen.

Schnell endete der Steg und das ölig wirkende Wasser platschte schwerfällig gegen den nackten Stein. Der Punkt war nun deutlich zu erkennen und vielleicht gute drei Dutzend Meter weiter draußen.

„Roronoa, was zum Teufel machst du da?“

Smoker staunte nicht schlecht darüber, wie Zoro unbemerkt dorthin gelangen und mitten auf dem Wasser stehen konnte. Jedoch war er gut darin, persönliche Gefühlsregungen zu verbergen.

In welche Richtung mochte dieser Steg gehen? Was lag hinter dem Horizont?

Tatsächlich drehte sich der Angesprochene um, blickte aber emotionslos auf den Admiral. Noch nie hatte Smoker so leere Augen gesehen. Irgendetwas absolut Unbegreifliches für ihn lief hier vollkommen verquer. Doch noch bevor er eine Entscheidung treffen konnte, nahm ihm Zoro diese Aufgabe ab. Er drehte sich wieder um und ging weiter. Weiter über das dort draußen aalglatte Meer dem ungewissen Horizont entgegen. Seine Körperhaltung sprach Bände. Da war kein Stolz in einem aufrechten Gang zu erkennen. Wie ein alter, gebrochener Mann mit hängenden Schultern ging der Pirat langsam aber zielstrebig einem unbekannten Ort entgegen.

Der Admiral guckte ihm fragend hinterher und machte sich dann selbst auf den Rückweg zur Insel. Reisende sollte man nicht aufhalten. Vielleicht gäbe es ja doch irgendetwas in den Gemäuern zu entdecken.
 

Bedrohlich erhob sich die Festung und zeichnete sich düster gegen das Chaosfirmament ab. Wie ein Fingerzeig ragte eine einzelne Säule am Fuße der Insel kerzengerade in die Luft. Ein merkwürdiges Gebilde. Es erregte die Aufmerksamkeit Smokers, doch es gab seinen Sinn nicht preis.

Für ihn selbst gab es hier draußen nichts weiter zu tun. Der Platz war nicht einladend, der Pirat stand da draußen verloren auf dem Wasser und es gab auch nichts weiter Spannendes zu sehen. Also ging er zurück und durchforschte noch einmal ohne Hast das Gebäude.

Irgendwann sollte er auch wieder dorthin gelangen, wo Zoro und er gestrandet waren: Unten in den Katakomben. Erstaunlicher Weise hatte der Pirat dort sein zerfleddertes Notizheft einfach achtlos auf dem Boden liegengelassen als wäre es eine alte ausgelesene Zeitung. Die Bedeutung dieses Schriftstückes schien in seiner Wichtigkeit stark gesunken zu sein.

Es war nicht die Neugier des Admirals, sondern eher seine berufliche Prägung, Feindesdinge zu untersuchen. Er schob die lose Blattsammlung wieder zu einem Haufen und begann die ersten Zeilen zu lesen. Man sollte immer wissen, was der Feind geplant hatte und die Papiere könnten Aufschluss geben. Eine reine Routinearbeit.

Die Schrift kam ihm merkwürdig bekannt vor und erst auf der mittlerweile zweiten, gar dritten Seite fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, dass es Tashigis Handschrift war.

Ihr Stil war nicht linientreu. Eher mal impulsiv, dann kurz und abgehackt oder ein anderes Mal wieder lang und ausschweifend. Eben so, wie es gerade ihre Gefühlslinie gewesen war. Ohne es zu wollen, vertiefte sich der qualmende Leser immer mehr und mehr in die Lektüre eines Lebensabschnittes seines Feindes und er begann zu begreifen, dass er nicht nur seine ehemals Untergebene falsch eingeschätzt hatte, sondern es hatten sich auch für sie ganz neue Facette aufgetan, von denen sie früher nicht zu träumen vermochte. Die Reise auf der Sunny spiegelte viele neue Dinge wieder und widerlegte Gerüchte über die Strohhutbande. Auch musste Smoker feststellen, dass Piraten tatsächlich nicht gleich Piraten waren. Besonders die Strohhutbande rückte in ein ganz anderes Licht.

Als er mit dem Lesen endete, verfiel er sofort in fiebrige Hast. Wenn Zoro tatsächlich ein Hanyô war, dann befand sich sein Erinnerungsvermögen gerade auf der Ebene „Tabula Rasa“ und er würde schnurstracks über das Wasser zum Dorf der Bekloppten und Bescheuerten marschieren. Das wäre mehr als ungünstig, denn es würde zugleich für Smoker bedeuten, dass er auf immer und ewig hier auf Raftel gefangen säße. Nichts und niemand könnten ihn aus diesem Zeitgefüge in eine andere Zeit zurückholen. Reisende sollte man vielleicht doch nicht aufhalten. Tashigis Aufzeichnungen waren das reinste Lösungsbuch für dieses abstruse Adventure.

Schnell war er wieder unten an dem langen Anlegesteg angekommen. Zoro war schon weit, weit weg.

„Nicht schlecht. Die lange Strecke in der kurzen Zeit?“, dachte sich der Qualmer und merkte im selben Moment wie aberwitzig und unpassend dieser Gedanke doch war.

Freiwillig würde der Pirat sich sicherlich nicht wieder nach Raftel zurückbewegen, also schoss der Admiral lange Qualmarme über das Meer und hoffte innig, dass sich doch bitte kein Meerwassertropfen in seinen Qualm zu verirren mochten. Es mochte ein Wunder gewesen sein, wie Smoker es tatsächlich unter allergrößter Anstrengung geschafft hatte, Zoro zurück ans Ufer auf den Steg zu holen. Heftig keuchend musterte er seinen alten Feind, der wie ein Schluck Wasser in der Kurve vor ihm stand und leer auf den Boden starrte. Ein Schwertkämpfer ohne Stolz und Schwerter. Ein Pirat ohne Vergangenheit. Ein Mann ohne Namen.

Mit Zoro ihm Schlepptau verzog sich der Admiral wieder ins Innere der Festung. Es war ihm dort wesentlich behaglicher als hier am Meerwasser, welches ihn tödlich lähmen könnte. Egal, was er auch tat. Der Mann ohne Namen zeigte keine Regung. Er stand da und starrte ins Leere.

Es musste doch eine Lösung geben, wie der Namenlose wieder seine Erinnerungen zurückerlangen könnte. Seufzend griff er zu Tashigis Buch, setzte sich auf den Boden und begann das Heft laut und deutlich vorzulesen. Zwischendurch beäugte er argwöhnisch sein Ein-Mann-Publikum, welches wenigstens das Lauschen nicht verlernt hatte.

Er las und las. Und nach dem gefühlten hundertsten Durchgang war die Kehle des Lesers so ausgedörrt wie eine Sandwüste und so rau wie ein Reibeisen. Wenn die Motivation eine Leiter wäre, so hätte Smoker an dessen Fuße noch ein Loch in die Tiefe graben können, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen.

Entnervt von der Hoffnungslosigkeit schmetterte er das Geschreibsel Zoro vor die Füße.

„Ach, lies doch selbst!“

Die Augen kullerten dem sonst so abgeklärten Admiral aus dem Kopf, als sein Gegenüber doch tatsächlich mit einer Hand behutsam das Heft ergriff und sich zum Lesen zurechtlegte. Seit jeher galt Smoker als eiskalt und abgebrüht, doch Raftels Atmosphäre und das Farbchaos raubten ihm jedwilligen Verstand.

„Du hast mich die ganze Zeit verarscht!“, platze Smoker nun endgültig der Kragen.

„Wovon redest du?“ gab der Pirat desinteressiert zurück.

„Vom Eis, von deiner Apathie, deinem Gang übers Wasser …“, stammelte der Angesprochene vollkommen fassungslos. Zorn und Kapitulation zugleich lagen in seiner Stimme.

Doch Zoros Gesichtsausdruck sprach Bände, dass er sich an nichts erinnern könnte und bei den Worten „Gang übers Wasser“ hätte man meinen können, er unterstelle Smoker Wahnvorstellungen.

Das Thema wurde jäh in einen andere Richtung gelenkt, denn für den Marineangehörigen gab es nur ein einzigen großen Wunsch: Endlich fort von alledem.

Doch der Hanyô zuckte nur mit den Schultern. Er wisse zwar Dank Smoker wieder von seiner Vergangenheit, aber wie er sie aus dieser Misere befreien könnte, wäre auch ihm nicht bewusst.

Letztendlich waren es die Informationen aus Tashigis Buch, welche den Raucher davon abhielten, dem Piraten für diese Antwort an die Gurgel zu gehen. Sie hatten ihm ein ganz neues, unbekanntes Bild über die Strohhutbande und deren Ambitionen eröffnet, wie er es von Piraten niemals erwartet und gekannt hätte.

„Ich will mir noch einmal etwas dort draußen ansehen. Vielleicht bringt es uns von der Insel weg“, seufzte Smoker und qualmte davon.

Zoro, der immer noch ein wenig planlos war, aber auf Smokers Gesellschaft verzichten wollte, begann sich auf eigenen Faust auf der Insel umzusehen. Die Festung war magisch und vertraut zugleich. Als wäre er schon unzählige Male hier gewesen, schritt er bedächtig durch die Hallen und Gänge. Erinnerungsfetzen blitzen vor seinen Augen auf, die er nicht recht festhalten und einordnen konnte.

Ja, er war schon mal hier. Aber zu einer anderen Zeit in einem anderen Leben. Soweit konnte er sich nicht so recht zurückerinnern. Man sollte sich auch nicht ewig an Altes hängen. Was passiert war, war passiert. Es war getan und vorbei.
 

Zoros Gang endete draußen beim Admiral, der in die Ferne über das Meer starrte und zugleich einen hohen steilen Pfahl am Fuße der Insel mit den Augen vermaß.

Ohne große Worte gab der Qualmer dem Piraten zu verstehen, dass es sich tatsächlich um ein Seezeichen handeln müsste, welches einen unbekannten Weg wies.

Es gab nichts anderes für die beiden zu tun. Also zogen sie über das Meer. Zoro ging zu Fuß und Smoker rauschte neben ihm her. Schon bald durchbrachen sie das Ringporneglyph und die Szenerie änderte sich schlagartig. Vorbei waren der bunte Farbenrausch und das ölige Wasser. Die Dunkelheit ergriff sie wieder und das Meer wurde öde und schwarz.

Ewig war der Weg, aber das Seezeichen erfüllte seinen Sinn und Zweck. Bald war Raftel aus ihren Augen verschwunden, doch am Horizont tauchte schemenhaft eine neue Festung auf.

„Ist es nicht interessant? Wenn wir von unserem direkten Kurs abweichen, so verschwindet das Ziel. Man kann also nur zu diesem Ziel gelangen, wenn man sich exakt an das Seezeichen hält. Somit muss Raftel bedeutend für die Navigation sein“, dachte Smoker laut vor sich her.

„Und wohin soll der Kurs führen?“, erwiderte Zoro.

„Zum verlorenen Königreich. Zumindest wurde es uns so als Anekdote im Navigationsunterricht an der Marineakademie gelehrt. Die achte Route startet beim Seezeichen von Raftel und verbindet die beiden Insel. Das verlorene Königreich besitzt selbst kein Magnetfeld, liegt im Calm Belt und kann daher nicht angesegelt werden. Der Trick liegt also darin, Raftel zu finden. Das ist geschickt.“

Dem Piraten war es egal, wem Smoker nun die Ehre zuteil brachte, als geschickt betitelt zu werden. Er hoffte, am neuen Ziel auch neue Antworten zu finden. Nichts war ihm lieber, als endlich in sein altes Leben zurückzukehren.
 

Und dann waren sie da. Die Ruinen des vergessenen Königreiches zeugten von großer Macht und Prunk. Es musste einmal ein herrliches Anwesen gewesen sein. Doch nun war der Glanz erloschen und die alten Mauern wirkten fahl und ergraut. Gezeichnet von Wind und Wetter hatte sich dieser Ort einst zum Schlafen gebettet und war seitdem nie mehr erwacht.

Sie durchstreiften das Areal. Ein großes Eingangstor ließ sich knarrend und ächzend öffnen und gab den Weg in einen großen Saal frei.

„Wo suchen wir zuerst?“ fragte Zoro.

„Was suchen wir genau?“ erwiderte Smoker zynisch.

„Keine Ahnung! Irgendwas…“, kam es nur knapp und lapidar zurück.

„Irgendwas …“, wiederholte Smoker murmelnd und wusste nicht mehr so recht, ob die ganze Sache zum Weinen oder zum Lachen war.

Die Entscheidung, in welche Richtung sie sich nun begeben sollten, wurde ihnen abgenommen. Zoro spürte die Anwesenheit einer Person und spähte aufmerksam in einen der Gänge. Irgendwo dort kam ihnen jemand auf direktem Wege entgegen.

„Endlich. Ich habe auf eure Ankunft gewartet“, hallte eine müde Stimme den Flur entlang und dann tauchte die Gestalt auf. Sie war fledermausartig und klein, aber schlank gewachsen. Ein langer Reisemantel bedeckte seinen Körper. Sein Haupt war kahl.

„Kivi?“ begrüßte der Pirat den Ankömmling erstaunt.

„Du erinnerst dich. Das ist gut. Ich dachte schon, alles wäre verloren“, gab dieser zurück.

Für Smoker sprach der kleine Mann mit dem Fledermauskopf in Rätseln, so wie ihm alles ein riesengroßes Rätsel war.

„Wer bitte ist das schon wieder?“, fragte er genervt den Piraten.

Noch bevor eine Antwort erfolgen konnte, hatte Kivi sie beide aufgefordert, ihm zu folgen und begann dabei zu sprechen. Er sprach soviel, als hätte er noch nie in seinem Leben mit jemanden gesprochen und er müsste nun sein ganzes Wissen an seine beiden Gesprächspartner weitergeben, ob es diesen nun passen würde oder nicht. Zwischendurch stellte er ihnen Fragen, die er aber sofort selbst beantwortete und gab ihnen keine Gelegenheit auf eine Gegenfrage.

„Es ist gut, dass ihr nun endlich einmal da seid. Ihr wollt heim? Ha, wer will das nicht? Woher ich das weiß? Nun, ich bin der Träger des blauen Prismas. Es ist das Prisma des Wissens. Demnach trage ich die schwere Bürde alles zu wissen. Ich weiß alle Geheimnisse, alle Rätsel. Ich weiß, was ihr denkt und vorhabt. Ich weiß alle Anfänge und Enden mit sämtlichen logischen Ausgängen. Weiß, weiß, weiß … Einfach alles! Das ist ein Fluch. Mein Schädel platzt. Doch es geht nun endlich zu ende.

Ich bin müde dieser ganzen Krisen und der Zankereien. Seit es die Dreiteilung der Prismen gibt, gab es keinen einzigen Tag Frieden. Es wird nun das Ende der Primenträger geben und ihr werdet mir dabei unfreiwillig helfen.“

Smoker und Zoro wechselten einen Blickkontakt aus, dass ihnen Kivis Rede zu wirr war. Doch der Fledermausartige redete ungefragt wie ein Wasserfall weiter:

„Es ist ganz einfach. Das, was das verlorene Königreich genannt wird, ist nur verloren, weil es nicht Obacht gegeben hatte. Das Königreich ging unter, als sich das weiße Licht in drei Prismen teilte. Das weiße Licht, welches all unser Leben regelt. Wir brauchen es zum Leben, wie wir auch das Wasser brauchen. Ohne das Wasser und das weiße Licht sind wir nichts. Alles klar? Für mehr Erklärung haben wir keine Zeit. Wenn sich die Prismen wieder vereinen, hat der Spuk ein Ende und ihr könnt zurück in euer altes Leben. Das Ende der Prismenträger-Ära. Welch großartiger Gedanke! So, wir sind da!“

Nach einem kurzen Weg durch ungezählte Räume, hatten sie einen dreieckigen Saal erreicht. Die Wände waren allesamt gleichlang und schimmerten glänzend. Erst bei genauer Betrachtung sah man, dass es sich um Spiegelwände handelte.

Kivi sprudelte weiter:

„Wir sind also Drei. In mir ruhte das blaue Prisma, das Rote war einst mal Yurenda und die fette Kröte, deren Name ich gar nicht mehr wissen will, aber noch muss, hat das Gelbe. Die Sache ist einfach: Besiegt Sammakko, bringt das Prisma hierher und alles ist beendet.“

„Yurenda WAR einst mal das rote Prisma?“ wiederholte Zoro fragend, während Smoker sich dezent im Hintergrund zurückhielt. Er hoffte auf eine Chance, seinen Kopf noch aus dieser Schlinge ziehen und sich abseilen zu können, denn diese Situation war im schlichtweg zu konfus.

„Hast du es denn immer noch nicht geschnallt, Zoro? Hast du dich nie gefragt, warum du Geister sehen und Gefühlswellen spüren kannst? Oder warum du deine Freunde in eine komplett andere Zeitdimension senden konntest? Noch nie? Oder warum Yurenda dich aufgesucht hatte? Hast du dich nie gefragt, was dich von den anderen Hanyôs abhebt oder warum du überhaupt über dein wahres Schicksal in Kenntnis gesetzt wurdest? Warum bist du hier?

Hanyôs können in einer Parallelwelt wandeln und Teufelskräfte aufheben. Und damit hat es sich. Du hast eine Einzigartigkeit an dir. Nämlich als das rote Prisma sich einen neuen Träger gesucht hatte. Darum hat dich Yurenda alle die Jahre gesucht, denn sie will ihr Prisma, was ja eigentlich nicht ihres ist, denn Prismen suchen sich ihre Träger und nicht umgekehrt, zurück haben. Und als sie dich dann traf, ist alles aus den Fugen geraten. Denn es setzte sich nun etwas frei, was du halt nie gewusst hattest. Yurenda ist dafür über Leichen gegangen und übt schon lange nicht mehr treu ihr Amt aus. Sie hat es missbraucht, um dich zu finden.

Sammakko haben wir dieses Eis zu verdanken. Das gelbe Prisma kann nur einmal erwachen. Würde er das wollen, so gäbe es unsere Welt nicht mehr. Sie wäre für immer zerstört. Also lässt er mit seiner Eispanzer-Teufelskraft alles unter dem Eis verschwinden, schickt seine schwarzen Panzerreiter los und versucht so ein Druckmittel gegen Rot und Blau zu haben.

Wenn solche Dinge passieren, dass sich die Prismen durch ihre Träger gegen sich selbst richten, dann ist das Ende nahe. Dann wird es Zeit, sie wieder zu vereinen. Unzählige Versuche in der Vergangenheit, haben nicht funktioniert. Die Zeit war noch nicht reif, aber jetzt ist sie es.

Verstehst du, du gehörst zu uns. Rot hat dich erwählt, denn du findest als Halbdämon des Wassers den Weg hierher. Das rote Prisma war es, was dich bewahrt hat, bei der Giraffe auf Rice Island zu landen.

Und meine Zeit geht auch zu ende. Blau wird mich verlassen. Das spüre ich. Hilf uns! Versuche dich zu erinnern! Bitte!“

Kivi hatte sich in Rage geredet, dass es seinem Publikum unmöglich war, etwas gehaltvolles aus den Sätzen zu entnehmen. Doch am Ende seiner langen, langen Rede wirkte er verbraucht und abgespannt, aber auch erlöst.

In seiner typischen Haltung mit verschränkten Armen vor der Brust, blickte der Halbdämon die kleine Fledermaus an. Nein, es waren zu viele Informationen, um sie alle zeitgleich verarbeiten zu können, doch der Auftrag war klar und unabwendbar.

Also gab es nichts weiter zu tun, als Kivi zuzustimmen und sich auf den Weg zumachen. Smoker konnte nur insgeheim staunen, wie jemanden, der gerade gar nichts mehr gewusst hatte, sich nun an viel mehr zu erinnern schien, als je zuvor. Er überlegte, was denn nun tatsächlich sein Part noch sein könnte, wo doch die Rollen klar verteilt waren. Kivi würde hier warten und sich aus allem heraushalten und Zoro würde sich auf den Weg zur Kröte machen. Hier ebenfalls zu warten, erschien dem Admiral als unfähig und zeitverschwenderisch. So ergab er sich dem Gedanken, mit Zoro zu ziehen und Ergebnisse mitzuerleben, als sie nur einfach abzuwarten.
 

Während sich beide nach draußen begaben, bog der Halbdämon kurz vor dem großen Eingangstor, durch welches sie gekommen waren, in einen kleinen, unscheinbaren Gang ab.

Smoker blickte ihm kopfschüttelnd nach und seufzte:

„Roronoa, da geht’s lang nach draußen. Auch wenn du nun um einiges an mystischen Sonderbarkeiten reicher geworden bist, den Weg findest du immer noch nicht.“

„Darum geht es mir auch nicht“, sprach dieser und stieß zugleich eine alte Holztür auf, die schwere Mühe hatte, sich in den Angeln zu halten.

Was dahinter durch das einfallende fahle Licht zum Vorscheinen kam, war atemberaubend.

„Also doch…!“ kam es aus beiden Mündern zugleich.

In der kleinen Saalkammer stand mittig ein hoher, grauer Steinquader eingebettet in unzählige Goldmünzen, Schmuckstücke, Schatztruhen und Waffen. Der Quader thronte fast in all dem Reichtum, doch der Hanyô beachtete den Schatz nicht weiter, erklomm einen Geldhügel, um näher an den Quader zu kommen. Dabei trat er gelegentlich eine Münzlawine frei, die Smoker fast unter sich begraben hätte, hätte dieser nicht ein waghalsiges Ausweichmanöver vollzogen.

Zoro war jedoch blind für die Probleme des Qualmers. Respektvoll berührten seine Hände das Porneglyph, welches an der Stelle des Hautkontaktes einen grünen Schimmer bekam. Der Schimmer legte sich in alle Schriftzeichen und sie erstrahlten magisch zum Leben erweckt. Die Porneglyphen, eine längst vergessene Schrift der Hanyôs.

„Steht dort etwas besonderes?“ bohrt Smoker gespielt desinteressiert.

Die Hände des Piraten tasteten langsam Zeile für Zeile ab. Dann trat er vorsichtig wieder von den Münzbergen herab.

„Für jemanden wie dich? Nein. Mit diesen Zeilen kannst du nichts anfangen. Du würdest die Nachricht wohl nicht weitertragen, weil es für dich nicht wichtig ist. Aber bedien’ dich an Rogers Schatz. Ohne einen Hanyô wirst du hier wohl kaum wieder hergelangen und das One Piece begaffen können“, gab der Angesprochene zurück.

„Hey, sei nicht so arrogant. Hätte man mir als Kleinkind nicht so eine Teufelsfrucht eingetrichtert, so wären wir artverwandt.“

Es schwappte eine Art von Frust in Smokers Unterton, den er nur schwer verbergen konnte.

„Wir sind artverwandt, aber die Teufelsfrucht nahm dir all deine dämonischen Kräfte. Der eine so, der andere so“, zuckte Zoro nur mit den Schultern.

Und damit verließen sie die Ruinen des verlorenen Königreiches und alledem, was es in sich an Geheimnissen verbarg.

60 - Briefe

Die Kirschblütenzeit in Loguetown endete stets mit den Frühlingswinden. Sie rüttelten verspielt an den dünnen Zweigen der Bäume und ließen es in einem zartrosa Blütentraum zu Boden schneien. Schon bald darauf wandelten sich die Berge aus Blütenschnee zu matschigen Klumpen, wie der Aprilregen sie langsam durchweichte und sie dann lieblos vom Nass in die Gossen gespült wurden.

Doch die Trauer um den schönen Anblick dieses Naturschauspiels währte nie lange an. Ohne Vorankündigung sollte die Nacht kommen, in der die Natur aus der Dunkelheit heraus förmlich explodierte. Am nächsten Morgen leuchteten in den ersten Strahlen der Morgensonne Bäume und Büsche in einem frischen Maigrün und nur kurze Zeit später öffneten sich die ersten Knospen zu sattgrünen Blättern. Die Tage wurden länger, heller und wärmer. Der Frühling pulsierte.

An solch einem lauen Frühlingsabend saß Tashigi im gartenähnlichen Hinterhof der Marinestation an einem Tisch und studierte noch einmal hektisch die selbstgeschriebenen Zeilen eines Briefes. Lange hatte sie überlegt, wie sie mit der Strohhutbande Kontakt hätte aufnehmen können, doch sowohl das Schneckentelefon, als auch die Postbeförderung per Briefmöwe schienen ihr zu unsicher. Sie fürchtete, dass ihre Gespräche belauscht oder die Briefe abgefangen würden. Welch Aufregung und Drama wären die Folgen. Es würde eine marineinterne Untersuchung geben und letztendlich würde sie des Hochverrats angeklagt werden. Was würde dann nur aus ihr und Taiyoko werden? Vermutlich würde auf sie der sichere Tod und auf Taiyoko das Waisenhaus warten. Bei dem Gedanken lief es ihr kalt den Rücken runter. Doch so mehr freute es sie, dass ein scheinbar sicherer Weg gefunden worden war, sich mit den Strohhüten auszutauschen.

Es war eigentlich Choppers Idee gewesen und wie es dazu kam, las sich so:
 

„Liebe Tashigi,

lass dich mal kräftig umarmen. Ich vermisse dich sehr. Vielleicht wirst du dich sehr wundern, wie bei dir ein geheimnisvoller Brief von mir auf deiner Fensterbank auftauchen konnte.

Auf der Reise über die Grandline, so erzählte es mir Franky, gelangte die Sunny einmal an eine komplett vereiste Insel. Nur an einer Stelle gab es sattes Grün und leuchtende Farben. Hier wurde ein Feuervogel in einem Käfig gehalten, der alles in seinem Umkreis erwärmte. Der Feuervogel ist ein magisches Geschöpf, aber nicht sehr clever. Er glaubt, wir hätten die Zeitverschiebung bewirkt und ihn somit befreit, wie es ihm einst mal Luffy versprochen hatte. Wir haben versucht, ihm die Wahrheit zu erklären, aber davon wollte er nichts wissen. Er ist überzeugt davon, uns nun noch einen Gefallen schuldig sein zu müssen. Ich hatte mir dann gewünscht, er solle unseren Postboten spielen. Er wird unsere Post aber nur zu Vollmondnächten überbringen, denn bei Vollmond kann er unsichtbar fliegen. Das ist doch wirklich prima.

Bei uns gibt es nicht viel Neues zu berichten. Wir haben schon zwei Inseln hinter uns gelassen und segeln nun nach Circle Island. Die Insel soll kreisrund und platt wie eine Flunder sein. Ich bin schon gespannt.

In der Crew liegt etwas in der Luft. Luffy benimmt sich wie immer, aber ich rieche, dass etwas nicht stimmt. Meine Nase hat mich noch nie getäuscht und du weißt ja, dass wir Tiere Stimmungen tatsächlich riechen können. Ich glaube, Luffy ist sauer, weil Zoro nicht da ist. Er meinte mal, unser Abenteuer wäre nun in einer Sackgasse. So was habe ich von Luffy noch nie gehört. Er ist ja sonst immer durch und durch Optimist und über jedes Abenteuer froh. Je länger es dauert, desto besser.

Hoffentlich taucht Zoro bald wieder auf. Vielleicht sucht er uns schon, hat sich aber wieder einmal verlaufen. Hast du nicht irgendetwas von ihm gehört?
 

Liebe Grüße von uns allen, Chopper“
 

Tatsächlich staunte Tashigi zuvor nicht schlecht, als in den frühen Morgenstunden am Ende einer Vollmondnacht Choppers Brief auf ihrem Fenstersims lag.

Und nun saß sie hier, versuchte ein paar Zeilen zu Papier zu bringen und gleichzeitig den Innenhof im Auge zu behalten. Nicht auszudenken, wenn ihr jemand über die Schulter schauen würde.

Letztendlich schrieb sie dann alles und nichts in den Brief, denn Schreiben war nie ihr Ding gewesen. Sie wusste selbst nicht, was es sie einst mal angetrieben hatte, ihre Reise mit den Strohhüten in ein Tagebuch zu schreiben. Das Tagebuch. Das hatte sie damals Zoro übergeben. Dafür waren seine Schwerter bei ihr geblieben. Welch sonderbarer Tausch. Nun standen sie oben in dem hintersten Winkel ihres Schrankes in eine dicke Wolldecke gehüllt, damit niemand sie zu Gesicht bekommen würde. Nur wenn alles in der Marinestation zu schlafen schien, dann holte sie diese hervor, prüfte ihren gepflegten Zustand und schwelgte in Erinnerungen. Manchmal saß sie nächtelang auf ihrem Bett, beobachtete Taiyokos Schlaf und hielt dabei Wadôitchimonji im Arm. Hoffend, dass Zoro eines Tages wieder auftauchen würde. Pingelig pflegte und polierte sie die Schwerter, doch Wadôitchimonji hatte seinen magischen Glanz verloren. Er war ebenso wie sein Besitzer spurlos verschwunden.

Sie dachte an vieles, bis die Gedanken Karussell mit ihr fuhren. Manchmal dachte sie schon selbst von sich, sie würde depressiv. Dann konnte sie stundenlang nur still vor sich herweinen und gab sich der inneren Unruhe hin, die einfach nicht verschwinden wollte. Es nagte schwer an ihr, allein ohne große Unterstützung ihr Leben meistern zu müssen. Auch mit der Arbeit geriet sie zunehmend in die Bedrängnis. Still bewunderte sie Frauen, die Arbeit und Kindererziehung unter einen Hut bekamen. Sie konnte das nicht und fühlte sich heillos überfordert, verlor mehr und mehr den Respekt, den die Truppe ihr entgegenzubringen hätte, und macht dienstliche Fehler, die selbst sie wohl früher nicht begangen hätte.

Vielleicht war dieses genau der richtige Zeitpunkt, etwas ganz Neues zu machen. Aber was? Sie versuchte, durch das Niederschreiben ihrer Gedanken etwas Klares darin zu finden.
 

„Hallo Chopper,

ich bin so froh, dass es euch gut geht. Hier ist tagein tagaus dasselbe. Die Kirschbäume haben geblüht und nun steht alles schon in einem satten Grün, als wäre es Sommer. Das solltest du wirklich mal sehen. Es wird nicht mehr lange dauern und der Raps wird blühen. Der ist dann oft so grell, dass man beim Spaziergang durch die Felder die Augen schließen muss.

Taiyoko entwickelt sich prächtig und ist immer guter Laune. Beim nächsten Mal werde ich ein Bild beilegen. Ich habe ja noch die magische Kamera, aber ich traue mich nicht, sie zu benutzen. Du weißt: Die Kamera macht Dinge sichtbar, die das normale Auge nicht sieht. Und ich habe Angst, bei irgendetwas zu entdecken, was ich lieber nicht entdecken will. Ich muss mir mal eine normale Kamera ohne Spuk besorgen.

Die Arbeit setzt mich zusehends unter Druck. Ich komme einfach nicht mehr in diesen Marine-Trott hinein. Es füllt mich nicht mehr aus. Zwar möchte ich immer noch alle edlen Schwerter auf der Welt suchen und sammeln, jedoch ist die Marine wohl dafür nicht mehr der richtige Platz. Zumindest nicht für mich.

Aber ich weiß auch noch nicht, was ich sonst tun soll. Ich muss mich ja irgendwie über Wasser halten und ein Kind ernähren.

Ich bin echt verzweifelt und wünschte manchmal, ich wäre noch auf der Sunny.

Ich habe auch keine Ahnung, wo Zoro steckt. Ich wünschte ja selber, der würde mal auftauchen. Neulich kam eine merkwürdige Nachricht durch den Marineticker. Die Akte habe ich erstmal kassiert. Da gab es neue Suchmeldungen nach Verbrechern. Eine Meldung handelte von einem Massaker auf der nördlichen Redline im Gebirge der gelben Eisvulkane. Angeblich soll einer der beiden gesuchten Täter Teufelskräfte haben und der andere ein perfektionierter Schwertkämpfer sein. Klar, da habe ich mir gleich eingebildet, es könnte ein Lebenszeichen von Zoro sein. Aber was sollte er dort getrieben haben und wer war die andere Person? Leider kam über den Ticker zu dem Fall nichts Neues. Wenn da mal etwas Wichtiges durch die Leitung kommt, dann würde ich euch das sofort sagen.

Tut mir leid, dass der Brief vielleicht so traurig und verzweifelt klingt. Aber mir geht es echt beschissen.
 

Liebe Grüße, Tashigi“
 

Zum Ende des Wonnemonats Mai kletterten die Temperaturen sprunghaft an. Trockene Hitze dörrte die eben noch so grünen Landschaften aus und machte die Menschen träge. Die Touristenschwemme setzte pünktlich zur Sommersaison ein, belagerte mit ihren Strandkorbburgen und Handtuchmeilen den großen Badestrand und gab ihre Ausdünstung von Schweiß, Sonnenmilch und Strandsnacks an die Umwelt ab. Das Gewimmel von großen und kleinen Badelustigen klang wie ein großer Bienenschwarm, der nur in der Nacht zur Ruhe kam.

Die Mittagssonne war unerträglich und so zog Tashigi samt Kinderwagen schon in den frühen Morgenstunden an der Strandpromenade entlang, beobachtete den letzten weichenden Nebel der vergangenen Nacht und betrachtete andächtig, wie die Sonne über einen ruhigem, türkisfarbenen Meer empor klomm. Der Anbruch eines wunderschönen Sommertages.

Es war just der Zeitpunkt, zu welchem es wie jedes Jahr im Sommer Meldungen über zunehmende Unruhen und Piratenüberfällen kam und sie wunderte sich, dass sich das allgemeine Volk daran noch nicht gewöhnt hatte: Sobald ein Schiff am Horizont erschien, rief es von irgendwo her „Piraten!“ und die Badegäste stürmten einer Stampede gleich vom Strand weg hinauf in die Innenstadt. Sie konnte darüber nur den Kopf schütteln, denn obwohl Piraten schon oft Loguetown angesegelt hatten, war die Stadt doch noch nie überfallen worden. Da mussten leider in der Vergangenheit immer die Nachbarinseln daran glauben. Es mochte an Loguetowns ehrfürchtigem Ruhm liegen: Die Stadt des ehemaligen Piratenkönigs wurde nicht geplündert. Vielleicht galt diese Tat unter den Piraten als Blasphemie Gol D. Roger gegenüber.

Noch drei Stunden, bis sie wieder im Marinequartier an ihrem Schreibtisch sitzen musste. Dann würden auch schon die ersten Touristen am Tresen stehen und sich über Taschendiebe und Trickbetrüger am Strand beklagen und langatmig jammern.

„Lass uns mal zum Hafen runtergehen. Da kommt heute ein Konvoi an, um unsere Marineflotte zu verstärken“, schlug sie Taiyoko vor, die sich aber ungeachtet der Worte ihrer Mutter nur einmal herzhaft in ihrem Kinderwagen streckte, um sogleich wieder in einen Schlummerschlaf zu versinken.

Es sollte ein kurzfristiges Glück sein, welches ihr Zuteil wurde, als sie schon aus einiger Entfernung das Einlaufen der Schlachtschiffe in den marineeigenen Hafen sah. Die ersten Schiffe hatten bereits angelegt und sich nebst Ladung auch Besatzung aus dem Bauch der Schiffe entleerten.

Ein komisches Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit. Es hing ein Geruch in der Luft, der ihr vertraut und seltsam bekannt vorkam. Instinktiv blieb sie an der letzten Gebäudeecke stehen und spähte auf die von Bord gehenden Menschen. Ihre Augen weiteten sich entsetzt und sie wusste nicht, ob das, was sich dort abspielte nun gut oder schlecht sein sollte. Es würde nun wohl ihr Leben wieder einmal in eine ganz andere Richtung werfen.

Ruckartig drehte sie den Kinderwagen und machte sich durch die Straßen der Stadt davon.
 

„Hallo Chopper,

du glaubst ja gar nicht, was hier passiert ist. Wie zu jedem Sommer wird unsere East Blue Flotte durch weitere Marinekonvois verstärkt, da es vermehrt zu Übergriffen durch Piratenbanden kommt. Ich war unten im Hafen und habe geschaut, welche Schiffe uns das Hauptquartier diesmal entsandt hatte. Und wer ging da von Bord, als wäre alles normal? Admiral Smoker!

Ich war so platt, dass ich mich erstmal unbemerkt aus dem Staub gemacht hatte. Den ganzen Weg habe ich gegrübelt, was ich wohl erzählen werde, wie ich zu diesem Kind kam. Aber die Mühe hätte ich mir gar nicht machen brauchen.

Er weiß es …“
 

Tatsächlich trug es sich unausweichlich zu, dass sich die beiden im Marinehauptquartier antrafen. Sie nickte nur, als Smoker sie in seiner üblich ruppigen Art anblaffte: „In der Mittagspause in mein Büro!“

Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Höhle des Löwen zu betreten.

„Nun denn“, begann der Admiral, als er sich von ihr die aktuelle Ausgangslage dieses Stützpunktes hatte berichten lassen. „Wie stellst du dir das eigentlich alles vor? So mit Kind und Kegel? Ich meine, die Kleine hat zwar nicht viel Ähnlichkeit mit ihrem Vater, aber ein Piratenkind in der Marine ist nicht sonderlich optimal. Denk mal darüber nach. Ich gebe dir nun einen Monat Zeit, dich nach einer Lösung umzusehen.“

Nach einer Lösung „umsehen“. Sie war also nicht nur aufgeflogen, sondern das Ende ihrer Marinekarriere war nun wohl gekommen. In einem Monat war sie, so wie es klang, aus dem ganzen Betrieb raus.

„Das werde ich“, gab sie geknickt zurück und verließ das Zimmer. Klar hatte der Tag irgendwann kommen müssen, doch nun war es urplötzlich und einem Schock gleich. Es war ein Moment, dem sie hätte gern stark gegenüber gestanden, doch nun fühlte sie sich zertrümmert wie heruntergefallenes Porzellan.

Der Admiral sah ihr nachdenklich nach. Hätte er ihr erzählen sollen, was er auf seinem Weg hierher gehört und gesehen hatte? Seine Zweckgemeinschaft mit dem Piraten war bis zur letzten Minute nichts gewesen, woran er sich jemals hätte gewöhnen können. Dennoch war es für beide Parteien nützlich gewesen und hatte zu persönlichen Aha-Erkenntnissen geführt. Nur zu gut erinnerte er sich an eines ihrer sehr selten Gespräche, als sie dazumal das vergessene Königreich in einer Nussschale von Boot verließen und die Redline ansteuerten. Roronoa war kein typischer Pirat. Das hatte er schon mehrmals feststellen können. Da musste trotzdem einmal nachgehakt werden.

„Wie kam es eigentlich, dass du Pirat geworden bist. Immerhin hattest du dir doch schon einen Namen als Kopfgeldjäger im East Blue gemacht, oder irre ich mich?“ bohrte Smoker mit gespielt gleichgültiger Miene. Bloß kein Interesse zeigen! Man wollte sich später auf gar keinen Fall nachsagen lassen, man würde mit einem Piraten sympathisieren.

Der Angesprochene schwieg eine ganze Weile und starrte dabei auf das öligtrüb wirkende Meer, als müsse es ihm eine geschickte Antwort auf einem Silbertablett präsentieren.

„Es war nie meine Absicht gewesen, ein Pirat oder ein Kopfgeldjäger zu sein. Es kam halt so dazwischen.“

„Dazwischen?“ Smoker zog die Augenbrauen hoch. Nun musste man doch bohren, wie man es als Marineangehöriger aus etlichen Verhören von Straffälligen gewohnt war.

„Dazwischen“, gab sein Gesprächspartner nur trocken zurück.

„Du brauchst nicht wortkarg zu sein. Ich habe Tashigis Heft gelesen. Sonst säßen wir wohl noch immer im Eis fest“, konterte der Admiral.

Für einen Bruchteil der Sekunde erstarrte Zoro. Doch Smoker hatte im Grunde recht: Er wusste mehr, als es ihm selber lieb war und jemals preisgegeben hätte. Doch was sollte er tun? Er hegte keine Freundschaft für seinen Mitreisenden. Eher hatte er stets das Gefühl bespitzelt zu werden. Feind blieb Feind, auch wenn es gerade kaum eine andere Lösung gab. Zumindest waren sie auf dem Gebiet der gegenseitigen Lebensrettungsaktionen quitt. Er hatte einst Smoker aus dem Wasser in Alabaster gezogen. Dieser hingegen hatte seine Erinnerungen zurückgeholt und einen Stillstand der Welt verhindert.

„Ins Wasser…“, dachte sich Zoro. „Wenn er nervt, schmeiße ich ihn einfach vom Boot.“

„Dann weißt du schon alles aus dem Heft“, warf er nun dem Qualmer an den Kopf und blickte ihn dabei drohend an, endlich die Fragerei zu belassen.

„Hey, pass auf! Dein Leben geht mich nichts an. Es ist mir auch vollkommen egal, was du nach unserem letzten Auftrag noch machst. Aber Tashigi ist mir sehr wichtig, denn ich kenne sie nun schon viele, viele Jahre. Ich fühle mich für sie verantwortlich. Sie war ein guter Leutnant und hätte echt gute Chancen gehabt, in der Marine etwas zu werden, um so für ihr weiteres Leben abgesichert zu sein. Bis du aufgekreuzt bist. Glaubst du, sie kann nach alledem noch in der Marine bleiben?“

„Darüber habe ich schon nachgedacht“, log er. Nein, über nichts hatte er nachgedacht. Nur darüber, wie sie nun Kivis Auftrag erledigen sollten. Alles andere musste widerwillig warten.

„Ahja?“

„Ja!“

Und damit war das Gespräch beendet. Irgendwann sollte die Redline vor ihnen auftauchen. Der Admiral schlug vor, auf dem North Blue zu bleiben und dem Küstenverlauf in sicherem Abstand nach Norden zu folgen. Dieses wäre ein schnellerer Weg, als sich zu Fuß bis zum Gebirge der gelben Eisvulkane durchzuschlagen. Ohne Widerworte gab der Hanyô dem Antrag statt.

Sie brauchten ganze drei Tage, dann änderten sich die steilen roten Felsen der Redline in dreckiges, gelbes Berggestein, der sich aus dem Meer erhob und oberhalb unter Eis und Wolken verschwand.

„Halt dich fest. Ich fliege uns hoch“, bot Smoker seinem Mitreisenden an. Gesagt, getan. Der Qualm hob sie in die Höhe und setzte sie an einem Wegesrand ab. Ohne sie zu beachten strömten skurrile Gestalten an ihnen vorüber und hetzten sich in ein und dieselbe Richtung. Kaum waren einige an ihnen vorbeigezogen, kam schon ein neuer Pulk dieser Monsterparade um die Ecke und rannte wie in Panik den Weg weiter. Smoker versuchte einen am Arm zu packen und aufzuhalten, doch der Angehaltene riss sich erschrocken los oder besser gesagt: Der Raucher sollte ihm nächsten Moment nur noch einen verwesten, abgerissenen Arm in der Hand halten. Der Körper rannte erschrocken weiter. Angewidert warf Smoker den Arm ins nächstbeste Gestrüpp.

Wortlos folgten sie den Heerscharen und es sollte eine gute Wahl gewesen sein. Viele Meilen später hinab durch steile, dunkle Schluchten und hinauf über windige Bergpässe, kamen sie dem Ziel ihrer Reise näher.

„Die rasen tatsächlich alle zur Kröte. Dort unten sind sogar die schwarzen Panzerreiter. Sie bewachen die große Vulkanburg“, stellte der Hanyô fest. Und blickte auf ein riesiges Heer an Fußvolk in Rüstungen und Rittern mit ihren Pferden.

„Nun, wer dort ankommt, soll vor dem Eis sicher sein. Ich schlage vor, mitten rein, Prisma holen und abhauen. Die Kröte wird eh längst wissen, dass wir da sind.“

„Sehe ich eben so.“

Der Weg hinab zum Eingangstor verlief steil am Felsen entlang. Um Kräfte zu sparen, zog Smoker unterwegs sein Seesteinschwert, während Zoro ein leichtes daran hatte, den flüchtenden Monstern das eine oder andere Katana abzujagen.

In einem nun folgenden, in der Geschichte der Redline noch nie dagewesenen Massaker, kamen beide schnell voran. Der Admiral stoppte die Angreifer in verfestigten Wolken, während der Pirat auf seinem geradlinigen Wege durch die Massen alles kurz und klein schlug ohne Rücksicht auf alles und jedes. Es dauerte nicht lang und sie hatten den großen Saal gefunden, in welchem ihr Opfer residierte. Nur noch ein großes Tor lag zwischen ihnen.

Noch einmal tief durchatmend schoben sie das Tor auf und gingen langsam einen langen Gang entlang. In dem Saal herrschte Hochbetrieb. Einer Freak-Show gleich feierten hier die skurrilsten Gestalten eine große Party und die fette Kröte feierte kräftig mit und ließ sich von seinen obskuren Fans anhimmeln und vergöttern. Schon seltsam muteten die schwarzen Panzerreiter an, die wie überdimensionale Steinstatuen regungslos umherstanden und Wache hielten.

Die die Stimmung kippte sofort mit dem Eintreffen der beiden Neulinge. Umgehend wurden Waffen gezogen und Teufelskräfte aktiviert.

Ebenso hüllte Smoker alle Angreifer in Qualm, der sie festhielt und Zoro brauchte nichts weiter zu tun, als mit dem nächstbesten Schwert sich seinen Weg zu bahnen. Das ging schnell und war effektiv. Die wenigen Schritte vom Tor bis zum thronförmigen Platz Sammakkos waren blutbadend zurück gelegt worden, was beim Hanyô ein diabolisches Grinsen zauberte und beim Admiral die Bestätigung brachte, er würde nicht mit einem menschlichen Piraten, sondern tatsächlich mit dem leibhaftigen Teufel ziehen. Daran konnte nun kein Zweifel mehr bestehen. Zwar hatte der Qualmer schon viele heftige Schlachten gesehen, doch das vorgehen seines Mitstreiters war dermaßen ruhig, gleichgültig und eiskalt, dass es negativ beeindruckte. Immerhin waren hier eben in dem Saal bei gefühlten tausenden Kreaturen in Sekunden die Lebenslichter erloschen, noch bevor sie überhaupt ihren Feind gesehen haben mochten. Kein Wunder, dass diesem Roronoa der Ruf über die Blues eilte, eine blutrünstige Killerbestie zu sein.

Smoker überlegte, ob ihm Übelkeit die Speiseröhre emporstieg. Doch er verqualmte seine eigene Sicht, um das Blut nicht mehr sehen zu müssen. Zoro und Sammakko standen sich nun gegenüber. Da sollten nun mal zwei Prismenträger selbst miteinander ausdiskutieren, befand der Admiral.

Doch zu einem Wortwechsel sollte es gar nicht kommen. Smoker sah nur noch ein grellrotes und ein grellgelbes Licht, dass er geblendet die Augen schließen musste. Und als er sie kurz darauf wieder öffnete, saß er mit dem Hanyô wieder in der Nussschale von einem Boot mitten auf dem Meer.

„Was war das denn!“ blaffte der er Zoro an.

„Ich war schneller.“

„Wie schneller?“

Smoker verstand kein Wort.

„Keine Ahnung. Der Spuk hat sich verselbständigt.“

Nun war der Admiral nicht schlauer als vorher. Doch sein Gegenüber war wortkarg. Da wäre nichts Weiteres an Informationen herauszuholen. Er zog einmal kräftig an seiner Zigarre, was einem Seufzer gleichkam.

Dennoch wollte er wissen, wie sie beide denn hierher gekommen wäre.

„Das Prisma bringt seinen Träger überall hin. Wusste ich vorher auch nicht.“

Smoker traf dieses wie einen Schlag. Dafür hatten sie den ganzen, beschwerlichen Weg zurückgelegt, obgleich sie beide es hätten einfacher haben können?

Wut stieg in ihm hoch und so übersah er, dass Zoro hingegen die ganze Zeit in dem Boot nichts anderes getan hatte, als nachdenklich ins Meerwasser zu starren. Es glich einer trüben, öliggrünen Brühe und da war nichts, was sein Spiegelbild oder eine Lichtreflexion preisgab.
 

Genau das war der Zeitpunkt, in welchem sich eine Zweckgemeinschaft auflöste.

Zoro beschloss, zurück zu Kivi zu kehren, um seinen Auftrag zu erfüllen.

Und Smoker beschloss, über die Redline nach Loguetown zurückzukehren.

Auch wenn er wenig Hoffnung hegte, dass es dort auf der anderen Seite der Weltkugel anders aussah als hier: Öde, trist, kalt und dunkel.
 

Smoker zog los, ohne sich noch einmal zu seinem ehemaligen Mitstreiter umzusehen. Je weiter er über die Redline wanderte, desto mehr Gewissheit bekam er, wie es wohl überall sein mochte. Da es ewig dunkel war, konnte er nicht sagen, ob er Stunden oder Tage unterwegs war.

Es begab sich, dass er ein Moor durchstreifen musste, aus welchem Baumleichen meterhoch emporragten und den einzig trockenen Platz boten. Solch einen Platz suchte er hoch oben auf kahlen Ästen auf und blickte über traurige Sümpfe. Irgendwo in der Ferne vermutete er ein Gebirge, welches es zu bezwingen galt, um die Ostküste der Redline zu erreichen.

Es dämmerte. Zuerst nahm der Admiral es nicht wahr. Doch schlagartig wurde ihm klar, dass es nicht die Sonne sein konnte, die dort im Westen die Dämmerung vollbrachte.

Es wurde heller und heller. In Sekundenschnelle brach das Leben über ihm ein. Wärme und Farben tauchten die Landschaft in das, was Smoker kannte.

Er grinste. Was auch immer der Pirat und der Fledermausköpfige getan hatten, irgendetwas hatten sie getan. Und das mit Erfolg.

Und so setzte Smoker seinen Weg fort.
 

All die ganze Geschichte war dem Qualmer durch den blitzartig durch den Kopf geschossen, als er Tashigi dort vor sich stehen sah. Er beschloss, ihr nichts von seiner Reise mit Zoro durchs Eis nach Raftel und dem verlorenen Königreich zu erzählen. Auch was danach geschah, war eine andere Geschichte und sollte ein anderes Mal von anderen erzählt werden. Das war zumindest die Absprache mit dem Piraten gewesen und so sollte es vorerst bleiben. Man hatte seine Gründe, die jedoch derzeit nicht diskutiert werden mussten.
 

Während der Admiral fürs Erste seine Entscheidung getroffen hatte, war Tashigi in ihr Zimmer hinaufgegangen. Sie setzte sich aufs Bett und vergrub ihr Gesicht in den Händen.

Sie sah erst wieder auf, als ein Windstoß durch das geöffnete Fenster Papier rascheln ließ.

In der letzten Nacht war Vollmond gewesen und der Feuervogel hatte ihr einen Brief von Chopper überbracht.

Sie lächelte. Vielleicht könnte sie die Post von einem geliebten Freund aufmuntern. Doch beim Lesen wurden ihre Augen immer größer.
 

„Liebe Tashigi,

deine letzte Post hat mich sehr traurig gemacht.

Aber du glaubst gar nicht, was bei uns los war…“

61 - Das Ende vom Kreis

Wolkenfetzen hetzen über einen mondlosen Nachthimmel und ließen sich von einer nach Frühlingsregen duftenden Brise vorantreiben. Nur noch zwei Tagesreisen sollten das Piratenschiff und seine Besatzung von der nächsten Insel auf der Grandline trennen. Die Navigatorin der Mannschaft sprach von einer Frühlingsinsel und so langsam setzte sich deren Klima auf dem Meer durch. Es wurde milder und ein Aroma an Frühblühern hauchte umher.

In just diesen Nachthimmel blies der Koch der Thousand Sunny seine Tabakwolke und genoss, starr auf die offene See schauend, die Ruhe vor dem Sturm. Es lag etwas in der Luft, was er sich nicht erklären konnte. Etwas war sonderbar. Etwas war anders. Noch einmal zog er an seiner Zigarette und ließ die vermeidlich trügerische Atmosphäre auf sich wirken. Nein, er konnte sich sein merkwürdiges Gefühl nicht erklären.

Er warf die Kippe in die ölig wirkende See und beschloss, noch einmal in der Küche nach dem Rechten zu sehen. Das Abendessen lag schon einige Stunden zurück und der Kapitän der Bande dürfte schon längst wieder hungergeplagt seinen Weg zum Kühlschrank gefunden haben. Es verlangte viel Obacht von Sanji, die Vorräte der Sunny vor dem Vielfraß zu schützen. Andernfalls würden sie die nächste Insel nie erreichen, da die Besatzung vor Ankunft am Ziel dem Hungertod erlegen wäre.

Eine Hundertachtziggradwendung brachte die Lösung für das flaue Gefühl in Sanjis Magen, denn der Koch erblickte sie nahezu.

„Wie zum Teufel kommst du hierher?“ kam es erschrocken und erstaunt zugleich aus ihm in einer Lautstärke heraus, welche sicherlich noch hinter dem Horizont wahrgenommen werden konnte.

„Brüll nicht so“, entgegnete der Entdeckte mürrisch genervt, der sich den Schädel hielt. „Du weckst ja Tote auf.“

Zoro war benommen und in seinem Kopf raste eine Achterbahn stets mit einem Riesenrad kollidierend umher. Noch nie hatte er so etwas gefühlt, wie so viele Dinge zuvor, und nach allem, was er jemals durchgemacht hatte, war das schon beachtlich. Kivi hatte in noch gewarnt, dass Sprünge durch die Dimension zum einen zumeist aussichtslos und zum anderen eine harte Tortur für Leib und Seele wären. Doch der Hanyô konnte nicht anders, als diesen Sprung zu wagen, wenn er jemals wieder irgendjemanden aus seinem alten Leben wiedersehen wollte. Und nun saß er schon sehr lange in einer finstere Ecke an der Reling der Sunny, kämpfte gegen Übelkeit und Erbrechen und war doch letztendlich froh, tatsächlich wieder dort angekommen zu sein, von wo er einst verschwunden war. Doch das Kopfheben und Sprechen brachten ihn aus dem Gleichgewicht. Er sackte zur Seite weg und klatschte nun der Länge nach auf die kühlen Holzbretter des Decks. Eine winzige Linderung.

Sanji blickt nun sprachlos auf den Haufen Elend herab und war unwillig, irgendetwas zu tun. Also kramte er seine Zigaretten wieder hervor, steckte sich eine an und setzte sich nachdenklich neben seine Entdeckung auf den Boden. Eine Zigarettenlänge würde reichen, diese Situation zu verstehen.

Es war letztendliche eine ganze Schachtel von Nöten, bis er wieder den Gesprächsfaden aufzunehmen versuchte. Die letzte Kippe wurde ausgedrückt und flog über die Reling.

„Wo zum Henker bist du gewesen? Man mag es nicht glauben, aber Luffy ist so richtig sauer. Er hat in seinem kleinen Schädel nämlich realisiert, dass er ohne dich niemals das One Piece finden wird. Egal, welche Wege und Abenteuer er bestehen würde.“

Dem Angesprochenen ging es nach der kühlen Lage auf den kalten Brettern besser. Immer noch etwas benebelt, richtete er sich wieder auf und gab von sich:

„Die Geschichte ist so lang, die willst du nicht hören… Und Luffy soll die Nerverei lassen. Der soll froh sein, dass ich überhaupt wieder zurückkehren konnte…“ Weiter kam Zoro nicht.

„Wer nervt hier?“ Wie Sanji es vermutet hatte, schlich der Strohhutjunge über das Deck zum Kühlschrank, war aber durch den Anblick des lange verloren geglaubten Crewmitgliedes vom Wege abgebracht worden.

Luffys krächzig hohe Stimme hallte über das Deck und klang wenig freundlich aufnehmend. Die Situation erregte die Aufmerksamkeit der übrigen Crewmitglieder, welche sogleich die Szenerie bereicherten.

In Zoros hinteren Hirnwindungen kramte sich ein weiterer Rat Kivis empor: „Denk immer daran. Du bist nur ein Prismenträger. Du wirst nicht der sein, der das Prisma kontrolliert. Du kannst es bitten, aber nicht leiten. Wundere dich also nicht, wenn Menschen in deinem Umfeld überraschend anders reagieren, als du es vorher erdacht hattest. Auch kann es sein, dass Menschen ungewollt überreagieren. Sie sind dann oft nicht Herr ihrer Sinne.“

Luffys Überreaktion ließ sich wohl demnach auf die Aura des roten Prismas schieben. Doch noch bevor weitere Worte gewechselt werden konnten, hallte ein Aufschrei des Entsetzens durch die Crew. Fassungslos starrten sie mit weit aufgerissenen Mündern und Augen auf den Erstschlag ihres Kapitäns, welcher Zoros Schulter mit aller Wucht traf und ihn über das Deck schleuderte. Doch Zoro wäre nicht Zoro, würde er diese Attacke unbeantwortet so stehen lassen. Trotz seines Handicaps der Schwindelanfälle war umgehend eine wüste Prügelei im Gange, die nicht allzu lange dauerte. Schon einige Schläge später war das Deck dunkelrot vom Blut getränkt und zwei Kontrahenten lagen japsend am Boden.

Als die Crew wieder aus ihrer Schrecksekunde erwachte, so war schon alles vorbei. Unter Vorwürfen und Flüchen ausstoßend rannten sie zur Deckmitte. Chopper verlor den Überblick. Er lief zwischen beiden hin und her ohne sich entscheiden zu können, wer denn nun eher eine medizinische Erstversorgung von Nöten hätte.

Es gab keinen Sieger: Der Schwertkämpfer hatte keine Schwerter und der Teufelsfruchtesser durch die Fähigkeiten des Hanyô keine Teufelskräfte. Ebenbürtig hatten sie mit Fäusten ein trauriges Patt erzielt.
 

Ein Ruck ging durch das Schiff. Niemand hatte auf die See geachtet. Schlagartig hatte der Wind gedreht und die Sternen waren von Sturmwolken gänzlich verschluckt worden. Die Finsternis hatte sie eingefangen.

„Hey Leute! Da ist ein riesiges Strudelfeld!“ schrie Usopp, der als erster einen Blick über das Meer gleiten ließ.

„Verdammt! Da kommen wir so einfach nicht wieder raus!“ schrie die Navigatorin ihre Information für alle Mitglieder gegen den aufkommenden Sturm an und gab sogleich Anweisungen, wie sie der Lage Herr zu werden gedächte.

Es wurde ungemütlich auf dem Deck. Chopper rutschte samt Arzttasche und Patient von einer Reling zur nächsten und war mehr als froh, endlich die Blutungen seines Kapitäns gestoppt zu haben. Er wandte sich Zoro zu.

„Was sollte das denn?“ fragte das kleine Rentier vorwurfsvoll.

„Hm? Ich habe gar nicht angefangen…“, erhielt dieser nur als Antwort, was bei Chopper nur einen Seufzer auslöste.

„Hör mir zu! Ich mache mich vom Acker bis sich hier wieder alles beruhigt hat“, gab der Hanyô noch als Auskunft preis.

„Was? Jetzt? Wie denn? Wo denn? Was denn? Du bist doch gerade erst hierher …“ antwortete das Rentier bestürzt, das sich nicht vorstellen konnte, wie man denn bei diesem Wetter auf offenem Meer einen Abgang machen könnte. Doch in diesem Augenblick kam des Rätsels Lösung, als Zoro vor seinen Augen in einem Regen an grünen Funken plötzlich verschwand. Wie kleine Glutfunken trieben sie noch ein letztes Mal aufleuchtend über das Schiff, dann waren sie fort. Nur ein einziger Funke verblieb hoch oben am Himmel wie eine Leuchtrakete stehen. Er war nicht hell genug, alles zu überstrahlen, dennoch war er mit bloßem Auge nicht zu übersehen.

Die Crew war beschäftigt. Alle Hände voll hatte sie zu tun, die Thousand Sunny aus dem Labyrinth aus den tödlichen Strudeln zu lenken. Wie gierige Mäuler leckten sie sich nach dem Schiff die Lippen. Nami begann zu verzweifeln. Immer wieder und wieder umtrieb sie die Strömung durch das Strudelfeld. Sie fand keinen Ausweg. Die Strudel schienen eine Endlosschleife zu bilden.

Usopp hängte sich mit Sanji ans Steuerrad, um gemeinsam den Kurs halten zu können. Zwar war ihm wie allen anderen Zoros Verschwinden entgangen, der grüne Funke am Himmel jedoch nicht. Er sah aufs Meer und wieder zum Himmel, dann wieder aufs Meer und wieder zum Himmel.

Dieses Abbild hatte er vor langer, langer Zeit schon einmal gesehen. Nicht hier und nicht so. Doch war es sehr ähnlich. Die Langnase kam derart ins Grübeln, dass sie beinah das Steuerrad losgelassen hätte.

„Pass auf, Idiot!“ blaffte Sanji in an.

Aber Usopp überhörte den Einwand. Und da war es: Das Wasser, das Leuchten, die Karte von Serafina.

„Der Stern!“ brüllte er Sanji an, dass er fast taub geworden wäre.

„Bist du bescheuert?“ Der Smutje war fassungslos, was diese verzwickte Lage in einer pechschwarzen Nacht zu genau diesem Zeitpunkt den Kanonier mit Astronomie beschäftigen ließ.

„Nein, das ist der Stern. Fahr hinterher!“ herrschte Usopp.

„Welcher Stern denn, zum Teufel?“

„Na, der von der Karte aus Loguetown!“

Sanji verstand immer noch nichts, doch Usopp hängte sich mit seiner halben Portion an Gewicht derart überzeugend an das Steuerrad, dass der Koch kaum eine Chance hatte, das Rad in einer anderen Position zu halten.

Unter argem Gekeife und Protest der Navigatorin, was der Crew denn zu einem eigenmächtigen Kurswechsel verholfen hätte, jagte die Sunny einem grünen Funken Hoffnung hinterher aus dem Strudelfeld hinaus in die schwarze Nacht.
 

Weit entfernt von alledem tickten im Eastblue die Uhren anders. Die Zeit lief weiter, als wäre die ganze Welt niemals in einer Dunkelheit von Eis und Kälte verschollen gewesen. Und so beschäftigten die Einwohner sich dort mit ihren üblichen Alltagsproblemen und Tagesgeschäften.

Auch für Tashigi galt es, sich von alten Problemen zu trennen und sich mit neuen auseinander zu setzen.

Nach ihrer fristlosen Kündigung war sie die ersten Tage in ein tiefes Loch gefallen. Der persönliche Aufschlag war hart, als das rote Kreuz auf dem Kalenderblatt ihr unmissverständlich anzeigte, dass ihr Zeit nun in der Unterkunft des Marinequartiers abgelaufen war. Mit Kind und Kegel und einem Sparschwein zog sie dann aus. Ohne Ziel. Einfach in die Straßen von Loguetown hinein. Die letzten Sommertage waren noch warm und lang. Das machte das gedankenlose Umherstreifen angenehm und führte letztendlich zu einer kleinen Pension am Rand des großen Stadtparks. Eine Weile könnte man es hier aushalten. Zumindest so lange das Sparschwein noch klapperte.

Eines Morgens schwieg das kleine Porzellanschwein und die aufgemalten großen Augen und der Grinsemund bettelten um Futter. Eins ums andere Mal begann ein Umherstreifen durch die Straßen. Sie begann Zeitungsannoucen zu lesen, Aushänge zu studieren und in den vielen kleinen Geschäften und Restaurants nach Insidertipps zu fragen. Tatsächlich hätte es die eine oder andere Arbeitsstelle gegeben, doch das Dasein Taiyokos machte ihr häufig einen Strich durch die Rechnung. Wo sollte ihr kleines Mädchen bleiben, wenn sie zur Arbeit wäre? Ob das Kind denn keinen Vater oder andere Verwandte hätte? Und noch mehr so sonderbarer Fragen prasselten auf sie ein. Es waren verzweifelte Momente, in denen der Frust über die eigene Situation und der Groll gegen Zoros Abwesenheit wuchs. Sie fühlte sich im Stich gelassen und hilflos.

Zumindest konnte sie sich an der Fröhlichkeit ihrer Tochter erfreuen. Sie entwickelte sich prächtig, brabbelte aufgeweckt vor sich her und war neugierig auf alles, was sie entdeckte oder zwischen die kleinen Fingerchen bekam. Daher zog es Tashigi gern auf ihren Spaziergängen durch den nahegelegenen Buchenwald. Der Sommer nahm einen langsamen Abschied. Die ersten dunkelgrünen Buchenblätter malten sich gelb und braun an. Ein kleiner Pfad schlängelte sich hindurch das Wäldchen bis an den wenig beachteten Naturstrand. Kaum ein Mensch verirrte sich hierher. Lediglich ein paar Fischer legten hier ihre Reusen aus oder Reiter ließen ihre Rösser durch die Brandung preschen. Hier konnte sie ungestört nachdenken und Taiyoko ihre Neugier befriedigen. Sand, Steine, Muscheln. Alles, was ein Kinderherz begehrte, fand sich hier.

„Wollen wir heute mal einen anderen Weg nach Hause gehen?“ fragte sie die Kleine.

Ihr Weg führte sie beide nicht zurück durch die Buchen und den Stadtpark, sondern weiter den Strand entlang über schneeweiße Dünen, welche von Kartoffelrosen überwuchert wurden. Noch eine Wegbiegung weiter und sie standen beide vor dem kleinen Leuchtturm am Westkap. Der Turm maß wohl gute vier oder fünf Meter Höhe. Ein kleines Häuschen schloss sich seiner Turmwand an und bot eine Kochzeile, einen großen Raum und ein winziges Bad seinen Gästen an. Tashigi kannte das malerisch anmutende Gebäude von ihren Patrouillengängen. Die Marine leistete sich nicht die Kosten eines Leuchtturmwärters, sondern ließ allabendlich einen Zweimanntruppe zum Turm gehen, das Feuer kontrollieren und wieder abrücken. Doch schon lange munkelte man, dass auch dieses Tun bald dem Ende entgehen und draußen auf dem Meer eine Leuchtboje die Arbeit des Turmes ersetzen würde. Doch diese Gerüchte waren auch schon einige Jahre her.

Erstaunt war sie, dass der Turm bereits außer Betrieb war. Und wie heruntergekommen das Gebäude aussah! Dabei dachte sie an die herrlichen Sonnenuntergänge, welche man aus dem Innenraum durch die großen Fenster sehen konnte. Ein Jammer, dass solch ein wirklich ruhiges und schönes Wohnobjekt so verkommen und unbewohnt vor sich her gammelte. Ein verrückter Gedanke schoss ihr durch den Kopf, welchen sie sogleich noch in die Tat umsetzen wollte. Sie nahm ihre Tochter auf den Arm und ging den Bohlenweg hinab nach Loguetown.
 

„Was willst du haben? Den Turm?“ Smoker saß mit seinen dreckigen Stiefeln auf dem Schreibtisch abgelegt in seinem Büro und paffte ungeniert vor sich her. Dabei überlegte er, ob es sich hier um einen Witz handeln sollte.

„Pensionswohnen wird auf Dauer zu teuer. Und der Turm hat ausgedient. Oder etwa nicht?“ entgegnete Tashigi keck.

Der Qualmer seufzte. Sicherlich hatte das Persönchen dort auf der anderen Seite des Schreibtisches Recht. Zudem war es gar nicht so dumm, mit diesem Piratenkind nicht mitten in der Stadt, sondern eher in Abgeschiedenheit zu wohnen.

„Die Marine wird den Leuchtturm sicherlich nicht verschenken. Auch wenn der vermutlich baufällig ist. Wer soll denn das Ding sanieren? Du mit deinen linken Händen?“

An der verfinsterten Miene Tashigis erriet der Admiral, dass er wohl einige empfindliche Nägel auf den Kopf getroffen hatte.

Noch einmal zog er kräftig an der Zigarre.

„Na schön. Ich werde mal im Hauptquartier anfragen.“

„Vielen Dank, Herr Admiral“, bedankte sich Tashigi höflichst und ließ sich noch sagen, dass sie in ein paar Tagen unten am Bürotresen sich eine Nachricht abholen könnte.

Die kommenden Tage sollten wie in Zeitlupe vergehen. Tatsächlich nahm sie nach einer Zeit des Wartens einen großen Umschlag entgegen. Darin fanden sich die Hausschlüssel und zu ihrer großen Freude auch die Umschreibungsunterlagen. Der Turm war nur der ihrige! Überschwängliche Freude durchfuhr sie, doch sie wagte es nicht, vor all den Soldaten, die sie noch von früher kannte, die Miene zu verziehen. Also ging sie wieder zurück zur Pension. Die Zeit des Packens wieder einmal hatte begonnen.
 

Mit Herzklopfen drehte sie den alten Eisenschlüssel zweimal im Schloss herum. Ein helles Knarren folgte, als sich die Tür in den Angeln bewegte. Sie war nicht fachkundig, doch was sie im Inneren des kleinen Leuchtturmhäuschens sah, war weniger erschreckend, als sie es erwartet hatte. Ja, die Farbe blätterte von den Wänden, die Türen knarrten, die Dachbalken ächzten im Wind und es zog leicht durch das eine der beiden großen Fenster. Doch der Ofen und das Wasser liefen. Sogar etwas Brennholz war noch da.

„Hier wohnen wir ab heute!“ sagte sie mit fester Stimme, welche eher sie selber motivieren als ihre Tochter unterrichten sollte.

Die ersten Tage in ihrem neuen Domizil verliefen ruhig und waren davon gekennzeichnet, sich häuslich einzurichten. Das eine oder andere Möbelstück würde sie noch auftreiben müssen. Doch fürs erste fanden ihre Habseligkeiten ordentlich aufgereiht am Fuße der langen Wandseite ihren Platz. Da waren Kleidung, Papiere, Kindersachen. Die Schwerter bekamen einen Extraplatz in der Zimmerecke die Camera Obscura, welche Tashigi erst noch nachdenklich in den Händen hielt. Ein unheimliches Ding, dachte sie. Sie macht Bilder, die Dinge zeigen, die der normale Mensch nicht sieht. Ob es mit diesem Apparat auch auf dieser Insel Mysterien zu entdecken gab? Tashigi beschloss, die Kamera öfters mal bei sich zu haben und sie zu probieren. Vielleicht gäbe es ja in einer der Vier-Blue-Läden auch Filme dafür. Das wäre wunderbar.

Genau das sollte nun untersucht werden. Zusammen mit ihrer Tochter zog sie in die Innenstadt. In der Nähe des Marktplatzes gab es eine Wandzeitung. So würde sie wenigstens immer auf dem Laufenden bleiben. Unruhen, Überfälle und Piratenangriffe im gesamten East Blue dominierten die Schlagzeilen. In der Bevölkerung machte sich eine hektische und ängstliche Stimmung breit. Zwar gehörte die Stadtgeschichte schon ewig mit der Geschichte der Piraten verwoben, auch war der Ort häufig Sitz von räuberischen Banden, jedoch hatte es noch nie zuvor Übergriffe gegeben. Man hoffte, dass die Marine die Insel sichern würde. Ein kleiner Artikel behandelte ein Kurzinterview mit Admiral Smoker, in welchem er in knappen Antworten Stellung zur aktuellen Lage auf den Meeren gab. Tashigi konnte sich gut vorstellen, mit welchem Missmut dieses Interview zustande gekommen war. Sie musste kichern.

Daneben hingen eine Unzahl von Steckbriefen. Natürlich waren auch die Strohhüte mit ihren Kopfgeldern vertreten. Tashigi betrachte die Fotos genau. Jetzt, wo sie die Piratenbande kennen und lieben gelernt hatte, sah man die Fotos mit anderen Augen. Plötzlich wies jeder der Steckbriefe auch eine Hintergrundgeschichte und eine Persönlichkeit auf. Es erfüllte sie mit einem Hauch von Stolz, ein Teil dieser Crew gewesen zu sein.

Es ging von der Wandzeitung weiter durch den Stadtkern, durch ein Wohnviertel mit reichen Kaufmannshäusern, über einen kleinen Fluss, welcher Loguetown durch durchschlängelte, und noch weiter durch das Künstlerviertel. Skulpturen, Bilder und alles, was man wohl mit größter Fantasie zur Kunst zählen konnte, wurden hier feilgeboten. Gern hätte Tashigi einen Blick dafür übrig gehabt, doch die kleinen Patschehände Taiyokos grabschten neugierig nach allem, was in Reichweite lag, und so zogen sie schnell weiter, um Schaden an den Kunstwerken in Grenzen zu halten. Ihr Ziel war so wie so weniger der Kunsthandel, sondern einer der vielen Vier-Blue-Läden.

So ein Laden war eine spannende Angelegenheit, denn jeder der Händler behauptete hartnäckig, dass all die Waren in seinem Geschäft ausnahmslos Originale aus einem der vier Blues wären. Jedes Stück wäre fleißig zusammengesammelt oder von Reisenden mitgebracht. Dementsprechend hohe Beträge wiesen die Preisschilder an den einzelnen Stücken auf. Über die Echtheit der Ware könnte man sicherlich lange debattieren, doch zu schauen, staunen und stöbern gab es immer etwas.

Sie besuchte mehrere dieser Läden auf der Suche nach passenden Filmen für ihre Kamera. Im fünften Laden wurde zu fündig.

„Filme für das alte Ding da?“ wunderte sich der Verkäufer. „Probier‘ mal die große Kiste dahinten durch. Da hat sich noch nie ein Abnehmer für gefunden.“

Er schien weder Ahnung von der Kamera zu haben, noch was diese bewirken konnte, doch für Tashigi war sofort klar, dass sie hier einen großen Schatz gefunden hatte. Die Kiste war randvoll gefüllt mit passendem Filmmaterial und die ISO-Nummer ließ ihre Augen leuchten: So viele Rollen mit hoher spiritueller Kraft. Nun lag es an ihr, ein verschlossenes Pokerface aufzulegen, um einen möglichst günstigen Preis zu erzielen.

„Was möchten Sie für die Filme haben?“ fragte sie direkt.

Der Mann hinter dem Tresen musterte sie von oben bis unten und legte nachdenklich den Kopf schief. Wenn diese Frau dort die ganze Kiste wollte, so musste der Inhalt doch wohl bedeutsamer sein, als er es jemals angenommen hätte. Das roch unter Umständen nach einem Supergeschäft.

Tashigi spürte, dass es in den Gehirnwindungen des Ladenbesitzers gerade um immer höher wachsende Preise ging. Sie versuchte überrumpelnd einzugreifen.

„Hören Sie. Die Kamera ist eine Massenfertigung. Die Produktion wurde schon vor Jahrzehnten eingestellt. Ich finde sonst keine Filme mehr. Doch so könnte ich das Erbstück meiner Urgroßmutter noch lange nutzen. Eine Kamera ohne Filme ist wertlos“, tischte sie dem Händler eine Lügengeschichte auf, wie sie nur Usopp einfallen könnte.

Der Plan ging auf.

„Na, dann nimm das Ganze mal für’n 50-Berry-Stück mit“, meinte dieser nur.

Zufrieden verstaute sie ihren frischen Neuerwerb in dem kleinen Ablagefach des Kinderwagens und verließ dann eilig den Laden, noch bevor der Händler merken würde, was er da eben zu welch viel zu günstigem Preise veräußert hatte.

Sie freute sich so sehr, dass ihrem Spürsinn zwischen den engen Gassen und all den Künstlern und Kunstwerken entging, dass sie einen neuen Schatten hatte.

Erst als es leerer in den Straßen wurde und das Stimmengewirr der wandelnden Kunstinteressierten abklang, machte sich ein flaues Gefühl in ihrer Magengegend breit. Abrupt drehte sie sich um. Eine Hand am Katana, die andere am Kinderwagen.

„Wer ist da?“ rief sie mit energischer Stimme durch die Straße.

„Guten Abend, Gnädigste“, stellte sich eine kleine schlanke Gestalt vor. Sie zog dabei höflichst den Hut, verbarg sich aber dann doch lieber in ihrem hellen Sommermantel. Der Herr schien mittleren Alters zu sein und nicht den Eindruck eines einfachen Straßenräubers zu machen. Wenn er kriminelle Absichten hätte, so würde man ihn wohl eher in den Bereich der Versicherungsbetrüger und Steuerhinterzieher vermuten. Doch man wollte ja nicht voreilig fremden Leuten böswillige Dinge unterstellen.

„Gnädigste“, wiederholte er sich. „ Ich war vorhin zufällig in demselben Geschäft wie sie. Sie haben eine schöne Kamera. Ich interessiere mich für Antiquitäten.“

„Tatsächlich?“ Tashigi konnte die wahren Absichten des Ummantelten noch nicht ganz durchschauen.

„Ich schätze, ich werde ihnen wohl keine Offerte für den Apparat machen können? Ich würde Ihnen einen vorzüglichen Preis bieten.“

Ihr schwante, dass der Herr wohl um die wahre Funktion des Zauberkastens wusste. Doch verkaufen, würde sie niemals. Das war ihr von vorn herein klar.

Sie ließ sich von dem vermeintlichen Antiquitätenhändler eine Visitenkarte geben und war froh, ihn dann doch abgewimmelt zu haben.
 

Auf dem Rückweg begann sie sich dann doch zu ärgern. Verdammt, der Verkauf der Kamera hätte vermutlich auf einen Schlag ihre finanziellen Probleme gelöst. Sie haderte mit sich selbst, vielleicht doch noch einmal zu der Adresse auf der Visitenkarte zu gehen.

Die Sonne zauberte eine herrlich warmgetönte Atmosphäre durch die sich zur Ruhe setzenden Straßen, als sie sich gegen Abend zwischen die Wipfel der Alleebäume schob.

Ein schönes Bild, dachte sich Tashigi und wollte nun doch überprüfen, ob die Filme tatsächlich noch in Ordnung wären. Sie legte einen ein und kurbelte das erste zu belichtende Stück Film an die richtige Stelle. Dann sah sie durch den Sucher. Nichts geschah.

Vermutlich sind keine Geister hier, dachte sie weiter. Na, das wäre doch auch sehr beruhigend. Sie sah sich um. Es gab einige Straßen weiter einen Ort, der wurde von den Ortsansässigen gern gemieden. Dort lagen feinste Villen am Stadtrand. Die Oberschicht von Loguetown residierte hier abgeschottet vom restlichen Stadtleben. Selten verirrte sich mal ein Bewohner aus den anderen Stadtvierteln hierher. Doch das sonderbare waren weniger die Siedlung der Reichen, sondern inmitten des Stadtflüsschens, welcher hier aus den Wäldern in die Stadt übertrat, lag eine ebenso kleine bewaldete Insel. Sie maß im Durchmesser wohl knapp so groß wie ein halbes Fußballfeld zu sein, doch die Gerüchte und Erzählungen schienen unendlich. Man munkelte, die Insel wäre eine Wiege für Neugeborene und nachts höre man ihr lautes Weinen. Wenn dem so wäre, dann hätte Tashigi ein gutes Testbild für ihre Kamera.

So führte sie der Weg von Mutter und Tochter nicht direkt nach Hause, sondern machte einen Umweg. Still lag in dieser Abenddämmerung die kleine Insel vor ihnen. Nichts deutete auf geheimnisvolle Geschehnisse in der Vergangenheit hin.

Tashigi zückte die Kamera und spürte schon beim in die Hände nehmen, dass der Sucher die spirituelle Kraft der Filme nutzte und vibrierte. Der Suchkreis leuchtete blau auf. Hier war ein wahres Nest an verlorenen Seelen, die unruhig auf Erden wandelten. Trotz ihres Alters und der langen strapaziösen Reise schienen die Kamera und die neuen Filme in Ordnung. Tashigi machte ein Foto und war zufrieden.

Dennoch überlegte sie, ob man wirklich jedes Schicksal auf den Fotos enträtseln sollte. Oder ob es nicht etwa besser wäre, grausame Schicksale unbeleuchtet zu lassen.
 

Einige Tage später war es in den frühen Morgenstunden ohne Dämmerung, dass Taiyokos Weinen ihre Mutter aus dem Schlaf riss. Noch schlaftrunken sah sich diese um und war mit einem Schlag hellwach. Merkwürdige Geräusche mischten sich draußen zwischen die Brandung. Menschenstimmen machten die Runde. Piraten! Und sie landeten hier am Westkap!

Sofort war Tashigi auf den Beinen, zog sich etwas über und schnappte sich Taiyoko. Ob die Piraten sie beide wohl übersehen würden? Ein Knarren und Knarzen an der Tür beraubte sie der Hoffnung. Jemand machte sich dort am Eingang zu schaffen. Geistesgegenwärtig nahm sie das nächstgreifbare Katana und schon im nächsten Augenschlag, stürmte eine Handvoll finsterer Kerle herein, bereit alles zu zerstören.

Ein kaum hörbares Surren zerschnitt erst die Luft, dann die Leiber der Angreifer. Tashigi stürmte mit ihrer Tochter auf dem Arm ins Freie vorbei an den leblosen Körpern, die nun vor und in ihrer Haustür lagen. Sie spähte umher und vermutete noch weitere Angreifer in der Nähe der krüppligen Kiefern, welche bis an die Dünen heranreichten.

Entweder die oder wir, schoss es ihr durch den Kopf und sie rannte zielstrebig auf den vermeintlichen Feind zu, den sie da beim dem Kiefernpfad aufzuhalten vermutete. Mit allen Mitteln würde sie das beschützen, was sie liebte und ihr zuletzt geblieben war. Das schwor sie sich in diesem Moment.

Sie hob ihr Katana und holte zum Schlag aus, als plötzlich eine lang vermisste Stimme sie aufhielt:

„Warte!“

Starr stand sie dort und der untergehende Mond beleuchtete die feine Klinge in ihrer ganzen Reinheit. Ein unnatürlich weißer und wohliger Glanz strahlte von dem Schwert aus, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte, als Zoro Luffy vom Schafott befreien wollte. Auf Wadoichimônji lag ein neues Versprechen.

Immer noch überrascht sah Tashigi auf einen Mann, der über und über vom Kampfe gezeichnet war. Aus den Augenhöhlen stach Dunkelheit. Die grünen Haare waren zerzaust und klebten vom eingetrockneten Blut zusammen. Insgesamt wirkte über allem eine große Müdigkeit und Kraftlosigkeit.

„Zoro?“
 

Noch ehe die Sonne so recht über die Horizontlinie gekrochen war, hatte Tashigi die Lage wieder im Griff. Der örtliche Bestatter hatte die Leichen der Piraten abgeholt, denn Tashigi brachte es dann doch nicht übers Herz, sie wie Abfall über die Klippe zu entsorgen, wie es Zoro gleichgültig vorgeschlagen hatte. Zudem hatte sie alles in ihrem Haus und Heim wieder zurechtgerückt, Zoros Wunden verbunden und für sich und ihr Kind das Frühstück bereitet. Zoros Gedeck stellte sie gar nicht erst mit an die Tafel. Ihr Freund war eingeschlafen und so lädiert, wie er aussah, würde es wohl Tage dauern, bis er wieder gesund und munter aufwachen würde. Sie ließ in schlafen.

Gut gestärkt ging es dann erst mal hinunter in die Stadt. Sie wollte sich ein Bild von den Geschehnissen der letzten Nacht machen. In einigen Straßenzügen herrschten noch die Trümmer der vergangen Stunden vor. Eingetretene Türen, zerschlagene Fensterscheiben, Blut. Die Piratentruppe musste weit größer gewesen sein, als zu Beginn angenommen.

Auf dem Marktplatz drängten und lärmten viele Menschen. Die halbe Bevölkerung war auf den Beinen und wimmelte wie ein Bienenschwarm umher. Man erhoffte sich von der Stadtverwaltung und der Marine Auskünfte. Tashigi kannte die beiden Personen dort oben auf der kleinen Rednerbühne. Der kleine untersetzte Herr saß sonst in der Passverwaltung des Rathauses und der lange, dürre musste regelmäßig für Admiral Smoker den Kaffee kochen und Akten sortieren. Warum nun diese beiden am frühen Morgen das schwere Los getroffen hatte, nun hier die Clowns zu spielen, blieb ihr unklar. So schaute sie noch eine Weile zu, wie die beiden verzweifelt versuchten, etwas Ruhe in die Menge zu bringen. Bereitwillig gab es Informationen über weitere vermutetet Angriffe, den Schutz von Mann und Maus und Schadensregulierung. Doch Tashigi war das Gewühl der Leute an diesem Morgen zu viel und das Gerede gerade wenig interessant. Sie drängte sich weiter durch die Massen bis sie es in die ruhigeren Seitenstraßen geschafft hatte, wo es ein kleines Ecklädchen aufzusuchen galt.

Die messingfarbigen Glöckchen über der Eingangstür wurden wild durcheinander gebracht und klingelten aufgeregt, als Tashigi die Ladentür von Herrn Picos Laden öffnete. Schnell schloss sie diese wieder, denn schon beim letzten Male gab es für den Ladenbesitzer sofort einen großen Aufreger: Durchzug durch die offenen Ladentür. So viel Unfreundlichkeit war ihr selten untergekommen, doch diesem Herren eilte der Ruf voraus, in besonders kurzer Zeit besonders schnell Fotos entwickeln zu können zu einem besonders günstigen Preis. So kam man als Fotograph kaum um Herrn Pico herum.

Nachdem er den Abholschein studiert hatte, schlurfte er ins Hinterzimmer und kam schon bald mit einer Fototasche zurück.

„Sie haben ja komische Motive. Zum Teil sind die Bilder auch doppelt belichtet worden. Geht der Transporteur ihrer Kamera vielleicht nicht mehr richtig?“, fragte er mürrisch. Tashigi warf einen kritisch prüfenden Blick auf ihre Aufnahmen.

„Nein, Nein. Es ist alles in bester Ordnung. Das doppelte Belichten ist Absicht, um zwei Motive zu kombinieren“, log sie. Es gab keinen Grund, Herrn Pico über die Bauart und die Funktion einer Camera Obscura aufzuklären.

„Also, ich finde die Bild spannend“, warf nun eine nebenstehende Kundin ein, welche neugierig über Tashigis Schulter geschaut hatte.

„Sind sie Künstlerin? Also, um die Motive so exakt übereinander lappen zu lassen, also, das erfordert schon hohe technische Kenntnisse der Fotografie“, schnatterte die Dame weiter.

„Also, die Bilder passen gut in meine aktuelle Galerieausstellung. Würden sie ihr Arbeiten vielleicht dort präsentieren wollen? Also, was sagen sie?“

Tashigi bekam einen hochroten Kopf, denn von Fotografie verstand sie wenig und künstlerisch begabt war sie schon gar nicht. Doch sie witterte eine gute Gelegenheit, ihrem verhungerten Sparschwein ein paar Berrys zu gönnen. Durch eine Ausstellung könnte wohl der ein oder andere kleine Taler klingeln.

„Nun, ich würde mir ihre Galerie gerne ansehen und auch das Angebot im Detail mit ihnen besprechen“, stotterte Tashigi heraus.

„Ah, ich sehe. Also, sie sind es gewohnt, ihre Werke zu vermarkten“, plapperte die Dame mit den vielen „Alsos“ weiter.

„Lassen sie sich von der nicht übers Ohr hauen“, murrte Herr Pico weiter, ließ sich von Tashigi für seine Entwicklungsarbeiten entlohnen und drehte sich dann dem nächsten Kunden zu, der sich eine Kamera zeigen lassen wollte.

Tashigi, Taiyoko und die Also-Frau waren da schon längst auf dem Wege die Straße entlang. Tashigi hätten es schon fast vermuten können, dass sie das Künstlerviertel ansteuerten. Doch verwundert stellte sie fest, dass der Also-Frau wohl nicht Inhaberin eines Hinterhofes mit billigem Malereiramsch war, sondern die hellen und großzügigen Räume ihrer Galerie lagen auf der Hauptstraße des Viertels, welches als besonders luxuriös galt. Wer seine Bilder hier aushängen konnte, der hatte für die nächsten Jahre ausgesorgt. Zumindest wurde so in der Bevölkerung geredet.

Tatsächlich konnte man bei Frau „Also“ aktuell viele Werke vorfinden, die sich im Großen und Ganzen dem Thema „Schwarze Mystik“ verschrien hatten. Da gab es Voodoo-Puppen, Hexenhüte, Abbilder von Friedhöfen und dunklen Messen, bunte Teufel und Fabelwesen.

„Also, die Leute fahren gerade komplett ab auf diese Thema. Also mir hat ja davor die zeitlose Kunst als neue Trendmode besser gefallen. Also, es läuft hier so. Sie legen die Preise fest und ich bekomme von jedem Bild eine festgelegte, prozentuale Provision. Ich lege ihnen Abrechnungen vor und melde mich umgehend, wenn ein Bild verkauft ist“, schlug die Galeristin vor.

Nun musste Tashigi auf der Hut sein. Immerhin könnte die Also-Frau alles behaupten, zu welchen Preisen sie etwas verkaufen würde und später ihr nur einen geringen Teil überlassen. Sie dachte fieberhaft nach, während sie weiter die einschlägigen Preise der bereits ausgestellten Kunst studierte. Ihr Sparschwein schaltete sich in ihre Überlegungen ein und so musste sie nun pokern.

„Ich bin mir unsicher, ob meine Bilder hier hineinpassen. Sie sind doch um einiges höherwertiger. Ich denke, das werden sie erkannt haben“, sagte Tashigi in einem ruhigen Ton und ließ etwas Hochmut mitschwappen.

„Gewiss meine, Liebe, gewiss. Also, es wäre mir eine große Ehre, wenn sie hier ausstellen würden“; versuchte Frau „Also“ noch einmal das Gespräch zu beeinflussen, denn ihr wurde gewahr, dass Tashigis Pokerei eine harte Nuss war.

Letztendlich einigten sie sich auf eine angemessene Provision und Tashigi ließ die frisch entwickelten Bilder gleich vor Ort. Zu ihrer großen Freude sollte sie schon wenige Tage später für das erste verkaufte bild ein hohes Sümmchen an Berrys ausgezahlt bekommen.
 

Ebenso wenige Tage später sollte es oben im Leuchtturmdomizil passieren, dass Zoro gut genesen wieder erwachte. Und obgleich sie sich so nahe standen, fanden sie anfänglich doch keine Worte für einander bis ihr die Geduld platzte. Sie überschüttet ihn mit Fragen, ob er sich herumgetrieben hätte und ob ihm denn alles so herzlich egal gewesen wäre, wie es ihr oder gar dem Kinde ginge.

Und so gab Zoro unüblich seiner Art in kurzen, knappen Sätzen wieder, was sich bei ihm so zugetragen hatte.

Wie er in der dunklen Eiswüste auf Smoker traf, weil dieser auch Hanyô-Blut in seinen Adern hätte. Wie er selbst alles vergessen hatte, aber Smoker aus Tashigis Buch vorlas. Wie sie zum vergessenen Königriech fuhren und One Piece fand. Und wie sie dann das Geheimnis der Prismen lösten. Dann erzählte er von ihrem gemeinsamen Weg zur Kröte und deren Sieg über sie. Nach dem Sieg hätten sich dann jedoch ihre Wege getrennt. Smoker wollte nach Loguetown zurückkehren und er selbst machte sich wieder auf den Weg zu Kivi, welcher im verlorenen Königreich wartete. Dort setzten sie die Prismen wieder zum weißen Licht zusammen. Dadurch kam die Welt wieder in die Gänge. Es war auch das Ende der Prismenträger. Es hatte ihn selbst sehr gewundert, wie lange aber die Nachwirkungen der Prismen noch inne hielten. Und so kam er mit seiner Erzählung letztendlich bei dem Streit auf der Thousand Sunny und seiner letzten Reise hierher an.

Währenddessen hatten Tashigis Ohren geglüht, so spannend war die Geschichte gewesen. Nun wiederum erzählte sie ihm, wie es ihr ergangen war. Ihr Rausschmiss aus der Marine, ihr Umzug hierher, die Nöte von der Arbeitssuche mit Kind und die neue Geldquelle mit den Fotos.

Zoro gab zu bedenken, dass man auf den Bildern die Geister von real existierenden Menschen sehen würde. Es könnte passieren, dass vielleicht ein naher Angehöriger seinen lieben Verwandten erkennen und verwirrt sein könnte. Sie solle sich darauf gefasst machen, dass sie hier mal in Erklärungsnöte kommen könnte. Da konnte sie ihm nur Recht geben. An diese Möglichkeit hatte sie noch nicht gedacht. Sie versprach, bei der Auswahl der Bilder vorsichtiger zu sein.

Zoro hatte seine Schwerter entdeckt. Er nahm sie bedächtig an sich und zog eines nach dem anderen aus der Scheide, um sie gründlich in Augenschein zu nehmen.

„Du hast sie wirklich gut verwahrt“, lachte er sie an und Tashigi freute sich über solch ein Lob.

„Hast du den Glanz gesehen?“, fragte er sie. Sie nickte.

Nach einer Weile schob er Wadoichimonji wieder zurück in die Schwertscheide und hielt es ihr hin.

„Hier, es hat dich als neuen Besitzer ausgesucht.“

„Was? Das kann ich nicht annehmen“, warf sie ein, tat dann aber unter Protest, wie ihr geheißen wurde. Dann deutete Zoro auf einen kleinen Seesack, von welchem Tashigi zuvor noch kaum Notiz genommen hatte.

„So gut, wie du auf meine Schwerter geachtet hattest, so gut hat es dein Buch bei mir leider nicht gehabt“, musste er kleinlaut zugeben, als er Tashigis Aufzeichnungen hervorkramte. Vollkommen zerfleddert und geknickt kam aus dem Sack ein Stapel beschriebener Papiere zutage.

„Ach, Hauptsache ist doch, sie sind wieder da“, lachte sie.

Dann schickte sie Vater und Tochter hinaus zum Strand.

„Sie spielt gerne dort. Dann lernst du sie besser kennen“, gab Tashigi dem neugewonnenen Vater mit auf den Weg.
 

Die nächtlichen Herbststürme trieben Regen übers Land und rüttelten die Blätter von den Bäumen. Tashigis Bilderverkauf lief zufriedenstellend und ernährte die dreiköpfige Familie. Es blieb sogar etwas von dem Geld übrig, was Tashigi gern in ihr kleines Häuschen investieren würde. Der Winter kam mit großen Schritten näher und da sollte es warm sein.

Eines Morgens stand Zoro an die Hauswand gelehnt, noch den Becher Kaffee in der Hand und spähte aufs Meer. Er tat es so konzentriert, dass Tashigi aufmerksam wurde.

„Hast du etwas entdeckt?“

„Ich schätze, wir bekommen bald Besuch. Noch gut einen Tag und sie sind da“, gab er zurück.

„Du meinst… Die Sunny kommt?“ Helle Aufregung stieg in Tashigi auf. Einerseits freute sie sich sehr, ihre lieben Freunde wiederzusehen. Andererseits wusste sie aber auch über die Differenzen zwischen Luffy und Zoro Bescheid. Ihr war unklar, weshalb die Strohhüte hier auftauchten und ob sie über Zoros Anwesenheit im Bilde waren.
 

Entgegen aller Befürchtungen Tashigis sollte die Ankunft der Strohhutbande jedoch ein großes Hallo werden. Und da die Strohhutbande nicht die Strohhutbande ohne ein großes Fest wäre, wurde sogleich eines vor den Toren des kleinen Leuchtturms organisiert. Schnell prasselte zu den frühen Abendstunden ein Lagerfeuer und Sanji tischte die herrlichsten Leckereien auf. Schon bald saßen alle zufrieden speisend um das Feuer und tauschten sich über die Dinge aus, die sie seit ihrer Trennung erlebt hatten.

Weit waren die Strohhüte nicht gekommen. Hier und da hatte sie der Weg über das Meer geführt. Viele Inseln hatten sie erforscht, doch ihrem Traum, Raftel zu finden, waren sie nicht näher gekommen. Doch die neuen Geschichten konnten den ganzen Abend füllen. Besonders Usopps Ausführungen verliehen ihnen eine ganz eigene Dramatik.

„Vermisst du das Reisen nicht, Tashigi?“ fragte Chopper.

„Ja, sehr sogar. Vielleicht werde ich es auch irgendwann wieder tun, wenn Taiyoko groß ist“, überlegte sie ins Blaue hinein.

„Du weißt doch. Ich will alle legendären Schwerter finden“, lachte sie und trank noch einmal einen kräftigen Schluck von dem sündhaft süßen Rotwein. Der Smutje hatte aber wirklich immer das allerbeste in seinem Lebensmittellager, was es auf der ganzen weiten Welt gab.

„Aber erst einmal muss da oben bei dem Leuchtturm etwas passieren. Ich glaube, der ist nicht mehr so richtig winterfest“, ergänzte sie seufzend.

„Aber das ist doch gar kein Problem. Du hast doch uns beide. Stimmt’s, Usopp?“ warf Frankie zuvorkommend ein. „Was soll denn gemacht werden?“

Schon am nächsten Tage sollte sie das kleine Häuschen am Turm nicht mehr wiedererkennen. Alles war gemalert, die Fenster gerichtet, das Dach repariert. Und da Frankie ein Perfektionist war, glänzte das Häuschen mit einem nagelneuen Anbau und einer Veranda mit Blick über das Meer.

„Ein einziges Zimmer war ja inakzeptabel“, stellte er der Hausbesitzerin den Anbau vor, in dem zwei Räume und das Bad von nun an befanden.

„Und er die großartigen Erfindungen und das Design“, ergänzte Usopp ausführend über das Werk.

Tashigi konnte Freudentränen nicht verbergen.
 

Inmitten der Nacht saßen Zoro und sie noch lange auf der Veranda. Der Mond spiegelte sich auf der ruhigen See. Der Wind hatte gedreht und kam vom Lande, so dass es mild war.

„Die Sunny legt morgen früh wieder ab.“

„Ja, das ist schade.“

Eine lange Pause des Schweigens herrschte.

„Vorhin habe ich gesehen, wie Luffy und du dich unterhalten hattest. Du fährst mit, oder?“

„Hm, ja. Er hat sich wieder eingekriegt. Und sonst kommt er ja nie nach Raftel.“
 

In den frühen Morgenstunden, als die Sunny ablegte, herrschte eine dicke Nebelsuppe. Sanji kam nicht umher, Zoro aufzuziehen, er solle sich bloß nicht verlaufen oder gar das falsche Schiff besteigen. Doch er erntete nur einen genervten Seufzer.

„Mach’s gut. Und melde dich sofort, wenn etwas ist. Ich bin dann sofort da. Das weißt du, oder?“

Die Umarmung war lang und still, bis sie sich gänzlich verabschiedeten.

Obwohl die Sunny nach wenigen Augenblicken vom Nebel vollkommen verschluckt wurde, starrte Tashigi noch lange auf die weiße Wand, als würde sie hoffen, dass sie die Sunny sogleich wieder freilassen würde. Die Ungeduld ihrer Tochter veranlasste sie dann doch, den Anlegeplatz zu verlassen.
 

Zurück auf dem Leuchtturm staunte sie nicht schlecht. Chopper hatte Pflanzensamen vergraben, welche er einst mal irgendwo von irgendwem bekommen hatte. Sie konnte sich nicht mehr genau dran erinnern, denn zu viele Geschichten war am Lagerfeuer erzählt worden. Nun zeigten sich in der kurzen Zeit schon erste Triebe. Ein kleiner Elfenbein-Kirschbaum wuchs dort und erst viele Jahre später würde dieser Baum sein wahres Geheimnis offenbaren. Sein Honig würde eine Delikatesse und wirksam gegenüber Krankheiten aller Art sein.
 

Der Herbst zog vorbei. Die ersten Flocken fielen vom Himmel. Es wurde Zeit, sich in dicke Wintermäntel zu hüllen, wenn man sich vor die Tür wagte. Kühle Winde empfingen einen und röteten die Wangen.

„Komm, wir müssen noch etwas aus der Stadt abholen“, sprach Tashigi zu ihrer Tochter, welche fröhlich in dem ersten Schnee ihres Lebens herumkrabbelte, aber schon bald zu weinen begann, da die weiße Pracht für ihre kleinen Hände ungewohnt kalt war.

„Du Dummerchen sollst doch deine Fäustlinge anbehalten“, tadelte sie die Kleine lachend. Sie setzte sie auf den Schlitten und zog sie hinunter durch viele Straßen, wo sie an einer Buchbinderei Halt gemachte.

Zwar hatte sie sich über den Wiedererhalt ihrer Aufzeichnungen gefreut, doch ihr Zustand passte nicht in ihr Ordnungssystem. Viele Abende hatte sie also damit verbracht, die Seiten neu zu ordnen, zu kleben oder manchmal auch komplett abzuschreiben. Um dem ganzen Werk eine Krone aufzusetzen, sollte es nun gebunden nicht noch einmal durcheinander geraten.

Ehrfürchtig nahm sie vom Buchbinder ein schweres Buch mit 271 Seiten entgegen. Auf dem mit lederüberzogenen Einband prangte der güldene Buchtitel. Vielleicht würde sie es irgendwann einmal ihrer Tochter geben.

Voller Stolz schlug sie die erste Seite auf und las:
 

„1 – Die Nachricht

Es goss in Strömen und der Sturm fegte alles mit sich durch die leeren Straßen, was sich ihm in den Weg stellte. …“
 

> Ende <



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Von:  Kruemelmonstaa
2018-01-07T10:51:09+00:00 07.01.2018 11:51
Wow! Ich bin wirklich begeistert. Man merkt durch die ganze Geschichte hindurch, wie viel Herzblut und Zeit darin steckt. Die Story ist einfach klasse und irgendwie macht es mich traurig, dass der erste Teil jetzt zu Ende gegangen ist. Ich habe von Anfang an mitgefiebert und mir immer wieder Sachen ausgemalt, wie es denn jetzt weitergehen könnte und du hast jedes Mal meine Vorstellungen übertroffen! Erst befürchtete ich, dass die Geschichte ohne ein Happy End enden würde, aber irgendwie hat sie doch ein recht schönes und gleichzeitig etwas trauriges Ende.
Ich hoffe man bekommt im zweiten Teil wieder ganz viel Zorro und Tashigi Zeit. Die Entwicklung der Beziehung von ganz am Anfang bis jetzt zwischen den beiden hat mir persönlich mit am besten gefallen.
Mal sehen was der zweite Teil so an besonderen Abenteuern bereit hält. Leider werde ich den Teil nicht so schnell verschlingen können, wie den ersten. Zumal die Uni wieder anfängt und bald die Klausuren vor der Tür stehen.

Ich bin gespannt wie es weiter geht
Liebe Grüße
Kruemelmonstaa
Antwort von:  sakemaki
07.01.2018 12:01
Vielen Dank! Solch überschwänglich lobenden Kommentare flutschen 'runter wie Öl! :-)))
Da du nicht von Beginn an dabei warst, mag ich noch kurz etwas zu dieser fanfic erzählen, weil es meine erste fanfic überhaupt war. Eigentlich sollte die Geschichte nach rund 20 Kapiteln enden, nämlich dort, wo sich Tashigs und Zoros Wege in Loguetown nach Luffys Rettung wieder trennen. Doch der Leserzuspruch war so riesig (konnte ich mir gar nicht vorstellen o_O), dass ich noch 40 Kapitel dranhängte. Ja, es hat mir so unglaublich viel Spaß gemacht. Man merkt auch, dass ich mit jedem Kapitel besser und sicherer wurde. Doch auch irgendwann ist jede Geschichte zu ende, und ich hatte privat eh kaum Zeit zum Schreiben. Raftel 2 entstand dann, weil viele wissen wollten (so wie du), wie es denn nun weitergeht. Ich hoffe, Raftel 2 enttäuscht dich nicht. Ich finde, dass der 2. Teil wesentlich kompakter und zusammenhängender geschrieben wurde, als der 1. Teil. Da hatte ich mehr Erfahrung.
Also viel Spaß damit!

LG Susanne
Von:  iz38evir
2016-10-30T15:45:17+00:00 30.10.2016 16:45
Wieso erinnert mich das an Silent Hill.. 🤔 trotzdem gutes Kapitel und gute Story. Auch nach so vielen Jahren 😀
Antwort von:  sakemaki
30.10.2016 18:11
In my restless dreams, I see that town ... Ja, das ist eine Mischung aus Silent Hill und Skagen im Winter. Vielen Dank für das Entdecken und Lesen der Geschichte. :-)
Von: abgemeldet
2016-05-29T18:02:23+00:00 29.05.2016 20:02
Guten Abend! :))
 
Ein gutes und schockierendes Kapitel! Armer Chopper! 
Ich habe richtig Mitleid mit ihm. :(( Weniger, weil Zoro doch beim ist, aber er tut mir trotzdem leid.
Gespannt bin ich nun allerdings wegen Smoker und Tashigi.
Auch wenn es Ärger bedeutet, hoffe ich, dass sie aufeinander treffen.
 
Auf kleine Auffälligkeiten, die den Inhalt nicht betreffen, gehe ich jetzt und später nicht näher ein, weil du selbst schriebst, dass du einiges anders verfassen würdest. Ich lese trotzdem gerne weiter und nehme mir später etwas aktuelleres vor, um einen Vergleich ziehen zu können.
 
Bis zum nächsten Kapitel!
abgemeldet
Antwort von:  sakemaki
29.05.2016 20:12
Guten Abend zurück,
ich denke, mit den Auffälligkeiten wirst du solche Dinge meinen, dass sich häufig Wörter wiederholen, Kommata falsch sitzen oder der Konjunktiv nicht passt? Wenn ich es so recht überlege: Manchmal passt das heute immer noch nicht. XD Hach, hätte ich wohl lieber Germanstik anstelle von Mathematik studieren sollen. ;-) Ich finde, man merkt auch sehr, wo ich einen Shcreibanfall hatte und wo ich mich sehr quält, so ein Kapitel zusammen zu bekommen. Es freut mich nach wie vor, dass du dich durch Raftel 1 kämpfen willst. Halte durch! :-)
Von: abgemeldet
2016-05-28T20:21:15+00:00 28.05.2016 22:21
Guten Abend!
 
Ich weiß, die Fanfiction hat bald 10 Jahre auf dem Buckel, allerdings bin ich jetzt erst drüber gestolpert.
Das erstes Kapitel ist kurz, aber gut.
Ich mag es, wie du die Situation umschreibst und dem Leser ein Gefühl für das Setting gibst. 
Informationen sind nicht allzu viele heraus zu filtern, was bei mir persönlich die Spannung, die allein durch das Setting entstanden ist, erhöht.
Dementsprechend bin ich sehr gespannt, was auf mich wartet, wenn ich weiter lese. 
 
Liebe Grüße
abgemeldet
Antwort von:  sakemaki
28.05.2016 23:48
Hallo und herzlich Willkommen! Vielen Dank, dass du noch auf diese Fanfic gestoßen bist, obwohl sie alt ist. Es war meine erste Fanfic überhaupt und man merkt, dass sie noch sehr unausgeglichen in Bezug auf Kapitellänge und Schreibstil ist. Auch die Dialoge zwischen den Figuren würde ich heute wohl nicht mehr so schreiben. Ich hoffe, du findest trotzdem Gefallen und viel Spaß! LG Susanne
Von:  sakemaki
2015-06-27T20:07:54+00:00 27.06.2015 22:07
von: Leeloo88 - 01.11.2007 20:57:23
Kapitel: 10 - Spiegelwelten
Krass, Kuina ist aber übel drauf! Sie ist also Tashigis Schwester. Und dann will sie ihn auch noch löchern. Zorro hats echt net leicht.

Deine geschichte fesselt mich immer mehr und dieses Kapitel war mal wieder meisterhaft geschrieben undmit Freude zu lesen!

Liebe gRüße
Lee

von: Illuminate - 23.10.2007 17:06:07
Kapitel: 10 - Spiegelwelten
Obwohl ich sonst eigentlich die Geduld in Person bin, habe ich mangels Zeit einfach die komplette FF gelesen, so immer wieder auf Raten und geb jetzt die Kommis ab. Leider ist nicht mehr alles im Kopf und deshalb vielleicht das Lob nicht ganz so detailliert, wie es das Kapi verdient hätte, aber auf jeden Fall war es super spannend und sehr schön beschrieben...

Die ganze Atmosphäre war unheimlich und die beiden Schwestern grandios beschrieben, vielleicht eine etwas zu extreme Reaktion von Tashigi sich das Gesicht aufzuschneiden, aber dadurch wurde sie ja gerettet, also hat es ja auch wieder etwas für sich...
Viele liebe Grüße
die Illu

von: WushuHaeschen - 09.07.2007 22:57:33
Kapitel: 10 - Spiegelwelten
einfach cool! aber wie kann man einen toten körper übernehmen, chopper zum wiederzusammenflicken holen?^^

von: Shizuika - 30.05.2007 19:15:18
Kapitel: 10 - Spiegelwelten
ach das kapü war mindestens genauso toll wie das andere!!
Ich bin etwas verwirrt wegen: wenn du tot bist übernehm ich deinen Körper.
aber das erklärst du bestimmt nochmal^^
so gratuliere bin begeistert - schreib schnell weiter!!

LG shizuika

von: fanfic-fan - 27.05.2007 00:55:57
Kapitel: 10 - Spiegelwelten
ich wünschte ich könnte auch so schreiben wie du*dich beneid*
echt klasse!! dein schreibstil gefällt mir echt gut.
obwohl nicht wirklich viel passiert ist war das kapitel richtig gut und lässt einen auf die nächsten chaps warten.

ich hoffe das nächste kommt genauso schnell wie das hier^^

lg fanfic-fan
Von:  sakemaki
2015-06-27T19:52:35+00:00 27.06.2015 21:52
von: Leeloo88 - 01.11.2007 18:57:12
Kapitel: 9 - Das Tagebuch des Folkloristen
Oh mein Gott! Zorro ist eines von Kalis Kindern?? Wow! Die arme Tashigi, sie ist total durch den wind, was ich aber auch verstehen kann. Bin gespannt, was dieses Gruselhaus noch so bietet(irgendwie hatten wir beide die selbe Idee mit dem Geisterhaus *gg*)

Du bringst die Geschichte von der Weltregierung glaubhaft rüber undes klingt nicht wie eine unrealistische Geschichte! Es macht Spaß deine FF zu lesen und mehr und mehr mystische Geheimnisse zu erfahren. Du lässt die Marine aber auch ganz schön schlecht darstehen^^

Mach bloß weiter so, ich bin begeistert!!!!

Liebe Grüße
Lee

von: Illuminate - 03.10.2007 18:13:32
Kapitel: 9 - Das Tagebuch des Folkloristen
Arme Tashigi, du lässt einen echt mitleiden... super spannend geschrieben, vor allem die Szene mit dem Brunnen im Keller, puh, da stiegen die Nackenhaare :)
Und wieder kann ich nur sagen, saubere Arbeit!!!

viele liebe Grüße die Illu

von: WushuHaeschen - 09.07.2007 22:37:17
Kapitel: 9 - Das Tagebuch des Folkloristen
waaaahhh sabber das ist einfach zu geil geschrieben, aber kann tashigi nicht einfach mit dem schwert die steine zerschneiden oder so?

von: WushuHaeschen - 09.07.2007 22:08:14
Kapitel: 9 - Das Tagebuch des Folkloristen
hab jetzt nur den anfang gelesen bezieh mich auf die wanderung durch den wald und auf den staubigen boden und den dreck und so: also was ich sagen wollte: ich denke, nach dem ganzen streß und dreck haben sich alle ein heißes bad voll verdient^^

von: Shizuika - 30.05.2007 18:52:53
Kapitel: 9 - Das Tagebuch des Folkloristen
ah war das kapitel geil!!
echt super klasse!! du steigerst dich immer mehr und mehr!

Zorro denk ich stirbt da nicht - das dürften geister der CP sein und somit müssten die dann angst vor Zorro haben, wenn er tatsächlich ein nachfahre ist!

Ai das kapü war so dermasen toll, ich find gar keine worte. Ich les jetzt ganz schnell das nächste und schreib dir dann einen KommI!!

bis denne

von: fanfic-fan - 24.05.2007 21:11:10
Kapitel: 9 - Das Tagebuch des Folkloristen
wie immer echt hammergeil!!!!!!
ich find es gut wie du die vergangenheit der weltregierung aufdeckst :)
außerdem frag ich mich wie tashige aus ihrem \"gefängnis\" wieder rauskommt
aber wehe zorro stirbt!!!!!*droh*

mach schnell weiter!

lg fanfic-fan
Von:  sakemaki
2015-06-27T19:51:06+00:00 27.06.2015 21:51
von: Leeloo88 - 01.11.2007 18:41:48
Kapitel: 8 - Der Bambushain
Boah, gruselig! *gänsehautkrieg*
Wie schaffst du das nur so eine echte Atmosphäre zuschaffen und es mir eiskalt den Rücken runterlaufen zu lassen? Ich hab es wie ein Film vor meinen Augen ablaufen lassen und bin völlig begeistert. Wieder kann ich deinen wunderbaren Schreibstil und dein Gespür für sinnliche Worte nur ganz groß loben!!!!

Viele liebe Grüße
deine Lee

von: Illuminate - 03.10.2007 18:09:17
Kapitel: 8 - Der Bambushain
Hi!
Tja, da hat die gute Tashigi wohl etwas überreagiert.
Die Beschreibung des Hains und auch des Hauses war sehr atmosphärisch. Gänsehautfeeling… Du magst es esoterisch, oder? Auf jeden Fall hat mir das Kapi super gefallen, steh auf Geisterhäuser und Killerbambus :)
Super Kapi!!!
Viele liebe Grüße
Die Illu

von: WushuHaeschen - 09.07.2007 22:05:14
Kapitel: 8 - Der Bambushain
echt genial, aber die geschichte mit zorros dämonischen kräften kenne ich garnicht, kommt die nachher im manga raus? und woher weißt du das dann schon? nochmal lob: tolles kapi!!!

von: fanfic-fan - 16.05.2007 22:14:32
Kapitel: 8 - Der Bambushain
perfekt!
besser hätte man es glaube ich nicht beschreiben können
die atmosphäre kommt bis ins kleinste detail rüber.und außerdem wirds wieder spannend!

echt klasse kapitel

lg fanfic-fan

von: Shizuika - 16.05.2007 21:10:49
Kapitel: 8 - Der Bambushain
uah gruselig dein kapi - aber toll, du hast einen klasse schreibstil

mir laufen jetzt noch schauer über den rücken.

echt toll geworden!

lg shizu
Von:  sakemaki
2015-06-27T19:49:36+00:00 27.06.2015 21:49
von: Leeloo88 - 01.11.2007 18:18:31
Kapitel: 7 - Sieben Truhen
Ah, ein klasse Kappi!

Der arme alte Mann, das war echt grausam. Aber die Sache mit den sieben Truhen sit echt interessant und macht mich wirklich neugierig.

ich muss sagen, dass mir dein Schreibstil immer mehr gefällt. Mit einer sympatischen und offen Art zu schreiben, macht es mir mehr und mehr Spaß zu lesen, egal ob traurig oder witzig. Du lässt die Charaktere sympatisch und echt rüberkommen!
Ein ganz großes Kompliment!!!

Viele liebe Grüße
deine Lee

von: WushuHaeschen - 09.07.2007 21:40:57
Kapitel: 7 - Sieben Truhen
echt cool das kapi

von: Shizuika - 13.05.2007 20:54:05
Kapitel: 7 - Sieben Truhen
aslo echt hervorragend - bis auf den armen perka, das war grausam - aber allgemein echt tolles kap!!

freu mich schon auf das nächste!!!!!

lg deine shizu

von: fanfic-fan - 13.05.2007 16:18:56
Kapitel: 7 - Sieben Truhen
gratulation zu einem weiteren herveragenden kapitel :)
ich bin gespannt wie diese grundkarten später die handlung beeinflussen!
vlt wird tashigi deshalb die marine verlassen?

ich kanns wie immer nicht erwarten bis das nächste chap kommt^^

lg fanfic-fan
Von:  sakemaki
2015-06-27T19:48:28+00:00 27.06.2015 21:48
von: Leeloo88 - 28.10.2007 19:59:10
Kapitel: 6 - Die Überfahrt
Aha aha, sie kommen sich näher. So langsam verstehen sie beide, was der andere so denken könnte und wieso sie so zueinander sind.
Diese Gedanken hast du mal wieder eins a umgesetzt und nebenbei noch meisterhaft geschrieben!

Kurz gesagt: Klasse Kappi!!!

Ich freu mich schon auf das Näachste!

Liebe Grüße
deine Lee

von: Illuminate - 03.10.2007 18:04:36
Kapitel: 6 - Die Überfahrt
Hallo,

muss sagen, die drei sind echt süß. Die Dialoge sind super geschrieben, die Szenen schön ausgearbeitet, vor allem der Teil mit der Decke konnte man so richtig schön mit einem Schmunzeln lesen...

Bin auf weiteres gespannt...
viele liebe Grüße
die Illu

von: WushuHaeschen - 09.07.2007 21:26:05
Kapitel: 6 - Die Überfahrt
einfach genial!!!

von: Shizuika - 12.05.2007 09:54:28
Kapitel: 6 - Die Überfahrt
HUHU!!

echt tolles kapi - ich kann mir die ruhe auf dem see echt gut vorstellen.

Total toll gemacht!!

und ja - du hast ein tarot spiel?!?!?! find ich gut^^

so danke dir auch für deinen kommi und bis zum nächsten kapi^^

liebe grüße Shizuika (arya92)

von: fanfic-fan - 10.05.2007 22:02:01
Kapitel: 6 - Die Überfahrt
schönes kapitel
die ganze situation ist echt genial beschrieben.
fast als wäre man selbst dabei.

ich lehn mich ma weit aus dem fenster und behaupte,
dass es in dem kapitel leichte anzeichen gab
dass sich das verhältnis zwischen zorro und tashigi bessert^^

mach auf jeden fall schnell weiter ich bin schon auf die ankunft in loguetown gespannt.ich hoffe sie kommen bald an

mfg
Von:  sakemaki
2015-06-27T19:47:22+00:00 27.06.2015 21:47
von: Leeloo88 - 28.10.2007 19:43:26
Kapitel: 5 - Der Streit
Wow, ein wirklich ereignisreiches Kappi.

Der Streit war echt heftig und hatte selbst ein bisschen Angst vor Zorro.
Dafür war der Abend am See wunderschön und du hast alles so wunderbar beschriebn, dass ich schon neben den Dreien stand und zu gesehen hab.
Und was für ein komisches hat Tashigi da abends im bett bekommen???? Ich bin wirklich sehr gespannt....

Das war wirklich wundervolles Kappi und ich sollte mir wirklich viel mehr zeit für sie nehmen und schnell alle Weiteren lesen!!!!!

Viele liebe Grüße
deine Lee

von: Illuminate - 17.09.2007 13:28:37
Kapitel: 5 - Der Streit
Das Kapi ist wirklich sehr schön, vor allem die Beschreibung des Kristall-Lotus.
Zoro und Tashigi sind schon ein seltsames Paar und Chopper noch dazu, macht die Sache sehr unterhaltsam. Bin gespannt, wie es mit den beiden weitergeht und vor allem was passiert, wenn sie auf die restlichen Strohhüte treffen...

Viele liebe Grüße
die Illu

von: WushuHaeschen - 06.07.2007 18:51:23
Kapitel: 5 - Der Streit
dein schreibstil ist wirklich genial, woher hast du ihn?

von: fanfic-fan - 07.05.2007 22:59:10
Kapitel: 5 - Der Streit
Genial wie du zorro beschrieen hast als er ausgerastet ist
ich bin echt gespannt ob sich was zwischen zorro und tashigi anbannt


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