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Days of Horror

Bomben auf der Christopher Street
von

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Prolog

Titel - Days of Horror

Fandom – Fake

Pairing – mal sehen ^__^

Warnung – Shônen-Ai, Lemon, Drama, Death, Blut, Gewalt

Rating – MA

Autor – Ich
 

Disclaimer: Nix von Fake ist mir... just for fun and no money...

ähm... Black und Mick sind Eigentum meines Geistes und gehören mir genauso wie Steve, Tony und Max (bekannt aus ‚Folgen einer Nacht‘ ^_°), Chris Jackson, sowie Robin und Mark Steward und Björn, sind ebenfalls meine eigenen Kreation und nicht zu vergessen Patrick.
 

Dank geht noch an meine Betaleser.
 

„reden“

« denken »

~~~~ Szenenwechsel
 

Kapitel 1 von 57
 


 


 

Days of Horror
 

Prolog
 

~~~~ Irgendwo in China Town ~~~~
 

Lange schmale Finger, geführt von ruhigen Händen, hielten einen Lötkolben an die Platine aus Metall und ließen einen kleinen Rauchschleier aufsteigen, als sie mit exakter Präzision einen nur eineinhalb Millimeter großen Punkt darauf fixierten. Starre Augen, die vor Überanstrengung leicht gerötet waren, blickten unaufhaltsam durch eine große Lupe und suchten sich ihren nächsten Lötpunkt. Erneut stieg leichter, kaum zu sehender Rauch auf, als dieser Punkt markiert wurde.
 

Weitere folgten, bis ein zufriedenes Seufzen ankündigte, dass die Platine nun völlig für ihren baldigen Einsatz bereit war. Die langen Finger verwoben sich miteinander und der Besitzer ließ diese, indem er die Handflächen nach außen wölbe, einmal aufknacken. Es folgte ein langes Strecken, nach dieser ermüdeten Arbeit, aller Gelenke. Dann griff die handschuhbestückte Hand die fertige Platte und legte sie zu den bereits wartenden drei Päckchen C4.
 

********* TBC *********

Freitag 01. Juni – abends

~~~~ Revier 27. ~~~~
 

Müde und abgespannt wurden die nicht mehr ganz so jungen Knochen in alle Himmelrichtungen gestreckt und einige davon ächzten knackend über diese brutale Art der Entspannung auf. Doch das war dem Eigentümer dieser Gelenke egal. Nach einem langen und ungewöhnlich ruhigen Arbeitstag, in dem sie nur die längst fällige Schreibarbeit erledigt hatten, seufzte Dee MacLane herzhaft auf.
 

„Ach... Endlich Feierabend! Wochenende um genauer zu sein, Sweetheart!“ stöhnte der dunkelhaarige Cop, als er sich mit einem Schwung aus seinem Sessel erhob, den Schreibtisch mit nur wenigen Schritten schwungvoll umrundete und sich auf der anderen Seite neben seinen noch fleißig arbeitenden Gatten auf die Schreibtischplatte hockte.
 

„Hey!“ wedelte er mit seiner linken Hand vor Ryo herum, um dessen Aufmerksamkeit zu erhaschen. „Feierabend. Also hör auf zu schreiben!“ brummte Dee und zog kurzerhand den Stift zwischen Ryo‘s Fingern hervor.
 

„DEE!“ hörte er schon das bekannte gereizte Knurren und er atmete innerlich einmal heftig durch.
 

« Der wird sich wohl nie ändern...» ging es beiden durch ihre Köpfchen.
 

„Gib her!“ Ryo versuchte, seinen Stift zurückzuerobern, doch Dee wich geschwind aus, stand vom Schreibtisch auf und ließ den gesuchten und von Ryo so schmerzlich gebrauchten Schreiber kurzerhand in seine Hose rutschen.
 

Ryo quittierte dieses kindische Verhalten nur mit einem Kopfschütteln und griff sich einfach einen neuen aus der Kulibox und schrieb ungerührt weiter.

Nun konnte Dee alleine versuchen, wie er das störende Teil aus der Hose bekam. Schließlich gab er es auf, öffnet die Hose und holte ihn hervor. Schmiss ihn auf Ryo’s Schreibtischseite und schmollte.
 

„Selber Schuld!“, grinste Ryo, „bin gleich fertig. Noch ein, zwei Minuten.“
 

Ryo setzte gerade schwungvoll seine Unterschrift unter seinen letzten Bericht und schmiss den Stift neben den anderen auf den Schreibtisch.
 

„So... Fertig. Das muss jetzt noch zu Ross und dann nichts wie heim. Ich vermisse meine Kleine,“ kommentierte Ryo, als er sich aus seinem Sessel erhob.
 

Doch weit kam er nicht, denn Dee schnappte ihn sich kurzerhand und schob ihn mit dem Po voraus gegen den Tisch. Schlang seine Arme um die schmale Taille seines Mannes und raubte sich einen Kuss von den aromatisch nach Pfefferminz schmeckenden Lippen.
 

„Dee!“ kicherte Ryo, als sich ihre Lippen trennten.
 

„Ich will dich, Ryo. Am liebsten hier und jetzt!“ säuselte dieser lasziv gegen die hochempfindliche Stelle knapp unter Ryo’s Ohr. „Lass uns endlich gehen, sonst garantiere ich für nichts!“ knabberte Dee sich langsam an dieser Stelle fest.
 

Ryo kicherte und hob seine Schulter, um Dee daran zu hindern. Dass er diese kleinen Neckereien im Büro mochte, würde er Dee niemals eingestehen, aber solange sie damit keinen störten und ihre Arbeit nicht darunter litt, gewährte er ihm hin und wieder diese kleinen Köstlichkeiten.
 

„Dann solltest du mich auch jetzt gehen lassen,“ versuchte Ryo, sich aus der Umklammerung zu befreien. Denn auch er spürte, wie sein Blut langsam in Wallung geriet, und er wollte auf keinen Fall mit einer Beule in der Hose zum Commissioner.
 

Enttäuscht aufstöhnend löste Dee die Umarmung. Stahl sich jedoch noch einen Kuss.
 

„Der Weg zum Ausgang ist lang! Und ich brauch noch einen Nachschlag!“

Wieder trafen sich ihre Lippen, doch nur kurz, denn ihre Bürotür wurde abrupt von Ted aufgerissen.
 

„Einsatz, Leute. DAS könnt ihr für die nächste Stunde abhaken!“ rief er hinein und rauschte bereits hinaus, bevor einer der beiden Cops reagieren konnte.

„Einsatz?!“ stöhnte Dee auf. „Wieso immer, wenn wir Feierabend haben. Ich weiß was, Ryo!“ grinste Dee hinterhältig und man konnte bereits an seinem Gesichtsausdruck ablesen, was dem dunkelhaarigen Cop vorschwebte.

Ryo kannte ihn jedoch lange genug, um dies gleich mit seinen nächsten Worten zu unterbinden.

„Vergiss es, Dee! Wir hätten zu Hause eh keine Ruhe. Also los.“
 

MacLane und MacLane betraten fast als Letzte den Besprechungsraum, um den Einsatz untereinander abzuklären. Dee lehnte sich von innen gegen die Wand und Ryo setzte sich auf einen Stuhl, um sich gleich Notizen zu machen.

Dass die Sache wohl ernst war, erkannten sie an dem harten, markanten Gesichtsausdruck, den ihr Vorgesetzter aufgesetzt hatte.
 

Ein leises Räuspern unterbrach das aufgekommene fragende Gemurmel im Raum und der Commissioner hatte alle Aufmerksamkeit, die er wollte. Er stand bereits am Pult und leuchtete mit Hilfe einer kleinen Laserlampe auf einen Punkt auf dem Manhattan District.

Dee erkannte, dass es irgendwo in Downtown war, als Ross’ Stimme ihn in die Wirklichkeit riss.
 

„Das ‚Chamer‘ ist vor nicht ganz zehn Minuten in die Luft geflogen. Rettungsmaßnahmen sind angelaufen. Wir gehen bis auf weiteres davon aus, dass es eine ‚natürliche Ursache‘ gibt. Eine Bombendrohung haben wir jedenfalls nicht erhalten. Die Kollegen vom Streifendienst sind bereits mit einer weiträumigen Absperrung beschäftigt und warten auf unser Eintreffen. J.J., Ted, Drake, ihr setzt euch sofort in Bewegung und unterstützt die Rettungsmaßnahmen und die Spurensicherung. Dee und Ryo, ihr wartet noch einen Augenblick. Das war’s. Also, worauf wartet ihr noch!“ kommandierte Ross.
 

Kaum waren die auffordernden Worte von dem Commissioner verklungen, eilten die Benannten aus dem Besprechungsraum und ließen die beiden MacLane’s mit Ross alleine zurück.
 

„Barclay?“ Fragend blickte Ryo seinen Vorgesetzten abwartend an.
 

Dee lehnte sich locker gegen die Türöffnung und hoffte, dass dieser Schnösel ein Einsehen mit ihnen hätte und sie einfach in ihren wohlverdienten Feierabend entlassen würde.
 

„Ihr zwei checkt das persönliche Umfeld des Besitzers und die Gäste.“
 

„Sir. Chamer? DAS Chamer?“ fragte Ryo, dem erst jetzt, nach einigen Minuten Gehirnverarbeitungsmaßnahmen, bei dem Namen der Dime fiel.
 

„Genau, MacLane. DAS Chamer! Kennst du jemanden dort?“
 

„Moment!“ mischte sich nun auch Dee ein. „Peter’s Laden? Der ist doch erst... War heute nicht die Eröffnung nach der Renovierung? Mit allem Schnickschnack. Kuso!“ kommentierte Dee.
 

Ryo fand es immer süß, wenn sein Herzallerliebster Dee ein japanisches Wort benutzte. Das klang so hinreißend, dass er nun Mühe hatte, ihm nicht ein Lächeln trotz dem Ernst der Lage zu schenken.
 

„Dachte ich mir schon, dass ihr den Schuppen kennt. Dass ihr sogar den Besitzer kennt, könnte in diesem Fall sogar von Vorteil sein. Also macht euch ans Werk. Die Arbeit ruft!“
 

„Wir kümmern uns drum,“ erklärte Ryo und verließ zusammen mit Dee nun ebenfalls den Besprechungsraum.
 

„Das ist nicht gut... gar nicht gut...“ murmelte Dee ständig vor sich hin.

„Was murmelst du denn?“

„Die Eröffnung... heute und dann so was, Ryo?!“ meinte Dee und schüttelte immer noch seinen Kopf. „Das ist übel... Je nachdem wo und wie die Explosion erfolgte... ich rechne mal mit mehreren hundert Verletzten, vielleicht sogar Tote... Fuck!“

„Geh schon mal zum Wagen, ich komm gleich nach,“ lächelte Ryo Dee beruhigend an, um kurz in ihrem Büro zu verschwinden und das liegen gelassene Handy zu holen.
 

~~~~ Unterwegs zum Chamer ~~~~
 

Dee und Ryo saßen in ihrem Privatwagen und fuhren auf direktem Wege zum Chamer. Einem Club, der sich heute seinen Gästen in einem neuen Outfit vorstellen wollte. Dee und Ryo waren nicht nur gute Bekannte von dem Besitzer, nein, eigentlich hatten sie vorgehabt, am späteren Abend selbst noch einen Blick hinein zu werfen. Doch dass sie nun dorthin unterwegs waren, um Ursachenforschung zu betreiben, behagte den beiden nicht gerade. Kein Wunder, dass sich einer der Cops so seine eigenen Gedanken über den Ort und hauptsächlich über den Zeitpunkt machte.
 

« Hätte der Laden nicht fünf Minuten später hochgehen können, dann wären wir beide jetzt in unserer Wohnung von allem abgeschottet. Verdammt. »
 

Ryo schaltete gerade sein Handy aus und blickte Dee an.
 

„Sara weiß Bescheid, dass wir später kommen. Sie sagt, sie übernachtet bei Tony. Irgendwie scheint sie gerne bei diesen beiden zu sein. Na ja... aber vermissen tu ich sie jetzt noch mehr, nachdem ich ihre süße Stimme gehört habe,“ seufzte Ryo und blickte träumerisch durch die Windschutzscheibe.
 

„Das ist gut, dann brauchen wir uns da keine Sorgen zu machen.“ Erleichtert atmete Dee auf.
 

Dee konzentrierte sich kurzzeitig auf den Verkehr und als sie endlich, oder zu ihrem Pech, ganz wie man es sehen will, anhalten mussten, kam Ryo gleich auf das Thema ‚Chamer‘ zu sprechen.
 

„Explodiert?! Gas hatte er nicht. Oder?“ Fragend rieb sich Ryo über seinen Nacken, als er Dee beim Fahren beobachtete, der seinen eigenen Gedanken nachzuhängen schien.
 

„Glaub ich nicht. Aber dann bliebe noch eine Bombe?! Das ganze Grübeln bringt nichts, solange die von der Spurensicherung nichts haben. Das wird erst in einigen Stunden soweit sein, wir könnten also in aller Ruhe erst mal...!“
 

Die Ampel sprang auf Grün und Dee brauste weiter, um diese Angelegenheit so schnell wie möglich abzuschließen um ungehindert seinen Feierabend zusammen mit Ryo genießen zu können.
 

„DEE!“ unterbrach Ryo seinen Partner. Er konnte ihn so gut verstehen. Auch er wäre jetzt lieber zu Hause, angekuschelt an Dee und würde seine Streicheleinheiten genießen, um sich dann genussvoll bei ihm zu bedanken.
 

„Ich weiß!“
 

Ryo beugte sich etwas zu Dee und hauchte ihm, während der Fahrt, [Oh nein, was für ein Leichtsinn] einen Kuss auf die Wange.
 

„Das holen wir nach!“ säuselte er noch in dessen Ohr, als auch schon das Auto zu schlingern anfing und Dee herb auf die Bremse trat. Er konnte nur froh darüber sein, dass keiner dicht hinter ihm fuhr und die anderen ihm geschickt auswichen. Er hielt sofort und keifte Ryo an.
 

„Bist du irre? Willst du uns umbringen!“ Doch als er das Funkeln in Ryo’s Augen sah, konnte er einfach nicht lange böse sein.
 

„Ryo!“ kam es leise über seine Lippen, als er den Körper seines Partners an sich zog und sie beide, mitten auf der Straße in ihrem Auto, sich in dem folgenden leidenschaftlichen Kuss verloren. Erst das Fiepen der Funkanlage holte sie aus ihrer Versunkenheit heraus.
 

Ryo meldete sich mit leicht rauer Stimme, nachdem Dee eine Flut Schimpfwörter geäußert hatte.
 

„MacLane! Der Besitzer befindet sich bereits auf den Weg zum Krankenhaus. Den Weg hierher könnt ihr euch eigentlich schenken. Alles nur Trümmer und Leichenfetzen. Furchtbar,“ ertönte die verknirschte Stimme durch den Sprechfunk.
 

„Wir sind dennoch gleich da, Drake! Wir müssen uns selbst ein Bild machen,“ bestimmte Ryo, und Dee fädelte sich wieder in den fließenden Verkehr ein.
 

~~~~ Chamer ~~~~
 

Dee hielt, nachdem er den Wagen durch eine dicht gedrängt stehende Menschenmenge schlängeln musste, direkt vor der Absperrung.
 

Nachdem beide ausgestiegen waren, griff sich MacLane den ersten Officer, dessen er habhaft werden konnte.
 

„Was soll das?“, Ryo zeigte auf die Menschenmasse, „absperren hieß es! Das heißt, KEIN MENSCHENAUFLAUF! Wenn das wirklich eine Bombe war und jetzt noch eine hochgeht, dann prost Mahlzeit. Dann will ich nicht in Ihrer Haut stecken. Räumen Sie das Umfeld, aber dalli!“ fauchte er den Streifenpolizisten ungehalten und gefährlich leise an.
 

Dass sich der Officer in diesem Moment nicht wohl in seiner Uniform fühlte, war Ryo in diesem Augenblick so ziemlich egal.
 

„Komm schon!“ hörte er Dee rufen.
 

MacLane warf dem Officer noch einen anweisenden Blick zu und folgte Dee, der bereits die Absperrung durchbrochen hatte und sich dem ‚Chamer‘ näherte.
 

Dee blieb gut 10 Meter vor dem Gebäude und mitten auf der Straße stehen, um den ehemaligen Homo-Club ‚Chamer‘ zu begutachten.
 

Die Außenfassade war abgebröckelt und der Eingangsbereich völlig auseinandergerissen. Anstatt der Eingangstür prangte dort jetzt eine etwa 4 Meter große Öffnung.

Sanitäter eilten immer noch hin und her. Blutüberströmte Menschen wankten orientierungslos in der Gegend herum, bis sich entweder einer der Rettungssanitäter oder ein Feuerwehrmann ihrer erbarmte und sie zu einem der erneut heranbrausenden Krankenwagen führte.

Diejenigen, die nur oberflächliche Verletzungen aufzuweisen hatten, wurden gleich vor Ort in einem Nothelfer-Lazarett auf der Straße verarztet, die anderen wurden einzeln oder, wenn es ging, auch paarweise in den weiß-roten Rettungswagen zur Weiterbehandlung ins Krankenhaus gefahren.
 

Das kleine Feuer, welches anscheinend eine Folge der Explosion gewesen war, wurde von der nur einen Straßenzug weiter unten angebrachten Feuerwehr bereits gelöscht und sie waren es auch, die die ersten Verletzten in ihre Obhut nahmen.
 

Nun, da die Zahl der Verletzten stetig sank und es nur noch Leichen bzw. Körperteile zu bergen gab, machten sich die Leute der hiesigen Feuerwehr auch an diese unschöne, aber nichtsdestotrotz wichtige Aufgabe. Sie notieren und photographieren jeden Fundort, bevor sie ein Teil, sei es ein Finger, eine Hand oder einen Arm, sogleich in eine eisgekühlte Tasche legten, in der Hoffnung, dass der Besitzer noch lebte und man ihn schnell genug ausfindig machen konnte, um das abgetrennte Teil wieder anzunähen.
 

Ein Feuerwehrmann kam gerade mit einem großen Beutel heraus und war leichenblass, als er seinem Kollegen mitteilte, dass er dort nur ein Bein mit Fuß drin verstaut hatte. Er erklärte, dass er eine Pause brauchte, sonst würde er gleich umkippen. Als nächstes kam ein Sanitäter herausgerannt und übergab sich auf dem Bürgersteig. Er schien noch recht jung und es war wohl sein erster Einsatz dieser Art.

Dee und Ryo hatten Mitleid, denn jeder hatte mit solchen Anblicken zu kämpfen. Einer mehr als der andere.
 

„Wollen wir?“ fragte Dee, denn er wusste, dass Ryo so etwas auch nur schwer verkraften konnte.
 

„Gehen wir!“
 

Flach atmete Ryo die nach Blut, Rauch und Staub riechende Luft ein. Schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln, und schritt mutig voran.
 

********* TBC
 

Da der nächste Teil sehr ins Detail geht, was diese Bombe angerichtet hat, werde ich am Anfang des übernnächsten Kapitels, einen kurzen knappen Rückblick machen, damit keiner von meinen Lesern wichtiges Material vorenthalten wird.

Mikito.

Freitag 01. Juni – Chamer

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Samstag 02. Juni - Kurz nach Mitternacht

So hier erst einmal der Rückblick auf das Adult –Kapitel
 

„Hi, Jim! Also, du Experte. Was wisst ihr, was ihr noch nicht mitgeteilt habt?“ wurde der große Blonde von Dee und Ryo gleich fragend begrüßt.

Es folgte keine großartige Begrüßung, nur das allgemein kollegiale Geplänkel, nicht zum Spaß sondern um dieser ganzen Sache den Ernst zu nehmen. Es als Unfall, als etwas natürliches abzutun, um damit im Moment jedenfalls besser umgehen zu können.

„Dass es eine gut ausgetüftelte Sache war. So etwas ist mir in meiner gesamten Laufbahn noch nicht passiert! Wenn ich das immer im TV sah, dachte ich mir, wenn jetzt noch eine hochgeht, dann hat er mehr Opfer. Aber das war wirklich gut überlegt.“

„Heb den Kerl nicht in den Himmel. Also was habt ihr?“

„Okay!“ Jim blätterte in seinem Notizbuch.

„Marke Eigenbau, soviel schon mal klar. Jedenfalls wenn ich meine unschätzbare Meinung mal bekannt geben darf. Zeitzünder. Kleines C4 Päckchen bei der ersten Explosion. Bei der zweiten schaut es schon etwas anders aus. Ebenfalls C4. Jedenfalls gehe ich bisher davon aus. Kann auch etwas stärkeres gewesen sein. Doch für die genauere Untersuchung muss ich das Zeug erst im Labor haben. Auf alle Fälle brauchte er die starke Explosionsmasse für die enorme Wucht, um den Eingang so zu zerfetzen. Hinzu kommt noch das ganze Zeug, was er in die andere Richtung jagte. Ob er dafür das klassische benutzt hat, auch erst später, Jungs. Ich lass mich da noch nicht festlegen. Aber wenn ich mal schätzen dürfte, würde ich mal raten, eine fast klassische Rohrbombe. Doch das alles so zusammen abzustimmen...“

„Eine kombinierte Bombe?“

„Ja! Nicht nur, dass die beiden oder die drei hundertprozentig aufeinander abgestimmt waren. Die Ladung Graupen, Glassplitter und was weiß ich, was da noch alles drin war, war nach innen gerichtet und das C4 nach außen. Du kannst sagen, was du willst, Dee. Dieser Kerl war auf Tod und Zerstörung aus. Dieser Kerl versteht sein Handwerk, und davor habe ich Respekt.“

„Du meinst, es ist ein Bekannter?“ wollte Dee ihn gleich auf seine Aussage festnageln, doch das ließ Jim nicht zu.

„Das habe ich nicht gesagt. Nur soviel: der Kerl ist vernarrt in das, was er geschaffen hat. Er hat es mit seinen eigenen Händen zusammengebaut und es hat funktioniert. Wahrscheinlich sogar noch besser, als er es sich ausgedacht hatte. Wahrscheinlich stand er sogar draußen und hat die Explosion beobachtet. Wetten würde ich nicht darauf, aber vermuten würde ich es mal. Und genau das könnte sich zu seinem Verhängnis ausarten. Aber dafür gibt es ja euch, Jungs. Ihr findet ihn schon. Ein Wunder ist nur, dass es trotz allem so glimpflich ausging. Hätte er diese Bombe nur ein oder zwei Stunden später gezündet, ihr wisst, wenn der Laden voll gewesen wäre, dann hätte es Hunderte von Toten und Verletzten gegeben. So!... Wenn ihr nichts mehr habt, dann mach ich mich in mein Büro. Muss sowieso warten, bis alles hier durchgesiebt wurde.“
 

Und hier geht’s weiter.......
 


 

~~~~ Medical Center ~~~~ (Samstag – 02. Juni)
 

„Dee und Ryo MacLane!“ stellte Dee sich und seinen Partner knapp vor, nachdem sie das Krankenhaus erreicht hatten.
 

Sie hatten sich durch die ständig neu ankommenden Krankenwagen und deren Bahren einen Weg in die Notaufnahme fast erkämpfen müssen, und nun standen sie hier und stellten sich in aller Ruhe der Schwester vor. Diese brünette, noch recht junge Schwester schien mit dem ganzen Ansturm nicht zurechtzukommen, denn sie schien fast völlig mit ihren Nerven am Ende zu sein. Schaute die beiden Cops dementsprechend gereizt an. Erst als sie den Polizeiausweis wahrnahm, wurde sie etwas freundlicher.
 

Hinter ihnen rannten Ärzte mit blutbespritzten Kitteln die Gänge entlang und man konnte Schreie aus den einzelnen Kabinen hören. Immer wieder rief einer der überlasteten Ärzte nach einer Schwester, die ihm helfen sollte. Aber es war hier genauso unterbesetzt wie in allen anderen Krankenhäusern, und so mussten die wenigen, die anwesend waren, fast unmenschliches leisten.
 

„Wir suchen Peter Mitchell. Wie wir unterrichtet wurden, wurde er eben hier eingeliefert!“ Nach diesen Worten ließ MacLane geborener Layton seinen Dienstausweis wieder in seiner Hosentasche verschwinden.
 

„Sie meinen diesen entsetzlichen Bombenangriff? Wir bekommen ständig neue Verletzte,“ erklang die leicht zittrig klingende Stimme der Schwester.
 

Ryo lächelte ihr aufmunternd zu, schaute sich in der Hektik, die um sie herrschte, um und lehnte sich dann leicht auf den Tresen zu der Schwester.
 

„Ja! Würden Sie uns bitte sagen, wo er...!“
 

„Die meisten Verwundeten befinden sich im Moment in OP. Nur die, welche leichte Verletzungen davongetragen haben, sind noch hier in der Notaufnahme. Sie sehen ja, es bricht bald alles zusammen.“
 

„Und Mr. Mitchell?“ fragte Ryo ruhig mit einem Lächeln, dem man nichts mehr von seinem Ausbruch vor einer Stunde ansah.
 

„Wir sind einfach zu wenig Personal. Die Ärzte, Pfleger und Schwestern sind seit über einer, fast zwei Stunden hier im Dauereinsatz. Einer der Ärzte operiert bereits seit heute morgen, und dann dieses Unglück. Wir sind einfach noch nicht dazu gekommen, die Daten der Verletzten aufzunehmen. Das ist erst einmal zweitrangig. An erster Stelle steht hier das Leben und dann erst die Bürokratie. Es tut mir leid.“
 

Dass es hier anders lief als in andern Krankenhäusern, schien Ryo und auch Dee leicht zu wundern, denn erst kam in der Regel das Geld und dann erst der Mensch. Aber gut, dennoch brauchten sie ihre Auskunft.
 

Dee überlegte gerade, als ihn die Schwester mitten in seinen Gedanken fragte:

„Gehört er denn zu den Schwerverletzten. Können Sie da etwas helfen?“
 

Hilfreich blätterte die Krankenschwester in den notdürftig angelegten Formularen.
 

„Ähm... Nun, ich...!“ Ryo sah in Dee’s Richtung und flehte fast um Beistand.
 

„Etwa 35, 188 groß und kräftig, muskulös. Braune lange Haare, normalerweise hat er einen Dreitagebart, Hilft das was?“ unterbrach Dee seinen Partner.
 

„Ja... einen Moment, bitte!“ Erneut durchsuchte sie die Akten, bis sie einen roten Zettel hervorkramte. „Sie sagten, dass dieser Mann hier Peter Mitchell ist. Können Sie ihn identifizieren?“
 

Dee und Ryo wurde ein Foto gezeigt, wo ein blutiger Schädel zu sehen war. Bevor Dee diesmal reagierte, nickte Ryo bereits.
 

„Ja. Das ist er!“
 

„Danke!“ Die Schwester notierte etwas auf dem roten Zettel, bevor sie sich wieder den Cops zuwandte. „Er befindet sich im OP!“
 

„Können Sie etwas über seinen Zustand sagen?“
 

Ohne ein weiteres Wort überreichte die Schwester ihnen die rote Akte und die beiden Cops vertieften sich in dieser Lektüre.

Den beiden Cops war wohl bewusst, dass die Schwester hier gegen bestehende Bestimmungen verstieß, weil sie ihnen Einblick in die Krankenakte ohne richterlichen Beschluss genehmigte. Aber es war hier wohl auch eine Ausnahmesituation. Deswegen würden sie der Krankenschwester, die, wie sie mitbekamen, sich schon wieder um einen weitern Verletzten kümmerte, keine Probleme machen.
 

Leise murmelte Dee vor sich hin, „Rechter Arm abgerissen, linke Halsschlagader offen, Rippenbruch, Lungen- und Leberriss... Fuck!“ knurrte Dee.
 

Er wartete, bis die Schwester wieder frei war, denn einer anderen wollte er diese Akte nicht aushändigen. So warteten sie einen Augenblick und schauten sich das Chaos an, welches von Minute zu Minute schlimmer wurde.
 

Ruhig betrat ein Arzt die Notaufnahme, sah sich diese Hektik hier einige Sekunden an. Dann ergriff er die Initiative. Fasste sich eine an ihm vorbeieilende Schwester.
 

„Sie werden jetzt alle Namen und die Verletzungen aufnehmen. Lassen Sie sich Zeit. Versuchen Sie erst einmal, selbst ruhig zu werden, dann werden Sie die Patienten der Dringlichkeit nach zuordnen. Schwerverletzte werden nicht warten gelassen, sondern umgehend in die Kabinen geschoben. Danach die leichteren... Verstehen Sie mich, Schwester...?“
 

„Karin!“ erklang es leise.
 

„Gut, Schwester Karin. Nehmen Sie den Aufnahmeblock. Schwerstverletzte werden später aufgenommen. Welche Kabinen sind belegt?“
 

Immer noch klang diese Stimme ruhig, so als ob diesen Mann das ganze hier kalt lassen würde. Aber wer ihn kannte, wusste, dass er nur äußerlich so wirkte. Innerlich jedoch verabscheute er das, was sich hier vor seinen Augen abspielte. Aber wenn man hier kein System reinbringen würde, würde das Chaos die Überhand gewinnen und alles würde versinken.
 

„Kabine 1, 3 und 7 sind im Augenblick mit Schwerstverletzten belegt, die nach der Stabilisierung in den OP gebracht werden sollen. In den Kabinen 2, 4 und 9 wird gerade untersucht und in Kabine 5 liegt eine Frau in den Wehen. Ihr... ihr...“
 

„Schwester, bleiben Sie ruhig...“ sagte er wieder sanft. Wusste zwar nicht, was bei dieser werdenden Mutter war, aber das war auch zweitrangig. Jedenfalls, bis die Schwester weitersprach.
 

„Ihr linker Unterarm wurde zerquetscht... Dann sind da so viele Körperteile auf Eis, aber wir finden einfach keine passenden Träger...“
 

„Okay, wer ist im Augenblick bei der Frau?“
 

„Schwester Maria. Wir haben zu wenig Ärzte hier. Sie...“
 

„Kümmern Sie sich jetzt um die Aufnahme,“ verlangte er mit einem aufmunternden Lächeln gefolgt von einem kurzen Klaps auf die Schulter.

Der Arzt kam direkt auf die MacLane’s zu.
 

„Seid ihr auch verletzt? Oder eher dienstlich?“ fragte er.
 

„Dienstlich. Du scheinst die Ruhe hier weg zu haben, was?!“
 

„Na ja... bin eben erst gekommen. Mein Dienst fängt zwar erst in drei Stunden an... Aber was macht man nicht alles für die Menschen in Manhattan!“ grinste er und sah sich erneut um. Eigentlich hatte er keine Zeit zu einem freundschaftlichen Plausch.
 

„Ihr habt doch Zeit?“
 

Dee schwante Übles, doch Ryo nickte schon, bevor sein Mann etwas dagegen sagen oder unternehmen konnte.
 

„Gut. Wir bräuchten Hilfe. Ihr braucht nichts zu tun außer bei den Leuten zu sitzen, sie ein wenig zu trösten, oder, falls der Fall eintreten sollte, schnell einen Arzt zu rufen. Dann hätte ich noch ein zwei Schwestern mehr zur Verfügung.“
 

„Okay. Wo sollen wir hin, Brian?“
 

„Kabine 5. Eine...“
 

„Die Schwangere. Gott, Doctor Brian Foster. Wir sind keine Hebammen, dafür bist du zuständig,“ stöhnte Dee, der sich nur zu gerne daran erinnerte, wie dieser Doktor, der ihnen nun gegenüber stand, dabei geholfen hatte, Sara, ihre geliebte Tochter, auf die Welt zu holen. „Okay... Wir gehen. Kabine 5. Aber wehe, es kommt keiner, wenn es bei ihr losgeht.“
 

„Ach ja, Dee. Die Akte... dürfte ich?“ fragte er in aller Ruhe und nahm Dee die Akte mit dem Foto von Peter Mitchell aus der Hand und legte sie wie nebensächlich auf den Tresen.
 

„Warte noch, Brian. Rot steht für Lebensgefahr, oder?“
 

„Nun, eher für die Dringlichkeit... aber ja.“ Der Arzt warf nun doch noch einen flüchtigen Blick hinein. „Sieht übel aus...“
 

„Wann wird er ansprechbar sein? Wenn er denn die OP überlebt?“ kam auch gleich die übliche Frage von Dee.
 

„Morgen, oder eher morgen abend, wenn alles gut verläuft. Aber wie ich euch Jungs kenne, steht ihr sowieso fast ständig auf der Matte. Also bis dann... kümmert euch ein wenig um die Frau,“ erinnerte er die Cops und verschwand nun selbst in Kabine 3.
 

Dee öffnete den Vorhang zu der Kabine mit der Schwangeren und schickte die Krankenschwester, die erst einen Aufstand machen wollte, hinaus und in die Kabine, in der er Doc Foster hatte verschwinden sehen.
 

Ryo ging lächelnd auf die Frau zu. Ihr linker Arm war unterhalb des Ellbogens mit einer dünnen Gazeschicht belegt. Aber wenn man genau hinsah, konnte man bereits die Knochensplitter, welche aus der Haut herausstachen, sehen. Es war nicht gerade ein schöner Anblick. Und der Schock über das Geschehene stand der Frau deutlich ins Gesicht geschrieben. Die auch, so vermutete Ryo, wohl unter Schmerzmittel stand.
 

„Hi! Mrs...?“
 

„Margot... Archer,“ presste sie schmerzvoll heraus.
 

„Mein Name ist Dee. Und das ist mein Mann, Ryo MacLane. Mrs. Archer, Sie waren auch in dem Club Chamer?“ fragte Dee. Ryo hätte ihm am liebsten eine reingehauen, wie konnte er diese Frau hier so etwas fragen. Also wirklich.
 

„Nein... ich... ich ging nur vorbei.“
 

„Können Sie sich an irgendetwas erinnern?“
 

„Dee!“ murmelte Ryo und schüttelte den Kopf. Er selbst fuhr der Frau beruhigend über die rechte Hand, welche gesäubert, aber noch immer leicht mit Blut benetzt war.
 

„Da war... da war nur ein... ein Blitz... dann schlug ich mit dem Rücken irgendwo auf... dann dieser Schmerz in meinem Arm... mein Arm... ich sah nur Steine... Rauch... ich weiß nicht... Die Luft wurde mir aus den Lungen gepresst... so fühlte es sich an... ich dachte nur noch an mein Kind... Es geht ihm doch gut?“
 

„Schon gut, Mrs. Archer. Ein Arzt wird sich gleich um Sie kümmern,“ sagte Ryo und fuhr nun den gesamten Arm beruhigend hinauf.
 

Margot drehte ihren Kopf, sah, was Ryo tat, und hob dann ihren tränenverhangenen Blick zu den dunklen Augen hinauf.
 

„Ich... ich spür... ich spüre Ihre Hand nicht,“ wimmerte sie leise auf.
 

„Sie... Dee. Ruf bitte einen Arzt,“ sagte er ernst, beugte sich dann aber mit einem beruhigenden Lächeln wieder zu der Frau. „Es wird schon..“
 

„Mein Rücken... Gott... mein Kind...“ schluchzte sie auf einmal auf, als ihr bewusst wurde, was sie dieser abendliche Spaziergang wohl gekostet hatte.
 

Brian kam herein. Dee hatte ihn kurz informiert. Nach einer kurzen Untersuchung nickte er den beiden zu. Entließ sie aus dem Dienst.
 

„Mrs. Archer? Wir bringen Sie in den OP. Wir werden Ihr Kind holen und uns nachher Ihrem Rücken widmen. Verstehen Sie? Sollen wir jemanden für Sie verständigen?“
 

„Mein Mann... Thomas... Bitte...“ Sie nannte ihnen die Adresse und die Telefonnummer und die MacLanes versprachen, sich sofort darum zu kümmern.

Ryo hielt die Hand der verzweifelten Frau fest, bis sie diese endlich in den Aufzug schoben, um das ungeborene Kind zu holen.
 

„Ryo?“ hörte dieser die weiche, beruhigende Stimme seines Ehemannes im Rücken, ehe er auch schon die Hand auf seiner Schulter spürte.
 

„Okay... ich bin okay. Es ist nur...“ Ein Seufzen entfleuchte seinen zusammengepressten Lippen, als er sich müde und erschöpft zu seinem Mann umdrehte. „Solch ein Terror... Wir müssen ihn finden. Denn ich glaube nicht, dass es mit diesem hier beendet ist. Nein, Dee. Es ist wohl eher der Anfang.“
 

„Komm, wir gehen. Brian hat hier anscheinend alles rasch koordiniert... Du brauchst frische Luft, dann geht es dir gleich besser.“
 

Fest legte sich sein Arm um Ryo und gemeinsam verließen sie, diesmal ohne nach rechts und links zu schauen, die Klinik.
 

„Wir sollten noch mal im Revier vorbeischauen!“ wagte Ryo während ihres kleinen gemütlichen Spazierganges durch den Klinikpark. Dee hatte recht behalten, es ging ihm jetzt schon besser. Jedenfalls konnte er nun wieder seine Gedanken auf das eigentliche Ziel richten.
 

„Die werden noch nichts neues haben. Damn!“
 

Ryo legte seinen Arm um die Taille von Dee und gemeinsam schritten sie zu ihrem Auto, blieben jedoch davor stehen und genossen zum zweiten Mal an diesem Abend die stille und tröstende Umarmung ihrer Partner.
 

„Vielleicht gibt es ja Zeugen, die sich jetzt gemeldet haben? Bitte, Dee!“ nuschelte Ryo.
 

„Was hältst du davon, wenn ich mal kurz durchfunke?“ Dee wartete nicht auf Ryo’s Nicken sondern streckte seinen Arm durch die offene Autotür und griff sich die Funke.
 

„MacLane an Zentrale!“

Eine Weile herrschte Ruhe, dann, mit einem leisen Rauschen und Knacken, meldete sich die Zentrale. Dee fragte, ob es bereits Neuigkeiten über den Bombenangriff gäbe oder sich Zeugen gemeldet hätten, doch die Zentrale verneinte und so gab Dee kurzerhand durch, dass er und MacLane für heute Schluss machen würden. Die Zentrale bestätigte und Dee hängte die Funke wieder ein.
 

„So... bist du jetzt beruhigt?“ murmelte Dee, als er sich seinen Partner, der die ganze Zeit neben dem Wagen gestanden hatte, anschaute.
 

„Hai! Wir sollten auf dem Heimweg auf alle Fälle bei Mr. Archer vorbei fahren. Er wird sich schon Sorgen machen...“
 

„Gut. Aber dann geht’s direkt nach Hause. Ohne Umwege,“ stimmte Dee dem Vorschlag von Ryo zu. Schließlich hatten sie der Frau dieses Versprechen gegeben und das konnten sie wohl unmöglich einfach unterlassen.
 

~~~~ Unterwegs mit Dee und Ryo ~~~~
 

Kurze Zeit später erreichten sie ihr Apartment.
 

Das Gespräch mit dem Ehemann von Margot war rasch geführt gewesen. Sie hatten ihm auch schon so schonend wie irgend möglich mitgeteilt, wie die Art der Verletzung war. Damit er nicht ganz überrascht davon war. Auch dass sein Kind, eine Tochter, wie er den Cops erzählte, wohl schon auf der Welt sein würde, bis er im Krankenhaus eintraf.
 

„Er war sehr gefasst, findest du nicht?“ fragte Ryo, während er gemächlich die Apartmenttür öffnete.
 

Sein Weg führte ihn gleich in das frühere Zimmer von Bikky, wo nun ihre Tochter schlief. Oder schlafen sollte. Denn das Zimmer war leer und erst nun fiel ihm ein, dass Sara ja im Basra bei Steve und Tony übernachten würde. Jedenfalls sollte sie dort solange bleiben, bis einer von ihnen sie abholen würde.
 

„Jedenfalls konnten wir ihm sagen, dass seine Frau lebt. Ich hoffe nur, dass dem Baby dieser Schreck nicht das Leben gekostet hat, das wäre echt tragisch. Die zwei scheinen sich wirklich zu lieben, und so ein Schicksalsschlag.“ Seufzend ließ er sich auf die Couch fallen und streckte alle viere von sich.
 

Dee bewunderte währenddessen, wie Ryo sich mehr und mehr zu entspannen schien und alles von seinem blonden Partner abfiel.
 

„Ja, denn so wie der Arm aussah... wird er wohl steif bleiben. Wenn er denn überhaupt zu retten ist. Soll ich dir noch was zu trinken holen?“ fragte Dee leise, um Ryo nicht zu erschrecken.
 

„Was?“ Es dauerte eine Weile, bis Ryo Dee’s Frage verarbeitet hatte, doch dann schüttelte er seinen Kopf. „Nein... ich... will noch... Ich brauche frische Luft. Kommst du mit?“ Abwartend stand Ryo auf und hoffte, dass Dee seinem Vorschlag zustimmte. Dieser seufzte nur leise, zog sich aber ohne Widerworte seine Jacke über und reichte Ryo dessen eigene.
 

Das Auto ließen sie stehen und spazierten gemütlich durch das nächtliche Manhattan. Keiner von beiden wusste, wohin sie eigentlich wollten, sie folgten einfach ihrem Gefühl und schon bald befanden sie sich auf ihrer Lieblingsbrücke.
 

Ryo seufzte und lehnte sich gegen die Brüstung und ließ sich den Abendwind übers Gesicht gleiten. Dann drehte er sich um, stützte seine Unterarme auf und blickte auf die Skyline.
 

„Wie kann man so was nur wollen? Diese brutale, grausame Zerstückelung. Ich bekomme das Bild von dem Kerl an der Wand nicht aus meinem Kopf. Kuso! Ich habe das Gefühl, dass mich diese Augen ein Leben lang verfolgen werden.“
 

Ryo vergrub bebend und zitternd seinen Kopf zwischen seinen Händen.
 

Auch Dee’s Hände, die streichelnd über seinen Rücken fuhren, konnten ihn nicht beruhigen. Er weinte sich all seine Gefühle, die sich an diesem Abend aufgestaut hatten, einfach von der Seele. Nach einigen Minuten schluchzte er noch einmal leise auf.
 

„Danke!“
 

„Hey! Wofür bin ich denn sonst da? Ich habe dir doch versprochen, immer für dich da zu sein, Ryo. Ich kenne dich schon viel zu lange und zu gut, um nicht zu wissen, wie dich das ganze mitnimmt. Vielleicht... solltest du dich von dem Fall abziehe...!“
 

„Glaubst du das wirklich? Wäre ich dann nicht so schwach, wie mich alle sehen? Nein! Ich werde denn Fall zusammen mit dir lösen. Diesen Mistkerl zur Strecke bringen, und wenn es das letzte ist, was ich tue,“ knurrte Ryo, schon sichtlich besser drauf wie noch Minuten zuvor. Sein Kampfgeist war geweckt und so schnell gab sich ein Ryo MacLane schließlich nicht geschlagen.
 

„Zu dir oder zu mir?“ säuselte Dee, um Ryo nun komplett von dem Fall abzulenken.
 

„Zu uns, du Baka! Ich brauch ’ne Dusche und danach dich!“
 

„Nur danach? Wie wäre es mit einer gemeinsamen Dusche, Sweetheart?“ Gierig schlang er seine Arme um Ryo’s schlanke Taille.
 

„Hört sich gut an, Usagi!!“ stimmte Ryo mit dunkler verhangener Stimme zu.

„Worauf warten wir dann noch?“
 

Gemeinsam gingen sie diesmal mit schnelleren und energischen Schritten voran und erreichten in einer neuen Rekordzeit das Apartment.
 

******* TBC

Samstag – 02. Juni

~~~~ Medical Center – Zimmer 22 - Intensivstation ~~~~
 

Dee und Ryo MacLane wurden von Doktor Morgan, einem mitfünfziger, zu dem Krankenzimmer des Clubbesitzers begleitet.
 

„Aber regen Sie ihn nicht noch zu sehr auf. Die Medikamente halten ihn zwar ruhig, aber... Wir werden ihn wohl ins künstliche Koma legen müssen.“
 

„Wird er denn durchkommen?“ fragte MacLane mit ruhiger, routinierter Stimme den Arzt.
 

„Seine Vitalwerte sind im grünen Bereich. Aus medizinischer Sicht würde ich sagen, ja. Aber es können immer noch Komplikationen auftreten. Und man weiß nicht, wie er psychisch auf seine physische Veränderung reagiert. Viele Menschen schaffen es nicht, andere... aber das wird die Zeit erst herausstellen. Sie haben fünf Minuten und ich bleibe im Zimmer,“ beendete Doctor Morgen seine umfassende Rede.
 

Dee warf Ryo zwar einen nachdenklichen Blick zu, doch ändern konnten sie nichts daran. Denn würden sie sich weigern, könnte auch der Arzt auf die Idee kommen, ihnen die Möglichkeit zu untersagen, den Verletzten jetzt schon zu befragen.
 

Sie betraten mit bangem Gefühl in der Magengegend das Zimmer. Eine Maschine überwachte die Vitalwerte des Kranken und eine andere schien Sauerstoff in die Lungen zu pumpen. Ein Rauschen und Piepen waren die ersten Geräusche, die man wahrnehmen konnte, erst dann erkannte man den blassen Mann auf dem weißen Bett, zu dem diverse Schläuche führten.
 

Kaum hatten die drei das Zimmer betreten, wandte sich ihnen auch gleich der Kopf von Mitchell entgegen. Ein erkennendes Aufleuchten blitzte durch seine Augen, als er seinen Blick auf Ryo fixierte.
 

„Pete!“ kam es gefasst von Ryo, als er näher trat und die linke Hand ergriff.
 

„Da...vvvveeeee?“ konnte Ryo vernehmen, doch er hatte noch keine Erkenntnisse darüber, was mit Dave, Mitchell’s Partner, passiert war.
 

„Ich weiß es nicht! Pete. Ich weiß, dass du Schmerzen hast, und die Ärzte wollen dich für einige Zeit ins Koma legen, aber wir brauchen Antworten.“
 

Abwartend stand Ryo ruhig da und spürte schließlich einen leichten Händedruck und sah auch, wie Peter nickte. Das Sprechen schien ihn sichtlich anzustrengen.
 

„Hast du eine Ahnung, wer dir so etwas antun könnte? Feinde? Neider? Irgendwas, was uns weiter bringt?“
 

Dee und Ryo standen nun einige Sekunden schweigend neben dem Bett und warteten darauf, dass Pete sich irgendwie äußern konnte. Nach bangen Minuten des Schweigens versuchte Mitchell, sich zu verständigen. Ryo beugte sich zu ihm hinunter und vernahm krampfhaft herausgebrachte Wörter.
 

„Bä...nn...d... ~schnauf~ ...d...er... in... m...Woh...nung... ~schnauf~ ...“
 

„Du hast Kameras im Chamer? Und die Kassetten sind in deiner Wohnung?“
 

Pete nickte leicht lächelnd und fühlte, wie Ryo seine Hand aufmunternd drückte.
 

„Wir schnappen ihn uns. Das verspreche ich dir, Pete! Wenn es etwas neues gibt, erfährst du es. Und ich kümmere mich um Dave. Wenn ich etwas erfahre, sag ich es dir. Okay?! Jetzt ruh dich aus, werd gesund.“
 

„Meine Herren, wenn ich bitten dürfte!“ wurden die Cops vom Arzt hinauskomplimentiert.

Dieser überprüfte kurz die Monitore, bevor er einen Knopf drückte und eine Schwester das Zimmer betrat.
 

Dee und Ryo verließen das Zimmer und warteten vor dem Krankenzimmertür auf den Arzt, der nur eine Minute nach ihnen das Zimmer nun ebenfalls hinter sich ließ.
 

„So... er wird für die nächsten Tage in Ruhe abschalten können,“ erklärte ihnen der Arzt. „Dieser Dave? Wissen Sie nichts über ihn? Er fragte schon heute morgen kurz nach dem Aufwachen nach ihm. Sein Sohn?“
 

„Sein Ehemann,“ erklärte Dee. „Sie haben vor vier Wochen geheiratet, ihren Club renoviert und gestern mit großem ‚Bum‘ eröffnet. So war das geplant, dass der Rums dann wörtlich genommen wurde, kam etwas überraschend. Und nein! Wir haben noch keine Infos über den Verbleib. Wir informieren Sie,“ erklärte Dee und verabschiedete sich mit einem Handschlag von dem freundlichen Arzt.
 

Ryo drehte sich aber nochmals zu dem Arzt um.
 

„Gestern wurde eine Frau eingeliefert. Margot Archer. Sie war hochschwanger mit einem gequetschten Arm. Liegt sie auch hier auf Intensiv, oder auf der Chirurgie?“
 

„Sie liegt noch hier. Zimmer 3. Möchten Sie zu ihr?“
 

Kurz schaute Ryo zu seinem Partner. Er wollte schon, und Zeit hätten sie auch.
 

„Ja, wenn es geht. Wie geht’s dem Baby?“
 

„Tja, das ist tragisch.“
 

„Inwiefern?“ fragte nun auch Dee, interessiert an dem Schicksal der jungen Mutter, nach.
 

Der Arzt blieb stehen, strich sich das dunkle Haar zurück.

„Sie sind nicht verwandt. Dennoch interessiert es Sie? Darf ich den Grund erfahren?“
 

„Sie wurde gestern von Splittern und Trümmern getroffen. Wir waren es auch, die sie eine Weile betrauten, bis ein Arzt Zeit hatte, sich wirklich um sie zu kümmern,“ gab Dee unumwunden kund.

Wenn er keine freiwillige Auskunft erhielt, würde er halt seinen Dienstlichen raushängen lassen.
 

„Was ist mit dem Arm? Außerdem meinte sie, dass sie nichts fühlen könnte. Ihr Rücken?“
 

„Gut. Aber das ist inoffiziell und nur weil... Wir konnten ihren Arm zwar retten. Es wird ein langwieriger Prozess werden, ihn wieder in Form zu bekommen, aber sie wird ihn nicht mehr gebrauchen können. Sie ist wohl so unglücklich mit dem Rücken aufgekommen, dass sich einige Nerven in der Wirbelsäule gelöst haben. So genau können wir es noch nicht sagen, da die betroffene Gegend mit Hämatomen übersät ist und wir erst auf das Abklingen der Schwellung warten. Doch es sieht nicht gut aus. Das haben wir der Patientin auch gesagt. Wir halten hier nichts von falschen Hoffnungen,“ erklärte der Arzt und man sah ihm an, dass er in seiner langjährigen Dienstzeit schon viele Schicksalsschläge mitgeteilt hatte.
 

„Das Kind?“
 

Tief atmete der Arzt ein, wusste eigentlich nicht, ob er überhaupt berechtigt war, sein Wissen an Außenstehende weiterzugeben. Aber er fällte diese Entscheidung und er würde dazu auch stehen.
 

„Eigentlich sind Babys im Mutterleib über die Maßen geschützt und ein Geburtsfehler lag an sich nicht vor... Jedenfalls laut Befund des zuständigen Gynäkologen, aber... Es muss etwas passiert sein auf dem Weg vom Tatort bis in die Klinik. Ein Fehler... und man wird noch nicht einmal den Betreffenden ausfindig machen können.“
 

Übles schwante dem Ehepaar, als sie der langen Vorrede lauschten.
 

„Wir haben Mrs. Archer gründlich untersucht und fanden auf ihrem Bauch, oder eher gesagt im Innenbereich, eine Druckstelle. Vermutlich wurde sie nicht nur mit dem Rücken auf einen harten Gegenstand geschleudert, sondern es fielen auch Trümmerteile auf ihren Bauch.“
 

„Doc. Reden Sie nicht um den heißen Brei herum. Was ist mit der Tochter der Archers?“ drängte Dee nun zu einem Ergebnis.
 

„Es ist gesund. Alle Werte sind normal. Die Daten habe ich zwar nicht mehr im Kopf, aber die Kleine soll wohlauf sein.“
 

Erleichtert atmeten die beiden auf.
 

„Warum dann diese lange Vorgeschichte? Mögen sie die Spannung?“ fragte Ryo gereizt und wäre dem Doktor, den er eigentlich als freundlich eingestuft hatte, gern mal an die Gurgel gegangen.
 

„Es hätte auch anders ausgehen können. Der Druck auf diese Stelle hatte die Gebärmutter etwas verformt. Was an sich schon unglaublich ist. Das muss ein enormer Druck gewesen sein. Auf alle Fälle, hätten Sie nicht gleich einen Arzt gerufen, der sich um die Wirbelsäule kümmerte, dann hätte das Baby wohl einen bleibenden Schaden davontragen können. Das wollte ich Ihnen nur mal sagen. Möchten Sie noch zu ihr? Sie fragte schon nach Ihnen, meine Herren!“
 

„Nun... vielleicht ein anderes Mal...“
 

„Helden!“ nuschelte der Doktor. „Es sind meist die kleinen Dinge, die zählen, vergessen Sie das nicht, meine Herren.“
 

Schlussendlich betraten die beiden doch das Zimmer von Mrs. Archer. Unterhielten sich kurz mit der sympathischen Frau, die ihnen beiden nicht genug danken konnten. Mit dem Kommentar, dass sie sich nochmals bei ihr melden würden, verabschiedeten sie sich schließlich nach einer Stunde.
 

~~~~ auf dem Weg ~~~~
 

„Auf alle Fälle mal etwas Positives. Ist doch schön. Nur schade, dass das Baby nicht da war.“
 

„Dee, du verheimlichst mir etwas, nicht wahr?“ kam Ryo aber gleich auf was anderes zu sprechen. Etwas, was er in der Klinik nicht gerade diskutieren wollte. Aber nun konnte er sich nicht länger zurückhalten.
 

Dee fuhr stur weiter und schien Ryo’s Worte einfach zu überhören. Doch so schnell gab sich der hellhaarige Cop nicht geschlagen. „DEE!“
 

„Er ist tot! Ich... ich hab ihn gestern gesehen. So wie er lag würde ich sagen, dass er sich schützend vor Pete gestellt hat. Sein Rücken war komplett aufgefetzt, das macht meine Überlegungen doch wohl verständlich. Denn wäre er auf der Flucht gewesen, wäre seine Brust verletzt und nicht sein Rücken. Nein, er wollte Pete schützen... Wenn ich den in die Finger kriege...!“ knurrte Dee, während sein Blick weiter stur geradeaus gerichtet blieb.
 

Ryo legte beruhigend seine Hand auf Dee’s Arm und erhaschte einen Blick in dessen leicht mit Tränen verschleierten Augen. Dee war dankbar, dass Ryo jetzt nichts sagte, sondern beide bis zu ihrem Ziel schwiegen.
 

~~~~ Mitchell’s Wohnung ~~~~
 

Dee und Ryo betraten das Apartmentgebäude und meldeten sich bei dem Pförtner, der hier die Aufsicht hatte. Nachdem sie ihre Marken vorgezeigt hatten, begleitete sie der ältere Herr in das Penthouse des 15stöckigen Gebäudes.
 

Mit der Bitte von Dee MacLane blieb der Pförtner bei der Aufzugstür stehen. So, erklärte Dee dem älteren Mann, könnte er zwar ihre Bewegungen etwas mitverfolgen, stünde aber später weniger im Verdacht, etwas verändert oder manipuliert zu haben. Der Pförtner, der sich als Paul vorgestellt hatte, nickte und rührte sich nicht vom Fleck. Ließ jedoch seinen wachen Blick den beiden Cops folgen.
 

Dee und Ryo schauten sich den Eingangsbereich in aller Ruhe an. Standen erst einen Meter vor Paul und konnten fast die gesamte Wohnung überblicken.

Vor der breiten, vollständig verglasten Fensterfront stand ein Sofa, auf dem gut drei bis vier Leute bequem Platz fanden. Davor ein marmorierter, etwa kniehoher, achteckiger Tisch. Dieser wurde von zwei Sesseln in weißem Leder, passend zur Couch, umrahmt. An der rechten Seite konnte man einen offenen elektrischen Kamin erkennen, davor ein Bärenfell, ebenfalls in weiß. Daneben die Musikanlage mit verschiedenen CDs in allen möglichen Musikrichtungen. Auf der linken Seite sah man drei Türen und dazwischen eine kleine, aber anscheinend gut bestückte Bar.
 

Auf dem Bord über dem Kamin erkannten sie Bilder. Sowohl Bilder von den beiden, die hier wohnten, als auch von der erst kürzlich vonstatten gegangenen Hochzeit. Wo sie beide, Dee und Ryo, noch Trauzeugen gewesen waren. Wo noch alles in Ordnung gewesen war. Doch schnell verging die Zeit.

Erst als die beiden weiter ins Zimmer gingen, erkannten sie, dass sich noch eine zweite Etage über ihnen befand. Die Treppe dorthin befand sich auf der rechten hinteren Seite. Sie nickten sich verstehend zu und ihr erster Weg führte zu den zwei verschlossenen Türen. Mit einem Rundblick am Rahmen, den Dee vorsichtshalber absuchte, öffnete er die erste. Die Küche. In Silber gehalten erstrahlte alles voller Sauberkeit. Dee erblickte eine kleine Essecke und warf einen Blick in den Kühlschrank, welcher mit Kanapees und Champagner gefüllt war. Anscheinend wollten sie anschließend noch auf die erfolgreiche Eröffnungsfeier anstoßen.
 

„Verdammter Mist!“ knurrte Dee, als er die Tür hinter sich zuzog, um sich mit Ryo zur nächsten zu begeben.
 

Hinter dieser befand sich ein einfaches schlichtes WC. Nichts aufwendiges, wohl eher für die Gäste gedacht. Die dritte Tür führe in ein Schlafzimmer. Ein schmales Bett, Kleiderschrank und Spiegel und ein kleines Bord. Das Gästezimmer, welches sie beide erst vor kurzem fast benutzt hätten. Aber ihre eigene Bleibe war ja nicht so weit weg und so betrunken waren sie nun auch nicht gewesen.
 

Bevor sie jedoch die zweite Etage besichtigen wollten, suchten sie hier alles gründlich ab. Öffneten Schubladen, klopften gegen die Wände, um mögliche geheime Verstecke zu entdecken, doch nichts fand sich hier. Die Treppe, in einem leichten Rundbogen gehalten, wurde von einem passenden roten Läufer, der zu den Spielkissen auf der Couch passte, verziert. Von oben konnten sie hinabblicken und erkannten, wie alles miteinander harmonierte. Nichts schien dort zu sein, wo es nicht hingehörte. Links und rechts vom Kamin waren Landschaftsbilder zu erblicken, die erst aus diesem Blickwinkel so richtig schön ihre Beschaulichkeit ausstrahlten. Wenn man den Blick geradeaus richtete, hatte man einen atemberaubenden Blick auf das nächtliche Manhattan.
 

„Dieser Anblick raubt mir immer den Atem...“ murmelte Ryo und wandte seinen Blick schließlich davon ab. Schließlich waren sie hier, um die Überwachungsvideos zu finden.
 

„Hier ist sonst nichts. Hier ist doch nur Peters und Daves Schlafzimmer,“ erklärte Dee und sein Blick schweifte zu dem offenen Raum. Eine Tür führte, wie er wusste, zum Badezimmer der beiden.
 

Dennoch, Pete hatte gesagt, dass sich hier irgendwo sein Sicherheitssystem befinden musste, also würden sie solange danach suchen, bis sie es fanden, auch wenn es bedeutete, dass sie das ganze Apartment Stück für Stück auseinandernehmen mussten.
 

Ryo durchsuchte gerade den begehbaren Kleiderschrank, als er Dee rufen hörte und sich zu seinem Mann begab.
 

„Ich glaub, ich hab was gefunden,“ erklärte er und nahm das Bild von Eduard Munk ‚Der Schrei‘ von der Wand.
 

„Sieht aus wie...“
 

„... ein Knopf!“ vervollständigte Dee Ryo’s angefangenen Satz.
 

„Passend! ‚Der Schrei‘ oder meinst du eher das Knöpfchen? Gomen, ich muss mich etwas... ich dreh noch durch, wenn ich nur daran denke...! Da wir so nichts gefunden haben, sollten wir ihn einfach mal drücken, oder? Was meinst du? Das Revier informieren und Experten rufen, die für uns den Knopf drücken? Ich glaube nicht, dass hier jemand raufgekommen ist, und bisher sind wir auch nicht über Sprengfallen gestolpert. Also, drück schon,“ machte Ryo seinem ganzen Gedankendurcheinander Luft.
 

Dee zögerte auch nicht mehr länger und drücke.
 

Irgendwo schien sich eine Tür geöffnet zu haben. Ryo und Dee schauten sich in dem Schlafzimmer genau um, bis ihnen im begehbaren Schrank ein kleiner Spalt auffiel. Ryo drückte leicht dagegen, bevor er sich überzeugt hatte, dass keine Falle ausgelöst wurde. Sie betraten einen High-Tech-Raum vom Feinsten. Ausgestattet mit zehn Aufzeichnungsgeräten, die immer noch liefen und Bilder vom Chamer übermittelten. Man konnte klar und deutlich noch immer einige Leute vom Spurendienst erkennen, welche die Trümmer nach Indizien durchsuchten. Eine Anlage schien die gesamten Aufzeichnungen zu speichern und stundenweise zu archivieren. Dee schaute sich das ganze System genau an.
 

„Pass bloß auf, dass du nicht aus Versehen einen falschen Knopf drückst und alles löschst!“ grinste Ryo frech zu Dee hinüber, der den Jungs vom Spurendienst zuschaute.
 

„Was meinst du, seit wann die Aufzeichnungen laufen?“
 

„Ich denke, dass sie das Gerät eingeschaltet haben, bevor sie ihre Wohnung verlassen haben. Also eine Weile vor der Eröffnung. Wenn wir Glück haben, finden wir etwas. Wenn das ganze jedoch schon während der Umbauarbeiten installiert wurde, dann werden wir wohl Pech haben. Aber daran will ich gar nicht erst denken.“
 

„Okay... dann ruf ich mal die Jungs! Die sollen das ganze Equipment durchchecken und uns nur das brauchbare Material raus suchen.“ Dee zückte sein Handy und verließ den geheimen Raum, um geräuschfrei seine Anweisungen durchzugeben.
 

Während Dee den Raum verließ, schaute Ryo sich weiter in diesem um. Er entdeckte einen Knopf mit ‚Privat‘. Ohne lange zu überlegen, drückte er diesen und schon flimmerte auf dem großen Schirm kurz Schnee auf. Dann erschien gestochen scharf eine weiße Kutsche, der zwei Männer in taubenblauen Anzügen entstiegen. Mit breitem Lächeln auf den Lippen gingen diese händchenhaltend auf eine kleine Kirche zu. Dann konnte er sich selbst in Begleitung von Dee sehen, wie sie dem strahlenden Pärchen hinterher zur Kirche gingen.
 

„Ryo? Tu dir das nicht an!“ Dee legte sanft seine Hand auf Ryo’s Schulter und drückte die Stoptaste. Das Bild fror ein und sie sahen Pete und Dave glücklich in die Kamera winken.
 

„Sie waren so glücklich, Dee. Sie hatten so viele Zukunftspläne, Sie haben sogar über Babys geredet, weißt du noch. Sie wollten auch eine Sara oder einen Ted. Gott, Dee. Das ist doch nicht fair. Wie kann man nur so grausam sein?“ Leise schluchzte Ryo auf und griff nach Dee’s Hand.
 

„Wir finden den Kerl. Und wie es aussieht, haben wir noch eine gute Chance mit den ganzen Aufzeichnungen hier. Hey?!“ Dee drückte fest Ryo’s Hand und gemeinsam verließen sie den Videoraum, um auf ihre Kollegen zu warten.
 

Geschlagene 30 Minuten später rauschten dann diese Kollegen auch herein. Jim Cambel war der erste, der den Videoraum betrat. Schnell hatte er sich einen Überblick geschafft und drückte schon einige Knöpfe, als Dee und Ryo zu ihm stießen.
 

„Na, Mr. Cambel, schon etwas gefunden?“
 

„Ja und nein. Also, wollt ihr die Explosion sehen?“ fragte Jim die beiden Cops. Nachdem er von beiden ein „Ja!“ erhalten hatte, drückte er einen weiteren Knopf und die Uhr begann zu laufen.
 

°Aufzeichnung°
 

21 Uhr 02 Minuten 23 Sekunden:
 

Wildes Gedränge war bereits um 21 Uhr im Chamer zu erkennen. Eine große Tanzfläche, die gewölbte Decke, von der mehrere Discoleuchten herabhingen, wurde von vielen runden Säulen gestützt. Eine Bar auf der rechten Seite über die gesamte Länge des Clubs. Auf dem breiten Tresen, vor dem sich einige Gäste befanden, tanzte ein Go-Go-Tänzer und heizte die Stimmung an.
 

21 Uhr 04 Minuten 20 Sekunden:
 

Eine Explosion im hinteren Bereich – Toilettenraum.
 

^Sichtwechsel auf Kamera Waschraum^
 

21 Uhr 04 Minuten 15 Sekunden:
 

Einige Gäste waren zu sehen, die sich hier erfrischten und sich erleichterten. Das konnte man jedenfalls annehmen, da die Kameraeinstellung einen Sichtwinkel unterhalb nicht gestattete. Ein Lichtblitz blendete auf und Trümmer flogen durch die Gegend. Glassplitter folgten dem Lichtblitz. Man konnte sehen, wie sich einige davon in die Anwesenden gruben. Ein Mann, der gerade den Waschraum betreten wollte, wurde von der Druckwelle zurückgeworfen. Das letzte, was man auf dem Band sah, war ein blutübersätes, mit Splittern entstelltes Gesicht, bevor die Druckwelle die Kamera explodieren ließ.
 

°Aufzeichnung Ende°
 

„Warte, Jim. Kannst du noch mal zurückspulen. Mich interessiert, wo der Sprengsatz war!“ meldete sich Dee zu Wort und Jim tat ihm den Gefallen.
 

°Aufzeichnung°
 

21 Uhr 04 Minuten 15 Sekunden:
 

Einige Gäste waren zu sehen, die sich hier erfrischten und sich erleichterten. Ein Lichtblitz blendete auf und Trümmer flogen durch die Gegend.
 

°Aufzeichnung Ende°
 

„Verdammt... kannst du das ein wenig zoomen?“ fragte Dee und deute auf die rechte Ecke etwas unterhalb der Mitte.
 

„Hier nicht! Aber das krieg ich schon hin!“
 

„Sieht aus als, ob es einer der Spiegel war, der zersprungen ist!“ meldete sich Ryo. Daraufhin ließ Jim das Band nochmals zurücklaufen und zum dritten Mal zeigten sich die ersten dramatischen Bilder von dem Bombenattentat.
 

„Er hat recht!“ staunte Jim. „Du hast gute Augen, Junge!“ lobte der Spurenexperte. „Da hätten wir dann auch gleich einen Anfang. Dort haben wir nämlich noch nicht nachgesehen und demnach vom ersten Sprengsatz noch nichts gefunden. Doch das ändert sich jetzt.“ Jim griff sogleich in seine Jacke, zog sein Handy hervor und informierte sein Team vor Ort, um gleich mit der Sicherung der Spuren zu beginnen. „Weiter?“
 

„Ryo? Wir sollten wenigstens... Okay?“
 

„Okay!“ ließ er sich überreden und Jim drückte den Kameraknopf, welcher für die Aufzeichnungen des gesamten Chamer-Bereichs zuständig war und sich über der Bar befinden musste.
 

°Aufzeichnung°
 

21 Uhr 04 Minuten 20 Sekunden:
 

Eine Explosion im hinteren Bereich – Toilettenraum.

Panik bricht aus.

Die ersten hetzen zum Ausgang.

Peter zieht sich auf die Bar und versucht, Ruhe in den Tumult zu bringen.

Dave zieht ihn wieder zurück und hinter der Bar hervor.
 

21 Uhr 04 Minuten 35 Sekunden:
 

Eine zweite Explosion, im Eingangsbereich.
 

21 Uhr 04 Minuten 36 Sekunden:
 

Eine dritte Explosion, im Eingangsbereich.
 

Rauch und Staub wird sichtbar, die Menschen verharren, suchen Deckung.

Nägel, Schrauben, Glassplitter fliegen durch die Gegend...
 

21 Uhr 04 Minuten 40 Sekunden:
 

Eine vierte Explosion, im Barbereich.
 

Die Glasfront hinter der Bar, beladen mit Flaschen, Gläsern und diversen anderen Utensilien, sprengt förmlich nach vorne und reißt alles, was sich ihr in den Weg stellt, mit sich.
 

°Aufzeichnung Ende°
 

„Das reicht! Jim!“ bestimmte Dee und legte Jim zur Bestätigung seine Hand auf die Schulter. Mit einem Blick hatte er erkannt, dass Ryo nicht weiter zusehen wollte. Das Ergebnis zu sehen, war für ihn schon schlimm genug gewesen, jetzt auch noch dabei zu sein, wie sich praktisch das Leben vor ihnen verabschiedete und Bekannte, sogar Freunde von ihnen zerfetzt wurden, ging ihm doch zu nah.
 

„Wie ich gesagt habe. Eine geniale Arbeit. Hundertprozentig aufeinander abgestimmt, um größtmögliche Vernichtung zu erzielen,“ lobte sich Cambel selbst.
 

„Ja, du bist einfach der beste!“ kommentierte Dee seine Äußerung.
 

„Gibt es keine Bilder vom Eingangsbereich?“
 

„Nope! Nichts. Der gesamte Club ist praktisch abgesichert, sogar beide Waschräume, aber der Eingang, nein!“
 

„Tja... dann würde ich sagen, Pech gehabt. Du siehst dir die Bänder an, Jim?“
 

„Ja!“
 

„Dann informierst du uns, sobald es etwas neues gibt oder ihr einen Verdächtigen darauf ausgemacht habt?“ forderte Ryo kurzerhand von Cambel.
 

„Sicher!“
 

„Gut! Dee? Wenn du nichts mehr hast, können wir dann gehen, ja?“
 

Dee nickte Ryo zu und hob Entschuldigung heischend eine Hand, um Jim am Aufbrausen zu hindern. Beide wussten, wie Cambel reagierte, wenn er herumkommandiert wurde. Doch Ryo schien einfach nur noch hier raus zu wollen.
 

~~~~ Irgendwo in China Town ~~~~
 

Ein Quarter wechselte seinen Besitzer, als ein Mann sich die New York Times kaufte. Auf der Titelseite prangte schon ein Foto vom zerstörten Chamer. Die Überschrift war kaum zu übersehen:
 

*BOMBEN AUF DER CHRISTOPHER STREET*

War es ein Anschlag eines Verrückten oder eher ein Terrorangriff?

Geht der Kampf wieder in eine blutige Phase?

Was die Polizei bis jetzt unternommen hat!
 

„Ein Verrückter!?“ kicherte eine leise hohe Stimme. „Die haben keine Ahnung... das war erst der Anfang... Christopher Street ist TOT!“ Höhnisch lachte diese Stimme, als ihr Besitzer die Wohnungstür aufschloss und darin verschwand.
 

****** TBC

Dienstag 05. Juni

~~~~ 27. Revier ~~~~~
 

„Das ganze wird uns nicht weiter bringen. Jim kann sich diese Arbeit eigentlich sparen.“ Ryo seufzte leise und ließ sich in seinen Bürostuhl sinken.
 

Er legte seine Arme in den Nacken und die Beine übereinander, als er Dee seine Meinung zu diesem Fall sagte. Seit nun bereits drei Tagen warteten sie auf Jims Bericht, aber nichts, nada, war gekommen.
 

Die Akte über den Bombenangriff auf das Chamer ruhte nun auf seinem Schreibtisch, wo Ryo es mit einer gekonnten Handbewegung hingeworfen hatte. Es waren nun schon vier Tage vergangen und noch immer hatten sie nichts Brauchbares in den Händen. Die Befragung der Zeugen und derjenigen, die bei der Explosion Verletzungen davongetragen hatten, hatte nichts erbracht. Keiner hatte etwas gesehen. Gut, das wäre auch Wunschdenken gewesen, aber auch die Bänder, die sie sichergestellt hatten, lagen nun in den Büros der Forensik und harrten dort darauf, auseinandergenommen zu werden.

Der Kontakt zu der Baufirma und die Überprüfung der Mitarbeiter, selbst derjenigen, die zu dem Zeitraum, als das Chamer restauriert worden war, dort angestellt waren, brachte nichts interessantes zu Tage. Es war wirklich frustrierend.
 

Hinzu kam, dass diese vier Bomben so aufeinander abgestimmt hätten sein müssen, dass nichts, aber auch wirklich nichts im Ablauf an dem Geschehenen einem Zufall überlassen blieb. Und dies war das größte Rätsel, das sie zu knacken hatten.
 

Auch die Besuche im Medical Center hatten keine weitere Spur ans Licht gebracht. Peter lag immer noch im Koma und Ryo hoffte beinahe, dass er nicht wieder aufwachen würde. Denn sein Leben würde vorbei sein. Nicht nur, dass sein Traum mit dem Club in die Luft geflogen war, sein Körper dadurch ebenfalls vernichtet oder doch sein Leben eingeschränkt war. Keine Ralleys mehr, kein Freeclimbing, denn Peter würde erkennen, dass sein Lebensinhalt, sein über alles geliebter Dave nicht mehr da war. Seine Stütze fehlte und er würde sich wünschen, bei ihm zu sein.

Genauso würde es nämlich Ryo ergehen, sollte Dee einmal etwas passieren. Obwohl sie ja noch immer Sara hatten. Dennoch, wenn er alles verlieren würde, würde er sich erschießen. Das ging ihm in den letzten Tagen immer wieder durch den Kopf. Erst Dee’s Worte holten ihn aus seiner Versunkenheit.
 

„Wie meinst du das?“ Dee setzte sich auf die Schreibtischplatte und blickte ernst zu seinem Partner.
 

Dee hatte sich auch so seine Gedanken gemacht. Ryo’s grüblerischer Gesichtsausdruck in den letzten Tagen hatte ihm gar nicht gefallen. Doch er würde warten, bis dieser wie immer von allein zu reden anfing. Er hatte gelernt, Ryo zu nichts zu drängen, denn dann konnte er ewig auf etwas warten.
 

„Die Bombe war doch hinter dem Spiegel. DAHINTER. Das heißt dann ja wohl, dass die Bombe schon bei den Renovierungsarbeiten installiert wurde. Das war unmöglich eine Zeitschaltung... der Kerl muss in der Nähe gewesen sein. Fernzündung. Jedenfalls die erste. Die anderen könnten dann, wie Jim meint, aufeinander abgestimmt gewesen sein.“
 

Ryo lehnte sich vor, stützte seine Ellbogen auf die Platte und vergrub seinen Kopf zwischen seinen Händen.
 

„Wie kann er sie so verbinden, dass die zweite oder dritte und wie wir nun wissen, auch die vierte Bombe so genau hochgehen. Zeitschaltung fällt aus, definitiv,“ murmelte Ryo vor sich hin.
 

Dee blieb ruhig sitzen, denn wenn MacLane so seine Denkperioden hatte, wollte er nicht gestört werden. Also hing Dee selbst seinen Gedanken über diesen Fall nach. Er stand auf, trat hinter Ryo und begann sanft dessen Nacken zu massieren.
 

„Die erste... Fernzünder... anders geht es nicht... die zweite, dritte und vierte so genau... Spielen wir das mal durch. Die erste geht hoch, weil der Bomber auf den Knopf drückt... irgendetwas muss dann die zweite auslösen, denn die dritte, die mit dem ganzen Scheiß drin, die geht hoch, weil die zweite hochgeht... sozusagen als Kette... dann die vierte hinter der Glasfront der Bar... Auch wieder dahinter... Es könnte sein, dass die erste und vierte so gekoppelt sind, dass die letzte mit einem Verzögerungsmechanismus ausgerüstet war... Aber dann bliebe noch die zweite, die ja im Eingangsbereich... in einer Tasche oder ähnlichem gesteckt hatte... Fuck! Ich hätte besser Bombenexperte werden sollen, anstatt Scharfschütze...“ grummelte Ryo vor sich hin.
 

Die sanften Hände seines Ehemannes spürte er als Entspannung und dies half ihm, sich auf das wesentliche zu konzentrieren. Plötzlich schoss er nach vorne.
 

„Ich hab’s. Erschütterung oder Druck, obwohl beides schon durch die Gäste verursacht werden könnten. Zu nah an der Bombe und schon geht sie hoch... nein... das wäre zu riskant... dann hätte er nicht...“
 

„Ein Ton!“ dachte Dee laut nach und erweckte Ryo’s Aufmerksamkeit.
 

„Was?“ MacLane drehte sich zu seinem Partner um, der nun aufrecht stand und sich nachdenklich übers Kinn rieb.
 

„Eine Bombe macht nicht nur Bumm. Sie kann doch auch einen bestimmten Ton aussenden. In einer Sphäre jenseits unseres Gehörs, ähnlich einer Hundepfeife.“
 

„Du bist echt genial, Dee!“ Ryo stand auf und küsste seinen Partner mitten auf den Mund. Bevor dieser jedoch reagieren konnte, hatte Ryo schon den Hörer in der Hand und wählte Cambel’s Nummer.
 


 

„Also, was ist so wichtig, dass ihr mich hier bei meiner Arbeit stören müsst. Ihr wollt doch so schnell wie möglich einen Bericht von mir haben,“ maulte Jim, als Dee und Ryo nur Minuten später sein Büro im Keller des 27. betraten.
 

„Okay, du Superhirn. Ist dir dann auch schon eingefallen, wie die Bomben so genau aufeinander abgestimmt wurden? Denn dass die erste, vermutlich auch die vierte bei der Renovierung eingebaut wurde, dürfte...“
 

„Hey, Layton! Halt Ryo mal zurück, sonst könnt ihr noch länger auf meinen Bericht warten.“
 

„Ryo... mach langsam... Also, Jim?“ drängte nun Dee auf eine Antwort.
 

„So wie ihr grinst, habt ihr anscheinend die Lösung, an der meine Leute schon tagelang herumsuchen. Die Trümmer geben nichts her.“
 

„Schon mal im Ultraschallbereich gesucht? Ein hoher Ton, wäre das möglich?“
 

Ryo war sauer und lehnte sich abwartend gegen die geschlossene Tür und wartete auf eine Reaktion.
 

„Ein Ton? Im Ultraschallbereich? Seid ihr irre? Wie kommt ihr denn darauf? So was ist nicht einfach zu machen. Demnach hätten wir es nicht mit einem Anfänger zu tun. Das hatte ich ja eh schon ausgeschlossen. Also ein Experte. Und dann nicht nur in Bombentechnik. Diese High-max, die ihr da ansprecht... die ist heikel, nur ein kleiner Fehler... wow, und dann das...“
 

„Jetzt kommt wieder... wie genial und lobt den Killer!“ knurrte Ryo. „Jim. Freunde von uns sind da gestorben, verstümmelt und verletzt worden. Also kannst du die Liste auf wenige verkürzen. Richtig?! Einen Namen vielleicht?“
 

„Sorry, Jungs. Aber einen Namen... ich werde mich in dieser Richtung jetzt umhören... aber erwartet nur keine Wunder.“
 

„Immerhin hast du jetzt was neues zum grübeln,“ meinte Ryo und klopfte Jim aufmunternd auf die Schulter. „Vielleicht kommen wir nun endlich etwas voran.“
 

„Raus hier,“ knurrte Jim und fühlte sich in seiner Ehre gekränkt. Da mussten zwei oberschlaue Detectives auftauchen und ihm unaufgefordert immer wieder in seinen Teich spucken. Doch das Schlimmste, und das ging Jim nun wirklich gegen den Strich, sie hatten wirklich gute Ideen und auf einen High-max wäre er so schnell nicht gekommen.

„Die haben einfach mehr Zeit zum Denken.“
 

Jim machte sich Notizen und tippte rasch etwas auf seinen Bildschirm, und schon fing ein Programm an zu suchen.
 

~~~~ Mittag im 27. Revier ~~~~~
 

Ryo, Dee, J.J., Ted und Drake saßen um den ovalen Tisch und warteten auf Barclay’s Erscheinen. Trotz der stockenden Ermittlung waren alle bis auf eine Ausnahme froher Stimmung und rissen ihre üblichen Witze. Nur Ryo saß vor seinem Kaffee und grübelte. Er konnte einfach nicht abschalten und ging alle möglichen Varianten durch. Erst das Aufseufzen seiner Kollegen holte ihn wieder an den Tisch zurück.
 

Leise schloss Ross die Tür und stellt sich an die Kopffront des Tisches. „Gibt’s Neuigkeiten im Fall ‚Chamer‘?“
 

„Die erste und vierte Bombe wurde bei den Umbauten installiert. Die andern zündeten später wahrscheinlich durch Hoch- oder Tieffrequenzbereichszünder. Jim hört sich in der Branche um,“ meldete Ryo die Neuigkeit und erwähnte mit keinem Wort, dass Dee und er auf diese Idee gekommen waren.
 

Es ging hier schließlich nicht um Lob und Anerkennung, sondern darum, diesen bestialischen Spinner so schnell wie möglich zu finden, bevor eine neue Bombe hochgehen würde. Denn Ryo rechnete eher damit, dass dies erst der Anfang war und so wie er seine Kollegen einschätze, dachten alle dasselbe.
 

„Wir sind noch dabei, einige der Belegschaft von der Renovierungsfirma zu überprüfen. Zwei von denen befinden sich im Augenblick im Urlaub, obwohl deren Hintergrund darauf schließen lässt, dass sie keine Erfahrung in Sachen Bomben haben. Wir gehen davon aus, dass diese Spur im Sande verläuft. Laut dem Chef hatten sie noch zwei Hilfskräfte eingestellt, doch deren Akten sind auf obskure Art nicht auffindbar. Merkwürdig daran ist noch, dass sich kaum einer an die beiden erinnert. Weder Name noch Aussehen,“ erklärte Ted, der zusammen mit J.J. in dieser Richtung ermittelt hatte.
 

„Auch bei den Elektronikfirmen, die für das ganze Hightech zuständig waren, nichts. Keiner mit einem Background, der vermuten lässt, dass nur der winzigste Funke von Bombenbaufähigkeit da wäre...“ Drake rundete damit das gesamte Erfolgsprogramm in Sachen Bomber ab.
 

„Was ist mit den Verletzen und möglichen Zeugen aus dem Club. Habt ihr da was gefunden?“ hakte Ross explizit bei den MacLane’s nach.
 

„Von den Augenzeugen, die sich vor dem Chamer aufgehalten haben, hat keiner etwas gesehen. Keinem ist jemand aufgefallen, der sich verdächtig verhalten hätte,“ rundete Dee nun als Schlusslicht das Bild ab.
 

„Somit stehen wir immer noch am Anfang. Jedenfalls können wir anhand des benutzten Sprengstoffes und der angewandten Technik die Täter auf ein überschaubares Minimum eingrenzen. Haben wir denn schon ein Paar brauchbare Spuren?“ seufzte Ross leise und schaute auf den Spurenexperten.
 

Doch Jim Cambel schüttelte den Kopf.

„Seit gestern lasse ich die Programme mit den bekannten Parametern suchen, aber nichts. Das einzigste, was in Frage kommen könnte, wäre das Militär, aber die halten ihre Daten unter strengster Bewachung und da komm ich selbst mit dem Verdacht nicht dran.“
 

„Einen richterlichen Beschluss?“ fragte J.J. Adams.
 

„Den bekommen wir nur, wenn wir etwas vorweisen können, und das können wir noch nicht. Wenn ich irgendetwas in den Trümmern gefunden hätte... Aber wir sieben noch, und solange sind auch mir die Hände gebunden.“
 

Jim, war klar, dass er das Team ausbremste, aber er konnte halt nicht zaubern. Etwas, das man zwar ständig von ihm erwartete, aber es ging einfach nicht.
 

Barclay blieb ruhig, machte sich hin und wieder auf seinem Notizblock, wo er seine Gedanken gleich festhielt, Notizen, damit er sich auch später noch daran erinnern konnte. Immerhin war dies nicht der einzigste Fall, an dem sein Revier arbeitete. Aber der wohl im Augenblick wichtigste. Kurz nickte er deswegen auch seinem Freund von der Forensik zu.
 

„Gut. Dann macht weiter, ich will diesen Mistkerl so schnell wie möglich von der Straße wissen. Euch dürfte wohl bekannt sein, dass sonst hier der Teufel los ist. Seh schon die Titelseite ‚Polizei machtlos gegen Gay-Bomber‘. So was will ich erst gar nicht aufkommen lassen, also schwingt eure Ärsche und macht hin,“ machte Barclay seinem Team Druck.
 

„Wie geht’s Mitchell?“ ging die Frage direkt an Dee und Ryo.
 

„Er liegt im künstlichen Koma. Die Ärzte hoffen, dass er durchkommt. Jedoch wird er aufgeben, wenn er die Wahrheit erfährt. Dave Mitchell, sein Partner und Ehemann, kam bei der Explosion ums Leben. Dee hat ihn erkannt und identifiziert,“ antwortete Ryo und warf Dee einen zustimmenden Blick zu, den dieser leicht schulterzuckend erwiderte.
 

„Dann macht euch...“
 

Barclay wurde unterbrochen, als Janet die Tür öffnete.
 

„Sorry Jungs, aber wieder eine Explosion. Die Jungs von der Spurensicherung sind bereits informiert und schon unterwegs. Krankenwagen und Feuerwehr ebenfalls.“
 

„Wo?“ fragte Dee mit fast ängstlich gefasster Stimme.
 

„Janet?“ kam es drängender von Barclay.
 

„Blowns & Bright in der CS.“
 

Stille breitete sich aus. Dann schlug Ross mit geballter Faust auf den Tisch.
 

„Bewegt euch. Ich will diesen Mistkerl haben.“
 

Wie auf Kommando sprangen alle auf und stürzten zur Tür.
 

Die beiden MacLane’s stürmten in ihr Büro, holten ihre Jacken und waren schon unterwegs zum Laden von Bob Maloy, als Barclay sich müde auf seinen Bürosessel zurücksinken ließ.
 

„Das war der zweite Gay-Laden. Wenn das eine Art Rhythmus gibt, dann geht in vier Tagen der nächste hoch.“ Seufzend strich sich Ross seine blonden Haare zurück.
 

~~~~ Blowns & Bright ~~~~~
 

„Ryo?“
 

„Mmhh...“
 

„Du hoffst, dass er stirbt?“
 

„...“
 

„Ryo?“
 

„Hai.“
 

„Warum?“
 

„Was ist das für ein Leben. Er hat doch nichts mehr...“
 

„Ryo?“
 

„Ich würde ihm sogar helfen, wenn er mich darum bittet.“
 

„Ryo? Bist du irre.“
 

„Iie. Ich... ich habe nachgedacht, Dee.“
 

„Möchtest du darüber reden?“
 

„Noch nicht... lass mir noch etwas... Wir sind da.“
 


 

Mit quietschenden Reifen hielt Dee vor dem Blowns & Bright. Nur wenige hundert Meter weiter konnten sie die Absperrung zum Chamer sehen. Doch das was sie hier erwartete ließ beide Cops aufatmen.
 

Der Krankenwagen stand mit Blaulicht am Straßenrand und verarztete einige Passanten, und auf einer Trage im Inneren konnte Ryo einen Kahlkopf erkennen.
 

„Dee!“ machte Ryo ihn auf die Person im Krankenwagen aufmerksam.
 

Sie mussten einigen Feuerwehrleuten ausweichen, die das Feuer im inneren des Gay-Ladens löschten, aber ansonsten schien nichts zu tun zu sein. Mit einem Rundblick stellte MacLane fest, dass sie sogar eher am Einsatzort waren als die Spurensicherung, und sobald die Feuerwehr ihr o.k. gab, wollten sie sich drinnen umschauen, doch ihr erster Weg führte sie zum Krankenwagen.
 

„Bob? Bist du das?“ rief Dee und schob sich an einem Sanitäter vorbei, dem er die Marke unter die Nase hielt, und erklomm den Krankenwagen.
 

„MacLayton? Gott sei Dank. Sag den Affen, dass sie mich hier raus lassen sollen. Mir fehlt nichts.“
 

Bob nannte Dee immer so, weil er sich einfach nicht damit anfreunden konnte, dass Layton ganz auf seinen Namen verzichtet hatte. So mixte er ihn, und inzwischen hatten Dee und Ryo keine Einwände mehr dagegen. Was sollten sie sich auch ständig deswegen aufregen. Bob hatte halt so seine Macken. Schon vor ihrer Ehe hatten sie Bekanntschaft geschlossen und hin und wieder waren sie sogar mit ihm einen trinken gegangen. Sein Laden war auch immer einen Besuch wert.
 

„Jetzt reg dich nicht so auf, Bob. Du hast, wie man unschwer sehen kann, etwas gegen deine hohle Birne bekommen. Eigentlich verwunderlich, dass da nicht mehr passiert ist, aber wie man hört ist Vakuum ja sehr widerstandsfähig,“ griente Dee über die todernste Lage und erhielt prompt von Ryo einen Haken in die Seite.
 

„Was ist passiert?“ wurde Ryo auch gleich dienstlich, nachdem er gecheckt hatte, dass Maloy nichts Ernstes passiert war.

Er hatte nur einen weißen Verband um den ansonst kahlen Schädel, seine eisgrauen Augen funkelten vor Ärgernis. Aber nicht, weil er hier verarztet wurde, obwohl dies auch ein kleines Problem für den Anfang-Sechziger war. Doch was ihn am meisten missfiel war wohl eher die Tatsache, dass sein Laden, den er seit fast vierzig Jahren hier führte, so vernichtet wurde.
 

„Was passiert ist? Seit ihr blind, oder was? Meinen Laden haben die in die Luft gesprengt,“ wurde Bob wütend und setzte sich aufrecht hin, wobei ihm schwindlig wurde und er sich rasch an Dee festkrallen musste, weil dieser einfach am nächsten stand.
 

„Sie sollten ihn nicht aufregen, er braucht Ruhe!“ hörten sie von draußen die energische Stimme eines Sanitäters.
 

„Fuck you!“ rief Bob als Antwort zurück.
 

„Also nochmals... Was ist passiert?“
 

„Bist du...“ Bob verstummte, als er in das genervte Gesicht von Ryo blickte. „Ich kam von der Pause zurück und wollte aufschließen, da ging drinnen ein Feuerwerk los. Ich ließ mich aus Reflex gleich fallen und bekam deswegen wohl auch nicht so viel ab, aber mein Laden dürfte wohl im Eimer sein. Wäre ich nur fünf Minuten früher... Gott!“ stöhnte er auf, „dann wäre ich wohl nicht mehr. Ich sollte Sam dankbar sein, dass er mich aufgehalten hat.“
 

„Sam?“ Fragend hob Dee eine Augenbraue.
 

„Sam Yester. Ihr wisst schon, der Kerl aus der ‚Blue Star‘ unten in Little Italy,“ half Dave ihnen auf die Sprünge.
 

„Der Go-Go?“
 

„Jep!“
 

„Wo hast du ihn getroffen?“
 

„Warte, Dee... das war... ach, als ich meinen Schlitten geparkt hatte, kam er mir entgegen. Wir kamen in ein Gespräch, wie es halt so ist...“ grinste Bob lasziv.
 

„Ja... schon klar,“ notierte sich Ryo einige Stichpunkte des Verhörs. „Hast du gesehen, woher er kam?“
 

„Was soll das, Ryo, beschuldigst du einen von uns, so was zu tun?“
 

„Ich beschuldige keinen, ich geh nur meinem Job nach! Also, hast du gesehen, wo er her kam?“ blieb Ryo unpersönlich dienstlich. Machte sich jedoch fleißig Notizen.
 

„Ja... na ja... nicht genau. Er kam halt die Straße entlang. Er hätte sich das Chamer angesehen, hat er gesagt, und war sauer darüber, das konnte man deutlich sehen und hören. Aber wieso fragst du ihn nicht selbst.“
 

„Keine Sorge, das werden wir,“ brachte sich nun auch Dee in Erinnerung. „Du bleibst hier, wir schauen uns mal um.“
 

Dee und sein Partner verließen den Saniwagen wieder und fragten einen der Feuerwehrleute, ob sie nun rein könnten. Als dieser nickte, traten sie durch die zerstörte Eingangstür in den Sexshop.
 

So wie es hier aussah, hatte Bob recht mit seinem Urteil. So etwas hätte er nie im Leben überlebt. Die Bombe, so recherchierte Dee, musste wohl neben der Theke gestanden haben. Dort wo sonst die Kasse stand, prangte ein riesiges Loch. Das ganze Sortiment war in der Nähe fast pulverisiert und der Rest lag weit verstreut in undefinierbaren Trümmern.
 

„Was für eine Sauerei...“ hörte Ryo seinen Partner seufzen, und als er sich zu ihm umdrehte, erkannte er, wie Dee einen verformten Dildo in die Höhe hielt und ihn mitnahm.
 

„Schau dir das an.“ Dee zeigte auf einen runden farbigen Kreis in Höhe der Eichel vom Dildo.
 

Mit zwei Fingern zog er diesen heraus und präsentierte Ryo eine Reißzwecke.
 

„Je nach Größe des Geschäfts fällt wohl dann auch die Größe der Utensilien aus, die er in die Bombe packt. Nägel hätten zwar auch ihre Wirkung gehabt, aber nicht so effektvoll wie diese kleinen Mistdinger, und wenn du genug davon in deinem Körper abbekommst stirbst du zwar nicht, es sei denn...“ Dee schwieg und betrachtete sich die Reißzwecke etwas genauer und schnupperte sogar daran. Dann tütete er den kleinen spitzen Gegenstand spontan ein.
 

„Was?“
 

„Ich weiß nicht. Reißzwecken sind nicht zum Töten gedacht, auch wenn sie mit hoher Geschwindigkeit in deinen Körper eindringen. Es tut weh, aber sterben... glaub ich nicht. Säure schalte ich mal einfach aus, weil der Dildo auch nicht verätzt war, aber was ist mit Gift oder so was. Ich weiß nicht, einfach so ein Gefühl, Ryo.“
 

Ryo nickte verstehend, als sie auch schon Cambel hinter sich hörten.
 

Dee verschwieg ihm den Fund und kurze Zeit später verabschiedeten sie sich von Jim, der mit seiner Meute die Spurensicherung aufnahm.
 


 

~~~~ Unterwegs mit Dee und Ryo ~~~~~
 

Ryo blickte stur aus dem Seitenfenster. „Wieso hast du Jim nichts gesagt?“
 

Dee, der sich voll auf den Verkehr konzentrierte, murmelte „Von was?“ vor sich hin, hörte, wie sich Ryo ihm zuwandte aber behielt den Blick auf die Straße gerichtet.
 

„Du weißt genau was ich meine. Aber bitte, spiel ruhig weiter den Unwissenden. Auch deinem Partner gegenüber,“ knurrte Ryo, drehte seinen Kopf wieder weg und ließ seine Gedanken schweifen.
 

„Dee?“
 

„Mmhh...“
 

„Was macht ein Go-Go zur High Noon auf der CS. So interessant ist doch eine Bombe nicht. Zumal das schon vier Tage her ist.“
 

„Du verdächtigst doch nicht Yester?“
 

„Warum nicht?“
 

„Kennst du ihn?“
 

„Nein, aber wir sollten ihn mal checken. Immerhin könnte er ja was gesehen haben heute,“ meinte Ryo, womit sie wenigstens einen Grund hätten, ihn aufzusuchen.
 

„Da hast du recht. Nachher.“
 

„Was ist mir dir? Kennst du ihn?“
 

„Kennen ist zuviel gesagt. Er war mal hinter mir her. Schon als grüner Junge.“
 

Ryo stöhnte leise auf. Er mochte es nicht sonderlich, von Dee’s alten ‚Freunden‘ zu hören.
 

„Nicht was du denkst. Gott, Ryo. Er ist 10 Jahre jünger als ich. Ich stand nie auf...“
 

„Jünger?“
 

„Willst du Streit?“ grinste Dee ihn leicht schräg an, da er seine Konzentration auf den rasch fließenden Verkehr richten musste.
 

„Nein. Also er wollte dich und du ihn nicht. Warum?“
 

Dee stöhnte verhalten auf, doch Ryo würde erst Ruhe geben, bis er eine einleuchtende Antwort erhalten hatte.
 

„Weil ich der Liebe meines Lebens begegnet war. Zufrieden?“
 

„Ach? Und wem?“
 

Dee bremste vor einer roten Ampel, griff nach rechts und zog Ryo zu sich.
 

„DIR! Du Idiot!“ knurrte er und küsste ihn hart. „Zufrieden?“
 

„Ja! Aishiteru, Dee!“
 

„Ach... und ich liebe dich.“
 

Ryo ließ seinen Blick verträumt, aber auch tief in Gedanken aus dem Fenster gleiten, so bekam er nicht mal mit wohin sein Schatz fuhr. Erst als er anhielt bemerkte er, dass sie sich bei Black in Downtown Manhattan befanden.
 

„W-was willst du hier?“
 

„Antworten, was sonst. Kommst du mit?“
 

„Hai!“
 

******* TBC

Dienstag 05. Juni - später

~~~~ Black’s ~ Irgendwo in Manhattan ~~~~~
 

Dee und Ryo betraten ein nobles Herrenbekleidungsgeschäft mitten in Downtown Manhattan. Ein Verkäufer mit schwarzen kurzen Haaren und ebenso dunkler Haut kam ihnen freundlich lächelnd entgegen.
 

„Hi! Schau an, die MacLane’s. Ihr wart aber schon lange nicht mehr hier. Geschäftlich oder privat?“
 

„Hi, Mick. So leid es uns tut, aber mal wieder dienstlich, weniger privat. Ist er oben oder hinten?“ fragte Dee nach dem Geschäftsführer und langjährigen Freund sowohl in privaten als auch in geschäftlichen Angelegenheiten.
 

„Er ist oben. Soll ich führen, Dee?“, bot Prescott mit einer keck erhobenen Augenbraue an.
 

„Nicht nötig, ich denke wir finden den Weg allein, Mick,“ unterbrach Ryo die kurze Unterhaltung der beiden und legte besitzergreifend einen Arm um Dee’s Schulter.
 

Er wusste wohl, dass Mick Black gehörte, im wahrsten Sinne des Wortes, aber gegen ein kleines Abenteuer hatten Mick oder Black nichts einzuwenden, und um dem vorzubeugen, zeigte Ryo hin und wieder seine Präsenz und machte beiden klar, dass Dee ihm gehörte. Nur ihm, und dass ein Vierer nicht auf seiner Speisekarte vermerkt war.
 

„Eifersüchtig, mein Sweety?“ schnurrte Dee leise, als sie gemeinsam die Treppe erklommen und Mick Prescott hinter sich zurückließen.
 

„Nein, ich will nur vorbeugen,“ antwortete Ryo grinsend, als sie oben ankamen und sich ihnen das nächste Hindernis in den Weg stellte.
 

„Hi! MacLane’s! Lange nicht gesehen! Freut mich! Dienstlich oder privat?“ lächelte Steve die beiden an. „Oder geht’s um die Kleine? Sara fühlt sich bei Tony und Max richtig wohl. Ihr werdet Mühe haben, sie euch wieder brav zu erziehen. Bei den beiden lernt sie nur Unsinn, also überlegt es euch mal gründlich, was ihr eurer Tochter damit antut.“
 

„Geht aber im Moment nicht anders. Und es ist für Sara nicht gut, wenn wir ständig abgerufen werden können. Deswegen bleibt sie auch erst vorerst bei euch. Obwohl ich sie schon sehr vermisse,“ seufzte Ryo leise.
 

Tröstend legte Dee einen Arm um Ryo und blickte Steve dann gereizt an. „Mick hat uns durchgelassen, stellst du dich uns etwa in den Weg? Die Idee uns zu filzen kannst du dir abschminken. Mich rührst du nicht an,“ grinste Dee und schob sich und Ryo einfach weiter.
 

Doch Steve stellte sich ihnen erneut in den Weg und versperrte somit die Tür zum Büro.
 

„Ihr kennt doch die Regeln.“
 

„Schon mal was vom ‚Chamer‘ gehört? Eben flog der Sexladen B & B in die Luft, willst du uns immer noch aufhalten? Bitte! Wir können auch anders.“
 

Dee und Ryo zückten ihre Ausweise und hielten sie Steve unter die Nase. „New York Police Department. Wir möchten Ihren Chef Mr. Black sprechen. Aus dem Weg,“ knurrte Ryo, schob Steve einfach zur Seite und öffnete die Tür zu dem Raum, wo Black hinter seinem riesigen Schreibtisch thronte.
 

„STEVE! Ich habe doch... Oh, hoher Besuch, wie ich sehe. Schon gut, Steve. Das geht klar,“ hielt Black Steve davon ab, trotz der Bekanntschaft mit den MacLane’s handgreiflich zu werden.
 

Privat war privat, aber dienstlich blieb dienstlich. Hinzu kam, dass das Ehepaar nicht gerade freundlich eingestellt war, jedenfalls nicht in diesem Augenblick, wie sie sich so mit ihren gezückten Ausweisen den Zutritt zu seinem Büro erzwangen.
 

Ryo schüttelte die Hand, welche auf seiner Schulter lag ab, und blickte Steve geringschätzig an. „So was passt auf Sara auf, ich sollte wirklich noch mal darüber nachdenken.“
 

„Es ist doch...“
 

„Schließ die Tür. Von außen, Steve,“ erklang Black’s tiefe Baritonstimme und verhinderte, dass Steve sich bei Ryo entschuldigte.
 

Steve nickte und schloss die Tür, wobei er Ryo und Dee aber einen verstehenden Blick zuwarf.
 

Nachdem die Tür geschlossen war, lehnte sich Black in seinem Sessel zurück und blickte die beiden Eindringlinge an.
 

„Ich hoffe, ihr habt einen Grund, hier so unerlaubt einzudringen und unbescholtene Bürger zu belästigen.“ Er legte seine Fingerspitzen aneinander und erlaubte es den Cops mit einem kurzen Nicken, sich ebenfalls zu setzen.
 

„Wir sind dienstlich hier. Willst du unsere Ausweise sehen? Müssen wir wirklich offiziell vorgehen?“ mahnte Dee und blieb direkt vor dem Schreibtisch stehen. Stemmte seine Arme darauf, um mehr Autorität in seine Worte zu legen. Blickte Black direkt in seine grünen Augen.
 

Ryo schwieg, er wusste ja noch nicht einmal genau, warum sein Mann hierher gefahren war, aber er wollte ihn so weit wie möglich unterstützen.
 

„Setzt euch endlich. Wollt ihr was zu trinken? Kaffee oder eher...“
 

„Nein. Mensch, Black!“ Ryo rieb sich über den Nacken und blickte ihn genervt an, dann schubste er Dee in die Seite. Dieser zog die eingetütete Reißzwecke hervor und legte sie vorsichtig auf den Schreibtisch.
 

„Du hast wahrscheinlich schon vom B & B gehört?“ Als Dee ein Nicken wahrnahm, sprach er weiter. „Das war in der Bombe. Kannst du es toxikologisch untersuchen lassen?“
 

Black grinste und der Schalk sprach aus seinen hellgrünen Augen.
 

„Ihr platzt hier einfach rein, erzwingt euch theoretisch inoffiziell hier Einlass, denn für einen offiziellen Besuch fehlt euch wohl der richterliche Beschluss, und dann kommt ihr mit der Bitte um Hilfe? Was bekomme ich denn dafür, Dee, sollte ich deiner ‚Bitte‘ nachkommen? Du weißt, nichts ist umsonst!“
 

Schweigend schauten sich Dee und Black an. Grün gegen Hellgrün, doch Schwarz gewann.
 

„Der Bomber könnte auch dich ins Visier nehmen. Daran schon mal gedacht, Mister?“ durchbrach Ryo das stumme Starren und fühlte gleich vier grüne Augen auf sich gerichtet.
 

„Dein Mann ist clever, Dee. Gut, dass er schon unter der Haube ist, sonst könnte ich noch Interesse zeigen,“ schmunzelte Black. „Okay!“ Er drückte eine Taste auf dem überdimensional großen Telefon. „Mick soll kommen.“ Nachdem er die Taste losgelassen hatte, sagte er mit sanfter Stimme: „Setzt euch endlich. Das kann eine Weile dauern.“
 

Diesmal kamen die MacLane’s der Bitte nach und kaum hatten sie Platz genommen, ging die Tür auf und Mick betrat den Raum.
 

„Einen Scotch für mich und für die zwei... Kaffee. Sind ja im Dienst. Und hier,“ Black reichte Mick das Tütchen, „...untersuche das bitte auf alles mögliche. Und sei um Himmels Willen vorsichtig,“ ermahnte er seinen Lover, bevor dieser wieder verschwand.
 

Nur zwei Minuten später öffnete sich erneut die Tür und Steve kam herein, um das gewünschte zu bringen, doch er war in Begleitung. Black rollte mit den Augen und sah Steve fast wütend an. Konnte aber auch verstehen, dass er die Kleine ohne erst um Erlaubnis zu fragen mit hereinbrachte. Steve fühlte sich unter dem Blick seines Arbeitgebers alles andere als wohl, und als dann auch noch Tony in der Tür auftauchte, konnte er förmlich hören, wie Black ergeben aufseufzte und seine Arbeit wohl für die nächste Zeit ad acta legte.
 

Er zuckte entschuldigend mit der Schulter. „Sie haben mich überrannt,“ erklärte er schlicht und mit einem bittenden Lächeln versuchte er die Stimmung seines Chefs ein wenig aufzumuntern.
 

„Dad! Daddy!“ erklang eine helle klare Stimme und ein kleiner Wirbelwind flitzte durch das Büro direkt auf die Cops zu und schlang besitzergreifend ihre dünnen Ärmchen erst um Dee und dann um Ryo, dem sie dann auch auf den Schoß krabbelte. „Was macht ihr denn hier?“
 

Ryo küsste Sara sanft auf die Wange.

„Die Frage ist doch wohl eher was du hier machst, mein Sonnenschein?“
 

Doch die Frage klärte sich, als er Tony in der Tür stehen sah. „Hi, meine Schuld, wollte Steve zum Mittag abholen und als er sagte, dass ihr hier seid, ist mir der kleine Wirbelwind einfach entwischt. Sorry, Mr. Black, sie haben doch nichts dagegen? Wir wollten auch wirklich nicht stören,“ entschuldigte sich Tony.
 

Der Chef seines Freundes war ihm, auch nach dieser langer Zeit, in der Steve für ihn arbeitete, noch immer nicht grün. Trotz der Tatsache, dass Steve jetzt bereits vier Jahre hier beschäftigt war, brachte Tony es einfach nicht über sich, ihn einfach nur Black, wie dieser es wünschte, zu nennen, und so hatten es alle aufgegeben, Tony dazu zu bringen.
 

„Nein, aber sie kann nicht bleiben.“

Black seufzte, seine Arbeit musste wohl noch eine Weile länger ruhen, denn die MacLane’s herzten jetzt nacheinander ihre fünfjährige Tochter und würden wohl eine Weile damit beschäftigt sein.

„Steve kann jetzt nicht, warte einfach eine Weile, Tony. Dauert nicht lange. Nimm dir was zu trinken und warte vor der Tür,“ befahl er und griente, als sich dieser schweigend zurückzog.
 

„Na mein Sonnenschein, gefällt es dir denn bei Onkel Tony?“ fragte Ryo gerade seine Kleine, die er auf seinem Schoß reiten ließ.
 

„Ja~haa... Max macht mir immer das, worauf ich Hunger hab und ich darf sogar in der Küche helfen,“ erklärte sie und strahlte wie das ganze Sonnensystem, doch dann legte sich auch ein leichter Schatten auf ihr Strahlen. „Ich vermisse euch... wann darf ich denn wieder bei euch sein? Dad? Daddy?“ Mit einem weinerlichem Schnütchen blickte sie von Ryo zu Dee.
 

„Bald, meine Nikkô. Bald!“ herzte Ryo seine Tochter und warf Dee hinter ihrem Rücken einen herzzerreißenden Blick zu.
 

Mick betrat nach kurzem Anklopfen das Büro. Warf Dee, Ryo und der Kleinen einen freundlichen Blick zu, bevor er sich ernst an seinen Boss wandte.
 

„Nichts. Alles rein. Kein Gift, Säure oder sonst was. Eine ganz normale Reißzwecke,“ kommentierte Mick seinen Befund.
 

„Nichts?“ fragte die beiden Cops wie aus einem Mund.
 

„Nein. Ich habe alles doppelt geprüft. An diesem kleinen Ding befindet sich nichts Außergewöhnliches.“
 

„Danke... Ein Versuch war’s wert. Mick,“ bedankte sich Dee bei Black’s Freund und erhielt prompt eines dieser seltenen offenen Lächeln des Dunkelhaarigen.
 

„Wenn das alles ist, bin ich wieder unten.“

Er richtete seinen Blick auf Black und als dieser ihm zunickte, drehte er sich um und verschwand genauso leise, wie er aufgetaucht war.
 

„So, war’s das, dann kann ich jetzt weiter arbeiten?“

Immer noch gereizt wegen der Störung blickte er in Richtung der Cops. Sah, dass Ryo nicht ganz so glücklich war, Sara jetzt wieder gehen zu lassen, doch Dee hatte wohl hier die Hosen an, denn er erhob sich als erstes und nahm seine kleine Tochter auf den Arm.
 

„Danke, Black. Wir schulden dir was.“
 

„Ja. Nur möchte ich einmal erleben, dass ihr eure Schulden auch begleicht. Verschwindet, damit ich endlich fertig werde,“ knurrte er, konnte sich aber ein kleines Lächeln nicht verkneifen.
 

„Du bist heute aber böse...“ meinte Sara, löste sich aus Dee’s Armen und trappelte zu Black. „Du bist doch sonst so nett... hier.“ Sara streckte ihre kleine Hand aus und präsentierte dem Chef des Modesalons ein Bonbon. „Das wird dich wieder aufheitern,“ meinte sie mit ihrer kindlichen Logik.
 

Black nahm es mit einem Lächeln entgegen, knubbelte die Folie davon ab und steckte es sich zwischen die Lippen.
 

„Mmhh... du hast recht, Schatz. Es geht mir schon besser,“ lächelte er Sara an, die ihm, wie sollte es auch anders sein, ans Herz gewachsen war. „Nun geh, deine Eltern warten,“ meinte er sanft und strubbelte ihr durch ihr honigblondes Haar.
 

Sara winkte ihm noch einmal zu und lief dann zu ihren Eltern, ergriff je eine Hand und ging mit ihnen aus dem Büro.
 

Steve und Tony bekamen nicht mit, dass sich die Bürotür hinten ihnen öffnete, erst das Gekicher von Sara ließ die beiden, die in einem leidenschaftlichen Kuss gefangen schienen, auseinanderfahren.
 

Sara zupfte an Ryo’s Ärmel, bis er sich zu ihr hinab beugte. „Das machen die öfters,“ meldete sich die kleine unschuldige Stimme von Sara zu Wort und klammerte sich fest an ihren Daddy.
 

„So so, machen die das... Was meinst du, Schatz. Sollen wir es ihnen verbieten?“ neckte Ryo seine kleine Tochter, die schon so aufgeweckt war wie eine Siebenjährige.
 

„Nein... wir sollten sie einfach machen lassen...“ Sara winkte ihn mit dem Zeigefinger noch näher zu sich. „Anschließend schicken sie mich immer ins Bett und dann machen sie so eigenartige Geräusche in Steve’s Zimmer,“ erklärte sie leise.
 

Ryos Blick ging zu den beiden Babysittern und er traute seinen Augen nicht, denn beide wurden rot bis unter die Haarwurzeln.
 

„Das... sollten sie aber nicht machen. Dich wegschicken. Sie sollen doch auf dich aufpassen, Schatz.“
 

„Ach, ich bin doch schon groß. Und außerdem sind es so ähnliche Geräusche wie bei dir und Dad,“ meinte sie altklug und lächelte fast hinterhältig, als sie Dee’s entsetztes Stöhnen hörte.
 

„Du bist aber auch immer zu laut...“
 

„Was ich? Dee, sei ruhig,“ ermahnte Ryo seinen Mann und nahm Sara auf den Arm.
 

„Schatz, Dad und ich wir müssen weg. Steve, Tony und auch Max passen noch eine Weile auf dich auf. Und versprich mir, dass du ganz lieb bist, dann holen wir dich am Sonntag und machen einen Ausflug. Na, Nikkô, gefällt dir das?“ fragte Ryo und hätte seine Tochter am liebsten gar nicht mehr hergegeben.
 

„Ihr wollt schon wieder gehen... Daddy?“ Mit Tränchen in den Augen blickte sie ihren Daddy an.
 

„Hör mal, Schatz. Dad und ich müssen den bösen Mann, der andere Menschen verletzt hat, fangen. Das verstehst du doch. Sonst müssen noch mehr Menschen leiden. Und du möchtest doch nicht, dass jemand Schmerzen hat. Und je schneller wir sind, Schatz, desto eher kannst du wieder zu uns. Ich hab dich lieb, Nikkô, aishiteru,“ hauchte er leise und herzte Sara in seinen Armen.
 

„Ryo?“ ermahnte ihn Dee und kniete sich nun zu den beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben hinab.

„Wir kommen heute abend, wenn wir können... Sara...!“ versprach er.
 

Ergriff Ryo bei der Hand und löste sacht den festen Griff seiner Tochter. Gab ihr noch ein Küsschen und legte sie Steve in die Arme. Danach nahm er Ryo bei der Hand und zog ihn die Treppe hinab. Ryo brach fast das Herz, als er das leise Wimmern seiner Tochter hinter sich hörte.
 

„Dreh dich nicht um, Ryo. Diese Kleine weiß genau, wie sie dich weich kriegt. Komm, wir fahren nachher zu ihr,“ meinte Dee und legte eine Hand auf Ryo’s Schulter, bis sie das ‚Black’s‘ verlassen hatten.
 

„Sie fehlt mir...“
 

„Mir doch auch. Aber es ist besser so.“
 

Ryo klammerte sich noch kurz an Dee, dann küssten sie sich in aller Öffentlichkeit und vergaßen für einen Moment, wo sie waren.
 


 

~~~~ Unterwegs in Manhattan ~~~~~
 

Dee und Ryo hatten schließlich doch den Weg zurück zu ihrem Wagen gefunden. Seufzend lehnte Dee sich gegen diesen.
 

„Mist, ich dachte echt, dass da was wäre. Warum nur Reißzwecken. Was bringt das?“
 

„Vielleicht hat Jim oder einer der anderen eine Idee!“ versuchte Ryo seinen Partner aufzumuntern.
 

„Ja, vielleicht. Aber irgendwas stimmt nicht. Ich weiß nur noch nicht was.“
 

„Stimmt. Ich habe da auch so ein mulmiges Gefühl im Magen.“
 

Danach schwiegen sie und setzten sich, als die ersten Tropfen auf sie niedergingen - keiner von beiden hatte das aufkommende Gewitter bemerkt - ins Auto.
 

„Ich vermisse sie.“
 

„Ich auch, Ryo. Ich auch. Aber je schneller wir vorgehen, desto schneller haben wir sie wieder.“
 

„Ich weiß.“
 

Dee legte ihm zur Beruhigung eine Hand auf den Schenkel und freute sich, als Ryo seine Hand darüber legte und ihn von der Seite anlächelte.
 

„Wir haben nichts... absolut nichts. Wo fangen wir an?“ Ryo fuhr sich durch die Haare und hätte am liebsten mal gegen das Armaturenbrett geschlagen.
 

„Little Italy... Sam Yester? Was meinst du, ob er schon da ist?“
 

„Finden wir es raus...“ beantwortete Ryo.
 


 

~~~~ Blue Star ~ Little Italy ~~~~~
 

In einer Seitenstraße parkte Dee seinen Wagen, schloss sorgfältig ab und marschierte mit seinem Mann im Arm durch Little Italy. Es dauerte einige Minuten, bis sie vor dem angesagten Homo-Club in dieser Gegend standen. Einer der wenigen hier in der Gegend, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Wie es schien, war er auch zu dieser noch recht frühen Stunde schon gut besucht. Die MacLane’s näherten sich dem Türsteher und dieser wollte sie einfach nur durchwinken, denn sie waren gern gesehene Gäste in diesem Etablissement. Doch die beiden blieben stehen und begannen ein Gespräch.
 

„Hi, Tom. Ist Yester schon da?“ fragte Ryo den Türsteher, der sich vor ihnen groß und breit aufgebaut hatte.
 

„Yeah. Kam vor gut einer Stunde. Offiziell oder privat?“
 

„Warum werden wir das heute nur immer gefragt,“ wunderte sich Dee und schüttelte einfach nur genervt den Kopf. „Wir sind Cops, jagen einen möglichen Bomber, der es wahrscheinlich auf Homos abgesehen hat.“
 

„Den Gay-Bomber?“
 

„Und schon hat er einen Namen. Wie schnell so was geht. Also wenn wir offiziell hier sind, willst du uns dann nicht reinlassen?“ fragte nun Dee, leicht genervt, heute ständig diese Fragereien über sich ergehen zu lassen.
 

„Dann muss ich wohl Matthew rufen. Das ist alles.“
 

„Dann ruf ihn,“ kommandierte Ryo, dem auch langsam die Galle überlief.
 

Sie hätten einfach hineingehen sollen, aber sie wollten den Besitzer dienstlich sprechen und das machte man unauffällig. Es sei denn, dass man wirklich etwas gegen diesen vorbringen konnte, dann machte man natürlich Rabatz, aber so? So gaben sie ihm die Möglichkeit, einem Gespräch auszuweichen, obwohl ja eigentlich keine Veranlassung dazu bestand. Es sei denn, er hätte was zu verbergen. Ein kleiner Trick, der den beiden Cops schon so manchen Hinweis geliefert hatte.
 

Nach einigen Minuten des Wartens tauchte vor ihnen ein großgewachsener, muskulöser Kerl auf und bat sie herein. Doch weit kamen sie nicht. Links ging es in einen kleinen Flur und dann in ein kleines Büro mit Überwachungskameras, vor dem ein weißhaariger Amerikaner Mitte Fünfzig saß.
 

„Was kann ich für die N.Y.P.D. boys denn heute tun?“ Matthew drehte sich nicht zu ihnen um, sondern beobachtete mit großen Interesse weiter die flackernden Bilder.
 

„Wir wollten eigentlich nur mit Sam sprechen. Das ist auch schon alles.“
 

„Hat das nicht Zeit bis er fertig ist, Jungs?“
 

Matthew deutete auf einen Bildschirm, auf dem gerade ein noch recht junger Knabe seine Hüften kreisen ließ. Welcher nur eine kurze, weiße Weste trug, seine Genitalien mit einem mehr als unschicklichen, diamantenbesetzten Tanga verdeckt hatte, der mehr zeigte als er verhüllte, während seine Beine in kniehohen Stiefeln steckten und somit am meisten bekleidet waren.
 

„Nein, ich denke nicht. Würdest du ihn holen lassen? Wir können ihn auch abführen lassen. Ganz wie es dir beliebt!“ drohte Dee.
 

„Halt sein Band kurz, Ryo,“ knurrte Matthew und nickte dem Hünen, der sie hereingeführt hatte, kurz zu, der dann auch gleich verschwand. „Hat er was mit dem ‚Gay-Bomber‘ zu tun?“
 

Genervt drehte sich Dee um. „‘Gay-Bomber‘, was soll das? Kaum hat jemand zwei Bomben gezündet, von denen wir noch nicht einmal verlauten ließen, dass sie im Zusammenhang stehen, hat der Kerl schon einen Namen. Ihr fordert es doch geradezu heraus, dass sich dieser Mistkerl an euch hält.“ Dee schüttelte über solche Dummheit nur den Kopf. „Ihr spinnt, eindeutig.“
 

Ryo schmollte und warf einen erneuten Blick auf den Schirm, um zu sehen, dass Yester immer noch auf der Bar herumhüpfte.
 

„Wir haben unsere Zeit auch nicht gestohlen, entweder er taucht gleich auf, oder wir holen ihn selbst von der Bühne,“ donnerte Dee und konnte sich kaum noch beherrschen.
 

Ständig wurde er angemacht, egal von wem, und dass Sam etwas mit dieser Sache zu tun haben könnte, irritierte ihn nun völlig. Der Kleine hatte doch von nichts eine Ahnung, und wie ein Bombenleger sah er eigentlich auch nicht aus. Schon gar nicht, wenn man bedachte, dass er erst Mitte zwanzig war. Also woher sollte er das Wissen haben. Dennoch mussten sie ihn befragen.
 

Nach schier fünfzehn Minuten Wartezeit führte der Riese Sam Yester herein und begab sich an seinen Platz.
 

„Hi, Dee, Ryo,“ strahlte Sam die beiden an. „Ihr wolltet mich sprechen?“
 

„Ja, Sam. Können wir draußen... vielleicht?“ Ryo machte eine eindeutige Handbewegung und Sam zuckte nur mit den Schultern.
 

„Boss... bin gleich zurück!“
 

Sam verschwand kurz, kam dann mit einer Jacke bekleidet zurück zu den Cops, folgte ihnen dann hinaus. Damit Tom, der Türsteher, ihr Gespräch nicht belauschen konnte, gingen sie einige Schritte.
 

„Ich glaube nicht, dass ihr an meinem neuesten Witz interessiert seid? Dann kämt ihr nicht offiziell. Also, wie kann ich der New Yorker Polizei helfen?“ fragte Sam, wandte sich einfach an Dee und schien Ryo links liegen zu lassen.
 

Obwohl der Halbjapaner mit so etwas gerechnet hatte, konnte er seine unnötige Wut nicht zügeln, nickte seinem Mann flüchtig zu und begann mit den Fragen.
 

„Du wurdest heute in der Christopher Street gesehen, kurz bevor das B & B hochging. Wir sollen dir zum einen Bobs Dankbarkeit überbringen, doch uns interessiert eher, was genau du um diese Zeit dort zu suchen hattest?“
 

„Hast du eine Zigarette, Dee?“ überging Sam erst einmal die Frage von Ryo und dieser behielt äußerlich die Ruhe, und das nur, weil Dee ihm wieder leicht zunickte.
 

„Ich rauche nicht mehr, vergessen? Also was ist, Sam? Warum warst du heute dort?“ stellte Dee die Frage erneut.
 

„Was soll das? Darf man als freier Bürger nicht einmal durch die Stadt laufen?“ fragte er pikiert und schwang seine Hüften, als würde er gehen, wobei er sowohl Dee als auch Ryo einen frivolen Blick zuwarf.
 

„Sam, wir können das hier regeln oder auf dem Revier. Also, was hast du da gemacht?“ blieb Ryo ernst.
 

Obwohl, wenn Sam so einen auf Extrem-Homo machte, war das wirklich zum Lachen. Diese Gehabe, mit abgeknicktem Handgelenk, diese hohe nasale Stimme und dann dieses Hinternwackeln. Fehlte einfach nur noch, dass er immer seinen kleinen Finger abspreizte, wenn er was trank. Jedenfalls war Sam eigentlich ein ganz normaler Schwuler, der gerne seine maskuline Art zeigte. Aber er konnte auch anders. So eine Art Chamäleon, und vielleicht war es genau das, was Ryo so an ihm faszinierte.

Immerhin schaute er ja nicht schlecht aus. 1,85 cm groß, blonde Haare mit roten Strähnchen, ein niedliches Gesicht, das seine immerhin schon 28 Jahre nicht zeigte, sondern ihn eher wie 18 aussehen ließ. Sein Körperbau war auch noch jugendlich geblieben, obwohl er einen muskulösen festen Bauch hatte, breite Schultern und seine Beine hatten ebenfalls feste Stränge aufzuweisen. Das, er was in der Hose hatte, braucht er nicht zu zeigen, das wusste man, weil er nie viel anhatte, wenn er als Go-Go tanzte.
 

„Ich hab mir mal das ‚Chamer‘ angeschaut. Das ist alles. Ich hab darüber in den Zeitungen gelesen und... ich kann es einfach nicht glauben. Ich hab gehört, dass es dem Besitzer nicht gut geht?! Hatte er nicht erst kürzlich geheiratet, ich meine, ich hätte da was gehört.“

Lässig lehnte Sam Yester sich mit dem Rücken gegen die Wand und stützte sich mit einem Bein ab.
 

Ryo machte sich Notizen und ließ seinen Blick in aller Ruhe über Sam’s Körper gleiten. Er hatte ja fast immer noch nichts an, wenn man mal von der Jacke absah, die knapp bis zu den festen Rundungen reichte, dazu noch offen war. Ließ eigentlich nichts dem Träumen übrig. Allein das faszinierte Ryo an Sam, und obwohl dieser noch immer hinter Dee her war, würde der hellhaarige Cop bei Sam sogar eine Ausnahme machen, wenn man ihn mal fragen würde, denn er alleine würde nie den Vorschlag zu einem ‚Dreier’ machen. So versuchte er, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren, als er die nächste Frage stellte.
 

„Also Neugier... schaulustig... Warst du vor vier Tagen auch da... War doch groß angekündigt mit der Neueröffnung. Hattest du kein Interesse, mal vorbeizuschauen?“
 

Ryo erntete für seine Frage einen eisigen Blick.
 

Sam schaute ihn gequält an. Er mochte Ryo nicht, der war immer so kalt und berechnend und sein sanftes Äußeres täuschte ihn da nicht. Dee war da ganz anders. Halt ein ganzer Mann, und er hoffte, dass Dee bald mal erkennen würde, was für ein toller Kerl er doch war, und es mal mit ihm versuchte. Ryo brauchte ja nicht unbedingt was davon erfahren. Dachte Sam so bei sich und überlegte sich eine Antwort nicht zu lange, denn sonst käme man noch auf die Idee, dass er log.
 

„Später am Abend, ja. Ich hatte erst noch einen Auftritt hier. Wollte so um Mitternacht vorbei... aber da kann man von Glück reden, dass ich nicht früher da war...“ stumm blickte er Ryo entgegen.
 

„Du hast auch nicht zufällig jemand gesehen, der sich irgendwie verdächtig in der Gegend rund ums B & B herumgetrieben hat?“ holte Dee die Aufmerksamkeit zurück auf sich.
 

„Nein... doch, warte. Da war so ein... Kerl. Jetzt, wo du es sagst. Er schaute sich ständig um und blickte auf seine Uhr, als ob er auf etwas oder jemanden warten würde.“
 

„Kannst du ihn beschreiben?“
 

„Warte mal... Klein, würde ich sagen, so um die... 1,50 – 1,60, schmächtig aber mächtig breite Schultern, wenn ich mich richtig erinnere, hatte einen Vollbart und trug eine Baskenkappe. Sorry! Aber hätte ich gewusst, dass ich ihn mir merken muss, hätte ich ihn photographiert.“
 

„Danke! Sam. Das hilft uns schon weiter. Aber wenn du ihn das nächste Mal irgendwo siehst, rufst du mich an,“ erklärte Dee und steckte seinen eigenen Block wieder ein.
 

„Klar, Dee. Dich immer...“ Sam stieß sich von der Wand ab, ging verdächtig nah an Dee vorbei und schenkte ihm einen mehr als eindeutigen Blick. „Ich meld mich...“ und verschwand wieder im ‚Blue Star‘, um seiner Arbeit nachzugehen.
 

„Immer dasselbe... er mag mich nicht,“ griente Ryo über Sams Verhalten. „Ob er denkt, dass er bei dir eine Chance hat... immer noch?“
 

„Lass das, Ryo. Ich kann doch nichts dafür, dass er hinter mir her ist. Mehr wie ‚Nein‘ kann ich wohl nicht sagen. Außerdem, wen interessiert es, ob er dich mag, ich liebe dich, das wird dir doch wohl reichen?“ lächelte nun auch Dee und zog seinen Mann zu sich, um diese verheißungsvollen Lippen mit seinen zu umfangen.
 

Wenn Dee von seinen sündigen Gedanken wüsste, würde er Ryo wohl eher ungläubig anstarren. Aber da konnte man wohl nicht machen.
 

Ryo seufzte gegen die betörenden Lippen und erwiderte feurig und fordernd den Kuss.
 

„Ich will dich...“ keuchte er leise und schob sein Bein zwischen Dee’s, um ihn ein wenig anzuheizen. „Wie sehr ich dich will...“
 

„Lass uns Feierabend machen...“ wisperte Dee genauso erregt wie Ryo und zog ihn am Becken näher zu sich.
 

„Ja... und dann holen wir Sara aus dem ‚Basra‘“ hauchte Ryo leidenschaftlich.
 

Schon immer hatten es die beiden verstanden, sich zu erregen, aber heute war es extrem.
 

******* TBC

Dienstag - 05. Juni Nachmittagsliebe

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Dienstag - 05. Juni - The Day End

~~~~ Basra ~~~~~
 

Die Fahrt von ihrer Wohnung bis zum Basra verlief mit viel Gelächter und Neckereien untereinander. Bei jeder sich bietenden Möglichkeit beugte sich Dee zu Ryo oder auch mal anders herum und sie küssten sich leidenschaftlich, bis ihnen das Hupkonzert hinter ihnen sagte, dass die Ampel bereits erneut auf Grün geschaltet hatte.
 

Dee fand einen Parkplatz unweit des Basra. Eigentlich nur auf der anderen Straßenseite schräg gegenüber des Lokals. Ryo erklärte sich bereit, ihren kleinen Sonnenschein zu holen.
 

„Warte hier, Dee!“ raunte Ryo und küsste ihn sanft, strich ihm liebkosend über die Wange. „Bin gleich mit unserer Nikkô zurück. Aishiteru, Usagi!“
 

Ein erneuter Kuss von diesem Hasen und ein ebenso kecker wie dreister Griff in die schwarze Jeans von ihm hielten Ryo länger auf, denn er wehrte sich gegen seinen Mann, wenn auch mehr spielerisch aufreizend als mit seiner früheren ernsthafteren Abwehr. Küssen in der Öffentlich gut und schön, aber was in der Hose ist, sollte nur für Dee da sein, und ging sonst keinen was an. Schließlich hatte er Dee’s Hand aus seinem Schritt entfernt und küsste ihn nochmals, bevor er die Kraft aufbrachte, sich von ihm zu lösen und zum Basra zu eilen. Bevor er das Lokal betrat warf er seinem, inzwischen ebenfalls ausgestiegen, Ehemann eine Kusshand und sein herzlichstes Lächeln zu.
 

Dee erwiderte den Kuss, lehnte sich mit aufgestützten verschränkten Armen auf das Wagendach und schaute dem Vater seiner Tochter hinterher, und wieder einmal gefiel ihm die Rückenansicht von Ryo und brachte sein Blut bereits wieder in Wallung. Selbst nach so vielen Jahren ihrer Beziehung und den sieben Jahren ihrer Ehe konnte Dee wirklich immer noch von sich behaupten, dass er seinen Mann über alle Maßen sexy fand. Und von Langeweile in der Ehe, geschweige denn im Ehebett, waren sie noch sehr lange entfernt. Flüchtig gingen seine Gedanken zurück zu ihrer eben erst verbrachten Dusche und eine sanfte Röte kroch über seine Wangen, als er an Ryo’s waghalsige Aktion dabei dachte. Er war immer, oder sollte man sagen, in letzter Zeit meist derjenige, der auf ausgefallene Sachen kam.
 

Verträumt seufzte er leise auf. Er hob seinen Blick dem Gebäude entgegen und bemerkte, wie sich im zweiten Stock ein Fenster öffnete und kurz schmale Arme sichtbar wurden. Gleich darauf erschien auch schon sein geliebter blonder Wuschelkopf dort und begann heftig mit ihren kurzen Ärmchen zu winken.
 

„DAD! DAD! HIER! DA~AD!“ rief Sara immer wieder, bis Dee schließlich auch zurückwinkte und ihr zurief, dass ‚Daddy‘ zu ihr unterwegs war.
 

Ein Strahlen schlich sich auf sein Gesicht und er konnte es immer noch nicht ganz glauben, dass er dieses wunderschöne Geschöpf selbst ausgetragen hatte. Seine Liebe zu Ryo hatte sich in Form von Sara manifestiert und niemand war in der Lage, diese Liebe zu zerstören. Er winkte seiner Tochter nochmals zu, bevor ihr Kopf wieder im Gebäude verschwand. Er schloss seine Augen, um an das unglaubliche Wunder von Sara und seine unumwundene Liebe zu Ryo zu denken. Dabei schlich sich ein wahrlich manchmal lüsternes Lächeln, wenn er an ihre Sexspielchen dachte, auf seine Lippen. In Gedanken sah er Ryo‘s vor Schweiß glänzendes Gesicht unter sich und...~
 

~~~~
 

Weder dieses Lächeln noch das Getuschel und Geschmuse blieben unbeobachtet. Und mit einem fast genauso lüsternen, aber mehr als diabolisch hinterhältigen Lächeln griff eine behandschuhte Hand in den dunklen, etwa knielangen Mantel, der den Körper locker einhüllte. Verborgen an der nächsten Ecke hatte er alles verfolgen können.
 

Das Getue dieser Schwulen, diese Küssereien und ihre Liebesbekundungen mitten auf der Straße. Sie sollten das zu Hause hinter verschlossenen Türen machen, wenn sie denn unbedingt diese Krankheit ausleben mussten. Oh, ja, wie er diese Homos hasste. Er würde sie alle vernichten. Sein Grinsen wurde breiter, als er einen kleinen unscheinbaren Kasten, welcher nicht größer als einen Zigarettenschachtel war, aus seiner Manteltasche zückte. „Boommm,“ murmelte die Person und zog ihren Schlapphut noch eine Spur tiefer in die hohe Stirn.
 

~~~~
 

Die Druckwelle traf ihn völlig unerwartet. Seine dunklen Haare flogen wie bei einem starken Wind nach hinten. Doch dieser Wind brachte keine Kühlung, sondern ihm folgten dichtauf Staub, Holzspäne, kleine, kaum sichtbare Metallsplitter. Doch das schlimmste war die Hitze, die ihm gnadenlos entgegen brandete. Er tat, was jeder normale Mensch in dieser Situation wohl tat. Er schlug sich die Hände vors Gesicht, um dieses vor den Splittern zu schützen, und ging dann hinter dem Wagen in Deckung.
 

Erst als der Explosionshall ihn erreichte und ihm klar wurde, was ihm dort entgegengeflogen kam und dass sich das Basra förmlich vor seinen Augen in Staub und Asche auflöste, schoss es ihm heiß und gleichzeitig eiskalt durch seine Adern. Er glaubte sein Herz müsste aussetzten. Als er endlich nach schier unglaublich langen vier Sekunden seinen Körper hinter dem Auto hervorhieven konnte, blieb er für eine Sekunde versteinert stehen.
 

Das irre Lachen hinter ihm vernahm er nicht. Genauso wenig, dass sich diese Person langsam, immer noch lachend von dem Ort des Geschehens entfernte. Er schien vollen Erfolg gehabt zu haben.
 

„RYO~!!!!!“ brüllte er entsetzt.
 

Hitze, Staub und Splitter aus allen möglichen Materialien schlugen ihm entgegen, als er die Motorik über seine Gelenke zurückerlangt hatte und schnurgerade aufs lichterloh brennende Basra zustürmte.
 

„RYO!!!! RYO!!!! OH GOTT NEEEIIIINNNN!!!“
 

Unwirkliche hysterische Schreie lösten sich aus Dee’s Kehle und nur die Feuerbrunst hinderte ihn am Weiterkommen. Mit entsetzt aufgerissen Augen sah er, wie sich das Basra vor ihm förmlich ins Nichts auflöste und mit ihm sein gesamtes Leben. Mit einem Arm schützte er sein Gesicht so gut er konnte vor der Hitze und dem Qualm, der sich in Sekundenschnelle ausbreitet. Dee rannte nach links, stürmte nach rechts und war völlig verzweifelt, als ihm klar wurde, dass es keinen Weg hinein gab. Er bemerkte noch nicht einmal die Tränen, die ihm bereits aus den Augen schossen und auf seinen Wangen verdampften. Sein Gesicht, seine Hände, alles leuchtete bereits rot durch die überirdische Hitze, die das Feuer ausstrahlte. Bevor er jedoch noch eine unglaubliche Dummheit machen konnte, zogen ihn zwei starke Armpaare aus der Gefahrensituation.
 

Wie ihn Trance sank er auf die Knie und starrte in die Flammenhölle. Die hektischen Worte neben sich vernahm er nicht. Seine Augen blieben fest auf das Feuer geheftet, vielleicht kamen sie ja gleich hervor. Die Hand auf seiner Schulter, die Worte, die ihn beruhigen sollten gingen ungehört an ihm vorbei. Dennoch versuchte der einzigste, auf den er sich je, außer auf Ryo, verlassen hatte, ihn von dem Geschehen, aus dieser starren Haltung zu lösen. Er schüttelte ihn und schließlich schlug er ihm ins Gesicht.
 

„Dee! Es ist zwecklos... Das hat niemand überlebt,“ brüllte er ihn förmlich an und zuckte gleich darauf zusammen und ließ Dee los.
 

„RYOOOOOOOOOOO!!“ Ein markerschütternder Schrei brach aus Dee und er schämte sich seiner Tränen nicht, die ihm einer Sintflut gleich aus den aufgerissenen Augen schossen.
 

In seiner Trauer bemerkte er nicht, dass noch ein junger Mann völlig aufgelöst neben ihm stand und auf die Trümmer seines Lebens und seiner Liebe blickte.
 

Doch anstatt in lautes Schreien ausbrechen hörte man lediglich ein gemurmeltes „Nein!“, bevor Steve ohnmächtig in sich zusammensackte und im letzten Augenblick von Mick aufgefangen wurde. Mit Steve im Arm zückte der Bodyguard sein Handy und verständigte die örtlichen Stellen über das Bombenattentat.
 

„Dee? War Ryo da drin? Dee?“

Black holte aus und scheuerte dem schwarzhaarigen Cop erneut eine, so dass dieser seinen Blick wieder klaren konnte. „Wo sind Ryo und Sara?“
 

Dee konnte kein Wort sagen, seine Kehle brannte vor Schmerz, vor Hitze, wie sein Herz, das von Eis umrahmt schien, als er an Black vorbei zum Basra schaute.
 

„Komm mit... du kannst hier nichts machen...“ erklärte Black und zog ihn förmlich widerstandslos zu seinem Hummer, wo er ihn auf dem Beifahrersitz absetzte.
 

Black zückte seinen Erste-Hilfe-Koffer, der immer griffbereit unter dem Vordersitz lag, und tupfte das Blut von Dee’s Gesicht, der immer noch apathisch vor ihm saß und alles mit sich geschehen ließ. Nach der ersten Säuberung stellte Black fest, dass er eine tiefe Schramme über dem rechten Auge hatte, die vermutlich genäht werden musste, und auch an seinem Hals war eine blutige Strieme, die unaufhörlich blutete. Fürsorglich betupfte er die Wunde über dem Auge mit Antiseptikum und deckte es schließlich mit einem Klemmpflaster ab. Aus der Ferne konnte man bereits Sirenengeheul hören und Augenblicke später bremste der erste Feuerwehrzug neben ihnen.
 

Rasch waren die Schläuche gelegt und an die Hydranten angeschlossen. Doch viel zu retten gab es da nicht. Das Gebäude würde in sich zusammenbrennen und nichts, als Platz für eine neue Wohnung, hinterlassen.
 

Der Notarzt erreichte den Schauplatz und wurde von Mick gleich zu Dee verfrachtet, der die weitere Versorgung übernahm, nachdem der Krankenwagen ebenfalls eingetroffen war.
 

Steve saß währenddessen stumm und unter Schock stehend auf dem Randbordstein gegenüber seiner brennenden Wohnung. Tränenlos und mit leerem Blick schaute er in die Flammenhölle. Mick ließ sich neben ihm nieder und es war ihm egal, dass er seinen weißen Anzug, den er immer trug, wenn er Feierabend hatte und mit seinem Lover noch etwas unternehmen wollte, beschmutzte. Er legte verständnisvoll seine linke auf Stevens Hände, die sich auf den angezogenen Knien verkrampft hatten.
 

„Napalm... Einer der Firefox sagte, es sei Napalm...“
 

„Hab ich auch gehört... Denk ich aber nicht. Steve?“
 

„Wir wollten heiraten... nächsten Monat... Endlich, nach all dem Kampf den wir hatten... und nun...“ Tränen brannten hinter Steve’s Augen, doch sie konnten nicht fließen. Hilflos saß er nur da und kämpfte mit sich und diesen Trümmern. „Dee?“
 

„Black ist bei ihm. Er hat einige Wunden abgekommen. Was ich mitbekommen habe, wollten sie Sara gerade abholen... Ryo...“

Mick schluckte, auch ihm ging das ganze nah.
 

Schließlich kannte er Sara seit ihrer Geburt, Dee schon über zig Jahre und genauso Ryo. Sie waren Freunde im weitläufigsten Sinne. Tranken hin und wieder mal einen zusammen, aber meist ging es um Infos, die Black ihnen besorgen sollte, oder sonst welche Dienste. Das Private hatte sich im Laufe der Jahre so ergeben. Deswegen war es kein Wunder, dass er sich nun wie nebenbei eine Träne wegwischte, während er versuchte, Steve in seiner Trauer beizustehen. Das ganze Ausmaß würde erst kommen, wenn das Herz das akzeptierten musste, was sein Hirn noch nicht wahrhaben wollte. Eine schwere Zeit stand ihnen bevor.
 

Black stand neben Dee und schaute dem Arzt zu, wie er bei Dee eine weitere blutende Halswunde versorgte. Einen langen Splitter aus dessen Unterarm zog und diese Wunde mit drei raschen Stichen nähte und ebenfalls verband. Er konnte Dee nichts weiter geben als die Nähe und die Freundschaft, die er jetzt wohl brauchen würde. Denn Black war sich sicher, dass Dee ohne Ryo nicht würde durchhalten können. Der Bomber hatte ihm alles genommen, was dem Cop wichtig war. Über eines war sich der Ladenbesitzer jedoch sicher: Dee würde sich erst aufgeben, wenn er den Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen hatte. Doch was die anderen Gefühle, die Dee nun durchlebte anging, da war sich Black sicher, die konnte er sich nicht ausmalen.
 

Er warf einen Blick zu Mick, der neben Steve Cotton saß und war froh, ihn an seiner Seite zu wissen. Black vermutete, dass es sich hier um mehr als um ein bloßes Attentat des verrückten Bombenlegers handelte.
 

„Black?“ hörte er wenig später eine leise Stimme neben sich und fühlte sich aus seinen Gedanken gerissen, als er sich zu seinem Lover umschaute.
 

Mick nickte und sie gingen einige Schritte außer der Hörweite von Dee und Steve.

„Das hier liegt viel zu weit weg. Das ging direkt gegen die MacLane’s,“ vermutete Mick und bestätigte Black in seinen eigenen Überlegungen.
 

„Der Gedanke ist mir auch schon gekommen, Mick. Aber warum. Sie haben doch niemanden im Verdacht, das hätten wir doch gehört... Nein... Aber irgendwie hast du recht. Nur der Zusammenhang warum, da passt irgendwas nicht, Mick. Aber mir fällt es nicht ein. Noch nicht,“ murmelte der Ladenbesitzer und drehte sich zum Basra um. Legte einen Finger an die Lippe und schien zu überlegen.
 

„Chamer und B & B lagen an der CS, Basra hier in der South Bronx, viel zu weit vom eigentlich Ort der Schwulen. Wo er bisher zweimal zugeschlagen hat. Warum hier... wirklich nur wegen den MacLane’s? Steve und Tony können es nicht sein, und Steve’s Vergangenheit? Das wäre zu unglücklich... aber so arbeitet die Mafia nicht. Auf alle Fälle hat der Bomber einen riesigen Fehler begangen,“ murmelte Black leise und schaute sich weiter das Trümmerfeld an.
 

„Welchen?“
 

„Ein Freund meines Angestellten wurde getötet... Grund für mich einzugreifen. Außerdem wurde Ryo und Sara... Armer Dee,“ nuschelte Black und drehte sich seitlich zu Mick um, ihm über sein Gesicht zu streicheln. „Du musst auf dich aufpassen... ich will dich nicht auch verlieren.“
 

„Ich werde aufpassen... und ich schwöre dir, dass ich dir dabei helfen werde, diesen Mörder zur Strecke zu bringen.“ Ernsthaft und voller Zuversicht erklangen die leisen Worte von Mick, während sich aus der Ferne weiteres Sirenengeheul näherte.
 

Ein dunkler Wagen bremste scharf ab und gleich flogen die Türen auf.
 

„Ach du Scheiße...“ murmelten J.J. und Drake wie aus einem Mund und sahen sich das immer noch hell lodernde Feuer an.
 

„Steht hier nicht rum, sucht Augenzeugen, aber dalli!“ donnerte Commissioner Ross, als er aus einem eigenen Wagen ausstieg und J.J. und Drake davonjagte.
 

Er selbst machte sich auf zum Krankenwagen, denn dort hatte er im Vorbeifahren Dee sitzen sehen. Doch als Ross ihn ansprach, reagierte er nicht, sondern starrte mit leerem Blick weiterhin nur in das Feuer. Als er energischer werden wollte, wurde er grob am Arm gepackt und von dem dunkelhaarigen Cop weggezogen.
 

„WAS?“ knurrte er und drehte sich um.
 

„Commissioner!“ wurde er von Black begrüßt.
 

„Was machen Sie hier?“ keifte Ross, der kein Geheimnis daraus machte, dass er den Ladenbesitzer sowie dessen diverse etwas suspekte Handlungen nicht mochte, aber sie gerade so duldete. Er hoffte nur auf einen Fehler, eine kleine Überschreitung der nah an der Grenze der Legalität durchgeführten Aktionen von Black, um seiner habhaft zu werden.
 

„MacLane vor einer Dummheit bewahren. Ryo und Sara waren im Basra, als es hochging. Reicht Ihnen das, oder soll ich Ihnen... ich melde mich als Augenzeuge. Wollen Sie es gleich notieren, oder soll ich aufs Revier mitkommen,“ wurde Black ernst und sah den Commissioner herablassend an.
 

„DEE!“ ging ein schriller Schrei durch den Tumult und schon kam ein blauäugiges Wiesel durch die Menge auf den Krankenwagen zu.
 

„ADAMS!“ donnerte Ross und stellte sich J.J. in den Weg. „Sie sollen Augenzeugen suchen, Mr. Black hier, möchte seine Aussage gerne zu Protokoll geben, kümmern Sie sich darum.“
 

„Aber...“
 

„Sara und Ryo waren im Basra,“ erklärte Ross kalt, fast gefühllos und ließ niemanden einen Blick hinter seine aufgesetzte Maske werfen. Eiskalt war es ihm bei Black’s Worten durch die Adern gekrochen. Ryo tot? Das konnte doch nicht sein. Nicht so. Dachte Ross. Doch warum sollte er an Black’s Worten zweifeln?
 

„Sind sie der zuständige Cop hier. Wir rücken ab. Hier können wir nichts mehr machen. Die beiden Verletzten, bzw. die unter Schock stehenden, wollen hier bleiben und wir können sie nicht dazu zwingen. Wenn etwas sein sollte, bringen Sie sie zum Arzt,“ erklärte der Notarzt und verabschiedete sich.
 

Black bedankte sich und ging zu Dee. Half ihm, sich von der Liege zu erheben und den Krankenwagen zu verlassen. Dann führte er ihn zu seinem Hummer und setze ihn in den Fond. Immer noch ohne sichtliche Reaktion ließ dieser alles mit sich machen. Konnte den Blick noch immer nicht von dem einstmaligen Basra lösen. Sein Blick war auf den Eingang geheftet, der nicht mehr existierte, in der Annahme, Ryo und seine Tochter bald zu erblicken.
 

„Ich kümmere mich um ihn,“ erklärte Black und nickte Mick zu, der Steve nun ebenfalls in den Hummer setzte.
 

„Fahr zu den MacLane’s. Bleib bei ihnen und pass um Himmelswillen auf dich auf,“ murmelte Black und blickte Mick tief in die dunklen Augen. Dann überwand er sich und küsste ihn leidenschaftlich. Er stand zu seiner Liebe zu Mick, doch dies in der Öffentlichkeit, das lag Black schlicht nicht. Dennoch, diesmal würde die Trennung, wenn auch nur flüchtig und kurz, ihm schwer fallen. „Ich liebe dich,“ hauchte er unhörbar gegen Micks Lippen.
 

„Ich dich auch... Ich pass auf sie auf. Promise.“
 

Das Zuschlagen der Tür holte Dee aus seiner tiefen Trace. Er stieß die Tür wieder auf, stieg eilig aus und stellte sich mitten auf die Straße. Blickte hinein in das immer noch kontrolllose Feuer und schrie in den abendlichen Himmel:
 

„ICH FINDE DICH...“
 

Dann brach er ohne ein weiteres Wort zusammen.
 

Das Gesicht hinter der heil gebliebenen Fensterscheibe in einem Apartmentgebäude auf der anderen Straßenseite verzog sich zu einem Lächeln. Schmale Hände, denen man ansah, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nicht hart gearbeitet hatten, schlossen das Fenster wieder. Der Mann hatte genug gesehen. Sich am Leid des völlig am Boden liegenden dunkelhaarigen Cop ergötzt. Die Bombe war ein voller Erfolg gewesen. Nicht nur für ihn, wie er wusste, und er würde sich schon bald revanchieren.
 

„Bald... bald ist es soweit... dann gehörst du mir... mir allein,“ verhallte die ruhige, samtige Stimme ungehört, da sich alle auf Dee MacLane konzentrierten.
 

~~~~ Medical Center - Notaufnahme ~~~~~
 

Nach Dee’s Zusammenbruch hatte Mick ihn und auch Steve ins Krankenhaus gefahren. Er war die ganze Nacht an ihrer Seite. Mal bei dem Cop, mal bei seinem langjährigen Freund.
 

Er konnte nicht nachfühlen, was sie durchmachten. Welchem Schmerz sie sich stellen mussten. Er hatte noch niemals in seinem Leben etwas verloren, was ihm wichtig gewesen war. Sein Leben war natürlich nicht so reibungslos verlaufen, er war beim Militär, eher bei der Navi gewesen. Es waren vier lange Jahre der Abhärtung gewesen, aber ohne diese wäre er jetzt nicht der, der er war. Keine Minute bereute er seinen Entschluss, damals von zu Hause wegzugehen, sich seinen eigenen Weg zu bahnen.
 

Er war ein guter Soldat geworden. Er hatte Auszeichnungen bekommen, auf die er nicht immer stolz war, aber so war das Leben. Mick hatte sich nicht nur als Taucher einen Namen gemacht, er war Spezialist fürs Entschärfen von Wasserminen, konnte, wenn es erforderlich war, sogar welche zusammenbauen. Das einzige, was ihn bei der Navi frustriert hatte, war, dass es Liebe untereinander nicht geben durfte. Na ja, waren Regeln nicht dazu da, um umgangen zu werden. Doch nicht für Lt. Mick Prescott. Er war immer stur den Vorschriften gefolgt, hatte aber nie einen seiner Kameraden verraten und somit war er immer einer, der gern gesehen wurde. Doch diese Zeit lag auch schon ewig zurück. Er machte noch immer täglich sein Training, schließlich wollte er auch in seinem Alter noch fit sein.
 

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich der Vorhang zur Seite schob und Doktor Morgen sich zur Kurzvisite ankündigte.
 

„Wie geht’s den beiden?“ fragte er und blätterte in seiner Unterlage.
 

„Steve schläft, doch Dee starrt schon eine Weile nur an die Decke. Ich weiß nicht...“

„Reden wir draußen...“
 

Das Schrillen von Dee’s Handy ließ Mick verharren. Er ging zu der Jacke und zückte das Handy, warf einen Blick aufs Display und murmelte ein „Das gibt es nicht.“ Dann nahm er das Gespräch an und lauschte sprachlos. Bevor er etwas sagen konnte, war das Gespräch bereits beendet. Mick schloss die Augen, lächelte und steckte das Handy zurück.
 

« Was mach ich jetzt, am besten frag ich erst Black, der wird wissen, was am besten ist. »
 

Er ging zu Dee blickte ihn aus seinen dunklen Augen an.
 

„Komm schon, Dee. Arbeit wartet, du hast noch was zu erledigen,“ sagte er etwas rau und folgte dann dem Arzt. Doch als er den Vorhang hinter sich schloss, sah er den Arzt bereits mit dem Commissioner reden.
 

Doktor Morgan verließ das Behandlungszimmer in der Notaufnahme des Medical Centers, als ihm ein blonder Riese entgegeneilte und ihn aufhielt.
 

„MacLane! Wie geht es ihm?“
 

„Sie sind?“ fragte der Arzt, bevor er eine Auskunft erteilte.
 

„Barclay Ross. Sein Chef. Commissioner Ross, 27. Revier,“ erklärte Ross und blieb dem Arzt im Weg stehen.
 

„Er steht unter einem schweren seelischen Schock. Wohl kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass er mit ansehen musste, wie sein Mann und seine Tochter vor seinen Augen in Flammen aufgingen. Seine körperlichen Wunden sind eigentlich nicht der Rede wert. Die Wunde am Kopf haben wir genäht und die Wunde am Hals war nicht so schlimm, wie man befürchten musste. Es steht nichts im Wege, ihn seinen Dienst wieder aufnehmen zu lassen. Jedoch rate ich eher dazu, Mr. MacLane für mindestens eine Woche vom Dienst zu beurlauben, damit er das Trauma anfänglich verarbeiten kann.“
 

„Und Mr. Cotton? Wie geht’s ihm? Bevor Sie fragen. Nein. Ich bin nicht verwandt mit ihm. Polizeiliches Interesse,“ erklärte Ross einfach und hoffte auf eine Antwort.
 

„So weit wir es hier feststellen konnten, hat er einen schweren seelischen Schock. Auf Anraten seines Chefs werden wir ihn unter Beobachtung hier behalten. Mr. Black sprach auch bezüglich MacLane mit mir über einen Aufenthalt in der Klinik. Ich würde beides befürworten, doch wenn die Herren wüschen zu gehen, werden wir sie nicht daran hindern. Wenn Sie sonst keine weiteren Fragen haben, Commissioner, meine Patienten warten.“ Doktor Morgan sah Mick am Vorhang stehen, nickte ihm flüchtig zu und gab ihm dadurch zu verstehen, dass er gleich bei ihm sein würde.
 

„Wie steht es mit Peter Mitchell? Sie sind doch sein behandelnder Arzt. Sie wissen, der Besitzer vom Club Chamer. Das erste Opfer!“
 

Morgan zögerte ein wenig, um sich die nächsten Worte genau zu überlegen oder eher sich die Akte der Person gedanklich vorzustellen.
 

„Mr. Mitchell? Seine Wunden heilen. Aber seine Werte sehen schlecht aus. Ich befürchte, dass wir ihn nicht halten können. Wenn er erfährt, dass sein Mann bei dem Anschlag umgekommen ist, wird ihn der Lebenswille verlassen. Entschuldigen Sie mich, Commissioner.“ Morgan schob sich an dem Cop vorbei und ging, sich der Blicke des Commissioner’s bewusst, zu Mick.
 

„Ich muss gehen. Es hat sich was ergeben, das ich erst klären muss. Wenn MacLane aufstehen sollte, rufen Sie bitte diese Nummer an. Danke für alles.“ Mick drückte dem Arzt die Hand, warf einen kurzen geringschätzenden Blick auf Ross und verließ mit eiligen Schritten die Klinik.
 

Einige Stunden später...
 

Ross blieb einen Moment nachdenklich stehen und seufzte leise tief durch. Auch ihm ging der Tod von Ryo und Sara sehr nah. Nicht nur, weil er lange Zeit in den blonden Halbjapaner vernarrt gewesen war, nein, weil er ihn in den letzten Jahren zu respektieren gelernt hatte. „Damn!“ knurrte er und ging zu dem Abteil, wo sich einer seiner unter Schock stehenden Männer ausruhen sollte.
 

„MacLane!? Was hast du vor?“ Fragend griff er nach Dee’s Schulter, der sich auf wackligen Beinen gerade aus seiner Kabine bewegen wollte.
 

„Ich werde den Kerl zur Strecke bringen...“
 

„Du wirst gar nichts. Du bleibst hier!“ fauchte Ross und riss seinen Detektiv an der Schulter zu sich herum.
 

„Du bist noch nicht mal in der Lage aufrecht zu stehen, wie willst du den Bomber in diesem Zustand verfolgen? Dee, sei vernünftig. Bleib wenigstens über Nacht hier.“

Dee schüttelte seinen Kopf und blickte Ross mit krampfhaft bemühter Ruhe entgegen.

„Dann geh heim. Ruh dich aus. Und wenn du dich stark genug fühlst, komm morgen ins Revier. Aber heute ist Schluss für dich,“ befahl Ross ruhig, fast sanft.
 

Er verstand ihn so gut, aber heute noch weiterzumachen, würde Dee einfach den Rest geben und er brauchte noch sehr viel Kraft, wenn er an diesem Fall dranbleiben wollte. Ausreden hielt Ross in diesem Moment für falsch, wenn nicht sogar für gefährlich. So hatte er ihn wenigstens ein wenig unter Kontrolle.
 

„Er hat mir... gesagt... dass sie... nichts gefunden hätten. Nichts?!“ Tränen brannten hinter Dee’s Augen, doch sie wollten nicht erneut die erlösende Erleichterung schenken.

Bevor Ross jedoch in der Lage war, auf diese verzweifelte Frage zu antworten, erklang eine Stimme hinter ihm, die so viel Autorität ausstrahlte, dass Dee sich dieser wohl kaum widersetzen würde.
 

„Ich kümmere mich um Dee,“ war alles, was Black äußerte und Dee sanft aber bestimmt zurück hinter den Vorhang führte, wo er ihn aufs Bett schubste. „Du bleibst hier, und kein Wort mehr.“
 

„Black? Was ist...“
 

„Später, Dee. Der Arzt kommt gleich und schickt dich für heute schlafen. Morgen reden wir und machen uns auf die Jagd.“ Black nickte ihm leicht zu, und kaum hatte er Dee in die Wagerechte gedrückt, kam auch schon Doktor Morgan und gab Dee eine Spritze.

Black hielt Dee’s Hand in seiner, bis er merkte, dass dieser endlich ruhig schlief. Er erhob sich und trat hinaus. Weit kam er jedoch nicht, denn Ross stellte sich ihm in den Weg.
 

„Was haben Sie mit dem allem zu tun, Black?“ erklang es genauso autoritär wie eben Black’s Stimme.
 

Black hingegen schnaubte leicht abfällig über diese Tonart, doch aus Höflichkeit nahm er sich die Zeit, die Frage des Commissioner zu beantworten.
 

„Ich könnte Ihnen sagen, lesen Sie meine Aussage. Aber ich bin ein freundlicher Mensch. Ich habe gesehen, wie diese Feuerwand einen Freund mitsamt seiner Tochter aufgefressen hat. Wie einer meiner Angestellten seinen Freund in dieser Hölle verloren hat. Was meinen Sie, Commissioner, gibt mir das das Recht, mich mit diesem Irren zu beschäftigen? Wenn Sie Angst haben, dass ich Ihnen mit meinen Methoden in die Quere komme, versuchen Sie ruhig, mich aufzuhalten. Jedoch bin ich am zweifeln, ob Sie in der Lage sind, Dee’s Schmerz und seine Wut zu bändigen und ihn so zu führen, dass er nicht an seinem Verlust zerbricht. Guten Tag, Barclay Ross.“
 

Black drehte sich nach seiner kleinen Ansprache einfach herum und ging den langen weißen Flur entlang, wo an der Ein- oder Ausgangstür der Notaufnahme Mick auf ihn wartete und ihm das Handy reichte.
 

Barclay blickte dem Ladenbesitzer angesäuert hinterher, wusste aber, dass er nichts gegen ihn in der Hand hatte, um ihn an seiner Vorgehensweise zu hindern. Ein letzter Blick in Dee’s Kabine und auch er verließ das Krankenhaus.
 

„Und du bist dir sicher, du hast dich nicht verhört oder verlesen?“ fragte Black Mick nicht zum ersten Mal seit Stunden.
 

„Ich bin doch nicht blöd, Black. Nein. Ich habe mit ihm gesprochen.“
 

„Auf alle Fälle müssen wir ihn finden. Ich habe Dee bis morgen früh ruhig gestellt. Fahr zu der Adresse und dann sehen wir weiter.“ Black händigte Mick einen Zettel aus und dieser nahm ihn entgegen. Schwang sich in seinen kleine silberfarbene Corvette und brauste durch das morgendliche New York.
 

„Ich hoffe, dass du recht hast, Mick. Ich hoffe es.“
 


 

******* TBC

Freitag - 08.Juni

~~~~ Irgendwo in China Town ~~~~
 

Das erste, was ihm in die Augen sprang, als er die Zeitung neben sein Frühstück legte, war die riesige Schlagzeile. Er hatte sich bereits darüber gewundert, in den letzten Ausgaben nichts von seiner neuen Bombe gelesen zu haben. Anscheinend hatte die Polizei ein Verbot verhängt, doch als er sich den kurzen Text unter dem Bild von dem brennenden Gebäude näher anschaute, glaubte er, nicht richtig zu lesen. Er rieb sich über seine dunklen Augen und las erneut.
 

‚BOMBER SCHLÄGT WIEDER ZU

Das angesehene und bis dato nicht als Gay-Laden bekannte ‚Basra‘ war das Ziel.

Wie die Polizei mitteilte, waren unter den Opfern einer ihrer Leute mit seiner fünfjährigen Tochter.

Das wirft die Frage auf: Ist dieser Bombenleger nicht nur hinter Schwulen her?

Lesen sie Seite 2’
 

Ein Rascheln begleitete das Umblättern und kaum las er weitere Details über den Brand, verwunderte es ihn zwar ein wenig, dass die Polizei so viele Daten preisgab, aber sie waren wohl genauso verzweifelt wie der zurückgelassenen MacLane. Er gratulierte sich förmlich für seinen Coup. Ein schrilles Kichern begleitete seine Augen, als diese über den Artikel huschten.

„Hab ich dich... Das wird ihn freuen... und dann zusammen mit der Tochter. Der Besitzer war zwar egal, aber je mehr ich erwische, desto weniger Schwule wird es geben, die ich bestrafe... ich bin genial...“
 

~~~~ Zur gleichen Zeit im 27. Revier ~~~~
 

„Wer von euch hirnamputierten Idioten hat diese Details an die Presse gegeben. Glaubt ihr wirklich, dass es Dee gut tut, wenn er dies hier liest? Also wer war es?“ schrie Ross seinen Ärger in den Raum und schaute jeden Einzelnen direkt an.
 

Keiner wagte ihm auszuweichen, aus Angst, als derjenige enttarnt zu werden, der diese brisanten Details über Ryo’s und Sara’s Ableben an die Presse verkauft hatte.

Wütend warf er die Zeitung auf den Tresen.
 

„Wenn ich den erwische, der das hier verbockt hat, dem gnade Gott, denn ich werde ihn eigenhändig häuten und vierteilen.“
 

Damit stürmte er in sein Büro und knallte die Tür laut hinter sich ins Schloss, dass man Angst haben konnte, dass die Scheibe herausflog.
 

„Verdammt!“ hörte man ein Murren im Büro durcheinander sausen. Jeder blickte jeden an, doch alle zuckten nur ratlos mit den Schultern.
 

~~~~ Zur gleichen Zeit bei Black’s ~~~~
 

„Ich hörte, wie du vor dem Basra was gemurmelt hast... Klang so wie ‚Das war kein Napalm’,“ fragte Black neugierig und stellte seine Kaffeetasse ab.
 

„Napalm ist heiß, aber so eine Wirkung hat es nicht. Ich habe von einem neuen Zeug gehört, das aber noch in der Erprobungsphase ist.“
 

„Deine Kontakte?“
 

Mick grinste geheimnisvoll. Obwohl er seinem Boss unterstellt war, hatte er seine Freiheit, und dazu gehörten auch seine eigenen Informanten.
 

„Was weißt du darüber?“ ließ Black jedoch nicht locker.
 

„Es ähnelt Napalm, hat aber im Inneren einen Kern, der zigtausend Grad heißer ist. Doch da die Masse noch recht instabil ist, ist es gefährlich, damit zu spielen. Aber davon mal abgesehen, reicht ein Gramm, um das Basra dem Boden gleich zu machen.“
 

Was ja auch getan war. Viel war von dem Geschäft von Tony nicht mehr übrig, außer Trümmer.
 

„Ein Bombenleger mit Connection zum Militär?“
 

„Davon gehe ich aus..“
 

Mick schlenderte von seiner Seite des Tisches rüber zu seinem Boss und Lover, reichte ihm dann die Morgenausgabe der ‚Tribune’.
 

„Meinst du, das war eine gute Idee?“ fragte Mick und legte die Zeitung vor Black auf den Tisch. Beugte sich kurz hinab und hauchte ihm einen Kuss gegen die Stirn. „Wenn du meine Meinung hören willst, ich halte es für einen Fehler.“
 

„Dich hat keiner gefragt, Mick! Ich musste etwas tun, nach dem, was du jetzt bestätigt hast,“ knurrte Black.

Ließ die Zeitung Zeitung sein und drehte sich zu seinem Geliebten herum, zog ihn auf seinen Schoß und küsste ihn heiß und leidenschaftlich.
 

„Wenn ich nur daran denke, dass ich dich so verlieren könnte... Ich spiele zwar gerne den großen harten Kerl. Aber du kennst mich. Im Geschäft und privat bin ich unterschiedlich wie Tag und Nacht.“
 

„Ja!“ lächelte Mick und schnurrte sacht, als er die Hände seines Chefs unter seinem Hemd spürte. „Heiß und glühend in der Nacht und kalt und eisig am Tage.“
 

„Dann sollte ich jetzt wohl langsam von kalt und eisig auf heiß und glühend schalten,“ säuselte er und vergrub seinen Kopf an Mick’s Halsbeuge. „Wir haben noch sehr viel zu tun. Ich muss mich mit ihm treffen. Allein. Du hältst hier so lange die Stellung und kümmerst dich um Steve.“ Enttäuscht seufzte Black auf und zog seine Hand zurück.
 

„Nachher... versprochen!“ lächelte er.
 

„Pass auf dich auf, Schatz! Wir sollten es Dee sagen,“ grinste Mick zurück und küsste ihn zum Abschied tief und fordernd.
 

„Später..., wenn er aufwacht.“
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Müde und noch immer völlig fertig öffnete Dee am Morgen die Augen und mit einem Schlag kam die Erinnerung an gestern, oder war es schon der Tag zuvor, zurück. Wie unter heftigen Schmerzen krümmte er sich auf dem Krankenbett zusammen und fing an zu zittern. Kein Laut hört man von dem stummen verzweifelten Cop, keine Träne floss aus den traurigen Augen, die leer wie Feuer brannten. Man sah förmlich, wie ein Ruck durch den gesamten Körper schoss, sich dieser entspannte und Dee sich langsam aber beständig aufrichtete. Ohne noch länger zu zögern streifte er sich die Schuhe an, nahm die Jacke vom Haken an der Wand, wo sie wohl jemand aufgehängt hatte, warf sie sich über, und verließ die Kabine und rannte in Doktor Morgan, der gerade zu ihm wollte.
 

„Mr. MacLane? Wo wollen Sie hin?“
 

„Ich habe einen verrückten Bombenleger zu jagen, und Sie werden mich nicht aufhalten, Doc,“ knurrte Dee und beugt sich etwas zu dem kleineren Arzt hinab, um seiner Drohung mehr Gewicht zu geben.
 

„Ich werde Sie nicht hindern, Ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Warum sollte ich auch. Immerhin bin ich Arzt und eigentlich dazu hier, um Leben zu erhalten und nicht dabei zuzusehen, wie Sie es sinnlos hinfort wer...“
 

„Sinnlos? Sie haben doch keine Ahnung... Meine Wut ist das einzigste, was mich aufrecht hält, Doc. Ich weiß, der Splitter an meinem Hals hat meine Aorta nur knapp verfehlt. Aber ich kann nicht länger untätig herumliegen. Da draußen rennt der Mörder meines Mannes und meiner kleinen unschuldigen Tochter herum. Ich muss... ich kann nicht anders...“
 

Aus der emotionsgeladenen Stimme von Dee konnte man die Trauer deutlich hervorhören und auch seine Ernsthaftigkeit, die es jedem verbot, sich ihm in den Weg zu stellen.
 

„Passen Sie nur auf sich auf, ich habe Sie nicht umsonst zusammengeflickt!“ lächelte der Arzt ihn aufmunternd an und reichte ihm einige Tabletten. „Sie sollten sich hin und wieder ein wenig Ruhe gönnen. Diese werden Ihnen dabei helfen zu schlafen.“
 

Dee steckte das Pillenröllchen ein, nickte dem Arzt dankend zu und ging mit energischen Schritten zum Ausgang, wo ihn das nächste Hindernis schon erwartete.
 

„Ich hab von dem Unglück gehört, Dee. Es tut mir so leid!“ hörte der jüngere MacLane die leise grelle Stimme von Sam Yester, als er die Notaufnahme gerade verlassen hatte.
 

„Ach. Und woher?“ knurrte er und drehte sich langsam zu dem Go-Go-Tänzer herum.
 

„Es steht doch in der Zeitung. Sogar sein Name wurde erwähnt. Ich wusste ja gar nicht, dass deine Tochter schon fünf Jahre alt war... Sie sah dir mit Sicherh...“
 

Weiter kam Sam nicht, denn Dee holte ohne ein Anzeichen einfach aus und knallte Sam die geballte Faust gegen das Kinn.
 

„Halt’s Maul...“ fauchte er und krallte sich den Mittzwanzigjährigen am Schlafittchen, zog ihn nah zu sich. „Du hast doch keine Ahnung, was ich fühle... wie es mir geht... kümmere dich um deinen eigenen Kram und lass mich endlich in Ruhe... Wenn du denkst, dass du jetzt bei mir freie Fahrt hast, hast du dich geschnitten... Merk dir das, Yester.“
 

Dee stieß ihn zurück gegen die Wand und drehte sich um, um sich nach einer Fahrmöglichkeit umzublicken. Sein Wagen war wohl noch vorm Basra, das, wenn sein Gedächtnis noch richtig arbeitete, am anderen Ende von Manhattan lag. Er wühlte im Gehen in seiner Jacke, um sein Handy zu zücken, als ein Wagen neben ihm bremste.
 

„So war das nicht gemeint, Dee... wirklich nicht...“ schluchzte Sam und rutschte an der Wand hinab. Sah ihm mit tränenden Augen hinterher.
 

„Steig ein, Dee!!“ hörte Dee die Aufforderung durch ein heruntergelassenes Wagenfenster.
 

„Black?“ hörte man MacLane’s überraschte Äußerung, als er den Hummer neben sich erkannte.
 

„Wir müssen reden.“
 

Ohne noch länger zu zögern stieg er ein, und Black brauste mit ihm davon.
 

„Zum Basra...“ forderte Dee mit leiser, aber dennoch harter Stimme, um seine Emotionen dahinter zu verbergen.
 

„Dee, ich muss dir...“ Black unterbrach sich, konnte unmöglich so einfach mit einer Tatsache herausplatzen. Das würde garantiert dafür sorgen, dass Dee völligst schlapp machte.
 

„Ich höre?“
 

„Ich habe, im Gegensatz zu dir, wohl schon die Polizeiakten gesehen. Ich weiß, was sie gefunden haben, wo und wie die Bombe gezündet wurde. Willst du Details? Bist du dazu stark genug. Oder willst du heim, um zu trauern?“

Black’s Stimme war bar jeden Gefühls, als er kurz den Kopf zu Dee drehte und ihn neugierig anschaute. „Tut mir leid.“
 

„Da-anke!“ Schon dieses Wort brachte Dee an den Rand seiner Selbstbeherrschung.

„I-ich hab keine Zeit zu verschwenden. Ich will den Kerl in die Finger kriegen. Also, Black. Was weißt du?!“ forderte Dee nach einer kurzen Pause, in der er sich wieder gesammelt hatte.
 

„Zuerst meine Fragen, Dee. Du weißt, ich mache nie etwas ohne Gegenleistung. Also, woran erinnerst du dich?“
 

„Sara... sie war wohl mit Tony oben, sie winkte und war... war so... Warum willst du das wissen?“
 

„Komm schon, Dee. Du willst Antworten, die will ich auch. Also Sara war mit Tony oben... und?“ forderte Black ihn auf, weiter zu reden.
 

„Damn! Sie schien sich darauf zu freuen, dass wir sie abholen... sie schloss das Fenster... Ryo muss da schon im Laden gewesen sein... ich lehnte mich ans Wagendach und schaute zum Eingang... meine Gedanken schweiften... sie schweiften... für einige Minuten wohl... Dann hör... nein zuerst spürte ich die Splitter und die Druckwelle, dann erst hörte ich den Knall...“
 

Dee lehnte sich zurück, schloss die Augen und legte sich seine Hände vors Gesicht.

Black wartete, bis er sich wieder gesammelt hatte, legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
 

„Wir werden ihn schnappen... keine Sorge. Er hat sich definitiv die falschen Gegner ausgesucht.“
 

„Es ist... es ist... als ob alles in mir erstarrt ist... ich sehe ihn noch immer lächelnd und winkend von mir gehen. Ich höre seine Worte... dass er gleich zurück ist... Wieso, Black? Wieso er...? Ich versteh das nicht...?“ Leise erklang die belegte Stimme von Dee, der mit leerem Blick durch die Autoscheibe sah, doch nichts von seiner Umgebung aufnahm.
 

Mehrere Minuten brauchte Dee, um sich wieder zu fassen und auf den eigentlichen Grund zurückzukommen, warum er überhaupt mit Black durch die Gegend fuhr.

„Also Black,“ schniefte Dee nochmals und schaute seinen langjährigen Freund an. „Sag mir, was du weißt.“
 

„Okay. Aber es wird dir nicht gefallen. Dee?“
 

„Schon okay... ich muss es wissen. Entweder von dir oder nachher auf dem Revier. Mick hat bereist angedeutet, dass sie nichts gefunden haben. Also was meinte er mit ‚nichts‘?“

Black lenkte den Hummer nach links und kurz darauf in eine Parkbucht.
 

„‘Nichts‘ heißt, dass sie keine... Spuren gefunden haben. Es war eine Brandbombe mit extrem heißem Kern. Napalm sehr ähnlich. Diejenigen, die sich in direktem Umfeld davon aufgehalten haben, sind einfach in Sekundenschnelle verbrannt. Vollständig. Dee?“
 

Der schwarzhaarige Cop hörte die Worte, nahm sie auf und blickte wieder wie in Trance nach draußen.
 

„S-ei-nen Ring... Er trug ihn immer... den werden sie wohl gefunden haben!“
 

„Nein... jedenfalls noch nicht. Sie... Dee. Sie durchsuchen die Asche nach menschlichen Rück... DEE!“ rief Black überrascht, als Dee die Tür aufstieß und hinausstürmte.
 

Weit kam er jedoch nicht, denn Black holte ihn ein und ging langsam neben ihm her.
 

„Es tut mir leid... du wolltest es hören. Mick sagt es gerade Steve.“
 

„Tony? Max? Damn.“ Dee lehnte sich gegen die Mauer eines Apartmentgebäudes und ließ sich daran hinabrutschen. „Deswegen bist du also mit dabei?“
 

„Hauptsächlich wegen euch,“ erklärte Black, blieb jedoch in einigem Abstand stehen.
 

„Keine Angst um deinen Laden?“
 

„Er wird noch stärker bewacht als normal schon. Mein Sicherheitssystem wird nichts durchgehen lassen. Meldet Alarm, wenn ein Objekt länger als eine Minute unbeaufsichtigt herumsteht. Also da mach ich mir keine Sorgen. Komm schon, Dee. Steh auf. Wir haben zu tun.“
 

„Wie lange... wie lange habe ich geschlafen?“ fragte er heiser.
 

„Zwei Tage. Du brauchtest Ruhe. Du brauchst Kraft für die nächsten Tage.“
 

Black drehte sich um und ging langsam zurück zu seinem Hummer. Er hoffte, dass Dee ihm folgen würde, denn allein käme er nicht weiter und das wusste der Cop.
 

« Verdammt, warum weihe ich ihn nicht einfach ein... aber wenn er beobachtet wird? Nein, es muss so bleiben, er darf es nicht wissen... Das gibt Ärger... mächtigen Ärger... ich spür schon, wie meine Knochen heftige Bekanntschaft mit seiner Faust machen...»

dachte sich Black, als er auf die leisen Schritte hinter sich lauschte.
 

« Zwei Tage... Ryo... Sara! »

schrie er in seinen Eingeweiden und erneut fingen seine Augen an zu brennen. Doch er hatte keine Zeit zum Trauern, noch nicht, erst musste er seine Aufgabe erfüllen.

« Bald bin ich bei euch... wartet auf mich...»
 

~~~~ Irgendwo in Manhattan ~~~~
 

Ein gebeugt gehender Mann in einem knielangen schwarzen Mantel mit einem Schlapphut opferte erneut einen Quarter und zog sich die aktuelle Tageszeitung aus den diversen Ständern, die hier herumstanden. Ein breites Grinsen zeigte sich auf seinen schmalen, leicht geschminkten Lippen.
 

„Armes Kerlchen,“ flötete er dabei rau vor sich hin, „hat’s dich endlich erwischt... Lange genug hat es ja gedauert.“
 

Er warf noch auf der Straße einen genauen Blick auf den genaueren Inhalt, bis er fast einen Freudensprung machte, als er die genauen Angaben las. „Volltreffer...!“

Er faltete die Zeitung flüchtig zusammen, steckte sie sich unter den Arm und öffnete seine Apartmenttür.
 

„Bald seid ihr fällig, alle miteinander...“ nuschelte er in seinen nicht vorhandenen Bart und griff nach einem Bild, das auf dem Küchentisch herumlag. „So fängt es endlich an.“
 

~~~~ Vor dem Basra ~~~~
 

Dee fühlte, wie sich sein Magen in seinem Inneren umdrehte, je näher sie sich dem Basra näherten. Er brauchte noch nicht mal mehr die Augen zu schließen, um Ryo’s Lächeln, seine Kusshand zu sehen. Der letzte Blick auf ihn hatte sich in ihm eingebrannt und es schmerzte ihn, erneut diesen Ort aufzusuchen. Aber blieb ihm denn eine Wahl? Musste er sich nicht dem stellen? Wollte er nicht auch Frieden finden? Und sein Ende begann halt hier. Er schloss erschöpft die Augen, sammelte seine Reserven, die er so dringend brauchte, und verharrte erstarrt, als der Hummer anhielt.
 

„Wir sind da!“ sagte die sanfte, tiefe Stimme unnötigerweise neben ihm.
 

Er presste die Lippen fest aufeinander und öffnete die Augen und sah, was er erwartet hatte. Ryo’s strahlendes Lächeln, kurz bevor er in dem Laden verschwand und sich vor seinen Augen auflöste. Erneut brannten seine Augen, er zückte die Brille, die Black ihm netterweise überlassen hatte, und setzte sie auf. So hatte er wenigstens ein wenig Schutz. Er atmete tief durch und öffnete dann energisch die Tür. Stand mit leicht zitternden Knien auf dem Bürgersteig. Unweit der Stelle, wo er vor zwei Tagen zusammengebrochen war. Der Schmerz, der ihn überrollte, war tausendfach schlimmer, als er es sich ausgemalt hatte. Stützend lehnte er sich kurz gegen den Hummer. Wie aus der Ferne hörte er Black’s Worte. Doch erst ein Griff an seine Schulter holte ihn aus seiner Starre hervor.
 

„Du solltest nicht...“
 

„Ich muss... Wenn ich ihn schnappen will, muss ich. Bleib einfach in meiner Nähe, Black,“ sagte Dee und rückte die Brille zurecht. Sammelte dann nochmals seine restlichen Reserven, denn viele gab es davon nicht mehr, stieß sich vom Hummer ab und ging aufs Basra zu.
 

Mit geradem, durchgedrücktem Rücken, die Schultern starr aufgerichtet, betrat er mit festem Schritt die Überreste des Basra. Die Spurensicherung war noch immer vor Ort und durchsuchte die Aschenreste. Ihm wurde schon wieder flau, wenn er nur daran dachte, dass er hier irgendwo die Asche von seinem...
 

„Dee?!“ hörte er Cambels Stimme und blickte daraufhin in diese Richtung.
 

„Jim! Gibt’s was neues?“ erklang seine feste Stimme, der man kaum ihr Zittern anmerkte über die Kühle des gelöschten Feuers.
 

„Tut mir leid!“ Traurigkeit schwang in Jims Stimme mit, als er sich Dee bis auf einen Meter näherte. „Wie geht’s dir?“
 

„Hast du was gefunden?“ überging Dee diese dämliche Frage und blickte sich in dem Lokal um, wo er und Ryo oft essen waren. Er hörte das fröhliche Lachen von Sara, wenn sie bei Max in der Küche war und dort Salat zupfen durfte, und erneut presste er seine Lippen zusammen.
 

„Du solltest nicht...“
 

„Ich fragte, ob du was gefunden hast?“ unterbrach er Jims Hinweis mit ernster, harter Stimme, die mehr Autorität ausstrahlte, als er sie im Moment hatte.
 

Jim sah ihn wissend an und schüttelte dann den Kopf. Konnte er ihm denn die Wahrheit sagen, wäre er dafür überhaupt der Richtige. Aber einer musste es ihm sagen. Er hatte den Fundort photographiert und dokumentiert, also was sollte es, wenn sein Fund von heute morgen irgendwo in den Kisten der Ablage verstauben würde. Er griff also mit einem Seufzer in die Tasche, sah Black aus dem Augenwinkel und bat diesen mit einer kleinen Kopfbewegung, sich zu ihnen zu gesellen.
 

Black, der Dee keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte, bemerkte sofort, dass irgendetwas im Busch war, als der Kerl von der Spurensicherung ihm zunickte. Er zögerte keine Sekunde und betrat das Trümmerfeld, stellte sich schräg hinter Dee auf.
 

„Ich hab es heute morgen gefunden...“
 

Jim zog das Tütchen aus der Tasche und übergab es Dee, der es mit leicht zitternden Händen entgegennahm. Er befürchtete fast, den Ring von Ryo zu erblicken, als er seinen Blick senkte, doch es war noch schlimmer.
 

„Sara!“ stöhnte er auf, kurz bevor seine Lippen sich erneut zusammenpressten und er die Tüte gegen sein Herz drückte und sich abwand.
 

Jim blickte Black an, gab Dee die Zeit, die er wohl benötigte, um sich das ganze Ausmaß vorstellen zu können. Sich deutlich zu machen, was hier passiert war und dass das, was er vor seinen Augen gesehen hatte, auch wirklich passiert war.
 

„Ich fand die Spange dort drüben, beim Küchenausgang. Vielleicht...“
 

„Sie hatte ihr Zimmer über der Küche, direkt neben Steve’s und Tony’s Zimmer,“ kam es rau von Dee. „Sonst noch was... seinen... seinen Ring...“
 

Jim schüttelte den Kopf und erst dann fiel ihm auf, dass Dee ja mit dem Rücken zu ihm stand, und so verneinte er.
 

„Die Bombe... gibt es... gibt es Spuren?“ Immer noch kämpfte Dee mit seinen Gefühlen. Aber jeder würde es wohl verstehen. Er wusste noch nicht mal, ob er überhaupt an diesem Fall dran bleiben konnte, aber er würde es auf alle Fälle und wenn Ross sich ihm in den Weg stellen sollte, würde er ihm gehörig seine Meinung sagen.
 

„Dee?! Du solltest wirklich...“
 

„Mr. Cambel!“ schaltete Black sich nun ein. „Seien Sie offen. Ich glaube doch, dass er ein Anrecht auf diese Frage und somit auch auf die Antworten hat.“
 

„Wir haben die Bombe nicht gefunden. Sie ist wohl zusammen mit allem, was hier drin war, verbrannt. Wir gehen anhand der Aussage der Feuerwehrmänner davon aus, dass es sich um eine Art Napalm gehandelt hat. Aufgrund der Hitze, wie sie sagten, und der Intensität des Glühens, glauben sie mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit, dies bestätigen zu können. Ferner sind sie sich auch sicher, dass Brandbeschleuniger benutzt worden ist, da sich das Feuer so rasch und so verheerend ausgebreitet hat. Sie hatten Mühe, dafür zu sorgen, dass die Nachbarhäuser nicht auch noch zum Opfer der Flammen wurden.“
 

Dee hatte aufmerksam den Worten gelauscht. Nun, da Jim geendet hatte, brachte er es fertig, sich ihm wieder zuzudrehen.
 

„Danke. Kann ich... das behalten?“
 

„Sicher.“
 

„Wenn es was neues gibt, sag mir Bescheid.“
 

Dee ging zurück zum Hummer und setzte sich auf den Beifahrersitz. Die Haarspange in Silber mit goldenen Flügeln war zwar angekokelt, aber nicht ganz verbrannt. Wie kam es dann, dass sie Ryo’s Ring, ihren Hochzeitsring, nicht finden konnten. Diese Frage blieb weiterhin für Dee ein Rätsel. Er holte die Spange aus der Tüte, drückte sie sich an die Lippen und steckte sie dann in seine Brusttasche.

« Ihr fehlt mir so sehr...»
 

„Kann ich Sie kurz fragen... Mr. Black? Kommt er klar?“ hielt Jim den Modeladenbesitzer auf.
 

„Er wird müssen. Er wird den Fall beenden, was dann passiert... Sie können ihm helfen, Mr. Cambel. Stellen Sie sich ihm nicht in den Weg. Helfen Sie ihm bei all seinen Fragen. Auch dann, wenn man ihm vom Fall abziehen sollte. Seien Sie immer da, wenn er Fragen hat. Das würde ihm helfen.“

Black legte Jim zum Abschied die Hand auf die Schulter und ging zu seinem Hummer, wo er gerade sah, wie Dee Saras Haarspange verstaute.

Black stieg ein und startete den Wagen, fuhr auf die ruhige, abgesperrte Straße und wartete, dass Dee von sich aus was sagen würde.
 

„Wie... Steve. Tony ist doch auch...“
 

„Er ist auf dem Land. Er versucht dort Ruhe und Abstand zu finden,“ fiel Black ihm ins Wort. Gerne hätte er mehr dazu gesagt, aber er hatte nun mal sein Wort gegeben.
 

„Wohin?“
 

„Ins Revier und dann... ich weiß nicht... nach Hause?!“ murmelte Dee.
 

Black legte ihm beruhigend eine Hand auf den Schenkel und fühlte, wie Dee sich anspannte, wohl am liebsten aus den Wagen gesprungen wäre.
 

„Du kannst gerne bei mir einige Zeit bleiben. Mick ist im Moment nicht da.“
 

„Nein, danke. Aber ich muss... da alleine durch,“ stammelte er und schluckte seine Tränen erneut hinunter. Noch hatte er einfach keine Zeit, diesem Schmerz nachzugeben.
 

„Okay, dann zum Revier.“
 

„Nein. Morgen. Ich möchte... möchte nach Hause. Kannst du mich verstehen?“
 

Black nickte schweigend und nahm die Hand zurück. Fühlte den Schmerz der, in ihm brodelte, und hätte gerne einen Teil davon auf sich genommen.
 


 

****** TBC

Freitag - 08. Juni - Memories

~~~~ Apartment der MacLane‘s ~~~~
 

Nach einer kurzen Fahrt über die fast leeren Straßen, was eigentlich für diese Uhrzeit mehr als verwunderlich war, hielt Black vor dem Apartment-Komplex und hielt Dee an der Schulter auf, als dieser gerade aussteigen wollte.
 

„Du gibst mir dein Wort, dass du keine Dummheiten machst, Dee?“
 

Dee drehte sich leicht Black zu und schaute ihn traurig aber auch ernst an.

„Noch nicht, Black. Ich habe erst noch was zu erledigen.“
 

„Wenn was ist, meine Nummer hast du.“
 

Der dunkelhaarige Cop stieg aus, warf die Tür leise ins Schloss und ging mit festen Schritten auf das Gebäude zu. Seine Schritte wurden langsamer, als er sich ihrer gemeinsamen Wohnung näherte. Wie viele glückliche Stunden hatten sie hier verbracht. Er wühlte in seiner Tasche nach dem Schlüssel und öffnete die Tür.
 

Leere umfing ihn und brachte ihn ins Straucheln.
 

Wie aus Gewohnheit hängte er seine Jacke an den Haken, zog die Schuhe aus und legte den Schlüssel auf das Bord neben der Tür.

Er schaute sich in der Stille der Wohnung um.
 

„Ryo... Sara...“ Leise Worte verhallten im schummrigen Licht der Wohnung.
 

Sein Weg führte ihn in Saras Zimmer. Dort, wo Bikky ihm eine Zeitlang auf die Nerven gefallen war. Nun lebte er mit seiner Frau in Chicago. Ob er ihn verständigen musste? Später, noch konnte er einfach nicht. Tränen, die die ganze Zeit hinter seinen grünen Augen gebrannt hatten, bahnten sich still und schweigend ihren Weg über die blassen Wangen. Ungehindert rannen sie über das Kinn und tropften nach und nach auf sein blaues Hemd.
 

Er fiel vor dem Bett auf die Knie. Stützte seine Arme auf den Bettrand und legte seinen Kopf auf die verschlungenen Hände, die er wie im Gebet gefaltet hatte. Obwohl Dee bei einer Nonne im Glauben erzogen wurde, war er nie so von diesem ‚Gott‘ überzeugt wie Schwester Mary Rain. Aber nun fühlte er sich irgendwie dazu bewogen, seine Gedanken in einem Gebet zu verfassen.
 

Murmelnd unverständlich nur in seinen Gedanken suchend, erklangen stille Worte der Pein, der Schuldzuweisung und des Kummers, der tief in seinem Herzen pochte.

Lange kniete er dort, sprach und sprach. Griff nach Saras Lieblingsaffen und drückte ihn fest an sich. Warum sie ihn hier gelassen hatte, wieder eine Frage mehr, die er nie beantwort bekommen würde.
 

Zerschlagen erhob er sich, hielt sich am Türrahmen fest und lehnte sich für eine Weile dagegen, um erneut Kraft zu schöpfen für den Weg in ihr Schlafzimmer. Er stöhnte, keuchte und wimmerte, als er sich der Tür näherte.
 

Das Klingeln der Tür war fast eine Erleichterung, diesen Schritt noch ein wenig hinaus zu zögern. Er wischte sich über die Wangen und zwang die Tränen zurück. Atmete mehrere Male durch und ging dann zur Tür. Eigentlich wollte er niemanden sehen, geschweige denn mit jemandem sprechen. Aber irgendwie sagte ihm sein Gefühl, dass er durch Schweigen, oder nicht reagieren auf das permanente Klingen, bald eine defekte Tür vorzuweisen haben würde. Er nähere sich schniefend und putzte sich nochmals die Nase, als er auch schon die herrische Stimme seines Vorgesetzten hörte.
 

„Ja...“ rief er und blickte in den Spiegel neben der Tür. Scheiße, was sah er angeschlagen aus, aber das war wohl auch kein Wunder in seiner derzeitigen Lage. Er räusperte sich und öffnete dann die Tür. Stellte sich so, dass Ross ihn zwar sehen, aber nicht unaufgefordert das Apartment betreten konnte.
 

„Dee!“ erklang es erleichtert von Ross, als er ihn erblickte.

„Black hat mich informiert, dass er dich...“
 

„Was willst du?“ fuhr Dee ihm ungehindert ins Wort. Er war es leid, bemitleidet und bevormundet zu werden. Es war sein Schmerz, warum ließen sie ihn nicht einfach in Ruhe?
 

„Mit dir reden.“
 

„Worüber?“

Eisig, abweisend und völlig emotionslos hatte er sich wieder in der Gewalt und funkelte seinen Chef zornig an. Damit kannte er sich aus. Damit würde er die nächste Zeit durchkommen.
 

„Über den Fall. Ich müsste dich abziehen... Aber können wir das nicht drinnen...“
 

„Nein. Ich komme morgen aufs Revier. Und sollte dir einfallen, mich davon abzuziehen, werde ich dennoch weitermachen... aber das klären wir morgen. Wenn sonst nichts ist.“
 

Wütend schlug er die Tür vor der Nase des Commissioner’s zu. Doch dieser schien sich nicht so leicht abwimmeln zu lassen, denn erneut erklang die Klingel und dazu ein permanentes Klopfen, was Dee dazu veranlasste, die Tür erneut aufzureißen.
 

„Deine Dienstwaffe. Dee. Gib mir deine Waffe.“
 

Der Cop schnaubte und ein Grinsen zeigte sich auf seinen trockenen, spröden Lippen.
 

„Ich bring mich nicht um. Keine Angst. Ich habe noch was zu erledigen. Aber bitte...“
 

Dee griff in sein Schulterhalfter und überreichte Ross seine Dienstwaffe. Wenn er sich umbringen wollte, dann gäbe es noch andere Möglichkeiten.
 

„Lässt du mich jetzt in Ruhe?“
 

„Ted wird vor deinem Haus Wache halten. Wenn der Bomber es wirklich auf euch abgesehen hatte...“
 

„Morgen... Ross... morgen.“

Und erneut knallte er ihm die Tür vor der Nase zu und ging in die Küche, holte sich ein Bier und trank es in einem Zug leer.

Die zweite Dose nahm er mit und ließ sich auf die Couch sinken. Er kühlte seine Stirn mit dem kalten Getränk und sein Kopf sackte nach hinten auf die Couchlehne.
 

„Ryo... Was soll ich nur tun...?“ murmelte er vor sich hin.
 

« Wenn ich nicht mehr bin, dann kannst du meine Bücher lesen, eher nicht...»

hörte er auf einmal Ryo’s Stimme in seinem Kopf. Und so erhob er sich und ging ins Schlafzimmer. Öffnete ihren Schrank und zog eine Kiste hervor, nahm sie mit ins Wohnzimmer und stellte sie auf den Tisch vor sich.
 

Er atmete tief durch und öffnete diese dann. Diverse kleine Bücher kamen zum Vorschein. Er selbst besaß ebenfalls eine solche Kiste, aber diese war bei weitem nicht so gut gefüllt wie die von seinem Ehemann. Er nahm eines heraus und begann zu lesen:
 

Heute habe ich meine neue Stelle angetreten. Eigentlich ein tolles Revier, nur mein neuer Partner, er scheint etwas wild und dreist zu sein. Ich mag es nicht, wenn er mich so ohne mein Einverständnis anpackt. Und dann dieser Blick von ihm, er jagt mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Ich stelle mir echt die Frage, ob sie mich hier wirklich als Scharfschützen brauchen oder eher als Kontrolle für diesen durchgeknallten Typen.
 

Dee grinste leicht, eine Träne bahnte sich bei diesen Worten ihren Weg über seine Wange. Seit dem Tag der Explosion hatte er nicht mehr geweint. Er wollte sich seiner Trauer nicht stellen. Er konnte es nicht akzeptieren und würde so lange nicht an Ryo’s Tod glauben, bis sie ihm seinen Ehering gezeigt hatten. Da fiel ihm die Spange von seiner Tochter wieder ein und er zog sie aus seiner Brusttasche, legte sie behutsam auf den Tisch. Öffnete die Dose Bier und genehmigte sich einen langen Schluck. Er nahm das Buch, das Ryo’s Erinnerungen und Gedanken an ihre Zeit enthielt, und blätterte einige Seiten weiter.
 

Dee ist einfach unmöglich. Er stürzt sich wissentlich in Gefahr, obwohl er Bikky nicht leiden kann. Aber irgendwie mag ich ihn. Er ist hilfsbereit und hat ein gutes Herz, das er unter seiner rauen Schale gut verbirgt. Auf alle Fälle muss ich etwas unternehmen, um ihn vor dem Drogenboss zu retten. Oder gelten meine Gedanken nur dem kleinen Bikky? Nein, wenn ich ehrlich bin, mache ich mir Sorgen um Dee... Ich habe eine Terrorwarnung rausgegeben, somit wären im Fall einer plötzlichen Explosion gleich Feuerwehr und Polizei schneller vor Ort. Ich hoffe nur, dass es so klappt, wie ich es mir denke...

Es lief sogar besser, als ich es mir dachte. Dieser Irre dachte doch, dass die auf seinen Trick mit dem Kuli reinfallen. Na ja, Recht hatte er ja, dass wir im Zeitlimit lagen, aber dennoch, ein Spinner bleibt er. Wir sind dann auch gleich abgedampft. Bikky wollte bleiben, um Rache für seinen Vater zu nehmen. Er hat ebenfalls ein gutes Herz, er ist Dee ähnlich.
 

Er hat mich geküsst... dieser Spinner... Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte. Es war mein erster Kuss von einem Mann. Irgendwie merkwürdig, aber auch interessant. Ich bin verwirrt. Er sagt mir, dass er mich mag, und dann dieser Kuss, ob es nicht nur ein Spiel für ihn ist?...
 

Dee strich sich die Tränen von den Wangen, als er sich an diese Szene vor Jahren erinnerte. Ihr erster Kuss, am Abend, der Himmel brannte. Sie hatten sich unweit der brennenden Villa des Drogenbosses an einem Baum niedergelassen und Dee hatte ihn mit einem Trick zu sich gezogen und ihn geküsst. Oh, ja, er erinnerte sich gerne an diese Stelle. Es war ein ganz besonderer Tag. Das Datum hatte er damals vergessen, aber Ryo hatte fünf Jahre später eine Flasche Sekt an diesem Tag geköpft und ihm gesagt, dass sie sich heute vor fünf Jahren das erste Mal geküsst hatten. Der Blonde war schon immer für sein gutes Gedächtnis bekannt gewesen. Mühsam riss sich Dee aus seiner Erinnerung heraus. Griff wahllos nach einem anderen Buch.
 

Fast hätte es geklappt. Sein Gesicht war wirklich atemberaubend. So was bescheuertes auch noch zu glauben. Aber Bikky und Dee werden sich von Tag zu Tag ähnlicher. Eins weiß ich auf alle Fälle: beide lieben mich und beide wollen mich beschützen. Nur dass ich Dee, meinem lieben Dee da mehr vertraue als meinem kleinen Adoptivsohn Bikky. Ach, ich schweife ab, deswegen habe ich auch bald jede Menge Bücher. Ob Dee irgendwann auch seine anfängt... Ich schreibe ja schon seit Jahren. Jedes neue Erlebnis oder nur Gedankenfetzen, die ich um ihn habe... Ach... Schon wieder nicht das geschrieben, was ich wollte...

Also, Dee kam heute heim und Bikky hat ihn doch gleich damit empfangen, dass er fliegt. So ein Schlimmer, eigentlich wollte ich ihn damit überraschen, aber Dee’s Gesicht dabei, als er es erfahren hat, war wirklich einmalig. Und als er dann auch noch die Koffer gesehen hat, war es wohl vorbei mit seiner Ruhe. Fährt er mich doch an, was das soll und warum ich seine Sachen packe. Er wollte es wirklich von mir hören und so stimmte ich in Bikky’s Worte ein, dass er heute noch fliegt. Dass wir jedoch nach Japan fliegen würden, sagte ich ihm da noch nicht, das kam erst später...
 

Dee klappte das Buch zu und ließ seine Gedanken schweifen.
 

Er hatte so schöne wundervolle Erinnerungen an Japan. Tokyo, dem Vergnügungspark, dieses Viertel... wie war doch gleich der Name, egal, wo sie die Nächte zum Tag gemacht hatten. Und dann seine Idee mit dem Ausflug mit dem Motorrad. Ihre Nacht am Strand, übernachtet in einem Zelt... traumhaft. Und dann, ja, kam wohl das schönste. Dee schloss seine Augen und nun liefen die Tränen ungehindert und ungebremst über seine fahlen Wangen. Auf dem Schiff. Ryo hatte eine Passage gebucht.

Ihre letzte Urlaubswoche auf dem Schiff an den Küsten Tokyo’s entlang. Eines Abends, Feuerwerk knallte am Hafen auf, als das Schiff zur letzten Fahrt aufbrach als Ryo ihn bat, mit ihm an Deck zu kommen. Feuerwerk am Himmel, ließ diesen in allen Farben aufleuchten, als er sich an ihn schmiegte und ihm heiser ins Ohr flüsterte: „Willst du mich heiraten?“ Dee dachte damals, dass sein Herz stehen bleiben würde, aber dem war nicht so. Er schrie vor Freude auf und drehte sich mit Ryo im Arm tausendfach auf dem Deck im Kreis und besiegelte diesen Heiratsantrag mit einem Kuss... und danach ihre Nacht... Unvergesslich...
 

Morgen heiraten wir. Mir ist schon ganz schlecht. Aber eines weiß ich ganz genau: ich liebe ihn so sehr wie er mich. Alles ist perfekt. Trauzeugen waren nicht schwer zu finden, die haben sich ja förmlich drum gerissen. Dennoch haben wir uns für Ted und J.J. entschieden. Meine Tante Elena hat gestrahlt, als ich ihr damals erzählt habe, dass ich heirate. Mit ihr hatte ich auch ein langes Gespräch über meine Eltern. Sie ist davon überzeugt, dass sie dich gemocht hätten. Und dass glaube, nein das weiß ich, das hätten sie. Ich sehe zu unserem Schrank und bewundere unsere Sachen für morgen. Du hättest mich ja gerne in ein weißes langes Kleid gehüllt, aber dazu habe ich schlicht gesagt, nicht die Figur und du in so was, Schauder, nein, das würde deine Würde vernichten. Nein, ich weiß, dass uns diese Anzüge perfekt aussehen lassen werden. Ich liebe dich und ich freue mich auf unsere Hochzeitsnacht... Denn wer sagt denn, dass ich gerne passiv bin?...
 

„Stimmt... ja...“ grinste Dee unter Tränen, als er sich an diese einmalige einzigartige Nacht erinnerte, in der Ryo ihn ständig dazu animiert hatte, was neues auszuprobieren und dass er dann auch mal Uke war, war ihm so was von egal. Schon immer, wenn sie die Rollen getauscht hatten. Dee wusste, was Ryo mochte und umgekehrt. Sie harmonierten perfekt, egal wer das Sagen hatte.
 

Ich mache mir Sorgen. Er ist noch nicht zurück. Ich tigere hin und her. Ihm war so schlecht und endlich wollte er zu diesem Arzt und jetzt, jetzt ist es dunkel und er hätte seit Stunden zurück sein müssen. Mein Herz pocht wie wild, wenn ich daran denke, was alles für diese ständige Übelkeit bei ihm verantwortlich sein kann.

Endlich, es klingelt und du wirst von einem Cop gebracht, sturzbetrunken. Ich hätte dich am liebsten vor der Tür liegen lassen sollen, aber dein Blick lässt mich mal wieder weich werden. Wenn du je diese Worte lesen wirst, wird dir klar, wie leicht du mich schon immer um den Finger wickeln konntest. Schon von Anfang an, aber da wollte ich es mir nur nie eingestehen. Ich denke, während ich dich auf die Couch sinken lasse, an unsere erste Begegnung. Deine erste Berührung auf meinem Rücken und dein so nahes Gesicht. Schon damals wusste ich es. Dass du mir eines Tages das Herz stehlen würdest. Nur, ich habe lange darum gekämpft, und verloren. Zum Glück, muss ich wohl sagen. Gut, dass du so lange um mich gekämpft hast. Ich liebe dich so sehr...

Ich fass es nicht, was du mir da sagst. Schwanger... das kann nicht sein, doch der Arzt bestätigt es. Ich wandle wie auf Wolken. Würde dir so gerne jeden Wunsch erfüllen. Auf alle Fälle haben deine Übelkeitsattacken dank meinem gemahlenen Hirsch-Penis-Tee nachgelassen. Unser Kind, ich kann es nicht glauben, was du da für mich durchmachst. Meine Liebe zu dir wächst, obwohl sie bereits so groß ist, dass ich es eigentlich für unmöglich halte...

Ich hatte heute einen schrecklichen Traum. Gut nur, dass Steve und Tony mich geweckt haben. Ich war verzweifelt. Ich wusste, wenn ich dich verliere, dann sterbe auch ich. Ich würde niemals die Kraft aufbringen, ohne dich zu leben. Ohne mein Herz wäre es trüb und leer...
 

„Ich weiß, was du damals gefühlt hast. Ich fühle es jetzt und es zerreißt mich, so ohne dich zu sein, Ryo...“

Weinend und mit zitternder Hand legte er das Buch zurück. Für heute konnte er nichts mehr lesen. Er zog die Beine an, schlang seine Arme darum und bettete seinen Kopf auf die Knie.

„Ich werde dich rächen... dann finde ich den Weg zu dir... Es tut so weh...“ schluchzte der dunkelhaarige Cop auf und wünschte sich, dieser Tag, bis er seine Lieben wieder sehen würde, wäre schon bald.
 

~~~~ In Black’s Wohnung ~~~~
 

Müde und ausgelaugt warf Black seine Jacke auf das weiße Sofa und warf sich gleich hinterher. Selten hatte er sich so mitgenommen gefühlt. Eigentlich, wenn er zurückdachte, nur einmal, und das war, als er...
 

„Einen Drink?“ hauchte eine weiche samtige Stimme an sein Ohr und jemand hielt ihm einen Scotch vor dich Nase.
 

Wortlos nahm er das Glas, in dem drei Eiswürfel lebhaft herumwirbelten, und genehmigte sich einen Schluck, bevor er seinen Blick hob und beinahe in dem dunklen Augenpaar seines Partners versunken wäre, hätte dieser sich nicht abgewandt, um sich selbst ein Glas zu füllen.
 

„Hältst du es für richtig, ihn allein zu lassen?“
 

„Hätte ich bei ihm bleiben sollen? Er muss damit alleine fertig werden.“
 

„Du weißt...“
 

„Ja. Aber ich glaube, es ist besser so. Ich habe da so eine Idee und ich werde mich nachher noch darum kümmern... nein, eher morgen. Jetzt hatte ich eigentlich an was anderes gedacht,“ grinste er lasziv zu Max empor, der sich auf die Sofalehne niedergelassen hatte.
 

„Das ist nicht dein Ernst, Schatz. Dee heult sich die Seele aus dem Leib und du... du denkst...?“
 

„Na, woran denke ich denn, mein Sweetheart?“
 

„Sex!“
 

„Falsch! Ich denke daran, wie wir diesem Bombenleger zu fassen kriegen, und da kommt uns der derzeitige Zustand ganz gut zur Hilfe.“ Kurz nippte Max an seinem Scotch, lehnte seinen Kopf gegen die Rückseite des Sofas. „Was machen deine Kontakte. Schon was gefunden?“
 

Max ließ sich nun ernst neben seinem Liebhaber nieder, kuschelte sich dennoch an seine Schulter.

„Nein. Nichts. Ich hab rumgehört in meiner Ex-Branche, gibt es zwar einige gute Bombenexperten, zwei sollen auch im Unter-Überschallbereich mit Bomben eine Wucht sein, aber mit denen konnte ich noch nicht sprechen. Das mache ich, sobald ich...“
 

„Morgen! Wir sollten nicht zu lange zögern. Ich weiß nicht, wie lange die Situation tragbar ist. Ruf morgen an, mach einen Termin und wenn es sein muss... Geld spielt keine Rolle. Außerdem willst du sie ja nicht anwerben, sondern nur mit ihnen reden.“

Black leerte sein Glas und küsste Max dann zärtlich. „Pass mir bloß auf dich auf. Ich will dich nicht verlieren.“
 

„Keine Sorge, Aaron. Ich weiß mich zu wehren. Ich liebe dich...“
 

„Dito!“
 

„Komm, lass uns duschen und dann ins Bett. War ein langer Tag,“ meinte Max und nahm seinen langjährigen Freund bei der Hand, um ihn vom Sofa zu ziehen.
 

Lachend verschwanden sie im Badezimmer.
 


 

***** TBC

Samstag - 09. Juni

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Laut schlug die Tür hinter dem dunkelhaarigen Mann zu. Er spürte, wie sich alle Augenpaare in dem Großraumbüro auf ihn richteten. Doch das war ihm egal. Sein Weg führte ihn direkt zu dem Büro auf der rechten Seite. Er wusste, er musste es gleich tun. Das Übel packte man am besten gleich an.
 

Leise klopfte er an die geschlossene Tür, und als er das mürrische „Herein!“ vernahm, öffnete er die Tür und ließ sie leise wieder hinter sich zufallen.
 

„Kann ich mit ihnen sprechen, Ross?“ fragte der Dunkelhaarige und blieb bei der Tür stehen.
 

„Dee! Komm, setz dich!“ Barclay sprang von seinem Sessel auf, als er den Cop erkannte.
 

Das Gesicht von Dee schien irgendwie erstarrt. Keine Regung konnte man erkennen. Die Augen leer und nichtssagend. Aber ein Wunder war es wohl nicht. Denn immerhin war Ryo erst seit vier Tagen in dieser Flammenhölle umgekommen. Dafür hielt Dee sich ausgesprochen gut.
 

„So lange wollte ich nicht bleiben,“ erklang die sonst ebenfalls emotionsgeladene Stimme, nun eher tonlos und schlicht.
 

„Was kann ich für dich tun, Dee?!“ Ross setzte sich auf die Vorderseite seines Schreibtisches und sah seinen Detective abwartend aber auch auffordernd an.
 

„Ich werde an dem Fall weiter arbeiten und Sie werden mich nicht davon abhalten können,“ erklärte er immer noch emotionslos. Es schien fast so, als ob er seine Gefühle bereits begraben hätte und nur noch reagierte.
 

„Das wollte ich auch nicht, Dee. Ich weiß, wie viel dir der Fall bedeutet. Aber ich möchte dir dennoch einen Part... einen Kollegen an die Seite stellen. Er ist seit vorgestern hier und hat sich bereits mit dem Fall vertraut gemacht.“
 

„Ich will keinen anderen Partn...ner...“ eisig schaute er Ross an.
 

«Also hat er doch noch Gefühle... gut... dann brauch ich mir noch nicht so viele Sorgen zu machen,»

dachte Ross sich, als er auf eine Taste seines Telefons drückte.

„Du wirst nicht alleine handeln und dich da draußen rumtreiben. Das kann und werde ich nicht zulassen. Du hast zwei Möglichkeiten...“

Die Tür von Ross’ Büro öffnete sich und ein weißhaariger, etwa vierzigjähriger Mann trat ein und schloss gleich die Tür hinter sich.

„...entweder du arbeitest mit Detective Chris Jackson zusammen, oder ich werde dich vom Fall abziehen.“
 

„Ich sagte, dass ich alleine an dem Fall bin... ich brauch keinen...“
 

„Du wirst tun, was ich sage,“ fauchte Barclay fast aufgebracht hervor.
 

Beide funkelten sich eine Weile an, bis ihnen ein leises Räuspern in ihrem Rücken zu Bewusstsein brachte, dass noch jemand anwesend war.
 

„Detective Jackson!“ stellte sich der Weißhaarige vor.
 

„Er wird mit dir zusammen arbeiten. Oder du bist raus.“
 

„Vergiss es...“
 

„Nein, Dee! Hör zu. Das mit Ryo... geht uns allen nah. Aber wir wollen weitere Opfer verhindern und deswegen wirst du mit Jackson zusammen arbeiten, ob es dir nun passt oder nicht.“
 

Dee ließ einen abschätzenden Blick über den Knaben wandern. Sein Herz zog sich zusammen. Auch Ryo hatte an seinem ersten Arbeitstag so einen hellen Anzug getragen.
 

„O.k.!“ gab er schließlich nach. Immerhin war er noch an dem Fall dran, und den Neuen an seiner Seite würde er schon irgendwie beschäftigen können, ohne dass er ihm groß im Wege stand.
 

Ohne den Neuen weiter zu beachten, verließ er das Büro des Commissioners und begab sich in seines. Schwer ließ er sich in seinen Stuhl sinken und sah hinüber zu dem aufgeräumten Schreibtisch seines toten Partners.
 

„Ryo!“ wimmerte er leise und biss sich auf die Lippen. „Ich schaff das, warte...“
 


 

In Ross’ Büro schaute Barclay auf Jackson.
 

„Pass ein wenig auf ihn auf. Aber nicht zu eng. Lass ihm den Raum, den er benötigt.“
 

„Keine Sorge, Commissioner Ross. Es ist nicht mein erster Fall.“
 

„Er wird dich abhängen wollen, oder mit nichtigen Aufgaben...“
 

„Das ist mir klar, Barclay. Aber ich bin kein Anfänger mehr. Ich kenn mich aus. Und ich verspreche dir, dass ich mit ihm zusammen den Fall lösen werde. Verlass dich auf mich. Wenn wir nicht gerade in deinem Büro wären...“
 

„Es liegt lange zurück, Chris. Vielleicht zu lange.“ Wehmütig lächelte er seinen Ex-Partner an.
 

„Ja, vielleicht. Ich pass schon auf ihn auf.“
 


 

Chris Jackson folgte Dee MacLane in sein zukünftiges Büro. Blieb jedoch an der Tür stehen und lehnte sich an den Rahmen.
 

„Darf ich reinkommen, MacLane?“ fragte er vorsichtig.
 

Dee hob den Blick von einer Akte, die er sich gerade geschnappt hatte, und nickte dem Neuen flüchtig zu.
 

Der helle Anzug saß wie für Jackson gemacht, perfekt an dessen Körper. Die Hose weit aber nicht schlabberig. Ein Wunder, dass dies Dee überhaupt auffiel. Aber das war noch nicht alles. Das helle, fast weiße Haar und diese grünen, fast jadefarbenen Augen erinnerte ihn an etwas oder jemanden. Nur konnte er nicht sagen, an was. Sein neuer Partner hatte fast Ryos Größe, nur auf den Hüften schien dieser etwas mehr zu haben. Was Dee noch auffiel war die weiche, obwohl tiefe Stimme, die ihn nun aus seinen Gedanken riss.
 

„Tut mir leid wegen Ihrem Partner. Wie ich erfahren habe, waren sie auch privat ein Paar... Sorry, wenn ich Ihnen zu nahe trete?!“ hob Chris gleich die Hand, um jedwede heftige Aktion von Dee zu verhindern.
 

„Danke! Ich möchte nicht darüber reden.“
 

„Ich weiß, es ist nicht leicht... Nein... ich werde mich nicht einschmeicheln. Aber ich weiß, wie es ist, jemand zu verlieren, der einem nahe steht. Aber das hier ist nicht der Ort, an dem man über so was reden sollte,“ lächelte er ihn leicht an, hoffend, eine positive Reaktion zu erhalten. Doch bei Dee biss er sich die Zähne aus. Nichts zeigte sich auf seinem Gesicht. Keine Regung war zu erkennen.
 

„Ist es okay... wenn ich mich hier... an den Schreibtisch setze?“
 

Dees Blick flog hoch, löste sich von der Akte und als er den Neuen, dessen Namen er schon vergessen hatte, auf Ryos Stuhl sitzen sah, hielt er die Luft an. Sprang auf, schnappte sich seine Jacke und verließ wortlos das Büro.

Chris seufzte und folgte rasch seinem neuen Partner. Er wusste aus Erfahrung, wie schwer es war. Aber dieser Sturkopf musste da durch, sonst würde er sich noch etwas antun, wenn der Fall abgeschlossen war. So weit wollte er es jedoch nicht kommen lassen.
 

Dee MacLanes Weg führte ihn nur einige Stufen nach unten zu Jim Cambel. Ohne anzuklopfen riss er die Tür auf und ließ diese auch offen, da er annahm, dass sein Schatten, wie er den anderen in Gedanken nannte, auch gleich auftauchen würde. Und sein Instinkt trog ihn nicht. Bevor Jim auch nur brüllen konnte „Tür zu!“, wurde diese von Jackson geschlossen.
 

Kopfschüttelnd stand Chris neben der Tür und harrte der Dinge, die nun kommen würden.
 

„Gibt’s Neuigkeiten, Jim?“ fragte Dee und blickte den Spurensicherungsexperten abwartend an.
 

Jim räusperte sich erst einmal. Ständig hatte er einen Frosch im Hals, wenn er Dee erblickte. Auch ihm ging der Verlust von Ryo sehr nahe. Mochte er ihn doch gern. Als Kollegen, aber auch als Freund. Ryo hatte immer für jeden ein offenes Ohr gehabt. Hielt nie mit seiner Meinung hinter dem Berg und gab manch hilfreichen Tipp. Wie würde er ihn vermissen. Der leicht gereizt ausgestoßene Seufzer von Dee riss ihn zurück in die Gegenwart.
 

„Nun, wir haben einige Bänder vom ‚Chamer‘ ausgewertet. Auf allen ist nichts zu sehen. Dass wir das mit der Klobombe nicht sehen würden, war uns ja schon bewusst. Wir vermuten jedoch, dass sie beim Umbau eingebaut...“
 

„Erzähl mir, was ich noch nicht weiß!“ fauchte Dee. Diese Tatsache war ihm doch bekannt. Er brauchte die Infos der letzten achtundvierzig Stunden.
 

„Nun... Auf einem der Bänder sieht man einen Mann mit Schlapphut und einem langen Trenchcoat, wie dieser eine Tasche mit hinein nimmt. Aber ohne wieder herauskommt. Wir haben Aufzeichnungen vor dem ‚Chamer‘ sicher gestellt. Von den örtlichen Aufzeichnungen. Sie sind nicht besonders gut, aber wir haben so wenigstens einen Anhaltspunkt.“
 

„Eine Beschreibung ist wohl nicht möglich?“
 

„Nun, nach den Bildern, würde wir mal sagen. Männlich oder weiblich, sorry, aber das lässt sich an diesen Bildern unschwer ausmachen. Etwa 170 bis 185 cm groß. Das wär’s. Mehr haben wir nicht rausbekommen. Aber wenn du willst, kannst du dir gerne das Tape ansehen?!“
 

„Nein, ich glaube, das ist Zeitverschwendung. Die Explosion vom B & B? Gibt es da neues?“
 

„Da hatte es der Bomber nicht auf Opfer angelegt. Wie er jedoch die Bombe reingeschmuggelt hat... Jedenfalls kann sich Mr. Maloy nicht an eine Person mit Trenchcoat und Schlapphut erinnern. Also war er vermutlich ohne Tarnung drin und das kann fast jeder sein.“
 

„Fuck! Yester hat auch einen Mann gesehen... mit Schlapphut oder nein...“ Dee zog seine Stirn zu Falten und dachte angestrengt nach, da war noch was. „Er sagte, dass er 150 – 160 cm groß war... vielleicht hat er sich getäuscht.“
 

„Wir werden das überprüfen. Ist seine Aussage schon protokolliert worden?“ hakte Jim nach.
 

„Nein, dazu... sind wir nicht mehr...“ Dee schluckte, schloss flüchtig die Augen. Es schien so, als würde er sich sammeln. „Und vom... Basra... Gibt es etwas neues. Habt ihr seinen... den Ring? Habt ihr ihn gefunden?“
 

Jim blickte auf. Die Stimme von Dee war auf einmal so was von tot. Ohne Gefühl, dass es einem einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte.
 

„Nein. Nichts. Das Gebäude ist zudem auch noch eingesackt und wir mussten uns durch Schutt und Asche wühlen... Dee!“
 

„Schon gut! Wenn was ist... ich bin im Krankenhaus. Oder du erreichst mich über das Handy.“
 

Dee nickte Jim zu und verließ das Büro im Erdgeschoss. Erneut ließ er seinen Schatten einfach dort an der Wand stehen.
 

Jim schaute ihm traurig hinterher. „Wir haben nicht nur einen verloren, wir werden auch ihn...“
 

„Sagen Sie das nicht, Cambel. Noch nicht.“
 

„Wer sind sie eigentlich?“
 

„Chris Jackson. Dees neuer Partner in diesem Fall. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen.“
 

„Na toll. Mir sagt sowieso niemand etwas,“ knurrte Jim vor sich hin und machte sich weiter an seine Arbeit. Dass dieser Jackson ebenfalls das Büro verließ, bekam er schon nicht mehr mit, so vertieft war er in seiner Arbeit.
 

~~~~ Unterwegs mit Chris und Dee ~~~~
 

Etwas überrascht war Chris aber, als er den Fuhrpark des 27. Revier betrat und Dee neben dem Wagen warten sah.
 

„Ich werde Sie sowieso nicht los. Also... fahren Sie!“ Dee warf ihm den Schlüssel zu und stieg auf der Beifahrerseite ein.
 

Lächelnd fing Chris den Schlüssel und stieg ein. Startete und fuhr zu ihrem Ziel. Dem Krankenhaus.
 

„Dürfte ich was fragen, Dee?“
 

„Mhh...“ Dee richtete den Blick nach draußen.

Da er nicht fuhr, konnte er sich die Gegend anschauen. So wie Ryo es immer getan hatte, schoss es ihm durch den Kopf, und er lehnte diesen gegen die Kopfstütze.
 

„Was wollen Sie im Krankenhaus. Geht es Ihnen nicht gut?“
 

Eine Pause des Schweigens trat ein. Und Chris vermutete bereits, dass er auf seine Frage keine Antwort mehr erhalten würde, als Dee leise anfing.
 

„Freunde liegen dort. Verstümmelt von dem Bomber. Bekannte, die verletzt wurden. Zeugen, die ich noch nicht befragt habe, und...“
 

„Ihnen läuft die Zeit nicht weg. Sie haben viel verloren, MacLane. Aber glauben Sie mir...“
 

„Fahren Sie einfach. Okay? Ich brauche keinen Psychologen, der mir sagt, dass das Leben weitergeht. Sie haben keine Ahnung, wie es in mir aussieht. Also würden Sie einfach nur fahren und ansonsten schweigen.“

Dee seufzte und richtete seinen Blick weiter nach außen, als ob er auf der Suche nach etwas wichtigem wäre.
 

Chris war sich klar, dass alles auf Messers Schneide stand, aber wenn er nun schwieg, kam er nie zu Dee durch. Deswegen begann er leise aber eindringlich zu reden und hoffte dass wenigstens ein Teil zu dem Witwer durchdrang.
 

„Wir waren ein Team, fünfzehn wundervolle Jahre. Und alles, was zurückblieb, war Leere.“

Er spürte mehr, dass Dee zu ihm linste, dennoch blieb sein Blick fest auf die Straße gerichtet.

„Ihr Leben ist nicht so einmalig, wie Sie denken. Auch andere Cops haben Freunde, die sie verloren haben. Bob und ich... Er starb in meinen Armen bei einer Kontrolle. Das Rücklicht war defekt. Ich sollte ihm Deckung geben und habe versagt. Ich erschoss den Kerl, doch Bob... konnte ich nicht mehr retten. Eine Schrotladung aus nächster Nähe. Sie können sich vorstellen...“
 

„Warum erzählen Sie das nicht ihrem Psychologen, das interessiert mich nicht!“ knurrte Dee.
 

„Er war nicht nur mein Partner. Wir waren verheiratet. In seinem Testament schrieb er mir, dass er auf mich warten würde. Auch wenn es ewig dauern würde. Ich sollte es mir nur nicht in den Kopf setzen, mein Leben zu beenden...“
 

„Sie kannten Ryo nicht. Also legen Sie ihm nicht solche Worte in den Mund. Er... er sagte mir selbst, dass er ohne mich nicht leben könnte... und dachte... Ein Opfer, schwerverletzt, hat seinen Ehepartner bei der ersten Bombe, die vom Chamer, verloren... Als Ryo es erfahren hatte, sagte er, dass er sich ebenfalls umbringen würde. Denn ich wäre alles für ihn. Gott... wie sehr ich ihn vermisse... meine Tochter...Sara... Nein, Jackson. Sie können nichts verstehen. Es mag zwar gleich aussehen, aber es sind verschiedene Menschen. Und ja, Sie haben recht. Sobald der Fall geklärt ist, werde ich zu meinem Mann und meiner Tochter gehen. Und jetzt, bitte, halten Sie den Mund. Sie werden mich nicht überzeugen können.“

Dee wandte sich wieder von dem weißhaarigen Cop ab und schaute hinein in den beginnenden Tag.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Dee betrat in Begleitung von seinem Partner das Medical Center und wurde fast von einem kahlköpfigen Hünen umgerannt.
 

„Ignoranten, Spinner, ich sagte doch, dass ich keine weiteren Verletzungen habe...“ fauchte er eine Schwester an, der er gerade ein Schreibbord entgegenwarf. „Dee!“ rief er, ließ die Schwester mit den Untersuchungsunterlagen einfach stehen und drehte sich nun völlig dem dunkelhaarigen Cop zu.
 

„Maloy? Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst nicht...“
 

„Danke. Das versuche ich denen hier schon seit Tagen klar zu machen. Aber nein, ich musste noch mal zur Nachuntersuchung und nun durfte ich erst gehen, als ich es auf eigenen Wunsch unterschrieben habe. Gott.. ist das wahr, was ich gehört habe?“
 

Kumpelhaft legte er Dee seine Hände auf die Schultern.

„Tut mir echt leid. Ich habe Ryo wirklich gemocht. Und deine Tochter... ich hoffe, ihr schnappt den Kerl bald!“
 

„Ja, das werden wir,“ erklärte Dee und war dankbar für so viel Anteilnahme aus dem Kreis ihrer Freunde.
 

„Wann ist denn die Beerdigung?“
 

„Es wird keine geben. Sie haben ihn noch nicht... ich meine...“
 

„Sobald wir etwas haben. Dee wird Sie informieren, Mr. Maloy!“ warf sich Chris zwischen Dee’s Worte, um ihn daran zu hindern, geheime Details auszuplaudern. Bisher wusste niemand aus der Außenwelt, dass keine Leichen gefunden worden waren, und wenn es nach Jackson ging, sollte es noch eine ganze Weile geheim bleiben.
 

„Gut... gut... ich hör also von dir!“ Tröstend klopfte er ihm nochmals auf die Schulter, ehe er das Krankenhaus verließ.
 

„Fallen Sie mir nicht noch einmal...“
 

„Dee. Beruhigen Sie sich. Dass keine Leiche da ist, heißt nicht, dass er noch lebt. Aber so lange nichts definitiv bewiesen ist...“
 

„Wollen Sie damit andeuten, dass... Wissen Sie mehr, als sie sagen?“ knurrte Dee und baute sich vor Chris gefährlich auf.
 

„Nein. Ich weiß nichts. Aber Sie wollen mir ja auch nicht zuhören. Ich an Ihrer Stelle wäre einfach nur vorsichtig, wem ich was sage, was keinen etwas angeht. Das ist alles. In Ihrer Trauer und der brodelnden Wut in Ihnen kann es sehr schnell passieren, dass Sie jemandem vertrauen, der Ihr Vertrauen nicht verdient.“
 

Dee schaute Chris eine Weile schweigend an. Ließ sich das Gehörte durch den Kopf gehen. Dann nickte er. „Sie haben Recht. Ihnen sollte ich wohl vertrauen? Richtig? Und wenn ich es von dieser Warte aus betrachte, komme ich weiter. Es wird leichter, wenn ich davon ausgehe, dass er noch lebt. Meinen Sie das?“
 

„Ja, das können Sie. Was? Nein! Aber...“
 

„Sie haben recht. Ich werde es nicht akzeptieren, bis der Ring gefunden wurde. So lange gehe ich einfach davon aus, dass er... noch lebt,“ bestimmte Dee, ging zur Anmeldung und erkundigte sich nach Peter Mitchell.
 

Einige Minuten später standen die beiden Cops im Ärztezimmer von Doktor Morgan.
 

„Es tut mir leid! Er ist aus dem künstlichen Koma nicht mehr erwacht.“
 

„Aber Sie sagten doch...“
 

„Auch wir können nicht in die Seele der Menschen schauen, Mr. MacLane. Eine Schwester behauptet zwar, dass er kurz vor seinem Ableben die Hand erhoben hätte, um jemandem diese entgegen zu strecken, doch auf den Aufzeichnungen der Geräte ist keine Aktivität verzeichnet.“
 

„Danke, Doc,“ murmelte Dee.
 

„Die anderen Verletzten von der Bombenexplosion? Sind sie vernehmungsfähig?“ kam es von Jackson.
 

„Ja, aber Ihre Kollegen waren bereits vor Ort und ich möchte Ihnen doch noch ein wenig Ruhe gönnen.“
 

„Gut, dann wenden wir uns an die Kollegen. Danke! Dee?!“
 

„Mr. MacLane, auch Sie sollten sich ausruhen?“ sagte der Arzt, der sich über das nicht nur blasse Aussehen des Cops Sorgen machte.
 

„Wenn ich Zeit dafür habe, Doc. Noch nicht,“ erklärte Dee.
 

Sie nickten dem Mediziner zu und verließen das Krankenhaus. Genau so, wie sie es betreten hatten. Schweigend und ohne besondere Neuigkeiten.
 

~~~~ Chamer ~~~~
 

Jackson fuhr auf Dee’s Anraten hin zum ersten Explosionsherd. Noch immer war der Ort mit polizeilichem Absperrband vor Neugierigen gesichert. So mussten sie sich bücken, um in den ehemaligen Club der nun toten Besitzer hineinzugelangen.
 

„Was suchen wir?“ fragte Chris, während er Dee dabei beobachtete, wie dieser wahllos hin und her ging.
 

Dee’s Weg führte ihn zum ersten Punkt. Die Toilette. Dort war kaum noch was übrig. Dennoch kämpfte er sich seinen Weg voran. Schaute aufmerksam durch die aufgerissene Türöffnung. Er holte sich das Videobild von den Aufzeichnungen aus seinem Gedächtnis und ging dann zu dem Spiegel, hinter dem die erste Bombe platziert gewesen war. Er kontrollierte, ob er den richtigen Spiegel ausgewählt hatte, indem er sich die Kameraeinstellung vorstellte, und wechselte weiter zum rechten.

Dort sah er eine kleine Einbuchtung. Durch die Sprengkraft hatte sich die Einbuchtung fast verfünffacht. Seine Finger glitten über den Staub, wurden zur Nase geführt und berochen. Doch nichts verdächtiges, was ihm sofort in die Nase stieg. Nichts. Kein Hinweis. Aus dem Gedächtnis kramte er den Bericht von Jim, der auch nichts auffälliges hier notiert hatte. Aber mit dieser Bombe fing alles an. Also musste auch er hier beginnen. Erneut rieb er über die Ausbuchtung.
 

„Warum hier?.. .. Was verbindet alles?... Am Anfang die Straße... doch das Basra... passt nicht... Schwule?... im Allgemeinen? Oder eher im Besonderen? Ryo... ich brauche deinen Rat...!“ murmelte er leise.

Schloss die Augen und stellte sich seinen Ehemann neben sich vor. Wie sie miteinander redeten. Diskutierten und sich weitertrieben, bis sie zu einem Ergebnis kamen. Fast war es Dee so, als ob er seine Stimme hören, seine Nähe fühlen, ja riechen konnte.

Er öffnete die Augen und blickte in Chris’ grüne, die ihn unverwandt musterten.
 

„Hoch-Tieffrequenzzünder. Sagt die Spurensicherung,“ warf Chris ein.
 

„Nein... das sagte ich. Ryo und ich... kamen darauf. Aber bisher in dieser Richtung nichts. Keine Verdächtige Person. Keiner, der in diesem Bereich arbeitet. Sackgasse. Noch. Aber ich komm dahinter,“ knurrte Dee und schob sich aus dem Waschraum hinaus.
 

„Fahren wir zurück ich möchte mir die Aussagen der anderen ansehen,“ bestimmte er und verließ das Chamer.
 

~~~~ Black’s ~~~~
 

„Soweit alles klar?!“ fragte Black in den Hörer und wartete auf eine Reaktion, die auch nicht lange auf sich warten ließ.
 

„Ich habe es soweit verstanden. Aber was ist mit Dee?“
 

„Darum kümmere ich mich gerade. Er ist nicht allein.“
 

„Es ist nur...“
 

„Keine Sorge. Ein, zwei Tage oder eine Woche. Länger nicht. Das verspreche ich dir.“
 

„Ich halte es immer noch nicht für keine gute Idee, aber so lange Dee in Sicherheit ist, und du mir garantierst, dass er keine Dummheiten machst, stimme ich zu. Zwar mit Bedenken. Okay, aber nicht länger.“
 

Black hängte den Hörer zurück und strich sich über das frisch gegelte Haar. Tief zog er den Atem in die Lunge. Das, was er hier tat, war definitiv gegen das Gesetz der Menschlichkeit. Aber was blieb ihm denn anderes übrig. Wenn er schon mitmischte, wollte er aus allem möglichen das Beste machen. Er wusste, dass die betreffenden Personen ihn dafür zur Rechenschaft ziehen würden. Aber dieses Risiko ging er ein.
 

~~~~ Manhattan ~~~~
 

„Nichts!“ knurrte er vor sich hin, während seine Finger hektisch durch die Zeitung, die er eben erst erworben hatte, blätterten.

„Sie müssten doch langsam mal die Trauerfeier ansetzten. Verdammter MacLane!“ fauchte er und warf die Zeitung zerknüllt in die Ecke.

„Okay.. wenn ihr nicht wollt, werde ich euch dazu bringen, mich nicht zu vergessen.“
 

Ein leises, fast irres Lachen war zu vernehmen. Doch es war niemand in der Nähe, der es auch nur aus der Ferne hätte hören können. Er war hier allein. Seit Jahren schon. Niemand war hier bei ihm, mit dem er seine Freude teilen konnte. Niemand, der ihm mehr auf die Schulter klopfte, das hast du gut gemacht. Niemand, der ihm sagte, dass sein Verdienst in dieser Sache ehrwürdig war. Es gab nur einen in seinem Leben und diesem war er für die Hilfe dankbar. Ihm würde man keinen Orden anheften, nein, ihm nicht, aber ‚IHM’. Er brauchte ihn für seine Rache, doch sein Plan ging wohl nicht so auf wie gehofft. Es wurde wohl Zeit, dass er sich wirklich in Erinnerung brachte. ‚ER’ würde die Lorbeeren einheimsen, aber das störte ihn nicht. So lange er nur seine Rache hatte.
 

*****TBC

Freitag - 23. Juni

~~~~ MacLane’s Apartment ~~~~
 

Wie jeden Abend in den letzten zwei Wochen, oder eher gesagt zehn Tagen hielt Chris Jackson den Wagen vor Dees Wohnkomplex. Wie jeden Abend löste Dee den Sicherheitsgurt und stieg ohne ein weiteres Wort aus. Eigentlich blieb Chris immer sitzen und wartete nur, bis sein schweigsamer Kollege im Atrium verschwunden war, um schließlich auch nach Hause zu fahren. Doch heute war es nicht so. Chris stieg aus und folgte Dee. Blieb neben ihm stehen, als er auf den Aufzugsknopf drückte. Von Dee erhielt er nur einen Seitenblick. Ansonsten blieb dieser ruhig. Erst als sie beide vor dem Apartment angekommen waren, brach Dee das auf ihnen lastende Schweigen.
 

„Ich hab‘s mir anders überlegt. Ich möchte nicht, dass du mit reinkommst.“
 

„Nur ein Kaffee. Mehr hast du nie gesagt. Mehr habe ich nie angenommen,“ sagte Chris ruhig und blieb dennoch stehen. Auch als Dee aufschloss und hineinging, wobei er die Tür offen ließ.
 

Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen betrat Chris nun das Heiligtum von Dee MacLane. Er wunderte sich ein wenig, da er eigentlich mit leeren Bierdosen, überquellenden Aschenbechern und abgestandener Luft gerechnet hatte. Aber das Apartment war sauber. Hin und wieder entdeckte er Kleidung, die aber für Dee nicht passend schien.

Anscheinend hatte er einige Sachen von Ryo in der Wohnung verteilt, um ihn ständig um sich zu spüren. Ja, das war gar nicht so schlecht. Er hatte Dee auch schon dabei ertappt, wie er in ihrem Büro im 27. Revier mit seinem toten Partner gesprochen hatte. Nicht so, als ob er keine Antwort erwarten würde, nein, er hatte sogar genickt, so als ob Ryo wirklich was gesagt hatte. Bisher waren seine Anzeichen von niemandem sonst gesehen worden, denn er hätte den Klatsch als erster gehört. Und er? Nein, er würde Dee niemals hintergehen.
 

Dee kam aus der Küche zurück und überreichte Chris eine Flasche Bier.
 

„Ich hab nichts anderes!“ erklärte er schlicht und setzte sich auf einen der Sessel, die von Ryo’s Kleidung belegt waren.
 

„Bier ist okay! Dee? Darf ich dich was fragen... was persönliches?“
 

Entgegen Chris’ Vermutung schaute Dee ihn offen an und nickte, nachdem er einen langen tiefen Schluck Bier getrunken hatte.
 

„Seit dem Tag, wo ich dir zugeteilt wurde, hast du dich immer weiter verändert...“
 

„Verändert? Ist das nicht logisch? Mein Mann, meine Tochter... all die, mir wichtig waren. Selbst die Mitchells. Alle tot. Glaubst du nicht, dass dies einen Menschen verändert?“ Erneut trank er einen Schluck.
 

„Doch. Aber das meine ich nicht.“
 

„Sondern?“
 

„Du redest... aber nicht immer mit mir. Mir ist aufgefallen... Nein, bitte, lass mich ausreden. Ich möchte es nicht Ross erzählen. Aber ich möchte von dir eine Erklärung, die ich akzeptieren kann. Also... du nimmst dir jede Akte vor, liest und redest mit... mit Ryo, nehme ich an, weil auch manchmal sein Name fällt. Dann scheint es mir, dass du ihm lauschst und zustimmend nickst, dir Notizen machst... Vertraust du mir nicht genug, dass wir denn Fall besprechen?“
 

Nachdenklich sah Chris Dee an. Wartete auf eine Antwort. Wusste jedoch gleich, dass er niemals das sein würde, was Ryo gewesen war. Das wollte er schließlich auch nicht, ihm ging es, genauso wie den andern, nur darum, den Fall zu lösen. Aber wenn der Partner lieber mit seinem verstorbenen Mann redete als mit ihm, bekam er Zweifel, ob Dee nicht doch lieber abgelöst werden sollte.
 

„Ryo und ich... wir sind... waren Partner, seitdem er zum Revier wechselte. Vom ersten Tag an waren wir fast unzertrennlich. Ich mehr als er, aber das ist unwichtig. Seit diesem Tag haben wir über die Fälle geredet. Ich weiß, wie er denkt, was er sagen würde, bevor er es ausspricht. Ich brauche diese Gespräche einfach. Ich will dich nicht umgehen, aber Ryo und ich... das ist... war... Wir waren eine Einheit und es ist leichter für mich, wenn ich es so sehe und ihn noch immer mit in alles hineinbeziehe. Verstehst du?“
 

„Ja. Aber dann lass mich dran teilnehmen. Ich fühle mich nur etwas übergangen. Du redest nicht mit mir über die Aussagen. Die Befunde oder sonst was. Lass mich wenigstens anwesend sein, das würde dann auch dein Gerede erklären. Und niemand merkt, mit wem du wirklich sprichst. Vielleicht habe auch ich Ansichten zu dem Fall, die uns weiterbringen könnten. Versuch es wenigstens einmal. Glaub mir, ich kann dich verstehen. Aber auf Dauer wird es dich zerstören, wenn du ihn nicht gehen lässt.“
 

„...“
 

„Okay. Danke fürs Bier. Ich hol dich morgen pünktlich ab.“
 

Chris stellte die Flasche auf den Tisch, nicke Dee zu und verließ die Wohnung, indem er die Tür leise hinter sich zuzog.
 

„Ryo... Er hat recht. Er hat so recht, aber wenn ich dich loslasse... habe ich keine Kraft mehr...“ stöhnte er.
 

Zog die Beine an und klammerte die Arme darum. So verbrachte er diese Nacht wie die letzten Nächte. Wach, nur hin und wieder leicht einschlummernd, auf dem Sessel, den Ryo so geliebt hatte.
 

~~~~ Black’s Apartment ~~~~
 

Unruhig drehte Mick Prescott sein Scotchglas in den Händen. Sein Blick ging wieder zu seinem Geliebten, der ihm mit abgewandtem Gesicht kalt den Rücken zugedreht hatte und nun aus dem Fenster auf das nächtliche Manhattan starrte. Wieder einmal konnte er nicht seine Klappe halten. Wieder einmal hatte er ihn mit Fragen bombardiert. Mit Fragen, die Aaron ihm nicht beantworten wollte.

Lange würde er sich persönlich diesen Zustand nicht mehr anschauen, geschweige denn gefallen lassen, wie Black ihn hier behandelte. Immerhin war er ständig für ihn da. Selbst seine Freunde von damals hatte er alle befragt und war zu dem Schluss gekommen, dass Black ihn manchmal nicht in der Nähe haben wollte, damit diese Situation, wie sie nun entstanden war, vermieden wurde. Aber nicht so mit ihm. Mit einem leisen ‚pling‘ setzte er sein Glas auf den Tisch und erhob sich. Rückte sein Hemd und seine Hose zurecht und trat nah hinter seinen Chef.
 

„Wieso...“
 

Weiter kam er mit seiner Frage nicht, denn ein Klingeln deutete an, dass der Portier jemand zu ihrer Wohnung hinaufschickte.
 

„Sieh nach, wer kommt,“ war alles, was Black von sich gab, während er weiter seinen Blick in die Nacht schweifen ließ.
 

„Ich bin nicht dein Dienstmädchen, ich hab Feierabend,“ knurrte Mick. Schnaubte und ging dennoch zum Aufzug, um den nächtlichen Besucher zu empfangen.

Als sich die Tür öffnete, trat ein älterer, weißhaarige Mann heraus und lächelte Mick freundlich an.
 

„Schön, dass ich anscheinend nicht störe...“
 

„Wie geht’s Dee?“ fragte Mick, als er die dargebotene Hand freundlich schüttelte und sein erstes Lächeln heute verschenkte.
 

„So lala, würde ich sagen. Er bricht bald zusammen.“
 

„Dann sag das dem Sturkopf da drin. Ach, und wenn du schon dabei bist, sag ihm auch gleich, dass ich weg bin.“
 

„Du solltest niemals im Streit gehen, Mick. Wer weiß, was passiert.. oder passieren kann.“
 

„Mit ihm ist heute nicht zu reden. Er kann mich mal...“

Damit nahm er sich seine Jacke vom Haken neben dem Aufzug und ließ sich mit diesem nach unten transportieren.
 

Der hellhaarige schaute ihm traurig, mit dem Kopf schüttelnd nach. Begab sich dann jedoch in den Wohnbereich, wo er Black traf, der sich noch keinen Zentimeter vom Fenster weg gerührt hatte.
 

„Wer ist es, Mick?“
 

„Mick ist gegangen. Ich bin’s, Chris!“ erklang die samtige Stimme von Chris Jackson hinter Black und ließ diesen sich gemächlich umdrehen.
 

„Weg? Wohin?“
 

„Er sagte mir nur, dass er heute mit dir nicht zusammen sein möchte, weil du deinen Dickschädel durchzusetzen versuchst. Ich nehme mal an, dass es um MacLane geht?“
 

Black gab Chris mit einer einladenden Handbewegung zu verstehen, dass er sich setzen sollte und ging selbst zur kleinen Bar, um für Chris seinen Martini zu mixen.
 

„Wie geht’s Dee?“ überging Black vorerst die Frage nach dem möglichen Streitherd zwischen den Geliebten.
 

„Schlecht. Er spricht mit ihm im Revier, bisher konnte ich ihn decken. Ich habe heute mit ihm darüber gesprochen und hoffe, dass er ein wenig offener wird in meiner Gegenwart.“ Dankbar nahm er das Getränk von Aaron entgegen, der sich ihm gegenüber in einen der ledernen Sessel niederließ und seine Beine übereinander schlug.
 

„Und sonst? Kommt ihr voran?“
 

„Verdammt, Black. Mick hat recht. So geht das nicht weiter. Er zerbricht und wir, oder eher gesagt du, könntest das verhindern. Ich gebe dir noch zwei Tage, dann rede ich mit ihm offen und ehrlich. Ich habe es satt. Was glaubst du, passiert, wenn er die Wahrheit erfährt? Geschweige denn, was meinst du, was passiert, wenn Ross erfährt, dass ich zu dir gehöre und alles... von dir...“
 

„Ich habe kapiert.“ Black legte seine lange, geschmeidige Hand auf seine Augen und seufzte leise auf. „Ich weiß ja, dass Mick und auch du, Chris, im Recht seid. Wir sind ja nicht weiter gekommen, aber es muss was passieren. Du weißt, dass ich dich vor Ross schützen werde. Eure gemeinsame Zeit damals macht es dir einfacher, in das Revier zu gelangen als einem Fremden, und ich bin dir dankbar, dass du sofort zugesagt hast. Und ja, ich weiß noch, dass ich dir gesagt habe, dass ich es nicht übertreiben werde, aber Gott... ich wollte doch, dass es schnell gelöst ist. Niemals hätte ich erwartet, dass der CS-Bomber plötzlich die Füße still hält.“ Black löste die Hand und sah ihn an. „Ich werde mit Dee reden. Das bin ich ihm schuldig. Morgen abend wird alles geklärt sein. Und nun, was machen die Ermittlungen?“
 

Chris war froh zu hören, dass Aaron nun endlich ein Einsehen hatte und somit auch von Dee eine schwere Last genommen werden würde. Diese unendliche Trauer, diese Distanz, die er um sich herum aufgebaut hatte, würde verschwinden. Jackson sah, wie Black etwas aus der Hemdtasche zog und es spielerisch zwischen den Fingern kreisen ließ.
 

„Du hast den Ring?“ fragte Chris überrascht.
 

„Seit dem Tag der Explosion. Na ja, eher ein Tag später. Ich werde ihn Dee morgen geben. Halt dich in seiner Nähe auf. Und beantworte mir endlich meine Frage.“
 

Chris sah Black fast fasziniert zu, wie er den Ring von rechts über die Hand und wieder nach links tanzen ließ und er ahnte, was auf Dee zukommen würde. Endgültig.
 

„Jackson?“
 

„Ähm... Nichts. Die Zeugenbefragung ergab nichts Nennenswertes. Auch die betroffenen Gäste, die sich soweit erholt hatten, konnten nichts Nützliches zu der Ergreifung des Täters beitragen. Die Überwachungskamera hat ein unscharfes Bild von dem möglichen Täter. Langer Ledermantel, vermutlich braun, Schlapphut. Größe etwa 175 cm, Gewicht schwer schätzbar wegen des Mantels, aber an Übergewicht glaubt keiner. Nun, da wären noch die Aussagen von der Baufirma, die das Chamer umgebaut hat. Aber die wissen auch nichts und jemand unbekanntes war, so laut der Aussage der dortigen Mitarbeiter, auch nicht dabei. Jedenfalls schien ihnen keiner aufgefallen zu sein,“ schloss Chris seinen Bericht.
 

„Also nichts neues. Dann werd ich Dee morgen früh aufsuchen und ihm den Ring geben. Egal was dann passiert, du passt weiterhin auf ihn auf. Und nun entschuldige mich, ich habe zu telefonieren.“
 

Mit diesen Worten erhob sich Chris und verließ ohne ein weiteres Wort Black’s Wohnung. Gerne hätte er ihm noch die Meinung gesagt, zu einigen Dingen, doch er dachte bereits an Dee und wie dieser nach den zehn Tagen der Trauer und Einsamkeit mit der Ringübergabe fertig werden würde.
 

Als er das Gebäude verlassen wollte, hielt ihn die Stimme von Mick auf.
 

„Lust auf einen Drink?“
 

Chris sah Mick an und grinste.

„Nein. Den hatte ich eben erst. Aber du solltest raufgehen. Er will morgen mit Dee reden und alles aufdecken,“ verkündete Chris und sah, dass Mick nachdenklich nickte.
 

„Pass auf Dee auf. Er wird ausrasten und Black wird einige blaue Flecken davontragen, aber die hat er wohl verdient. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er es gleich erfahren. Aber nein. Aaron wollte sein Spiel spielen. Aber so lief es nicht und nun ist er frustriert. Er hätte bei Dee mit offenen Karten spielen sollen, dann wäre alles anderes gekommen.“
 

Mick stieß sich von der Wand ab und legte Chris vertrauensvoll eine Hand auf die Schulter.
 

„Pass auf... Ich weiß, dass du Black alles sagst was du weißt und er nie mit einer Info rüberkommt. Also, es gibt oder gab in der Armee drei Spezialisten, die sich mit Hoch-Tieffrequenz auskennen. Zwei sind noch im Dienst. Der dritte wurde unehrenhaft entlassen. Zum einen, weil er einen Vorgesetzten geschlagen hatte und zum anderen, weil er bei jedem Landgang einen Jungen... vergewaltigt und getötet haben soll. Dass diese letzte Aussage jedoch nie vor Gericht kam liegt daran, dass er bei einer letzten Tat, wie soll ich sagen... das ganze ist inoffiziell und steht auch in keiner Akte. Auf alle Fälle hatte er sich den falschen Burschen gegrabscht und wurde gezeichnet.“
 

„Wie gezeichnet? Ich verstehe nicht?!“
 

„Der Vater hat ihn fast kastriert. Verstehst du nun?“
 

„Und du denkst, dass dieser Kerl hier rumläuft und jetzt Bomben legt?“
 

„Möglich wäre es doch? Jedenfalls passt auf euch auf.“
 

Mick nickte Chris nochmals zu und ging dann wieder hinein. Ließ einen leicht irritierten Jackson zurück. Man konnte förmlich hören und sehen, wie sich die kleinen Rädchen in seinem Kopf drehten. Doch er hörte auch die Worte von Mick, dass dies ganze nur Hörensagen war. Also nichts handfestes.
 


 

***** TBC

Samstag - 24. Juni - früh

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Jim Cambel hatte einen recht unruhigen Morgen hinter sich. Ständig dachte er daran, dass er etwas übersehen hatte. Denn schließlich musste doch in den Unmengen an Zeug, was er in seinem Labor herumliegen hatte, etwas brauchbares vorhanden sein. So war es kein Wunder, dass er um kurz nach fünf Uhr bereits ins Revier preschte. Als er am Besucher- und Informationsschalter vorbeieilen wollte, hielt ihn die dunkle, leicht rauchige Stimme der Nachtwache auf.
 

„Gestern abend wurde das hier für Sie hinterlegt. Der Bote meinte, dass Sie schon lange auf diese Diskette warten. Er meinte, das wären die Ergebnisse von dem eingeschickten Befund. Er hätte sie Ihnen gern persönlich übergeben, aber...“
 

„Danke. Geben Sie her,“ bestimmte Jim, nahm das kleine rechteckige Päckchen entgegen und stürmte weiter hinab in sein Büro. Warf die Jacke über den Haken und schaltete den PC ein. Leicht wog er das Päckchen in den Händen.
 

„Endlich! Hoffentlich gibt es positive Befunde,“ murmelte er vor sich her, als er das Päckchen aufriss und die darin in Schutzhülle liegende Diskette herausnahm. Sein prüfender Blick stellte jedoch fest, dass dies nicht die Diskette war, die er dem Institut überbracht hatte.
 

„Na ja... Auch egal. Vielleicht haben sie hier nur ihre ersten Eindrücke und Ergebnisse drauf,“ seufzte er und legte die Diskette in seinen PC, um sie gleich in die richtige Datei zu kopieren.
 

Er klickte mit der Maustaste auf diverse auf dem Bildschirm aufgetauchte Aktenordner, bis er den richtigen gefunden hatte.
 

‚Ergebnisse der Bombensplitter‘
 

Er öffnete die Datei und sah sich seine eigenen und die von Dee und Ryo gemachten Aussagen erneut an. Erst dann suchte er das Symbol, um die Diskette zu öffnen und die darauf befindlichen Dateien zu sichten. So konnte er wenigstens gleich seine eigenen Gedanken mit denen des Instituts vergleichen und sich Notizen machen.
 

Sein Finger ruhte gerade auf der Maustaste, um die Diskette zu öffnen, als sein Telefon anschlug und ihn leicht zusammenzucken ließ. Er schwankte kurz zwischen Ignorieren des Telefons und dem sofortigen Sichten der Daten. Doch dann griff er mit der linken Hand zum Telefon. Denn wer ihn so früh an der Arbeit vermutete, musste wohl etwas dringendes mit ihm zu besprechen haben. Dachte er sich und hielt sich den Hörer ans Ohr und rückte den Cursor zurück zum Diskettenzeichen.
 

„Ja!“ sagte er in das Telefon und drückte gleichzeitig die Maustaste.
 

„Jim? Du bist schon...“
 

Weiter kam der Anrufer nicht, denn Jim schmiss den Hörer von sich, sprang auf und rannte zum Feuerlöscher. Innerlich verfluchte er sich selbst wegen seiner Dummheit. Qualm und Rauch stiegen von seinem Rechner auf und vernichteten innerhalb von Sekunden den gesamten Inhalt. Den kaum hörbaren Knall, den er ausgelöst hatte, hatte er gar nicht vernommen, denn der Schreck, den er bekommen hatte, war wesentlich größer.
 

Jim ließ den Feuerlöscher sinken. Nein, das würde nichts mehr retten, eher noch größeren Schaden anrichten.
 

„Mist!... Verdammt!... Fuck!... Das darf doch nicht wahr sein,“ jammerte er und blickte auf den Rest seiner gesammelten Daten hinab. Er ließ sich schwer in seinen Sessel sinken und hörte wie aus weiter Ferne, dass ihn jemand rief und nun erkannte er auch, woher das Geräusch kam. Das Telefon. Rasch griff er danach und meldete sich erneut, während er zusah, wie der Qualm langsam weniger wurde.
 

„Ja?!“ fragte er aufgebracht in den Hörer und verwünschte gleichzeitig den Anrufer, da er diesen mitverantwortlich für seine unbedachte Handlung machte.
 

„Jim. Ich bin’s, Todd. Du hast mir doch eine Diskette geschickt? Und da wollte ich dich fragen... Es ist mir irgendwie peinlich, aber einer meiner Studenten hier hat aus Versehen seinen Kaffee darüber gekippt. Könntest du mir eine Kopie zusenden?“

Schweigen war die Antwort, während Jim Cambel ratlos vor sich hin blickte. Das war echt gekonnte Arbeit, dachte er bei sich und versuchte Ordnung in seine chaotischen Gedanken zu bringen. Kein Zufall! Alles geplant...
 

„Dein Student? Kannst du mir seinen Namen und seine Adresse geben?“ fragte Jim, anstatt auf die eigentlich Frage zu antworten.
 

„Ja, eigentlich schon. Aber...“
 

„Aber?“ Jims Nerven waren gespannt auf das, was nun noch folgen würde.

„Er hat gestern abend Selbstmord begangen. Ist einfach zum Dach rauf und ist hinab gesprungen. Einfach so...“ Man konnte nun erst hören, wie nah das Geschehene Todd ging.
 

„Kannst du ihn beschreiben. Ich meine, wie sah er aus?“
 

„Aber ja... Er war 18 Jahre, ein begnadeter Denker und Analytiker. Er hätte es mit Sicherheit weit in der Forschung bringen können... Sorry, ich schweife ab“, sagte Todd als er Jims Schnauben durch den Telefonhörer vernahm. „Groß, etwa 188 cm, schlank aber nicht mager, wenn du verstehst. Blonde kurze Haare, grüne Augen und er trug immer eine getönte Brille. Er war hochgradig lichtempfindlich. Aber warum fragst du?“

„Ich erhielt gestern abend eine Diskette. Angeblich von deinem Institut. Ich werde gleich mal nachfragen, wie der Bote, der diese gebracht hat, ausgesehen hat. Aber wie mir scheint, war diese Diskette unmöglich von dir. Tut mir leid, aber ich kann dir nichts näheres sagen. Und eine Kopie der dir zugesandten Daten kann ich dir auch nicht geben. Danke, Todd. Ich meld mich wieder bei dir.“
 

Jim beendete das Gespräch und legte den Hörer auf. Sah erneut deprimiert auf die Reste seiner Forschung. Alles, was er bisher über den Fall zusammengetragen hatte, jeder kleinste Denkanstoß, alles vernichtet, wegen einer Diskette. Das würde ihm nie wieder passieren, nahm er sich vor. Aber für so gerissen hätte er den Bombenleger nun auch nicht gehalten. Er würde später mit Dee und Chris reden müssen. Aber vorher wollte er mit Ross einige Takte reden. Die Sicherheit des Departements war nicht mehr gewährleistet.
 

~~~~ MacLane’s Apartment ~~~~
 

Das Schellen seiner Türklingel weckte Dee aus seinem unruhigen Schlaf. Erneut warf er einen Blick auf seine Armbanduhr und stellte seufzend fest, dass bereits zwei Stunden vergangen waren, seit er das letzte Mal darauf geschaut hatte. Immerhin hatte er wieder eine Nacht ohne seinen geliebten Mann verbracht. Und jeden Tag wuchs die Leere in ihm mehr. Jeden Tag wünschte er sich, den Kerl zu verhaften, damit er endlich seinem Mann und seiner Tochter folgen konnte. Sein Herz tat weh. Niemand würde es verstehen, der noch niemals einen so nahen Menschen verloren hatte. Zaghaft legte er das Bild, das er die letzten beiden Stunden an sich gedrückt hatte, wieder auf den Beistelltisch.

Liebkosend strich eine Hand darüber und streichelte Ryo, der ihre kleine lachende Tochter auf dem Arm hielt. Wie glücklich sie doch gewesen waren. Hatten sie sich dieses Glück denn nicht auch verdient gehabt? Warum ausgerechnet Ryo und Sara? Was hatten die beiden denn dem Bombenleger getan?
 

Das erneute Betätigen der Klingel riss ihn fort von den beiden, und müde und mit schmerzenden Knochen ging er zur Tür und riss diese auf.
 

„Morgen. Darf ich reinkommen?“ fragte Black und wartete nicht auf eine Antwort, sondern schob sich schlichtweg an Dee vorbei in die Wohnung.
 

„Was willst du? Dein Bodyguard Chris ist nicht hier.“
 

„Du weißt?“
 

„Ich bin nicht blöd, Black. Du hältst dich ja von mir fern, nur er ist ständig um mich. Fehlt eigentlich nur, dass er hier Quartier erhält,“ murmelte Dee und warf die Tür ins Schloss. „Also was willst du?“ fragte Dee und ging in die Küche, um sich einen starken Kaffe zu brauen.
 

„Es gibt da etwas, was ich dir seit zehn Tagen verschweige. Und glaub mir, es ist nicht leicht, das jetzt zu sagen, weil du mich dafür hassen wirst. Ach was, hassen. Ich glaube eher...“

Black schaute auf und genau in die jadegrünen Augen von Dee, der ihn verständnislos anschaute, doch anscheinend bekam er langsam eine Ahnung, denn Dee’s Augen wurden größer und blickten ihn voller Unglauben an.
 

„Red nicht rum, sag es einfach,“ murmelte Dee mit angespannter Stimme.

Er machte sich seelisch auf alles gefasst. Schlimmer konnte es wohl nicht mehr kommen, als es ohnehin schon war. Dachte er zumindest.
 

Ohne noch ein Wort zu sagen, griff Black in seine Jackentasche und holte einen kleinen Umschlag heraus. Lange hatte er mit sich gekämpft, aber ein Anruf gestern abend und ein klärendes Gespräch zwischen ihm und Mick hatten ihm gezeigt, dass es so am besten wäre. Er reichte Dee den verschlossenen Umschlag.
 

Zögernd, fast ängstlich, nahm Dee diesen entgegen. Durch das Papier hindurch konnte er auf einer Seite einen rundlichen Gegenstand ausmachen. Entsetzt hob er seinen Blick auf Black. Dee spürte, wie sein Herzschlag für einen Moment aussetzte und seine Knie fast unter ihm wegsackten. So schloss er kurz die Augen. Drängte die Tränen, die seit Ewigkeiten einen Weg hinaus suchten, erneut zurück. Er hatte mit Ross eine Übereinkunft getroffen, dass eine Trauerfeier zu Ehren von Ryo erst dann stattfinden würde, wenn der Ehering von ihm aufgetaucht wäre. Lange hatte er gehofft, gebetet und im Stillen um ein Wunder gefleht, doch anscheinend war alles Hoffen vergebens gewesen. Denn, so schien es Dee, hatte Black die ganze Zeit über den Ring in seinen Fingern gehabt und ihn nur als Marionette benutzt. Schwer sank er auf dem Küchenstuhl zusammen, drehte das Kuvert zwischen den Fingern, unfähig, der Wahrheit und somit dem endgültigen Verlust von Ryo gegenüber zu treten.
 

„Ich dachte mir, dass ich dir dadurch helfe,“ versuchte Black, seinen Entschluss zu rechtfertigen, den Ring in Gewahrsam genommen zu haben. „Es war nicht leicht, das musst du mir glauben. Es hat viel Überredungskunst von mir gekostet, aber ich... Ich dachte wirklich, dass es schneller geht mit dem Fall, wenn ich so handele.“
 

„Raus!... Geh!... Verschwinde!“ erklang es tonlos von Dee.
 

„Nein. Ich bleibe. Erst wenn du den Umschlag aufgemacht hast und den Brief darin gelesen, dann gehe ich. Ich möchte nicht daran Schuld sein, wenn du dich jetzt... Dee. Bitte. Wir kennen uns eine Ewigkeit und es tut mir echt leid, dass ich das so falsch eingeschätzt habe,“ murmelte Black und fühlte sich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit dazu bereit, sich bei jemanden zu entschuldigen und noch dazu als Unterlegener.
 

„Ein Brief?“ überrascht hob Dee nun doch seinen Blick. Sah, wie Black das ganze nah ging. Konnte förmlich sehen, dass ihm die ganze Geschichte echt leid tat.
 

Mit klopfenden Herzen öffnete er den Brief und er hatte Recht mit seiner Vermutung. Der Ring, der ihm entgegenfiel, war eindeutig der von Ryo. Fest schloss er ihn in seine linke Hand und legte sie an sein Herz. Erst dann griff er hinein und entzog dem Kuvert eine kleine handschriftliche Notiz:
 

Treffe mich heute abend 22 Uhr im Tropical
 

Dee las diesen Satz, schaute auf Black und wieder auf den Zettel in seiner Hand. Keine Unterschrift oder sonst ein Zeichen, dennoch fühlte er eine gewisse Unruhe. Das konnte nicht sein, dachte er sich, als er erneut den Zettel hob und den unscheinbaren Satz las. Doch nicht der Satz hatte Dee so aufgewühlt, sondern die Handschrift. Konnte es wirklich sein, oder trübte ihn sein Blick mit Wunschdenken. Gab es doch Hoffnung...
 

„Ich glaube, jetzt kann ich gehen. Nicht wahr?“
 

„Black!“ dröhnte Dee’s Stimme durch die Wohnung und dieser tauchte auch in der Küchentür auf, als er Black nachgegangen war. „Ist es wahr?“
 

„Geh einfach hin!“ war alles, was der Ladenbesitzer sagte, und dennoch nickte er kurz mit dem Kopf.
 

Chris wartete im Flur darauf, dass Black das Apartment von Dee MacLane verließ. Er sagte kein Wort, als dieser still vor sich hin grinsend an ihm vorbei ging. Lediglich ein schnelles Berühren der Schulter mit der Hand gab Jackson zu verstehen, dass Dee nun Bescheid wusste. Jedenfalls nahm Black das an. Er hoffte, dass er nicht einen Freund verloren hatte durch seine unbedachte Tat.
 

Der neue Partner von Dee klopfte leise an die Apartmenttür und öffnete diese, obwohl er keine Aufforderung dazu erhalten hatte. Sein Blick heftete sich auf Dee, der am Boden kniete und hemmungslos weinte, wobei er in der linken Hand noch immer krampfhaft den Ring an sich presste und mit der Rechten den Zettel mit der Nachricht zerknüllt hielt. Bestürzt über diesen Anblick ging er rasch zu ihm und kniete sich zu ihm hinab.
 

„Dee?“
 

Doch als Jackson keine Reaktion erhielt, schüttelte er Dee leicht und tatsächlich, diesmal hob der dunkelhaarige Cop seinen Kopf und sah ihn durch die bereits rotgeweinten Augen fast ein wenig strahlend an. Chris konnte nicht nachfühlen, wie es Dee in diesem Moment ging, aber so wie er die Sachlage sah, würde es für einen von ihnen ein verdammt langer Tag werden.
 

„Ich störe höchst ungern, aber wir müssen aufs Revier. Es gab einen erneuten Zwischenfall und vermutlich ist der Bomber der Täter. Dee?“
 

Energisch wischte Dee sich über die Wange, erhob sich mit immer noch zitternden Knien.
 

„Gib... gib mir eine Minute. Ich bin gleich soweit,“ sagte er und ging an ihm vorbei ins Schlafzimmer. Kurz darauf hörte Jackson, dass sein Partner duschte.
 

Um nicht unnütz herumzustehen, ging er in die Küche und machte einen starken Kaffee. Den brauchte er. Chris hatte gerade die Tasse geleert und abgespült, als Dee in der Tür erschien.
 

„Wir können.“
 

Nichts deutete mehr darauf hin, dass er bis eben noch seinen Gefühlen freien Lauf gelassen hatte. Sein Gesicht glich dem einer gefühlstoten Mumie. Kein Anzeichen von Hoffnung war mehr darin zu erblicken. Das ganze verwirrte Chris erneut. Hatte MacLane es doch nicht verstanden? Sollte er nochmals mit ihm reden, oder sollte er warten bis morgen und ihm heute abend einfach nur schützend und stützend in die Sauna folgen? Fragen über Fragen, die Chris in seinen Gedanken hin und her wälzte, während sie sich auf den Weg zum Revier machten.
 

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Chris und Dee gingen sofort runter zur Spurensicherung und erblickten einen immer noch wütenden, auf sich selbst zornigen, hin und her rennenden aufgebrachten Jim Cambel. Als dieser der Cops ansichtig wurde, ging er schnurgerade auf sie zu.
 

„Der Kerl ist einfach gerissen. Ihr müsst unbedingt zu Todd McBride. Er ist Institutsleiter draußen in Queens. Ich habe ihm meine Daten geschickt, und sein Student hat mir gestern vermutlich dieses Tape gebracht und sich dann anschließend vom Dach gestürzt. Der Kerl ist echt genial. Nichts, keine Spuren. Alles hin, meine ganzen Ergebnisse,“ legte Jim erst einmal los, ohne den beiden frisch hinzugekommenen überhaupt eine Chance zu lassen, zu erfahren, was überhaupt passiert war. Deswegen übernahm Chris das Reden und Dee machte sich Notizen.
 

„Mal ganz der Reihe nach, Jim. Was ist denn überhaupt passiert?“
 

„Mein Rechner ist kaputt. Der Bomber hat ihn quasi in die Luft gejagt. Gott, was für ein Genie, auf so was wäre ich nie gekommen. Noch nicht einmal daran gedacht hätte ich,“ jammerte er und begann wieder hin und her zu rennen, um seine aufgebaute Energie abzuwetzen.
 

„Und mit was?“
 

„Eine Diskette. Eine ganz normale, beschissene Diskette. Ich habe sie nicht geprüft, warum denn auch, wenn sie von demjenigen kommt, auf den ich schon seit Tagen warte. Ich lege sie also ins Laufwerk und klicke auf Öffnen und ‚puff‘ alles weg. Die ganzen Daten zu dem Fall. Die Aufzeichnungen, die ich für wichtig hielt, alle meine Gedanken, meine Fortschritte und so... alles weg.“
 

Dee winkte Chris zu sich.
 

„Selbst ich mach mir Sicherheitskopien... von meinen Sachen. Warum...“
 

„Was murmelst du da, MacLane?“ fauchte Jim und stieß Chris unliebsam zur Seite.
 

„Sicherheitskopien... Oh Mann!“ schrie Cambel auf und schlug sich gegen die Stirn. „Die hatte ich total in dem Chaos vergessen. Ich könnte dich echt knutschen. Danke, Dee! Du hast was gut bei mir,“ grinste Jim.
 

„Das heißt dann wohl, dass der ganze Aufwand umsonst war. Für den Bomber springt dabei nichts raus?“ fragte Dee nach, der das so nicht glauben wollte. Irgend etwas musste dieser Spinner damit bezweckt haben.
 

„Nein, so würde ich es nicht sagen. Einige meiner Aufzeichnungen sind nur da drin, oder waren da drin. Einige waren sogar wichtig, Datenabläufe der Bomben vom Chamer zum Beispiel. Nachforschungen über die bekannten Täter, die sich mit Sprengstoff auskennen, oder die mit Hoch-Tieffrequenzen arbeiten. Aber das lässt sich erneut nachprüfen. Schade ist nur, dass deswegen ein weiteres Leben von diesem ignoranten Bombenleger ausgelöscht wurde,“ jammerte Cambel weiter.
 

„Wir fahren nach Queens und sprechen mit dem Leiter dort. Vielleicht hat er ja jemanden gesehen. Oder die Eltern des Jungen wissen was. Auf alle Fälle werden wir dieser Spur nachgehen,“ erklärte Dee und steckte sein Notizbuch ein. Winkte Chris zu, dass er ihm folgen sollte und gemeinsam verließen sie bereits das Revier, ohne sich in ihr Büro begeben zu haben.
 

~~~~ Black’s ~ Irgendwo in Manhattan ~~~~
 

Aaron lehnte sich zurück in seinen Sessel und konnte sich nicht auf die Arbeit konzentrieren. Er hoffte, dass er diesmal wenigstens alles richtig gemacht hatte. Den Brief hatte er schon lange bei sich getragen. Schon als er den Ring erhielt, und das war geschlagene zehn Tage her.
 

Er dachte zurück an den Tag und überlegte, ob es besser gewesen wäre, wenn er Dee gleich den Umschlag mit Inhalt überreicht hätte. Doch er kam genauso wie damals zu dem Entschluss, dass sich nichts geändert hätte. Weder für ihn, noch für den Rest. Das einzigste, was passiert wäre, wäre der Verlust der Trauer gewesen. Oh ja, er konnte sich sehr wohl daran erinnern, wie Dee vor dem Basra zusammengebrochen war. Seine Worte hallten ihm noch im Ohr. Und als dann der Anruf kam, ahnte er, dass es eine Chance wäre, den Bomber zu fassen. Und er blieb dabei, egal was die anderen sagten. Das Gespräch gestern abend war trotz heftiger Worte von dem anderen zu seiner Zufriedenheit verlaufen. Nun würde er warten müssen, was daraus wurde und ob Dee sich dazu bereit erklärte, mitzuspielen. Denn ohne ihn konnte er alles vergessen.
 

„Einen Kaffee, Schatz?“ hörte er hinter sich die Stimme seines Geliebten.
 

„Danke, das wäre nett von dir,“ sagte er schlicht, streckte seine Arme nach Mick aus und zog ihn einfach zu sich auf den Schoß. Eigentlich trennte er strikt Geschäft und Privatleben. Aber heute wollte er einfach mal eine Ausnahme machen.
 

„Wegen gestern... du hattest Recht.“ Sanft strich er mit der Fingerkuppe über Micks Lippe.
 

„Ich kann dich ja verstehen, Aaron. Aber ich konnte es nicht länger tolerieren. Versteh mich doch, und auch... Ich weiß. Ich werde nichts sagen. Ich liebe dich, weißt du das eigentlich?“
 

„Ja, sonst wärst du wahrscheinlich schon längst nicht mehr bei einem sturen Bock wie mir,“ lächelte er ihn zärtlich an.
 

~~~~ Crime Institute ~~~~
 

Die beiden Cops gingen im Gleichschritt über den kahlen, kühlen Flur. Obwohl die Sonne durch die Fenster hineinschien, war es hier um mindestens 5 Grad kühler als draußen. Ihre Schritte hallten über den ruhigen Gang bis sie schließlich bei der Tür angelangt waren, die ihnen von einer netten jungen Dame beschrieben worden war.

MacLane klopfte an und öffnete gleich darauf die Tür.
 

„Doktor McBride?“ fragte er in den Raum und folgte seiner Stimme hinein, dicht gefolgt von Jackson, der sich ebenfalls sofort umschaute.
 

„Hier hinten. Einen Moment bitte,“ erklang es aus einem der diversen Gänge, die zu verschieden hohen Regalen führten.
 

Nach nur wenigen Augenblicken tauchte ein großer, schlanker, fast kahlköpfiger Herr aus einem der Gänge auf und blickte die Cops an.
 

„MacLane und Jackson. NYPD. Wir kommen wegen einem Ihrer Studenten, der gestern in Ihrem Auftrag eine Diskette zu Jim Cambel gebracht hat,“ erklärte Dee und zückte genauso wie Chris seine Dienstmarke.
 

„Brian Miltner. Er war so ein begnadeter Analytiker. Hätte es sogar zum Profiler schaffen können... und dann Selbstmord...“
 

„Können Sie uns sagen, warum er Selbstmord begangen haben könnte?“ fragte Dee und zückte erneut sein Notizbuch.
 

„Nein. Brian war immer ein ruhiger, ausgeglichener Charakter. Selten brachte ihn etwas auf die Palme, oder nur aus der Ruhe. Als er gestern Mittag seinen Kaffee über die Diskette von Cambel schüttete, war er total erledigt. Ich erklärte ihm gleich, dass es nicht so schlimm sei. Ein Anruf würde genügen, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Da verhielt er sich schon ein wenig merkwürdig. Sagte etwas von... warten Sie... Ach ja... So was wie, es tut mir leid, ich liebe meine Schwester... und dann ging er. Ich habe mir dabei nichts gedacht. Aber nun...“ McBride strich sich über seinen kahlen Schädel und blickte die Cops an. „... Jim hat doch mit Sicherheit nicht alle seine Sachen verloren. Immerhin habe ich ihm immer geraten, von wichtigen Sachen immer ein Backup zu machen.“
 

„Tut mir leid, aber dazu dürfen wir nichts sagen. Das verstehen Sie sicherlich, Doktor McBride,“ erklärte Chris und sah sich ein wenig in dem dämmrigen Büro um.
 

„Können Sie sich vorstellen, dass Brian erpresst wurde? Dass er seinen Kaffee absichtlich über diese Diskette geschüttet hat, dass er eine andere im Auftrag seines Erpressers zum 27. Revier gebracht hat und sich dann selbst das Leben nahm? Haben Sie da eventuell etwas gesehen? Einen Mann, oder haben Sie eine Notiz gefunden, einen Anruf... irgend etwas, was uns in diesem Fall weiter bringen könnte?“
 

„Nein, tut mir leid. Wie gesagt, bis gestern verhielt er sich ganz normal. Das ganze fing erst mit dem Kaffee an.“
 

„Wissen Sie, wie man eine Diskettenbombe baut?“ hörte man die Stimme von Chris aus einem der Gänge erschallen, und er selbst tauchte auch gleich darauf auf.
 

„Ich? Nun, dass ist nicht so schwer, wie es sich anhört. Es gehört lediglich ein wenig Fingerfertigkeit dazu. Und als Bombe würde ich es auch nicht gerade bezeichnen. Man zerstört einen Rechner, in dem die Diskette geladen werden soll. Ansonsten ist sie unscheinbar und ungefährlich.“
 

„Sie meinen, dass Sie durch das Aufrufen der Daten zur Explosion gebracht wird?“ verdeutlichtes Chris es nochmals.
 

„Ja.“
 

„Was braucht man dazu, um so etwas zu bauen?“
 

„Nichts ungewöhnliches. Das meiste hat man im Haus. Abgeriebener Kopf eines Streichholzes und ein wenig Nagelhärter oder Lack. Natürlich dann auch eine handelsübliche Diskette. Das wäre auch schon alles.“
 

(Wie sie gebaut wird, werde ich natürlich hier nicht schreiben, ist jedoch theoretisch möglich... tut mir nur den Gefallen und macht keine. So ein Rechner ist teuer und Reparatur scheidet aus. Der ist auf alle Fälle hin!!!!!)
 

„Mehr braucht man nicht?“ wunderte sich Dee. Hatte er doch erneut mit einer Ladung C4 gerechnet. Aber nur Streichhölzer sollten so ein Werk verrichten? Anderseits, wie sollte man eine Packung C4 auf eine Diskette bekommen.
 

„Wohnen Brians Eltern hier in der Nähe?“ fragte Chris und beendete somit das Disketten-Bomben-Gespräch.
 

„So viel ich weiß, leben seine Eltern nicht mehr. Brian lebte in einem Waisenhaus. Das ‚St. Joseph‘, nur einige Straßenzüge weiter.“
 

„Danke. Doktor. Sie haben uns sehr geholfen. Wenn wir noch Fragen haben, dürfen wir uns doch vertrauensvoll an Sie wenden?“ beendete Dee das Gespräch auf seine übliche Art und Weise.
 

Nachdem McBride zugestimmt hatte, verließen sie den leicht staubig und muffig riechenden Raum und dann auch das Institut.
 


 

Vor dem Wagen blieb Dee stehen und wartete auf Chris.
 

„Du wolltest, dass ich mit dir rede. Also, was denkst du darüber?“
 

„Das ganze stinkt. Ein Junge, Waise, wird dazu genötigt, diese Tat zu begehen. Der Bomber bedroht Brian mit dem Leben seiner Schwester. Ob sie nun seine leibliche oder eine vom Heim ist, lassen wir mal außer acht. Dann zwingt er ihn zu springen. Nein, ich glaube, da würde er sich wehren. Er bekommt also nach und nach seine Aufträge. Er muss dem Kerl entweder seine Handynummer gegeben haben, oder der Bomber taucht persönlich auf. Zwingt ihn zu den Taten und schubst Brian dann selber vom Dach, damit dieser ihn nicht identifizieren kann. Deswegen also die längere Pause zwischen den Bomben. Er hat sich sein Opfer gezielt ausgesucht.“
 

Dee nickte bei Chris’ Worten hin und wieder. Dann lauschte er eine Weile, wie er es sich in den letzten Tagen zur Angewohnheit gemacht hatte.
 

„Du bist gut. Vielleicht hätte ich doch schon vorher mit dir reden sollen. Egal. Wir müssen mit den Kids im ‚St. Joseph‘ reden. Dann zurück. Ich habe heute abend noch was vor.“

„Soll ich mitkommen?“
 

„Nein.“
 

„Auf alle Fälle werde ich in der Nähe der Sauna sein,“ sagte Chris.
 

„Du... du hast es gewusst?“ kam es überrascht von Dee, der sich rasch umdrehte und Chris nicht nur wild anfunkelte, sondern ihn mit dem Rücken gegen den Wagen stieß. „Rede...“ knurrte der dunkelhaarige Witwer gereizt seinen neuen Partner an.
 

Chris biss sich auf die Unterlippe. Es war nicht seine Absicht gewesen, sich zu verraten, aber sein Mundwerk war nun mal ein wenig schneller als seine Gedanken. Das war schon immer sein Problem gewesen. Er wehrte sich nicht gegen Dees Behandlung, warum denn auch, schließlich hatte er diese selbst provoziert.
 

„Nicht direkt. Wenn Ross erfährt, dass ich eigentlich zu Black gehöre, feuert er mich.“
 

„Warum bist du hier?“
 

„Warum? Muss ich das wirklich erklären? Aber gut. Black hatte Angst, dass du dir was antun könntest. Deswegen wollte er jemanden, dem er vertraut, in deine Nähe bringen. Da ich auch ein alter Bekannter von Barclay bin, hat er mich ausgewählt. Eigentlich bin ich so was wie ein freiberuflicher Agent. Ich arbeite sowohl für das FBI als auch für CIA, NSA, selbst der Secret Service hat meine Wenigkeit schon gebucht. Ich kenne Ross, um deiner Frage zuvorzukommen, von der Polizeischule. Wir waren mal zusammen. Was Black betrifft, werde ich mich jedoch in Schweigen hüllen. Ich weiß nur, dass er dir heute morgen etwas gegeben hat und dass du heute abend in die Sauna gehst. Offiziell, um Druck abzulassen. Schließlich bist du ein Kerl. Ich habe keine Ahnung, wen du da triffst. Ich möchte dir nur Rückendeckung geben,“ beendete Chris seinen langen Monolog und hoffte, dass das wenige Vertrauen, dass er inzwischen zwischen ihnen aufgebaut hatte, nun nicht endgültig vernichtet hatte.
 

Dee stieß ihn erneut gegen den Wagen, wandte sich dann jedoch vorerst kommentarlos um, so als brauchte er Zeit, Zeit zum Nachdenken.
 

Mit gesenktem Kopf stand Chris am Wagen und sah Dee ebenso schweigend hinterher, hoffend, dass er wirklich nichts zerstört hatte. Er wartete auf Dee’s Urteil und das kam überraschend mit einer Frage.
 

„Der Brief heute morgen. Er trug Ryo’s Handschrift. Was weißt du darüber?“
 

„Ryo’s?? Du meinst DEM Ryo??“ Man konnte förmlich sehen, wie sich Fragezeichen auf Chris’ Gesicht ausbreiteten, als er seinen Kopf abrupt hob und Dee’s Rücken anstarrte. „Nein, das kann nicht... Ich dachte er wäre... tot?!“ Nachdenklich hob Chris eine Hand und strich sich damit über sein Kinn. „Du musst mir glauben, Dee. Ich habe damit wirklich nichts zu tun. Ich weiß nur, dass Black irgendwas in der Hinterhand zurückhält, deswegen bin ich eigentlich auch nur auf den Deal hier mit dir eingestiegen. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Ryo noch lebt?“
 

„Und wenn es wahr ist?“ Fragend drehte sich Dee zu Chris herum, seine Wangenmuskeln zuckten unter der inneren Anspannung hektisch.
 

„Goddamn! Verrenn dich nicht, Dee. Ich weiß nicht, was Black damit bezweckt, aber ich bitte dich, verrenn dich nicht in dieser Hoffnung. Was ist, wenn er dich reingelegt hat. Wenn er...“
 

„Nein. Ich kenne seine Schrift. Schluss jetzt. Das werde ich nachher sehen. Zuerst fahren wir jetzt ins ‚St. Joseph‘ und reden mit der Schwester von Brian,“ würgte Dee kurzerhand den sinnlosen Disput ab. Alles würde sich nachher in der Sauna entscheiden.

Erneut stieg er auf der Beifahrerseite ein und ließ seine Gedanken schweifen. Gab Chris somit gleich zu verstehen, dass er nicht in der Laune zu einem Gespräch war.
 

Im St. Joseph angekommen gingen die beiden Cops schweigend nebeneinander her zum Eingang. Dort trafen sie auf eine ältere Nonne und diese führte sie, nachdem sie sich ausgewiesen hatten, zur Oberin, die sich als Schwester Maria Teresia vorstellte.

„Es geht um den Unfall von Brian, nicht wahr, meine Herren?“ fragte sie die Cops, nachdem sie ihnen einen Platz angeboten hatte.
 

„Sie glauben also nicht an Selbstmord, Schwester?“ fragte Dee, überrascht, dass selbst hier in diesem Heim Zweifel aufgekommen waren.
 

„Nein. Brian war ein aufgeweckter junger Mann. Er liebte das Leben viel zu sehr, um es so einfach wegzuwerfen. Nein. Selbstmord halte ich für ausgeschlossen, allerdings gibt es im Leben jedes Menschen einmal die Zeit der Zweifel. Was mich zu dieser Aussage bewegt, werden Sie sich fragen. Es gab keine Anzeichen dafür. Ein Tag vor diesem Unglück kam er zu mir und sagte, dass ich mich um seine Schwester kümmern soll. Er habe da ein merkwürdiges Gefühl und er wollte einfach sicher gehen, dass seine Schwester hier gut versorgt bleibt.“
 

„Sonst hat er nichts gesagt?“ fragte Dee auch gleich nach.
 

„Nein... Doch, warten Sie. Er erwähnte, dass er für einen Mann einen Auftrag erledigen sollte, nichts ungewöhnliches an dem Institut. Aber Brian meinte, damit könnte er die Zukunft seiner Schwester sichern. Das machte mich dann doch ein wenig nachdenklich, aber weiter wollte er sich nicht dazu äußern.“
 

„Sie habe auch keine Ahnung, wer dieser Mann war, oder ob er im Institut arbeitet?“ stellte Dee seine nächste Frage.
 

„So viel, wie er gesagt hatte, kam er nicht von dort. Weil die Arbeiten, die Brian dort verrichtet hatte, nie besonders gut honoriert worden waren. Nein, es muss einer von außerhalb gewesen sein.“
 

„Schien er Ihnen irgendwie nervös?“ erklang zum ersten Mal Chris’ Stimme bei dem Gespräch.
 

Die Nonne richtete ihren Blick deswegen auch auf den Weißhaarigen.
 

„Wie gesagt, am Tag unseres Gesprächs, nein. Er schien sich eher darüber zu freuen, doch am Tag des Unglücks war er kurz vor Mittag hier und hatte ein langes Gespräch mit seiner Schwester. Als er sich dann von ihr abwandte, klammerte sie sich an ihn und er musste sie mit Gewalt von sich lösen. Als ich hinzukam, sah er mich mit Tränen in den Augen an, übergab mir seine Schwester und murmelte nur ‚Passen Sie auf sie auf‘, dann ging er. Das nächste, was wir von ihm hörten, war, dass er sich vom Institutdach gestürzt haben soll.“
 

„Könnten wir kurz mit seiner Schwester reden?“ fragte Chris und machte sich eifrig Notizen.
 

„Sie liegt im Moment im Krankenhaus. Sie erlitt einen Schock und ich möchte sie wirklich nur ungern erneut damit belasten.“
 

„Das verstehen wir, Schwester Maria Teresia. Dennoch, vielleicht kann sie uns zu demjenigen führen, der ihrem Bruder das angetan hat.“
 

Chris warf Dee bei diesem Satz einen entsetzten Blick zu, denn Dee hatte nichts anderes getan als die Vermutung der Nonne zu untermauern, dass Brian ermordet wurde.

„Ich kann Ihnen versichern, dass sie nichts über diesen Mann weiß. Ich sprach bereits mit ihr und sie verneinte. Sie gab nur preis, dass ihr Bruder sie beschützen würde. Und sie solle ihm nicht böse sein für das, was er tat.“
 

„Gut. Dann lassen wir es sein. Ich werde ihre Aussage nicht anzweifeln.“ Dee erhob sich und gab der Schwester Oberin seine Hand. „Ich danke Ihnen für die Zeit, die Sie uns gewidmet haben. Wenn Brians Schwester noch etwas einfallen sollte, melden Sie sich bitte bei mir.“ Dee reichte ihr seine Karte und nickte ihr nochmals freundlich zu, bevor er und Chris das Zimmer und kurz darauf das St. Joseph verließen.
 

Auf dem Rückweg saß Dee wieder einmal als Beifahrer, zückte seinen Notizblock und ging Punkt für Punkt nochmals durch.
 

„Nichts. Wir haben keinen Anhaltspunkt. Wir sind genauso weit wie vorher auch.“ Ärgerlich fuhr sich Dee durch sein dunkles Haar und seufzte. Wieder war nichts dabei herausgekommen. Dabei hatte er sich schon Hoffnung gemacht, endlich einen Schritt vorwärts zu kommen.
 

„Das sehe ich anders,“ warf Chris in den sonst stillen Wagen ein und erhielt prompt Dee’s Aufmerksamkeit.
 

„Wie meinst du das?“
 

„Wir sind doch etwas vorangekommen. Wir haben immer gedacht, dass er die Ziele wahllos ausgesucht hat, aber das scheint nicht zu stimmen. Irgendwo muss eine Verbindung sein, Dee. Irgendwo ist das fehlende Teil, das alles klarer sehen lässt. Wir haben es vor Augen, aber wir sehen es nicht. Du kennst die Sachlage länger als ich, was verbindet alles?“
 

Für seine Äußerung erhielt er einen nachdenklichen Blick von Dee, der auch gleich ins Grübeln verfiel.
 

„Chamer, B & B, Basra und Brian. Lassen wir mal außer acht, dass die letzten mit ‚B‘ Anfangen, was ja auf das erste Ziel nicht zutrifft...“ holte Chris die Tatorte aus seinem Gedächtnis und schleuderte sie förmlich ins Wageninnere.
 

„Worauf willst du hinaus? Was siehst, oder weißt du, was ich nicht sehe?“
 

„Dich! Dee! Ich sehe dich!!“
 

„MICH?!?“
 

Chris hielt den Wagen vor dem Apartmentgebäude der MacLane’s an. Schließlich hatten sie schon fast Feierabend und Dee hatte ja in einer Stunde sein Treffen mit dem unbekannten Mann im Tropical, der Ryo’s Handschrift nachmachen konnte.

„Genau! Aber ich glaube, du solltest dich fertig machen und denjenigen zur Strecke bringen, der dir den Brief untergejubelt hat. Ich möchte dir ja nicht die Hoffnung verderben, Dee, aber aus so einer Feuerhölle zu entkommen ist nicht so leicht.“
 

„Ich weiß. Aber die Hoffnung ist nun mal da. Begleite mich, dann kannst du mir auch erklären, was du mit deiner Äußerung gemeint hast.“
 

„Gut. Wenn du willst. Dann bin ich in einer Stunde wieder hier,“ erklärte Chris sich bereit, Dee in diesem Fall ebenfalls Rückendeckung zu geben.
 

**** TBC

Samstag - 24. Juni - Abends

~~~~ Tropical ~~~~
 

Schweigend hatten sie den Weg zur Sauna in Chris’ Wagen zurückgelegt. Nachdem er wirklich einen Parkplatz im Parkhaus gefunden hatte, gingen sie gemeinsam in die überall bekannte Sauna.

Sie nahmen sich zwei Kabinen und überlegten anschließend, beide nur noch mit einem Handtuch bekleidet, ob sie die Dienste der Masseure annehmen wollten oder nicht.
 

Dee verneinte. Er wollte so schnell wie möglich Klarheit darüber erlangen, wer ihm diesen Brief und dazu den Hochzeitsring von Ryo geschickt hatte. Black zu fragen fand er unter seiner Würde und auch die Frage, die Chris vorhin aufgeworfen hatte, brauchte noch eine Beantwortung, doch er war so hibbelig, dass er nicht länger warten wollte.
 

„Ich bin in der Sauna und anschließend hier beim Masseur, wenn was ist, weißt du, wo du mich findest,“ erklärte Chris und klopfte Dee aufmunternd auf die Schulter.
 

Dieser nickte nur und ging dann einige Treppen hinab.
 

Schwüle Hitze empfing Dee in den tieferen Gängen. Rechts und links waren meist verschlossene Türen. Er wusste, dass er die mittlere Tür auf der linken Seite nehmen sollte, doch er wollte sich erst umsehen, ob nicht doch ein Scherz dahinter steckte. Wenn auch höchst makaber. Aber er wollte erst eine Runde drehen.
 

So ließ er die Türen Türen sein und ging geradeaus weiter. Dampf hüllte alles leicht ein.

Überall ständen Männer, alleine, paarweise oder zu mehrt. Einige ließen sich gerade einen blasen, andere hatten Sex. Doch die meisten standen nur eng beieinander und schmusten. Tasteten sich ab, ob es sich lohnte, weiter zu gehen. Doch alle, die er erblickte oder Interesse an ihm zeigten, kannte er zwar, doch keinem von ihnen konnte er Rache oder Intrigen vorwerfen. Das einzigste, was ihn noch ein wenig mehr verunsicherte, waren die meist abschätzenden Blicke. Den hinteren Teil der großen Sauna ließ er aus. Dort wurde nur harter Sex betrieben. Unerkannt im Darkroom. Dort würde er sowieso nichts sehen.
 

Nach Beendigung seiner Runde steuerte er die mittlere Tür an. Kurz zögerte er noch einmal und öffnete die Tür dann rasch, trat ein und schloss sie hinter sich, und erst als die Tür mit einem leisen ‚klick’ hinter ihm einrastete, hob er den Blick.
 

„...phaa...“ ein Keuchen kam aus seinem weit offenen Mund, bevor ihn Arme am Absacken hinderten und er an einen Körper gezogen wurde, der ihn niemals loslassen würde.
 

„Dee...“ war alles, was er vernahm, als auch schon seine Lippen verschlossen wurden und ein nicht enden wollender Kuss getauscht wurde.
 

Nach sagenumwobenen Minuten trennten sie sich wieder und Dee konnte es nicht wirklich glauben. Da stand er, direkt vor ihm und dennoch ein Anblick, den er sich seit Wochen gewünscht hatte.
 

„Ryo!? Wie...“ So viele Fragen brannten in ihm, und er konnte sie jetzt nicht einfach so aussprechen. Zaghaft hob er seine Hand und berührte die glatte Haut von Ryo’s Gesicht. So als ob er sich wirklich davon überzeugen musste, dass sein Mann direkt vor ihm stand. Lebte!
 

„Dee... Ich lebe. Gott, wenn es nach mir gegangen wäre, wäre es anders gelaufen. Es tut mir so leid, aber er wollte das.“
 

„WER?“ brachte Dee gerade heraus, bevor er an Ryo gelehnt auf das Bett sackte, die Arme aber nicht von ihm löste. Eigentlich brauchte er nicht zu fragen, er ahnte die Antwort, die er auch prompt von seinem tot geglaubten Ehemann erfuhr.
 

„Black. Ich weiß nicht, wie er an dein Handy... Dee? Hörst du mir zu?“
 

„Ich... ich kann es einfach noch nicht glauben. Sara?!“
 

„Sie ist okay. Alle sind in Ordnung. Max und auch Tony. Es war knapp, aber wir haben es geschafft. Sie lebt. Dee... Ich wusste, dass es falsch war. Ich hätte nicht auf ihn hören dürfen...“ machte Ryo sich selbst schwere Vorwürfe, während er die tastenden Hände von Dee fast überall auf sich spürte.

Als sich diese jedoch auf seinen Rücken verirrten, zuckte er merklich zusammen. Die Tage seit der Explosion hatten zwar einen Teil der Wunden verheilen lassen, aber noch immer war eine tiefe Wunde da, die noch nicht verheilt war und eine hässliche Narbe hinterlassen würde.
 

„Ryo?“
 

„Es ist nicht mehr so schlimm...“ versuchte er auch gleich, Dee’s ängstlichen Ausruf zu beruhigen.
 

„Halt mich einfach nur fest. Du hast mir so gefehlt!“
 

„...ich... Damn... ich...“
 

„Sht... ich bin bei dir, Dee.“
 

Der Dunkelhaarige konnte nicht länger und seine so lange ungeweinten oder im geheimen vergossenen Tränen bahnten sich ihren Weg in die Freiheit. Fest klammerte er sich an seinen Ehemann. Wusste, dass Ryo ihn auffangen würde, wenn er sich beruhigt hatte. Der Hellhaarige legte seine Arme fest um ihn und ließ ihm die Zeit, und verwünschte Blacks Überredungskünste. Er hätte niemals zustimmen sollen. Nur die Gewissheit, mit der Black ihm zugesichert hatte, dass Dee sich nichts antun würde, hatte ihn schließlich zustimmen lassen, und zu was hatte das alles geführt? Diese zwei Wochen waren für sie beide die Hölle gewesen und dem Bomber waren sie dennoch kein Stück näher gekommen.
 

Nach einer Viertelstunde hatte Dee sich so weit wieder gefasst, dass er sein Gesicht anhob und seinen Ehemann zum ersten Mal wirklich wahrnahm.
 

„Tu mir das nicht noch einmal an,“ sagte er mit noch immer ergriffener Stimme, die schwer von Tränen untermalt war.
 

„Ich verspreche es dir.“
 

„Erzählst du mir, was passiert ist?“
 

„Jetzt?“
 

„Wenn ich das bisher richtig zusammensetze, wirst du wohl nicht wieder so plötzlich auftauchen und mit in unsere Wohnung kommen. Du hast das Tropical mit Absicht gewählt, damit wir uns ungestört treffen und reden können. Das heißt meiner Meinung nach, dass du weiterhin im Untergrund bleiben möchtest?“
 

Ein leichtes Lächeln zeigte sich auf Ryo’s Lippen. „Dir kann man halt nichts verheimlichen. Ich glaube, ich fange ganz von vorne an...“
 

<<<Flashback>>>
 

Ryo rannte über die Straße zum Basra. Drehte sich nochmals zu Dee um und warf ihm eine Kusshand zu, die dieser auch keck einfing. Fröhlich grinsend betrat er das Lokal und schon fand er sich Max gegenüber, der ihm leicht auf die Schulter schlug.
 

„Deine Tochter ist ein ganz wildes Ding. Wenn du da nicht bald... was ist das denn?“ unterbrach sich der Koch des Hauses und wollte nach der Tasche neben dem Eingang greifen.
 

„WARTE!“ rief Ryo und ihn überlief ein eisiger Schauer. „SARA! TONY!“ brüllte er auch schon die Treppe hinauf, drehte sich zu Max um. „Raus hier... durch die Hintertür... rasch,“ befahl er und rief erneut nach seiner Tochter, wollte gerade hinaufrennen, als er die beiden oben auf der Treppe erkannte. Er griff ohne lange zu zögern nach seiner Tochter und versuchte ruhig zu bleiben, als er Tony sagte, dass sie sofort hier raus müssten.
 

Obwohl dieser ihn ahnungslos anstarrte, tat er, was Ryo ihm sagte, nahm die Beine in die Hand und rannte, dicht gefolgt von Ryo, der Sara auf dem Arm trug, zur Hintertür. Kaum hatten sie diese passiert, explodierte hinter ihnen die Hölle. Durch die Druckwelle wurden sie gut 10 Meter nach vorne geschleudert. Sara weinte und Max nahm sie in die Arme, um sie zu beruhigen. Tony rappelte sich auf und sah, dass Ryo sie alle geschützt und somit vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Doch als Strafe oder als Buße, ganz egal wie man es sehen wollte, hatte sich der Hellhaarige den Rücken verbrannt und das sehr übel, wie Tony rasch bemerkte.
 

Obwohl er wusste, dass Dee vor dem Basra war, zögerte er keinen Augenblick und brachte Ryo zu seinem Hausarzt, der nur einige Blocks um die Ecke wohnte. Diesem war es dann auch zu verdanken, dass die Wunden gleich fachmännisch verbunden und versorgt worden waren. Ansonsten hätte es schlimm ausgehen können.
 

Erst Stunden später war Ryo wieder zu Bewusstsein gekommen. Das erste, was er wahrnahm, war seine weinende Tochter, die sich fest an Max klammerte und immer wieder leise wimmerte.
 

„Sara!“ brachte er mit spröder Stimme, die er nur schwer als seine eigene erkannte, heraus.
 

„Daddy!“ schluchzte Sara auf und krabbelte von Max’ Schoß und zu Ryo auf die Liege, auf der er lag, und kuschelte sich an ihn.

Obwohl der Arzt ihr klar gemacht hatte, dass sie vorsichtig sein sollte, verursachte sie ihm ein wenig Schmerzen. Doch Ryo war nur froh, sie unverletzt zu erblicken.
 

„Sara!“ lächelte er sie beruhigend an. Legte einen Arm um seine Tochter und strich ihr beruhigend über den Schopf. „Schon gut, Nikkô. Daddy fühlt sich nur ein wenig müde,“ erklärte er ihr ruhig und warf dann einen Blick auf den hereinkommenden Arzt. Tony, der ihn begleitete, ging zu Sara und wollte sie von der Liege nehmen, doch Ryo schüttelte den Kopf. „Lass sie... es geht schon.“
 

„Wie du meinst. Aber überanstrenge dich nicht,“ warf Tony ein und ging zu dem Arzt, der dann mit seiner Erklärung begann.
 

„Mr. MacLane, Sie haben schwere Verbrennungen am Rücken. Aber in Anbetracht dessen, was hätte passieren können, wenn Sie nur eine Sekunde später das Lokal verlassen hätten, muss man eher sagen, dass Sie wirklich Glück hatten.“
 

Ahnungslos blickte er den Arzt an. Er konnte sich nur noch daran erinnern, dass etwas Heißes seinen Rücken getroffen hatte, danach fehlten ihm einige Augenblicke, bis er hier wieder aufgewacht war.
 

„Das Basra ist in die Luft geflogen. Dieser Mistkerl hat meinen Laden hochgejagt,“ erklang die wütende Stimme von Tony, dem man seine Ungehaltenheit anhören konnte. Nicht nur sein Lokal war hin, alles, was er sich aufgebaut hatte, sondern auch sein Lebensinhalt, wenn man es genau betrachtete. Aber er war dennoch froh, dass er sein Leben noch hatte, und das verdankte er einzig Ryo.
 

„Danke, Mann! Ich schulde dir wirklich was,“ warf er dann etwas ruhiger und gefasster ein und legte fürsorglich die Hand auf Ryo’s Schulter, die er gleich zurücknahm, als er sah, wie dieser zusammenzuckte.
 

„Doc. Wenn mein Rücken verbrannt ist... wieso spüre ich im Moment keinen Schmerz?“
 

„Dazu wollte ich gerade kommen, Mr. MacLane. Zum einen habe ich die stark betroffenen Partien mit einem Schmerzblocker versehen, der in 24 Stunden seine Wirkung verliert, doch bis dahin ist die erste Hautschicht bereits nachgewachsen. Zum anderen liegen Sie auf einer Kühlplatte, die Ihre Haut zur Regeneration anregt und Ihnen auch durch das kühle Gel den brennenden Effekt nimmt. Eine Wunde jedoch wird länger benötigen. Dort hat sie wohl ein Splitter gestreift und ziemlich tief aufgerissen. Trotz allem, was in meiner Macht steht, werde ich es nicht verhindern können, dass Sie eine Narbe zurückbehalten. Alles andere sind zwar Verbrennungen zweiten bis dritten Grades, aber wie gesagt, durch das regenerierende Gel werden dort nur wenig oder keine sichtbaren Spuren zurück bleiben.“
 

Der Arzt verstummte und sah Ryo an, um auf mögliche Fragen gleich reagieren zu können.
 

„Dee?“ stellte er die für ihn so wichtige Frage.
 

Der Arzt sah von Ryo zu Tony und dann wieder zurück und zuckte mit der Schulter.
 

„Ich habe auf seinem Handy angerufen, aber noch keine Rückmeldung erhalten,“ sagte Tony und reichte Ryo sein Mobiltelefon zurück.
 

„Er weiß also nicht, wo ich bin? Er wird sich Sorgen machen... Gott, er war vor dem Basra, als es hochging... Wir müssen ihn erreichen...“ Sorge malte sich auf Ryo’s Gesicht aus, doch als er sich hochstemmen wollte, wurde er sowohl von Tony als auch von dem Arzt daran gehindert.
 

„Sie bleiben die nächsten 24 Stunden da liegen und rühren sich nicht, Mister... Sonst binde ich Sie fest,“ stellte der Arzt mit ernsthafter Stimme fest und ließ keinen Zweifel daran, dass er seinen Worten auch Taten folgen lassen würde.
 

„Tony! Du musst ihn erreichen.“ Man konnte wirklich die Panik in Ryo’s Stimme hören. Allen war klar, dass er sich nicht zu Unrecht Sorgen um seinen Ehemann machte und nun fiel auch Tony Steve ein. Er hatte ihn wirklich in dem ganzen Durcheinander vergessen. Doch als er von dem Festnetzanschluss des Arztes seinen Freund erreichen wollte, erhielt er nur die Nachricht, dass der Teilnehmer im Moment nicht zu erreichen sei. Ryo hatte Recht. Sie mussten die anderen erreichen.

Sara war inzwischen an Ryo’s Schulter eingeschlafen und auch ihn übermannte die Müdigkeit. Erneut griff er nach dem Handy und drückte nur eine Ziffer, hielt es sich dann ans Ohr, lauschte auf das Freizeichen und atmete erleichtert auf, als schließlich abgenommen wurde.
 

„Dee! Ich bin okay... ich melde mich wieder. Ich liebe dich!“

Dann sackte Ryo in den bereits zurückgehaltenen Schlaf. So lange hatte er in der körperlichen und auch geistigen Erschöpfung verharrt, bis er Dee ein Lebenszeichen gegeben hatte. Nun forderte sein Körper sein Recht.
 

Als Ryo wieder erwachte, war Sara aus seinem Arm verschwunden. Inzwischen fühlte er das kühle Gel deutlicher an seinem Rücken, wohl ein Zeichen, dass der verabreichte Schmerzblocker bald seine Wirkung verlieren würde. Ryo hatte eigentlich keine Probleme mit Schmerzen, seine Grenze lag da ziemlich hoch, doch als das Mittel schließlich aufhörte, war er wirklich froh über das kühlende Gel. Hauptsächlich der angesprochenen tiefe Schnitt brannte wortwörtlich wie Feuer. Doch die Nähe und das Lächeln von Sara milderten die Schmerzen in seinem Inneren und die Gewissheit, dass sein Mann wusste, dass er lebte, ließ Ryo ruhiger werden.

Die nächsten Stunden verbrachte er zwischen Wachen und Schlafen. Ein Tropf an ihm ließ beständig Flüssigkeit in ihn rinnen und der Arzt verlangte weiterhin, dass er liegen bleiben musste. Doch in seinem eigenen Interesse befolgte Ryo einmal, was ein Arzt ihm riet.

Als Ryo das nächste Mal erwachte, sah er einen alten Bekannten neben sich sitzen.
 

„Mick?“ erklang es fragend von Ryo.
 

„Wie geht’s?“
 

„Na ja, ging mir schon besser. Was macht Dee? Ist er verletzt? Warum ist er nicht selbst gekommen?“
 

„Ich... ich weiß nicht. Nein, reg dich nur nicht auf. Dee geht’s gut. Er hat nur einen Schock und ist im Moment ruhig gestellt. Ich... glaub mir, Ryo. Mir gefällt das nicht, aber...“
 

„Aber was?“ unterbrach Ryo den Dunkelhäutigen und ahnte schlimmes.
 

„Das fällt nicht in mein Ressort. Das soll dir Black selbst erklären. Wie lange wirst du noch liegen müssen? Dein Arzt hier wollte mir nichts sagen.“
 

„Mick! Sag mir, was los ist,“ forderte Ryo mit verlangender Stimme.
 

„Ich hab deinen Anruf entgegen genommen. Dee weiß nicht, dass du noch lebst, und Black möchte, dass es noch so bleibt. Frag mich nicht, warum. Aber er hat einen Plan, wie er mir gesagt hat.“
 

„Dee weiß nicht... Was soll das?“ Wenn Ryo die Kraft gehabt hätte, sich auf den anderen zu stürzen, dann hätte er es getan, so suchten seine Hände nur ergebnislos nach seinem Handy, bis er es im Besitz von Mick erblickte. „Gib es her!“ forderte er mit zorngerötetem Gesicht und streckte seine Hand aus.
 

„Es tut mir leid, Ryo. Ich darf nicht.“

Mick erhob sich, und verließ nicht nur das Zimmer sondern auch die Wohnung des Arztes. Fuhr schnurgerade zu seinem Chef, um ihm seine Meinung zu sagen.
 

„KOMM ZURÜCK!“ brüllte Ryo und stemmte sich aus dem Kühlbett heraus.
 

Sein Geschrei hatten sowohl den Arzt als auch Tony dazu gebracht, sofort das Krankenzimmer zu stürmen.
 

„Was ist los? Du sollst noch nicht aufstehen,“ versuchten die beiden Männer, Ryo zurück ins Bett zu drücken und hatten schließlich auch Erfolg damit.
 

„Ich brauch ein Telefon...“ verlangte Ryo und erhielt auch prompt eines, doch als er Dee’s Nummer wählte, ging erneut Mick ran. „Das werdet ihr mir büßen...“ knurrte er in den Hörer und warf das Telefon auf die Decke.
 

<<<Flashback Over>>>
 

Dee hatte ihm in aller Ruhe, ohne ihn zu unterbrechen, zugehört. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er sein Handy im Krankenhaus nicht dabei gehabt hatte. Black hatte es ihm am Tag seiner Entlassung ausgehändigt. Ohne ihm zu sagen, wie er daran gekommen war, und in seiner Trauer hatte Dee ihn auch nicht danach gefragt. Nun war ihm klar, was sein ‚Freund’ damit gemacht hatte.
 

„Und weiter?“ fragte er schließlich, da Ryo ebenfalls ins Schweigen verfallen war.
 

„Du musst mir glauben, Dee. Ich hätte niemals zugestimmt, wenn er mir nicht versichert hätte, dass er auf dich aufpasst,“ sagte Ryo kleinlaut.

Er hatte damals schon geahnt, dass er einen Fehler beging, aber er hatte auch, genauso wie Black, die Vorstellung gehabt, dass er den Bomber wirklich dingfest machen könnte. Und was war daraus geworden? Nichts. Nur Dee’s Trauer war größer geworden. Ob er ihm jemals verzeihen konnte? Ryo hoffte es aus tiefstem Herzen.
 

Er räusperte sich und fuhr dann weiter mit seinem Geständnis...
 


 

<<<Flashback>>>
 

Verloren stand Ryo am Fenster. Er hatte es aufgegeben, Dee zu erreichen. Er hätte Tony bitten können, aber er wollte ihn nicht auch noch mit in seine Probleme hineinziehen. Zumal er eh schon ein Problem mit Black hatte. Auch wenn Steve versuchte, dieses ständig aus dem Weg zu räumen, konnte man hin und wieder Zweifel in Tonys Augen erblicken.
 

„Ryo?“ erklang es hinter ihm und zögernd drehte er sich um.
 

Er hatte gelernt, zu schnelle Bewegungen schmerzten ihn mehr, also drehte er sich langsam um und wenn er jetzt seine Waffe in den Fingern gehalten hätte, hätte er für nichts garantiert.
 

„Black!“ knurrte er, rührte sich aber ansonsten nicht vom Fleck.
 

„Wir haben eine einmalige Chance, den Bomber zu fassen. Er denkt, du bist tot. Wir haben die Überraschung auf unserer Seite und du kannst dich frei bewegen,“ warf Black gleich ein und sah ihn abwartend an, bevor er mit seiner Erklärung weiter ausschweifen wollte.
 

„Du vergisst wohl meinen Rücken!“ Auch wenn er sich nun schon etwas außerhalb des Bettes wagte, ohne die Schmerzmittel und das Liegen auf dem Gel fing sein Rücken bereits nach nur einer halben Stunde an zu brennen.
 

„Ich verlange nicht, dass du gleich loslegst. Der Arzt meinte, dass du noch mindestens drei Tage ruhen solltest. Dann wäre es möglich, dass du dich auch außerhalb bewegen kannst.“
 

Ryo blickte hinaus aus dem Fenster. Dachte wirklich über diese doch einmalige Chance nach. Wägte seine Gesundheit mit den möglichen Risiken auf und er war nicht bereit, dies einzugehen. Schließlich gab es Menschen, die ihm wichtig waren. Wenigstens einer, der noch nicht einmal wusste, dass er noch lebte.
 

„Warte... Was ist mit Dee?“
 

„Ihm geht’s gut. Ich verspreche dir, nein ich schwöre sogar, dass Dee nichts passiert.“
 

„Das meine ich nicht,“ konterte er eisig und setzte sich auf die Fensterbank.
 

„Ich habe vorhin mit ihm gesprochen. Er wird durchhalten, bis wir den Täter haben. Komm schon, Ryo. So eine Herausforderung... Denk doch mal an deine Möglichkeiten, wenn du im Dunkeln operierst!“
 

Ryo drehte sich wieder von Black weg. Er spürte, wie das Adrenalin durch seine Adern pochte und er fühlte sich wirklich von dieser Chance übermannt.
 

„Meine Tochter?“
 

„Wir bringen sie in Sicherheit. Sie, Steve und Tony. Du weißt, dass ich das machen kann, ohne, dass du mir zu tief in die Karten geschaut hast.“ Black ahnte, dass er kurz davor stand, Ryo zu überzeugen.

„Ich stelle Dee einen meiner Besten zur Seite. Glaub mir, er wird in Sicherheit sein.“
 

Ryo atmete einige Male in aller Ruhe durch und nahm dann seinen Ehering vom Finger und schrieb etwas auf einen Zettel. Beides übergab er Black.
 

„Gib ihm das!“
 

„Ryo?!“
 

„Ich möchte, dass Dee weiß, dass ich okay bin, sonst mache ich nicht mit.“
 

„Dann können wir alles vergessen. Das ist dir klar. Dee ist kein guter Schauspieler.“
 

„Das ist mir egal. Ich kann das nicht ohne ihn durchziehen.“
 

„Ryo, bedenke doch die Möglichkeiten, die dir offen stehen.“
 

„Ich allein gegen wen? Wir haben keinen Ansatzpunkt... Sagst du mir, wo ich im Dunkeln anfangen soll?“ warf Ryo ein. Machte seine Bedenken ein ums andere Mal klar.
 

„Du hast meine Rückendeckung. Die von Mick und mir...“
 

Ryo sah auf den weißen schmalen Rand auf seinem Ringfinger, dort wo bis eben noch sein Ehering gewesen war.
 

„Es ist Irrsinn, aber versuchen wir es. Du versprichst mir, dass du Dee den Umschlag gibst.“
 

„Machen wir einen Deal. Ich gebe ihm den Ring und den Umschlag, wenn ich meine, es wäre Zeit. Okay. Sollte er nicht weiter können... du hast mein Wort. Ryo?!“
 

Erneute zögerte er. Legte seine Stirn gegen das kühle Fensterglas und fühlte, wie eine Last sich auf seine Schultern legte. «Verzeih mir, Dee» dachte er und drehte sich dann zu Black um.
 

„Was schwebt dir vor?“
 

<<<Flashback Over>>>
 

Schweigen füllte den Raum und nur das Atmen der beiden Anwesenden brachte Leben hinein.
 

„Dee?! Es tut mir leid. Ich... ich dachte wirklich... Ich...“
 

„Nicht. Sag nichts mehr.“
 

Man konnte Dee ansehen, dass das ganze nicht spurlos an ihm vorbei gegangen war.
 

„Weißt du, wie... wie es war...“ Dee stand auf und löste sich somit aus der Umarmung von seinem Mann. „Ich... ich bin froh, dass du lebst. Aber ich kann nicht... nicht so einfach... es tut mir leid.“

Dee ging in Richtung Tür, hörte das Aufkeuchen von Ryo in seinem Rücken. Seine Hand schien wie festgenagelt auf dem Türknauf zu liegen.

„Als mir klar wurde... dass du darin umgekommen... warst... weißt du, wie oft ich in den letzten Tagen mit dem Gedanken gespielt habe, zu dir zu kommen? Vorgestern ... ich hatte die Waffe bereits an der Kehle... Ich wollte nicht mehr... Gott, Ryo! Wie... Warum...“

Dee lehnte seinen Kopf erschöpft gegen die Tür. Seine Schultern zuckten erneut unter Tränen. Als er Ryo hinter sich spürte, Arme, die ihn umfingen, drehte er sich zu ihm um und nahm ihn seinerseits in die Arme.
 

„Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen... Ich... liebe dich.“
 

Dee schwieg, weinte sich erneut aus und fühlte sich anschließend besser. „Ich kann nicht so einfach... verzeihen,“ murmelte er und fühlte, wie Ryo unter diesen Worten erbebte. Er konnte wohl nicht angenommen haben, dass Dee so ohne weiteres alles hinnahm.
 

Schweigen füllte erneut den Raum. Einige Minuten standen sie sich umarmend mitten im Raum.

„Wo ist unsere Tochter?“ brach Dee die Stille.
 

„Bei Steve und Tony. Ich weiß, die beiden... sie sind zusammen. Gott, Dee! Bitte, ich dachte, ich tue das richtige. Ich dachte wirklich...“
 

„Bitte, Ryo! Sag nichts mehr. Das, was geschehen ist, war schlimm genug. Und du hast nichts rausgefunden, was uns dem Täter näher bringt. Nehm ich mal an.“ Immer noch hielt er die Nähe zu seinem Ehemann aufrecht. Er war zu Recht sauer und auch wütend auf ihn, dennoch konnte er die Nähe nicht so ohne weiteres brechen. Zu lange hatte er um ihn getrauert und ihm jetzt so gegenüber zu stehen brachte alles in ihm durcheinander. Dee wollte Ryo eigentlich kein Vorwürfe machen, aber das, was er ihm angetan hatte, konnte nicht so ohne weiteres weg geredet werden. Doch bevor Dee etwas Falsches sagte, wollte er lieber nüchtern bleiben und über den Fall reden.
 

„Nein. Aber da er jetzt wieder aktiv ist...“
 

„Du willst diese Farce also aufrecht erhalten? Ich soll weiter den Leidenden spielen, während du dich frei bewegen kannst. Was ist, wenn er dich bemerkt? Du hast keine Rückendeckung, keinen, der weiß, wo du bist... Du bist irre... dich auf so was einzulassen. Hast du die Gefahren eigentlich nicht abgewägt?“ Dee konnte nicht länger einfach nur schweigen, er wolle Ryo klar machen, dass er sich in dieser Situation falsch entschieden hatte.
 

„Ich bin nicht allein. Jedenfalls nicht so, wie du das darstellst. Glaubst du wirklich, ich bin ein Anfänger? Okay, ich habe keine direkte Rückendeckung. Black weiß immer...“
 

„Ach ja, der Große Allmächtige Black! Ich habe vergessen, wie viel du ihm bedeutest! Ist dir eigentlich klar, dass er sich in unser Leben eingemischt hat? Dass er versucht hat, uns beide zu manipulieren? Und er hat sogar Erfolg damit. Aber bitte, wenn du weiter im Dunkeln jagen willst, werde ich dich nicht daran hindern. Black scheint dir ja wichtiger zu sein als dein eigener Ehemann!“ brauste Dee auf und brachte das zur Sprache, was er eigentlich vermeiden wollte.

Seine Emotionen kochten hoch und er wusste, dass er später jedes Wort bereuen würde, aber jetzt war er nicht mehr zu bremsen.
 

„Dee! Bitte!“ Ryo sackte in sich zusammen.

Er wusste, dass Dee mit allem, was er sagte, Recht hatte. Dennoch, es so um die Ohren geknallt zu bekommen war eindeutig was anderes, als es selbst nur zu denken.
 

„Ryo? Ich... ich will dich nicht noch einmal verlieren.“
 

Ohne groß zu zögern, nahm er seinen Mann in die Arme. Drückte ihn fest an sich und untermalte damit seine eigenen Worte.
 

Lange hielten sie sich fest. Schwiegen und verdrängten für den Augenblick alle Sorgen. Waren nur glücklich, sich wiedergefunden zu haben. Die kommende Trennung jedoch blieb unvermeidbar, denn Ryo löste sich zuerst aus dieser festen und stillen Umarmung.
 

„Auch wenn ich weiß, dass meine Entscheidung falsch war: ich stehe dazu. Ich möchte weitermachen, Dee,“ sagte er leise und hoffte auf das Verständnis von seinem Ehemann.
 

Dee schaute ihn eine Weile schweigend an. Wusste, dass er Ryo von seinem Vorhaben nicht abbringen konnte. Dennoch schmerzte es ihn, dass er so lange im Unklaren gehalten worden war. Das war auch wirklich der einzigste Punkt, der ihm immer noch sauer aufstieß.
 

„Ich weiß jetzt, dass ich mich hätte durchsetzen müssen. Aber du kennst Black, wenn er etwas will...“
 

„Bekommt er es. Ja, ich weiß. Er hat mich auch so rumbekommen. Dass ich weitermache. Er hat dir wohl nicht gesagt, dass ich mich fast in die Flammen geworfen hätte. Okay, da wusste ich noch nicht, dass du lebst, aber ich wollte mich auch im Krankenhaus... aber egal. Du weißt, dass ich stinksauer bin. Auf dich und auf Black. Eigentlich auf alle. Steve oder Tony hätten mir Bescheid geben können, aber die stehen auch unter der Fuchtel von Black. Damn, langsam fang ich an, diesen Kerl zu hassen.“
 

„Dee!“
 

„Schon gut! Ich möchte, dass du dich jeden Abend bei mir meldest. Du hast meine Handynummer. Also ruf jetzt auch an. Sag mir, wohin du gehst. Dann... dann... Ryo! Es fällt mir so schwer, dich nicht einfach...“
 

Ryo zögerte keinen Augenblick. Streckte seine Hand aus und legte sie Dee gegen die Wange und dieser schmiegte sich mit geschlossenen Augen hinein.
 

Worte blieben ungesagt, warum auch, jeder wusste, was der andere fühlte. Viel zu lange kannten sie sich. Viel zu viel Liebe lag in der Luft, um all diese Gefühle in Worte auszudrücken. Sie schauten sich an, küssten sich. Zitternde, wenn auch bekannte und erhoffte Zärtlichkeiten wurden ausgetauscht.

Eng aneinander geschmiegt lagen sie nebeneinander. Obwohl sie sich schon so lange kannten und ihr Sex auch noch nicht langweilig oder eintönig geworden war, war dieses eben Erlebte fast wie ihr erstes Mal gewesen. Zärtlich hatten sie sich wieder erforscht, Stellen, die sie schon fast als Routine stimuliert hatten, hatten neue Bedeutungen erlangt. Zwei Körper, über zwei Wochen voneinander getrennt, wurden heute wieder eins und schworen sich ohne ein Wort, niemals mehr ohne einander zu sein.
 


 

Drei Stunden später...
 

Chris hatte die eigentliche Sauna sehr genossen, hatte sich hinterher massieren lassen und da er der Ansicht war, dass Dee wohl das gefunden hatte, was er hier zu finden erhofft hatte, machte sich Chris auf für eine Runde im Darkroom.
 

Befriedigt und entspannt, setzte er sich voll bekleidet im Anschluss daran an die Bar im oberen Bereich vom Tropical und wartete auf seinen Begleiter. Sie hatten die Sauna gemeinsam betreten und sollten diese, seiner Ansicht nach, auch gemeinsam verlassen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass sie nun seit drei Stunden hier waren. Eigentlich nichts ungewöhnliches. Meist dauerte ein solcher Besuch schon mal bis in den frühen Morgen, aber da Dee ja wohl noch in Trauer war, sollten sie es möglichst kurz halten.
 

Er machte sich schon Sorgen, als ein Schlag auf seine Schulter ihn herumfahren ließ.
 

„Dee!“ rief er fast erfreut auf, ihn wohlbehalten und wie es schien auch glücklich zu sehen. „Du scheinst Erfolg gehabt zu haben.“
 

„Auf der ganzen Linie. Nur mit Black wünsche ich in den nächsten Tagen nicht zusammen zu kommen. Ich erzähl es dir mal... Lass uns gehen.“
 

Wer die beiden beobachtete, wunderte sich nicht über Dee’s Gesichtsausdruck. Denn dieser schien zwar eine Spur fröhlicher zu sein, wie zu Beginn seines Saunabesuches, aber eine Falte mehr auf seiner Stirn zeugte wohl von seiner Trauer, die er auch hier nicht ganz hatte abschalten können.
 

In der äußersten Ecke der Sauna beäugte ein einfach gekleideter, wohlbekannter Mann, sozusagen Stammgast in der Sauna, den Abgang von den beiden. Das Betreten hatte er nicht mitbekommen, doch so wie es den Anschein hatte, war selbst der große dunkelhaarige Cop nicht vor seiner Geilheit sicher und musste wohl Druck ablassen. Mit einem gemeinen hinterhältigem Grinsen auf den Lippen verließ auch er das Tropical.

Montag - 26. Juni

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Dee und Chris saßen sich in dem Büro gegenüber. Jeder schien seinen Gedanken nachzuhängen. Chris brauchte nicht viel Phantasie, um zu erraten, dass Dee mit seinen bei dem Besuch im Tropical war.
 

„Möchtest du darüber reden?“
 

„Nicht hier! Wer weiß, wer alles zuhört,“ antwortete Dee. Spielte mit dem Ehering, den er Ryo einfach nicht zurückgegeben hatte.
 

Die Tür flog heftig auf und Commissioner Barclay Ross wehte mit schnellen Schritten in das kleine Büro. Ein Grinsen trat auf seine Züge, als er sah, wie Dee vor lauter Schreck wohl etwas aus den Fingern glitt, auf den Boden klirrte und zu ihm rollte. Mit dem Fuß verhinderte er, dass dieses kleine runde Objekt weiter im Zimmer herumkullerte. Ohne lange zu zögern, bückte er sich und hob den Ring, welchen er als solchen unschwer nun erkennen konnte, auf, behielt ihn vorläufig in der geschlossenen Hand und stellte die ihm so wichtige Frage, wegen der er überhaupt sein behaglich eingerichtetes Büro verlassen hatte.
 

„Meine Herren, was hat Ihr Ausflug zum Crime Technical ergeben? Gibt es eine Spur, der man nachgehen kann? Ihr Bericht fehlt mir nämlich auf meinem Schreibtisch.“
 

„Leider nichts. Keine Spuren. Niemand hat jemand in der Nähe von dem Jungen gesehen. Auch die Oberin, mit der wir gesprochen haben, wusste nichts.“
 

„Wir sind immer noch am Anfang. Oder eher... Nach der Attacke auf Jims Rechner wohl eher noch weiter weg als am Anfang,“ warf Dee ein und vollendete den Bericht von Chris auf seine Art und Weise.
 

Während er lauschte, was die beiden Cops ihm sagten, betrachtete Ross sich den Ring ein wenig genauer und hob dann seinen Blick genau in Dee’s grüne Augen.
 

„Wir hatten eine Vereinbarung, MacLane. Schon vergessen?“ erklang es sehr eisig von Ross und hielt Dee nun den Ring, den er unschwer als Ryo’s Ehering erkennen konnte, hin.
 

„Ich weiß... ich...“
 

„Ich denke, ich bin dran schuld, Barc,“ warf Chris rasch ein, der von diesem seltsamen Arrangement gehört hatte.
 

„DU?“ kam es nun doch ein wenig überrascht von dem Commissioner, der auch gleich den Blick auf seinen alten Freund von der Polizeischule richtete. „Warum ausgerechnet du?“
 

„Ich war vorgestern noch mal im Basra. Hab mir alles angesehen. Ich weiß auch nicht, was ich zu finden hoffte, aber als ich so durch die Asche schritt, fühlte ich etwas hartes unter meiner Sohle und ich fand diesen Ring. Ich weiß, ich hätte dich gleich informieren müssen, oder die Spurensicherung, aber dann kam gestern das mit der Diskettenbombe, die Fahrt und Verhörerei... Gott, Barc. Es ist doch eh nur ein Ring.“
 

„Nur ein Ring?“ donnerte die Stimme von dem Commissioner nicht nur durch das Büro der beiden, sondern schallte bis hinaus in das Großraumbüro.
 

Kaum war seine aufbrausende Stimme verklungen, bildete sich in einigem Abstand eine kleine Traube von Leuten, um kein folgendes Wort aus dem Büro zu verpassen.
 

„Ross... es... ich wäre ja auch...“
 

„Wir setzen die Feierlichkeiten fest. Du hast zugestimmt, Dee. Du musst endlich einsehen, dass es so für alle, insbesondere für dich, das beste ist, wenn du einen Schlussstrich ziehen kannst,“ wurde er ein wenig ruhiger. Reichte Dee den Ring und legte fast väterlich die Hand auf dessen Schulter. „Es ist besser für dich, wenn du so wenigstens ein Stück Abschied nehmen kannst.“
 

Dee hob seinen Blick von dem Ring in seiner Hand und man konnte keine Emotion davon ablesen. Genauso wenig wie in den letzten zwei Wochen. Er nickte und gab somit seine Zustimmung.
 

„Ich regle das. Morgen ist ein guter Tag.“ Leicht klopfte er ihm auf die Schulter, drehte sich um und sah erst jetzt die Meute, die sich vor der Tür versammelt hatte.
 

„Habt ihr nichts zu tun?“ fragte er ruhig und grinste leicht, als er sah, wie auf einmal Leben in die Anwesenden kam und alle hektisch und rasch herumflitzten.
 

Im Büro ließ sich Dee seufzend auf seinen Stuhl fallen. Fest umgriff er den Ring, steckte ihn dann endlich weg und sah über den halbvollen Schreibtisch zu seinem neuen Partner.
 

„Ich hab wohl Mist gebaut.“
 

„Nein, so würde ich es nicht sehen. Vielleicht ein wenig. Aber wir könnten das auch zu unserem Vorteil nutzen. Komm, wir machen eine Spritztour,“ sagte Chris, schnappte sich seine Jacke und warf Dee seine entgegen.
 

~~~~ Hug and Bell ~~~~
 

Chris lenkte den Wagen ohne eine Angabe, was oder wohin er eigentlich wollte, und Dee fragte auch nicht danach. Er war mit seinen Gedanken bereits bei den Feierlichkeiten zu Ryo’s und wohl auch Saras Beerdigung, die, so vermutete er mal aus dem Stehgreif, in dieser Woche wohl noch angesetzt werden würde. Obwohl er wusste, dass sie beide lebten, fühlte er sich alles andere als gut.

Er blickte erst auf, als Jackson vor einer nur allzu bekannten Kneipe hielt und ausstieg. Ihm blieb wohl keine andere Wahl, als dem Weißhaarigen zu folgen.
 

Mit leichtem Unwohlsein in der Magengegend betrat er das ‚Hug and Bell’ und betrat somit ein anderes Reich. Selbst um diese frühe Stunde war die Kneipe gut besucht. Ein einschlägiges Lokal für Stricher und die, die es gerne werden wollten oder schon zu lange waren. Aber wenn man etwa brauchte, einen Ort, wo man immer offen reden konnte, dann besuchte man diese Location in Little Italy.
 

Dee suchte durch das schummrige Licht hindurch seinen Partner und erblickte ihn bei einem kleinen, drahtig wirkenden Jungen. Als er die beiden schließlich erreichte, verschwand der Kleine wie ein Wiesel. Chris winkte Dee, ihm zu folgen, und so machten sie sich auf den Weg, hinter dem Wiesel her. Drei Treppen höher und einige Abzweigungen später erreichten sie ein Zimmer. Geld wechselte den Besitzer und der kleine Wiesel verschwand um die nächste Ecke.
 

Der schwarzhaarige Cop versuchte erst gar nicht zu fragen, was sie hier taten, er würde es früher oder später wohl sowieso erfahren, dachte er wenigstens. Desto überraschter war Dee, als Chris kurz anklopfte und dann das Zimmer betrat.
 

Dunkelheit umfing die beiden. Ansonsten herrschte Ruhe und Unbeweglichkeit in dem Raum, den sie gerade betreten hatten. Chris tippte auf einen Schalter links an der Wand und schon flammte eine matt leuchtende Birne auf und erhellte das karg möblierte, aber sauber wirkende Zimmer.
 

„Setz dich, wird eine Weile dauern,“ sagte der Weißhaarige und setzte sich in einen der drei Sessel, die schon bessere Zeiten gesehen hatten.
 

Doch Dee tat ihm diesen Gefallen nicht. Er schlenderte ein wenig herum, stellte sich seitlich des beschlagenen Fensters und versuchte, einen Blick nach draußen zu werfen, was sehr schwer war. Nur Schemenhaftes konnte er durch dieses arg in Mitleidenschaft gezogene Fenster erkennen, und so ließ er sich nach gut einer Viertelstunde doch auf der Couch an der Rückwand des Zimmers nieder.
 

„Worauf warten wir?“ fragte er nun doch.
 

Ein kurzes Klopfen ließ Chris aufspringen, ohne auf die Frage von Dee einzugehen.

Er öffnete die Tür einen Spalt und nahm etwas entgegen, dann schloss er die Tür wieder.

Chris stellte ein Tablett mit vier Gläsern sowie eine Flasche Scotch und eine Flasche Bourbon auf dem Tisch ab. Schenkte sich ein Fingerbreit ein und dasselbe tat er für Dee.
 

„Trink.“
 

„Ich bin im...“
 

„Vergiss es. Trink einfach,“ forderte Chris ihn leicht genervt auf. Wie er das hasste, wenn sie alle behaupteten, im Dienst zu sein und nur deswegen einen kleinen Schluck ablehnten. Er war zwar kein Säufer, aber einem guten Tropfen war er niemals abgeneigt und das hier war beste Ware, wie er nach einem kurzen Nippen erkannte.
 

„Chris. Warum sind wir hier?“
 

„Trink erst einmal. Das verkürzt die Wartezeit,“ sagte dieser lediglich zu seinem Partner und leerte das erste Glas in sehr kurzer Zeit.
 

Dee nahm zwar das Glas, spielte aber lieber damit herum, als daran zu nippen, und stellte es mit einem leisen Klirren zurück, als es erneut an der Tür klopfte. Wieder war es Chris, der zu dieser eilte und sie einen Spalt öffnete. Doch im Gegensatz zu vorhin öffnete er die Tür weiter und herein kamen Black sowie Mick, dicht gefolgt von einem dritten Mann, den man erst erkennen konnte, nachdem die Tür verschlossen war und er sich die Mütze vom Kopf genommen hatte.
 

„RYO!!“ kam es von Dee, der nun nicht mehr zu halten war und rasch zu seinem Mann eilte, um ihn küssend zu begrüßen.
 

„Dee!“ kam es umso sanfter und ruhiger von dem Blonden, als er sich an Dee kuschelte und ihn selig anlächelte.
 

„Wenn ihr zwei euch genug begrüßt habt, können wir zum eigentlich Punkt unserer Zusammenkunft kommen,“ warf Aaron Black in den Raum und erntete dafür nicht nur von den MacLane’s einen bösen Blick, sondern auch Chris starrte ihn perplex an. Der einzigste, dessen Gesichtsausdruck ruhig blieb, war Mick Prescott. Doch dafür schenkte er seinem Boss und Lover einen Seitenhieb.
 

„Wir zwei haben noch miteinander zu reden,“ sagte Dee eisig, und wenn Ryo ihn nicht zurückgehalten hätte, hätte er gleich hier und jetzt seiner Wut freien Lauf gelassen.
 

„Du hast um ein Treffen aller gebeten, Chris. Was ist so dringend, dass du diesen Weg gewählt hast und das noch hier?!“ Konsterniert blickte er sich in dem Raum um.
 

„Tja, wäre wohl mal wieder eine Renovierung angesagt, nicht wahr, Black!“ meinte Mick ruhiger mit seiner tiefen, dennoch harmonischen Stimme.
 

„Ja, ja. Darum kannst du dich kümmern, sobald wir wieder mehr Zeit haben. Also Chris?“
 

„Ross hat den Ring gesehen und die Beerdigung angeordnet. Wahrscheinlich morgen oder übermorgen. Aber auf alle Fälle wohl diese Woche. Wer weiß, wen er alles schmiert, nur damit es rasch vonstatten gehen wird. Das genau Datum werde ich dir rechtzeitig mitteilen,“ sagte er und konnte seine Erregung kaum verbergen.
 

Dee und Ryo hatten sich gemeinsam aufs Sofa gesetzt, wobei Ryo’s Kopf an Dee’s Schulter ruhte.

„Es tut mir leid,“ murmelte er leise und schaute ihn bang an.
 

„Das wird schon,“ sagte er sanft und küsst ihn auf die Stirn. Gott, wie sehr hatte er das vermisst, ihm so nah zu sein. Er wusste, dass es auch jetzt wieder hieß, sich zu trennen, aber solange er ihn in seiner Nähe hatte, fühlte er sich einfach nur wohl und lauschte nun gespannt, was Chris so vorschwebte.
 

„Ich hab es Dee schon einmal gesagt. Ich vermute weiterhin, dass es irgendetwas mit den beiden und Dee im besonderen zu tun hat. Wenn man alle Fälle betrachtet, das Chamer – Freunde von den beiden. Sie waren sogar Trauzeugen, also näher geht wohl nicht mehr, es sei denn, sie hätten sogar die Partner getauscht.“ Entschuldigend hob er die Hand in Richtung der MacLane’s. „Das B & B – dort seid ihr, wenn du mich nicht angelogen hast, Dee, öfters einkaufen gegangen. Ihr seid auch mit Bob Maloy, dem Besitzer, gut befreundet. Das Basra. Tony und Steve, ich glaube, mehr brauche ich dazu nicht zu sagen. Und dann das Revier. Ein Junge, der in einem Waisenhaus aufgewachsen ist. Dee, erinnert dich das nicht an etwas?“
 

Chris verstummte und sah den dunkelhaarigen Cop eine Weile schweigend an. Sah, wie alle ihn anstarrten und das gesagte zu verarbeiten suchten. Überraschenderweise kam die erste Äußerung von Ryo, der sich jedoch nicht von Dee’s Schulter wegbewegte, sondern sich wenn möglich noch näher an seinen Ehemann kuschelte.
 

„Du hast recht. Das passt alles. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich habe alle möglichen Szenarien durchdacht. Aber das alles mit uns, oder eher mit Dee zusammen zu bringen... Ich...“
 

„...wieso kommst du auf so etwas? Selbst unsere Profiler haben solch eine Verbindung nicht hergestellt. Also Chris, wie kommst du darauf?“
 

„Es ist das einzigste, was Sinn ergibt. Oder stimmt ihr mir nicht zu?“
 

„So absurd das auch klingt, Chris könnte mit seiner Annahme recht haben,“ erklang nun seit einer kleinen Ewigkeit die Stimme von Black. „Und was bringt uns das nun?“
 

„Genau. Was hat das mit der Beerdigung von mir zu tun?“
 

„Nun. Wenn ich der Bomber wäre, und derjenige, den ich mit all dem treffen wollte, steht am Grab seines Mannes, würde ich mir diesen Anblick um kein Geld der Welt entgehen lassen. Oder sehe ich das jetzt falsch?“
 

Gemurmel brandete augenblicklich auf. Jeder machte seinen Gedanken laut und vernehmlich Luft, aber da alle durcheinander redeten, verstand keiner, was der andere sagte.
 

„KLAPPE!“ knurrte Dee, erhob sich und ging im Zimmer hin und her. So als müsste er seine Gedanken ordnen. „Du bist dir sicher, Chris?“
 

„So ziemlich.“
 

„Gut. Ich nehme mal an, dass Ryo sich irgendwo versteckt halten und ein nicht gerade trauriges Gesicht suchen soll, und wenn möglich ihm dann auch noch zu seinem Unterschlupf folgen?“
 

„So in etwa!“
 

„Das hört sich...“
 

„Das ist Selbstmord. Das lass ich nicht zu,“ knurrte Dee und warf Ryo, der eben wohl zustimmen wollte, einen warnenden Blick zu. „Das lass ich nicht zu.“
 

„Könntet ihr uns mal kurz... entschuldigen?“ fragte Ryo nicht, sondern befahl fast, dass die drei noch Anwesenden das Zimmer kurz verlassen sollten.
 

Als sie allein waren, baute sich Ryo, wie schon immer, wenn er etwas durchsetzen wollte, vor seinem Mann auf.
 

„Ich kann das alleine entscheiden.“
 

„Genauso wie du entschieden hast, mich glauben zu lassen, dass du tot bist?“
 

„Das ist nicht fair. Das hat damit nichts zu tun.“
 

„Ach nein? Wenn dieser Verrückte es nicht glauben würde, wäre Chris auch nicht auf diesen selbstmörderischen Vorschlag gekommen.“
 

„Ich werde schon auf mich aufpassen.“
 

„Ich will dich nicht noch einmal verlieren, Ryo! Versteh doch! Das ist zu gefährlich!“
 

„Und was ist, wenn er noch mehr Freunde von uns in die Luft jagt? Wir könnten es beenden. Bitte, Dee.“
 

Langsam ließ die Wut in beiden nach und sie nahmen sich in die Arme. Schauten sich tief in die Augen.
 

„Mir gefällt es immer noch nicht.“
 

„Es ist vielleicht unsere einzigste Chance.“
 

„Ryo!“
 

„Ich werde vorsichtig sein. Ich verspreche dir, keine unnötigen Risiken einzugehen und ich schwöre, dass ich ihn nicht verfolgen werde. Ich werde Fotos machen. Okay? Dann könnten wir gemeinsam alles sichten und gemeinsam entscheiden, wie wir weiter vorgehen wollen. Bist du damit einverstanden?“
 

„Du bist einfach unmöglich.“ Leise lachte Dee auf. „Ich werde es wohl nie schaffen, dir etwas, was du dir vorgenommen hast, auszureden. Aber du wirst vorsichtig sein?“
 

„Ja, das werde ich!“
 

„Ich will dich...“
 

„Du wirst mich nicht noch einmal verlieren,“ sagte Ryo sanft und küsste ihn zärtlich.
 

~~~~ Irgendwo in China Town ~~~~
 

Er wusste nicht, wie oft er sich in letzter Zeit täglich die Zeitung kaufte. Immer auf der Hoffnung auf einen kleinen Hinweis. Nun war es wohl so weit. Er schlug die Spätausgabe der New York Tribune auf und dort stand es. Kaum zu übersehen, aber dennoch schlicht und ganz normal, wenn man so wollte.
 

Die Kollegen vom 27. Revier nehmen am Freitag Abschied von ihrem kürzlich verstorbenen Freund und Kollegen Randy MacLane.
 

Ein schrilles, fast irres Lachen hallte durch die ansonsten menschenleere Wohnung. „Endlich... endlich... hat ja auch lange genug gedauert, die Reste von ihm zusammenzukehren. Jetzt nur noch... Nein, da steht nicht wo... aber das finde ich raus. Das finde ich ganz schnell raus.“ Erneut lachte er laut auf. Öffnete die Wohnungstür und ging grinsend hinein.

„Sie beerdigen diesen Kerl endlich,“ sagte er in den Raum.
 


 

++++++ TBC

Freitag - 30. Juni

~~~~ MacLane’s Apartment ~~~~
 

Vorgestern hatte er ihn das letzte Mal gesehen und nun stand er vor dem Kleiderschrank, um sich für die bevorstehende Beerdigung anzuziehen. Er wünschte sich, dass er Ryo davon hätte überzeugen können, es nicht zu tun. Selbst nur die Anwesenheit auf dem Friedhof barg enorme Gefahren in sich, die keiner wirklich abschätzen konnte.

Zögernd griff er nach einer schwarzen Jeans, einem weißen Hemd und seiner dunklen Jacke. Er hätte auch einen Anzug wählen können, aber das entsprach nicht ganz seinem Geschmack. Ryo war der Anzugmensch, Dee war meist salopp gekleidet und das würde er auch heute beweisen.

Er hatte ein wirklich schlechtes Gefühl in seiner Magengegend, das sich sogar noch verstärkte, als es an der Tür klopfte und Chris hereinkam.
 

„Fertig?!“ fragte er auch gleich und spürte, dass etwas in der Luft lag. Noch bevor Dee etwas sagen konnte, sprach Chris bereits weiter.

„Es ist alles okay, Dee. Mach dir nicht so viele Sorgen, es wird schon schiefgehen!“
 

„Das ist es, was mir Sorge macht. Ihr seit alle verblendet, den Verrückten zu fassen. Ich sehe die Gefahr, in der Ryo schwebt. Am liebsten würde ich alles abblasen, Ross die Wahrheit sagen und alles auffliegen lassen.“ Dee tigerte nervös in der Wohnung herum.
 

„Tu, was du für richtig hältst. Aber lass dir nur eins gesagt sein: dann wäre alles umsonst gewesen. Diese Chance bekommen wir nicht noch einmal, und was wohl am wichtigsten ist: was wird der Bomber tun, wenn er von der Farce um Ryo’s Tod erfährt!“
 

Dee blieb stehen und starrte Chris in Grund und Boden. Denn erneut wurden seine Zweifel nicht anerkannt. Wieder einmal hatte jemand einen Punkt gefunden, um ihn am Handeln zu hindern. Wieder einmal fühlte er sich verraten und verkauft. Seine Befürchtungen wuchsen jedoch. Er wusste nicht, warum er nicht auf seinen Instinkt hörte, der ihn noch nie getrogen hatte. Dennoch. Er atmete tief durch und zog sich die Jacke über.
 

„Lass uns gehen.“
 

~~~~ Friedhof ~~~~
 

Chris parkte den Wagen direkt vor dem Eingang des Friedhofes. Noch bevor Dee seine Tür öffnen konnte, wurde diese bereits von Barclay aufgezogen. Erneut atmete der dunkelhaarige Cop durch, fühlte Chris’ Hand auf seiner Schulter und stieg dann aus.
 

„Wie du wolltest, wird deine Tochter heute nicht beigesetzt,“ erklang es mit schwerer Stimme von seinem Vorgesetzten.
 

Dee fühlte sich unwohl und das zeigte sich auch durch seine fahrige und etwas ruppige Art. Doch jeder der Anwesenden führte dies auf seine Trauer, oder eher auf die heutige Beisetzung zurück.

Eine Menschentraube hatte sich bereits beim Eingang gebildet. Dee erkannte all seine Kollegen, die mit ihm schon lange durch dick und dünn gegangen waren. J.J., Drake, Ted und Jim. Selbst einige Gesichter aus anderen Revieren erkannte er. Freunde aus der Szene, den Tänzer Sam, sein Boss und noch einige andere. Sogar ungebetene Gäste erblickte er. Black mit seinem Lover und Steve, wobei letzterer nicht zu den unbeliebten zählte. Keinem der Anwesenden traute er so etwas zu. Wenn Chris wirklich Recht hatte mit seiner Vermutung, dann war der Bomber jetzt unter ihnen.
 

Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter und ließ ihn, entgegen seiner Absicht, den Kopf heben.
 

„Mein Beileid... MacLane. Ich bin immer für dich da, wenn du reden möchtest,“ sagte Bob Maloy und klopfte ihm nochmals aufmunternd auf die Schulter, bevor er sich zu den anderen Trauergästen gesellte. Es war das erste Mal, dass Dee seinen Namen so von Bob hörte. Eigentlich nannte er ihn ja salopp MacLayton, aber heute schien Bob dies wohl nicht als angebracht zu erachten. Auch ein Zeichen, dass Maloy der Tod von Ryo nahe ging.
 

Der dunkelhaarige Cop war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Maloy und die MacLane’s waren schon jahrelang gut befreundet, aber so gut eigentlich auch wieder nicht.
 

„Ich hab ihn nicht sonderlich gemocht, obwohl er immer fröhlich war. Es tut mir echt leid, Dee!“ wurde er von Sam Yester, dem kleinen GoGo Tänzer aufgehalten. Dieser tupfte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und nahm Dee in den Arm. Nur kurz, wusste dieser doch, wie unangenehm Dee seine Nähe war.
 

Auch diesem nickte er nur flüchtig zu und ging weiter zu der Grabstätte.
 

Erneut war es Chris, der Dee zum Weitergehen animierte und ständig an seiner Seite blieb. Er hielt den Blick gesenkt, ansonsten, das wusste er, würde sein Blick hin und her irren, auf der Suche nach Ryo. Er wusste, dass er in der Nähe war, aber er durfte ihn nicht noch durch seine Unbedacht in Gefahr bringen.
 

Sie blieben vor einem Grabstein stehen. Ein Pfarrer erschien aus der hundert Meter entfernten Kirche und schüttelte Dee die Hand, wobei er ihm tröstende Worte sagte.
 

Obwohl Dee auf eine schlichte Beerdigung bestanden hatte und sie auch so einfach wie möglich gehalten wurde, kam er nicht drum herum, dass Barclay Ross einige sehr ergreifende Worte über das Leben und Ryo als Mensch und Kollege sprach. Nach seiner halbstündigen Rede nickte der Commissioner den anwesenden Cops zu. Diese zogen ihre Dienstwaffen, stellten sich in Reihe auf und schossen dreimal in die Luft. Anschließend fing der Dudelsackpfeifer, an die Hymne zu zelebrieren, wobei die Urne langsam hinab gesenkte wurde. Da Ryo im Dienste des Staates New York stand, erhielt Dee sogar die gefaltete Nationalflagge überreicht.
 

Das alles ließ er mit gesenktem Kopf über sich ergehen und bat im Stillen darum, dass alles glatt lief und er seinen Mann im Anschluss an diese Farce, für die ihn Barclay wohl zu Rechenschaft ziehen würde, in den Arm nehmen konnte. Sie hatten sich darauf geeinigt, sich wieder im Hug und Bell zu treffen. Heute abend 22 Uhr. Dee flehte, dass die Zeit bis dahin rasch vergehen würde, denn nicht eher würde er seine innere Ruhe wiederfinden.
 

Einige Stunden zuvor...
 

Ryo hatte es sich in dem Tarnanzug, den er von Black oder wohl eher von Prescott erhalten hatte, in der Nähe seiner letzten Ruhestätte bequem gemacht. Sein Platz war gut gewählt. Er wollte sich in die Kirche zurückziehen, so dass ihn wirklich niemand sehen konnte. Denn das Gotteshaus würde bei der heutigen Zeremonie nicht betreten werden. Dem Pfarrer hier würde er tief in einem Gebet erscheinen. So war alles abgesprochen. Sobald der Pfarrer dann die Kapelle verlassen hatte, wollte Ryo sein Stativ herausholen und die Kamera befestigen.
 

Ryo betete nicht nur zum Schein, nein, er betete um Erfolg für seine Mission. Betete darum, dass Dee, Sara und er eine Zukunft in Frieden haben würde. Betete, dass dies alles ein gutes Ende nehmen würde und er betete darum, dass was auch immer heute passierte, kein vorzeitiges Ende für einen der MacLane’s bedeuten würde.
 

Als er sich sicher war, dass der Pfarrer die Kirche verlassen hatte, nahm er seinen mitgebrachten Koffer auf, legte diesen auf eine der Bänke und öffnete ihn. Ryo war an sich kein Freund oder Kenner von Kameras und hatte sich deswegen alles genau erklären lassen. Da das Stativ ähnlich zu handhaben war wie der Unterbau seines tragbaren Scharfschützengewehres, kam er jetzt recht gut voran. Schnell war alles aufgebaut.
 

Trotz aller Vorsicht und allen Absicherungen fühlte Ryo sich alles andere als wohl. Schon vor zwei Stunden hatte er sich hierher zurückgezogen. Und das auch nur, damit ihn niemand der Trauernden sah, wie er in die Kirche schlich. Sollte es sich einer von ihren Bekannten überlegen und kurz hier hereinschauen, was ja möglich wäre, würde man nur einen betenden Mann vorfinden. So sah es der Plan vor.
 

Er schaute durch eines der Fenster hinaus, konnte das Grab erkennen sowie die ersten nun eintreffenden Gäste. Sein Blick irrte ein wenig in der Gegend herum, wie weit er alles einsehen konnte. Er hatte einen guten Blick sowohl aufs Grab als auch in den Umkreis. Ryo hob sich die Kamera vors Auge und blickte hindurch. Nur gut, dass die Kirche nicht solche Milchglasschieben hatte oder sogar diese, die mit Heiligenbildern bestückt waren, sonst hätte er sich einen anderen Ort suchen müssen.
 

Er senkte die Kamera, als sich plötzlich eine feste raue Hand auf seinen Mund drückte, und noch bevor er reagieren konnte, spürte er, wie sein Kopf gegen die Wand geschlagen wurde.
 

„Willkommen zurück im Leben... Ryo MacLane... Begrüße mit mir dein neues Leben in der Hölle...“

Dass er besinnungslos zu Boden ging, bekam er schon gar nicht mehr mit, genauso wenig wie das irre Lachen von dem Kerl im Trenchcoat hinter ihm.
 

~~~~ Hug and Bell ~~~~
 

Nervös lief Dee in dem Zimmer hin und her. Auch Jackson war nicht in der Lage, die herrschende Spannung durch irgendeinen Ausspruch wett zu machen.
 

„Bleib ruhig, Mensch. Die kommen bestimmt gleich,“ versuchte er es schon das dritte Mal in den letzten fünfzehn Minuten Dee zu beruhigen, doch Erfolg hatte er dadurch bis jetzt nicht erzielt.
 

„Da stimmt was nicht. Das spüre ich doch,“ war alles, was Dee seinem neuen Partner entgegen brachte.
 

Als er schließlich Schritte vor der Tür vernahm, rannte er förmlich dorthin und riss diese auf.
 

„Ryo?“
 

Doch ihm standen lediglich Mick und Black gegenüber, die sich schweigend einen Weg in das Zimmer bahnten.
 

„Wo... Wo ist er?“ fragte Dee mit einem Knoten im Bauch und schaute den Flur hinunter. „Wo zum Teufel ist er?“ drehte er sich dann wütend und vor zornbebend zu Black herum. „Es ist alles klar?! Ja?! Es kann ihm nichts passieren?! Ich habe es ja gewusst...!“ klagte er und lehnte sich seufzend gegen die nun geschlossene Tür. Blickte Black vorwurfsvoll an.
 

„Er ist nicht aufgetaucht. Genauer gesagt...“
 

„Ryo sollte sich bereits kurz nach der Farce mit der Beisetzung mit uns in Verbindung setzen, und als dies nicht geschah, habe ich Mick losgeschickt,“ unterbrach Black seinen Freund, um Dee vorerst das wohl bereits bekannte zu übermitteln. Er wusste sehr wohl, dass er die meiste Schuld an diesem Dilemma trug. Dennoch hoffte er noch durch irgendeinen dummen Zufall, dass die Ereignisse und das, was Mick bisher herausgefunden hatte, nichts mit dem Verschwinden von dem blonden Cop zu tun hatte.
 

„Erzähl es ihm. Sag ihm, was du gefunden hast.“
 

„Nachdem er sich nicht gemeldet hat, bin ich zur Kapelle. Dort war jedoch nur der Pfarrer. Er sagte, dass sich niemand außer ihm hier aufhielt und er auch gleich gehen wollte. Als ich ihn bat, mich mal umsehen zu dürfen, hatte er natürlich nichts dagegen. Sowohl Ryo als auch ich hatten die Kapelle ja schon einmal betreten und den Standpunkt für die Überwachung ausgesucht, also ging ich direkt zu diesem Fenster. Dort lag jedoch nichts herum. Keine Kamera, kein Film oder ein Stativ. Nichts. Ich wollte gerade unverrichteter Dinge gehen, als mir ein Fleck auf der Wand auffiel. Es ist... war... Blut. Getrocknetes Blut, um genauer zu sein.“
 

„Blut? Ryo!“ stöhnte Dee auf und sackte in sich zusammen, bis er auf dem Boden hockte. „Noch mehr?“
 

„Nun... Ich nahm eine Probe mit und es stammt wirklich von deinem Ehemann, Dee. Ich habe auch die Wand, das Fenster alles im Umkreis nach Fingerabdrücken untersucht, nachdem der Pfarrer gegangen war. Aber ich habe nichts in den Akten von der Polizei oder Interpol gefunden. Auch die Dateien von Terroristen vom FBI, CIA und den anderen habe ich durchgecheckt. Keine Treffer. Es tut mir leid,“ murmelte Mick und jeder konnte sehen, dass er das auch so meinte. Seine Gefühle, die er sonst gerne hinter seiner Maske verbarg, lagen nun offen.
 

„Es tut dir leid... Ryo!“ murmelte er. „Warum nur habe ich mich dazu bereit erklärt... WARUM?“ stöhnte er auf und schlug die Hände vors Gesicht, als wollte er keinen mehr sehen. Seinen Mann einmal zu verlieren war schon schwer genug gewesen, aber dass es erneut geschah, brachte ihn fast um den Verstand.

„Wie... wie viel Blut?“ brachte Dee nach einigen Minuten des lastenden Schweigens hervor.
 

„Wenn... Nicht viel. Ich habe mir das auch durch den Kopf gehen lassen. Ryo ist mit Sicherheit kein unnötiges Risiko eingegangen, Dee. Er muss überrascht worden sein und wenn ich mir die Blutspur und die Höhe betrachte, wurde er vermutlich mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. Mehr war es bestimmt nicht,“ erklärte Mick sachlich und trocken.
 

„Mehr war es nicht... mehr war es nicht...“ Die Stimme von Dee steigerte sich in raschem Crescendo und wurde fast schrill laut, je öfter er diese vier Worte wiederholte.
 

„Dee!“ versuchte es Jackson, der es bisher irgendwie immer geschafft hatte, zu dem anderen durchzukommen.
 

„Das reicht, MacLane!“ donnerte Blacks Stimme bereits im Zimmer wieder. Knallte Dee ohne mit der Wimper zu zucken eine, so dass dessen Kopf richtig zur Seite flog, und krallte dann seine langen Finger in Dee’s Schulter, um ihn zu schütteln. „Wenn du jetzt durchdrehst, ändert das an der Lage überhaupt nichts. Wir sollten darüber nachdenken, wer ihn geschnappt hat. Dee! Hörst du?“
 

Dee behielt jedoch den Kopf eine Weile auf der rechten Seite, auf die er so rau geprügelt worden war. Mit einer raschen Bewegung hob er seine Arme, fuhr zwischen Blacks ihn festhaltenden Armen hindurch und befreite sich aus dem eher freundschaftlich festen Griff. Doch das alleine reichte Dee jetzt nicht. Sein Körper und seine Seele schmerzten, rissen ihn fast entzwei. So zögerte er nicht länger, ballte seine Hände und schlug kommentarlos auf Black ein. Landete den ersten Treffer gegen die Wangenknochen, die auch sofort aufrissen und leicht zu bluten anfingen. Angespornt durch seinen Verlust ließ er nicht von Black ab, der zurücktaumelte und sich bereits den nächsten Schwinger von Dee einfing, bevor er überhaupt realisierte, was ihn eigentlich getroffen hatte.
 

Jackson war in dieser Hinsicht schneller als Black und wollte sich sogleich zwischen den um sich schlagenden Dee und den bereits Blutenden werfen, doch hinderte ihn Mick daran. Stumm schüttelte er den Kopf und sah zu, wie Dee seine Wut ausgiebig an Black abreagierte. Aaron hob nur noch abwehrend seine Hände, um nicht noch mehr dieser brutalen Schwinger von dem Cop einzufangen. Normalerweise wäre Black in der Lage gewesen, Dee auch einige Schrammen zu verpassen, aber er wollte es nicht. Er war sich sicher, dass es Dee anschließend besser gehen würde, und so ließ er Dee sich faktisch an ihm austoben.
 

Nach gut einer Viertelstunde, in der Dee gewütet hatte, ließ er seine Hände sinken und sah auf Black. Nicht nur die Wangenwunde blutete, sondern auch ein Schmiss über der Augenbraue hatte sich geöffnet. Außerdem würde ihn wohl die Lippenverletzung in den nächsten Tagen schmerzhaft an diesen Tag erinnern. Dass er auch an seiner Schulter und in der Magengegend einige Blessuren davon getragen hatte, war ihm auch klar, denn er konnte nicht alle Schläge abfangen und sein Freund stand, den Arm über die Schulter gelegt, am Fenster und hielt Jackson in Schach, um ihn daran zu hindern, den Kampf zu unterbrechen.
 

Erschöpft sackte Dee vor Aaron in die Knie. Auch der Bekleidungsladenchef kniete sich hin. Jeder Knochen tat ihm weh, doch das, was er hingenommen hatte, war wohl nur ein Hauch dessen, was Dee im Moment in sich fühlte.
 

„Wir finden ihn...“
 

Mick ließ sich zu den beiden nieder, legte seinem Freund nun eine Hand unter das Kinn und schaute sich die Wunde aus der Nähe an, bevor er auch Dee versicherte, dass er alles tun würde, damit sie Ryo schnell und unbeschadet fanden.
 

Chris hingegen half Dee wieder auf die Beine und ließ ihn in den Sessel plumpsen. Nahm seine Hände ins Visier und schüttelte den Kopf.
 

„Verdammte Narren. Ihr prügelt euch zusammen, anstatt miteinander etwas zu planen,“ fauchte er der allgemeinen Ruhe entgegen.
 

„Er hat es aber...“
 

„Jetzt geht’s mir besser, Chris. Ich wäre sonst geplatzt.“
 

„Trotzdem ist es verrückt,“ meinte er und blieb bei seiner Meinung. „Gewalt löst keine Probleme.“
 

„Es ist auch nicht gelöst. Aber es wird nun leichter sein beim Denken. Glaub mir, Jackson. Ich stecke nicht gerne etwas ein. Aber ich weiß, dass ich es verdient habe, also... Nimm es hin, wie es ist. Ich weiß immer, was ich tue, aber mit dem Resultat meiner Leistung bin ich nun wirklich nicht zufrieden,“ erklärte er und nahm dankbar das feuchte Tuch von Mick entgegen, um seine Lippe zu kühlen.
 

„Und was machen wir jetzt?“
 

„Wir machen eine Liste, wer alles da war und gehen nach und nach jeden durch. Bis wir jeden einzelnen als unbeteiligt abhaken können,“ meinte Dee und betrachtete sich seine aufgeschlagenen Knöchel.
 

Leicht grinsend hob er den Kopf und sah Black nach den fünf Minuten, die nach Kampfende vergangen waren, leichter an.
 

„Willst du meine Hilfe noch?“
 

„Ich wäre dumm, wenn ich sie ausschlage, Black. Wenn ihm etwas passiert, wirst du mir nicht so glimpflich davonkommen.“
 

Black nickte zu den Worten von Dee.
 

„Das kann ich verstehen, aber noch mal bekommst du so einfach nicht die Gelegenheit.“

Und grinste Dee nun seinerseits, etwas schräg wegen der geschwollenen Lippe, an.
 

„Fangen wir mit den Leuten aus der Szene an. Wir sollten keine weitere Zeit verschwenden,“ machte sich Mick bemerkbar, der es sich auf der Lehne des Sessels; auf dem Black saß; gemütlich gemacht hatte, um seinem Freund näher zu sein und somit auch ein wenig Trost zu spenden.
 

„Die Cops schließen wir erst einmal aus. Ich kenn die Jungs alle, da ist keiner dabei, der so was machen würde. Gut... Also das war... Der Tänzer, Sam Yester. Er mag Ryo nicht sonderlich, wollte schon immer mal was von mir. Ich weiß nicht, ob er Zugang zu C4 hat. Das brauchte er wegen Bombe eins. Dann wäre da noch Bob Maloy. Aber der war ja selbst Opfer des Bombers. Steve schließe ich auch aus. Genauso wie Tony. Die beiden verdanken uns zu viel, um uns ans Leder zu wollen.“
 

Dee verfiel ins Nachdenken. Konzentrierte sich, so weit er es noch konnte, auf die Beerdigung. Vor seinem geistigen Auge sah er, dass es keine Farce war, sondern dass er Ryo nie wieder sehen sollte. Das würde er einfach nicht verkraften. So viel Kraft, wie es beim ersten Mal gebraucht hatte, würde er schlicht weg nicht noch einmal zusammen bekommen.
 

„Der Besitzer vom ‚Blue Star’? Der war doch auch da. Wie steht es mit ihm?“
 

„So gut kennen wir den nicht. Damn, soll ich alle meine Ex-Lover vor Ryo aufzählen, die Frust auf mich haben? Nein, das denk ich nicht. Warum sollten die so lange auf Rache warten sollen?“
 

„Vielleicht um die Möglichkeit zu haben, dich richtig zu treffen. Um sich dann an dich ran zu machen. Dich zu trösten, für dich da zu sein um dir über den Verlust hin weg zu verhelfen,“ warf Chris ein und durchbrach die Stille, die sich nach Dee’s Frage aufgebaut hatte.
 

„Dee?“
 

„Es gab da mal einen... Verdammt, das ist lange her. Ich war damals 20. Das war lange vor Ryo. Und ich hab auch nicht wegen ihm Schluss gemacht. Eigentlich war er es... Er hatte größere Ziele, als nur Cop zu werden. Ich weiß noch nicht mal, ob er von Ryo weiß. Er hieß Patrick. Genau, Patrick McNear. Mann ist das lange her...“ Dee kräuselte die Stirn und dachte angestrengt nach.

„Wir waren zusammen auf der Polizeischule. J.J. müsste ihn auch kennen. Es hat ’ne Weile gedauert, bis es gefunkt hat, aber dann... wir waren wie siamesische Zwillinge. Und dann bekam er den Rappel und wollte was Großes werden. Er war einer der wenigen aus unserer Gruppe, der sich vom FBI hat überreden lassen. Wenn ich mich richtig erinnere, haben sie ihm sogar eine Spezialausbildung zukommen lassen... aber ob das stimmt, das habe ich nur später irgendwann mal erfahren. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.“ Kurz verfiel er in diese guten Erinnerungen zurück, bis er von Black daraus entrissen wurde.
 

„Demnach nichts in deiner Vergangenheit, meinst du. Wie schaut es mit Ryo’s aus?“
 

„Er war vor mir nur Hetero. Von einer festen Freundin hat er nie etwas erzählt, auch nicht von einem anderen. Nein... Ich frage mich wirklich, ob es Rache an mir sein soll? Besteht nicht auch die Möglichkeit, dass der Täter etwas gegen Schwulenpärchen allgemein hat. Immerhin war das erste Ziel auch ein glückliches Paar,“ warf Dee ein, dem es nicht behagte, im Mittelpunkt der Forschung zu stehen.
 

„Lassen wir das erst einmal so stehen. Behalten alle Varianten weiterhin offen, doch dass er Ryo entführt hat, gefällt mir nicht. Ich weiß,“ Aaron hob entschuldigend die Hand, „Ich bin mit verantwortlich, deswegen wirst du ab sofort meine ständige Unterstützung haben. Wenn wir was erfahren, bist du der erste, der informiert wird. So, dann fangen wir mit diesem Tänzer an. Sagen wir, wir treffen uns jeden zweiten Tag hier. Es sei denn, jemand findet was raus, dann täglich. Komm, Mick. Wir haben hier alles getan, was getan werden musste. Tut mir leid, Dee. Wirklich,“ sagte Black, als er an ihm vorbeigehend kurz aber herzlich die Hand auf dessen Schulter legte und sie auch leicht drückte. „Wir finden ihn.“
 

Black nickte und ging dann gefolgt von seinem Lover und Angestellten aus dem Zimmer, um die weiteren Schritte in die Wege zu leiten. Zurück blieben ein nachdenklicher und verzweifelt aussehender Dee MacLane und ein schweigsamer Chris Jackson, der seinen eigenen Gedanken nachhing.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Das erste was Ryo spürte waren Kopfschmerzen, gefolgt von der Gewissheit, dass er sowohl an Händen als auch an Füßen gefesselt war, denn er war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Das nächste, was ihn endgültig aus seiner Bewusstlosigkeit holte war, dass er, obwohl er wusste, dass er die Augen geöffnet hatte, nichts sah. Sein Puls flog rasend und er zwang sich dazu, ruhig zu atmen und alles ganz sachlich zu überdenken, genauso wie er es gelernt hatte. Er schloss seine Augen, konzentrierte sich nur auf sich und spürte, wie er ruhiger wurde, dann versuchte er in seinen herumirrenden Gedanken ebenfalls das Chaos zu beheben. Das letzte, woran er sich erinnern konnte, war, dass er sich in die Kapelle begeben hatte und dort alles für die Beobachtung hergerichtet hatte. Dann hatte er eine Hand auf seinem Gesicht gespürt und Sekunden später den Schmerz an seiner Stirn.
 

«In der Kapelle bin ich wohl nicht mehr... aber wo dann... ich war vorsichtig... verdammter Mist... der Bomber hat mich... was anderes ist unlogisch... aber wie... hat er auch... wollte er die Beerdigung aufzeichnen, um sich daran zu ergötzen... das muss es sein... er hat mich gesehen... und mich... Scheiße...»
 

Als ihm klar wurde, dass er vermutlich in der Hand desjenigen war, der ihn am liebsten tot sehen wollte, bekam die Verschnürung an seinem Körper einen ganz anderen Aspekt. Durch die Augenmaske konnte er nichts erkennen. Weder, ob es Tag oder Nacht war, noch wo genau er sich befand. Die Kühle, die sich unter ihm ausbreitete, kam, wenn er es richtig analysierte, eher von einem Metallgestell als vom Boden her und somit war ihm klar, dass er nichts anhatte. An Händen und Füßen auf einem Metalltisch gefesselt. Selbst sein Bauch schien von einer Art Schnalle fest auf diesen Tisch gepresst zu werden, was ihm das Atmen nicht gerade erleichterte. Hinzu kam noch, dass er langsam Durst verspürte. Aber je länger er hier alleine blieb, desto ruhiger und nachdenklicher wurde er. Ryo machte sich in seinem blonden Köpfchen schon ein Plan zurecht, wie er am besten vorgehen sollte. Als sich schier nach Stunden, seinem Zeitgefühl nach, etwas rührte, spannte sich sein ganzer Körper an.
 

„Nun, wie ich sehe ist Schneewittchen von den Toten wieder erwacht...“ klang es ruhig, fast ein wenig melodisch in dem Kellerraum wider.
 

Ryo hörte Schritte, die sich ihm näherten, drehte den Kopf in diese Richtung. Vielleicht konnte er ja doch etwas erhaschen, um zu erkennen, wer ihn festhielt, aber nichts, alles blieb dunkel. Auch die Stimme kam ihm nicht bekannt vor.
 

Eine Hand strich über seine Brust hinauf bis zu seinem Hals, wo sich plötzlich und unerwartet heftig eine Hand auf seinen Kehlkopf legte und zudrückte.
 

„Du wirst dir noch wünschen, dass du in den Flammen umgekommen wärst.“
 

++++++++++ TBC

Dienstag - 3. Juli

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Inzwischen waren vier Tage vergangen. Vier Tage, die für Dee die Hölle waren. Ständig war er bei Ryo in seinen Gedanken. Konnte sich nur schwer auf seine Aufgaben im Dienst konzentrieren. Ein Glück, dass Chris Jackson ihm ständig vor größeren Fehlern bewahrte. Doch das würde nicht mehr lange so weitergehen können, das wussten Dee und Chris genauso gut. Es würde der Tag kommen, wo Dee alleine für seine Fehler gerade stehen musste.

Das merkwürdige an diesen vier Tagen war zudem, dass sich der Bomber nicht rührte. Da hatte man angenommen, nach dem Angriff auf Jims Dateien würde er nun in rascher Folge wieder zuschlagen, aber nichts. Keine Spur.
 

„Was meinst du, warum er so ruhig ist?“
 

„Auch, wenn es sich hart anhört, Dee. Aber ich glaube, er genießt sein neues Spielzeug.“
 

Dee zuckte merklich unter den Worten von Chris zusammen, obwohl er sich das selbst bereits eingestanden hatte. In den Nächten war es besonders schlimm. Wenn er nicht einschlafen konnte und sich Ryo vorstellte, wie er von dem Bomber schikaniert wurde. Er wollte nicht so weit gehen, dass er ihn sich vergewaltigt und gefoltert vorstellte, aber die Möglichkeit bestand, da machte er sich nichts vor. Und mit jedem Tag, eher mit jeder Stunde, die verging, wurde er selbst nervöser.

Ein kurzes Klopfen, und ein violetthaariger Bursche steckte seinen Kopf in das Büro.
 

„Dee, Chris. Barclay will euch sprechen. Er scheint in nicht guter Laune zu sein,“ grinste er ihn frech an, wusste J.J. ja auch nichts von Dee’s seelischer Qual.
 

Langsam erhob dieser sich und ging mit seinem neuen Kollegen ins Büro des Commissioners.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Ryo lag noch immer so gefesselt auf dem Tisch, der sich inzwischen als sehr vielseitig entpuppt hatte. Dieser konnte in alle möglichen Richtungen geschwenkt werden, sowohl horizontal als auch vertikal, und von beiden mochte Ryo nicht eine Variante. Manche Teile waren sogar separat beweglich. Dort, wo seine Arme und Beine fest geschnürt waren, konnten diese je nachdem, was der Bomber vorhatte, verändert werden. Noch immer trug er seine Augenbinde und fühlte sich von Tag zu Tag unwohler darunter. Sein Zeitgefühl hatte ihn völlig verlassen. Hinzu kam, dass sein Peiniger so unregelmäßig kam. Mal war er nur wenige Minuten draußen, dann hörte Ryo fast stundenlang nichts von ihm. Bisher hatte er, von der ersten Attacke auf seinen Hals mal abgesehen, keine weiteren Sachen mit ihm gemacht. Das erschreckte und beunruhigte Ryo erst recht. Denn die Worte, die dieser Kerl ausgesprochen hatte, waren alles andere als zurückhaltend gewesen.
 

Heute war sein vierter Tag der Gefangenschaft, wenn man den mitzählte, an dem er entführt worden war, doch das wusste Ryo nicht. Für ihn hätten es auch nur Stunden oder sogar schon Wochen sein können. Jedes Mal, wenn er sich so weit überwinden konnte, der Müdigkeit seines Körpers und seiner Psyche nachzugeben und sich dem Schlaf anvertraute, ergoss sich in Regelmäßigkeit ein Eimer Wasser über seinen Körper und holte ihn so brutal aus dem erholsamen Schlaf.
 

„Hast du mich schon vermisst, Schneewittchen?“ hörte er wieder die sanfte melodische Stimme, die einen wirklich hätte einlullen können, wenn Ryo nicht der Ernst der Lage bewusst gewesen wäre.

Dieses ‚Schneewittchen’ ging ihm gehörig auf die Nüsse, aber eine Antwort auf die Frage, warum er ihn so nannte, hatte er bisher nicht erhalten und würde seine Kraft auch nicht darauf verwenden, weiter nachzuhacken. Etwas anderes war wichtiger.
 

„Was... was willst du von mir?“ fragte er mit krächzender Stimme, denn Ryo wusste nicht, wann er das letzte Mal etwas Feuchtigkeit zwischen den Lippen oder gar in seiner Kehle gespürt hatte.
 

„Trink...“ forderte der Unbekannte ihn auf und hielt ihm einen Becher an die Lippen, doch Ryo drehte den Kopf zur Seite, was er augenblicklich bereute. Ein Schlag gegen die Wunde an seiner Stirn ließ ihn leise aufstöhnen. Dann folgte ein fester Griff unterhalb seines Kinns, der ihn nicht nur festhielt. Der Druck, den diese harten brutalen Finger ausübten, brachte ihn dazu, dass sich seine Lippen öffneten und sein Peiniger ihm die Flüssigkeit einflößte.
 

Gierig trank Ryo auf einmal den Becher bis zur Neige leer. Leckte sich dann sogar die letzten Tropfen von den spröden Lippen. Fast wäre ihm sogar ein ‚Danke’ entschlüpft.
 

„Ich will meinen Spaß mit dir, Schneewittchen. Dazu sollst du bei Bewusstsein sein und bei Kräften. Denn immerhin möchte ich, dass du es genauso genießt, wie ich es genießen werde. Nur schade, dass ich dich noch eine Weile warten lassen muss... Aber ich habe hier was für dich,“ sagte er sanft. Hauchte es eher, bevor er Ryo behutsam küsste, ohne ihm jedoch die Macht darüber zu geben, sich zu wehren oder ihm in die Zunge zu beißen. Genauso rasch wie der Kuss begann, wurde dieser auch schon beendet.
 

Ryo spürte, wie sich etwas an seiner Augenbinde veränderte, so als ob da noch ein zusätzlicher Halter befestigt wurde. Erschöpft schloss er die Augen und ließ es geschehen. Dazu, sich zu wehren, war er sowieso nicht in der Lage. Er hatte erkannt, dass es besser war, auf eine günstige Gelegenheit zu warten, und solange er gefesselt war, konnte er nichts unternehmen.

Erst als der Bomber, den der musste es wohl sein, mit seinem Tun an der Augenbinde fertig war, stellte Ryo fest, dass nun auch sein Kopf fest fixiert war, genauso wie der Rest von ihm zur Untätigkeit verdammt schien. Das nächste, was ihn aufkeuchen ließ war, die Hand, die sich an seine Genitalien heranwagte. Sollte jetzt das folgen, was er die ganze Zeit befürchtet hatte, würde er jetzt vergewaltigt werden? Er spürte etwas Kaltes, das sich über seinen Penis schob und mit seinen Hoden fest zusammengezurrt wurde. Er verkrampfte sich, als er wenige Sekunden darauf spürte, wie etwas in seinen Anus geschoben wurde.
 

„Nein... nicht...“ kam es von ihm fast flehend. Er war verzweifelt. Fühlte sich hilflos, dem Bomber auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Eine Träne bahnte sich aus seinen Augen den Weg, unter der Binde, hinab zu seinem Ohr und verschwand darin.
 

Als hätte Ryo’s Peiniger nur darauf gewartet, strich er ihm sanft über die Wange.
 

„Ich bin einen Tag etwa unterwegs und ich möchte nicht zurückkommen und dich verunreinigt wiederfinden. Das kannst du doch verstehen, Schneewittchen. Außerdem habe ich extra für dich etwas gebaut, damit du mich in der Zeit nicht vergisst und wenn du Glück hast, wirst du sogar genug Wasser zum Trinken haben,“ erklärte er und küsste ihn erneut.

„Bevor ich es vergesse, erwähne ich es lieber öfters. Du weißt, dass Schreien keinen Sinn hat, du verausgabst dich nur und schwächst dich selbst... Hast du mich verstanden, Schneewittchen?“
 

Ryo wollte nickend antworten, doch da sein Kopf so fest fixiert war, antwortete er mit einem gekrächzten „Ja!“
 

„Gut... Ich stell es dir noch etwas bequemer ein,“ sagte der Peiniger und drehte das Metallbett etwas hoch, so dass ein leichtes Gefälle von gut drei Prozent entstand. Dann machte er sich an dem Gerät, welches er über Ryo befestigt hatte, zu schaffen und stellte es fein ein. Wartet neben Ryo ab, ob es auch funktionierte. Als der erste Tropfen auf Ryo’s Stirn traf, grinste er diabolisch vor sich hin. Der nächste Tropfen folgte alle dreißig Sekunden.
 

Ryo zuckte beim ersten Tropfen zusammen, erst dachte er, das wäre einmalig, aber nachdem nun einige Tropfen seine Stirn getroffen hatte, wusste er, was ihn erwartete.
 

„Nein... Bitte nicht... mach es ab,“ erklang es nun fast panisch.
 

„Du kennst es. Dann brauch ich nicht lange zu erklären. Wir sehen uns morgen, Schneewittchen. Erhol dich...“
 

Der Peiniger ging einige Schritte zurück und besah sich sein Werk. Die Genitalien waren hundertprozentig sicher und wenn er sich die chinesische Wasserfolter anschaute, wusste er, dass er Ryo bis morgen weich geklopft hatte. Nein, brechen wollte er ihn noch nicht, aber er wollte ihm demonstrieren, wer hier das Sagen hatte.
 

Als er sich der Tür näherte, hörte er Ryo’s Rufen, doch er ignorierte es mit einem gemeinen Grinsen auf den Lippen.
 

Ryo verstummte, als er die Tür zuschlagen hörte. Er wusste, nein, er ahnte, was auf ihn zukam. Er hatte nicht nur einmal darüber gelesen, aber das was er wusste, war, dass es die Hölle sein würde. Alle paar Sekunden dieser Tropfen, der ihn aus seiner Konzentration riss, ihn nicht schlafen lassen würde und ihn so immer wieder zum Bewusstsein brachte, in welcher Lage er sich befand. Er hoffte, dass dieser Tag schnell vergehen würde.
 

Wieder versuchte er, sich auf Dee und seine Tochter zu konzentrieren. Nach ihnen in seinem Herzen zu rufen. Das war alles, was er noch hatte. Die Bilder aus seiner Vergangenheit.
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Dee klopfte kurz an und betrat, dicht gefolgt von Chris, Ross’ Büro.
 

„Sie wollten uns sehen...“ erklang es ruhiger, als er sich eigentlich fühlte, nachdem er die Tür hinter sich zugemacht hatte.
 

„Gibt es Neuigkeiten von dem Bomber?“ fragte Chris und blieb neben Dee stehen.
 

Eine Weile blieb es still in dem Büro, nur das Knarzen von dem Sessel, auf dem Barclay saß, füllte die Stille aus. Kommentarlos beugte Ross sich nach vorne und betätigte einen Knopf und setzte somit das Tonbandgerät in Gang, welches sich fast mittig auf dem Schreibtisch, welcher in gewohnter Weise aufgeräumt war, befand.
 

Statisches Rauschen füllte vorläufig den Raum dann folgte eine allen bekannte Stimme. „Was... was willst du von mir?“ Wieder nur Rauschen.
 

Dee fühlte sich elend, als er Ryo’s Stimme vernahm. Sie klang weder ängstlich noch voller Pein, wie er sich in den letzten Tagen ausgemalt hatte. Dennoch musste er sich in einen der drei Stühle sinken lassen. Mit aller Macht war alles, was er in den vergangenen Tagen und Wochen verdrängt hatte, auf ihm zusammengekracht. Atemlos lauschte er, genauso wie Chris, dessen Hand sich einen Weg auf seine Schulter gebahnt hatte, weiter dem statischen Rauschen, das gerade erneut unterbrochen wurde.
 

„Nein... Bitte nicht...“ Diesmal konnte man die Panik, die Ryo erfasst haben musste, klar heraushören und Dee biss verzweifelt auf seine Lippe, knetete die Finger ineinander, dass man das Weiß der Knöchel deutlich sah.
 

Barclay streckte erneut seine Hand vor und stoppte das Band.
 

„Ich habe diese Aufzeichnung eben erhalten. Sie lag heute morgen auf meinem Schreitisch und ich war so frei, sie sicherheitshalber überprüfen zu lassen,“ erklärte Ross erst einmal, warum er die Aufnahme nicht schon früher vor den beiden Cops abgespielt hatte. Ross lehnte sich zurück und legte die Fingerkuppen aneinander, blickte dann zuerst auf Chris und dann auf Dee.
 

„Wenn ich richtig hingehört habe, und meine Ohren und mein Gedächtnis sich noch richtig erinnern, dann war das eben Ryo MacLane’s Stimme auf dem Band. Die Techniker sind sich ziemlich einig darüber, dass die Aufnahme nicht älter als höchstens 24 Stunden ist. Nun... Wenn ich mich jedoch richtig erinnere, haben wir Ryo vor vier Tagen beerdigt. Und wenn ich mir jetzt auch noch deine Gestik und Mimik betrachte, Dee MacLane, dann kommt mir der Gedanke, dass es dich noch nicht einmal umhaut, zu hören, dass dein verstorbener Mann anscheinend doch nicht so tot ist, wie er eigentlich sollte.“
 

Chris hielt Dee an der Schulter fest, sonst wäre dieser aufgesprungen und hätte Barclay hinter seinem Schreibtisch hervorgezogen und ihm eine gelangt. Doch so blieb ihm nichts weiter übrig, als sitzen zu bleiben. Immer wieder hörte er die letzten Worte von Ryo ‚nein... bitte nicht...’ Es krampfte sich in ihm alles zusammen und nur mit Mühe hielt er seine aufgebrausten und sorgenvollen Gefühle zurück.
 

„Weißt du, woher es stammt?“ eröffnete Chris den Frageregen.
 

„Nein, aber ich habe die stille Hoffnung, dass ihr zwei mir da mehr sagen könnt.“
 

„Ryo lebt...“ murmelte Dee und versuchte seine noch immer ineinander verkrampften Hände zu lösen. Er musste etwas tun, sonst würde er noch durchdrehen.
 

„Du hast es gewusst, Chris?“
 

„Nun, Ross. Ja. Ich erfuhr es kurz vor Dee. Wenn’s dir recht ist, erzähl ich dir die ganze Geschichte.“

Chris zog sich einen Stuhl neben Dee und erzählte Barclay, so weit wie er wusste, von den Geschehnissen rund um Ryo’s Flammentod, seine wundersame Rückkehr und was es mit dem Ring auf sich hatte. Dass Black in dieser Sache die Oberhand hatte, ließ er jedoch nicht ganz so schlimm durchklingen, stellte ihn eher als Berater hin. Auch wenn Chris an dem Verhalten von Ross sah, dass dieser mit dieser Erklärung recht große Zweifel hatte.
 

„Wenn ich mal zusammenfassen darf...“ räusperte Ross sich, „ihr hattet den Plan, den Bomber bei der Beerdigung ausfindig zu machen, habt Ryo ohne Schutz in die Kapelle geschickt, von wo er dann vor vier Tagen verschwand, und ihr vermutet nun, dass er in der Hand des Bombers ist?“
 

Ross warf einen Blick in die Runde und schüttelte dann wütend den Kopf. Auch den folgenden Worten konnte man seine Wut anhören. Denn er donnerte seine Worte förmlich heraus, dass die Scheiben klirrten.
 

„Warum seid ihr nicht zu mir gekommen? Schon als Ryo auftauchte. Wir hätten ihn besser absichern können als ihr. Dee? Dass du dabei mitgemacht hast, wundert mich. Nachdem, was da passiert ist... Wirklich Respekt!“ Die letzten beide Worte tropfen nur so vor Hohn und Spott.
 

Endlich meldete sich auch Dee wieder zu Wort, und es schien ihm unglaublich viel Kraft zu kosten.

„Ich habe mich von Ryo überreden lassen. Glaub mir, Barclay, noch nie ist mir meine... meine... Zustimmung so schwer gefallen. Glaubst du wirklich, dass ich mir nicht jede Sekunde, die vergeht, vorwerfe, was ich zugelassen habe? Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich gefreut habe, ihn lebend vor mir zu sehen, nur um ihn jetzt an einen bombenlegenden Psychopathen zu verlieren... Ich weiß, dass der Bomber uns kennt. Er ist einer in unserem Umkreis und ich werde ihn zur Strecke bringen, das schwöre ich.“
 

„Jetzt beruhige dich erst einmal wieder, Dee,“ meinte Ross und lehnte sich wieder etwas vor. „Wenn du mich fragst, ist dies erst der Anfang. Er will, dass wir, oder eher du, weißt, dass dein Mann noch lebt. Eins musst du dir jetzt vor Augen halten...“
 

„...Er wird ihn nicht töten,“ warf Chris ein und beendete damit den angefangenen Satz seines Vorgesetzten.
 

Dee blickte von Chris zu Ross und wieder zurück. Langsam dämmerte es ihm, was die beiden meinten.

„Der Anfang... Du meinst, dass er ihn... ihn...“

Dee verstummte, als ihm die ganze Tragweite dessen überfiel, was sein Chef und sein neuer Partner ihm verdeutlichen wollten. Daraufhin sackte er noch eine Spur weiter in den Stuhl und schloss gequält die Augen.

„Ryo!“ wimmerte er leise und schlug die Hände vor sein Gesicht.
 

„Bevor ihr kamt, hatte ich mir das Band schon angehört und bereits Schritte eingeleitet. Wir schaffen es augenblicklich nicht alleine, den Kerl dingfest zu machen, geschweige denn eine heiße Spur zu ergattern. Ich habe beim FBI angerufen und mit Diana Spacey gesprochen. Sie war von der Tragweite dessen, was hier momentan abläuft, sehr ergriffen. Sie mag Ryo und dich, das brauche ich hier nicht noch einmal zu verdeutlichen. Sie wird in einigen Stunden, spätestens morgen mit einem ihrer Kollegen hier auftauchen und uns mit Rat und Tat zur Verfügung stehen,“ erklärte Ross langatmig.
 

„Du weißt doch, was das für Profis sind, die sie bisher angeschleppt hat, Commissioner. Sie sind nicht die...“
 

„Dee!“ unterbrach Ross ihn.

Irgendwie hatte er mit seiner Vermutung wohl recht. Bisher waren alle FBI-Beamte, die neben Dina hier aufgetaucht waren, mittelmäßig gewesen. Aber so, wie sie von ihrem Begleiter sprach, schien dieser ein ganz anderes Format zu haben.

„Treffen wir keine voreiligen Entschlüsse, Dee. Sie meinte, er sei der beste Profiler, den sie kennt.“
 

„Gut. Ich... kann ich gehen?“
 

Ross nickte und entließ somit die beiden Cops aus seinem Büro. Er wusste, dass Dee das alles erst einmal verkraften musste. Die neueste Situation war noch schlimmer als der Tod des Partners. Zu wissen, dass er lebte und dass er... nun, da musste man auf Spekulationen zurückgreifen, und das lag Barclay nicht. Er konnte es sich auch nur schwer vorstellen. Ryo gefoltert und gemartert, dem Tode näher als dem Leben irgendwo festgeschnallt.
 

~~~~
 

Nachdem Dee seine Jacke aus dem Büro geschnappt hatte, verließ er, ohne nach links oder rechts zu schauen das Revier. Rasch schlug er den Kragen hoch und steckte die Hände in seine Jackentaschen. Er musste nachdenken. Er brauchte einen klaren Kopf und so marschierte er, ohne auf die Passanten zu achten, geradeaus. Er wusste nicht, wie lange er gelaufen war, als plötzlich neben ihm ein Wagen hielt und jemand laut nach ihm rief.

Dee reagierte nicht, er wollte nur seine Ruhe. Doch der Fahrer schien hartnäckig zu sein. Er fuhr langsam neben ihm her, bis er schließlich an einer Kreuzung abbiegen konnte und Dee somit den weiteren Weg versperrte.
 

„Dee... Dee Layton?!“ rief ihm eine fröhliche Stimme entgegen.

„Das glaub ich nicht, du bist es doch.“
 

Erst als sein Weg so unwillig blockiert war und diese Stimme permanent seinen Namen rief und die Person nun auch noch ausstieg und auf ihn zukam, schob er endgültig seine Gedanken zur Seite und sah sich den Störenfried genauer an. Irgendwie kam er ihm bekannt vor. Das schwarze Haar war kurz geschnitten und mit Gel zu kleinen kecken Kraterstacheln nach oben frisiert. Seine hell funkelnden braunen Augen leuchteten richtig, als er sich mit weit ausgestreckten Armen Dee in den Weg stellte.
 

„Mensch, Dee... Sag nur, du erkennst mich nicht mehr?!“ grinste der Unbekannte von einem Ohr zum nächsten.

„Na gut, ist ja fast ein ganzes Leben her. Gut schaust du aus...“ kam er grinsend auf Dee, der ihn immer noch ratlos anblickte, zu und umarmte ihn schlicht mitten auf der Straße.
 

Dee löste sich sofort aus dieser, wenn auch angenehmen, Umarmung und trat einen Schritt zurück.

„Sorry, Kumpel. Aber ich glaube...“
 

„Du hast mich vergessen, obwohl du mir mal sagtest, dass ich deine erste Liebe sei... Das tut weh, Dee. Wirklich...“ hauchte er und hielt sich theatralisch die Brust und begann zu taumeln. Doch das Grinsen auf dem Gesicht nahm dem allen den Ernst.
 

„Pat...Patrick McNear?“ kam es nun tonlos von Dee.

Da hatte er erst kürzlich seinen Namen ausgesprochen. Wann war das gewesen... Genau, an dem Tag, als Ryo verschwand und Black nach seinen Ex-Lovern gefragt hatte. Und nun stand dieser wirklich und wahrhaftig vor ihm und grinste ihn an.
 

„Ja,“ ging ein Leuchten über das schmale Gesicht und machte es noch eine Spur sanfter.

„Komm, lass uns was trinken, ich hab zwar nicht viel Zeit, aber auf ein Bier wird es schon reichen,“ meinte er und legte Dee, der einen halben Kopf größer war als Patrick, den Arm um die Schulter.

Doch auch diesmal machte Dee sich frei.
 

„Sorry, Pat. Heute nicht. Ich... Ich habe keine Zeit.“
 

„Erzähl keinen Quatsch, Mensch. Du trottest hier in aller Ruhe durch die City, schaust weder rechts noch links, wirst fast überfahren und da soll ich dir glauben, dass du einen alten Freund nicht mal auf ein Bier, oder meinetwegen Kaffee begleitest? Komm schon, was ist aus dem frechen Dee nur geworden?“ klopfte er ihm nur noch sanft auf die Schulter, wollte wohl nicht schon wieder zurückgewiesen werden.
 

„Privat... Sorgen. Gib mir deine Nummer. Ich meld mich mal,“ meinte Dee und hoffte, dass er bald weiter grübeln konnte und Pat, den er seit gut 18 Jahren nicht mehr gesehen hatte, endlich los wurde.
 

„Ich kenn das doch. Du wirst nicht anrufen. Schade eigentlich, Dee. Vielleicht sieht man sich ja noch mal. Lebe ja jetzt hier... Manhattan. 5th Avenue. Hier meine Karte. Auch wenn du dich nicht meldest. Ich habe nie aufgehört dich zu lieben, Dee. Egal, was auch passiert ist damals...“ sagte er leise, drehte sich dann um, ohne auf Dee’s Reaktion zu warten, stieg ein und fuhr, nachdem er in den Rückspiegel geschaut hatte, los. Hob grüßend noch mal die Hand und verschwand dann auch augenblicklich im Getümmel des Verkehrs.
 

Dee sah auf die Karte hinab und steckte sie sich gedankenversunken einfach ein.
 

«Schon merkwürdig, da denkt man jahrelang nicht an ihn und dann zweimal in kurzer Zeit...»
 

Tief atmete er durch und ging weiter. Inzwischen hatte er auch die Richtung erkannt, die er eingeschlagen hatte. Der Park. Dort, wo er mit Ryo immer mit Sara herumgetobt hatte. Dort, wo sie sich geküsst hatten, wo sie sich ihre Liebe oft gestanden hatten, dort zog es ihn nun hin. Dort fühlte er sich Ryo so nah.

Er ließ sich auf einer Bank nieder und sah blicklos geradeaus auf den kleinen Teich. Enten tummelten sich darauf, und Kinder sowie Erwachsene warfen diesen Brotkrumen zu. Er lächelte leicht in Erinnerung, wie Sara dies auch jedes Mal getan hatte und wohl auch wieder tun würde. Nur ob Ryo dann auch so ausgelassen und fröhlich mitmachen würde.
 

«Ryo. Vergib mir... Ich hätte niemals zustimmen sollen... was musst du wegen mir leiden... nur weil ich wie Black dich in Gefahr gebracht habe... Ich liebe dich so sehr...»
 

Leise schluchzte er auf. Wusste, dass sich hier nie jemand um den andern kümmerte. Er konnte hier seine Gefühle frei lassen. Lange saß er dort, bis ihn sein Pager aus der Trauer riss. Er musste zurück, Diana Spacey mit ihrem fähigsten Kollegen war eingetroffen. Er winkte sich ein Taxi, zurück hätte er mindestens zu Fuß eine Stunde gebraucht.
 

++++++++ TBC

Dienstag - 03. Juli - etwas später

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Ryo wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Für ihn waren es Stunden, vielleicht auch Tage oder schon Wochen. Selbst seine Versuche, sich auf Dee und seine kleine Tochter zu konzentrieren, scheiterten. Er fühlte sich hilflos, allein und verlassen. Jeder Tropfen, der auf seine Stirn einschlug, hämmerte ihm ein, dass er nicht frei war. Gefangen in allen seinen Entscheidungen.
 

Zu allem Überfluss brannten ihm die Tränen hinter den Augen. Denn er wusste, dass er sie noch nicht einmal frei lassen konnte. Die eine Träne, die er bisher geweint hatte, brannte schon genug und wenn er sich nur ausmalte, was eine ganze Tränenflut mit seinen Augen anstellen konnte, behielt er sie lieber ungeweint dort, wo sie herkamen. Auch das ließ seine Augen rot werden, aber die entzündeten sich nicht so, als wenn er sie frei lassen würde. Die Maske, die so eng auf seinen Augen lag, verhinderte dass sie abflossen und dadurch würden seine eigenen Tränen diese schon grausame Folter noch verschlimmern. Denn der Salzgehalt in diesen kleinen Tropfen würde nur dazu führen, dass sich seine Augen entzündeten.
 

Noch nie hatte er sich so verletzlich gefühlt. So allein gelassen, nicht mal an dem Weihnachten, das er alleine verbringen musste. Dabei hatte er gedacht, dass dies der schlimmste Teil seines Lebens gewesen wäre. Aber jetzt wusste er, dass es noch schlimmer kommen konnte, und auch noch würde.

Erneut riss er an seinen Fesseln, spürte, wie sich seine Handgelenke mehr und mehr aufscheuerten. Sein Nacken schmerzte von den vielen Versuchen, den Tropfen auszuweichen, doch jeder Versuch scheiterte. Er würde nicht aufgeben, das nahm er sich vor, auch wenn er jetzt schier verzweifelte.

Aber sein Peiniger würde wieder kommen, ihn von dieser Folter losbinden und dann mit neuen anderen weiter zu machen, aber er würde nicht aufgeben. Es gab etwas in seinem Leben, das er wieder haben wollte und darum würde er kämpfen. Kämpfen, solange er konnte. Solange er die Kraft dazu aufbrachte zu atmen, solange würde er versuchen, seinem Peiniger zu entkommen, wenn vielleicht nicht körperlich, so jedoch geistig. Er würde sich nicht brechen lassen. Nicht, solange es Dee und Sara da draußen gab, die auf ihn warteten.
 

~~~~ In Black’s Büro ~~~~
 

Sorgenvoll heftete sein Blick auf dem Bericht, den er in den Händen hielt. Behutsam, so als könnte dieser zerfallen, legte er ihn auf den aufgeräumten Schreibtisch zurück, hob den Blick und sah seinen langjährigen Angestellten, Freund und Lebensgefährten an.
 

„Was ist das?“ fragte er mürrisch.
 

„Das, was ich herausgefunden habe,“ erhielt Black prompt die Antwort.
 

„Willst du mich verarschen, Mick?“
 

„Nein, Sir. Natürlich nicht.“

Normalerweise redete er mit Aaron normal, aber unter diesen Umständen wahrte er lieber den diskreten Umgangston zwischen Boss und Angestellten, er wollte sich sein privates Leben mit Black nicht auch noch stressig gestalten müssen. Es langte ihm, dass sein Chef in den letzten Tagen alles und jeden kritisierte und das nur, weil sie nicht weiter kamen. Keinen Anhaltspunkt fanden. Es war aber auch zum Mäuse melken. Ruhig blieb er vor dem Schreibtisch stehen und wartete auf die nächsten kommenden Worte von Aaron Black.
 

„Du willst mir sagen, dass du nichts herausgefunden hast. Seit drei Tagen und Nächten schleichst du hinter Sam Yester her und du hast nichts...“ donnerte er, stand auf und schlug die Hände auf den Schreibtisch.

Funkelte seinen Untergebenen zornig an. Die sonst so ruhige Person überschlug sich förmlich. Noch nie hatte Black sich so in irgendetwas so hineingesteigert, so falsch gelegen, wie in dem momentanen Fall ‚Bomber’. Nichts lief so, wie er es wollte, und das fuchste ihn. Hinzu kam, dass er sich unfähig fühlte, das Dilemma zu beheben. Er rannte täglich mehr in eine Sackgasse und all die Hoffnungen, die er auf die Nachforschungen gesetzt hatte, liefen nun ebenfalls in den Sand.
 

Mick blieb ruhig stehen. So aufbrausend und unbeherrscht kannte er ihn selten. Kein Wunder, betraf es ja auch indirekt ihn. Schließlich waren die MacLanes gute Freunde. Sehr gute Freunde, sozusagen. Eigentlich bezeichnete Black sie gerne auch als einen Teil seiner Familie. Dennoch, er wusste, dass Black das ganze zu Herzen ging, und wenn nicht langsam Erfolgsaussichten irgendwo auftauchten, würde er wohl noch durchdrehen. Aber die Spur Sam Yester verlief im Sande.
 

„Wie ich geschrieben habe, ist er ein ganz normaler Bürger. Er fährt mit der Bahn nach Little Italy, Baxter Ecke White. Kauft sich unterwegs die Morgenausgabe der ‚Times’ und betritt so gegen 8:00 Uhr in der Früh seine Wohnung in einem Apartmentblock auf der White Street. 3rd Floor, Apartment 303. Danach verbringt er bis etwas 3:00 Uhr am Nachmittag den Tag in der Wohnung. Mit der Bahn fährt er dann in seine Stammkneipe, dem ‚Strand’. Dort bleibt er, bis er sich dann aufmacht, um pünktlich wieder im ‚Blue Star’ zu tanzen. In seiner Abwesenheit habe ich sowohl das Apartment als auch den kleinen Kellerraum, der dazugehört, untersucht und auch verwanzt. Nichts. Er ist einfach ein normaler Schwuler. Keine großartigen Vorstrafen. Normale Schulbildung. Kein College. Schon gar keine Ausbildung oder Zugang zu C4. Nichts. Also ein Schuss in den Ofen!“ kommentierte Mick seinen Bericht nochmals mündlich.
 

So ein langweiliges und normales Leben, wie es viele New Yorker führten. Ob sie nun hetero oder schwul waren. Nichts ungewöhnliches eben.
 

„Ich hab Dave dennoch auf ihn angesetzt und er behält ihn vorläufig noch im Auge. Aber glaub mir, Black, der Junge ist clean. Jedenfalls in die Richtung, in der ich ermittelt habe.“
 

„Was ist mit seinem Boss?“
 

„Da ist auch nichts, Aaron. Der hat genauso wenig Ahnung von Bomben wie ein frisch geborenes Katzenjunges. Wir vergeuden unsere Zeit...“
 

„Sag du mir nicht, was ich zu tun habe,“ donnerte, nein schrie Black Mick an, der sich so angefahren gerade hinstellte, den Kopf leicht zur Seite neigte und seine Wangenmuskeln spielen ließ.

Kein Wort kam aus seinen fest zusammengepressten Lippen hervor. Dafür sprachen seine dunklen Augen um so mehr.
 

Aaron kannte das und wusste, dass er ihn ungerechterweise angefahren hatte. Doch er würde sich nicht entschuldigen. Das wussten beide. Doch damit würde die Spannung nun doch auch ihr Privatleben mit beeinflussen. Denn Mick würde nicht so schnell klein beigeben. Auch er hatte eine Grenze, die soeben überschritten wurde.
 

„Wen soll ich als nächsten durchleuchten?“ fragte Mick und man hörte ihm deutlich an, dass er dies jetzt in der Stimme des Untergebenen sprach.
 

„Den Besitzer von Blows & Brights. Vielleicht findest du da ja was!“ meinte Black schon ruhiger.
 

Nur ungern erinnerte sich Black an den letzten wirklichen Streit, den er mit Mick je hatte, und er wusste, dass dies hier um Längen schwieriger zu kitten war. Es war etwas anderes, wenn es nur die Arbeit betraf, aber er hatte Mick persönlich und direkt angegriffen. Bisher war er stets froh gewesen, wenn Prescott ihm mit Rat und Tat zur Seite stand. Dass er so ausgeklinkt war, lag wirklich nur an seiner eigenen Anspannung. An der Sorge um Ryo. Aaron wusste, dass Mick das ebenfalls wusste. Dennoch war dies keine Entschuldigung für das, was er getan hatte.
 

„Wie ‚Sie’ wünschen, Boss,“ erklang es auch schon, unbarmherzig hart. Obwohl Mick der Ansicht war, dass es wohl auch wieder nur Zeitverschwendung sein würde. „Ich fange dann gleich an, Sir.“
 

Ein Kübel Eiswasser hätte nicht kälter sein können als das ‚Sir’ aus Mick Prescotts Mund und demzufolge schauderte es Black auch ein wenig.
 

„Mick,“ hielt er ihn dennoch auf.
 

Der Angesprochene schaute seinen Boss schweigend und abwartend an. Gab jedoch keinen Zentimeter nach. Er wusste, dass eine Entschuldigung das schlimmste für Black war, aber so leicht würde er nicht nachgeben. Diesmal nicht.
 

„Du... hast vielleicht... recht!“ brachte Black es zaghaft ruhig, aber mit fester Stimme hervor.
 

Mick kam ihm einen Schritt verbal entgegen. „Nein, Sir. Nicht vielleicht. Ich habe recht.“
 

„Gut... schon gut. Du hast recht. Ich weiß. Aber wir sollten dennoch...“
 

„Black. Wenn ich dir was sagen darf... persönlicher Art...“
 

Black nickte und wartete auf das, was jetzt kommen würde. Die Stimme von Mick hatte nicht mehr ganz so frostig geklungen wie noch zu Beginn des kleinen Disputs. Er hoffte, dass er noch das Schlimmste verhindert hatte.
 

„Du packst es falsch an. Wir beginnen am falschen Ende nach dem Anfang zu suchen.“
 

„Was meinst du damit?“ Black war nicht erst seit gestern in dem Geschäft und wusste, was Sache war und wie man gewisse Dinge anfasste, aber die Worte von seinem Lover ließen ihn nun doch aufhorchen.
 

„Chris hat gemeint, dass wir jemanden suchen, der es auf die MacLanes abgesehen hat und dass dieser in dem Umfeld herum zu finden ist. Gut und schön. Aber dennoch bin ich der Ansicht, dass wir... anders vorgehen sollten.“
 

„Würdest du es genauer erklären!“ forderte er ihn auf und setzte sich mit seinem Po auf die Schreibtischkante, so dass zwischen ihm und Mick nichts mehr befand außer einem Zwei-Meter-Abstand.
 

„...Wir suchen jemanden, der die MacLanes kennt, jemand, der ihnen Übles will. Aber dieser muss mindestens eine Ausbildung im Bombenbauen haben. Keiner baut eine Ultraschalltiefsbereichbombe ohne Ausbildung. Militär, Camps, FBI, CIA und so in diese Richtung. Ich hab da schon angefangen, nach der ersten Bombe, du erinnerst dich. Der Kerl, der entmannt wurde. Der spurlos untergetaucht ist. Ich habe weder Namen noch sonst was, aber ich meine ja auch nur, dass wir... ich vielleicht eher wieder in diese Richtung schnüffeln geh, und die anderen Jungs hier... den engen Umkreis durchchecken.“
 

Eine Weile herrschte Schweigen. Mick beobachtete seinen Freund, wie dieser angestrengt nachdachte. Auf alle Fälle hatte er nicht gleich abgelehnt und das gab ihm ein wenig Hoffnung.
 

„Okay. Du hast recht. Wir sollten das auf alle Fälle mit in unsere Überlegungen einbeziehen... Aber ich...“
 

„Entweder du gibst mir die Erlaubnis oder ich tue es so oder so,“ fiel Mick Black ins Wort.

Ging auf ihn zu und blieb direkt vor ihm stehen.

„Ich will Ryo genauso befreien wie du. Dazu müssen wir den Bomber finden. Schnell finden. Wer weiß, was er Ryo alles antut. Wenn er ausgebildet ist, was ich stark annehme, hat er Möglichkeiten, Ryo zu brechen und ihn in ein seelisches Wrack zu verwandeln... Wir haben nicht die Zeit, um diese groß zu vergeuden. Bitte, Aaron... lass mich frei jagen...“
 

Black sah hinauf in die dunklen Augen, sah das Feuer, das darin glühte und er wusste, er konnte ihn nicht länger bändigen. Er nickte, so schwer es ihm auch fiel.

„Pass auf dich auf, Mick. Denk immer daran, dass ich dich brauche und liebe.“
 

„Das werde ich. Ich dich übrigens auch,“ hauchte er und vergessen war das von eben. Sanft trafen sich ihre Lippen, die sich kurz trennten, um erneut feurig aufeinander zu prallen.
 

Nur schweren Herzens ließ Black seinen Lover gehen. Die Hoffnung blieb jedoch, dass er diesmal wenigstens das Richtige getan hatte.
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclay’s Büro ~~~~
 

Dee erreichte das Revier gut eine Viertelstunde, nachdem Ross ihn angepiepst hatte, mit gemischten Gefühlen. Seinem Gesicht war auf alle Fälle nichts mehr von seinem Ausbruch im Park anzusehen. Beherrscht blickte er in die Runde und sah auch schon, wie der violetthaarige J.J. sich den Weg zu ihm bahnte. Doch er hatte einfach nicht die Lust noch den Elan, sich jetzt mit ihm zu unterhalten. So strebte er einfach an ihm vorbei, ließ sich auch nicht von dessen Hand und erst recht nicht von seinem fröhlichen Getue aufhalten, sondern ließ ihn links stehen und begab sich auf direktem Wege zu Ross’ Büro. Klopfte kurz an, wartete auch nicht auf eine Aufforderung, sondern öffnete die Tür und schloss diese, sobald er eingetreten war.
 

Stille umfing ihn, als die Tür hinter ihm zufiel. Das Gespräch schien wie abgeschnitten, denn dass sie vorher lebhaft geredet hatten, zeigte die Hand von Ross, die sich deutend auf einen Punkt zu richten schien.
 

„Dee!“ erklang die sanft melodische Stimme von Diana und schon wenige Augenblicke später wurde er von ihr umarmt und geherzt.

„Was muss ich da von euch hören... Ts Ts Ts... Also das hätte ich nun wirklich nicht gedacht. Aus den Dumme-Junge-Jahren seid ihr beiden doch schon längst raus!“
 

„Hi Diana!“ brachte er mühsam heraus und ging dann auf Abstand.

Er mochte das quirlige Weibsstück ein wenig. Aber dass sie sich immer so aufbrausend um alles kümmerte, ging ihm ziemlich gegen den Strich. Doch so war sie nun mal und er hatte gelernt, damit umzugehen.

„Ich sollte kommen?“ fragte er schließlich und richtete den Blick auf Ross, der es sich wieder hinter seinem Schreibtisch in seinem Ledersessel bequem gemacht hatte und, die Fingerspitzen aneinander gelegt, die Begrüßung von Diana und Dee schweigend verfolgt hatte.
 

„Hrm... Ja.“ Mit einem Knarzen des Sessels erhob er sich und richtete Dee’s Blick auf das Zimmereck, welches bisher völligst ignoriert wurde.
 

„Darf ich dir den Profiler vorstellen, den Diana...“
 

„Pat?“ kam es leicht irritiert von Dee, als der etwas im Schatten Stehende vortrat und ihn anlächelte.
 

„Hi, Dee!“
 

„Was... was machst du denn hier?“ fragte er und konnte es nun wirklich nicht glauben.

Da dachte man jahrelang nicht an ihn und dann plötzlich dreimal in kurzer Zeit. Das war unglaublich.
 

„Diana, sagte mir, dass ihr einige Probleme mit einem Kerl habt und da ich...“
 

„Du? Du bist der Profiler? Mensch, was ist mit deiner Karriere beim FBI und so geworden?“
 

„Demnach kennt ihr euch. Auch gut,“ murrte Ross dazwischen und ließ sich wieder zurücksinken.
 

„Ähm... Wir waren auf der Schule zusammen. Gingen dann getrennte Wege. Mensch... Dee.“

Patrick McNear freute sich wie ein Schneekönig, seine alte erste Liebe wieder zu sehen und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Jetzt wirst du wohl Zeit haben, mit mir zu reden?“
 

Dafür erhielten die zwei nah beieinander Stehenden denkwürdige Blicke aus drei Augenpaaren.
 

„Ja, klar! Pat, das ist mein Partner Chris Jackson. Mit ihm arbeite ich im Augenblick an dem ‚Bomber’ Fall. Ich weiß ja nicht, wie viel Informationen du schon bekommen hast...“
 

Pat nickte dem weißhaarigen Cop freundlich zu und richtete dann gleich sein Augenmerk zurück auf Dee.
 

„Nun, wir wollten warten, bis du dich hier blicken lässt. Bisher weiß er nur das, was die anderen New Yorker auch wissen. Nämlich das, was in der Zeitung steht,“ sagte Ross ruhig und mit ernster Stimme. Das hier war schließlich kein Kaffeeklatsch, hier ging es um Menschenleben und um eines ganz besonders.
 

„Barc meinte, dass du uns mehr sagen kannst über den Bomber. Da du und Ryo... Sorry, Dee. Ich hatte nichts gehört von all dem, sonst wäre ich schon eher gekommen,“ meinte sie leise und mit brüchiger Stimme. Doch gleich darauf strahlte ihr Gesicht schon wieder. „Deiner Tochter geht es aber gut? Hast du sie zu dir geholt oder wo ist sie?“
 

„Tochter?“ kam es leise von Pats Seite, was völligst ignoriert wurde.
 

„Ich will sie nicht erneut dem Bomber aussetzen und es reicht mir, dass einer in Lebensgefahr schwebt. Sara bleibt da wo sie ist und wo, das bleibt mein Geheimnis,“ erklärte er schlicht, steckte die Hände in die Hosentasche um das Thema als beendet zu erklären.
 

„Gut,“ gab Diana auch gleich nach, hockte sich auf die Schreibtischeckkante und ließ ein Bein baumeln. „Barc, du sagtest was von einem Tonband?“
 

„Ja. Aber vorher sollten wir eine Kurzfassung von den Geschehnissen hören. Dee, wenn du...“
 

Der dunkelhaarige Cop lehnte sich gegen die Wand, winkelte ein Bein an und kreuzte die Arme, als ob er ein Schutzschild vor sich aufbauen wollte. Dann begann er, mit monotoner Stimme zu sprechen.
 

„Freitag Abend erhielten wir den Einsatzbefehl, dass eine Bombe im gerade eröffneten Club ‚Chamer’ hochgegangen sei. Es gab sowohl Verletzte als auch Tote. Darunter das Ehepaar Mitchell. Peter, einer der Besitzer, überlebte schwer verletzt, konnte sich aber wage an die Ereignisse erinnern. Jedenfalls erhielten wir durch ihn den Hinweis mit der Videoüberwachung, was uns in diesem Fall erheblich weiter brachte. Inzwischen ist Peter jedoch seinen schweren Verletzungen erlegen. Anhand der Aufzeichnungen konnten wir den Hergang und die Platzierungen der Bomben ermitteln. Dazu könnte unsere Spurensicherung mehr beitragen, aber ich denke, dass Jim Cambel noch mit der Neuauflage seiner Beweise beschäftigt ist.

Dienstag gegen Mittag erhielten wir die nächste Bombenmeldung. Ebenfalls in der Christopher Street. Es gab nur einen Verletzten, den Ladeneigentümer. Doch der Sex-Shop, den er führte, war völlig zerstört. Reißzwecken, Nägel und so was, doch auch dazu müsste man die Spurensicherung befragen.

Am selben Abend ging das Basra in Flammen auf. Dabei gab es jedoch nur Sachschaden. Weder Verletzte noch Tote.

Dann am...“
 

„Moment mal, Dee!“ unterbrach ihn Diana, die die Akte vor sich auf dem Schoß hatte.

„Ich dachte... und auch den Unterlagen nach gab es insgesamt vier Tote bei diesem Brand. Der Koch Max, der Eigentümer Tony, deine Tochter Sara und Ryo MacLane. Würdest du uns erklären, warum du nun sagst, dass es keine Opfer gab?“ Sie schloss die Akte, hielt zwar einen Finger an die Stelle, wo sie war, schaute Dee dann sehr neugierig an.
 

Dee fühlte sich nicht ganz wohl und warf Chris einen hilfesuchenden Blick zu. Er hatte Ross da eine Geschichte erzählt, der er nicht ganz gefolgt war und nun fühlte er sich ein wenig in der Bredouille. Wenn er etwas anderes sagte als Chris, doch diesem schienen die Hände gebunden zu sein, und so zuckte er nur leicht mit der Schulter.
 

„Sie kamen nicht in dem Napalmfeuer um. Max, der dortige Koch, entdeckte eine Tasche oder einen Beutel, der dort nicht hingehörte und Ryo zählte eins und eins zusammen und brachte sie gerade noch rechtzeitig aus dem Hinterausgang in Sicherheit. Dabei verbrannte er sich den Rücken und war demzufolge nicht in der Lage, sich zu melden. Tony, der Besitzer, kannte einen Arzt, der Hausbesuche machte und dieser setzte Ryo unter schmerzstillende Mittel.

Erst einige Wochen später erfuhr ich, dass Ryo noch lebte. Wir waren uns einig, dass es eine gute Chance ist, den Bomber zu finden, wenn er weiter im Schatten arbeitet. Dass dies ein Fehler war, ist nun nicht mehr abzuändern.“
 

„Ryo lebt?“
 

„Dazu kommen wir gleich, Diana. Da fehlt noch etwas... Bitte, las Dee erst die ganzen Fallfakten zusammentragen,“ verhinderte Ross, dass Diana Spacey mit ihrer Fragerei fortfuhr.
 

„Ähm... wo war ich... Es war einige Zeit ruhig. Keine Anschläge, es war, als ob alle auf etwas warten würden und das kam dann am Freitag. Jims Computer wurde Opfer eines heimtückischen Anschlags. Seine sämtlichen Daten wurden von einer Diskettenbombe vernichtet. Seit dem arbeitet er daran, diese wieder alle zusammenzufassen. Der Täter war ein Schüler aus dem Crime Institut. Brian, der Überbringer der Diskette, lebte in einem Waisenhaus und wurde wohl erpresst und anschließend umgebracht. Wir vermuten, dass es sich bei dem Täter um den Bomber handelt. Doch sichere Beweise haben wir in diesem Fall nicht.“
 

Dee beendete seinen Bericht und sah in die Runde. Bisher hatte nur Diana gesprochen und der eigentlich Profiler hatte sich außer einigen Notizen nicht zu Wort gemeldet.
 

„Das heißt, drei Ziele, die fest mit dem Täter zusammenhängen. Wie? Ich möchte ja hier nicht die Routine durcheinander bringen, aber welchen Zusammenhang seht ihr, dass alle Bomben von ein und der selben Person durchgeführt wurden?“ fragte Patrick McNear, nachdem sich die letzten Worte von Dee im Raum verteilt hatten.
 

„Die erste Bombe, wenn ich mir das Gehörte nochmals zurückrufe, dürfte wohl von einem Fachmann in diesem Metier gebraucht worden sein. Doch eine Splitterbombe oder eine Napalmbombe, geschweige denn eine Diskettenbombe, das kann man sich im Internet zusammensuchen und nachbauen,“ verifizierte er seine Äußerung und blickte von einem zum anderen, wobei sein letzter Blick auf Dee ruhen blieb.
 

„Nun, Mr. McNear, wenn ich...“
 

„Nicht, dass ich Ihnen nicht zutrauen würde, die Fakten zu kennen, Commissioner Ross. Aber ich gedenke, mit den Personen zu reden, die mit dem Fall eng zusammenhängen, und das wären dann wohl Dee Layton und Chris Jackson.“
 

„MacLane,“ warf Dee ein. „Mein Name ist Dee MacLane, Pat.“
 

„Wie auch immer,“ sagte der hinzugezogenen Profiler und blickte Dee skeptisch an.
 

Ross fühlte sich in seinem eigenen Büro bis aufs Hemd faktisch blamiert und musste sich räuspern, um dieses Gefühl wieder wegzubekommen.
 

„Nun, dann... Mr. McNear. Wenn sie uns in diesem Fall helfen möchten, stehen Ihnen selbstverständlich alle Officer und alle Beweismittel zur Verfügung, die Sie benötigen,“ sagte er und fühlte sich sichtbar wohler in seiner Haut als Sekunden früher.
 

„Etwas anders habe ich auch nicht erwartet, Commissioner.“ Überheblich hob er eine Augenbraue und zeigte Ross deutlich die Grenzen. Denn immerhin hatten sie ihn geholt, nicht andersherum, und er würde zeigen, was in ihm steckte.
 

„Sie haben doch mit Sicherheit einen Raum, wo man sich ungestört unterhalten kann. Der Verhörraum wäre in Ordnung.“

Er ging zu der charmant lächelnden Diana Spacey, entzog ihr mit einem Lächeln die noch immer festgehaltene Akte und schaute erneut Dee an.

„Nach dir...“ Leicht neigte er den Kopf und deutete dann schließlich zur Tür.
 

Dee warf trotz allem einen Blick auf Ross. Sah die Röte in dem Gesicht und wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis dieser explodierte. Er ging zur Tür und zeigte gemeinsam mit Chris Jackson im Schlepptau Patrick McNear den gewünschten Raum.
 

Kaum war die Tür hinter den dreien zu, konnte Barclay sich nicht mehr zurückhalten.
 

„Was denkt sich dieser... dieser eingebildete Laffe eigentlich, mich hier in meinem Bür...“
 

„Reg dich ab, Barc. Denk an dein Herz und erst recht an dein Magengeschwür. Patrick ist in Ordnung. Er hat schon einige Fälle geknackt, die aussichtslos waren. Wenn der Täter eine Spur hinterlassen hat, wird er sie finden.“
 

„Er ist anmaßend, überheblich und frech!“
 

„Da kenn ich noch zwei, auf die das zutrifft. Nun komm schon... erzähl mir lieber, was das alles soll. Ich dachte, Ryo sei tot. Ich hörte da was im Gemurmel draußen. Und dann deine Erwähnung von einem Tonband und diese doch etwas mysteriöse Beerdigung und nun...“
 

„Das erzähl ich dir später bei einem Glas Wein, Diana,“ versprach er und zog tief die Luft ein, um sich abzukühlen.
 

„Sorry, Barc! Aber ich bin nur hier, um McNear abzuliefern. Ich muss zurück... Okay, ich denke, auf ein Glas kann ich schon bleiben, aber morgen muss ich dich spätestens wieder verlassen,“ erklärte die nette FBI Agentin.
 

********* TBC

Dienstag 03. Juli – kurz Zeit später

~~~~ 27. Revier ~ Verhörraum ~~~~
 

Dee, Chris und Patrick McNear betraten den Verhörraum.
 

McNear warf die Akte auf den Tisch, der in der Mitte stand, und wandte sich dann an Chris.
 

„Würden Sie bitte für Kaffee sorgen, Inspektor,“ sagte er zwar freundlich, aber jeder im Raum konnte hören, dass dies eher einem Befehl als einer Bitte entsprach.
 

Jackson nickte nur kurz und verließ mit einer leicht angesäuerten Miene den Raum, um das gewünschte zu organisieren.
 

„Dee MacLane... du hast also geheiratet und seinen Namen angenommen. Glückwunsch,“ sagte er und wieder war man sich nicht sicher, ob er das auch so meinte, wie er es sagte.
 

„Chris ist nicht dein Laufbursche, wir haben hier Regeln, Pat...“
 

„Regeln sind dazu da, um umgangen zu werden. Hast du das noch nicht kapiert. Es gibt nicht nur weiß und schwarz. Das Grau...“
 

„Ich will keine Lehrstunde von dir, Patrick. Ich will meinen Mann zurück und wenn du das schaffen kannst, werde ich mit dir zusammen arbeiten. Wenn nicht... war’s das,“ sagte Dee eisig.
 

„Du hast dich verändert, Dee. Wo ist der alte Draufgänger, der jeden hatte, den er wollte?“
 

„Ich...“
 

„Du bist kastriert, echt, Dee. Das hätte ich nicht...“
 

„Ich denke, das reicht, Pat. Entweder wir wenden uns dem Fall zu oder wir lassen es. Ich lasse mich von dir hier privat nicht runtermachen. Nicht ich habe mich verändert, sondern du. Nein, das stimmt nicht, du bist immer noch dasselbe arrogante Arschloch, das du in der Polizeischule warst. Nur hast du deiner Ausdrucksweise und Umgangssprache einige derbe Wörter hinzugefügt. Und ich werde es nicht dulden, dass du mich oder meine Liebe zu Ryo runtermachst. Ist das angekommen?“
 

Dee lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, kreuzte die Arme genauso wie die Beine und zeigte somit deutlich, dass er sich von Pat nichts gefallen lassen würde. Nichts Privates stand hier zur Debatte, sondern schlicht und ergreifend der Bomber.
 

„Wie du willst.“
 

Schweigen legte sich über den Raum und diese Stille wurde erst durchbrochen, als Chris beladen mit drei Bechern voll Kaffee eintrat und die Tür schwungvoll hinter sich zutrat.
 

„Dann können wir wohl beginnen...“ sagte Pat und nahm sich einen der drei dampfenden Becher, um daran zu nippen. „Furchtbar... aber das ist überall das gleiche.“
 

Chris merkte sofort die geladene Spannung im Raum und konnte sich natürlich seinen Reim darauf machen. Schließlich waren die beiden vor und neben ihm wohl mal das Traumpaar schlechthin gewesen und dass sie sich nach Jahren nun zufällig wieder sahen, war schon recht zufällig oder eher sonderbar. Auf alle Fälle nahm sich Chris vor, Nachforschungen in Bezug auf Patrick McNear anzustellen. Privat verstand sich, oder sollte man eher sagen, mit Hilfe von Black.
 

„Nun, ich möchte nicht neugierig sein, aber in welchem Zusammenhang habt ihr zwei bisher ermittelt?“ begann er nun dienstlich zu werden.
 

„Am Anfang war...“
 

„Entschuldigung, Inspektor Jackson. Aber soviel wie ich weiß, und das geht auch aus den Akten hervor, sind Sie erst erheblich später zu dem Fall hinzubeordert worden. Und wenn ich mich recht entsinne...“, McNear blätterte kurz in der Akte, „...ach, hier steht es ja, auf Empfehlung von Commissioner Ross. Nach dem dritten Bombenattentat. Also wenn ich bitten dürfte, Inspektor MacLane, dass du mir den Ablauf genauesten schilderst.“
 

Jackson räusperte sich diskret, damit er seine Wut über so eine Dreistigkeit hinunter schlucken konnte. Dieser Schnösel maßte sich hier einen Stand an, der ihm nun wirklich nicht zukam.
 

„Pat...“
 

„Du wolltest es offiziell, jetzt machen wir es dazu und bitte bleiben wir förmlich. Das ‚du’ lass ich durchgehen, weil ich dich auch so anrede, aber ansonsten DCI McNear oder Chief Inspector. Ganz wie es euch beiden beliebt. Und nun wenn ich bitten dürfte. Die Fakten.“
 

Dee blieb an der Wand stehen und schaute ein wenig gefrustet über diese Anmache zu Chris. Wenn sie wirklich mit dem DCI hier den Fall knacken wollten, dann sollten sie auch zusammenarbeiten und sich nicht gegenseitig angiften. Aber im Augenblick waren seine und auch Chris’ Hände gebunden.
 

„Wir haben noch keine Spur von dem Täter. Wir haben ein Hinweis, der jedoch zu vage ist, als dass man ihm nachgehen könnte.“
 

„Davon steht hier nichts in den Akten?“
 

„Ein Mann, 170 bis 180 cm groß. Das ist alles, was wir wissen und damit kann man nichts anfangen. Wir wissen nicht, ob er hinkt oder normal geht. Keine Haarfarbe oder ein besonderes Merkmal, und wir können wohl kaum ganz Manhattans Männer gefangen nehmen, nur weil sie dieser Größe entsprechen.“
 

„Sonst habt ihr nichts? Die Aufzeichnungen von den Bändern?“
 

„Die einzigsten, die uns wirklich hätten weiterhelfen können, wären die aus dem Eingangsbereich gewesen, doch dort war keine Kamera installiert. Deswegen tappen wir auch dort weiter im Dunkeln. Was die Technik der Bomben anbelangt, sind wir inzwischen soweit, dass wir einen Kenner der Branche suchen, der sich auf diesem Gebiet auskennt, doch bisher verläuft auch dieser Weg im Sand.“
 

„Das heißt, ihr habt nichts.“
 

„Außer die Verbindung zu den MacLanes!“ warf Chris nun doch ein.
 

„Inwiefern... Welche Verbindung?“ hakte McNear gleich nach und schaute nicht Chris an, sondern, wie die ganze Zeit schon, Dee.
 

„Ryo und ich waren Trauzeugen bei den Mitchells. Wir haben bei Mr. Maloy nicht nur eingekauft, sondern er war auch Gast und ein Freund von uns. Das Basra, welches dem Napalm zum Opfer fiel, gehörte Freunden, die uns sehr nahe stehen und auch ständig auf unsere Tochter aufpassen. Dass der Junge, der die Bombendiskette brachte, in einem Waisenhaus aufwuchs, bringt den Verdacht nahe, dass er mich meint und nicht Ryo.“
 

„Und dass Ryo entführt wurde, trifft dich nun erst recht... und du bringst das in direktem Zusammenhang mit dem Bomber?“
 

„Gibt es eine andere Möglichkeit?“
 

„Wenn du wirklich alles so zusammenbringst, würde ich sagen... Nein. Aber es besteht wohl auch die Chance, dass dein Mann von jemandem entführt wurde, der nichts mit den Bomben zu tun hat. Die Möglichkeit sollten wir auf alle Fälle vorläufig noch im Auge behalten, bevor wir sie gänzlich zur Seite schieben.“
 

„Guter Einwand, Sir,“ nickte Chris und schien wirklich bereit, sich auch darauf einzulassen. Schließlich konnten sie diesen Aspekt nicht ganz unter den Teppich kehren.
 

„Der Ort der Entführung, gab es dort irgendwelche Spuren oder Hinweise?“
 

„Auf einen Unbeteiligten? Nein. Eigentlich fanden wir dort nur einige Blutspuren, die mit Ryo’s Blut übereinstimmten. Auch der Pfarrer vor Ort sagte, dass er nichts gesehen hatte.“
 

„Wir haben also vier nicht direkt im Zusammenhang stehende Bombenattentate und eine Entführung. Deine Tochter? Ist in Sicherheit?“ erklang die Frage wie nebenbei, während Patrick sich sorgfältig Notizen machte.
 

„Ja. Und ich werde nicht sagen, wo sie sich befindet. Auch nicht, wenn du mich dazu aufforderst, DCI McNear,“ sagte er kalt, angereichert mit einem Hauch Drohung in der Stimme.
 

„Gut. Nein, ich will es auch nicht wissen. Ich werde mir die Akte nochmals sorgfältig durchlesen und alle Gesichtspunkte mit einbeziehen. Mal sehen, ob ich was finde. Einen Bezug, der nicht ausschließlich zu den MacLanes führt.“
 

Patrick schlug den Aktendeckel zu und sah in den Raum. Fixierte einen Moment Chris, doch dieser schien dem Blick standhalten zu können. So wanderte sein Augenmerk schon bald nach Dee.
 

„Wir sollten das später nochmals durchgehen und ich möchte bitten, dass auch ihr euch darüber nochmals Gedanken macht. Habt ihr was vergessen, auch wenn es nur so klein und unbedeutend ist, dass es fast nebensächlich erscheint, möchte ich dieses Detail wissen. Nur dann haben wir, oder eher ich, die Chance, den Bombenleger zu profilieren und ihn zu finden. Meine Herren.“
 

McNear erhob sich, nahm die Akten an sich und verließ, ohne noch etwas zu sagen, den Raum. Begab sich zu Ross und teilte ihm mit, dass er die Akte mitnehmen würde, um sie in aller Ruhe zu checken. Da dem Commissioner in dieser Hinsicht die Hände gebunden waren, gab er sich ruhig und gefasst, als er dem DCI die Erlaubnis erteilte.
 

„Der ist doch jetzt nicht echt... Und in den warst du mal verliebt?“ fragte Chris zweifelnd.
 

„Ja, da war er noch anders... nicht so... Er hat sich halt verändert. Tut man das nicht mit der Zeit?“
 

„Willst du ihn auch noch in Schutz nehmen? So wie der sich aufgeführt hat! Er ist kein Gott. Verdammt, Dee!“
 

„Ich weiß, Chris. Dennoch. Wenn er in der Lage ist, Ryo zu finden, dann werde ich alles in meiner Macht stehende tun und ihm helfen. Auch wenn ich gegen Regeln verstoßen muss. Bist du auf meiner Seite?“
 

„Das musst du nicht erst fragen. Ich steh zu dir und deinem Mann.“
 

„Gut. Ich mach mir nämlich wirklich Sorgen um ihn.“
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Sein Kopf fühlte sich nass an. Alles an ihm klebte und er konnte einfach nicht abschalten. Dieser Tropfen, der ständig auf seine Stirn fiel, machte ihn wahnsinnig. Ja, genau an diesem Punkt befand er sich. Oft hatte er schon von dieser Folterart gehört, aber nicht vermutet, dass sie einen so weit treiben würde. Sein einzigster Wunsch war, dass sein Folterer, der Bomber, oder wer auch immer dieser Kerl war, zurückkam und das Wasser abstellte. Er konnte nicht mehr. Das einzigste, was ihn noch nicht durchdrehen ließ, war der Glaube und die Hoffnung an seine Familie. Jedes mal fing er an, die Tropfen, nein den Abstand zu zählen. Es war so ähnlich wie das Schäfchenzählen, das er Sara beigebracht hatte. Aber hier hielt es ihn wach und hinderte ihn am Durchdrehen.
 

„1... 2... 3... ...15... 16... 17... ...27... 28... 29... tropf...“ murmelte er.
 

Obwohl das Zählen der Tropfen seinen Tag füllte, konnte er nicht sagen, wie lange er hier schon lag. Nach jedem Tropfen fing er wieder von vorne an. Stellte sich darauf ein und merkte nach einiger Zeit, dass er so damit besser klar kam. Er fand einen Rhythmus.
 

„1... 2... ...29... 30... ... 31... 32...“
 

Er verstummte, und wenn er gekonnt hätte, hätte er seinen Hals verrenkt, um nachzusehen, was los war. Sollte er Glück haben und der Behälter über ihm war leer? Hatte er ihn nicht irgendwo angeschlossen? Aber er war machtlos und konnte sich nicht rühren.
 

Schier eine Ewigkeit wartete er auf den nicht fallenden Tropfen. Bis es ihm klar wurde, dass keiner mehr fallen würde. Auf einmal nichts. Das machte ihn nervös. Waren die 24 Stunden um, die der Unbekannte für seine Abwesenheit genannt hatte? War er womöglich gefasst und er schwieg über Ryo’s Verbleib? Würde er zurückkommen, ihn befreien? Erneut begann er, an seinen Fesseln zu zerren. Doch nichts rührte sich. Er lauschte in die Stille, die ihn umfing. Aber auch da war nichts anderes als vorher. Nur, dass diese Stille nun nicht weiter von Tropfen gestört wurde.
 

Das Lauschen strengte ihn an. Er wusste nicht, wie lange er hier lag. Wie lange es zurücklag, dass er entführt wurde. Ryo wusste nicht, wie lange er nicht mehr geschlafen, gegessen oder etwas richtiges getrunken hatte. Seine Gelenke schmerzten, das wusste er, und auch die Feuchtigkeit um ihn störte ihn, dennoch, nach einer Weile merkte er, wie sein Körper nach etwas verlangte und da es im Augenblick still blieb, gab er sich dem Gefühl hin und schlief umgehend ein.
 

~~~~ Telefonzelle irgendwo in China Town ~~~~
 

„Ich bin’s!“
 

„Ich habe doch gesagt, du sollst mich nicht anrufen.“
 

„Ich bin fertig.“
 

„Gut, ich sag dir, wann und wo.“
 

„Wann?“
 

„Bleib ruhig. Wenn die Zeit reif dafür ist. In ein oder zwei Tagen.“
 

„Gut. Ich warte.“
 

Ein großer Mann mit Schlapphut verließ die Telefonzelle. Steckte seine behandschuhte Hand in den braunen wadenlangen Mantel.
 

„Mist...“ murmelte dieser.

Alles lief doch bisher, so wie er es wollte. Er hatte seine Rache an den Schwulen, genauso wie ‚er’ es ihm versprochen hatte. Aber es passte ihm nicht, dass er nur nach dessen Pfeife tanzen sollte. Und was sollte das eigentlich mit dem Jungen, der vom Dach gesprungen war? Das konnten sie ihm nicht anhängen. Niemals. Die Bombe hatte er nicht gebaut. Mit so was gab er sich nicht ab. Nein. Also war noch einer im Rennen für ‚ihn’? Oder... nein, so dilettantisch, wie die Bombe gemacht war, konnte das jeder Anfänger.
 

Sollte er also warten oder sollte er eigenmächtig handeln? Immerhin war er jahrelang rumkommandiert worden. Nein, daran wollte er jetzt nicht denken. Ja, er würde mal wieder eine Bombe hochgehen lassen. Eine, die sie so schnell nicht vergessen würden. Schließlich war die Bombe im Chamer ja auch nur seine Idee gewesen. Genau, und ‚er’ kam erst später dazu.

Okay, er hatte sich darauf eingelassen. Schließlich sprang dabei für ihn etwas heraus und er hatte seine Rache. Zeit für eine neue Bombe. Er wusste schon, wo und wie. Ein diabolisches Lächeln zeigte sich auf dem schattigen Gesicht, als er um das nächste Eck verschwand und seine Wohnung ansteuerte.
 

****** TBC

Freitag ~ 06. Juli

~~~~ Hug and Bell ~~~~
 

Dee und Chris betraten das Hug and Bell und begaben sich gleich nach oben. Hier konnten sie wenigstens sicher sein, dass sie niemand belauschte. Ein Blick zur Uhr zeigte Dee, dass sich die beiden anderen verspäteten, als auch schon die Tür aufging und Black hereinkam.
 

Aaron schloss die Tür hinter sich und blieb auch in dessen Nähe stehen. Seit Mick ihn heute verlassen hatte, hatte er ein merkwürdig flatterndes Gefühl in der Magengegend und es war auch das erste Mal, dass er Dee richtig verstehen konnte. Doch das würde er nicht zugeben.
 

„Kommt Prescott heute nicht?“ fragte Chris aus purer Neugier.
 

„Hat er eine heiße Spur?“ fragte Dee eher hoffnungsvoll.
 

„Ja und nein. Jedenfalls war Yester Zeitverschwendung. Der Junge führt ein so trostloses Leben. Na ja, jedem das seine,“ murmelte Black. „Demnach gibt’s von eurer Seite auch nichts?!“
 

Dee schüttelte genauso wie Jackson still schweigend den Kopf.
 

„Tut mir leid. Mick hat eine Idee, der er nachgeht. Ich hoffe, dass er damit Erfolg hat,“ versuchte er, Dee ein wenig aufzumuntern, was an sich schon recht merkwürdig war und so gar nicht zu dem Geschäftsmann passen wollte. Natürlich weckte es auch Dee’s Interesse.
 

„Welche Richtung ermittelt er?“
 

Black zögerte kurz, als ihm Chris zur Hilfe kam.
 

„Mick erwähnte vor einigen Tagen mal etwas, was zu dem ersten Bombenattentat passen würde. Einen Mann, der sich in Hoch-Tieffrequenzen auskennt. Militärerfahrung hat und unehrenhaft entlassen wurde.“
 

„Er hat dir also davon erzählt?“
 

„Ja, hat er. Ich dachte, die Sache wäre im Sande verlaufen, weil er mir nichts mehr davon gesagt hat, aber demnach hast du ihn gebremst?“
 

Dee sprang auf und ging auf Black zu.
 

„Dee!“ rief Chris und verhinderte, dass der Schwarzhaarige wieder auf Black einschlug.
 

„Du hattest eine Spur und hast nichts unternommen?“
 

„Das ganze ist zu absurd. Ich dachte nicht...“
 

„Wann?“ Drohend baute er sich vor Black auf, dem er bisher immer vertraut hatte.
 

„Es war kurz nach dem Feuer. Dann tauchte Ryo auf und ich dachte, dass wir da eher eine Chance hätten. Deswegen habe ich ihn zurückgepfiffen. Was willst du hören? Eine Entschuldigung? Das kann ich nicht. Nicht nach dem, was jetzt alles passiert ist.“
 

„Du hattest wirklich eine heiße Spur? Und nun... Verdammt?!“

Dee fuhr sich durch sein schwarzes Haar und drehte sich wutschnaubend von Black ab. Stiefelte in die andere Richtung des Zimmers und tigerte gleich darauf zurück. Stemmte seine Hände auf die Sessellehne und sah Black immer noch zornig an.
 

„Hast du sonst noch was verschwiegen?“
 

„Dee?!“
 

„Nein, lass, Chris. Er hat ja Recht. Ich bin dran schuld. Ich hätte ihm sofort sagen müssen, dass Ryo lebt. Ich hätte ihm sagen müssen, dass wir auf der Suche nach einem Mann ohne Schwanz sind und ja, ich hätte es niemals zulassen dürfen, dass sich Ryo in so eine Gefahr begibt. Okay! Es tut mir leid. Nur ändern tut sich daran jetzt leider auch nichts mehr.“
 

Black lehnte sich gegen den Fensterrahmen und blickte hinaus. Seine Gedanken wanderten zu Mick und er hoffte, dass er in Sicherheit war und keine unüberlegten Risiken einging. Er war erst einige Stunden weg und dennoch fehlte er ihm.
 

Stille breitete sich aus, nachdem Aaron geendet hatte. Man konnte hören, wie sich die Spannung in dem Raum langsam absenkte.
 

„Black, kann ich kurz mit dir reden? Unter vier Augen?“ hielt Chris seinen langjährigen Bekannten auf und erklärte Dee, dass er gleich nachkommen würde.
 

Da sich nichts neues getan hatte, hielten sie diese Treffen so kurz wie möglich. Schließlich wollten sie auch keinen hierher locken.
 

„Was ist so dringend...?“
 

„Du kennst mich,“ schmunzelte Chris. Verschwörerisch legte er Aaron eine Hand auf die Schulter und den Kopf näher zu dessen Ohr.
 

„Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust.“
 

„Wen willst du aus dem Weg haben?“
 

„Patrick McNear! Profiler. Wohnt in der Fifth Avenue. Alles, was du finden kannst.“
 

„Bis wann?“
 

„Gestern!“
 

„Du weißt, Mick ist nicht da... Ich versuch es. Aber es wird einige Tage dauern.“
 

„Schon okay... Danke.“
 

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

„Kommst du klar, Dee?“ fragte Chris besorgt. Denn nach dem Treffen im Hug and Bell war Jackson alles andere als ruhig.
 

„Mach dir keine Sorgen, Chris. Ich mache keine Dummheiten und alleine geh ich nicht auf die Jagd. Ich muss auch an Sara denken. Ich vermisse meine Kleine. Doch da ich sie nicht unnötig in Gefahr bringen will, werde ich sie wohl noch eine Weile nicht sehen können. Willst du noch ein Bier?“ fragte er und warf seinen Haustürschlüssel auf den Tisch vor dem Sofa.
 

Mit keinem Wort erwähnte er die Verzögerung eben. Wenn Chris etwas Privates mit Black zu bereden hatte, ging es ihn nichts an. Es sei denn, es betraf ihn direkt. Doch daran glaubte er nicht. Wenn es etwas wichtiges war, würde Jackson es ihm sagen.
 

„Nein, danke. Ich bin müde. Ich hol dich dann morgen früh ab. Bye!“ sagte er, hob grüßend die Hand und verschwand dann.
 

Dee holte sich jedoch noch ein Bier und setzte sich auf die Couch. Inzwischen schlief er auch wieder in dem gemeinsamen Bett. Dort fühlte er sich Ryo einfach näher. Obwohl die gesamte Wohnung ein Hauch von Ryo ausströmte, glaubte er, selbst noch in den Kissen den Duft von seinem Mann wahrzunehmen. Wie sehr er ihn doch vermisste. Da er die Tagebücher von Ryo nun nicht mehr anfasste, seitdem er wusste, dass er lebte, fand er es einfach nicht richtig. Dies war auch mit ein Grund, warum er nun lieber ihr Fotoalbum anschaute. Die Bilder hielten Ryo für ihn noch mehr am Leben als nur seine Gedanken. Dee schwelgte in Erinnerungen an frühere glückliche Zeiten. Auch hatte er nun endlich eines der vielen Bücher, die Ryo gehortet hatte, angefangen und begonnen, seine Gedanken und Gefühle niederzuschreiben.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Zur selben Zeit...
 

Leise öffnete sich die Tür und ein Grinsen zierte das Gesicht des hereintretenden Mannes. Er trat genauso leise, wie er eingetreten war, an den Tisch, auf dem Ryo gefesselt schlief. Noch schlief, musste man wohl sagen. So unschuldig wie Ryo aussah, würde es eine Weile dauern, bis er auch den letzten Funken Hoffnung aus diesem Körper, aus dieser Seele herausgequetscht hatte, aber er würde es tun. Er würde ihn zerstören. Nach und nach. Stück für Stück.
 

Er holte den Eimer, den er abgestellt hatte, als er aufgeschlossen hatte und stellte sich vor den Tisch. Schwungvoll schüttelte er das kalte Wasser über Ryo, der mit einem Schrei aus seinem Schlummer hochfahren wollte, doch von den Fesseln gebremst wurde.
 

„Hast du mich vermisst, Schneewittchen?“ hauchte der Peiniger und grinste weiter, als er sah, wie sich auf dem nackten Körper vor sich eine Gänsehaut ausbreitete.
 

„Nein!“ antworte Ryo durch die zusammengebissenen Zähne, um zu verhindern, dass diese aufeinander schlugen, so zitterte er auf einmal.
 

Kalt war ihm schon die ganze Zeit, aber das jetzt war fies. Doch was hätte er auch erwarten sollen. Eine Decke wäre wohl zu viel des guten gewesen.
 

„Gut. Du bist noch angriffslustig... Ich habe schon befürchtet, dass diese paar Tropfen dich durchdrehen lassen, aber du bist härter als du aussiehst, Schneewittchen!“
 

Zärtlich glitt seine Hand, während er am Tisch entlang ging, über den Gefesselten. Streifte die Oberschenkel, spürte das Zittern der Muskeln darunter und ein gemeines, eher fieses Grinsen zeigte sich nun. Kurz spielte der Maskierte mit dem Gedanken, ihn schon jetzt ein wenig mehr zu reizen, doch er wollte Ryo noch im Ungewissen lassen, was alles auf ihn zukam. Schließlich wollte man das neue Spielzeug nicht gleich am ersten Tag voll auskosten. Nein, er wollte sich an den aufkeimenden Angstzustände laben und ihn erst dann richtig fordern, wenn er es für richtig hielt.
 

Die Hand wanderte weiter, kratzte nun leicht mit den Fingernägeln über die Magengegend, bevor sie abweichte und eine durch die Kälte hart gewordene Brustwarze in Augenschein nahm. Hart kniff er dort hinein und lachte sogar leise auf, als er Ryo’s harsch eingezogene Atmung vernahm. Bald würde er unter ihm liegen, sich vor Lust nur so winden und ihn nach mehr anflehen. Ja, bald.
 

Ryo wollte gerade aufbegehren, als der Kontakt wieder brach und er hörte, wie der Bomber, denn er war sich sicher, dass es sich um diesen handelte, etwas entfernte. Er hörte rumoren, konnte es jedoch nicht zuordnen, dann spürte er wieder die Nähe des anderen dicht bei sich.
 

„Du warst brav, wie ich sehe... du hast somit eine Belohnung verdient. Mund auf... trink,“ sagte er und Ryo wusste, dass eine Weigerung nichts bringen würde, und so schluckte er das Wasser, wie er erkannte, gierig seinen Schlund hinab.
 

Als der Becher leer war, spürte er etwas anderes an den Lippen und erneut öffnete er den Mund und ließ sich füttern. Auch wenn es seine Würde nicht billigte, aber er brauchte Kraft, falls er fliehen wollte. Fliehen konnte. Diese Hoffnung hegte er und daran würde er festhalten, genauso wie an der Liebe zu seinem Mann und seiner Tochter.
 

Ryo aß alles auf und durfte hinterher sogar noch einen Becher Wasser trinken.
 

Die Frage nach dem ‚warum’ stellte sich Ryo mehrmals, und er hatte darauf auch schon eine Antwort gefunden. Sein Peiniger wollte, dass er ihn lange foltern konnte. Wenn er ihn verhungern oder verdursten ließ, hatte er nicht lange etwas davon. So konnte er ihn nach Belieben dirigieren.

Wenn Ryo sich noch richtig erinnerte, war es das vierte oder fünfte Mal, dass er etwas zu essen bekommen hatte, so unregelmäßig aber, dass er nicht sagen konnte, wie lange er bereits in der Gewalt dieses Psychopathen war.
 

Nach dem Essen und Trinken spürte er, wie sich der Kerl an seinem Körper zu schaffen machte, den Plug entfernte und auch die Manschette abnahm. Dann glaubte er fast zu träumen, als sich die Fesseln lösten, sowohl von den Füßen als auch von den Händen. Zuletzt wurde die Bauchmanschette gelöst und Ryo lag nun das erste mal seit Tagen wieder frei auf dem Tisch.
 

Doch die Versuche, sich zu erheben, scheiterten. So schwach wie er sich fühlte, so schwach war auch bereits sein Körper.
 

Der Peiniger zog ihn in eine sitzende Position und löste nun auch die Augenbinde. Was dieser damit jedoch bezweckte, wusste er nicht. Wollte er ihn töten? Würde er nun erkennen, wer der Bomber war? Einerseits packte ihn Panik davor, andererseits auch Erleichterung darüber, bald wieder etwas sehen zu können.
 

Als der Sichtschutz nun von seinen Augen fiel, öffnete er langsam die Lider und schloss sie genauso schnell. Denn das erste, was er sah, war helles blendendes Licht, das ihm in den Augen brannte.
 

„Mistkerl!“ dachte er und merkte erst, dass er es laut geäußert hatte, als er brutal an den Haaren gerissen wurde.
 

Das nächste, was er spürte, war ein Schmerz in seinen Rippen und er klappte zusammen wie ein Klappmesser. Nur gut, dass er saß, sonst wäre er gleich auf dem Boden gelandet. Erneut fuhr ein Schmerz bis in seine Haarwurzeln und riss ihn wieder in die Senkrechte.
 

„Deine Kommentare kannst du dir sparen, Schneewittchen. Ich werde sie dir austreiben,“ knurrte der Brutalo ihm ins Ohr.
 

Ryo spürte, wie es dunkler wurde und öffnete seine Augen, doch das hätte er lieber bleiben lassen, denn die Dunkelheit rührte daher, dass sich sein Peiniger direkt vor ihm befand und somit die Lichtquelle in dessen Rücken war. Er konnte es dennoch nicht lassen und hob den Blick, wollte sehen, wie dieser Kerl aussah. Doch er wurde enttäuscht. Sein Peiniger trug eine Halbmaske, die nur die Lippen und Kinnpartie frei ließ. Er konnte noch nicht mal sagen, welche Haarfarbe oder Augenfarbe dieser hatte. Selbst die Nase, die sich verborgen hielt, blieb für ihn ein Geheimnis.

Was nicht länger verborgen blieb war die Hand, die sich seinem Gesicht näherte. Ryo’s Augen wurden größer und erst als ihm klar wurde, was er schon so oft gehört oder gelesen hatte, wollte er diese schließen, doch dazu war es zu spät. Auch die Reflexe von seinen Armen, den Kerl vor sich wegzuschieben oder ihn daran zu hindern, sein Werk zu vollendeten, scheiterten kläglich.
 

„Mistkerl!“ sagte er erneut und diesmal absichtlich laut und deutlich und drehte den Kopf weg, als der Kerl vor ihm zur Seite trat und ihn die volle Wucht des grellen Lichtes erfasste. Die Hände fuhren hoch und wollten den Klebestreifen, der sich auf seinen Augenlidern befand, abziehen, doch sein Folterer hatte wohl auch damit gerechnet.
 

„Rühr sie an und du wirst es bereuen...“ sagte er eisig.
 

Ryo stoppte in seiner Bewegung. Wägte rasch ab. Er wusste, er konnte nichts tun, und ließ seine Hände sinken. Das einzigste, was er sich dadurch ersparte, war es, wieder brutal gefesselt zu werden.

Seine Augen brannten, sie tränten davon, nach der langen Dunkelheit zurück ins Helle zu kommen, grausam und er konnte es nicht verhindern, dass Tränen seine Wangen hinabliefen.
 

„Ich gewähre dir ein wenig Freiheit, Schneewittchen. Solange du dich anständig benimmst, werden wir gut miteinander auskommen.“
 

Ryo schwieg, was hätte er auch sagen sollen. Jedes Wort, das ihm in den Kopf kam, war nicht dazu gedacht, diese Erniedrigung einfach so hinzunehmen.
 

Erneut spürte er den Schmerz in den Haaren und stöhnte gepresst auf, doch ein wirklicher Schmerzensschrei entkam ihm nicht. Sein Kopf wurde nach links gedreht.
 

„Dort in der Ecke findest du eine Art Badezimmer. Ich sage es dir nämlich nur einmal, Schneewittchen, du wirst das hier sauber halten. Finde ich Dreck, wirst du bestraft. Sollte ich länger weg sein... na ja, du hast ja gesehen, was ich dann mache.“
 

Er ließ ihn los und warf den Kopf von Ryo zur Seite, so dass dieser fast umgekippt wäre. „Ich lass dir eine halbe Stunde...“ sagte er, dann verließ er das Gefängnis und drehte draußen den Schlüssel herum.
 

Ryo schwang sich vom Tisch und stolperte mehr, als dass er ging, in die Ecke, die der Bombenleger ihm gezeigt hatte. Egal wohin er ging, immer blendete ihn das Licht und so machte er einfach die Klebestreifen ab und warf sie in die Kloschüssel. Anscheinend war dies sowieso mal als ein Gästezimmer vorgesehen gewesen, wie er nach einem Rundblick feststellte. Aber die Umbauten, die er nun erblickte, waren alles andere als freundlich zu nennen.
 

Ryo drehte das Wasser an und ließ es über seine Handgelenke laufen, nahm ein Tuch und wusch sich sein Gesicht. Noch nicht einmal einen Spiegel hatte er. Aber er wollte auch gar nicht sehen, wie er aussah. Nachdem er die Ecke, sein Bad, verlassen hatte, sah er sich weiter um.
 

Es gab kein Fenster. Wie er gleich bemerkte. Die Helligkeit tat immer noch seinen Augen weh, aber da er sie hin und wieder schließen konnte, war es nun nicht mehr ganz so schlimm wie eben noch. Ryo hatte gehofft, wenigstens zu erfahren, ob Tag oder Nacht war, aber das blieb ihm verwehrt. Auch die anderen Sachen, die er erblickte, waren nicht dazu angetan, erleichtert über seine kleine Freiheit zu sein.
 

Neben dem Tisch, den er zu Genüge kannte, sah er Ketten von den Wänden hängen. Was seine Neugier jedoch weckte, war ein Schrank in der Ecke. Vielleicht fand er dort etwas, was ihm zur Flucht verhelfen konnte. Nackt wie er immer noch war, tapste er auf noch immer zitternden und wackeligen Beinen in diese Richtung.
 

Als er die linke Tür öffnete, war er nicht über seinen Fund überrascht. Dort gab es eine große Anzahl von Sextoys. Aber nichts, was ihm helfen konnte. Wenn wenigstens eine Peitsche oder lose Ketten herumgelegen hätten, aber nein. Nichts.
 

Die rechte Tür verbarg dann doch etwas, was ihm half. Ryo zögerte nicht und nahm die Shorts, die dort womöglich schon lange ruhte, heraus und streifte sie über seine Hüfte. So fühlte er sich wenigstens wieder ein wenig als Mensch. Auch die Handtücher, die er fand, waren für ihn ein Segen. So konnte er sich wenigstens richtig trocken und auch warm rubbeln. So merkte er nicht, wie die Zeit, die sein Peiniger ihm gelassen hatte, verging.
 

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

Dee hatte es sich gerade auf der Couch mit dem Bilderband gemütlich gemacht, als sein Telefon klingelte. Er zögerte nicht sondern griff danach und meldete sich.
 

„MacLane!“
 

„Hi, Dee. Hast du Zeit?“
 

„Patrick?“ fragte er erkennend in die Muschel.
 

„Ja. Ich wollte mit dir über den Fall reden. Ich denke, ihr habt da etwas übersehen.“
 

„Übersehen? Und du meinst, du hast was gefunden?“
 

Neugierde war bei Dee erweckt. Wenn es etwas gab, was schneller zum Lösen des Falls beitrug, und somit auch dazu, dass er seinen Mann rasch wieder in die Arme schließen konnte, würde er gerne seinen Feierabend opfern.
 

„Ja. Kommst du vorbei oder wollen wir uns irgendwo treffen?“
 

„Ich komm zu dir. Ich ruf nur Chris an...“
 

„Eigentlich... Dee. Ich habe etwas... Nun gut, du musst wissen, wem du vertraust, aber dann treffen wir uns bei Blossom’s. Eine Bar in der Nähe des Central Park.“
 

„Ich weiß. Wann?“
 

„Wenn du darauf bestehst, dass Chris mitkommt... sagen wir in einer Stunde!“
 

„Wir sind da,“ sagte Dee und legte auf, um gleich darauf seinen Partner über das Treffen zu informieren.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

So vertieft wie Ryo in seiner Erkundungstour war, überhörte er wieder, wie sich die Tür öffnete und der noch immer vermummte Kerl hinter ihn trat.
 

Kommentarlos schubste er ihn brutal gegen den Schrank, so dass Ryo schmerzvoll aufstöhnte, als sein Kopf gegen diesen knallte. Er drehte sich zu seinem Peiniger um und nun erst hatte er fast ein wenig Zeit, ihn sich zu betrachten.
 

Er würde ihn mal auf seine Größe schätzen. Schlank aber drahtig muskulös. Breite Schultern, aber nicht bodybuildingmäßig. Das Alter, damit tat er sich schwer. Jedenfalls im Augenblick. Denn erneut wurde er an den Haaren gerissen, durch das Zimmer gezerrt und gegen die Wand geworfen, wo er mit der Schulter zuerst Kontakt aufnahm und zu Boden ging.
 

Ryo stöhnte und sah so am Boden kauernd zu seinem Peiniger hoch.
 

„Ich hab dich gewarnt, Schneewittchen,“ sagte dieser gefährlich ruhig und mit samtiger Stimme.
 

Griff nach oben und zog die Ketten hinab. Ryo hatte es ja geahnt, dass er mal damit Bekanntschaft machen würde, aber irgendwie hatte er gehofft, dass dies noch lange auf sich warten ließe. Ihm blieben zwei Möglichkeiten: sich zusammenkauern und hoffen, dass der Kerl es nicht zu ernst meinte und ihn in Ruhe ließ. Oder zweitens, sich dem stellen wie ein Mann und seine Würde behalten.
 

Sein Körper war eh noch geschwächt vom Liegen und der Wasserfolter, und der Schlaf, wer weiß wie lange er überhaupt geschlafen hatte, war nicht sehr erholsam gewesen. Seine Wunden am Handgelenk und an den Knöcheln waren wund und seine Schulter brannte fast genauso feurig wie seine Augen. Weiteren Schmerz konnte er nicht gebrauchen, auch wenn er am liebsten aufbegehrt hätte. Aber er musste sachlich bleiben. Seine Flucht. Dieser Gedanke war in ihm und dazu brauchte er Kraft. Kraft, die er in einem sinnlosen Kampf nicht vergeuden sollte.
 

Ryo stemmte sich an der Wand hoch und ging die zwei Schritte auf seinen Peiniger zu. Sah ihm, so gut er konnte, in die Augen und würde ihm nicht gestatten ihn zu brechen.
 

Mutiger als er sich fühlte, hielt er ihm die Handgelenke hin und ließ sich widerstandslos fest ketten. Was er jedoch nicht gesehen hatte, war eine Funktion, die die Ketten anzog und so stand er nur wenige Augenblicke später angekettet mitten im Raum. Nur seine Fußspitzen berührten mit Ach und Krach den Boden. Jede Bewegung, die sein Peiniger machte, registrierte Ryo, und so war ihm auch bewusst, was nun folgen würde.
 

Ryo sah, wie der Kerl seine Hand in eine seiner Taschen schob und mit einem Messer wieder auftauchte. Er klappte es auf und zerschnitt die eben erst übergestreifte Shorts.
 

„Nackt wie Gott dich schuf, Schneewittchen,“ hauchte er und fuhr mit dem Messer weiter aufwärts über den angespannten Körper von Ryo, bis er bei dessen Hals angekommen war.
 

Ryo hätte gerne das Gesicht weggedreht, wagte es jedoch nicht. Sein Puls raste. Seine Atmung wurde flacher, fast hektisch. Dennoch versuchte er, nach außen die Ruhe zu bewahren, als er die kühle Klinge an seinem Hals entlang fahren spürte. Er schloss die Augen und riss sie wieder auf, als die Klinge sich entfernte. War es vorbei? Was würde nun passieren? Er beobachtete, wie sein Peiniger das Messer wegsteckte und statt dessen Heftpflaster herauszog. Ein leises Wimmern stieg ihm die Kehle hoch, doch er verschluckte sich eher daran, als sich vor diesem Widerling eine Schwäche zu erlauben. Auch das hektische Wehren brachte nichts.
 

Sein Peiniger drehte ihn so zum Licht, dass es voll auf Ryo fiel und somit in die wieder festgeklebten Augen strahlen konnte.
 

„Wehr dich nicht, dann wird es nicht so hart,“ sagte er leise und löschte zwei der vier Lichter. Schließlich wollte er Ryo nicht blenden, sondern ihm nur eine Lektion erteilen. Dann ging er wieder und überließ Ryo seiner Einsamkeit.
 

Ryo hätte schreien können. Obwohl ihm wohl bewusst war, dass dies nichts bringen würde. Noch war er am Leben und dass sein Peiniger nicht den schnellen Tod von ihm wollte, war ihm auch klar geworden. Offensichtlich würde er ihn leiden lassen. Der Halbjapaner kannte sich nicht so gut mit Foltermethoden aus. Doch er wusste, dass es sowohl körperliche als auch seelische Folter gab. Er fühlte sich just in diesem Augenblick beidem ausgesetzt.
 

Mit langsamen Bewegungen, denn viel Spielraum war ihm durch diese Ketten nicht gewährt, drehte er sich von der Lichtquelle weg. Nun hatte er sie seitlich von sich. Sie blendete ihn zwar immer noch genügend, aber nicht mehr so direkt.
 

Dem Entführten hätte gerne die Augen geschlossen, sich Dee vor Augen geholt, doch seine Schulter schmerzte.
 

» Ob sie ausgekugelt ist? « fragte er sich in Gedanken. So fühlte sie sich zwar nicht an, aber in dieser Streckphase, wer konnte das mit Sicherheit sagen.
 

„Dee... hilf mir...“
 

******** TBC

Freitag ~ 06. Juli - später

~~~~ Blossom’s ~~~~
 

Chris Jackson wartete bereits vor dem Host Club auf Dee. Ständig ging er hin und her und hoffte, dass sein Partner sich bald blicken ließ. Der Türsteher schaute ihn schon merkwürdig an. Wenn er noch länger hier herumlungerte, würde dieser wohl die Bullen rufen.
 

„Endlich,“ entfuhr es ihm, als er Dee aus dem Taxi steigen sah. „Hat er etwas angedeutet?“
 

„Nein, eigentlich nichts. Er wollte sowieso nicht, dass du mitkommst.“
 

„Er scheint dich zu mögen, Dee.“
 

„Kann schon sein. Aber bei mir beißt er sich die Zähne aus.“
 

Chris klopfte Dee auf die Schulter. Er glaubte diese Äußerung, nachdem er die beiden MacLane’s zusammen gesehen hatte. Da passte nichts dazwischen und schon gar nicht ein Kerl wie Patrick McNear.
 

„Lass uns reingehen,“ meinte Chris und ging vor Dee zur Tür, wo er auch gleich von dem Türsteher aufgehalten wurde.
 

„Heute ‚only members’!“ sagte dieser Riese von einem Mann rigoros fest und stoppte Chris an der Schulter.
 

„MacLane. Er gehört zu mir.“
 

Der Türsteher musterte Dee und nickte. „Okay. Mr. MacLane. Aber ihr Begleiter darf...“
 

„Er kommt mit, oder sie können ihrem Chef einen freundlichen Gruß von mir bestellen,“ sagte Dee sanft und extrem ruhig.
 

Kurz wägte der Hüne das gesagte ab und trat dann zur Seite.
 

„Du kennst wohl jeden hier in New York?“
 

„Eigentlich nicht. Aber der Club gehört Black. Inoffiziell natürlich. Und sag ihm nur nichts, sonst flippt er aus. Ryo und ich haben es durch Zufall erfahren. Sag mal, Chris. Die Sache zwischen dir, Black und Barclay...?“
 

„Was meinst du?“ Nervös rückte Chris seine Krawatte zurecht.
 

„Du weißt schon. Barc holt dich, weiß aber nichts von dir und Aaron. Was läuft da?“
 

„Später... vielleicht!“ blockte Chris etwas ungelenk ab und deutete dann mit einer leichten Kopfbewegung nach vorne, wo er McNear an der Bar hockend entdeckt hatte. „Auf in den Kampf.“
 

„Schön, dass du... ihr gekommen seid. Setzen wir uns nach drüben, da ist es... ruhiger,“ erklärte Patrick, nahm sein Getränk und ging den beiden Cops voraus in das kleine Separee, wo sie wirklich ungestört schienen.
 

„Du hast am Telefon angedeutet, dass du etwas gefunden hast?“ wurde Dee auch schon dienstlich, nachdem er sich noch nicht einmal richtig in einen der bequemen Sessel gesetzt hatte.
 

„Wie immer, direkt und ohne Umwege,“ lächelte Patrick und schüttelte dabei träge seinen Kopf. „Du hast dich nicht verändert. Nicht die Spur.“
 

„Wie du schon im Revier erkannt hast. Kein Smalltalk. Also, was hast du?“
 

„Ihr sucht nach dem falschen Bomber,“ sagte er ruhig.
 

„Was wollen Sie damit andeuten, Sir?“ blieb Chris dienstlich reserviert. Dass er Patrick nicht mochte, war augenscheinlich.
 

„Die Bombe im ‚Chamer’ und die bei ‚B & B’, war, sagen wir mal, klar und deutlich auf die Homos gerichtet. Ich glaube nicht, dass sie da schon an Dee und seinen Mann... ich kann es nicht fassen, dass du verheirat bist und dann noch ein...“
 

„Würdest du bitte bei der Sache bleiben, Patrick!“ unterbrach Dee, der das Private nicht mit seinem alten Freund diskutieren wollte.
 

„Gut. Hrmp... Also. Die ersten beiden Bomben waren gezielt gegen die Homos auf der Street gerichtet. Dabei betrachtend, dass der Kerl hochintelligent sein muss, um die erste Bombe zu zünden. Er hat wohl einen tiefen Hass und die Fähigkeit dazu, diesen auch wirksam freizusetzen, und zwar indem er die auslöscht, die er für die Schuldigen hält.“
 

„Profilergerede, das keiner genau kennt,“ murmelte Chris leise, der, auch wenn er lange im Dienst weilte, diese Typen einfach nicht abkonnte. Meinten, dass sie besser seien als die üblichen polizeilichen Methoden zur Ergreifung der Täter. Gut, sie waren schon eine Hilfe, aber das hatte ihrem Ego ganz schön eingeheizt und nun, wenn man einen brauchte, musste man schon fast betteln. Und dieser McNear schien einer davon zu sein, der sich als ‚Gott’ in diesem Profiling-Geschäft hielt. Wenn diese Spacey recht hatte, dann war er dies wohl auch.
 

„Ich erkläre es gerne auch so, dass man es versteht,“ warf Patrick einen vernichtenden Blick in Jacksons Richtung.
 

„Da bin ich mal gespannt,“ warf Chris ein. Nein, von diesem Kerl würde er sich nicht einschüchtern lassen. Immerhin war er derjenige, der Dee nun vor allen Gefahren beschützen sollte und das würde er tun, und dass Gefahr von diesem McNear ausging, sagte ihm einfach sein Instinkt.
 

„Pat?“ machte sich nun auch Dee bemerkbar und wartet auf die explizierte Erklärung.
 

„Okay, also noch mal. Bombe eins. Chamer. Das hat der Bomber von langer Hand geplant. Denn wie ich aus den Unterlagen ersehen habe, wurden die ersten Bomben bereits bei den Umbauten installiert, der Auslöser jedoch erst bei der Eröffnung aktiviert. Dass es sich um eine im Ultraschallfrequenzbereich befindliche Bombe handelt, dem stimme ich zu, obwohl ich dazu gerne nochmals mit dem zuständigen Beamten der Forensik reden möchte. Jedenfalls grenzt dies schon einen Amateur aus.

Dann wäre da die zweite Bombe im B & B. Und das wäre wieder eine Rohrbombe, die jeder Amateur bauen könnte. Betrachtet man das mal aus zwei Gesichtspunkten - zum einen die Opfer auf der Seite des Chamer und dann die Zerstörung auf der anderen im B & B - passt die dritte Bombe gar nicht ins Schema des Bombers. Nicht nur, dass sich das Basra weit weg vom eigentlichen Geschehen, der CS befindet, sondern vor allem, weil der Besitzer des Lokals auch nicht als stadtbekannter Homo bekannt ist. Doch das ist nur einer der Punkte, die darauf hinweisen, dass es mindestes zwei Täter gibt.“
 

„Zwei?“ fragte Dee.
 

„Und die wären...“ wollte Chris gleich weiter in dem Thema verweilen, ohne lange drum rum zu reden.
 

„Die ersten beiden Bomben waren auf Tod und Zerstörung aus. Tod der Besucher im Club Chamer und Zerstörung der beliebten Sexspielzeuge von diesen. Demnach alles ausgerichtet, um diese Schwulen in der Stadt zu treffen.“
 

„Du könntest recht haben... und das Basra passt wirklich nicht da rein. Da zum einen der Laden leer war, als er hochging, und zum anderen nicht wirklich in die Szene passte. Nicht nur, weil er weit weg von der CS liegt, sondern weil hauptsächlich Familien dort einkehrten...“
 

Dee verstummte nachdenklich. In diese Richtung hatte er noch nicht gedacht. Er hatte ganz spontan Chris’ Gedanken aufgeschnappt, dass es gegen ihn und Ryo ging. Es aber nun aus einer anderen Perspektive zu betrachten, warf ein ganz neues Licht und somit kam auch ein ganz anderes Täterprofil heraus. Hatte er sich so verrannt... so blenden lassen. Dee schaute in Chris’ Richtung und sah diesen genauso nachdenklich über das Gehörte nachgrübeln.
 

„Dee, ich könnte nicht nur recht haben, ich habe recht. Ich bin nicht umsonst einer der bestausgezeichnetesten Profiler im ganzen Land,“ warf Patrick sich in die Brust. Nahm nach seiner langen Rede nun erst einmal wieder ein Schluck seines Getränks.
 

„Was ist mit der vierten... die Diskettenbombe?“ stellte Chris die nächste Frage.
 

„Auch diese Bombe kann jeder Viertklässler bauen. Nichts, wozu man Fähigkeiten benötigt, die der Bomber bei der ersten an den Tag gelegt hat. Dennoch würde ich sagen, dass er möglicherweise... ich sage möglicherweise, weil ich mir da nicht so sicher bin... dafür verantwortlich ist. Aber, und das grenzt das wieder aus, warum sollte er sich die Mühe machen, so einen Umweg zu gehen, wenn er auch ganz einfach eine Bombe ins Revier hätte legen können.“
 

„Du meinst er ist zwar clever, aber er würde den direkten Weg wählen?“
 

„Ja. Das mit der vierten ist zu komplex und ich glaube nicht, dass er diesen Weg gewählt hätte. Wie gesagt, wenn ich den Bomber richtig einschätze, und es ist immer ein Risiko dabei, so was bei diesem Ermittlungsstand zu äußern, hätte er die Bombe im Revier deponiert. Hätte vielleicht sogar eine Warnung verlauten lassen. Denn er hat keinen Hass auf Polizisten, das schließe ich jetzt einfach mal aus, sondern ihm geht es um die Schwulenszene in New York. Und da müssten wir ansetzten.“
 

„Wir sollen alle...“
 

„Nein! Und ich denke mal nicht, dass ihr von allen, die auf der CS rumlaufen, sei es nun ständig oder nur mal so kurzfristig, eine Liste aufstellen sollt oder könnt. Was ich meine ist, dass wir eher in dieser Richtung ermitteln sollten.“
 

„Und Ryo? Wie passt er da rein?“ fragte Dee.
 

„Tja, Dee. Das weiß ich noch nicht. Bisher habe ich mich ausschließlich um die Zusammenhänge von den Bomben gekümmert. Dazu wurde ich hergerufen. Das mit deinem Mann ist zwar traurig, aber ich kann dazu noch nichts sagen. Noch nicht einmal, ob der Bomber damit zu tun hat. Obwohl... Wenn ich mir das mit dem Basra und der gefakten Beerdigung betrachte...“ Pats Wangenmuskeln zuckten und er legte einen Finger an die Lippe, als er nachdachte.
 

„Sag schon, Pat!“ wurde Dee hibbelig. Vielleicht hatte McNear ja doch eine Idee.
 

„Es ist nichts festes, Dee. Also, was ich jetzt sage, kann ich nicht beweisen oder so... aber okay, weil du es bist. Ich würde sagen, weil das Basra wohl doch wegen euch gezündet wurde, könnte es sein, dass der zweite Bomber etwas gegen euch hat. Und das wiederum könnte auch bedeuten, dass es nur einen Bomber gibt.“
 

„WAS?“ fragte Chris, der nun etwas verwirrt schien. Bisher hatte er alles verfolgen können, hatte sich gedankliche Notizen gemacht, aber das jetzt Gehörte warf so einiges wieder um.
 

„Pat? Wie meinst du denn das jetzt?“ Auch Dee schien verwirrt.
 

„Also, das ganze ist verworren. Aber ihr zwei, du und dein Mann Ryo, seid bekannt. Ihr seid, soviel ich weiß, das einzigste verheiratete Polizistenehepaar in New York City. Sorry, das einzigste schwule Paar, das keine Konsequenzen von Seiten der Behörden hat. Ihr seid sozusagen akzeptiert in den Reihen. Und das könnte euch in die Reichweite der Rache des Bombers gelegt haben. Da er euch direkt wohl nicht angreifen wollte oder konnte. Ich sage es klipp und klar, das sind Vermutungen. Nagelt mich nicht darauf fest, ihr wolltet es hören,“ meinte Patrick, bevor er weiter mit seinem langen Monolog fortfuhr.

„Also... wo war ich... Ach ja. Vielleicht suchte er ein Ziel, das euch treffen sollte. Enger Freundeskreis und natürlich eure Tochter. Wenn es wirklich so sein sollte, dann schwebt die Kleine in Gefahr. Aber zurück. Er sprengt das Basra, um euch zu treffen. Dass Ryo ein Opfer wurde, war ungewollt oder gewollt. Auch dazu kann ich nichts sagen. Jedoch hat er mit dem, was er getan hat, leben können und als er dann von der Beerdigung erfuhr, wollte er dabei sein, sehen, wie du dich vor Leid krümmst. Doch anstatt dich leidend vorzufinden, erblickt er Ryo und entführt ihn... Somit bringt er dich wieder zum Leiden. Dich, oder anders ausgedrückt, alle liebenden Schwulen. Denn was dir passiert ist, versucht er auch bei anderen... Jedenfalls so oder so ähnlich könnte es gelaufen sein. Aber ich kann da nun wirklich...“
 

„Ich verstehe...“ unterbrach Dee und erhob sich.

Musste das Gehörte erst einmal verkraften.
 

„Demnach wäre es doch im Bereich des Möglichen, dass wir nur von einem Täter sprechen?“ fragte Chris.
 

„Die Möglichkeit besteht. Obwohl ich sie als sehr gering betrachte, Jackson.“
 

„Nein... Es sind zwei. Du sagtest eben, dass der Bomber niemals so einen Umweg über den Jungen im Institut genommen hätte. Das wäre zu kompliziert. Also zwei...“ murmelte Dee und ging einige Schritte, sah sich um, spürte die fragenden Blicke der anderen auf sich und ging zurück zu ihrem Tisch.
 

„Wenn es zwei sind, und sie die MacLane’s treffen wollten, warum dann das Institut?“ fragte Chris.
 

„Leute, ich bin noch nicht lange hier. Gebt mir noch etwas Zeit. Auf alle Fälle müssen wir den eigentlichen ersten Bomber in der Szene suchen, oder jedenfalls nahe dran. Denn wenn er einen Hass auf diese hat, wird er sich dort aufhalten, um diesen jeden Tag aufs neue zu schüren,“ warf Pat ein. Trank sein Glas leer.
 

„Mehr kannst du uns zu dieser Person nicht sagen. Worauf wir achten müssen, irgend etwas in dieser Richtung?“ fragte Dee und hoffte, wenigstens eine Spur gefunden zu haben, der er nachgehen konnte.
 

„Noch nicht. Aber ich denke, dass ich da noch was finde, was uns helfen wird,“ sagte Pat trostvoll zu Dee. Immerhin war es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie in diesem Fall vorankamen und diesen Psychopathen dingfest machten.
 

„Okay. Es ist spät und ich denke, dass Sie fürs erste auch nichts mehr haben. Dann sollten wir das jetzt beenden und darüber schlafen. Dieser neue Gesichtspunkt bringt wirklich neue Aspekte auf,“ meinte Chris und erhielt von Dee prompt seine Zustimmung.
 

Dee musste hier raus. Er musste nachdenken und das konnte er am besten, wenn er in seiner Wohnung mit Ryo redete. Jedenfalls gedanklich.
 

„Gut, wir sehen uns dann morgen. Dee! Jackson,“ nickte Pat den beiden zu und ging dann zur Theke zurück, um sich sein Glas auffüllen zu lassen. Denn er beabsichtigte, noch etwas zu bleiben und vielleicht sogar die Dienste, die hier geboten wurden, zu nutzen.
 


 

„Dee?“ erklang es in der Stille, die sie umfing. Obwohl, still würde wohl niemand New York beschreiben, auch jetzt fast um Mitternacht herrschte eine diffuse Unruhe.
 

„Mhmmm...“ Der Angesprochene schlug den Kragen seines Mantels hoch und schaute dann erst zu Chris, bevor er den Blick gen Himmel schweifen ließ.
 

„Vertraust du ihm?“
 

„Es ist...“ Dee verstummte, wagte nicht, weiter zu reden, weil nach dem eben gehörten alles in ihm mal wieder nach seinem Mann schrie und es ihm schwerfiel, jetzt einfach so darüber zu reden. Deswegen räusperte er sich schließlich. „Ich weiß es nicht... ich möchte es gern,“ sagte er deswegen, blieb so wage wie möglich.
 

„Er hat neue Aspekte aufgebracht. Vielleicht...“
 

„Ja, vielleicht,“ meinte Dee.
 

Schweigend gingen sie die Straßen entlang, bis sie schließlich bei Dee’s Apartmentgebäude angelangt waren.
 

„Kommst du klar?“
 

Dee nickte. „Danke, Chris. Wir sehen uns morgen.“
 

Damit entschwand der Dunkelhaarige in dem Gebäude und Chris zückte sein Handy, drückte einige Tasten.
 

„Kann ich dich noch stören?... Bin gleich da!“
 


 

~~~~ In Black’s Wohnung ~~~~
 

„Hast du schon was rausgefunden?“ fragte er gleich drauflos, kaum dass Aaron ihn herein gelassen hatte. Ging zur Bar und goss sich ein Soda ein, bevor er sich an die Fensterfront stellte und hinausblickte.
 

„Was erwartest du? Mick ist nicht da...“ knurrte Black und setzte sich auf seine weiße Couch, schlug die Beine übereinander und drehte sein Whiskyglas in den Händen.
 

„Dee und ich haben uns eben mit McNear getroffen. Er hat einige interessante Ansatzpunkte ans Licht gebracht, die ich noch nicht bedacht habe.“ Noch immer starrte Chris in das nächtliche Manhattan.
 

„Und jetzt willst du mit mir darüber reden? Jesus! Chris! Weißt du, wie spät es ist?“
 

„Du bist doch noch auf. Also wartest du noch auf einen Anruf von Prescott. Also lass mich erklären...“ Jackson drehte sich herum und setzte sich Black gegenüber.
 

„Laut McNear könnte man auch von zwei Bombern ausgehen. Wobei der erste ein Spezialist sein muss. Das führt wieder zu demjenigen, hinter dem Mick her ist, da dieser einen Hass auf die Schwulen hegen soll. Das wiederum ist ja nicht bestätigt.“
 

„Warte... So spät kann ich nicht so rasch denken...“ unterbrach Black rasch, bevor Jackson mit seiner Rede haltlos fortfahren konnte. „Du meinst denjenigen, den sie entmannt haben. So was kann jeder gute Arzt wieder richten und sogar noch besser machen, als der Schwanz eigentlich war. Warum also kommst du dann hierher und sagst es mir?“
 

„Du hattest wohl schon einige Drinks. Okay. Angenommen, wir reden von dem Entmannten. Der sich seinen Schniedel neu gemacht hat. Vielleicht... funktioniert er nicht so gut, oder... man sieht, dass er angenäht ist... Und er hat einige schlechte Erfahrungen in der Szene damit gemacht... Wäre ja möglich... Das könnte dazu führen, dass er ausgeklinkt ist.“
 

„Hast du darüber schon mit MacLane gesprochen?“
 

„Bist du irre? Der macht sich mehr als genug Sorgen. Wenn ich jetzt auch noch diese Vermutung äußere, was meinst du, was dann los ist?“
 

„Da hast du recht.“
 

Black lehnte sich zurück, spielte weiter mit seinem Glas, nahm nur einen kleinen Schluck und stellte es zurück auf den Glastisch.
 

„Ich werde es Mick sagen, wenn er anruft. Dann werde ich Steve wohl reaktivieren. Ich brauche hier jemanden, dem ich vertrauen kann und der einen Teil der Geschichte kennt. Ich melde mich bei dir, ansonsten sehen wir uns wie üblich im Hug and Bell.“
 

****** TBC

Montag ~ 09. Juli

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

„Kann ich kurz mit dir reden?“ Fragend streckte Dee seinen Kopf ins Büro und war froh, Barclay alleine zu erwischen.
 

„Komm rein!“ sagte dieser und legte die Akte zur Seite. „Um was geht es?“
 

Dee zauderte einen Augenblick.
 

„McNear,“ meinte er dann entschlossen. „Er rief mich an und sagte, dass er etwas in den Akten gefunden hatte. Nun... er hat da eine interessante Theorie...“
 

„Ich weiß. Ich habe seinen Bericht gerade gelesen. Zwei Bomber. Wenn das stimmt, Dee, wird es nicht lange dauern, bis die nächste hochgeht. Entweder gegen die Szene oder gegen dich.“
 

„Darüber wollte ich mit dir reden. Chris weiß nichts davon. Noch nicht. Ich wollte erst meine Theorie von dir bewerten lassen.“
 

„Ich höre!“
 

Ross machte nie einen Hehl daraus, dass Ryo ihm wichtiger war als Dee. Selbst jetzt würde er alles tun, damit der Blonde aus dieser Misere freikam. Hätten sie ihn nur rechtzeitig über das waghalsige Manöver informiert, hätte er ihnen den Kopf zurechtrücken können. Aber das war nun Vergangenheit und was nun zählte, war, dass sie auf der Jagd nach den beiden Bombern weiterkamen.
 

„Ich weiß, dass es sich verrückt anhört, aber ich habe die ganze letzte Nacht darüber gegrübelt. Was ist... Es ist verrückt, ich sollte gehen.“ Dee erhob sich von dem Stuhl, auf den er sich hatte fallen lassen.
 

„Überlass mir doch die Entscheidung. Wie verrückt es vielleicht auch klingen mag, lass hören,“ forderte Barclay seinen Detektiv auf, offen zu reden.
 

„Es ist nur... Die Idee von Jackson, dass es gegen uns ging... konnte ich akzeptieren, obwohl es noch so abwegig war. Aber dass es nun zwei unabhängige Bomber geben soll, die dennoch so gut harmonieren... das glaub ich nicht,“ sagte Dee und setzte sich nun doch wieder.
 

Barclay legte die Hände zusammen und tippte mit den Zeigefingern gegen seine Lippe, während er sich das Gehörte durch den Kopf gehen ließ.
 

„Du willst damit andeuten, dass die beiden zusammen arbeiten?“
 

„Nein... Ja... Irgendwie vielleicht. Ich sagte ja, ich hab die letzte Nacht alles gedanklich rumgeworfen und fand dabei halt das. Die ersten Bomben mögen wohl gegen die Szene gerichtet gewesen sein, das streite ich nicht ab und ich glaube auch, dass dieser Kerl es alleine gemacht hat. Ob die erste Bombe nun von einem begnadeten Bastler gemacht wurde oder nicht und die zweite eher dilettantisch genannt werden kann, ist mir egal. Aber ich denke, dass jemand den Bomber entlarvt hat und ihn auf Ryo und mich angesetzt hat. Wenn ich McNears Worte benutzen darf, war die vierte Bombe, die bei Jim alles lahm legte, so gut durchdacht, dass dies unmöglich von dem ersten Bomber geplant war. Und da muss ich ihm recht geben. Nun, was meinst du? Lieg ich falsch?“
 

Erneut verstrichen einige Sekunden, wenn nicht sogar mehrere Minuten, bis sich Barclay so darüber seine Gedanken gemacht hatte.
 

„Es ist verrückt, das muss ich zugeben. Hast du einen potentiellen Täter im Visier?“
 

Dee schüttelte den Kopf. Denn darüber hatte er nun nicht wirklich nachgedacht. Bisher hatte er nur diese Theorie erkoren und Barclay schien auch davon überzeugt zu sein, dass er sich da etwas zusammengesponnen hatte.
 

„Tut mir leid, ich hab nur deine Zeit verschwendet...“ Erneut erhob sich Dee.
 

„Nein, warte, Dee!“ hielt Ross ihn erneut auf.

„Es ist verrückt, das stimmt, aber ganz ausschließen kann man es nicht. Gibt es denn jemand, der so großen Hass auf dich oder Ryo haben könnte, dass er zu solch drastischen Maßnahmen greift? Gibt es jemand, der überhaupt dazu in der Lage wäre?“
 

„Ich weiß nicht...“ ertönte Dee’s Stimme mit einem Funken Hoffnung, doch nicht durchgeknallt zu sein.

Ross räusperte sich und tippte wieder mit den Fingern gegen seine Lippe.
 

„Das bleibt vorläufig unter uns. Wir ermitteln also in dieser Richtung. Du solltest Jackson einweihen. Wir suchen also eine Person, männlich oder weiblich, die in der Lage wäre, einen Bombenleger schnell zu enttarnen, oder man hat ihn gesehen und ihn so entlarvt. Dann müsste diese Person dazu in der Lage sein, dem Bombenleger etwas zu bieten, damit er ihm diese Napalmbombe baut. Somit wäre er jedoch zu einem Mittäter und Mitwisser geworden. Schwebt nun der Bombenleger in Gefahr, oder derjenige, der ihn dazu angestiftet hat? Auf alle Fälle... sollten wir das wirklich weiter verfolgen.“
 

Dee erhob sich von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte.

Es überraschte ihn nicht wirklich, dass Ross ihm zugehört hatte. Außerdem fühlte er sich nun besser. Nun, da er seine Gedanken auch mal frei aussprechen konnte. Gut, er hätte auch zu Black gehen können, aber zu diesem hatte er ihm Augenblick irgendwie nicht den Draht und Ross war einer der wenigen, mit dem er genauso offen reden konnte. Zumal sein Chef ihm auch noch in diesem Fall unterstützte.
 

„Was ist mit der Mafia. Du weißt, die von Chicago? Immerhin habt ihr doch dem Sohn eine Weile Unterschlupf gewährt. Vielleicht haben sie nur auf so eine Aktion gewartet. Möglicherweise haben sie das ganze selbst in die Wege geleitet? Was meinst du dazu?“ fiel es Ross ein, der sich an die Aktion vor einigen Jahren erinnerte. Waren es nun schon fünf oder gar sechs Jahre her. Sechs, denn wenn Sara fünf war, musste es so um den Dreh gewesen sein, fiel es Barclay ein.
 

„Was? Nein...“ Ohne zu zögern schüttelte Dee den Kopf. „Der Fall ist erledigt, glaub mir. Cotton hat sich mit seiner Familie geeinigt und nachdem sein Vater hingerichtet worden ist, warum sollten die so ein Ding durchziehen?“
 

Zweifel kamen nun aber auch in Dee hoch. Was, wenn die Idee nun doch nicht so abwegig war? Was, wenn die... Nein, rief er sich selbst zur Ordnung. Soviel wie er wusste, hatten alle so ein beglaubigtes Schreiben unterschrieben, in dem ihnen untersagt worden war, etwas gegen Steve zu unternehmen. Und auch wenn es um die Mafia ging, oder gerade deswegen, konnte man sich darauf verlassen, dass sich aus dieser Richtung nicht gegen Cotton regte. Ehre wurde in diesem Metier sehr groß geschrieben und sollte tatsächlich herauskommen, dass einer von denen dahinter steckte, würde die Welt nicht groß genug für diesen sein, um sich lange zu verbergen.
 

„Bist du dir sicher? Würdest du deine Hand dafür ins Feuer legen, Dee?“ fragte Barclay, nur um sicher zu gehen.
 

„Ja. Würde ich!!“ sagte er nun, ohne noch einmal darüber nachzudenken. „Keine Mafia, jedenfalls nicht im Fall von Cotton.“
 

Ein Klopfen ließ Barclay verstummen und ihn zur verschlossenen Tür blicken.
 

Ein Kopf mit schwarz zurückgegelten Haaren schob sich in den Spalt.

„Commissioner, kann ich Sie einen Moment... Oh! Morgen Dee!“ begrüßte McNear den anwesenden Detektiv und lächelte ihn herzlich an. „Zu dir wollte ich auch noch kommen.“
 

„Pat! Heute ist schlecht, wir sind gleich unterwegs,“ erklärte Dee. Erhob sich und schaute Ross an. „Wenn nichts mehr ist, Sir?“
 

„Sie können gehen, Detective. Ich erwarte Ihren Bericht.“
 

Dee verließ fast fluchtartig Ross’ Büro und ging zu seinem eigenen. Als er Jackson erblickte, ging er zu diesem hin.
 

„Wir müssen los! Ich erklär es dir später.“ Griff nach seiner Jacke und war auch schon wieder an der Tür.
 

Chris sah ihn nur perplex an oder eher nach. Zuckte dann mit der Schulter und folgte Dee hinunter zum Fuhrpark.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Sein Körper schrie vor Ermüdung und Erschöpfung. Doch beides konnte er ihm nicht gewähren. Die letzten Stunden waren wieder schlaflos vergangen. Stunden auf den Zehen hatte er verbracht, bis sein Peiniger zurückkam und ihm erlaubte, die Augen wieder zu schließen, das grelle Licht zu löschen.
 

Nun sah er auch durch die geschlossenen Lider helle Flecken und das hatte sich noch nicht geändert. Seit Stunden plagten ihm zudem auch noch Kopfschmerzen. Und wenn sein Kopf vor Ermattung auf seine Brust sackte, riss ihn der Schmerz in seiner Schulter wieder dort hinaus.
 

Er fühlte Durst und Hunger. Doch um diese Gefühle zu bekämpfen, fehlte ihm leider das notwendige Mittel. Als er noch auf dem Tisch gebunden lag, hatte sein Peiniger wenigstens hin und wieder etwas Flüssigkeit oder gar Essen gebracht. Doch seitdem er sich nun praktisch frei bewegen konnte, fehlte davon jede Spur. Sein Magen knurrte bereits seit Stunden. Gegen den Durst hatte er sich schon einmal an der Wasserleitung vergriffen, doch die schien abgestellt. Die andere Möglichkeit, das Klo, daran wollte er noch gar nicht denken. Sein Mund fühlte sich trocken an, wie eine Wüste voller Sand. Ryo war sich zwar nicht sicher, ob das Essen oder das Wasser, das er bisher erhalten hatte, sauber und drogenfrei war, aber es war immerhin besser als rein gar nichts.
 

Tränen brannten ihm in den Augen. Doch zum Weinen fehlte ihm auch dort die Flüssigkeit und er hätte es auch verdrängt, denn noch wollte er seinem Peiniger nicht eingestehen, dass er kurz vor dem Aufgeben stand. Nicht psychisch, sondern physisch. Sein Körper brauchte Ruhe und wenn er darum betteln musste, gut, dann würde er das halt tun. Aber seinen Geist würde dieser Kerl nie kontrollieren können. Niemals.
 

***** TBC

Freitag ~ 13. Juli

~~~~ Diner of Love ~~~~
 

Chris fuhr, wie immer, vom Polizeiparkplatz und hoffte, dass Dee endlich mit der Sprache rausrücken würde, doch dieser schwieg noch immer. Seit fast einer Woche schien der Jüngere etwas mit sich herumzuschleppen, aber sagen tat er einfach nicht, was ihn belastete. Gut, vermutlich lag es an der Entführung, der Unsicherheit um Ryo. Ihrer Machtlosigkeit, Erfolge vorzuweisen, und hinzu kam dann auch noch die Entfernung zu seiner Tochter. Wenn man das alles zusammen betrachtete, konnte man schon verstehen, warum Dee noch ruhiger geworden war.
 

Aufdrängen wollte er sich nun auch nicht direkt. Zumal Chris sich auch einen Vorwurf in Sachen Ryo nicht verwehren konnte. Immerhin hatte er Zweifel gehabt, ob Black ihm auch alles erzählt hatte, als er ihn hierher beordert hatte. Aber das lag nun doch schon etwas zurück, um sich in dieser Richtung weitere Gedanken zu machen.
 

Nach einigen Minuten, in denen Jackson planlos herumgefahren war, riss ihm der Geduldsfaden.
 

„Wohin soll’s gehen?“ fragte er und man hörte ihm an, dass er sichtlich angefressen war über das lange Schweigen, das sich ausgebreitet hatte.
 

„Fahr zum Diner... auf der CS!“ meinte Dee gedankenversunken und schaute weiter aus dem Beifahrerfenster.

Dachte wie so oft an seinen Mann und was dieser seinetwegen erleiden musste. Er fühlte sich, egal was die anderen auch sagten, verantwortlich für das, was mit Ryo passiert war.
 

Auf der Christopher Street gab es mehr als nur ein Diner, und das war sowohl Dee als auch Chris bekannt. Dennoch gab es nur einen Ort, wo man um die Mittagszeit etwas gescheites zu Essen bekommen konnte. Nicht dass die anderen nicht genauso gut gewesen wären, aber das Diner of Love, das Chris ansteuerte, war eines der besseren, was Bedienung und Service betraf.

Jackson parkte in der Nähe und dennoch mussten die beiden noch gut einen Block laufen, bis sie dort einkehren konnten.
 

„Sieh dir das an...“ staunte Chris und machte Dee auf ein Schild draußen an der Fensterfront aufmerksam. Eigentlich stach es gleich jedem in den Blick.
 

Achtung Gefahr!!

Schaut euch um!

Auch ihr könnt Leben retten!

Herrenlose Taschen oder ähnliches sofort melden!!

Danke!!

Three S
 

Dee ging einige Schritte zurück und tatsächlich. Auch in dem Nachbarladen hing so ein Plakat. Wieder unterschrieben mit den ‚Three S’.
 

„Das find ich toll. Die Jungs hier gehen auf Eigeninitiative,“ lobte Chris. „Wer wohl die drei S sind?“ grübelte er laut nach.
 

„Nun, du bist noch nicht lange hier, Chris. Sonst würdest du diese Frage nicht stellen. Aber ich will dich nicht dumm sterben lassen. Das sind die Jungs vom Diner of Love. Ihre Nachnamen beginnen alle mit einem S. Da es drei sind, liegt die Vermutung nahe, dass sie es sind. Aber ist auch egal, wer das hier in Aktion gerufen hat. Ich finde es eine gute Idee.“
 

Damit ging er Chris voraus in das Diner, nickte Mark, dem rothaarigen Kellner, freundlich zu. Steuerte einen der hinteren Tische an und setze sich so, dass er den Eingang ständig im Auge hatte.

Chris saß mit dem Rücken zur Tür und konnte somit auch nicht sehen, wie Robin, der Jüngste der beiden Stewards, sich von hinten an ihn ranschlich und ihm herzlich auf die Schulter schlug.
 

„Na ihr zwei. Kaffee oder soll’s heute mal was herzhaftes sein? Hätte heute Steak, Pommes mit Salat im Angebot. Natürlich könnt ihr auch Sandwiches haben. Nur Donuts sind leider out,“ grinste er Dee breit an.
 

„Hi. Wir nehmen den Kaffee und die Steaks. Danke, Robin!“ sagte der herzlich.
 

Das Diner gab es schon eine Ewigkeit und es wurde auch schon seit der Gründung von den dreien betreut. Okay, Robin, der jüngste, war erst später dazugekommen, als der Laden schon lief, aber er war wirklich eine Bereicherung in allem. Was Dee hier liebte, war die Diskretion, mit der man hier in aller Ruhe essen konnte. Ähnlich wie im Basra. Nur dass das Diner mehr Homos zu Gast hatte, während das Basra wohl eher auf die Hetero-Kundschaft wert legte. Lag wohl auch eher an der Gegend, wo diese beiden standen, oder wohl eher gestanden hatten.
 

Chris drehte sich um und sah Robin, wie dieser sich über den Tresen lehnte und die Bestellung in die Küche weiter reichte. Dabei hatte er einen einwandfreien Blick auf den knackigen Po des Kellners. Der dies wohl bemerkte und den Blick frech mit einem Augenzwinkern konterte. Dee lachte leise und Chris setzte sich wieder gerade hin. Räusperte sich und blickte den Schwarzhaarigen an.
 

„Willst du mit mir reden oder lädst du mich zum Essen ein?“
 

„Das Erstere. Das Essen geht auf dich,“ erklärte Dee und wartete, bis Robin ihnen den Kaffee gebracht hatte. Chris erhielt dabei noch ein sehr aufmerksames Lächeln geschenkt, bevor sich Robin zurückzog.
 

„Okay... Also ich habe mir auch so meine Gedanken gemacht. Nach dem Gespräch neulich mit McNear,“ sagte Dee und erklärte Chris dann das, was er Anfang der Woche bereits alles Barclay erklärt hatte.
 

Gerade als er geendet hatte, kam ihre Steakbestellung.
 

„Lasst es euch schmecken... wenn ihr noch was braucht, ruft einfach,“ sagte Robin und wieder schenkte er Chris einen Augenblick länger seine Aufmerksamkeit. Chris bemerkte das natürlich und schaute ihm wieder einmal hinterher, bevor er sich erneut räuspern musste und sich dem Essen zuwand.
 

„Nun, was meinst du?“ holte Dee ihn wieder zurück aus seiner Träumerei.
 

„Was? Ach so...!“

Der Weißhaarige fühlte sich etwas ertappt, und das verschlimmerte sich sogar noch, als er das Grinsen von Dee auf sich spürte. Er senkte den Kopf und begann zu essen.
 

Dee ließ ihn gewähren und aß selbst sein Steak, welches saftig und weich fast auf dem Gaumen zerfloss. Noch leicht rosig angehaucht, aber nicht blutig. Eigentlich mochte er es lieber richtig durch, aber so konnte er es auch essen. Auf alle Fälle lief ja kein Blut mehr. Als er aufgegessen hatte, lehnte er sich zurück und tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab.
 

„Das war gut...“ lobte er und wartete, bis auch Chris seinen Teller leergeputzt hatte.
 

„Ja, das stimmt. Und auch das, was du eben gesagt hast. Ich denke, das könnte hinhauen. Aber... und das ist jetzt meine Abhandlung davon... sollte man auch in Betracht ziehen, dass derjenige, der den Bomber gefunden hat, schon länger nach diesem gesucht hat.“
 

Verständnislos blickte Dee Chris an.
 

„Also... wenn er...“
 

„Möchtet ihr noch einen Kaffee?“ wurde Chris unterbrochen und blickte hinauf in zwei braune, rehgleiche Augen, die ihn sanft anblickten.
 

„Später Robin... ich meld mich,“ warf Dee rasch ein und seufzte, als erneut Chris’ Blick kurz hinter Robin herhuschte.
 

„Also... wo waren wir?“
 

„Was... Was ich sagen wollte... Wenn derjenige, der jetzt die Fäden hält, bleiben wir mal bei dieser Theorie, schon länger einen gesucht hat, der ihm Bomben bauen kann, die er braucht. Das erweitert die Möglichkeiten zwar wieder, aber dieser hat den Bomber gefunden und zwar kurz vor oder nach den ersten beiden Bomben. Denn die Basra-Bombe ging zu kurz danach hoch, um deine Theorie aufrecht zu halten.“
 

„Stimmt.... Aber somit wäre auch die Theorie von Patrick hinfällig,“ grübelte Dee.
 

„Ich könnte noch ’nen Kaffee vertragen,“ warf Chris ein. Das ganze so trocken zu diskutieren brachte eh nichts.
 

„Ich hol welchen.“
 

Er wusste, er hätte sich nur bemerkbar machen müssen, aber er wollte sich kurz mal bewegen und außerdem wollte er auf dem Hinweg mal die Toilette aufsuchen.
 

Zurück aus dem Waschraum ging er zum Tresen und wartete darauf, dass Björn oder Mark auf ihn aufmerksam wurden. Robin konnte er auf dem ersten Blick nicht ausmachen, doch dann erkannte er ihn drüben bei Chris. Anscheinend räumte er gerade den Tisch ab.
 

Als er sich nun wieder umdrehte, bemerkte er am Rande den eben eingetretenen Kunden. Er stellte sich fast neben ihn. Dee musterte ihn wie nebenbei. Langer Trenchcoat. Ein alter, abgegriffener Schlapphut, der etwas im Gesicht zu hängen schien und Hände, die in Handschuhen steckten.
 

„Noch einen Wunsch?“ hörte er Björn mit seinem leicht angehauchten schwedischen Dialekt, der ihn wieder in die Gegenwart riss.
 

„Zwei Kaffee... wir sitzen...“
 

„Ich weiß. Ich schick gleich Robin vorbei... ist das okay?“
 

„Klar...!“ meinte Dee, drehte sich dann und touchierte unabsichtlich den Fremden. „Sorry...“ entschuldigte Dee sich und sah in das Gesicht des Kunden, der, wie er glaubte, nur ein Sandwich holen wollte.
 

„Schon okay,“ murmelte dieser als Antwort und blickte in die andere Richtung.
 

Dee zuckte nur mit der Schulter, ging dann zurück zu ihrem Tisch. Doch nochmals warf er einen Blick zurück zur Theke. Irgend etwas war ihm komisch vorgekommen. Doch er konnte keinen Finger drauf legen. Er setzte sich und verscheuchte somit Robin, der noch immer am Tisch herumgewischt hatte.
 

„Scheint an dir einen Narren gefressen zu haben,“ meinte Dee, als er sich auf seinen Platz niederließ.
 

Noch immer grübelte er über den Fremden nach und dann sah er es. Wie eine Furie sprang er auf, schnappte sich das kleine Päckchen auf dem Boden. Rief Chris zu „Schaff sie raus...“ und rannte mit dem Paket in den Händen nach hinten in den Hinterhof.

Er wusste natürlich nicht, wie viel Zeit ihm noch blieb und so tat er das, was am logischsten für ihn erschien. Er warf es in den einzeln stehenden Müllcontainer, damit dieser die Wucht der Explosion dämmen konnte, dann schmiss er sich selbst zu Boden.
 

Kaum hatte das kleine unscheinbar wirkende Päckchen jedoch seinen Weg in den Müllcontainer gefunden, ging die Hölle los. Dem Container sprangen die beiden Klappen hoch und rissen sich aus den Angeln, dann folgte der Behälter selbst. Stieg gut zwei Meter hoch und der gesamte Müll leerte sich nach unten und seitlich aus. Detonierte komplett in alle Himmelsrichtungen und kam nur noch als ein Haufen aufgerissenen Blechs wieder auf den Boden.

Dee rollte sich am Boden, schlang seine Arme um seinen Kopf und zog die Beine an sich, um sich so klein wie möglich vor irgendwelchen Trümmern zu schützen.
 

Für Dee auf dem Hinterhof, alleine mit dieser Wucht, schienen Stunden vergangen zu sein, bis sich die Hölle um ihn wieder beruhigte. Doch in Wahrheit waren es nur Sekunden.
 

Chris reagierte schlagartig. Schrie auch schon los, kaum dass Dee’s Schrei verklungen war:
 

„Alle Mann raus hier... Bombe! Raus!“ ertönte seine Stimme befehlsgewohnt und auch Björn, der neben Mark hinter der Theke stand, reagierte.
 

Nur Sekundenbruchteile später begann er, die Kundschaft aus dem Laden zu fegen.
 

Mark hingegen brauchte genau bis zum Knall im Hinterhof, bis er raffte, was eigentlich passiert war.
 

Doch da war auch schon Robin am Telefon und rief Feuerwehr, Krankenwagen und die Polizei an.
 

Chris zögerte nicht lange und rannte zurück, durch das Diner und in den Hof dahinter.
 

Die Tür hing nur noch in den Angeln und war übersät mit Nägeln, Graupen und Schrauben. Der gesamte Hof hinter dem Diner war übersäht mit diesen Teilen und nun auch noch gemischt mit dem üblichen Müll, der alles noch schauriger aussehen ließ.
 

„DEE!“ brüllte er und sah sich hektisch auf dem Hof um. „DEE! WO BIST DU!? DEE!!“
 

„Hier...“ kam es gepresst und leise hinter einem der Müllcontainer heraus. Chris rannte dorthin, wo er die Stimme vernommen hatte.
 

Inzwischen waren auch die drei Besitzer erschienen und schoben den Container zur Seite und erblickten Dee.
 

Nur gut für Dee, dass er es noch hinter einen der beiden anderen Container geschafft hatte, denn dort, wo er noch Sekunden zuvor gelegen hatte, war der explodierte Blechhaufen gelandet. Von ihm wäre so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Doch das wusste nur er und er würde es auch keinem auf die Nase binden. Einmal musste selbst ein Dee MacLane Glück haben, wie er fand.
 

„Fuck!“ sagte Mark und ging neben dem Cop in die Knie. „Hey... bist du okay...“ sagte er und betrachtete sich die drei Nägel, die bis zum Anschlag in Dee’s Oberarm steckten.
 

„Ja... ich bin soweit okay... Sonst alle in Sicherheit?“ Das war seine größte Sorge, dass es außer ihm noch mehr Verletzte gegeben hatte.
 

„Dank dir nicht. Mensch, MacLane! Wir schulden dir was...“ brachte Björn hervor und ging ebenfalls neben Dee in die Knie.
 

„Der Krankenwagen ist unterwegs,“ machte sich nun auch Robin bemerkbar und dieser sah sich nun auch etwas genauer in dem Hinterhof um.
 

„Der Kerl... der im Trenchcoat...“ sagte er zu seinem Partner und dieser verstand augenblicklich.

Rasch rannte er zurück auf die Hauptstraße, sah sich um, doch den Mann, denn Dee meinte, konnte er nicht ausmachen. Auch als er die Schaulustigen, oder die Geretteten, wie man es auch sehen wollte, befragte, bekam er keine bessere Antwort.
 

Wie so üblich hatte niemand irgend etwas oder irgend jemand gesehen.
 

Ach, was machte die Polizeiarbeit doch so viel Spaß, dachte er ironisch und eilte zu Dee zurück, um ihn von seinem Misserfolg zu berichten.
 

Die Wucht der Druckwelle hatte sämtliche Fenster hier zersprengt und rundherum lagen lauter feine Splitter, einige regneten immer noch leicht vom Himmel. Rauch war in der Luft und überall lag dieses Chaos herum.
 

Robin sackte an der Wand runter und begann zu zittern. Zog die Beine an und schlang die Arme drum herum. Keiner bemerkte es. Jeder war zur Zeit nur um Dee besorgt. Doch dieser bekam es mit und machte Mark ein Zeichen mit dem Kinn.
 

Sofort erhob sich Mark und ging zu seinem jüngeren Bruder. Nahm ihn still in die Arme und wiegte ihn wie ein Kind hin und her.
 

Inzwischen saß auch Dee. Der Schmerz war die Hölle. Aber er ertrug ihn. Denn hätte er nicht so schnell reagiert, hätte es wieder mal Tote und Verletzte auf der Christopher Street gegeben.

Von Ferne hörte man bereits die Sirenen der näher kommenden Einsatzfahrzeuge.
 

Kurze Zeit später wimmelte es von Leuten im Hinterhof. Dee wurde von einem Sanitäter zum Krankenwagen geführt und dort wurde ihm erklärt, dass sie ihm erst im Krankenhaus die Nägel entfernen konnten. Auch sein Auflehnen brachte nichts. Der zuständige Arzt erklärte ihm breit und lang, dass er nicht das Risiko einer Infektion oder einer möglichen Arterienverletzung in Kauf neben wollte, nur weil ein Cop meinte, er wüsste medizinisch besser Bescheid als er. So gab er sich schließlich geschlagen.
 

Patrick war einer der letzten, die am Tatort erschienen.
 

„Wo ist er?“ war die erste Frage, die er stellte, und man zeigte ihm den Weg zum Krankenwagen, der sich gerade zum Abfahren bereit machte.
 

„Warten Sie!“ rief er, doch es war zu spät. Patrick konnte lediglich den Lichtern hinterher sehen.
 

„Er hat drei Nägel im Arm. Soweit wir es gesehen haben, und ansonsten scheint er unverletzt,“ erklang es hinter Patricks Rücken und erst, als er sich umdrehte, erkannte er Chris, der ihn mit nichtssagendem Ausdruck ansah.
 

Patrick brauchte nur sekundenlang, um sich wieder zu fassen und Chris genauso kalt und abweisend anzublicken, wie er die übrige Welt bedachte.
 

„Ich wollte ihm einige Fragen stellen, sonst nichts.“
 

„Sicher!“ war alles, was Chris dazu sagte, bevor er sich zu dem anderen Krankenwagen umdrehte, der noch immer vor Ort ausharrte. Ohne zu zögern ging er direkt drauf zu und hockte sich neben den Braunhaarigen, der noch immer leicht zitterte.
 

Der Arzt spritzte ihm gerade ein leichtes Beruhigungsmittel und klebte ein kleines Pflaster drauf.
 

„Er ist soweit in Ordnung, Detective. Sie können ihn mitnehmen.“
 

Chris nickte verstehend und erhob sich bereits wieder, doch Robin blieb noch sitzen, sah nur aus seinen rehbraunen Augen zu Chris hinauf.
 

„Wir hätten tot... sein können...“ stammelte er und zog seine Beine an, um seine Arme darum zu schlingen.
 

„Robin, Komm mit...“ sagte er schlicht und zog ihn einfach auf die Füße. Steuerte diesmal auch nicht das Diner an, sonder ging direkt daneben in eine offene Kneipe. Bestellte dort einen Whiskey und reichte diesen einfach an den Braunhaarigen weiter.
 

„Trink.“
 

Robin sah ihn an und kippte sich dann das Getränk einfach hinter die Binde.
 

„Geht’s besser?“
 

„Jedenfalls frier ich nicht mehr,“ sagte er nach einer Weile leise und spielte mit dem leeren Glas in seiner Hand. „Danke...“
 

„Dafür sind wir doch da...“ lächelte Chris ihn aufmunternd an.
 

Noch immer stand Robin unter dem Schock des eben Erlebten, aber es ging ihm besser als noch vor gut einer halben Stunde. Als er Dee blutend am Boden entdeckt hatte und all das, was sonst nicht im Hof herumlag. Ein Schauer überlief ihn erneut, wenn er nur daran dachte, dass alles hätte weg sein können, wenn diese Bombe im Diner gezündet worden wäre. Nicht nur die Einrichtung, sondern alle die er liebte, die er mochte, mit einem Schlag ausradiert.

Tränen sammelten sich und flossen aus den braunen Augen. Er schniefte und nahm dankbar das Taschentuch von Chris entgegen.
 

Plötzlich brach draußen ein Tumult los und der Cop fand sich in einem Dilemma. Sollte er hier bleiben und Robin noch ein wenig Mut zusprechen, oder eigentlich seinem Job nachgehen.
 

„Geh nur... ich komm schon klar,“ sagte Robin mit einem tränenverhangenen Lächeln.
 

Chris legte ihm noch kurz die Hand auf die Schulter und ging dann, um zu erfahren was los war.
 

„Wir haben ein weiteres Opfer,“ hörte er die Stimme von Ted, der aus dem Hinterhof gerannt kam.
 

Der nächst stehende Arzt rannte auch schon los und lief in die Richtung, in die Ted deutete. J.J. kniete vor einer Person, und als der Arzt näher kam, schüttelte dieser bereits den Kopf, dass es zu spät war.
 

Chris sah sich um und ging dann nochmals in den Hof. Sah den Toten. Er lag auf einigen leeren Säcken. Kein Wunder, dass sie ihn vorhin nicht gefunden hatte: sie hatten ihn mit dem Müllcontainer, den sie von Dee weggeschoben hatten, komplett zugedeckt. Hätten sie ihn früher gefunden, wäre nicht ein weiteres Opfer zu beklagen gewesen.
 

„Fuck!“ murmelte Chris und fühlte sich elend und mitschuldig am Tod dieser Person.
 

Jackson drehte sich um und ging in das Diner zurück, wo er sich von Mark einen Kaffee bringen ließ.
 

„Robin ist nebenan... Ihr solltet ihn eine Weile nicht alleine lassen. Er steht voll unter Schock, wie wir alle wohl. Sind die Jungs von der Spurensicherung hier schon fertig?“
 

„Ja. Sind eben nach hinten durch um dort weiterzumachen...“ erklärte Mark und reichte Chris seinen Kaffee.
 

„Was ist mit Dee?“ stellte sich Björn mit zu der Truppe.
 

„Sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht. Ich hol ihn nachher und muss ihm wohl sagen, dass es doch einen Toten gab.“
 

„WAS?“ erklang es von drei Mündern. Mark und Björn sahen zur Tür und sahen Robin, wie dieser sich taumelnd auf einen Stuhl sinken ließ.
 

„Sie haben ihn eben gefunden. Mehr weiß ich noch nicht.“
 

Chris blieb sitzen. Gerne wäre er zu Robin gegangen um ihn weiter zu trösten, aber er wollte dem Jüngeren schließlich keine Hoffnung machen. Obwohl, die Flirterei eben hatte ihm schon gut getan. Das sich so ein junger Bursche noch für ihn interessierte, schmeichelte Chris, dennoch wusste er auch, dass ein Flirt nichts festes war. Aber darauf war er sowieso nicht aus. Er war ja, wie sagte man so schön, nur auf der Durchreise. Wer wusste also, wie lange er hier bleiben würde. Selbst er konnte das noch nicht mit Bestimmtheit sagen.
 

„Hältst du uns auf dem Laufenden?“ fragte Björn und ging zu Robin, um ihn ebenfalls einen Kaffee zu reichen und sich bei ihm niederzulassen.
 

„Klar. Hat einer von euch den Kerl gesehen, der das Paket dagelassen hat?“
 

„Du!“ Mark wischte sich über die Stirn. „Hast ja selbst gesehen, was hier eben los war. Also ich kann mich nicht...“
 

„Dee kam gerade vom Kaffee bestellen zurück als er aufsprang und losrannte... Vielleicht hilft das ja. Er muss hier an der Theke gestanden haben.“ Chris drehte sich und sah nun Björn an.
 

Der Schwede schloss seine Augen und jeder hier im Raum wurde still. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Patrick kam hereingerauscht.
 

„CDI McNear. Ich möchte ihnen einige Fragen stellen.“
 

Alle Augen richteten sich auf den Eindringling. Doch keiner reagierte direkt.
 

„Warte. Da war einer. Er bestellte... einen Kaffee zum Mitnehmen und zwei Sandwiches... Er war direkt neben Dee... Mann, ich krieg kein Bild von dem Kerl. Das ist mir peinlich...“ meinte Björn.

Chris sah ihn mit einer erhobenen Augenbraue an.
 

«Normalerweise erkennt er jeden. Weiß, wenn einer einmal hier war, was dieser gegessen und getrunken hat. Wenn er ihn selbst bedient hat, kann er dir sogar sagen, wie viel Trinkgeld er hinlegt. Schon merkwürdig...»
 

„Ein grauer... oder khakifarbener Trench... und ein Schlapphut in der selben Farbe... aber mehr... ich würde sagen...“ Wieder entstand eine Stille, die selbst McNear nicht durchbrach. „Er war etwas größer als Dee. Das Gesicht lag im Schatten und ja... seine Augen... sie waren nicht still, sie schienen ständig hin und her zu huschen... Aber Alter oder mehr...“
 

„Okay, Größe hätten wir, wie ist es mit der Figur... was meinen Sie?!“ übernahm Patrick ungefragt das Verhör.
 

Björn musterte das unverschämte Verhalten, zuckte dann aber ergeben mit der Schulter. Aussagen wollte er und ihm war es persönlich egal, welcher Cop es aufnahm. Nur eins wusste er, dieser Kerl war ihm unsympathisch.
 

„Ich würde mal sagen... Normal. Nicht fett oder so... Aber ich kann mich auch täuschen. Unter dem Trench... Wer weiß. Aber ich denke...“
 

„Sagen sie mir einfach nur das, was sie gesehen haben. Spekulationen bringen uns nicht weiter,“ sagte Patrick kalt und machte sich eifrig Notizen.
 

Ein Seitenblick von Mark streifte Chris und auch das kurze ungehaltene Aufflackern von Björn entging ihm nicht.
 

„Das war alles, was ich zu sagen habe, Officer!“ sagte Björn und beendete damit abrupt das Verhör.
 

„Ich möchte Sie dennoch bitten, nachher zum 27. Revier zu kommen um ihre Aussage zu Protokoll zugeben. Jackson... Ich fahr jetzt ins Krankenhaus. Soll ich Sie mitnehmen?“
 

„Danke. Aber ich bin selbst motorisiert,“ lehnte Chris das überaus freundliche Angebot von dem höhergestellten Beamten ab.
 

Nachdem die Tür hinter McNear zugefallen war, konnte Mark sich nicht länger zurückhalten.

„Was war das denn? Für was hält der sich?“
 

„Er soll uns helfen, den Bomber zu finden. Du hast ihn gehört, Björn. Nachher im Revier.“
 

„Ist gut. Aber was ich noch sagen wollte, bevor ich so dreist von diesem... diesem Laffen unterbrochen wurde. Er war schlank. Würde sagen muskulös, denn der Mantel hing locker. Wenn da ein Bauch gewesen wäre, hätte er gespannt, wäre anders gefallen. Und... warte, da ist noch was, aber ich komm im Augenblick nicht drauf... Vielleicht fällt es mir noch ein.“
 

„Okay, sag mir Bescheid, wenn es dir einfällt.“ Chris reichte Björn seine Karte.
 

„Leg sie zu der von den MacLane’s,“ grinste Björn und steckte sie erst einmal ein.
 

„Sag Dee danke von uns.“
 

Als Chris das Diner verlassen hatte, ohne Robin nochmals zu sprechen, sah er, wie der Krankenwagen das tote Opfer abtransportierte. Der Blick, den er vorhin nur kurz auf diesen geworfen hatte, würde ihn wohl noch eine ganze Weile verfolgen.
 

*****TBC

Freitag - 13. Juli – etwas später

~~~~ Medical Center ~ Notaufnahme ~~~~
 

„Na, was haben wir denn hier.“
 

Dee sah auf und glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als ihn ein lang bekannter Arzt freundlich anlächelte.
 

„SIE... Ich meine DU?“ fragte er überrascht.
 

„Na, so schlimm ist es nun auch wieder nicht, mich zu sehen. Außerdem bin ich Arzt, wie du sehr wohl weißt,“ konterte der Doktor und zog sich einen Drehstuhl heran um sich der Wunde an Dee’s Arm zuzuwenden.
 

„Aber ich dachte, dass du...“
 

„Dass ich was? Nur in meiner Praxis rumsitze und hoffe, dass sich jemand verirrt. Nein. Übrigens... Mein Beileid.“
 

Der Doktor bemerkte, dass Dee anscheinend etwas überfordert schien mit seinen Worten, und so unterbrach er erst einmal die Untersuchung.
 

„Ich meinte Ryo. Ich habe gelesen, dass er verstorben ist...“
 

„Ach... Nein. Das war... Er lebt. Er hatte Glück... Es ist alles etwas kompliziert und ich möchte darüber eigentlich nicht reden. Versteh mich nicht falsch...“
 

„Schon gut, Dee. Wenn etwas sein sollte, ich bin außer Montag, Donnerstag und Samstag in meiner Praxis. Ansonsten du kennst die Nummer, wenn was ansteht, ruf mich ruhig an. Ich kann ganz gut zuhören.“
 

„Danke, Doc. Später vielleicht.“
 

Doktor Brian Foster erhob sich, hockte sich nun auf das Bett direkt neben Dee und nahm dessen Arm vorsichtig in seine Hand. Betrachtete diesen eingehend und murmelte still etwas vor sich hin.
 

„Mhm... sieht übel aus.“ Dann stand er erneut auf und ging zu den Röntgenaufnahmen, die bereits gemacht worden waren, und betrachtet sich diese.
 

„Du hattest Glück, wie mir scheint. Keines dieser Dinger hat deine Knochen gestreift. Jedoch der obere... sieht mir nach Nervenverletzung aus. Aber die Aufnahme ist auch unscharf... Okay. Wir probieren es einfach. Möchtest du ein Schmerzmittel, oder meinst du, du schaffst es auch so?“
 

„Mach endlich und zieh die Dinger raus.“
 

Der Doktor, der Dee und Ryo schon lange kannte, zögerte auch nicht länger. Griff sich eine der bereitliegenden Zangen und zog den ersten Nagel problemlos heraus. Auch der zweite fiel bald auf einen bereitliegenden Teller. Bisher hatte Dee keinen Schmerz geäußert und das wunderte Foster ganz gewaltig. Seine Vermutung, dass der letzte Nagel Nervenstränge lahmgelegt hatte, schien immer wahrscheinlicher zu werden.
 

„Was macht Sara? Geht’s ihr gut?“ begann er eine leichte Unterhaltung, denn wenn er recht hatte, würde gleich ein See aus Schmerzen über Dee hereinbrechen.
 

„Ja, sie ist bei... aaaahhhhhhhhhh!“ schrie er plötzlich auf und Morgan gelang es gerade rechtzeitig, den Nagel zu entfernen, bevor Dee den Arm hektisch an sich riss und dann wie leblos zur Seite kippte.
 

Er fing ihn auf, bevor er von der Liege fallen konnte und legte ihn vorsichtig darauf. Dann säuberte und desinfizierte er die Eintrittstellen gründlich und verband sie.
 

Der Arzt schlug Dee leicht auf die Wange und hielt ihm Duftstoffe unter die Nase und schon spürte man, wie der Cop wieder zum Leben erwachte.
 

„Na... du wolltest es ja nicht anders,“ grinste er und zog sich wieder den Drehstuhl heran. „Wie sieht es aus. Sonst noch wo irgend etwas drin stecken, das dir Schmerzen bereitet?“
 

„Nein.“
 

„Wieder dieser Bomber? Nehm ich mal an?“
 

„Sorry, ich kann nicht... ich darf nicht darüber reden.“
 

„Na gut. Pass mir auf dich auf. Ach, und bevor ich es vergesse. Sara dürfte bald wieder mal zur Impfung kommen. Ich glaube, die ist fällig. Und du bleibst jetzt noch etwas liegen... Spürst du das?“ fragte der Arzt und kniff leicht in den Handteller von Dee’s verletztem Arm.
 

„Ja, ich spür es. Und wir bringen Sara, sobald das hier erledigt ist.“
 

Der Arzt, der Sara auf die Welt geholt hatte (siehe dazu ‚Folgen einer Nacht’) sah, dass Dee noch mehr auf dem Herzen hatte, doch sich irgendwie nicht recht traute, mit ihm offen zu reden.

„Ich stehe unter Schweigepflicht, das weißt du, Dee. Egal, was du mir sagst. Keiner erfährt von mir was.“
 

Langsam setzte sich Dee auf. Der Schmerz von eben war wie weggeblasen und er konnte den Arm problemlos und auch schmerzfrei bewegen. Sogar den Ball, den Brian ihm in die Hand legte, konnte er drücken. Zwar schien es Dee, als ob seine Kraft ein wenig gemildert war, aber ansonsten ging es ohne große Einschränkung.
 

„Ich weiß, Brian. Ich... Sie...“ Dee unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Ryo ist entführt und ich habe eine Scheißangst, was dieser Kerl mit ihm macht.“
 

„Entführt?“ kam es gepresst von dem Arzt, der einfach nach Dee’s Hand griff und diese nun fest drückte. „Von diesem Bombenleger?“
 

„Es ist alles noch unklar... Es ist meine Schuld, Brian. Meine! Verstehst du... Ich... ich will dich nicht mit meinen Sorgen belästigen. Aber wenn ich es nicht mehr...“
 

„Ich bin da.“
 

„Danke!“
 


 

„DCI McNear. Ich suche Detective MacLane!“ rief dieser der nächststehenden Krankenschwester zu, die es wagte, ihm in der Notaufnahme über den Weg zu laufen.
 

„Warten sie bitte hier,“ sagte diese lediglich und verschwand auch schon wieder hinter einem der Vorhänge und ließ einen völlig frustrierten Profiler zurück, der auf dem Gang hin und her tigerte.

McNear wusste nicht, wie lange er bereits hier warten musste, als er Chris Jackson auf die Notaufnahme zukommen sah.
 

„Haben Sie schon was von MacLane gehört?“ fragte der Detektiv den aufspringenden Profiler.
 

„Nein.“
 

In diesem Augenblick erschien eine andere Schwester und McNear wollte diese nun ebenfalls anmachen, als Chris dazwischen ging.
 

„Sorry. Würden Sie so freundlich sein und mir sagen, wo ich Dee MacLane finde. Er wurde mit einer Armverletzung eingeliefert.“
 

„Oh... der mit den Nägeln im Arm?“ fragte diese und schenkte dem Weißhaarigen ein Lächeln.
 

„Ja, genau der!“
 

„Wenn Sie hier weitergehen, hinter dem Vorhang 20. Ich glaube, dort wird er behandelt,“ erklärte sie und verschwand dann mit einem koketten Augenaufschlag hinter dem Vorhang, wo schon laut nach einer Schwester verlangt wurde.
 

„Freundlichkeit. Schon mal gehört, Sir?!“ konnte Jackson sich nicht verkneifen und ging in die angewiesene Richtung.
 

McNear ging an ihm vorbei und riss einfach den Vorhang auf, ohne vorher etwas zu sagen, als er auch schon von einer Furie von Frau verbal angegriffen wurde. Rasch zog er den Vorhang wieder zu. Dennoch war Chris in der Lage, einen kurzen Blick hineinzuwerfen, um eine nur leicht bekleidete Frau zu erblicken, die wohl gerade an ihrem Gesäß verarztet wurde.
 

Diesmal verkniff er sich eine Äußerung, konnte aber ein hämisches Grinsen nicht verbergen.
 

„DEE!?“ rief Chris einfach mal laut, aber nicht zu laut, um jedweder Zurechtweisung von Ärzten zu entkommen.
 

„Hier!“ kam es hinter Vorhang 19 hervor und dieser wurde auch just in diesem Augenblick zurückgezogen.
 

„Wie gesagt. Schon dich und denk dran. Ich bin für dich da.“
 

Dee nickte und war dankbar für den freundschaftlichen Händeschlag auf seine Schulter.
 

„Wir können,“ sagte er zu Chris und bemerkte nun erst Patrick, der wohl noch immer das Gekeife der Frau im Ohr hatte.
 

„Dee? Geht’s dir gut? Solltest du nicht lieber liegen und...“
 

„Es geht mir gut, Pat. Ich bin fit und ich werde diesen Irren bekommen,“ unterbrach er den Profiler trocken. „Wie geht’s den anderen?“
 

„Robin steht unter Schock und sie haben eine Leiche gefunden!“ erklärte dieser, denn das konnte er wohl nicht vor ihm geheim halten.
 

„Wieder ein Opfer,“ murmelte Dee, als er neben den beiden zum Ausgang schritt, wobei er lieber mit Chris sprach als mit Patrick. „Schon identifiziert?“
 

„Nein. Ich schätze ihn auf Mitte Dreißig, vielleicht Anfang Vierzig. Nach seiner Kleidung zu urteilen würde ich sagen, dass er schon eine Weile auf der Straße gelebt hat.“
 

„Wartet mal... Wo willst du hin, Dee?“ machte sich McNear bemerkbar.
 

„Ins Revier, ich will die Daten haben. Vielleicht haben sie schon rausgefunden, wer das Opfer ist, dann fahren wir wieder zum Tatort. Und versucht erst gar nicht, mich davon abzubringen,“ sagte Dee fest und blickte seiner ersten Liebe direkt ins Gesicht.
 

„Fuck!“ knurrte dieser, der den Gesichtsausdruck sehr wohl kannte und sich geschlagen gab.
 

„Du hättest nicht herzukommen brauchen, Pat. Du hättest lieber die Leitung der Untersuchung übernehmen und alles überwachen sollen,“ warf Dee seine Bedenken über die Anwesenheit des Profilers ein.
 

Nichts gegen Patrick, doch er hatte sich in den Jahren, die sie sich nicht gesehen hatten, schwer verändert. Von dem sanften und ruhigen, bedächtigen Burschen war nichts mehr geblieben. Okay, er war wohl auch so ein Draufgänger wie Dee, aber dennoch, nichts war mehr da, in das Dee sich einst verliebt hatte.
 

Vor dem Krankenhaus trennten sie sich. Chris fuhr Dee erst einmal zum Revier und Patrick rauschte zurück zum Tatort.
 


 

~~~~ Irgendwo auf der Christopher Street ~~~~
 

Er stand etwas abseits und wartet auf den großen Rums, den er sich ausgemalt hatte, doch was dann geschah war nicht das, was er sehen wollte. Ein lautes Krachen, und ein Feuerball stieg hinter dem Gebäude auf.
 

„Verflucht...“ knurrte er und ging mit den Händen in den Taschen einige Schritte weiter, setzte sich in ein Lokal und besah sich das Schauspiel, während er sich ein Bier genehmigte. Irgendwas war schief gelaufen und er konnte sich sogar denken, was es gewesen war.
 

Dieser Kerl, der ihn angerempelt hatte, war ein Cop gewesen. Das war dieser MacLane. Wie hätte er auch wissen sollen, dass sich dieser Kerl gerade heute dort in dem Diner rumtrieb. Aber er wollte nicht länger warten und das hatte er ‚ihm’ ja auch schon mehrfach gesagt. Nein, er würde nicht mehr kuschen. Er wollte seine Rache. Seine eigene. Wenn er darauf bestand, okay. Aber er würde nicht mehr nur das machen, was ‚er’ sagte. Dafür hatte er zu viel gelitten.
 

Er schnaubte, als er einen Leichensack sah, der nach vorne getragen wurde. Und ihm kam eine spontane Idee. Genau, das würde er als nächstes in die Wege leiten. Egal, was ‚er’ auch sagte. Er brauchte nicht alles zu wissen. Schließlich hatte er auch von der Diner-Bombe erst erfahren, als es zu spät war.
 

Der Mann mit dem Schlapphut zahlte und verließ die Bar. Ein Opfer anstatt, wenn er richtig gezählt hatte, zwanzig. Schwache Ausbeute. Aber bei der nächsten...
 

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Dee war die ganze Fahrt über sehr schweigsam. Auch als sie das Revier betraten, hatte sich daran noch nichts geändert. Die Spurensicherung war noch nicht zurück, wie er von dem Cop am Eingang erfuhr. Dennoch wollte er nicht gleich zurück zum Diner sondern erst in aller Ruhe mit Chris reden, und so steuerte er ihr gemeinsames Büro an.
 

Sein Blick heftet sich schon automatisch an das Bild auf seinem Schreibtisch, welches seine kleine Familie zu einem glücklichen Zeitpunkt zeigte. Doch jetzt war nicht die Zeit, sich um Ryo Gedanken zu machen, nein, es war irgend etwas, was ihm aufgefallen war. Warum er überhaupt so rasch reagiert hatte. Nur konnte er nicht sagen, was. Deswegen wollte er Ruhe um sich.
 

„Dee!“ fragte Chris nun doch, dem das lange Schweigen sehr verdächtig vorkam. Na ja, er kannte Dee nicht wirklich als Plaudertasche, aber dass er schon über eine halbe Stunde nichts gesagt hatte, war nun wirklich nicht normal.
 

„Hast du eine Beschreibung von Björn oder Mark bekommen?“ fragte Dee und setzte sich in seinen Sessel, legte die Beine auf den Schreibtisch und ließ sich behaglich, mit geschlossenen Augen, zurücksinken. Legte sogar seine Arme in den Nacken, wobei er kurz schmerzhaft seine Miene verzog und sie dann doch lieber auf seinen Oberschenkeln ruhen ließ.
 

„Ja. Ein wenig vage. Laut Björn war er so etwa 185 Zentimeter groß, schlank. Weder Augenfarbe noch besondere Merkmale. Aber auch wieder der Trench und der Schlapphut. Björn ist sich sicher, dass er schlank war. Und was ihm noch aufgefallen war, diese unruhigen Augen.“
 

„Unruhige Augen... ja... ich erinnere mich...“ meinte Dee. Schloss seine Augen und holte sich das Geschehene in sein Gedächtnis zurück.
 

„Ich wollte Kaffee bestellen... Ich weiß nicht... da war was, was mich irritiert hat...“
 

Chris schwieg, ließ Dee die Zeit, die er brauchte, um das ganze nochmals vor seinem inneren Auge ablaufen zu lassen. Er kannte den Schwarzhaarigen noch nicht sehr lange, aber er hatte ihn inzwischen schätzen und auch ihm vertrauen gelernt. Schon allein, dass er mit ihm über Ryo sprach, zeugte davon. Nun saß er auf den Platz des entführten Ehemannes und dennoch sprach Dee seit dem letzten Gespräch lieber mit ihm. Obwohl er die Monologe, die er mit ihm führte, nicht ganz abgestellt hatte. Aber das wäre auch undenkbar. Anscheinend brauchte Dee das und Chris hatte eingesehen, dass es so schlimm nicht wahr. Eher hatte er erkannt, dass das, was Ryo ‚antwortete’, auch ihm neue Ideen brachte.
 

„Diese Augen... sie sahen mich kurz an... so als ob... als ob...“ Dee krachte plötzlich nach vorne und stützte sich mit den Armen gerade noch rechtzeitig am Schreitisch ab, bevor er dagegen donnerte. „Er hat mich erkannt... Das war es. Dann irrten seine Augen herum, so als ob sie einen Ausweg suchten... Das war der erste Bomber, derjenige, der für das Massaker im Chamer verantwortlich zeichnet!“ Dee schlug sich vor den Kopf und sackte zurück in den Drehstuhl.
 

„Bist du dir sicher, Dee?“
 

„Ja, verdammt. Ich rempelte ihn an und wir sahen uns kurz an, als ich mich entschuldigte... Wenn ich es jetzt betrachte, hält ihn der andere wohl zu kurz und da hat er sich wieder ein Ziel auf der CS ausgesucht. Dass ich dabei war, hat ihn kurzfristig aus der Bahn geworfen, aber er hat dennoch die Bombe platziert. Also ist es ihm persönlich egal, was mit mir ist... Aber er wird Ärger bekommen!“
 

„Okay, bleiben wir mal auf dem Teppich,“ holte Jackson seinen Partner wieder ein wenig von seiner Aufregung runter. „Ich glaube, das würde auch zu all den Vermutungen passen, die wir uns gemacht haben. Doch vorläufig habe ich nur eine Frage an dich, Dee!“
 

„Ich höre.“ Dee war immer noch etwas aufgeregt.
 

„Ein Phantombild? Reicht es, um ein Phantombild von ihm anzufertigen?“ fragte Chris hoffnungsvoll.
 

Damit hätten sie endlich etwas in der Hand. Etwas, was sie zu guter Letzt dem Bomber einen gehörigen Sprung näher bringen würde. Doch diese Hoffnung zerfloss genauso schnell, wie sie aufgekommen war.
 

„Sorry. Ich würde ihn sofort wieder erkennen, wenn er mir auf der Straße über den Weg läuft. Aber eine genaue Beschreibung...“ Kurz schloss Dee nochmals die Augen, konzentrierte sich nur auf den Augenblick, wo er mit dem Bomber Kontakt hatte, und schüttelte den Kopf.
 

„Höchstens die Augen, sie waren in einem dunklen Grau. Weder die Gesichtsform, noch die Augenform, Nase, nichts.“ Tief holte er Luft. Da waren sie kurz vor einem Durchbruch gewesen und er selbst hatte es vermasselt. „Fuck!“ knurrte er, als ihm das erst so richtig zu Bewusstsein kam.
 

„Tja... Da kann man halt nichts machen, Dee. Wir bekommen ihn.“
 

„Ja, wenn es zu spät ist.“
 

„Komm, ich fahr dich heim. Du solltest dich ausruhen. Das hat dir doch auch der Arzt gesagt.“
 

„Nein, ich wollte noch zu...“
 

„Das Diner läuft nicht weg. Und du kannst dort sowieso im Augenblick nichts machen. Wir fahren morgen nochmals hin. Okay?“
 

„Weißt du eigentlich, dass du und Ryo die einzigsten Menschen sind, die mich umstimmen können?“

Leicht lächelte er etwas schräg, nickte dann und ging zu Chris. Legte ihm zum ersten Mal freundschaftlich einen Arm um die Schulter. Drückte ihm dann sogar einen Kuss auf die Wange.

„Egal wie es ausgeht, Chris. Danke für alles.“
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Gepresst schrie er auf, als seine Weichteile brutal zusammengequetscht wurden. Sein Atem flog, als er seinem Peiniger ins Gesicht blickte.
 

Immerhin war das grelle Licht verschwunden, schon vor Stunden. Das einzigste, was sich nicht verändert hatte, war seine Position. Gefesselt an der Decke hängend. Dennoch schien sich sein Körper damit irgendwie arrangiert zu haben, da er tatsächlich vor Erschöpfung kurz eingeschlummert war.
 

„Warum... warum tun Sie das?“ fragte Ryo gepresst zwischen den Zähnen hervor. Zu lange fühlte er sich hier schon allein. Und er brauchte jemand, mit dem er reden konnte.
 

Es war für ihn schon eine Erleichterung, nicht mehr im Dunkeln oder im grellen Licht zu harren. Doch seinen Peiniger zu erkennen, das blieb ihm weiterhin verwehrt, weil dieser meist durch eine Halbmaske sein Antlitz vor ihm verbarg.
 

„Schneewittchen, Schneewittchen, ist dir das immer noch nicht klar geworden?“ fragte er leise mit sanft singender Stimme nah an Ryo’s Ohr, bevor er seine Hand wieder zusammenballte, um Ryo erneut Schmerzen zuzufügen.
 

„Nein...“ antwortete er. Hob den Blick direkt in die Augen des anderen. Erntete dafür einen erneuten Griff und zog diesmal gepresst die Luft in die Lungen. „Sag es mir...“
 

„Weil du etwas hast, was dir nicht gehört...“
 

„Was meinst du?“ fragte Ryo und zum ersten Mal fühlte er trotz der Pein, die er hier durchstehen musste, so etwas wie Leben in sich. Vielleicht erfuhr er ja mehr, wenn er weiter brav mitspielte. Vielleicht konnte er dadurch auch erfahren, wann und wie lange der andere mal weg ging. Solange er ihn nur zum Reden brachte. Ryo musste sich nur beherrschen, damit der Entführer seine Erleichterung nicht bemerkte.
 

„Ich hab da was für dich, Schneewittchen. Du könntest fast frei sein... solange du... artig bist.“

Bisher war ihm eine Vergewaltigung erspart geblieben, doch eiskalt erwischte es ihn nun. Sollte das eine Anspielung sein auf das kommende? Er musste ruhig bleiben.
 

„U-und das wäre... was verlangst du?“

Trotz allem konnte er seiner Stimme nicht verbieten zu zittern. Warum sollte er auch. Schließlich war er hier gefangen und dass er Angst hatte, war wohl jedem klar.
 

„Ich löse deine Fessel... Nur dein Hals bleibt angekettet und du bleibst nackt... Ansonsten könntest du dich frei bewegen,“ schnurrte die Stimmte an seinem Ohr und leckte ihm dann auch darüber. Der Griff in seinen Genitalien war weicher geworden. Fast liebkosend.
 

„O-okay... und was...“
 

„Oh, keine Angst. Ich werde dir nicht mehr weh tun. Keine Folter mehr... Ich hab da was viel besseres,“ sagte er, trat einige Schritte zurück, holte ein Tablett aus der Ecke und stellte es in Sichtweite von Ryo auf den Tisch.
 

Ryo’s Herz machte einen Purzelbaum vor Angst. Das, was er erblickte, war nicht ganz so verheißungsvoll wie die Worte, die er eben vernommen hatte. Der Schwanzring, schwer und aus Eisen, wie er vermutete, war das geringste Problem, genauso wenig wie die Nippelklemmen. Was ihm mehr Sorgen bereitete und ihm nun auch einen Schauer über den Rücken laufen ließ, war, als er sah, wie sein Peiniger die Hand zu dem Skalpell ausstreckte und es ihn direkt an die Kehle hielt.
 

„Ich werde dich mit dem Schwanzring einengen und später wirst du mit den Klemmen Bekanntschaft machen... doch vorerst... Ich mag keine Haare...“ grinste er und ließ das Messer abwärts wandern. Spürte, wie sich die Atmung und somit auch der Pulsschlag von Ryo verstärkte.
 

****** TBC

Freitag - 13. Juli – später Abend

~~~~ Diner of Love ~~~~
 

Chris war, nachdem er Dee sicher und wohlbehalten bei ihm abgesetzt hatte, ohne lange zu zögern zum Tatort zurückgefahren.
 

Inzwischen waren einige Stunden vergangen, der Abendhimmel präsentierte sich in diffusen Lichtspielen und das Leben auf der CS begann sich nach und nach noch mehr als am Tage zu regen. Überall sah man nun die Pärchen aus den Kinos, Bars und Clubs kommen. Einige blieben kurz vor dem Diner, welches um diese Zeit sonst immer auf hatte, stehen, um die Ereignisse des Tages flüchtig mit anderen zu erörtern, bevor man sich dazu entschloss, das ganze Palaver in einer gemütlichen Runde fortzusetzen.
 

Auch Chris stand vor verschlossener Tür. Die Polizei war inzwischen abgerückt.
 

Jackson wollte aber gerne, ja was? Er wusste es selbst nicht genau, aber er musste heute einfach nochmals herkommen, obwohl das, was er Dee gesagt hatte, stimmte. Hier gab es für sie im Augenblick nichts zu tun.
 

Eben erst hatte er mit Ted über Funk gesprochen. Sie hatten die Zeugen befragt, aber niemand konnte sich an diesen gewissen Mann erinnern. Mit etwas anderem hatte er eigentlich auch gar nicht gerechnet. Jeder lief hier fast blind durch die Gegend. Da machte die CS keine Ausnahme.

Wenn man rumhörte, hieß es: „Hey, hast du das gehört?“ Oder „Warst du dabei?“ „Ich hab ihn gesehen...“ Und so was. Aber wenn man direkt einen als Augenzeuge befragte, bekam man immer die gleiche Antwort: Ich? Nein, ich habe nichts gesehen.

Tja, so lief es meistens ab. Nun stand er hier und wusste nicht, was er hier wollte, als er von der Seite angesprochen wurde.
 

„Na Süßer! Lust auf einen Drink?“
 

„Nein da...“ Chris verschluckte den Rest, als er sich umdrehte und Robin erkannte, der ihn schelmisch angrinste.
 

„Das ist aber schade. Die Nacht ist noch jung...“
 

Chris sah ihn an. Das Lächeln auf Robins hinreißenden Lippen war einfach nur göttlich. Und nun war ihm auch klar, warum er hier war. Er hatte sich Sorgen um den jüngsten Mitbesitzer des Diners gemacht. Nein, eigentlich war es nicht so einfach. Aber er blieb lieber dabei, als sich seinen Tagträumen auch am Abend hinzugeben.
 

„Eigentlich bin ich noch dienstlich unterwegs,“ erklärte er rasch, bevor er den Braunhaarigen weiter so stumm anstarrte.
 

„Und das heißt?“ blieb Robin schelmisch grinsend weiter vor ihm stehen.
 

«Tja, das heißt, dass ich eigentlich sehen wollte, wie es dir geht, warum du mir nicht mehr aus dem Kopf gehst und... du siehst so hinreißend aus, so wie du mich jetzt anblickst...»

Jackson schluckte und räusperte sich. „Wie... ach ja. Ich wollte nur sehen, ob es hier...“
 

„Robin?!“ erklang es von der anderen Straßenseite und unterbrach somit das leicht nervöse Stottern von Chris, der seinen Blick in die Rufrichtung drehte und erleichtert, oder eher frustriert, aufatmete.
 

„Oh, Dee’s Begleiter von vorhin. Wie geht’s dem alten Haudegen?“ riss Björn das Gespräch an sich und legte einen Arm zärtlich um die Schultern von Robin, der es sich auch noch gefallen ließ und sich an die Schulter des Freundes seines Bruders lehnte.

Diese Geste unter den dreien war üblich, nur für Außenstehende wie Chris war dies eher so zu deuten, als wenn Björn sagen würde, ‚Finger weg, der gehört mir’.
 

„Oh... Dee geht’s gut. Ich hab ihn schon heimgefahren. Er liegt nicht gerne in Krankenhäusern. Aber wer tut das schon. Nun... wie ich sehe ist hier alles in Ordnung...“
 

„Hi!“ mischte sich nun auch Mark mit ein. Umarmte seinen Freund rücklings und drückte ihm einen Kuss in den Nacken. „Wie geht’s MacLane?“
 

„Wärst du früher hier gewesen, bräuchte man nicht alles zu wiederholen,“ jammerte Robin und grinste seinen Bruder über die Schulter frech an.
 

„Er ist daheim,“ sagte Chris knapp. „Wenn ihr zwei Turteltäubchen nichts einzuwenden habt, würde ich gerne...“ Robin drehte seine Augen auf Chris und leckte sich dabei süffisant über die Lippen, so dass Mark sowie Björn klar wurde, was der kleine Schelm vorhatte.
 

„Na dann, viel Vergnügen,“ grinste Mark und hauchte seinem Bruder ebenfalls einen Wangenkuss auf.
 

„Tu nichts, was wir nicht auch tun würden,“ hob Björn hingegen mahnend einen Finger und küsste ihn auf die andere Wange.
 

„Nu haut schon ab,“ schob Robin sie von sich und stand dann lachend vor Chris, der das ganze Getue schweigend verfolgt hatte.
 

„Lädst du mich noch auf einen Drink ein?“
 

„Robin? Ich...“
 

„Ach komm schon. Immerhin bin ich 25 und kein Kleinkind mehr. Du bist doch nicht mehr im Dienst?“ Robin beugte sich vor und sah Chris von unten herauf neckisch an.
 

„Okay... Gehen wir halt einen trinken,“ gab er sich geschlagen und folgte Robin in die Kneipe gegenüber.
 

„Ich hab dich vom Fenster aus gesehen, da musste ich dich einfach anquatschen,“ erklärte er grinsend und ging knapp neben Chris her, wobei er ihn nicht berührte.

Dass er ihn mochte, konnte man sehen, doch er wusste nicht, wie Chris reagierte. Irgendwie schien es ihm nicht zu passen. Vielleicht hatte er ja auch einen festen Freund oder war, Gott bewahre, ein Hetero. Aber so sah er nun gar nicht aus. Robin nahm sich auf alle Fälle vor, diese Sache ein wenig zu untersuchen.
 

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

Dee hatte lange gebraucht, bis er eingeschlafen war, aber schlussendlich war er doch ins Land der Träume abgedriftet. Er träumte mal wieder von seiner kleinen Familie, die ihm alles bedeutete. Er vermisste sie. Sara, ihr Lachen und ihre gute Laune. Wie sie sich immer und überall an ihn oder Ryo schmiegte. Ryo! Sein Herz und sein Leben. Manchmal fragte er sich, was er die Jahre ohne ihn nur gemacht hatte, geschweige denn, wie er sie durchgestanden hatte. Jetzt, da er wusste, dass er lebte, war die Trennung um so schmerzvoller. Er vermisste ihn, die Gespräche, die Nähe, ganz einfach nur ihn. Hauptsächlich die Stunden, in denen sie sich einfach nur in den Armen gelegen hatten, schweigend aneinander gekuschelt.
 

Mit einem Schrei erwachte er. Schweiß lief ihm über das Gesicht und ein undefinierbarer Schmerz in seinem Unterleib ließ ihn die Decke zur Seite werfen. Was er sah, raubte ihm den Atem. Blut! Nach einigen Schrecksekunden rannte er ins Bad und zog sich aus, doch da war nichts. Kein Kratzer, kein Schmerz und auch kein Blut. Hatte er sich das nur eingebildet? Sein Atem flog. Nein, das hatte er nicht. Er wusste doch, was er gesehen und gefühlt hatte, das war nicht nur ein Traum gewesen. Seufzend sank er auf die Knie, schlug die Hände vors Gesicht und ließ seinen Tränen ungeniert freien Lauf, wobei er zwischen seinen Händen immer wieder den Namen seines Mannes schluchzte.
 

~~~~ In Black’s Wohnung ~~~~
 

Aaron tigerte schon stundenlang hin und her. Er fand keine Ruhe. Schon seit Tagen hatte er nichts mehr von Mick gehört und so langsam schlug seine sonst so angestammte Ruhe in Sorge um. Er hatte schon mehrfach versucht, ihn per Handy zu erreichen, aber ständig war nur diese Mailbox dran. Er wusste nicht, wie oft er schon darauf gesprochen hatte. Black’s Blick irrte zwischen dem Handy auf dem Tisch vor ihm und dem Telefon an der Wand hin und her. Es gab genügend Möglichkeiten, ihn zu erreichen. Selbst das Fax hatte er an. Seine E-Mails checkte er halbstündig, aber auch da war nichts neues.

Da hatte er so viel Technik um sich herum, aber alles half nichts nach der Sehnsucht.
 

„Wenn der sich blicken lässt, bekommt er was zu hören...“ knurrte er gereizt und warf den Telefonen erneut tödliche Blicke zu.
 

Sein Blick streifte die Uhr und ihm wurde klar, dass er bereits seit drei Stunden hier herumlief. Drei Stunden, ohne einer sinnvollen Tätigkeit nachzukommen. Das alles nur, weil ihn diese Unrast gepackt hatte. Dieses Gefühl im Inneren, das einen zerfraß, weil man nicht wusste, was mit...

Das Telefon riss ihn aus seiner Grübelei und er sprang förmlich darauf zu.
 

„Mick?!“ fragte er ein wenig außer Atem, weil er aufgeregt war.
 

„Na, werde ich da etwa vermisst,“ konnte es sich der Anrufer nicht verkneifen, Black zu necken.
 

„Wo zum Geier steckst du? Seit Stunden versuch ich, Kontakt zu dir...“
 

„Ich hab nicht viel Zeit, Aaron,“ unterbrach ihn Prescott sofort in dem Redeschwall, denn wenn man Aaron erst einmal zu Wort kommen ließ, konnte es schwer sein, eine Stelle zu finden, wo man einhaken konnte. „Ich habe eine Spur gefunden. Sie führt nach Mexiko und dahin bin ich unterwegs. Ich treffe mich gleich mit einem Mann. Sein Name ist Petro Dalanô. Angeblich weiß er mehr über den Soldaten und dem Ritual der Entmannung. Meiner Quelle zufolge wurde dieses in Mexiko irgendwo in einer kleinen Provinz durchgeführt. Wenn ich mehr weiß, meld ich mich wieder.“
 

„Pass mir bloß auf dich auf und meld dich öfters. Was meinst du, was ich hier...“
 

„Ich liebe dich, du Dummkopf. Mich wirst du nicht so schnell los. Kommst du klar? Gibt’s vielleicht bei euch was Neues?“
 

„Ich hab Steve reaktiviert. Hat Tony zwar nicht so ganz gepasst, aber er muss weiter bei Sara bleiben. Heute nachmittag ging wieder eine Bombe hoch. Dee wurde verletzt, aber laut Jackson nur Kratzer. Einen Toten. Dee hat die Bombe entdeckt und sie im Hinterhof explodieren lassen. Von Ryo fehlt weiter jede Spur. Und was soll das mit dem Dummkopf... ich werd dich...“ drohte Aaron stimmgewaltig, aber war sichtlich erleichtert, dass seinem Lover nichts passiert war.
 

„Die Verbindung wird schlechter... ich meld mich...“
 

„Mick... I love you, too.“
 

„Yeah...“
 

„Mick?... Mick?... Verdammt!“

Resigniert hängte er auf. Anscheinend fuhr Mick durch einen dieser Canyon oder durch einen Berg. Auf alle Fälle konnte er sich jetzt erst einmal beruhigt hinlegen.
 

~~~~ Irgendwo in China Town ~~~~
 

Sein Kopf flog zurück und er taumelte, schaffte es gerade noch, sich an der Ecke festzuhalten. Blut tropfte von seiner aufgeplatzte Lippe, als er wütend auf den Eindringling in seiner Wohnungstür blickte.
 

„Ich habe dir gesagt, wir warten. War das so schwer zu verstehen?“

Zornig trat er auf den Blutenden zu, holte aus und verpasste ihm noch eine. Wobei er hinter sich die Tür ins Schloss knallte.
 

Der Bombenleger zuckte nicht mit der Wimper, sondern wischte sich das Blut mit dem Handrücken ab. Nein, zurückschlagen würde er so nicht. Er wusste ja, wie viel Wert sein Partner auf sein makelloses Gesicht legte.
 

„Was willst du eigentlich. Ist doch keiner draufgegangen,“ meldete er sich enttäuscht über seinen Fehlschlag.
 

„Einer! Du Spinner. Einer ist tot. Und einer wurde verletzt. Reicht dir das nicht?“
 

„Nein. Sie müssen leiden, so wie ich gelitten habe, so wie ich jeden Tag leide,“ knurrte er nun wie ein angeschossener Hund zurück. Seine Rachlust sprühte ihm nun aus den Augen, so dass der Partner doch lieber stehen blieb und ihn nicht weiter bedrängte.
 

„Ich weiß.“
 

„Nichts weißt du. Nichts von dem, was ich durchlitten habe. Nichts von meiner Qual. Wie sie gelacht, mich gedemütigt und getreten haben... Nichts!“
 

Doch da irrte sich der Bombenleger gewaltig. Das wusste er selbst. Doch in seiner zornigen Art verdrängte er dies mal wieder für einen Augenblick und wurde zu dem Tier, das tief in ihm schlummerte und nur herausbrach, wenn es nicht so lief, wie es laufen sollte. Seine Augen sprühten dann diesen Hass und sein Mund verzog sich wild und lefzend. Dies war immer der Augenblick, wo man ihn am besten in Ruhe ließ, und das wusste der Schönling.
 

„Okay... schon gut... Du bekommst deine Rache. Das habe ich dir doch versprochen. Du hilfst mir, ich dir. Dabei bleibt es.“
 

„Du hältst mich an der Leine, ich bin nicht blöd. Ich werde es wieder tun, ohne dir was zu sagen. Ich habe es schon geplant und diesmal wird es einen mächtigen Rums geben und viele... viele, von diesen Schwuchteln, die mich verachten, werden dabei draufgehen...“ Irrsinnig fing er jetzt an zu lachen und klatschte in die Hände vor Vorfreude.
 

„Und ich werde dir helfen,“ sagte er und versuchte, den anderen zu beruhigen.

Diese Stimmungsschwankungen kamen in letzter Zeit häufiger. Er befürchtet fast, dass sie bald ständig zum Vorschein kommen und somit seine eigene Sache zunichte machen könnten. Also musste er schneller und somit anders planen. Das würde Opfer bedeuten. Opfer für ihn und auch für die Polizei.

„Komm her, Brüderchen... Ich sagte dir doch, ich werde dir helfen, dich zu rächen.“
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Ryo erwachte. Sein Hals brannte und seine Genitalien schmerzten. Er wusste nicht, was passiert war und er wollte es eigentlich auch gar nicht so recht wissen. Das letzte, woran er sich erinnern konnte, war ein Schmerz. Höllisch, bevor er weggesackt war.
 

Er lag ausgestreckt auf dem Tisch, den er schon kannte, und eine leichte Panik überfiel ihn. War das vorhin von seinem Peiniger nur Show gewesen? Hatte er ihm praktisch die Freiheit versprochen, um sie ihm dann doch zu nehmen?. Er musste es prüfen, er musste auch wissen, was vorhin passiert war. Immerhin spannte es dort nur noch, wo er vorhin den Schmerz gespürt hatte.
 

Ryo schloss die Augen, hob seine Hand und spürte keinen Widerstand. Also war er soweit frei. Auch die andere konnte er ohne weiteres bewegen. Selbst als er die Beine bewegte, spürte er keine Einengung. Gut soweit, war er wenigstens frei. Seine Hand griff zu seinem Hals und nun wusste er auch, warum es ihm dort so eng erschien.
 

Ein stählernes Halsband umfasste ihn eng. Ließ ihm gerade mal genug Platz zum Schlucken. Als er darüber fuhr wunderte er sich, dass er innen eine softe Lage fühlte. Anscheinend sollte er sich nicht so wund reiben wie an den Hand- und Fußgelenken. Ryo öffnete die Augen und besah sich diese. Wieder wurde er überrascht. Sie waren verbunden und sie brannten auch nicht mehr. Demnach hatte sich sein Peiniger sogar die Mühe gemacht, Wundsalbe aufzutragen. Galt es nun ihm, oder nur, dass er ihn länger am Leiden halten konnte. Wenn er sich Wundbrand zuzog, konnte das böse enden.

Noch hatte er ein gutes Gefühl, doch da war noch etwas, was er überprüfen musste.
 

Erneut schloss er die Augen, betete leise vor sich hin und ließ seine Hand dann ängstlich nach unten wandern. Sein Puls beschleunigte sich erneut genauso wie seine Atmung.
 

Er lachte leise auf, bevor ihm ein Schluchzen die Kehle hinaufstieg und er sich aufrichtete, um sich aufzusetzen und sich selbst ein Bild von seinem Glied zu machen. Erleichtert sah er, dass alles okay war. Ein Schnitt etwas oberhalb hatte ihn wohl außer Gefecht gesetzt, aber ansonsten war er nur rasiert. Ein kehliges Lachen entkam ihm. Nun, das war wohl das kleinste seiner jetzigen Probleme.

Er hopste von der Liege und musste sich festhalten, damit er nicht gleich wieder zusammensackte. Dann tapste er zu dem provisorischen Badezimmer. Seine Schulter hatte eine schöne blaue Färbung angenommen, wie er mit einem Blick feststellte. Dass er den Schmerz unter den vielen anderen vergessen hatte, wunderte ihn nicht.
 

Nachdem er sich erleichtert hatte, sah er sich seinen Körper erst einmal gründlich an. Blaue Flecken zierten nicht nur die Schulter, sondern auch seine Rippen, und auch seine rechte Schläfe schien etwas abbekommen zu haben. Doch dieses Unheil ruhte unter einem heilsamen Pflaster. Musste wohl passiert sein, als er gegen die Wand geschleudert wurde. Aber abgesehen davon ging es ihm ganz gut. Äußerlich betrachtet. Sein Blick irrte zu dem Schrank mit den Sextoys und der Kleidung. Sollte er es erneut wagen und sich somit den Zorn seines Peinigers aussetzten, oder sollte er wirklich gehorchen und so tun, als sei er das brave ‚Schneewittchen’?
 

Wenn er hier raus wollte, brauchte er Kraft. Und das hieß, dass er diese nicht unnötig vergeuden sollte. Er hatte Hunger. Wasser fand er ja, hier im Waschbecken. Aber Essbares war ihm leider nicht vergönnt. Gut, der Mensch kam lange ohne Nahrung an sich aus, aber das schwächte ihn. Wenn er also so blieb, wie er war und den anderen nicht ärgerte, vielleicht bekam er dann was und dann würde er damit sparsam umgehen, um regelmäßig davon zehren zu können.
 

Ryo nahm den Haufen Wäsche aus dem Schrank und warf sie in eine Ecke, dann legte er sich darauf. Das war ihm ja nicht verboten worden und er lag auch nicht mehr so hart wie auf diesem Tisch. Jedenfalls machte er es sich darauf gemütlich und schlief auch kurze Zeit später erschöpft ein.
 

***** TBC

Samstags - 14. Juli

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Äußerlich ruhig und gefasst betrat Dee MacLane das 27. Revier. Nach seinem Alptraum hatte er nicht mehr schlafen können. Ohne nach links und rechts zu sehen, wollte er einfach nur in das Büro schlendern. Doch jemand stellte sich ihm in den Weg.
 

„Guten morgen, Dee. Wir haben die Leiche identifiziert. Willst du wissen, wer er war?“
 

„Leg den Bericht einfach auf meinen Schreibtisch, Ted. Ich seh ihn mir gleich an, ich brauche erst einen Kaffee,“ versuchte Dee das Gespräch abzukürzen und änderte auch dementsprechend seine Richtung und steuerte nun auf den Personalraum zu.
 

Doch Ted ließ sich nicht so leicht abschütteln.
 

„Scott Allister. Alter 22 Jahre...“
 

„Habt ihr seine Adresse hier?“
 

Er nahm Ted die Akte, aus der dieser eben vorgelesen hatte, aus der Hand und sah auf die Bilder, die sie von ihm gemacht hatten, als er gefunden wurde und auch nachdem sie ihn einigermaßen wieder ansehnlich gemacht hatten. Ein Bild zum Herumzeigen halt.
 

„Er hatte keine Chance...“ murmelte Dee und klappte schwermütig die Akte zu.
 

„Dee? Ist alles in Ordnung mit dir?“
 

„Ja... Nein... Was denkst du, Ted? Was meinst du, wie es mir gehen sollte?“ knurrte Dee seinen Kollegen unwillig an. Schob ihn zur Seite und verließ den Personalraum, ohne sich den Kaffee zu genehmigen, für den er eigentlich dorthin gegangen war.
 

Verblüfft über den plötzlichen Stimmungsumschwung sah Ted Dee hinterher.
 

Er hatte also recht, mutmaßte er mal für sich. Gestern hatten sie noch alle darüber geredet und Dee’s ruhige und gefasste Art gelobt, doch das war, wie er nun wusste, nichts anderes als nach außen getragene Fassade. Irgend etwas musste passiert sein, entweder in der letzten Nacht, oder es hing mit dem Bombenattentat direkt zusammen, dass er seine Verletzlichkeit so offen zeigte.

Ted nahm sich einen Kaffee und würde darüber kein Wort verlieren. Sie alle mochten die MacLane’s und es war Dee’s gutes Recht, in dieser so unwirklichen Situation mal auszurasten. Jedenfalls sah er es so.
 

Dee hatte es ins Büro gezogen und nun saß er auf der Fensterbank und schaute hinaus. Wie schon in der Nacht zuvor ließ er seinen Traum Revue passieren. Doch er kam zu keinem anderen Ergebnis, als dass Ryo verletzt worden sein musste. Denn wenn Dee es nicht war, musste es wohl sein Mann sein. Aber mit wem sollte er darüber reden. Nein, das musste er mit sich ganz alleine ausmachen.

Auf dem Weg zur Arbeit hatte er sich heute sogar eine Schachtel Zigaretten gekauft und diese ließ er nun durch seine Finger gleiten, noch unschlüssig, ob er eine anstecken sollte oder nicht. Ryo hatte es geschafft und ihn davon losbekommen und nun... er sehnte sich so nach seinem Mann und seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Nicht nur die, sondern wenn man es genau betrachtete, sein ganzer Körper schrie vor Spannung und sehnte sich nach Erholung. Erholung, die er ihm verwehrte.

Nach langem Grübeln riss er die Packung auf und schob sich einen von diesen Giftstengeln, wie Ryo sie immer genannt hatte, zwischen die Lippen. Es war ja nicht für immer, aber er brauchte sie für die Nerven, redete er sich ein und schickte Ryo gedanklich eine Entschuldigung zu, bevor er das Feuerzeug aufklappte und sich den Stengel Nikotin anzündete.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Kaffeeduft stieg ihm in die Nase und er öffnete seine Augen, konnte nicht glauben, was er dort drüben auf den Tisch sah. Frühstück.
 

Ryo rappelte sich auf und tapste zu dem Tisch, fuhr wie in Trance über den Kaffeebecher und das Sandwich, welches daneben lag. Bevor er es zwischen die Finger nahm, hörte er hinter sich eine Stimme und drehte sich um. Sein Peiniger lehnte an der Wand und sah ihn von oben bis unten an.
 

„Guten morgen, Schneewittchen. Dein Frühstück, weil du mir gehorcht hast,“ erklang es sanft von ihm, ohne dass er sich jedoch bewegte. Wieder trug er seine Halbmaske. Auch wenn er beabsichtigte, Ryo nicht mehr frei zu lassen, konnte und wollte er kein unnötiges Risiko eingehen.
 

„Danke!“ murmelte Ryo und nahm den Kaffeebecher, der aus Pappe war, vorsichtig zwischen die kühlen Finger. Der Genuss war noch besser als nur der Geruch, musste er feststellen, als die ersten Tropfen seine Kehle hinabrannen.
 

„Ich bin fair zu dir, Schneewittchen. Deswegen stelle ich dich vor die Wahl,“ unterbrach der Maskierte Ryo’s Frühstück und betrat nun den Raum, hockte sich auf den Tisch direkt neben das Frühstück.

Kurz spielt Ryo mit dem Gedanken, ihm den Kaffee ins Gesicht zu schütten und zu fliehen, aber dann fiel es ihm wieder ein. Ließ seine Aktion im Nichts verhallen.
 

Der Schlüssel. Der Kerl musste ihn bei sich tragen, oder war die Tür nur angelehnt? Doch bevor er etwas in diese Richtung unternehmen konnte und würde, musste er aufpassen, wie die Tür aufging und ob es einen Schlüssel gab. Rasch schob er das jedoch zur Seite, um sich weiter auf das Gespräch oder eher auf sein Essen zu konzentrieren.
 

Fragend runzelte er seine Stirn eine Spur. Hatte er sich zu früh gefreut, fragte sich Ryo. Waren das Essen, der Kaffee vergiftet? Nein, warum sollte dieser Kerl so was tun. Nein, er würde ihn leiden lassen, langsam, aber er würde ihn nicht töten. Jedenfalls vorläufig noch nicht. So schätzte Ryo seine derzeitige Lage ein.
 

Neugierig geworden stellte er den Becher wieder hin und sah seinen Peiniger abwartend an. Denn auch wenn er dieser Meinung war, konnte auch er sich irren.
 

„Welche Wahl?“
 

„Du kannst essen und trinken, oder es bleiben lassen. Das liegt bei dir. Nur bin ich so fair und sage dir, dass ich etwas untergemischt habe. Sowohl im Getränk als auch auf dem Belag. Wie du wohl richtig annimmst. Was es ist, überlasse ich deiner Phantasie. Immerhin will ich dich noch eine Weile zum Spielen haben, Schneewittchen,“ grinste er und legte Ryo eine Hand unter das Kinn, damit dieser ihn ansah, was eigentlich nicht nötig war.
 

„Drogen?“ Wollte sein Peiniger ihn abhängig machen und ihn dann, nachdem er süchtig war, quälen, weil er ihm diese wieder entzog? Das würde er ihm sogar zutrauen.
 

„Wer weiß? Vielleicht von allem ein wenig... Du bist doch so clever, Schneewittchen. Drogen schicken dich mir zu schnell irgendwohin ins Traumland. Deswegen werde ich die Dosis gering halten... sagen wir mal, dass es meine eigene Kreation ist. Du kannst es dir wohl schon denken. Gut, ich werde es dir verraten, um dir zu beweisen, dass du mir vertrauen kannst. Ein wenig Crystal und ein paar Krümel Aphrodisiakum, mit einem Hauch Strychnin gemixt, damit du in Stimmung kommst. Und bevor ich es vergesse, sollte ich jemals hereinkommen und feststellen, dass du dir einen runtergewedelt hast, wirst du Ärger bekommen, großen Ärger.“ Ein Daumen glitt über Ryo’s Lippen. „Sie sind ja ganz trocken... du sollst doch auf dich aufpassen...“ schnurrte der Entführer sanft und küsste Ryo zärtlich.
 

Sofort wich der Gefangene zurück. Wild funkelten seine dunklen Augen kurz auf.
 

„Du wolltest keinen Sex...“ fauchte er.
 

„Schneewittchen... Schneewittchen... Wer redet denn von Sex. Nein, du wirst mich bald anflehen, dass ich dir das gebe. Dass ich dich nehme,“ blieb dieser ruhig sitzen und schmunzelte nur über Ryo’s verbalen Angriff.
 

„Niemals...“
 

„Tja, dann wirst du wohl verhungern.“
 

Ungläubig sah Ryo zu, wie sein Entführer das Sandwich und den Becher nahm und zur Toilette rüberging.
 

„Nein... nicht...“ keuchte er und fühlte sich geschlagen.
 

„So ist es gut... Hier, iss,“ reichte er es Ryo zurück, der es mit bebenden Händen entgegennahm. „Ich lass dich allein... sei brav und denk immer daran, du bist jetzt mein. Ach, und noch was. Gestern ging wieder eine Bombe hoch und dein beklagenswerter Exwitwer war mittendrin...“ Lachend verließ er den Verschlag und ließ einen Ryo mit weit offenen Augen und Mund zurück.
 

„Dee... Dee... nein... nicht, bitte.“ Er sackte dort, wo er stand, einfach zusammen. Was brauchte er Brot und Kaffee, wenn sich sowieso alles nur um Dee drehte, wonach sein Herz schrie.
 

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

„Einen wunderschönen guten morgen, Dee!“ Mit diesen fröhlichen Worten betrat Chris Jackson das Büro, warf seine Jacke auf den Stuhl und ging zu Dee hinüber, um ebenfalls einen Blick hinaus zu werfen. „Na, alles klar bei dir? Wie geht’s deinem Arm... Dee?“
 

Erst jetzt fiel ihm auf, dass anscheinend irgend etwas passiert sein musste. Nicht nur, dass er die Kippe in MacLane’s Hand irritiert anblickte, auch dessen Augen schienen von gestern auf heute ihren Glanz völlig verloren zu haben.
 

„Mensch... Dee?!“ Jackson legte eine Hand auf Dee’s Schulter und hoffte, so zu seinem Partner und wohl inzwischen auch Freund durchzudringen.
 

„Es ist nichts...“ Dee drückte die Zigarette aus und stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und ließ sich in den Stuhl sinken.
 

„Sie haben den Jungen von gestern identifiziert. Wir sollten rausfinden, ob ihn jemand hier kennt, ihn vermisst...“ Dee schloss die Augen und warf die Akte rüber auf Chris’ Seite.

Doch dieser warf keinen Blick dorthin, sondern setzte sich auf Dee’s Seite auf den Schreibtisch und sah ihn abwartend an.
 

„WAS?“ knurrte Dee genervt und sah Chris auch dementsprechend an.
 

„Ich dachte, wir wollten miteinander reden, wenn jemand mit irgendwas nicht klarkommt. Frisst du es wieder in dich rein? Du weißt, dass du damit alleine nicht klarkommst, nicht in dieser Situation. Aber ich werde dich nicht noch einmal dazu auffordern... Es ist dein Leben... dein Inneres, das du zerstörst... aber bitte, ich sag nichts mehr.“ Ergeben seufzte er auf, hob abwehrend die Hände und glitt vom Tisch, ging zu seiner Seite.
 

„Auch wenn es dich nicht interessiert... Ich hatte einen schlechten Traum, das ist alles,“ nuschelte Dee. Atmete dann durch und erzählte Chris davon. Noch immer konnte er den Schmerz spüren, das Blut fast riechen. Als er jetzt jedoch davon erzählte, hörte es sich fast lächerlich an.
 

„Und du meinst, dass du Ryo gespürt hast...“ meinte Chris sanft und blieb trotzdem auf seiner Seite. Dee brauchte jetzt keine Streicheleinheiten, sondern eher einen guten Ratschlag. Doch woher sollte er so was auf die Schnelle ziehen, er war schließlich kein Gott, nur ein normaler Mensch.
 

„Hört sich unvernünftig an?“ Dee hob den Blick und hoffte, dass Chris seine Bedenken rasch zerstreuen würde, als plötzlich die Tür aufflog und ein junger Bursche mitten in der Tür erschien.
 

„Morgen z’amm. Ich hab mal Kaffee gebracht... Die da draußen sagten, ich soll einfach mal durchgehen. Ich hoffe, ich stör nicht bei was wichtigem... Ups... anscheinend doch... Sorry...“ Sofort verstummte Robin. Stellte den Kaffee auf den Schreibtisch. Einen vor Dee, den andern vor Chris, dem er ein nettes strahlendes Lächeln schenkte.
 

„Wenn du einen Moment wartest... Robin!“ meinte Chris und lächelte ihn genauso leicht an.

Das war zwar nicht, was Dee jetzt hören wollte, aber es freute ihn, dass es wenigstens einen Grund zum Fröhlichsein gab.
 

„Schon gut. Danke für den Kaffee, Robin. Bei euch alles klar?“
 

„Dank dir, MacLane. Jep. Wir wollen nachher wieder aufmachen. Wollte mich nur rasch noch mal bei euch beiden bedanken.“ Er zuckte leicht mit der Schulter, konnte den Blick aber kaum von Chris wenden. „Also dann... vielleicht schafft ihr es ja heute zum Essen. Geht natürlich auf Kosten des Hauses.“
 

„Vielleicht, wenn wir Zeit haben,“ bremste Chris den Jüngeren und fragte sich wiederholt, warum er den letzten Abend so genossen hatte. Die Antwort kam auch schon prompt von Robin, denn er schenkte ihm wieder dieses Lächeln mit einem kleinen Grübchen in der Wange, welches ihn unwiderstehlich machte.
 

„Chris... Zeig ihm doch mal das Bild.“
 

Jackson öffnete die Akte und das erste Bild, das ihm entgegenflatterte, war das, welches im Hinterhof aufgenommen worden war. Robin, der sich bereits interessiert vorgebeugt hatte, zuckte zurück. Deutlich konnte man ihm ansehen, dass er das am frühen Morgen nicht brauchte.
 

„Hier... schau dir das an,“ schob Chris ihm das verbesserte Bild hin.
 

Nur zögerlich senkte Robin den Blick.
 

„Den kenne ich... ich weiß zwar nicht, wie er heißt, aber er kam immer und aß Speck, Eier mit zwei Scheiben leicht getoasteten Toast. Dazu wollte er immer Kakao. Gestern war er nicht da... stimmt. Tut mir leid, dass ich nicht helfen kann.“ Wieder zuckte er leicht mit der Schulter und legte verlegen eine Hand in den Nacken. „Aber ich frag mal im Diner... oder soll ich das Bild aushängen? Kein Thema. Dann hättet ihr schneller Ergebnisse, als wenn ihr von Tür zu Tür geht,“ warf er vorsichtig seinen Vorschlag in die Runde.
 

„Angenommen, Robin. Ich hoffe nur, dass deine Chefs nichts dagegen haben. Wir wollen nicht schuld sein, wenn euren Gästen der Appetit vergeht,“ warf Dee ein und schmunzelte das erste Mal.
 

„Hey! Das sieht besser aus als das grimmige von eben,“ warf Robin ein.
 

„Ja. Da hast du wahrscheinlich sogar recht.“
 

„Gibt’s Nachrichten von Ryo?“ fragte Robin ernsthaft.
 

Dee warf Chris einen Blick über die Schreibtische zu, der mehr sagte als tausend Worte.
 

„Er hat es mir gestern gesagt. Ich sag es keinem weiter. Ich dachte, dass Ryo, na ja, im Krankenhaus liegt oder so... Du weißt ja, wie die Leute reden. Nach der gefakten Beerdigung...“
 

Chris entschloss sich, offen zu sein. „Er hat einen Traum von Ryo gehabt, in dem er fühlte, wie dieser Schmerzen hatte.“
 

„CHRIS!“
 

„Nun fragt er sich, ob das möglich ist,“ sprach Jackson einfach weiter und sah nur auf Robin, denn die Augen, die Ärger versprachen, wollte er nicht anblicken.
 

„Nun... Ich hab das schon gehört. Wenn die Verbindung eng war. Es soll sogar einer einmal mit einem blauen Auge aufgewacht sein, weil sein Freund eine verpasst bekommen hatte. Aber wie gesagt, das ist nur Hörensagen... Ryo verletzt?! Ich wünsch dass dies nicht stimmt... Für dich, Dee. Ich hoffe, ihr findet dieses Idioten bald, noch besser ihr knallt ihn gleich ab, das spart dann auch noch dem Steuerzahler die Gerichtskosten,“ witzelte er, um die hohe Spannung die in dem Büro herrschte zu durchbrechen.
 

Erneut flog die Tür auf und schlug gegen die Wand.
 

„Wie geht’s dir, Dee?!“ kam Patrick hereingeplatzt und schob Robin einfach aus dem Weg, damit er Dee erspähen konnte.
 

„Gut. Danke der Nachfrage, Pat. Wie geht’s mit deinem Profil voran? Schon was neues?“ blieb Dee dienstlich.

Er wollte so wenig wie möglich mit Pat zu tun haben, das war Geschichte und so wie er seinen Ex-Freund einschätzte, würde dieser zulangen, sobald Dee nur mal flüchtig aus der Deckung kam.
 

„Gibst du mir noch das Bild, dann bin ich weg,“ brachte Robin sich wieder ins Spiel und schaute auf Chris.
 

„Bin gleich zurück,“ erklärte Chris. Nahm die Akte und verschwand mit Robin aus dem Büro.
 

Schließlich musste das Bild erst noch vergrößert werden und er wollte Dee und McNear nicht unnötig im Weg stehen.
 

Patrick war froh, dass er mal kurz allein mit Dee reden konnte, und hockte sich auf die Schreibtischkante.
 

„Nun?“
 

„Ich habe, denke ich, dich etwas gefragt. Das Profil von dem Bomber?“ erinnerte Dee ihn.
 

„Dein Arm, werden auch keine Behinderungen aufkommen?“
 

„Ich fragte...“
 

„Schon gut. Ich hab mir halt Sorgen gemacht, als ich hörte, dass du verletzt worden warst. Darf ich das nicht?“
 

Dee erhob sich. Ging wieder zum Fenster und sah hinaus. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich wieder umdrehte und McNear ruhig und gefasst anschaute.
 

„Pat... Was soll das. Du weißt doch, dass ich verheiratet bin. Glücklich, wohlgemerkt. Was soll deine ständige Annäherung?“ Dee hatte es satt, ständig um den heißen Brei zu reden, und wollte das jetzt ein für allemal klären. Er hätte es schon vor Tagen machen sollen, als sie sich in dem Host Club getroffen hatten. Aber da hatte er selbst noch Zweifel gehabt, was Patricks plötzliches Erscheinen für ihn bedeuten sollte.
 

„Ich dränge mich nicht auf. Ich möchte dir nur helfen. Ist das denn nicht erlaubt?“
 

„Du könntest mir helfen, wenn du deiner Arbeit nachgehst und mir einen kompletten Kerl präsentierst, der für das ganze verantwortlich ist.“
 

„Du erwartest ein Wunder. Ich hab noch nichts Neues und die Forensik hier ist auch ein wenig zurück...“
 

„Fuck! Patrick! Du hast den Bericht gelesen. Die ganze Arbeit von Wochen ging in Rauch auf. Also mach hier nicht die Spurensicherung zum bösen Buben. Du könntest wenigstens... Ach, ich hab doch keine Ahnung...“ Dee drehte sich weg und stützte sich auf der Fensterbank ab und blickte hinaus. Bemerkte nicht, wie Patrick sich von hinten näherte.
 

Erst als er den Kuss im Nacken spürte, flog er förmlich herum.
 

„Du bist völlig verspannt... du brauchst ein wenig Entspannung,“ hauchte Patrick und wollte seine Lippen auf Dee’s legen.
 

Doch dieser schob ihn mit einem Ruck zurück.
 

„Lass das!“ fauchte Dee.
 

„Ich will dir helfen, Dee. Das weißt du. Wenn du so abgespannt bist, kann dein Blut nicht richtig zirkulieren...“ Erneut näherte sich Patrick, hielt jedoch plötzlich still, als die Tür ohne Anzuklopfen wieder geöffnet wurde und Chris hereinkam. Innerlich fluchte er, sah aber die Erleichterung in Dee’s Gesicht, die ihn erst recht anspornte.
 

„Danke. Ich komm schon klar,“ sagte Dee und hockte sich auf die Fensterbank. Froh, dass Chris sich beeilt hatte.
 

„Wir sehen uns noch, Dee!“ sprach Patrick in dessen Richtung, drehte sich dann um und verließ das Büro, jedoch erst, nachdem er Chris einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte.
 

„Scheint mich nicht zu mögen,“ grinste Chris vor sich hin.
 

„Tja... wie es aussieht...“ seufzte Dee und lehnte seinen Kopf zurück gegen das Fenster.
 

„Ich will ja nicht neugierig sein, aber ich mach mir Sorgen.“
 

„Mir geht’s schon besser...“
 

„Dee! Vielleicht solltest du mal mit einem Psychologen reden... oder mit der Amtsärztin hier.“
 

„Nein, das schaff ich schon allein. Solange du mir zuhörst und mit mir darüber redest, schaff ich das irgendwie.“
 

„Eigentlich meinte ich was anderes, was mir Sorgen bereitet,“ seufzte er und lehnte sich an den Schreibtisch, mit Blickrichtung zu Dee.
 

„Da ist nichts... Wirklich!“
 

„Von meiner Seite aus würde ich das anders sehen. Egal, ich werde mich nicht einmischen, aber wenn du reden willst... Du weißt, wo du mich erreichst.“
 

„Ja. Bei Robin!“ grinste Dee und ihm war schon viel wohler. Obwohl, ganz würde er das geträumte erst abschütteln können, wenn er Ryo gesund und munter in seinen Armen halten würde.
 

„Vermutlich... Ich weiß auch nicht. Fuck, Dee! Ich bin 42 Jahre und Robin ist 25. Er könnte mein Sohn sein.“
 

„Blödsinn, Chris. Okay, theoretisch hast du recht. Aber was soll’s. Wenn ihr euch mögt... lauf nicht davon, sondern nimm es so, wie es ist.“
 

„Du hast leicht reden,“ schnaubte er und streckte sich in alle Himmelsrichtungen.

Dee spürte trotz seiner eigenen Gedanken, dass da noch mehr hinter Chris’ Verhalten lag, als er bisher gedacht hatte.
 

„Ich hör dir gerne zu,“ erklärte er und schaute seinen Partner offen an, schob seine eigenen Sachen zur Seite. Vielleicht würde es ihn auch ein wenig ablenken, wenn er mal von anderer Leute Sorgen hörte.
 

„Es ist... Bob. Ich glaub, ich hab dir schon mal von ihm erzählt.“
 

„Deinen Mann. Ja. Auch wenn ich mich zu diesem Zeitpunkt noch mieser und schlechter als heute gefühlte habe. Ich kann mich daran erinnern.“ Recht vage nur, aber dass dieser bei einer Routinekontrolle erschossen worden war, war in seinem Gedächtnis hängen geblieben, und auch, dass da irgend etwas im Testament gestanden hatte. Vermutlich ging es darum.
 

„Ich fühle mich schuldig... Es ist fast so, als ob ich unsere Liebe verraten würde... Verstehst du?“
 

Und ob Dee verstand. Aber es war was anderes als das, was Chris wohl meinte oder gar dachte.
 

„Wenn ich mich richtig entsinne, sagtest du, dass er in seinem Testament schrieb, dass er auf dich warten würde. Aber auch gleichzeitig gedroht, dass du für ihn weiterleben solltest. Wenn du mich fragst und meinen Rat hören willst,“ Dee machte eine kurze Pause, sah Chris an. Fuhr erst mit seinen Worten fort, als dieser nickte. „...Er hat es nicht direkt gesagt, aber wenn du leben sollst, dann heißt es auch lieben. Denn ein Leben ohne Liebe ist nichts. Denk einfach mal darüber nach...“
 

„Danke, Dee. Das werde ich.“
 

„Weißt du, was Ryo einmal zu mir sagte? ‚Dee, ich bereue jeden Tag, an dem wir nicht zusammen waren. Und das nur, weil ich so ein sturer Bock war’. Vergeude deine Zeit nicht mit langem Grübeln, Chris. Auch wenn es nicht auf Dauer sein sollte. Jetzt ist jetzt.“
 

Chris schwieg, nickte dann nach den Worten von Dee. Er wusste ja, dass dieser damit recht hatte, dennoch fühlte er sich im Vergleich mit Robin schrecklich alt.
 

***** TBC

Samstag - 14. Juli Nachmittag

~~~~ In Black’s Büro ~~~~
 

Leises Klopfen ließ Black den Kopf heben und den Wartenden mit einem leicht gereizten „Herein!“ schon vorwarnen, dass er nicht gerade bester Laune war.

Die Tür öffnete sich sofort und ein schlanker Mann mit einem Lächeln auf den Lippen trat ein.
 

„Sorry, dass ich erst jetzt eintreffe, aber ich hatte...“
 

„Du konntest dich nicht losreißen von deinem Lover. Richtig, Steve Cotton?!“
 

Black erhob sich und kam um den Schreibtisch herum auf Steve zu, reichte ihm die Hand und klopfte ihm dazu auch noch auf die Schulter.
 

„Wie geht’s Tony und Sara? Setz dich, wir müssen reden, heute abend treffen wir wieder Dee und Chris und da will ich ihm wenigstens ein bisschen Freude bescheren. Hast du das mitgebracht, worum ich dich gebeten habe?“
 

„Ja, hier!“ Steve griff in die Innenseite seiner Jacke und holte einen Umschlag hervor, den er seinem Boss reichte. Dass Black so viel redete, war ihm nicht ganz geheuer. Irgendwie schien es Steve, dass dieser ein wenig von der Rolle war. Kein Wunder, wenn man bedachte, wo sich Mick gerade herumschlich.
 

Steve nahm auf der Couch Platz und schlug die Beine übereinander. Er wusste, er hatte es hier gut getroffen. Seit damals, wo er fast von seinem Vater umgebracht worden wäre, bis hierhin war ein weiter Weg gewesen. Nur gut, dass er so gute Freunde in dieser Zeit gefunden hatte. Ryo und Dee waren wohl die ersten, die in ihm nicht nur den eiskalten Mafiasohn gesehen hatten, und dann Tony. Das war schon eine Geschichte für sich. Dass sie trotz allem, was passiert war, zueinander gefunden hatten, war schon ein großes Stück Arbeit gewesen. Nun ja, es war ja auch nicht leicht, dem Sohn zu verzeihen, dass dessen Vater für den Verlust der eigenen Familie zuständig gewesen war. Und aus der einmaligen Rache, die Tony gegen Steve ausführen wollte, war Liebe geworden. Eine Liebe, die jetzt schon seit gut sechs Jahren hielt und sich noch mehr vertieft hatte.
 

„Sehr schön...“ wurde Steve aus seinen Erinnerungen gerissen. „Möchtest du was trinken?“
 

„Nein! Danke! Gibt es schon was neues von Mick?“
 

„Er ist irgendwo in Mexiko unterwegs.“
 

„Von Ryo?“
 

„Nein. Auch nichts neues vom Bomber. Dee wurde gestern verletzt, aber nicht schlimm. Ein Kratzer, wie ich erfahren habe.“
 

Erleichtert atmete Steve auf.
 

„Soll ich bleiben, bis Mick zurück ist, oder werde ich wieder komplett integriert?“
 

„Erst einmal, bis er zurück ist. Dann sehen wir weiter. Du weißt, was das bedeutet?“
 

Steve nickte. Keine Anrufe zu Tony und kein Wort zu irgendwem, wo er steckte.
 

„Dann mach ich mich an die Arbeit. Irgend etwas Wichtiges?“
 

„Ja. Du könntest einen gewissen Patrick McNear checken. Background, was er die letzten Jahre gemacht hat. Das ganze Programm, und lass dich nur nicht von diesem Kerl erwischen. Er wohnt in Manhattan Fifth Avenue oben beim Central Park.“
 

„Teure Gegend,“ murmelte Steve und machte sich gedanklich Notizen. Black hasste Schreibkram. Jedenfalls solchen, den man vermeiden konnte. Schließlich war das, was er tun sollte, illegal und somit bedurfte es nur ein Fetzen Papier, damit man ihnen etwas nachweisen konnte. Und wenn niemand etwas aufschrieb, konnte auch niemand etwas Belastendes finden. „Wessen Auftrag? Bis wann?“
 

„So schnell es geht. Es eilt, denke ich. Chris hat mich darum gebeten... Er arbeitet mit Dee zusammen. Ich erklär es dir heute abend auf dem Weg zum Hug and Bell!“
 

~~~~ Irgendwo in China Town ~~~~
 

Summend verlötete er die nächste Bombe. Wie sehr er sie liebte, diese kleinen unscheinbaren Dinger. Die nur einmal kurz aufblitzen und so schnell vergingen. Fast wie eine Sternschnuppe. Doch ihn würde man in Erinnerung behalten. Er würde nicht vergessen werden wie diese Sternenstreifen. Nein, er hatte ein Zeichen gesetzt und dank seinem Bruder war er nun wieder frohgelaunt und schaffte für ihn die gewünschte Bombe.
 

Doch das hieß nicht, dass er sein Ziel aus den Augen verloren hatte. Nein. Doch er musste noch etwas organisieren. Er brauchte vier Taschen. Er hatte es sich schon so schön ausgemalt und er würde es durchziehen, auch wenn dabei Heteros zu Schaden kamen. Die waren ja auch nicht besser als diese Schwuchteln. Nein, er würde radikal alles niedermähen.
 

Ein Wiehern stieg aus seiner Kehle und er lachte laut auf, bevor er sich wieder konzentrierte und mit der kleinen gemeinen Bombe weitermachte.
 

~~~~ Irgendwo in Mexiko ~~~~
 

Mick Prescott hielt sich an dem Überrollbügel des Jeeps krampfhaft fest. Petro Dalanô, mit dem er durch Mexiko fuhr, traf auf dieser Straße wirklich jedes Schlagloch. Gut, wenn man bedachte, dass dies eher ein Treiberweg war, konnte man darüber hinweg sehen, aber so wie Mick von Petro gehört hatte, war dies die Hauptstraße zu dem verlassenen Nest etwas westlich von Durango in der gleichnamigen Provinz.
 

Jeder Schlag tat seinem Nacken nicht gut. Er hatte die letzten Tage kaum geschlafen und er war schlicht gesagt übermüdet. Dennoch wollte er jetzt nicht rasten. Nicht, nachdem Petro endlich eine Spur gefunden hatte zu dem Ort an dem man vor Jahren dieses Ritual der ‚Entmannung’ durchgeführt hatte.
 

„Gott, Petro... sind wir nicht bald da?“ keuchte er, als der Jeep gut einen Meter hochhob, bevor alle vier Räder des Allradgetriebes wieder Bodenkontakt hatten.
 

Doch Petro kicherte nur neben ihm und erfreute sich an dem Ausflug. Schon lange hatte er sich nach so was gesehnt. Nach einem Auftrag, der all seine Kenntnisse erforderte, und da kam dieser Gringo und bat um so was Banales. Gut, man konnte halt nicht alles haben, aber das Geld stimmte und deswegen hatte er zugestimmt.
 

Schon zwei Tage, nachdem Mick ihn beauftragt hatte, war ihm zu Ohren gekommen, dass es hier in der Gegend vor einigen Jahren zu so einem Ritual gekommen war. Nun würden sie bald erfahren, ob es die Person betraf, die Mick suchte. Wenn es ein Treffer war, würde die Bezahlung nochmals steigen, so hatte dieser Gringo versprochen. Nun, Geld regierte die Welt und hier in Mexiko galt man nur was, wenn man das nötige Bare auch vorweisen konnte.
 

„Jep, Sir. Nicht mehr weit. Noch 20 Meilen.“
 

Prescott stöhnte verhalten auf, das würde die längste Reise, die er je gemacht hatte. Nun, das stimmte nicht ganz, aber auf alle Fälle war es die längste, die er in seiner Erinnerung speichern würde.
 

~~~~ Hug and Bell ~~~~
 

Wie gewohnt waren Chris und Dee die ersten, die im Hug and Bell ankamen. Sofort gingen sie hinauf in das Zimmer und warteten.
 

Wie gewohnt begann Dee schon recht bald, in diesem Zimmer hin und her zu tigern. Ständig schaute er auf die Uhr, oder frustriert zur Tür. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er lieber weitergesucht, als diesen doch so unfruchtbaren Treffen mit Black und Co. beizuwohnen und somit Zeit zu verschwenden.
 

Endlich, Dee wollte schon gehen, öffnete sich die Tür und Black trat ein. Doch diesmal nicht gefolgt von Mick, sondern von Steve Cotton, Aarons zweiter linker Hand sozusagen. Auch wenn Steve erst seit vier Jahren für Black arbeitete, hatte er sich dessen Vertrauen hart erarbeitet, und bisher hatte er seinen Boss, und inzwischen auch guten Freund, nicht enttäuscht. Eigentlich gedachte Steve das auch in Zukunft nicht zu tun, aber wer wusste schon, was einem die Zukunft brachte.
 

„Hi! Dee!“ sagte er mit seiner ruhigen Art, die er sich im Umgang mit seinem langjährigen Freund Tony angeeignet hatte.
 

„Steve?“

Etwas ungläubig schaute Dee den inzwischen mal wieder blondgefärbten jungen Mann an, der ihn strahlend in die Arme nahm.
 

„Schön, dich zu sehen. Du glaubst gar nicht, was wir durchstehen müssen. Nicht hier zu sein und nur... Wer ist das?“ unterbrach er sich und schaute Chris an.
 

„Dee’s momentaner Partner, Chris Jackson. Ein langjähriger Bekannter von mir und Dee’s Commissioner. Er ist auf meinem Anraten hier und du kannst frei und offen vor ihm reden,“ erklärte Black und nahm sich wie üblich erst einmal was zu trinken, um die Kehle zu befeuchten.
 

„Was macht Sara?“ stellte Dee leise die Frage, die ihm auf der Seele brannte, seit er Steve gesehen hatte. Sein kleiner Sonnenschein fehlte ihm so sehr. Wenn er wenigstens Sara um sich hätte haben können. Aber er wollte sie auch nicht wieder in Gefahr bringen. Deswegen nahm er dieses momentane Sehnen nach ihr auch so gut wie möglich hin.
 

„Ach... ihr geht’s gut. Sie blüht richtig auf. Nur jeden Tag fragt sie nach dir und Ryo. Sie vermisst euch genauso, wie sie dir wohl fehlt, wenn nicht sogar mehr. Hier, das hab ich dir mitgebracht.“ Steve griff in seine Jacke und zog einen Umschlag heraus, reichte ihn Dee.
 

Dieser drehte sich herum, öffnete ihn und zog einige Bilder von Sara heraus. Er musste sich auf die Lippen beißen und hinter seinen Augen sammelten sich bereits Tränen. Rasch ließ er die Bilder zurückgleiten. Später wollte er sie sich nochmals in aller Ruhe ansehen und dann konnte er auch seinen Gefühlen nachgeben. Zu Hause, wo er so allein war, dass ihn keiner störte, wenn er weinte.

Kurz räusperte er sich und durchbrach somit die Stille, die im Raum geherrscht hatte.
 

„Gibt’s was Neues?“
 

„Prescott ist in Mexiko unterwegs. Aber bisher habe ich noch keine weitere Benachrichtigung erhalten. Nur soviel: er trifft sich in den nächsten Stunden mit dem Clan dort, der dieses Ritual durchgeführt haben soll.“
 

„Und was soll das bringen?“
 

„Wenn einer sich an die Einheit von dem Kerl erinnert, vielleicht einen Namen, dann kann Mick weiter nachforschen. Ohne Name oder einen Hinweis wurde er bisher bei den Behörden lachend hinaus eskortiert. Er soll wiederkommen, wenn er etwas in der Hand hat. Ohne so was würden sie keinen Namen oder Wohnort preisgeben. Auch der Verdacht den er ihnen genannt hat, zog nicht. Deswegen ist er dort,“ erklärte Aaron und man konnte sehen, dass ihm die Trennung auch etwas nahe ging. „Wie geht’s deinem Arm?“
 

„Er zwickt hin und wieder, dort wo er auf den Nerv getroffen ist. Aber nicht weiter schlimm.“
 

„Dee! Wir finden ihn!“
 

„Ich weiß, Steve. Das hör ich jedes Mal, wenn wir uns hier treffen, und glaub mir, ich kann das nicht mehr hören.“ Dee lehnte sich seitlich ans Fenster und blickte hinaus. Sein Blick suchte nicht etwas, er musste nur wissen, dass es noch mehr gab als nur diese Gedanken, die ihn fast wahnsinnig machten.
 

„Es ist nicht deine Schuld, Dee!“ seufzte Black auf und leerte sein Glas in einem Zug. „Hörst du?“ wurde er energischer.
 

Kurz nur blickte Dee in den Raum, fixierte Black, und wenn er jetzt seiner Wut über den Verlust und sein Versagen nachgegeben hätte, würden sie sich gleich wieder hier schlagen und diesmal würde er nicht eher ruhen, bis Black vernichtend geschlagen vor ihm kauerte.
 

„Wenn du nichts Neues hast, bin ich weg,“ erklärte er.
 

Stieß sich von der Wand ab, ging rasch zur Tür und schon hörte man, wie er die paar Stufen nach unten nahm.
 

„Was hat er denn?“ Verwundert schaute Black ihm hinterher. So kannte er Dee nicht. Bisher war er immer etwas mürrisch gewesen, gut, das lag wohl an der Situation. Aber dass er so einfach davon stürmte.
 

Jackson fühlte den Blick der beiden auf sich ruhen. Nein, er würde nichts sagen. Das, was er von Dee erfahren hatte, blieb unter ihnen. Er konnte und wollte das Vertrauen, das Dee in ihn setzte, nicht missbrauchen.
 

„Er hat schlecht geträumt. Das ist...“
 

„Von Ryo? Hab ich recht?“ warf Steve ein und unterbrach rasch die Worte von Jackson.

„Sie stehen sich so nah, dass einer den Satz von dem anderen beendet. Da kann es auch sein, dass er den Schmerz des anderen fühlt. Jedenfalls habe ich das mal gehört bei Zwillingen, aber ob das auch auf die beiden zutrifft...“
 

Steve ging zum Fenster und blickte hinaus. Nein, er konnte nichts erkennen, was Dee’s Augenmerk erregt hätte. Also musste es so sein, wie er eben gesagt hatte.
 

„Sie sind ein einmaliges Paar. Wisst ihr, ich war dabei, als Dee schwanger war. Er war genauso mürrisch wie eine schwangere Frau. Launisch und...“ leise lachte er auf, als er an die diversen Ereignisse dachte, die er schon alles mit den MacLane’s durchgemacht oder eher erlebt hatte.

„Ich wünschte mir, dass sie das alles unbeschadet überstehen. Aber das wird wohl ein Traum bleiben.“ Tief seufzte er auf. Sah sich um und fühlte vier Augen auf sich gerichtet.
 

„Du scheinst ihn wirklich zu mögen?“ fragte Jackson.
 

„Er hat mir mal geholfen, als ich in Lebensgefahr schwebte. Durch die MacLane’s habe ich die Liebe meines Lebens getroffen. Ja, ich mag ihn. Ich mag sie beide.“
 

~~~~ Irgendwo in China Town ~~~~
 

Er war fertig. Es war gelungen.
 

Er brauchte nur noch seinen Bruder anzurufen und er konnte sich sein kleines niedliches Bömbchen abholen. Gut, er hatte sich Zeit gelassen. Aber das würde er schon verstehen, wenn er ihm von seinem Plan erzählte.
 

„Nein... das werde ich nicht... er würde mich daran hindern... das weiß ich... Er hat nur noch sein Ziel vor Augen. Seine Sache. Mich... mich braucht er doch nur, weil er unfähig ist, das selbst zu basteln... Ich bin nicht blöd... nein, bin ich nicht, Bruder. Du bekommst dein Spielzeug, wenn ich meine gezündet habe...“ Ein irres Funkeln stahl sich in den Blick, der nicht stillstand sondern hin und her huschte, als sei er auf der Suche nach etwas, was er nicht finden konnte.
 

„Erst ich... erst ich...“ kicherte er.
 

~~~~ Blossom’s ~~~~
 

Dee war nicht, wie er es erst vorgehabt, hatte in sein Apartment gegangen, sondern in den Club ‚Blossom’s’. Er wusste nicht warum oder wieso, aber wenn er wieder in der Wohnung war, verlor er jedes Mal ein Stück mehr von sich selbst. Obwohl er sich dort Ryo näher fühlte als sonst wo. Aber er hatte auch Angst. Schiere Angst sich dort zu verlieren.
 

Es war schon dunkel und er wusste, nach einem Blick auf seine Uhr, die ein Geschenk von Ryo zu ihrem zweiten Hochzeitstag gewesen war, dass es bereits 10 Uhr abends war.
 

„Suchst du Abwechslung?“ wurde er rücklings angesprochen, während er gedankenversunken in seinen Cocktail starrte.
 

Er blieb stur sitzen, wusste er ja, wenn keine Reaktion erfolgte, dass sich derjenige rasch vom Acker machen würde, doch diesmal hatte Dee sich geirrt.
 

„Ich kann dich schnell auf andere Gedanken bringen,“ erklang es schon näher an seinem Ohr.
 

Dee rührte sich auch weiterhin nicht. Zweimal ließ er es durchgehen, aber wenn dieser Bursche ihn jetzt auch noch ein drittes Mal anmachte, dann würde er ihn...
 

Bevor er jedoch nur daran denken konnte, es sich auszumalen, seinen Frust an einem Unbeteiligten abzulassen, legten sich ihm starke Arme um den Nacken und begannen ihn zu massieren. Wobei wieder eine Stimme erklang. Anders als die erste, samtiger, weicher. Dee erkannte sie sofort und dennoch blieb er sitzen. Genoss mit geschlossenen Augen die Massage. Spürte, wie er sich unter diesen langen, geschmeidigen Fingern mehr und mehr entspannte. Dee wusste, er hätte sofort reagieren sollen, aber er war einfach nur erledigt. Warum durfte er sich nicht auch einmal gehen lassen, abschalten. Gott, wie sehr vermisste er ihn. Es waren jetzt Ryo’s Hände in seinem Nacken, die er zu spüren glaubte. Die Hände seines geliebten Mannes, die ihn vom Alltag befreiten. Doch sein Thekentraum zerriss, als er die Stimme hörte.
 

„Schlechten Tag gehabt?“ fragte diese und massierte sanft weiter.
 

„Danke, es geht so,“ war auch nur seine schlichte Antwort. „Pat, bitte... es... es reicht.“
 

„Du bist aber noch immer hier ganz schön verspannt,“ erklärte dieser und kümmerte sich auch gleich um diese Stelle ein bisschen intensiver. Beugte sich leicht vor. Sein Atem strich sanft über Dee’s Nacken. „Vertrau mir doch einfach... so wie früher...“ schnurrte er und Dee schien wie Wachs unter diesen Händen zu werden. Seufzte leise und machte seinen Kopf locker, so dass er nun erst richtig die Wirkung der Massage genießen konnte.

„Siehst du... so ist es viel besser...“
 

****** TBC

Mittwoch - 28. Juli

~~~~ Irgendwo in Mexiko ~~~~
 

Der Dialekt, den dieser Großvater vor ihm anschlug und dann das Tempo, was er dabei vorlegte, ließ Mick nichts verstehen. Sein Blick glitt zu seinem Begleiter.
 

„Er sagte, dass sie vor Jahren einen Gringo sein Ding gekürzt hätten. Es war viel Aufstand deswegen. Und Army sei gekommen. Mericoba, der Dorfoberhaut, erzählt, dass dieser Gringo erst eine Tochter und dann noch zwei Söhne verschleppt hätte, sie gefesselt und dann vergewaltigt. Die Söhne wurden gefunden, aber beide tot. Das Mädchen lebte, beschrieb den Kerl, identifizierte diesen und deswegen wurde er entmannt.“
 

„Also ich bin hier richtig.“ Erleichterung durchfuhr Mick. Endlich. Seit Tagen irrte er nun schon durch diese unzivilisierte Gegend, bis sie wie durch einen Zufall auf diese Siedlung gestoßen waren.

„Frag sie, ob sie sich an einen Namen, Rang oder vielleicht an irgendwas erinnern können, was mir weiterhilft.“
 

Petro Dalanô übersetzte rasch und mit vielen Gesten die Frage und schwieg dann.

Stille breitete sich aus, bevor Mericoba diese erneut mit einem Schwall Wörter durchbrach.
 

„Er möchte wissen, warum euch das nach all der Zeit noch interessiert?!“
 

„Sag ihm, dass dieser Mann vermutlich noch weitere Taten begangen hat. Wir ihn aber nicht überführen können. Die Beweise reichen nicht aus. Nein, warte... sag ihm, dass er aufgrund dessen, was hier passiert ist, Rache an Menschen nimmt, die er für das, was er hier erlitten hat, verantwortlich macht.“ Somit blieb er der Wahrheit sehr nahe. Denn er konnte wohl keinen direkt beschuldigen, selbst hier draußen in der Wildnis konnten die Bäume Ohren haben.
 

„Jefe sagen, dass er nicht helfen kann. Er kennt keinen Namen. Aber er hat etwas, was helfen kann.“
 

Der Clanälteste ging mit Hilfe von einem jungen Mann zurück in die Hütte, aus der er mit viel Mühe gekommen war.
 

Mick und Petro blieben draußen und warteten. Spürten die Blicke, die ihnen zugeworfen wurden. Es schienen sich nicht oft Amerikaner oder sogar Mexikaner hier in dieses Gebiet zu verirren. Die Blicke waren recht eindeutig. Sie hatten Angst. Denn jedes Mal, wenn hier Fremde auftauchten, starben Einwohner.
 

Mick verhielt sich ruhig. Die Sonne brannte auf ihn hinab und obwohl er einen Hut trug, spürte er unter diesem keine richtige Erleichterung. Langsam ging er zum Jeep, öffnete eine Tasche und fischte sich eine Flasche kühles Wasser heraus. Trank einige Schlücke und erfrischte sich dann, indem er einen Teil davon über seinem Kopf entleerte. Was auch nur kurzfristig Erfrischung brachte.
 

Eine kleine Rotte Kinder war neugierig näher gekommen und Mick wagte es, diese anzulächeln. Auch er war es gewohnt, schon allein wegen seiner Hautfarbe nicht überall willkommen zu sein. Er griff erneut in die Tasche und holte eine Packung Kekse heraus. Riss sie auf, nahm einen und aß diesen. Dann reichte er die Packung an die Kinder weiter, die sich erst nach mehrmaligen scheuen Versuchen näherten, bis sie ihm die Kekse förmlich entrissen und davoneilten. Er sah ihnen mit einem weichen Lächeln hinterher. Was sehnte er sich nach einer kühlen Dusche, aber das würde noch warten müssen.
 

Mick drehte sich um, als er Schritte hinter sich hörte.
 

„Mein Großvater, Ihnen das geben möchte. Hoffe, das es hilft Ihnen,“ sagte der Bursche, der den Alten vorhin hinaus und wieder hinein begleitet hatte.
 

Nun reichte er Mick eine Hundemarke, wie sie von jedem Soldaten getragen wurde. Aber hier fehlte die Marke, wo Namen und Blutgruppe drauf stand. Aber die andere war genauso wertvoll. Die Nummer, die dort eingeprägt war, damit konnte er diesen Kerl schnappen und ihn dingfest machen.
 

„Sag deinem Großvater Danke,“ sagte Mick ehrlich.
 

Endlich ein Durchbruch.
 


 

~~~~ Christopher Street ~~~~
 

Chris verließ das Zimmer, das er sich hier in New York, Manhattan gemietet hatte. Einen festen Wohnsitz hatte er noch nie gehabt. Obwohl, mit seinem Mann hatte er einen Traum gehabt, sich in einem Vorort ein kleines Haus zuzulegen. Aber dieser Traum wurde von einer Schrotflinte quasi in Stücke gerissen. Doch er wollte nicht nur negativ an diese Zeit zurückdenken. Viel zu viele gute Erinnerungen gab es dort. Wie sie sich kennen gelernt hatte. Ihr erstes offizielle Date, abseits des Einsatzes. Es war nicht gewaltig. Sie trafen sich in einer Bar und tranken, redeten und lernten sich kennen. Richtig kennen. Jeder erzählte von seinen Träumen, von seinem Leben und wie sie es sich weiter vorstellten. Dass sie dabei auch nebenbei erfuhren, dass sie beide schwul waren, war dann auch keine große Überraschung mehr.
 

Ein Jahr nach ihrem ersten Treffen auf dem Revier wurden sie zu einer Einheit. Fuhren gemeinsam Streife und so kam es dann auch unweigerlich dazu, dass sie sich auch beruflich mehr sahen. Aber das führte in ihren privaten Treffen nicht zu Spannungen. Ganz im Gegenteil. Während ihrer Schicht waren sie Cops und ließen ihre Gefühle außen vor und im Anschluss lagen sie sich in den Armen, liebten sich. Drei Jahre später zogen sie zusammen und zwei weitere danach entschlossen sie sich, zu heiraten. Still und heimlich. Nur ihre besten Freunde, die sie als das akzeptierten, was sie auch waren, wussten davon. Sie änderten auch ihre Namen nicht wie Dee, sondern jeder behielt seinen. Sie waren glücklich.
 

Tief seufzte Chris auf, als er nach seinem Wagenschlüssel fischte und schließlich einstieg. Ziellos fuhr er eine Weile durch die Gegend. Kurz spielte er mit dem Gedanken, Black zu kontaktieren, ob dieser schon etwas über McNear heraus gefunden hätte, aber Aaron hätte ihn bestimmt schon informiert, wenn es etwas Interessantes gegeben hätte. Steve war ja jetzt auch erst seit einigen Tagen zurück. Genau wusste er es nicht.
 

Jackson vermutete, dass Steve den Auftrag mit der Nachforschung bekommen hatte, weil Black’s erster Vertrauter irgendwo in Mexiko rumdümpelte. Nur gut, dass er selbst nicht in so einer vertrackten Lage steckte.
 

Lautes Gelächter weckte seine Aufmerksamkeit und mit einem Rundblick wusste er, was hier vorging.

Rasch stieg er aus. Sah die drei Schläger, wie sie sich rechts und links um einen anderen positionierten und diesem somit jede Fluchtmöglichkeit nahmen. Mit einem Griff kontrollierte er die Waffe, die er nur in Notsituationen einzusetzen pflegte. Aber sicher war nun mal sicher.
 

„Gentlemen!“ machte er sich laut bemerkbar. War aber auch nicht unbedingt weit von seinem Wagen weggegangen.
 

„Chris!“ rief derjenige, der mit dem Rücken an der Wand stand.
 

Sofort erkannte der Cop die Stimme. Es war die des jüngsten Mitinhabers des Diner, das kürzlich Opfer des Bombers geworden war. Doch er blieb ruhig. Wenn er das ganze jetzt nicht aus der Perspektive des Cops betrachten konnte, würde das hier zu roher Gewalt ausarten und das wollte er vermieden.
 

„Verpiss dich. Das hier geht dich nichts an,“ hörte er die harten Worte, die rau hervorgestoßen wurden.
 

„Wir können das hier friedlich lösen, meine Herren, oder ich werde meine Kollegen rufen. Dann unterhalten wir uns auf dem Revier weiter.“ Er zückte seine Marke und hielt sie ihnen hin. Im schwachen Straßenlicht wohl kaum zu erkennen, aber dennoch schien es Chris so, als ob das den drei Schlägern, die wohl zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahren waren, schon reichte.

„Sollte ich Sie nochmals bei so einer Aktion sehen, meine Herren, dann werde ich Sie ohne eine erneute Aufforderung sofort verhaften.“
 

Ob es nun an seiner autoritären Stimme, seiner strammen Haltung oder dem Dienstausweis lag, wusste er nicht, aber die drei machten sich vom Acker. Anscheinend waren sie nur auf ein Opfer aus gewesen und bei zwei waren es ihnen schon wieder einer zuviel.
 

„Chris!“ hörte er schon wieder seinen Namen und noch als er den Dreien nachblickte, spürte er, wie sich der Jüngere an ihn heranschmiss. Dessen Arme sich in seinem Nacken verknoteten und die Beine sich wie Schraubstöcke um seine Taille wanden.
 

„Danke... danke,... danke...“ stammelte er und drückte sich so eng wie möglich an seinen Erretter.
 

„Schon gut, Robin.“ Sachte tätschelte er ihm den Rücken. Die Nähe genoss er, aber mehr auch nicht.
 

Er war sich immer noch ein wenig unschlüssig, was ihn und den weitaus Jüngeren betraf. Robin schien damit keine Probleme zu haben. Gut, sie hatten die letzten Abende zusammen verbracht. Getrunken und geredet, mehr war nicht passiert. Und dann heute morgen mit dem Kaffee abgeschlossen, oder eher den Tag begrüßt. Wahrscheinlich war er deswegen hier. Hatte ihn sein Unterbewusstsein automatisch hierher gelenkt, weil er zu ihm wollte? Vielleicht.
 

„Was wollten die drei denn von dir?“
 

„Weiß auch nicht. Wahrscheinlich das Geld. Ich bin diese Woche dran, es auf die Bank zu bringen, also einzuwerfen... vielleicht dachten sie, dass ich deswegen unterwegs bin...“
 

„Und?“
 

„Nichts und!“ schmollte Robin und löste sich nun erst einmal von dem Älteren. Peinlich war es ihm nicht.

„Danke, Chris,“ sagte er nochmals und diesmal legte er leicht seine Lippen auf die von Chris.

Kurz verharrten sie so, bis Chris sich löste und Robin anblickte.
 

„Das Geld, Robin?“
 

„Mann!“ knurrte er leicht gereizt. „Magst du mich nicht?“ fragte er leise und schenkte ihm einen verträumten, von unten nach oben gerichteten Schlafzimmerblick, schmiegte sich ab Gürtellinie an den Älteren.
 

Tief holte Chris Atem. „Robin...“
 

„Sorry... ich kapier halt nicht schnell...“ sagte er leicht verletzt und löste sich von Chris, biss sich auf die Unterlippe und trat einen Schritt zurück. „Die beiden haben es heute übernommen, damit ich mich nach dem Schrecken von neulich noch ein wenig austoben kann. Also... ich meine, Björn und Mark haben es weggebracht und danach sind sie wohl ins Bett und haben mich rausgeschmissen... So sieht’s aus.“ Leicht schmunzelnd sah er Chris wieder aus seinen schokoladenbraunen Augen an. „Und du? Was treibt dich hierher?“
 

Was sollte er ihm sagen. Sehnsucht? Neugier? Er wusste es ja selbst nicht. 17 Jahre waren eine Menge Holz für ihn. Warum sah Robin das nicht genauso? Weil er jung war. Lange konnte er wohl nicht mehr hier rumstehen und schweigen, und so räusperte er sich, strich sich über das Haar und lehnte sich gegen seinen Wagen.
 

„Nun... vielleicht mach ich einfach nur eine Rundfahrt. Kontrolliere, ob alles in Ordnung ist, ob nicht irgendwo eine Tasche herumsteht.“
 

„Ach so... Dienstlich.“
 

„Ja!“
 

„Ich... ich geh dann mal... Schau doch mal wieder vorbei... wenn du Zeit hast,“ erklang die leicht verletzte Stimme von Robin. Warum sollte er auch mit seinen Gefühlen hinter dem Berg halten? „...Ich meine... auch mal privat...“
 

Chris sah Robin nach. Sah, wie sich dieser in einem der Häuserschatten verlor, bevor er von einem Reklameschild wieder beleuchtet wurde. Hier am Eck war es noch verhältnismäßig ruhig, weiter vorne, wo die Clubs und Bars waren, wimmelte es schon von Leben und womöglich war Robin auch dorthin unterwegs.
 

Sich zu amüsieren. Schließlich war er ja auch jung. Sein Blick folgte weiterhin Robin, der nun stehen geblieben war und mit einem anderen Burschen, etwa in seinem Alter, redete.
 

Tief zog er mal wieder die Luft in seine Lungen. Irgendwie tat es schon weh, aber das hatte er sich ja selbst zuzuschreiben. Er stieg ein und fuhr langsam die Christopher Street entlang.
 

~~~~ Central Park ~~~~
 

Dee hatte nach einigen Gläsern Bourbon und einigen leichteren Getränken das Blossom’s verlassen. Die Nähe von Patrick McNear hatte er heute einfach so hingenommen, weil er einfach nicht alleine sein wollte. Alleine hätte er noch mehr getrunken. Allein schon deswegen, um seine Angst um Ryo zu ersäufen und um mal wieder richtig zu schlafen. Zu Hause hatten sie nichts Alkoholisches wegen Sara, und er würde auch nicht anfangen, dort etwas zu horten. Schließlich hoffte er täglich, aus diesem Alptraum zu erwachen.
 

Die Hände, die sich ihm nun über die Schultern drapierten, waren nicht Ryo’s. Das brauchte er sich erst gar nicht mehr vorzumachen. Nach der Massage vorhin an der Bar hatte er sich das noch eingeredet, aber er kannte ja die grausame Wahrheit, und langsam fragte er sich, was schlimmer war. Zu wissen, dass Ryo tot war, oder die Ungewissheit, was er alles zu erleiden hatte. Nein, tot war Ryo nicht. Schon damals hatte er es gespürt. Nur das ständige Gerede hatte ihn schließlich davon überzeugt. Wie froh war er gewesen, als er ihn schließlich doch wieder in die Arme schließen konnte... nur um ihn kaum eine Woche später wieder zu verlieren.
 

Erneut brannten Tränen hinter seinen grünen Augen. Augen, die kaum noch ein Lebenszeichen von sich gaben und schon seit Tagen nicht mehr lachten, auch wenn er hin und wieder ein Zeichen davon auf den Lippen trug. Alles nur Show. Ihm war hundeelend zumute.
 

„Was willst du von mir?!“ fragte er den Mann, den er anscheinend einfach nicht mehr los wurde.
 

„Dich ein wenig auf andere Gedanken bringen. Ich seh es dir doch an, wie scheiße du dich fühlst, Dee. Du kannst es nicht vor mir verbergen. Ich kann es immer noch sehen, wenn es dir schlecht geht,“ sagte er sanft, blieb aber ansonsten bis auf den Arm um Dee’s Schulter auf Abstand.
 

„Ja, das hast du immer gekonnt. Ich erinnere mich. Es war schrecklich. Jede Lüge von mir hast du erkannt... jedes Mal, wenn ich nur geblufft habe beim Pokern...“ leise lachte er auf, als er sich an ihre Zeit auf der Akademie erinnerte.
 

„Ich kann es nicht nachfühlen, wie es ist, den Menschen, den man liebt, in Gefahr zu wissen. Aber ich spüre die Angst und Verzweiflung in dir, Dee. Vielleicht habe ich das alles hier ganz falsch angepackt. Ich dachte, wir könnten da weitermachen, wo wir aufgehört haben...“
 

„Wir haben nicht aufgehört, Pat. Du hast es ohne ein Wort der Erklärung beendet,“ warf Dee ein.
 

„Ja, stimmt. Vielleicht war ich deswegen auch so aufgedreht, muss ich wohl sagen, als ich dich wieder sah. Dass du verheiratet warst, das wu...
 

„Bin! Patrick. Ich bin verheiratet und das sehr sehr glücklich,“ fiel er ihm burschikos ins Wort. Blieb dann stehen und sah seinem Ex-Lover eine Weile tief in dessen braune Augen.
 

„Sorry, Dee. Es ist halt so, dass ich... Na ja. Ich kann es eigentlich gar nicht so recht glauben. Du und Heirat. Was haben wir uns immer darüber amüsiert...“ meinte er mit samtig weicher Stimme, sah seinen Ex dabei nachdenklich an.
 

„Die Zeiten ändern sich, Pat. Wenn du ihn kennen würdest, würdest du mich verstehen. Ich war vom ersten Augenblick in ihn verliebt. Nun, eigentlich war es für mich nur ein Spiel, du kennst mich ja. Nichts festes halt. Aber nachdem ich ihn das erste Mal... geküsst hatte... wusste ich, dass ich ihn nie wieder gehen lassen würde. Ab da war es verdammt ernst für mich. Keine Liebelei mehr nebenher. Ob du es glaubst oder nicht, Pat, er hat mich gezähmt.“
 

„Tja. Dann habe ich wohl endgültig keine Chance mehr bei dir. Ich dachte immer, egal wann wir uns wiedersehen, es hätte sich zwischen uns nichts verändert. Ich hab dich immer noch verdammt gern, Dee.“
 

„Es tut mir leid. Aber ich werde Ryo selbst über den Tod hinaus treu bleiben,“ sagte er schlicht, legte sanft eine Hand an Patricks Wange und küsste ihn kurz darauf.
 

~~~~ Diner of Love ~~~~
 

Robin hatte sich kurz im Club amüsiert und dabei festgestellt, dass ihm heute absolut der Elan fehlte. Jede Annäherung oder Aufforderung zum Tanz hatte er strikt abgelehnt. Irgendwie fühlte er sich, so genau konnte er das nun auch nicht sagen, aber er fühlte sich hier fehl am Platz.

Er verabschiedete sich noch von Sam, der ihn hergeschleppt hatte, und ging dann ohne noch nach rechts oder links zu blicken zurück ins Diner.
 

Doch kaum hatte er dieses betreten, verließ er es fast fluchtartig. Die Geräusche, die sein Bruder da von sich gab, waren heute das letzte, was er hören wollte.
 

„Warum ist jeder hier glücklich, nur ich nicht?“ seufzte er und lehnte sich außen gegen das Diner. Normalerweise war er nicht so empfindlich, was das anging, aber nachdem er Chris heute wieder getroffen hatte, ging er ihm nicht mehr aus dem Kopf. Eigentlich schon seit dem Augenblick, wo dieser das Diner betreten und Robin einen Blick auf den Älteren geworfen hatte.
 

Er war größer als er, breite Schultern, an denen man sich anlehnen konnte, kurzes schneeweißes Haar und dazu ein Grübchen auf der linken Wange. Robin konnte nicht sagen, was das erste war, was ihm aufgefallen war, er wusste nur, dass er an keinen anderen mehr denken konnte, und was tat dieser vermaledeite Cop?
 

Drehte seelenruhig seine Runden. Rettete ihn wie nebenbei mal wieder, aber rein dienstlich versteht sich.
 

„Fuck!“ rief er in die Nacht.
 

Er stieß sich von der Wand ab. Hier rumstehen brachte schließlich auch nichts. Also wieder in den Club, oder einfach nur ein wenig herumlaufen. Gedankensondierung nannte er das.
 

***** TBC

Freitag 6. August

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Tage gingen ins Land, Jim machte keine großartigen Sprünge in der Forensik und auch von Patrick gab es reichlich wenig Neues. Alles schien ruhig.
 

Zu ruhig, wie Chris fand.
 

Der Angriff aufs Diner lag jetzt bereits eine Woche zurück und Chris hatte sich seit damals auch nicht mehr dort blicken lassen. Er hatte zu viel um die Ohren, wie er sich ständig vorhielt. Eigentlich, wenn er ehrlich war, ging er Robin aus dem Weg. Hin und wieder war der Braunhaarige im Revier aufgetaucht, brachte Kaffee für ihn und Dee, aber er war immer rasch aus dem Büro raus, mit der Aussage, etwas wichtiges Erledigen zu müssen. Dee bedachte ihn dann immer mit einem seiner seltsamen Blicke. Doch gesagt hatte der jüngere Cop bis dato nichts.
 


 

Es war Freitag und wieder würden sie sich heute abend mit Black treffen. Die neuesten Erkenntnisse austauschen, doch was Chris immer mehr ins Staunen versetzte, war, wie Dee inzwischen mit dem CDI McNear umging. War er am Anfang abweisend, sogar fast ein wenig aggressiv gewesen, so konnte man das, was sich in dieser Woche zwischen den beiden entwickelt hatte, nun wohl als Freundschaft interpretieren.
 

Die Taktik, die Patrick dabei wählte, war einfach zu durchschauen, jedenfalls für Jackson. Aber Dee, geblendet von der Angst um Ryo, schien eher blind in ein Fiasko zu laufen. Doch bisher schwieg Chris dazu. Er wollte sich nicht einmischen, genauso wenig, wie Dee sich bei ihm einmischte.
 

„Morgen Dee!“ begrüßte er ihn wie üblich und hing seine Jacke über die Lehne. „Gibt’s was Neues?“
 

„Nein, nichts. Schon was von Black gehört?“
 

„Mick scheint etwas gefunden zu haben. Aber genaueres wollte er erst heute abend preisgeben.“
 

„Gut.“
 

Dee vertiefte sich wieder in eine Akte, die er vor sich liegen hatte, schloss diese dann energisch und sah zu seinem jetzigen Partner rüber.
 

„Ich gehe nachher ins Diner. Kommst du mit?“
 

Chris hob nur flüchtig den Blick aus seiner Akte, die er wälzte, und schüttelte den Kopf.
 

„Nein, ich hab zu tun. Kommt McNear mit?“
 

„Ist es deswegen, oder wegen Robin?“
 

Nun schloss auch Chris die Akte und sah quer über den Tisch zu MacLane.
 

„Der Typ verarscht dich, Dee. Siehst du das nicht. Der hat seine Ma...“ Abrupt hörte er auf zu sprechen, als die Tür geöffnet wurde und Robins älterer Bruder Mark Steward das Büro betrat. Er stellte zwei Tassen Kaffee auf den Tisch und sah von Dee zu Chris.
 

„Sorry, wenn ich störe, aber kann ich kurz mit euch... mit dir reden, Chris?“ fragte er und strich sich eine Strähne seines flammendroten Haares zurück.
 

„Klar, soll ich gehen?“
 

„Nein... es dauert auch nicht lange. Es geht um...“
 

„Denk nur nicht, dass unser Gespräch damit beendet ist, Dee,“ fiel Chris Mark erst einmal ins Wort. Erhob sich dann, griff nach seiner Jacke. „Sorry, Mark. Aber ich...“
 

„Du bleibst und wenn ich dich festbinden muss,“ stieß Mark nun wütend hervor. „So kannst du vielleicht meinen Bruder verarschen, aber nicht mich. Ist das angekommen?“

Steward schubste Chris einfach ein wenig, so dass dieser rücklings taumelte. Wütend näherte sich Mark ihm. Nein, er würde sich zurückhalten, das hatte er schon vorhin mit Björn besprochen, deswegen sollte auch Dee da bleiben, falls es ihm doch nicht ganz gelang und er womöglich handgreiflich wurde.

„Du hörst mir jetzt zu, Jackson. Entweder du stehst zu deinen verdammten Gefühlen für meinen Bruder... halt’s Maul und lass mich ausreden,“ knurrte er, als er sah, wie Chris sich verbal verteidigen wollte, „oder du hältst dich von ihm fern, nachdem du ihm klipp und klar erklärt hast, dass du nichts von ihm willst.“
 

„Was fällt dir ein...“ wurde nun auch Chris aktiv, baute sich vor Mark auf und brauchte sich wegen seiner Größe nicht zu verstecken, denn nun blickte er ihm auf gleicher Höhe in die Augen. „Robin läuft mir doch hinterher...“
 

„Ach ja? Warum wohl? Weil du ihm schöne Augen gemacht hast, ihn die letzten Tage auch noch getröstet hast und dann, jeden Abend fährst du vorbei. Glaub ja nicht, dass ich blind wäre, Jackson. Du bist in Robin vernarrt, nur traust du dich nicht, weil du ein alter seniler Sack bist,“ knurrte er und sprach extrem wütend, weil er endlich mal eine Reaktion von diesem unterkühlten Cop sehen wollte.

Dee blieb im Hintergrund, schmunzelte sogar bei diesem Wortgefecht und wusste bereits, bevor Chris etwas sagte, dass dieser geschlagen war.
 

„Alt und senil? Gut, dann weißt du ja, warum Robin für mich tabu ist!“
 

„Fuck! Jackson! In welchem Jahrhundert pennst du eigentlich noch rum? Glaubst du wirklich, es geht hier um die paar Jährchen Unterschied? Damn, dann hast du ihn wirklich nicht verdient. Er sitzt jeden Abend rum, heult und macht nichts mehr. Und wenn, ist er nach einer halben Stunde zurück und verkriecht sich in seinem Zimmer. Red mit ihm. Mehr will ich doch gar nicht. Sag ihm, was Sache ist. Egal, ob du etwas für ihn fühlst oder nicht, aber so geht es nicht weiter. Ich geb ihm höchstens noch ’ne Woche, dann fällt er zusammen.“
 

„Das wusste ich nicht,“ murmelte Chris und fuhr sich durch sein kurzes weißes Haar.
 

„Ich geb dir bis morgen abend Zeit, Jackson. Sonst wirst du mich kennen lernen,“ knurrte Robins Bruder nah vor Chris’ Gesicht, drehte sich um und verließ das Büro.
 

„Wow, der hat Haare auf den Zähnen.“
 

„Und eine gewaltige Rechte,“ warf Dee schmunzelnd ein. „Er hat recht. Du musst dir nur klar werden, was du willst. Schiefgehen kann es immer. Aber wenn du dich vor deinen Gefühlen versteckst, wird es schlimmer werden. Weißt du, was Ryo mal zu Steve, oder war es Tony, gesagt hat? Nein? Natürlich nicht. Aber er sagte: ‚Ich bereue jeden Tag, den ich gegen ihn gekämpft habe. Hätte ich mich nur fallen lassen können, aber das ist das Schwierigste. Der erste Schritt.’ Du bist am Zug, Chris. Es gibt keine Garantie, aber ohne Risiko auch kein Glück.“
 

„Das sagst ausgerechnet du mir?“ sagte Chris und lehnte sich rücklings an die Aktenschränke.
 

„Ja, ausgerechnet ich. Um auf eben zurückzukommen, Chris: ich bin nicht verblendet. Ich kenne Patrick lange genug und ich fall nicht auf seine Taktiken rein, egal, welche er gerade anwendet. Okay, wir haben was getrunken. Ich akzeptiere es sogar, dass er meine Verspannung lockert, aber mehr ist da nicht. Ich liebe Ryo. Habe ihn immer geliebt und werde ihn immer lieben.“
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Ryo wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war. Er lebte nur noch für den Augenblick. Alles um ihn herum war eins. Er war frei, so weit man es als solches bezeichnen wollte, wenn man am Hals angekettet an der Wand herumläuft. Die Kette reichte etwa 3 Meter. Kein Fenster, kein Sonnenlicht. Er wusste nicht, was heute für ein Tag war. Wenn er an sich herabsah, sah er fahle Haut. Seine Bräune war schon längst verloren gegangen in den Tagen, Wochen oder sogar Monaten, die er hier schon verweilte.
 

Langsam aber sicher verlor er die Hoffnung auf Rettung. Das einzigste, was noch ein wenig Leben in ihm wach hielt, war sein Peiniger. Der einzigste Bezug, den er in dieser Zeit hatte. Der einzigste, der mit ihm redete. Doch auch dazu fehlte ihm schon fast der Elan. Warum sollte er überhaupt weiter leben, wenn er keine Hoffnung mehr sah? Jedes Mal, wenn er an diesem Punkt in sich angelangt war, holte er aus dem hintersten Stübchen seines Gehirns ein Bild. Ein Bild von Sara, Dee und sich selbst. Wie sie im Central Park herumgetollt waren. Seine Hoffnung war gering, aber jedes Mal, wenn er dieses Bild vor seinem inneren Auge sah, wuchs sie wieder. Wie lange würde er noch die Kraft haben, sich dieser Endgültigkeit zu widersetzen? Er wusste es nicht.
 

Seine Gedanken auf Flucht, auf Widerstand waren noch da. Aber sie waren geringer. Wie sollte er den Mann auch überwältigen, wenn dieser ihm jedes Mal die Freiheit raubte. Wie konnte er fliehen, wenn ihn diese Kette am Weiterkommen hinderte. Selbst wenn er seinen Peiniger überwältigen konnte, war da immer noch diese Kette, die ihn daran hinderte, das umzusetzen, was er wollte.

Mühsam rappelte er sich auf. Das Essen machte ihn fertig. Eigentlich hätte es ihm Kraft geben sollen, aber danach fühlte er sich immer schlechter. Ryo wusste ja, dass dort Drogen und Gifte drin waren. Drogen, die seinen Verstand umnebelten und womöglich auch ein Aphrodisiakum. Aber davon merkte er einfach nichts.
 

Jedes Mal, wenn er aufstand, musste er mit sich kämpfen. Musste kämpfen, dass er auf die Beine kam. Sich bewegte. Seinen Körper in Schuss hielt, wie seine innere Stimme verlangte. Aber seine Muskeln wollten ihm nicht mehr so gehorchen. Schon nach nur wenigen Übungen sackte er wieder zusammen. Kraftlos.
 

„DEEEEE!“ rief er laut in die Stille des Raumes, bevor er haltlos zu weinen anfing.
 

Als die Tür sich lautlos öffnete, klang es in seinen Ohren wie ein Donnerschlag, als sie wieder zugeworfen wurde. Rasch wischte er sich über das Gesicht. Sein Peiniger wusste, wie schwach er war, und nutzte es jedes Mal aus. Schwächte ihn noch mehr, ohne ihn jedoch zu misshandeln.
 

„Na na... Schneewittchen,“ säuselte er und hockte sich neben Ryo, der noch immer auf dem Haufen Kleidungstücke lag. Kleidung, die er nicht anziehen durfte.
 

„Magst du noch was essen... ist auch ganz frisch.“
 

„N... nein... ich will nicht...“ brachte Ryo leise hervor, am liebsten hätte er sich in die Ecke verkrümelt, aber dann hätte es wieder nur Schläge gehagelt. Die seinem schon abgezehrten Körper noch mehr zu schaffen machten.
 

„Sushi... habe ich heute extra für dich bringen lassen... nun komm schon, Schneewittchen, mach den Mund auf.“
 

„Nein...“ blieb er diesmal hart. Er musste und wollte diese Drogen aus seinem Körper bekommen und wenn das hieß, dass er hungern musste, okay. So ging es auf alle Fälle für ihn nicht weiter. Essen, schlafen und Schwäche. Er musste kämpfen. Es gab dort draußen jemand, der auf ihn wartete. Der ihn suchte, der ihn brauchte.
 

„Du sollst den Mund aufmachen,“ wurde der Entführer nun schon ein wenig energischer. Zog Ryo an der Kette zu sich, erhob sich, so dass auch Ryo sich hinstellen musste.
 

„Du kennst die Regeln, Schneewittchen. Du tust was ich dir sage, oder du wirst es bereuen.“
 

Ryo hob den Blick in die Augen, die hinter dieser Halbmaske verborgen lagen. Nichts konnte er erkennen. Höchstens das Kinn, welches sich auf ewig bei ihm eingebrannt hatte. Das würde er sofort wiedererkennen. Das und die Stimme, die ihm jedes Mal unter die Haut ging, wenn sie so leise und ernst wie jetzt erklang. Aber er hatte eben, als er das Bild wieder heraufbeschwor, für sich einen Schwur geleistet. Er würde entkommen. Er würde zurück zu Dee und Sara kommen oder er würde sterben. Aber nicht an diesen Drogen.
 

Ohne zu zögern trat er gegen das Essen, welches gegen die gegenüberliegende Wand flog und teilweise daran hängen blieb, bevor es hinabrutschte.
 

Kaum war dies jedoch geschehen, spürte er den Schlag gegen seine Wange, dass sein Kopf seitlich flog.
 

„Du bist ein Narr, Schneewittchen!“ höhnte der Entführer. Ließ Ryo jedoch los, um in die Ecke zu gehen.
 

Dunkle Augen folgten seinen Bewegungen und Ryo richtete sich darauf ein, was nun kommen wurde. Die Kette straff gezogen, hätte sie ihm fast die Luft abgedrückt, doch so weit wollte sein Peiniger wohl nicht gehen.
 

Eng stand er an der Wand, spürte die kalten Steine in seinem Rücken, als er brutal herumgerissen wurde und seine fast verheilte Schulter erneut Bekanntschaft mit den Steinen der Wand machte. Sein Gesicht schabte über das raue Gestein, riss es leicht auf. Da ihm die Kraft zum Widerstand fehlte, musste er alles mit sich geschehen lassen und er verfluchte sich und seine Schwäche dafür. Warum hatte er nicht eher angefangen zu kämpfen, hatte er wirklich gehofft, dass Dee ihn finden, ihn befreien würde? Nein, denk nicht dran, rief er sich gleich zu Ordnung. Dee sucht dich. Er findet dich, er braucht nur Zeit. Überlebe... überlebe...
 

~~~~ Diner of Love ~~~~
 

Chris Jackson betrat als erster das Diner, spürte sogleich die Augen von drei Personen auf sich, wobei sich die wichtigste jedoch rasch wieder von ihm abwandte. Wie bei ihrem Besuch vor einer Woche ging er zu dem letzten hinteren Tisch, wo ‚Reserviert’ drauf stand, schob es beiseite und setzte sich. Ihm gegenüber nahm Patrick McNear Platz, der durchrutschte, um Dee neben sich Platz zu machen.
 

Kaum saßen sie, kam auch schon Robin an ihren Tisch, stellte kommentarlos drei Tassen Kaffee ab, drehte sich wieder um und ging.
 

„Entschuldigt mich bitte,“ sagte Chris, stand wieder auf und ging zum Tresen. „Kann ich kurz mit dir reden, Robin?“
 

„Ich hab zu tun!“ sagte dieser abweisend, denn was Chris konnte, konnte er schon lange. Er musste auf Abstand gehen, sonst würde er an den Gefühlen, die ihn jedes Mal übermannten, wenn er ihn nur sah, zugrunde gehen. Da hatte sein Bruder recht. Er musste da durch. An Liebeskummer war noch keiner gestorben. Auch ein gebrochenes Herz sollte wieder heilen, aber es tat so verdammt weh, von ihm zurückgewiesen zu werden, nein, das war es ja gar nicht, dachte er. So weit waren sie ja noch nie gekommen. Es war bisher nur einseitig. Es ging doch alles nur von ihm aus. Das war ihm klar, und dennoch hatte er irgendwie gehofft, dass seine Gefühle erwidert werden würden.
 

„Du hast doch nichts dagegen, wenn sich dein Bruder eine kleine Pause nimmt?“ fragte Chris nur direkt den Chef des Ladens.
 

„Nein, solange du ihn mir heil wieder bringst!“ bekam er die erhoffte Antwort und Robin warf seinem Bruder einen bösen, finsteren Blick zu. Nahm seine Schürze ab und warf sie ihm quer über den Tresen ins Gesicht. Drehte sich dann um und ging auf den hinteren Bereich zu. Auf der Tür stand ‚PRIVAT’, er schloss sie auf und wollte sie hinter sich zuknallen, als er bereits den Körper hinter sich spürte. Rasch drehte er sich zu Chris um, denn kein geringerer war es, der ihn daran hinderte, die Tür zu schließen.
 

„Verzieh dich!“
 

„Ich möchte mit dir reden, Robin. Entweder jetzt oder heute Abend.“
 

„Ich aber nicht. Ich habe dir nichts zu sagen.“
 

Jackson schob sich weiter in den Raum, schloss die Tür hinter sich. „Gut, dann hörst du mir nur zu,“ sagte er mit einem Schulterzucken. Sah sich dann in dem Raum mit gewohntem Blick um.
 

Schien eher ein Vorraum zu sein. Hier stand nur eine Couch, die schon einige Jahre auf dem Buckel zu haben schien, und zwei Sessel vor einem kleinen Tisch. Also kein Vorraum, sondern wohl eher ein Erholungs- oder Besprechungsraum, wie er mal annahm. Aber das war nur nebensächlich.
 

„Ich mag dich, Robin. Wirklich.“
 

„Pah!“ Robin lehnte sich mit verschränkten Armen mit dem Rücken gegen die Wand Chris direkt gegenüber. Er schützte sich so lieber vor dem, was nun gleich kommen würde. Lange hatte er sich das ausgemalt und vorgestellt, wie das ablaufen würde. Einmal in die gute Richtung und dann die Trennung, oder wohl eher das Geständnis von Chris, dass er nichts für ihn empfand. Nun war es wohl soweit und er wollte nicht in Tränen ausbrechen, deswegen suchte er Schutz hinter seinen Armen, die ihn auffangen sollten.
 

„Sag einfach was du willst und dann geh,“ kam es emotionslos von Robin.
 

„Seit letzter Woche ist viel passiert. Ich... Es ist nicht einfach für mich, verstehst du? Das alles... Ich... ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“ Er strich sich durch das weiße Haar und schaute ein wenig gereizt um sich.

„Vielleicht ist es einfacher, wenn... wenn ich... Robin!? Freitag nach der Explosion, da wo ich mich um dich gekümmert habe... das, das war...“
 

„Schon klar. Du wolltest mich nur ablenken. Auf andere Gedanken bringen. Ich bin nicht so blöd wie du denkst,“ fiel er ihm ins Wort. Es tat weh, sein Herz schlug hart gegen seine Rippen, warum machte er es nur so kompliziert. Es war doch einfach. Es war einfach zu sagen. Warum lange in der Wunde herumstochern, wenn man es auch brutal und direkt haben konnte?
 

„Stimmt. Das gehört auch zu meinen Aufgaben als Cop. Das musst du doch...“
 

„Warum sagst du es nicht einfach. Aber das brauchst du auch nicht mehr. Ich verstehe dich auch so, Detektiv Jackson. Es war dumm von mir, da mehr hinein zu interpretieren, nicht wahr? Es ist alles meine Schuld. Immerhin bin ich dir nachgelaufen. Dabei dachte ich, dass deine Blicke davor... Fuck! Geh einfach. Bitte! Geh!“ sagte er, konnte nicht länger, drehte seinen Kopf weg, wollte ihm nicht seine Gefühle so offen zeigen. Er fühlte sich so nackt, so ausgeliefert, so verletzlich.
 

Kurz zögerte Jackson. Sollte er einfach gehen, dann wäre es erledigt. Aber er blieb, ging näher zu Robin, hob das Gesicht des Jüngeren, welcher ohne Widerstand dem sanften Druck nachgab und ihn nun mit tränenschweren Augen anblickte.
 

„Als ich dich das erste Mal sah, Robin. Dein Lächeln erblickte und, wie mir schien, gleich dein Interesse auf mir spürte, war ich geschmeichelt. Ich bin zu alt für dich, Robin. Es würde mit uns niemals gut gehen. Ich möchte dir...“
 

Der Braunhaarige konnte nicht mehr seine Tränen zurückhalten und ließ sie über seine Wangen abwärts perlen, sah Chris jedoch weiter fest an. Sein Herz blutete und verlor mit jeder Sekunde mehr von dem Lebenssaft, doch er blieb aufrecht, krümmte sich nicht, auch wenn sich seine Innereien so anfühlten, als würde er ausgeweidet werden. Das einzigste, was er zuließ, waren seine sichtbaren Tränen, alles andere würde niemand mitbekommen.
 

„...nicht weh tun. Auch wenn es schon zu spät scheint. Aber glaub mir einfach, es ist besser so. Ich werde, sobald der Fall gelöst ist, die Stadt verlassen... und bis dahin versuche ich, dir aus dem Weg zu gehen. Ich wünsche dir alles Glück der Erde, Robin.“
 

Gerne hätte er der Lust nachgegeben, ihn zum Abschied zu küssen, aber damit würde er ihn nur noch weiter verletzen und das wollte er nicht. Deswegen strich er nur kurz über das schmale Kinn, löste dann seine Hand, drehte sich um und verließ, ohne zurück zu blicken, den Raum.

Nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, schaute er weder nach rechts noch nach links, sondern verließ, stur den Blick nach vorne gerichtet, das Diner.
 

Björn stieß Mark in die Rippen, als er sah, wie Chris den Laden verließ. Ging dann auf die hintere Tür zu, öffnete sie einen Spalt und schlüpfte hinein. Das, was er vorfand, sagte ihm mehr als tausend Worte.
 

Ohne zu zögern kniete er sich neben Robin, nahm ihn einfach in die Arme und strich ihm sanft über den Rücken. Auch wenn Worte nicht den Schmerz lindern konnten, den Robin nun mit sich auszumachen hatte, begann Björn leise ein altes Lied aus seiner Kindheit zu summen. Ein Lied, das seine Mutter ihm immer vorgesungen hatte, wenn es ihm schlecht ging und er wusste, wie beruhigend es wirkte. Björn hoffte nur, dass Mark eine Weile alleine zurechtkommen würde, denn er würde Robin jetzt in diesem Augenblick nicht alleine lassen.
 

Dee sah Chris hinterher. Allein schon, wie sein jetziger Partner ging, verriet ihm, dass er sich gegen Robin entschieden hatte und es tat ihm weh, ihn so leiden zu sehen. Er wusste, wie weh es tat, wenn man einem die Liebe verweigerte, die in einem brannte. Doch er würde sich nicht einmischen. Sie mussten selbst damit klar kommen. Es war schließlich ihr Leben, um das es hier ging.
 

„Scheint, als wenn der alte Mann sich entschieden hat,“ hörte er Patricks Stimme neben sich, und wenn er sich nicht täuschte, klang es recht höhnisch.
 

„Ja, scheint so.“
 

„Jeder macht mal Fehler. Manche lassen sich bereinigen.“
 

„Andere wiederum nicht,“ sagte er ruhig und schaute Patrick an.
 

„Ich dachte nicht, dass du noch immer nachtragend bist. Wollen wir nicht neu anfangen, Dee?“
 

„Es ist sinnlos, Pat. Versteh das endlich. Es gibt kein ‚WIR’. Es gibt dich und es gibt mich und meine Familie.“
 

„Eine Familie? Bisher habe ich davon nichts gesehen. Sorry! Aber ich habe gehört, dass du eine Tochter hast, wenigstens die könntest du mir doch mal vorstellen,“ sagte er, um sein Fehlverhalten zu entschuldigen.
 

Wieder streifte Dee’s Blick den von Patrick. Die gute Stimmung. die sie bis eben noch gehabt hatten, war verflogen.
 

„Ich kann dir ein Bild zeigen, aber damit wirst du dich nicht zufrieden geben, habe ich recht?“
 

„Nun... ich würde gerne sehen, wie du mit ihr umgehst. Ich kann es irgendwie echt nicht glauben, dass du ein Kind hast...“
 

Tief atmete er durch. Nein, er würde es nicht tun. Es stand zu viel auf dem Spiel und die Gefahr. dass der Bomber mitbekam, wo seine Sara war, war zu groß. Er würde sie nicht noch einmal dieser Gefahr aussetzen.
 

„Gehen wir, wir haben noch viel zu tun.“
 

**** TBC

Freitag - 6. August – etwas später

~~~~ Diner of Love ~~~~
 

Gedankenversunken schlenderte Chris durch die Straßen. Noch immer sah er vor sich das tränenüberströmte Gesicht von Robin. War es richtig gewesen, was er gemacht hatte? Zweifel kamen wieder in ihm hoch. Auch in ihm tobte ein Sturm. Er wusste, dass er Robin mochte. Vom ersten Augenblick an, als er ihn gesehen hatte. Aber dennoch wollte er ihn nicht mit seiner Vergangenheit belasten. Es war einfach nicht gut, wenn man sich mit ihm einließ. Er brachte nur Unglück. Egal wem, egal wann. Jeder, der mit ihm zusammen gewesen war, hatte ihn allein gelassen.
 

»Es ist besser für ihn, auch wenn es verdammt weh tut... hätte ich gewusst, dass ich dort jemanden treffe, der mir unter die Haut geht, wäre ich Dee nie dorthin gefolgt... Fuck! Ich hoffe, er kommt darüber hinweg...«
 

Jackson schob seine Hände in die Jacke, achtete nicht auf seinen Weg. Egal wohin, es führte ihn sowieso von Robin weg. Immer weiter ging er, langsam, unaufhörlich trugen ihn seine Füße voran.
 

Eine Explosion in seinem Rücken ließ ihn herumfahren. Da hatte er gedacht, er wäre bereits meilenweit gelaufen, doch stattdessen waren es nur gut 500 Meter, die er zurückgelegt hatte. Sein Blick flog umher, suchte den Explosionsherd, den er vernommen hatte, und dort sah er ihn.
 

Seine Hand glitt wie von selbst in seine Jacke, zückte das Handy und wählte den Notruf. Rasch gab er alle Daten durch, während er sich im Eilschritt auf das Gebäude zubewegte, welches in die Luft geflogen war. Der Bomber hatte wieder zugeschlagen.
 

Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass Dee und Patrick ebenfalls auf die Straße rannten, um sofort Hilfe zu leisten.
 

Er stoppte vor dem Laden, sah sich einer Feuerwand entgegen, die ihn daran hinderte, hineinzugelangen. Doch etwas verwirrte ihn. Denn hinter dem Brandherd schienen Leute aufgeregt herumzulaufen und zu schreien.
 

„Alles okay da drin?“ schrie er aus Leibeskraft. Doch anscheinend immer noch nicht laut genug, dass ihn einer hören konnte. Seine Gedanken flogen. Immer wieder hatte der Bomber sie mit etwas Ungeahntem überrascht. Er hielt sich einfach nicht an das Profil, das sie entworfen hatten. Weder das nächstmögliche Ziel, noch was für eine Bombe er anwenden würde.
 

»Warum wieder Feuer... warum im Eingangsbereich? Will er die Zahl der Opfer klein halten? Nein?! Warum dann? Denk nach, Chris... verdammt...«

Seine Gedanken jagten einander, drehten sich im Kreis, als er auch schon Dee neben sich auftauchen sah.
 

„Kommen wir rein?“
 

„Nein! Von hier nicht... Irgendwas stimmt nicht! Dee... irgendwas ist anders,“ erklärte er und konnte einfach nicht den Finger auf den Punkt legen. Sah durch die Feuerwand, wie sich immer mehr Menschen vor dem Eingang einfanden. Da fiel ihm der Dime.
 

„Fuck! Wir müssen rein... eine Verbindung... die müssen vom Eingang weg... Das ist eine Falle!! Hast du die Nummer von der Sauna??“ fragte er und drehte sich zu seinem Partner um.
 

„Nein... Ach du Scheiße!“ Auch Dee schien es nun aufzugehen.
 

Patrick stand ein wenig ratlos daneben. Schnaubte und schaute auf die Uhr. Wohl weil er damit rechnete, dass jeden Augenblick die Sirenen der nahen Feuerwehr zu hören sein müssten, doch noch war alles ruhig. Auch wenn es schnell ging, fliegen konnten die Jungs nicht.
 

„Was meinst du, wie viel Zeit haben wir?“ Dee schaute ebenfalls auf die Uhr.
 

„Weiß nicht... wenn ich es wäre... ich würde ein oder zwei Minuten warten, bis fast alle Gäste oben sind... Gibt es nicht einen Hintereingang?“
 

Dee deutete mit dem Zeigefinger auf Chris und rannte los, dicht gefolgt von seinem Partner. Dass sie damit ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, schoben sie ganz weit nach hinten in ihre Gedankenwelt. Denn für Angst war jetzt der falsche Augenblick. Das Adrenalin schoss ihnen in alle Poren und beschleunigte ihre Schritte. Dennoch blieb es Chris nicht verborgen, dass sämtliche Gäste des Diner sowie deren Besitzer sich auf der Straße versammelt hatten und mit offenem Mund und regungslos auf das Tropical blickten.
 


 

Patrick hörte Dee’s Worte und kümmerte sich sofort darum. Teilte die Officer ein, die hier in der Christopher Street vermehrt Streife fuhren und soeben mit ihren Wagen ankamen. Sperrte die Straße weiträumig ab, was gar nicht so einfach war, wie er feststellte, denn immer neue Schaulustige drängten sich voran. So überließ Patrick McNear es der Streife, hier für Recht und Gesetz zu sorgen und ging zu dem Braunhaarigen, der wie wild nach ihm rief.
 

„Wo ist er... wo ist Chris?“
 

„Mach dir keine Sorgen, Kleiner.“
 

„Scheiße, er ist doch da hinten rumgerannt... ist er...“
 

„Bleib ruhig, Robin!“ kam Mark Patrick zu Hilfe und wollte seinen Bruder von der Straße wegholen, doch so einfach war das nicht.
 

„Nein! Mark, lass mich... ich muss wissen, ob er okay ist...!“ Flehend legte er seine Hände auf Marks Kragen, knäulte diesen praktisch zusammen.
 

„Okay, aber du gehst mir nicht näher ran...“
 

Patrick blieb bei den beiden Brüdern stehen, schaute sich ständig um. Nein, hier konnte er nicht helfen. Sein Blick irrte wieder zur Uhr. Es waren gerade mal dreißig Sekunden vergangen. Er selbst musste sich bremsen, um nicht hinter Dee herzurennen. Da er sich hier nicht auskannte, wäre er womöglich nur irgendwo falsch abgebogen. Also blieb er vor Ort. Delegierte und machte sich wichtig. Das war es, was er gut konnte.
 


 

Dee rannte vor Chris um die Ecke. Hier musste doch irgendwo der Hinterausgang sein. Noch eine Ecke weiter. Dee betete innerlich, dass sie nicht zu spät kommen würden. Schließlich sah er vor sich eine Treppe. Diese führte zu einer tieferliegenden Tür, die aber auch nicht mehr gerade in ihrer Angel hing. Eine weitere Explosion, die sie wohl überhört hatten, war Schuld daran, dass diese Tür so schief hing. Doch dadurch konnten sie einen weitern Brandherd ausmachen.
 

„Dieser...“ knurrte Dee und blickte sich hektisch um, ob es nicht noch eine Möglichkeit geben würde, um hinein zu gelangen.
 

„Das Dach?!“ fragte Chris und deutete hinauf.
 

Das Nachbargebäude, wohl ein Stundenhotel, hatte eine Feuerleiter und von dort konnten sie leicht auf das angrenzende Gebäude, in dem es brannte, gelangen.
 

Sie dachten nicht weiter nach, griffen hinauf, zogen die Leiter runter und begannen diese hochzuklettern, doch weit kamen sie nicht. Eine Druckwelle erfasste sie, schleuderte sie von der Leiter und ließ sie hart auf den kalten Betonboden in der Gasse aufschlagen, dass ihnen die Luft aus den Lungen fuhr. Trümmer regneten auf sie herab und sie versuchten hektisch, wenigstens ihre Köpfe vor den herumfliegenden Trümmern zu schützen. Erst dann hörten sie den Knall der Explosion.
 


 

Die Feuerwehr war gerade eingetroffen, vermummt mit Masken und Sauerstoffflaschen versuchten bereits die ersten, sich einen Weg durch den brennenden Eingang zu den hysterischen Besuchern der Sauna zu erkämpfen, als sie die Druckwelle erfasste. Sie flogen zurück auf die andere Straßenseite, rissen einige Schaulustige mit ihren Körpern um und blieben benommen liegen. Die Welle erfasste alle, schlug sich auf ihre Ohren und ließ die Glasfronten der im näheren Umfeld stehenden Gebäude schlagartig explodieren. Ein Glasregen fiel auf die Menschen, die sich versammelt hatten, nieder, Scherben gruben sich in die Haut, rissen Wunden. Doch das war nichts zu dem, was diese Bombe noch an Energie freisetzte. Der Knall, der folgte, war ohrenbetäubend, als ob man direkt neben einem Düsenjet die Ohrenschützer abgenommen hätte. Flammen schlugen aus dem gesamten Gebäude, selbst das Schreien verstummte schlagartig, als die Wände der Sauna dem Druck nachgaben und das gesamte Gebäude in sich zusammenfiel.
 

Patrick reagierte am schnellsten, drehte sich um, warf dabei die Steward-Brüder um, bevor die Welle sie erfasste. Staub, Trümmer und Glasregen fiel auf sie nieder, genauso wie auf die anderen, die jetzt alle flach auf dem Boden lagen. Er war es auch, der sich als erster wieder aufrappelte. Seine Sorge galt Dee, doch das musste er zurückstecken. Hier herrschte das pure Chaos, wie er feststellte. Die Menschen erhoben sich, starrten sich stumm an, erst dann kam der Schock. Sie sahen Blut aus ihren Wunden laufen. Meist nur kleine, von den Scherben verursachte Kratzer. Aber nach dem eben Erlebten war das mehr, als sie anscheinend verkraften konnten. Einige schrieen, andere hielten stumm ein Stück ihrer Kleidung auf die Wunde, oder übersahen sie einfach. Aber alles rannte durcheinander.
 

Der Feuerwehrwagen, der eben noch vor dem Tropical gestanden hatte, war umgekippt, hatte einige der dort stehenden Feuerwehrleute unter sich begraben. Patrick reagierte nur noch, sah sich zu den Brüdern um, doch durch den dichten Staub konnte er nichts erkennen. Er hoffte nur, dass es ihnen gut ging.
 

Sirenen näherten sich aus der Ferne. Er sah, wie ein weiter Feuerwehrzug sich einen Weg durch das Chaos bahnte, wischte sich über das Gesicht, um seinen Blick zu schärfen und den Staub wegzuwischen, der sich auf ihn niedergelegt hatte, doch es war zwecklos, sogleich spürte er, wie sich neuer auf ihm breit machte. Er rannte quer über die Straße, wich den Steinen, die hier rumlagen, aus und informierte die Neuankömmlinge über das Geschehen.
 

Patrick sah den Schock in den Augen der Männer, als sie zu ihren Kollegen und dem ungestürzten Zug blickten. Noch wussten sie nicht, wer sich darunter befand, aber das war auch egal, sie waren ein Team. Nichtsdestotrotz mussten sie jetzt mit der Situation klarkommen. Hier galt es noch, Menschen zu retten. Das Feuer musste gelöscht werden. Sie mussten ihrem Job nachgehen.
 

Patrick fand einen Officer, der wie er auch nichts abbekommen hatte, und scheuchte ihn zu den Verletzten auf der Straße. Er sollte diejenigen, die nicht laufen konnten oder zu schwer verletzt waren, finden und dann die Rettung für sie organisieren. Der Staub senkte sich langsam und so konnte er sich endlich einen Überblick verschaffen. So etwas hatte er noch nie gesehen. Seine Hand flog wieder einmal an seine Stirn, blieb dort liegen, während er von einer Straßenseite zur anderen blickte. Menschen rannen hin und her, brüllten. Bluteten und taumelten auf dem Weg zu den Sanitätern, die sich jetzt ankündigten und in einiger Entfernung, wohl aus Sicherheitsgründen, stehen blieben. Erst jetzt, wo alles so weit organisiert war, fiel ihm Dee wieder ein. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken und er wollte sich erst gar nicht ausmalen, was ihn erwartete, wenn er sich auf die Suche nach ihm machte.
 

Mark kniete neben seinem Bruder, der sich wieder krampfhaft an ihm festkrallte.
 

„Chris... Chris...“ schluchzte Robin auf.
 

Sein Bruder hingegen hatte ein andres Problem, denn er versuchte Robin nicht nur zu beruhigen, sondern auch die Blutung zu stoppen. Doch egal, was er auf die Wunde am Hals drückte, das Tuch war gleich durch. Er schrie nach einem Sanitäter, doch keiner schien ihn zu hören und diesen Cop, den Dee mitgebracht hatte, konnte er auch nicht ausmachen. Obwohl er langsam Panik bekam, dass sein kleiner Bruder neben ihm verbluten konnte, versuchte er diesen zu beruhigen.
 

Nach Stunden, wie es ihm vorkam, kam ein Officer angerannt, erkannte die Situation sofort.
 

„Bleiben sie ruhig, Sir. Ich hole Hilfe.“
 

Damit verschwand er wieder und tatsächlich tauchte er nur wenige Augenblicke später wieder mit einem Sanitäter auf.
 

Er warf nur einen Blick auf Robin, dann handelte er.
 

„Drücken sie fester zu, Officer, heben Sie ihn hoch und bringen Sie ihn sofort rüber zur Basis. Die Arterie muss abgeklemmt werden, dann schafft er es,“ erklärte er und schickte Mark und den Polizisten zu den wartenden Krankenwagen.
 

Björn, der hilflos daneben gestanden hatte, als der Sanitäter die beiden wegschickte, sah sich um. Erblickte Patrick, der sich anscheinend eben dazu entschlossen hatte, in die Gasse zu gehen, in der er Dee und Chris vermutete. Ohne zu zögern schloss er sich ihm an.
 

„Sie werden Hilfe brauchen,“ erklärte er nur.
 

Ihre Schritte wurden schneller. Würden sie sie überhaupt finden? Hatten sie eine Chance gehabt? Waren sie vielleicht sogar im Gebäude gewesen, als es einstürzte? Björn hoffte nicht. Hoffte es für seinen ‚Schwager’ in spe und für den vermissten Ryo.
 

Sie umrundeten die letzte Ecke und blieben stehen. All die Hoffnung, die sie gehegt hatten, schien mit einem Schlag wie ausgelöscht.
 

„Das...“
 

Ungläubig schaute Björn sich das vor ihm ausbreitendes Schlachtfeld an. Denn nichts anderes war es. Die Wucht der zweiten, denn von der hinteren Bombe wussten die beiden nichts, Explosion schien die Rückwand komplett zerfetzt zu haben. Kein Stein saß mehr richtig auf dem anderen. Die schmale Gasse, in der sie standen, war halb voll mit Geröll und in der Luft hing der verbrannte Staub und erschwerte das Atmen mehr als vorne auf der Hauptstraße.
 

Patrick war starr. Die Wände der angrenzenden Gebäude waren ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden und eine davon musste wohl abgerissen sein. Doch kein Zeichen von Dee. An Chris verschwendete er wie gewöhnlich keinen Gedanken.
 

„Das kann keiner...“
 

„Ruhe!“ fiel Patrick Björn ins Wort. Er wollte nichts davon hören. Nein, Dee war am Leben. Irgendwo eingeklemmt, aber am Leben. Daran musste er glauben. Er liebte ihn doch.
 

„CHRIS? DEE!“ rief Björn. Lauschte! Doch die Geräusche, die von vorne und von dem Tropical selbst ausgingen, ließen keinen leisen Ton durch. Unterdrückten ihn. Das Prasseln des Feuers, das noch immer wütete, das Geknirsche der morschen Wände und das Nachrutschen der obersten Etage, all dies verhinderte, dass sich jemand, sollte er das Inferno überlebt haben, melden konnte. Oder eher gesagt, gehört wurde.
 

„Der Eingang müsste hier gewesen sein... wenn es gebrannt hat, haben sie vielleicht...“ grübelte Patrick laut. Er wollte nicht das Schlimmste annehmen. Noch nicht.
 

„Das Dach? Vielleicht wollten sie...“
 

„Gute Idee!“ lobte er seinen Begleiter. „Aber... das...“
 

„NACHBARGEBÄUDE!“ dachten und sagten sie gleichzeitig.
 

Gemeinsam bahnten sie sich einen Weg über die Trümmer. Halfen sich gegenseitig und schließlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Doch das Ergebnis blieb das gleiche. Trümmer, wohin sie auch blickten. Sie konnten sich nicht das Ausmaß vorstellen, mit welcher Wucht die Bombe dieses Chaos angerichtet haben musste. Diese Gewalt, die in so einem kleinen Kasten schlummerte, war enorm und diese hier war gewaltig gewesen.
 

Erneut versuchte Björn es mit Rufen, aber immer wieder wurde er durch Hustenanfälle gebremst. Inzwischen hatten sie sich Tücher vors Gesicht gebunden und sahen aus wie früher die Bankräuber, aber lustig fanden sie ihr tun nicht.
 

Ihre Blicke schweiften über die Steine und Hölzer, die hier herumlagen. Beide machten sich ihre eigenen Gedanken. Björn war der erste, der sich etwas von dem Mittelpunkt entfernte und weiter die Gasse hinunterging, dort, wo es weniger gab. Er hatte sich die Wucht vor Augen geführt, hatte sich erinnert, wie weit der Feuerwehrmann geflogen war. Was, wenn Dee und Chris auch so einer Druckwelle ausgesetzt gewesen waren? Sie konnten nicht direkt nach hinten geschleudert worden sein, aber seitlicher?
 

„HEY!“ rief er zu Patrick, da er dessen Namen nicht kannte. Er hatte etwas gesehen.
 

„Was?“
 

„HIER! Hier liegt jemand!“ sagte er und sofort begann er damit, das Geröll von der Hand, die er gesehen hatte, wegzuräumen.
 

Als Patrick bei ihm war, half er ihm, die Eisenleiter, die quer über dem Cop lag, wegzudrücken und Jackson freizulegen. Sofort kniete Björn neben ihm nieder. Fühlte den Puls und atmete erleichtert auf, als er diesen vernahm.
 

„Chris? Chris?“ Björn wollte ihn nicht unnötig bewegen, aber er musste ihn wach bekommen, musste hören, wo Dee war.
 

Mit einem Stöhnen schlug der Weißhaarige, dessen Haare nun eher ein ungesundes Grau angenommen hatten, die Augen auf.
 

„Bist du okay? Wo ist Dee?“
 

„Mein... mein Bauch...“ stöhnte er und als Björn darüber fuhr, schrie Chris auf.
 

„Innere Verletzungen. Wir brauchen eine oder besser zwei Tragen... rufen Sie Hilfe, ich bleibe hier bei ihm,“ sagte Björn und ließ keinen Zweifel daran, dass er es auch notfalls mit Gewalt durchsetzen würde.
 

Tatsächlich zückte Patrick nur sein Handy und stellte fest, dass er es nicht gebrauchen konnte. Entweder war der Akku leer, was er sich nicht erklären konnte, oder aber diese Bombe hatte einen elektromagnetischen Impuls ausgesandt, der alle Mobiltelefone außer Kraft gesetzt hatte.
 

„Suchen Sie weiter nach Dee...“ sagte er und rannte wie von Furien gehetzt nach vorne, um Rettung zu holen. Eins sagte er sich dabei immer, wenn Dee gefunden werden würde, dann war gleich jemand da, der ihn versorgen konnte.
 


 

Mark blieb bei seinem Bruder, der nun nach einer Injektion schlief. Die Halsschlagader, die eine Scherbe aufgerissen hatte, war versorgt. Sie war nicht ganz gerissen, denn dann wäre es schwieriger gewesen, es vor Ort zu richten. Nun lag Robin weiß wie eine Wand auf dem weißen Laken und an seiner linken Seite war alles rot vor Blut. Aber er war okay, er würde durchkommen. Gleich sollte der Wagen mit ihm in die Klinik gefahren werden. Sie wollten nur noch zwei weitere leicht Verletzte mitnehmen.
 

Noch immer konnte Mark es nicht verstehen, was da passiert war. Dieser Irre. Er tötete ohne Sinn und Verstand. Er zog Unschuldige mit in seine Verdammnis. Menschen, die ihm nie etwas getan hatten. Menschen, die ihn noch nicht einmal kannten.
 

Er war diesem Cop dankbar gewesen, sie geistesgegenwärtig zu Boden zu werfen, aber wäre das auch passiert, wenn sie später, vielleicht von der Druckwelle erfasst, zu Boden gegangen wären? Wäre dann... Mark grübelte, fühlte sich schlecht. Ihm wurde fast übel bei dem Geruch nach Blut, der an ihm haftete. Deswegen war er auch von der Armee weg. Er konnte es nicht ertragen, Menschen leiden zu sehen. Er hasste es, auf Menschen zu schießen und war schließlich, nachdem er sich mit seinem Vorgesetzten angelegt hatte, unehrenhaft entlassen worden. Aber das war ihm egal. Jedenfalls brauchte er nicht in den Krieg zu ziehen. Zahlreiche Freunde und Bekannte hatte er bereits verloren im Irak-Krieg, hatte gehofft, dass er das alles hinter sich gelassen hatte, aber nein. Dieser Bomber holte all seine Erinnerungen zurück. All das, was er verdrängen wollte, was er gedacht hatte, vergessen, verarbeitet zu haben.

Als er in seiner Hand spürte, wie Robins Finger sich regten, wischte er sich seine Tränen aus den Augen, beugte sich über seinen jüngeren Bruder, strich ihm eine Strähne seines blutverschmierten Haares aus dem Gesicht.
 

„Ich bin bei dir, Brüderchen... du bist in Sicherheit.“
 


 

Björn blieb bei Chris. Viel mehr konnte er auch nicht tun. Alleine lassen wollte er ihn nicht. Denn er konnte sich ausmalen, wie es in dem Älteren aussah.
 

„Dee?!“ fragte Jackson gerade in diesem Augenblick und brachte Björn um die Ruhe, die er bisher ausgestrahlt hatte. Sollte er lügen oder sollte er ihm die Wahrheit sagen?
 

„Ich weiß es nicht, Chris. Ich weiß es nicht.“
 

„Er... er war... über mir... auf... auf der Leiter...“ schaffte er noch zu sagen, bevor eine Ohnmacht ihn von dem Schmerz in seinem Inneren vorläufig erlöste.
 

Erneut tastete Björn nach dem Puls. Der noch immer gleichmäßig, aber ein wenig flacher vor sich hin pumpte. Ein Zeichen, dass Chris zwar in Gefahr schwebte, aber wenn bald Hilfe auftauchte, überleben würde.
 

Wenn er noch länger zögern würde, könnte es für Dee das Aus bedeuten, es kam ja auch darauf an, wo oder wie er lag. Er zog seine Jacke aus und legte sie über Chris, damit sein Körper nicht auskühlte. Bei der Hitze, die hier herrschte, wohl kaum möglich, aber für ihn war es nun mal so.

Dass er über Chris gewesen war, hieß nicht automatisch, dass er weiter als Chris geflogen war. Aber die Leiter hatten sie auf Chris gefunden. Demnach ging Björn der Schlussfolgerung nach, dass Dee weiter weg liegen musste. Bei jedem Schritt, den er tat sah er auf den Boden, suchte, drehte Steine um. Schmiss Holz zur Seite. Doch von Dee fand er nichts. Rein gar nichts. Kein Hemdzipfel schaute aus dem Geröll heraus. Ständig rief er nach MacLane. Brüllte sich die Seele aus dem Leib. Ständig blickte er sich nach Chris um. Schätzte ab, wie weit er bereits gegangen war. Die Gasse war nicht lang, sie war eng. Nicht so ausgestattet wie bei ihnen mit einem Hinterhof. Er wollte gerade die Suche aufgeben, wollte zurück zu Chris, um nach ihm zu sehen, als er glaubte etwas zu hören. Erneut schrie er und diesmal war er sicher, dass er sich das ‚hier’ nicht eingebildet hatte.
 

Er rief erneut und folgte dem einzelnen Wort wie eine Fährte im Wald. Die Gasse endete hier und machte einen Knick, um dann weiter zu führen, und dort an der Hauswand sah er Dee. Erneut kniete er sich bei einem Verletzten nieder. Der Puls flog nur so. Dee’s Atem kam rasselnd und abgehackt.
 

„Chris?!“ war das erste, was er fragte.
 

„Er ist okay. Er kommt durch... ich hab ihn schon gefunden... wie geht’s dir? Kannst du aufstehen?“

Dee schüttelte träge den Kopf, neigte diesen dann, so dass Björn ebenfalls seinen Blick senkte und aufkeuchte.
 

„Dee!“ kam es leise, fast wimmernd als er das Stück Metall sah, welches seitlich in Dee’s Brustkorb steckte.
 

Er wusste, er musste etwas sagen, ihn beruhigen, aber der Anblick hatte ihm den Rest gegeben. Björn, der sonst die Ruhe in Person war, fing unkontrolliert an zu zittern. Es dauerte zwar nur einige Sekunden, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte, aber dann versuchte er, wie gewohnt ruhig und sachlich zu bleiben.
 

„Dein Freund holt Hilfe, ich hab ihn zurück geschickt... Die Rettung müsste gleich eintreffen.“
 

Dee blieb ruhig. Sein Körper fühlte sich an, als sei er aus Eis. Er konnte unterhalb seines Halses kaum etwas fühlen. Sein Rücken brannte von der Wucht des Aufschlages, daran konnte er sich erinnern, aber wie und warum er diese Stange in sich hatte, das wusste er nicht mehr.
 

„Sara... Ryo...“ hauchte Dee, als sein Kopf plötzlich und ohne erkennbaren Hinweis zur Seite kippte.
 

Björn fasste zu und hinderte den noch schlaffen Körper daran, seitlich wegzukippen und die Verletzung noch zu vergrößern. Er hielt ihn in seinen Armen, ohne ihn jedoch zu bewegen. Betete diesmal innig, dass dieser Kerl bald zurückkommen würde. Dee’s Haut fühlte sich trotz der Hitze kalt und feucht an. Was ihm mehr Angst einjagte war, dass der Puls immer flacher wurde.
 


 

Patrick rannte um die Ecke. Sah, dass sich hier immer noch viel zu viele Menschen aufhielten, aber das Chaos von eben schien sich dennoch langsam zu lüften. Ohne sich um die anderen zu kümmern, jagte er zu den Sanitätern. Schnappte sich den ersten Arzt, dessen er habhaft werden konnte, und berichtete in aller Ruhe und schnell, was er hinter der Sauna gefunden hatte.
 

Brian Foster, der Arzt, den Patrick angesprochen hatte, zögerte keine Sekunde. Rief vier Sanitäter zu sich und orderte zwei Tragen. Dann rannte er los. Aber nicht in die Richtung, in die Patrick zeigte, sondern geradewegs in die andere.
 

Der Doc kannte sich hier aus. Schließlich war er hier Stammgast, und so wählte er die Abkürzung von ihrem Standpunkt aus gesehen. Deswegen erreichte er auch erst Dee.
 

Als Björn Schritte vernahm, rief er nach den Personen und war erleichtert, als er einen Arzt erkannte.
 

„Wie geht’s ihm?“ fragte Foster, fühlte den Puls und wollte Dee gerade in die Horizontale bringen, um ihn dann auf die Trage zu heben, als Björn ihn aufhielt.
 

„Es steckt in seiner Brust... ich weiß, nicht wie lang das Metallstück ist, ich halte ihn nur aufrecht. Dee ist vor einer Minute in Ohnmacht gefallen und...“
 

„Okay...“ Der Doc schaute sich das Metallstück an. Da er nicht wusste, wie tief es in Dee steckte, konnte er es unmöglich einfach so herausziehen. Es konnten Haken, Nieten oder wer weiß was noch dran hängen, obwohl die Eintrittswunde eher gerade und rund aussah. Er folgte, dem Metall bis er an einen Stein ankam, in dem es endete. Also eine Verstrebung der Wände, nahm er mal an. Oder eine Halterung von einer Leiter, alles war möglich.
 

„Sam... wir brauchen eine Drahtschere... groß, wir müssen ihn so mitnehmen...“ erklärte er. Erneut fühlte er den Puls. Ließ sich von dem anderen Sanitäter eine Spritze aufziehen, die er Dee sofort verabreichte.
 

„Der andere?“
 

„Er liegt gut 200 Meter von hier, ich habe meine gelbe Jacke über ihn gelegt. Scheint innere Verletzungen zu haben. Sein Puls war eben noch okay. Wir haben ihn freigelegt, war mit Trümmern übersät.“
 

„Okay, Sie bleiben hier bei Dee. Halten Sie ihn weiter ruhig. Wir kümmern uns erst um den anderen,“ erklärte er und rannte dann zu Chris. Stellte fest, dass Björn mit seiner Mutmaßung recht hatte. Chris war schnell geborgen und als sie ihn an Dee vorbei trugen, tauchte Sam mit dem gewünschten Handwerkszeug auf.
 

„Okay. Sam... Cooper, und Sie bitte auch, haltet ihn ruhig. Es kann sein, dass er trotz der Spritze Schmerzen hat,“ erklärte Foster, bevor er das Metallstück von dem Stein mit der Drahtschere durchtrennte. Zum Glück blieb Dee ruhig, schien nicht aus der Ohnmacht aufzuwachen. Langsam und gleichmäßig hoben sie ihn auf, legten ihn auf die Trage.
 

Ein Schrei erfüllte plötzlich die Gasse. Ein Schrei, der einem durch Mark und Bein ging, doch gleich herrschte wieder Ruhe, als Dee seinen Schrei beendete und erneut bewusstlos wurde.
 

„W... was... w... war das?“ stammelte Björn, der so was noch niemals zuvor gehört hatte.
 

Da sie nicht schnell gehen konnten, um den Körper nicht noch mehr zu belasten, blieb Björn und Brian ein wenig Zeit zum Reden.
 

„Ich habe damit eher gerechnet, aber egal. War er bei Bewusstsein, als Sie ihn fanden, hat er was gesagt?“
 

Noch immer war jegliche Farbe aus Björns Gesicht gewichen.
 

„Ja... ich denke, das Metallstück steckt in seiner Lunge. Sein Atem kam rasselnd, so als ob die Lunge nicht dicht wäre.“
 

„Okay. Das war eine prima Leistung von ihnen,“ lobte Foster den Diner-Besitzer.
 

„Wird er durchkommen?“
 

„Ich hoffe es. Ich werde gleich mit ihm fahren. Wollen Sie mit?“
 

Björn zögerte erst gar nicht sondern nickte nur.
 

Patrick stand die ganze Zeit daneben, als ob er nicht dazu gehörte. Hier war eine Gemeinschaft und niemand kümmerte sich darum, wie es ihm ging. Jeder sorgte sich um Dee und Chris. Aber niemand... um ihn! So war es schon immer gewesen. Daran würde sich wohl nie etwas ändern. Mit bleichem Gesicht sah er Dee nach, wie er sich mit Björn und dem Arzt im Krankenwagen weiter von ihm entfernte.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Ryo wachte auf. Irgendwas hatte ihn aus seinem tranceähnlichen Schlaf gerissen. Sein Körper schmerzte. Es gab keinen Fleck an ihm, den sein Peiniger gestern, »War es gestern gewesen?« ausgelassen hatte.
 

Seine Wange brannte von dem Schlag an der rauen Wand, die sie aufgerissen hatte. Seine Schultern schmerzten, fühlten sich an, als ob sie ihm fast ausgerissen worden wären, doch am schlimmsten war sein Rücken.
 

Noch immer vermeinte er die höhnischen Worte von diesem Kerl zu hören. Jedes Mal, wenn die Peitsche sich tief in seinen Rücken fraß. Ryo wusste nicht, wie viele Schläge er ausgehalten hatte, bis er bewusstlos geworden war. Wie oft ihm der Kerl Wasser ins Gesicht geschüttet hatte, um ihn wieder wach zu bekommen, nur um mit dem Auspeitschen weitermachen zu können. Es fühlte sich an, als ob ihm die Haut in Fetzen vom Rücken hing. Das letzte, was er noch wahrgenommen hatte, war gewesen, wie der Kerl einen Eimer mit Salzwasser über ihm entleert hatte. Danach wusste er nichts mehr.
 

Nun lag er wieder auf dem Tisch. Gefesselt wie bei seinem ersten Aufwachen. Das Gesicht jedoch gen Boden gerichtet und nicht gegen die Decke. Ryo konnte sich nicht rühren, so fest waren seine Fesseln. Doch wieder waren es geschützte. Weiche, die ihm nicht in die Gelenke schnitten. Er sollte ja nur leiden, wenn der andere sich auch daran erfreuen konnte.
 

Ryo versuchte ruhig zu atmen, doch das war nicht so leicht. Seine Halskette war eng geschnallt. Fast zu eng, wie er fand, denn das Atmen bereitete ihm enorme Schwierigkeiten. Erneut versucht er, sich daran sich zu erinnern, was ihn geweckt hatte. Doch nichts hörte er. Da war rein gar nichts.
 

Er schloss seine Augen und suchte in seinen Gedanken nach Dee und Sara. Dem einzigsten, was ihn in dieser Zeit noch am Durchhalten hielt.
 

***** TBC

Freitag - 06. August – noch später

~~~~ In Black’s Büro ~~~~
 

Aaron sah sich gerade die letzten Aufzeichnungen von Mick durch und legte sie dann auf den aufgeräumten Schreibtisch vor sich.
 

„Gute Arbeit, Mick,“ lobte er seinen langjährigen Vertrauten.
 

„Demnach übernimmst du dann auch meine Spesen, die ich gehabt habe?“ fragte der sachlich. Denn hier ging es ums Geschäft und nicht ums Private. Lange war er weg gewesen und nun endlich konnte er seine Ergebnisse vorweisen. Die täglichen Telefonate waren nicht mit dem zu ersetzen, was sie sonst miteinander teilten.
 

„Nun, ich denke, dass w... Was zum?!“ donnerte Black auf einmal los, als seine Bürotür unaufgefordert aufgerissen wurde und ein Mann ohne anzuklopfen hereingerannt kam.
 

„Das Tropical... ist eben hochgegangen!“ kam es etwas atemlos von Steve, bevor er von seinem Boss noch mehr angefahren werden konnte.
 

Black erhob sich so rasch, dass der Sessel zurückstob und einige Meter hinter ihm erst zu stehen kam.
 

„Sag das noch mal, Cotton!“ entfuhr es Aaron entsetzt.
 

Seine sonst so beherrschten Gesichtszüge entglitten ihm und zeigten das pure Entsetzen. Freunde von ihm arbeiteten dort, waren dort. Dem Besitzer hatte er selbst das Geld geliehen. Hatte ihm sogar als stiller Teilhaber am Anfang geholfen und war es seitdem auch geblieben.
 

„Was weißt du noch?“ übernahm nun erst einmal Mick, der rasch zu seinem Lover ging und ihm den Stuhl erst einmal zurechtrückte, damit er den Schock im Sitzen verkraften konnte.
 

„Sieht übel aus. Ich hab’s über Polizeifunk mitbekommen. Das gesamte Gebäude soll eingestürzt sein. Es sollen zwei Bomben gewesen sein, aber das ist noch alles vage, noch keine Bestätigung. Ich habe Dee versucht zu erreichen, aber sein Handy scheint tot zu sein.“
 

„Ich kümmer mich drum.“ Prescott legte eine Hand auf Black’s Schulter. „Ich fahr mal vorbei... ich meld mich dann.“

Sanft und aufmunternd drückte er kurz zu. Ging dann an Steve vorbei, dem er kurz zuraunte, dass er Black einen Scotch machen sollte, bevor er in seinen Hummer stieg und zur Christopher Street fuhr.
 

~~~~ Christopher Street ~~~~
 

Dort angekommen kam er nicht weit. Weiträumig war abgesperrt worden. Viel Polizei, viele Krankenwagen, und selbst die Feuerwehr war noch da. In der Luft hingen noch immer Staubpartikel, die sich schwer auf seine Lungenflügel legten. Ihm kam es so vor, als ob er in einem Kriegsgebiet gelandet wäre. Mit den Blicken suchte er nach jemandem, den er kannte, jemandem, der ihm Informationen geben oder ihm sogar durch die Absperrung helfen konnte, doch wenn man mal einen brauchte, war wie üblich keiner zur Stelle.

Nach einigen Minuten schaffte er es dennoch, sich an der Absperrung durchzumogeln. Wich geschickt den dortigen Wachmännern aus und stand nun in einem Trümmerfeld.
 

«Da kam keiner raus...» schoss es ihm spontan durch den Kopf.
 

Da er keinem im Wege rumstehen wollte, ging er auf die gegenüberliegende Straßenseite und sah sich um. Scherben lagen hier zuhauf auf dem Gehweg, gefolgt von Steinen, die wohl drüben zur Sauna gehörten. Der Brand schien von der Feuerwehr inzwischen unter Kontrolle gebracht worden zu sein. Auch die Nachbarhäuser wurden zur Sicherheit befeuchtet. Aber ein Übergreifen schien Prescott unmöglich.
 

Er strich sich durch sein kurzes Haar und atmete flach, denn er wollte nicht so viel von dem feinen Staub inhalieren.
 

„Was tun Sie hier?“
 

«Ertappt,» war das erste, was ihm dazu einfiel, als er sich umdrehte und den Commissioner vom 27. Revier erblickte, der sich vor ihm aufbaute.
 

„Immer wenn irgendwo was hochgeht, taucht einer von Black’s Leuten auf. Also, was wollen Sie?“
 

„Ist wohl kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass die Sauna mit zu seinem Geschäft gezählt hat. Er war Teilhaber,“ gab Mick frei bekannt. Würde eh nicht lange dauern, bis die Cops das selbst herausfinden würden.
 

„Selbst die Presse halten wir noch zurück. Woher wissen Sie es?“
 

„Glauben Sie wirklich, Commissioner Ross, dass ein Geschäft von Black in die Luft fliegen kann, ohne dass er darüber sofort informiert wird? Wären Sie so freundlich, mich über die Sachlage zu informieren?“

Mick verstand es, sachlich und präzise mit dem Commissioner umzugehen, ohne ihn jedoch in die Ecke zu drängen.

„Man hört, es seien zwei Explosionen gewesen? Gibt es Augenzeugen, Überlebende... wie viele...“
 

„Mal halblang. Mr...?“
 

„Prescott. Mick Prescott. Ich bin die rechte Hand von Black,“ gab er sich zu erkennen. Meist war er nur neben Aaron zu erblicken, kaum trat er selbst in Aktion, aber das hier wollte er ganz einfach seinem Boss nicht zumuten.
 

„Mr. Prescott. Bisher wissen wir nicht viel. Die Bergung der Verletzten hier auf der Straße ist abgeschlossen. Es waren gut zwanzig Personen. Darunter Leicht- aber auch Schwerverletzte. Tote haben wir bisher nur die Feuerwehrmänner unter dem Truck...“ Barclay deutete zu dem umgekippten Löschfahrzeug, welches noch immer auf der Seite lag und auf einen Kran wartete, um wieder aufgerichtet zu werden. Überlebende würden sie dort auf keinen Fall mehr finden.
 

„Im Tropical?“
 

„Wir wissen es noch nicht. Jedoch gehen wir von 20 – 30 Toten aus. Doch näheres kann ich dazu noch nicht sagen.“
 

„Ich danke Ihnen, Commissioner. Es ist... Haben Sie denn inzwischen eine Spur zu dem Bomber?“ fragte er weiter, ohne direkt neugierig zu sein. Notizen machte er sich auch nicht, dazu hatte er ein viel zu gutes Gedächtnis.
 

„Wir haben einige Spuren, denen wir nachgehen.“
 

Genau das hatte Mick befürchtet. Die Cops tapsten immer noch ahnungslos durch die Welt. Doch er wollte hier nichts vorwegnehmen. Obwohl die Taten des Bombers immer schlimmer wurden, konnte er Black nicht einfach übergehen.
 

„Schön zu hören, dass unsere Steuergelder nicht umsonst hinausgeworfen werden,“ konnte er sich dennoch einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen.
 

„MacLane hat’s erwischt!“ sagte er und hielt Mick auf, der sich zum Gehen abgewandt hatte.
 

„Schlimm?“
 

„Sieht schlimm aus. Wir hoffen, dass er durchkommt. Genauso wie Chris Jackson. Sie kennen ihn?“
 

„Ja!“

Ihm war nun doch ein wenig mulmig. Ryo entführt, Dee verletzt. Was sollten sie Sara sagen, wenn sie nach ihren Daddys fragte?

„Wo liegt er?“
 

„Medical Center.“
 

„Danke.“
 

Barclay wusste nicht, warum er so freiwillig die Informationen freigab, aber er erhoffte sich daraus eine neue Erkenntnis. Doch die blieb ihm verschlossen.

Er sah Prescott nach, beobachtete, wie dieser sein Handy zückte, es sich dann doch anders zu überlegen schien und auf einen Gegenstand auf dem Boden blickte.
 

„Ross?“ hörte er seinen Namen von Prescott, der nun in die Knie ging und ihm sogar zuwinkte, zu ihm zu kommen. Barclay fand keinen anderen Ausdruck als Nervosität in all diesen Gesten, doch zögerte er nicht länger sondern folgte erst einmal der Aufforderung.
 

„Sie sollten das hier überprüfen lassen. Und wenn Sie Wert auf meine Meinung legen: rufen Sie die Bomb-SWAT. Eine Abriegelung im Umkreis von einigen Häusern müsste genügen,“ äußerte Mick zu dem Commissioner. Teilte ihm einfach ungefragt seine Meinung mit, als dieser neben ihm stehen blieb.
 

Sofort und unüberlegt zückte Barclay sein Handy, doch wurde ihm dieses mit einer raschen aber sanften Bewegung von Prescott entwendet. So schnell, dass Ross noch nicht einmal mitbekommen hatte, wie dieser aufgestanden war.
 

„Ich lebe recht gern, Commissioner. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass die erste Bombe im Frequenzbereich gezündet wurde... ich möchte kein unnötiges Risiko eingehen. Warten Sie einfach mit dem Anruf, bis ich ums Eck bin... dann ist es mir ehrlich gesagt egal.“
 

Mick reichte Ross sein Handy und ging um die Ecke.
 

Doch entgegen dem, was Barclay eben noch vorgehabt hatte, nahm er nun die Beine in die Hand und rannte zu seinem Dienstwagen. Orderte das Bombenkommando und winkte J.J. Adams zu sich.

Rasch erteilte er ihm den Auftrag, weiträumig alles zu evakuieren. Auch die Gebäude an sich sollten leergeräumt werden. Adams stellte keine unnötigen Fragen. Noch immer saß ihm der Schock über die Nachricht von den verletzten Kollegen, insbesondere Dee, tief im Magen.
 

~~~~ Irgendwo in China Town ~~~~
 

Frustriert über sein Scheitern warf er einen kleinen braunen Kasten auf die Couch. Schmiss die Tür hinter sich zu und trat gegen die Wand.
 

«Was hatte er da zu tun? Was muss er mir diesen, meinen schönsten Auftritt versauen??»
 

Erneut schossen ihm diese Gedanken durch den Kopf.
 

Dabei hatte er sich alles so schön zurechtgelegt. Und alles lief nach Plan.
 

Die erste Bombe, sperrte sie in diesem Pfuhl der Sünde und Verderbtheit ein, die zweite erlöste sie von ihren Qualen und schickte sie in die Hölle, um dort weiter im Feuer der Verdammnis zu schmoren. Von seinem Platz aus hatte er sogar die Angst in den Gesichtern erblicken können. Nein, sie waren gefangen gewesen. Gefangen in seiner Hölle aus Feuer. Erlöst durch ihn. Und dennoch war er gescheitert. Weil er die dritte Bombe nicht zünden konnte. Weil sein Bruder mitten unter diesen Gaffern gewesen war. Er wusste, dass er ihn gesehen hatte. Hatte ihm direkt in die Augen geblickt und sich kurz vor der Explosion retten können.
 

Er war nur noch stinksauer. Nichts lief nach seinem Plan. Anstatt Hunderte von Toten zu haben, waren es wohl nur diese Homos in der Sauna, die er zur Rechenschaft gezogen hatte.
 

Noch immer wühlte die Wut in seinem Bauch. Noch immer hätte er die Möglichkeit, die Bombe zu zünden. Aber was wäre der Effekt davon? Ganz einfach. Nichts! sagte er sich ständig. Deswegen hatte er auch rasch den Schauplatz verlassen. Er wusste noch nicht einmal, ob sein Bruder unbeschadet geblieben war. Und wenn nicht? Was scherte es ihn? Was musste er da auch auftauchen?
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Auf der Christopher Street war alles so weit wie möglich unter Kontrolle. Die Absperrung stand, die Rettungsmaßnahmen liefen reibungslos und das Feuer war auch so gut wie unter Kontrolle, als sich Patrick McNear vom Schauplatz des Bombers verabschiedete und sich auf den Weg zum Krankenhaus machte. Jedoch erst, nachdem er den Leiter des 27. Reviers über die Vorfälle informiert hatte. Auch die Verletzungen von Dee und Chris erwähnte er. Aber hauptsächlich blieb er bei dem Ablauf der Bomben und dem, was er gesehen hatte. Im Anschluss daran war er dann gleich zu seinem Wagen gegangen und hierher gefahren.
 

Nun stand er ein wenig hilflos auf den Gängen der Notaufnahme herum. Der Schwung der Krankenwagen hatte nachgelassen. Obwohl es hier noch hektisch zuging, schien es auch hier langsam wieder übersichtlicher zu verlaufen. Da er annahm, dass Dee wohl im OP war und ihm somit sowieso die Hände gebunden waren, setzte er sich schließlich auf einen der Stühle und wartete.
 

~~~~
 

Prescott informierte seinen Boss über das, was er herausgefunden hatte, und teilte ihm per Handy mit, dass er sich auf dem Weg ins Krankenhaus befand. Da sie sich dort treffen wollten, hielt er das Telefonat so knapp wie möglich. Das, was er sich auf dem Weg dorthin zusammenreimte, konnte er dann auch noch später mit ihm von Angesicht zu Angesicht klären.
 

Er parkte den Hummer und wartete auf seinen Boss auf dem Parkplatz. Drinnen fand er die Luft immer recht unangenehm und steril. Außerdem wäre es nicht das erste Mal, dass man sich in einem Krankenhaus Krankheiten einfing, die man vorher nicht hatte. So lehnte Mick sich bequem in dem Sitz zurück und ließ sich von einer alten Jazz-CD die Gedanken reinigen.
 

Mick wusste nicht, wie lange er hier gesessen hatte, als er endlich den Bentley von seinem Boss auf den Krankenhausparkplatz fahren sah. Die Musik beendete er mit einem Knopfdruck, stieg aus und ging zu seinem Boss.
 

„Wir müssen handeln, Black. Da Dee und Chris nun außer Gefecht gesetzt sind, sollten wir in Erwägung ziehen, den Commissioner mit ins Vertrauen zu ziehen?“
 

„Ross?“
 

„Ich weiß ja nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, Aaron. Aber denk an die Menschen, die hier ständig wegen diesem Bomber ihr Leben riskieren oder verlieren. Es sind schon zu viele Unschuldige geopfert worden. Es reicht und diesmal lasse ich mich nicht aufhalten. Entweder du redest mit ihm oder ich!“ kam es leise bestimmend mit einem Hauch Drohung rüber.
 

Aaron, der es gerade mal geschafft hatte auszusteigen, bevor er von seiner rechten Hand so angefahren wurde, bremste ihn mit einer flüchtigen Handbewegung.
 

„Hast du den Namen?“
 

Mick nickte.

„Es passt alles. Ich habe es schon überprüft. Er kennt sich in allem aus. Ich habe seine Akte gelesen. Habe sogar eine Kopie. Inoffiziell, versteht sich. Er wohnt seit einigen Jahren hier. Keine Ahnung, warum er so lange gezögert hat, oder es kam ihm ganz einfach ein Einfall, es auf diese Weise zu tun, ich weiß es nicht,“ gab er zu. „Aber das psychologische Gutachten, das nach diesem Vorfall in Mexico angefertigt worden ist, spricht Bände.“
 

„Ich werde darüber nach...“
 

„Nein! Verdammt, Aaron. Wir haben keine Zeit für diese Art von Spielchen. Es waren heute nicht zwei Bomben, es sollten drei sein! Ich habe eine entdeckt. Warum er diese nicht gezündet hat, weiß ich nicht. Aber er wird nicht ruhen... Ich sage es nochmals, Black. Entweder...“
 

„Ich sagte, ich denke darüber nach. Und jetzt Schluss damit,“ schnitt Black ihm eisig das Wort ab. Spielte sich als eiskalten Geschäftsmann auf, den er sonst nur seinen Geschäftspartnern vorspielte, aber anders kam er gegen Prescott nicht an, wenn der so drauf war.
 

Die Wangenmuskeln von Mick mahlten und er sah unwirsch auf seinen Boss. Nein, er würde nicht länger zögern. Aber im Stillen gab er ihm recht. Wenn sie es jetzt auch gleich Ross erzählen würden, würde das nur ein langes Hinziehen bedeuten. Wahrscheinlich wollte dieser genauestens darüber informiert werden, wie sie an die Informationen gelangt waren und warum sie nicht eher zu ihm gekommen waren. Er hatte noch nie viel mit dem Commissioner zu tun gehabt. Trotzdem konnte er sich vorstellen, dass er dann auch von Ryo anfangen würde. Dass es doch auch ihr Plan gewesen war und dass MacLane nur ihretwegen entführt worden war.
 

„Okay! Ich warte, bis wir wissen, wie es Dee geht. Längstens bis morgen,“ gab er nach, drehte sich um und ging schnurgerade ins Krankenhaus.
 

Aaron wusste, wie schwer seinem Lover diese Entscheidung gefallen sein musste. Dennoch hatte er sich durchgesetzt. Er hatte Zeit bekommen. Zeit, die er zum Nachdenken nutzen musste. Denn auch ihm ging es nicht nur um den Bomber. Sie mussten auch an Ryo denken, und was diese Aktion für den Halbjapaner bedeuten konnte.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Ryo wusste einfach nicht, wie er den Entführer einzuschätzen hatte. Mal war er brutal und rücksichtslos, dann wieder sanft und einfühlsam. Seine Wunden im Rücken hatten sich dank seiner Pflege nicht weiter entzündet, waren schon fast alle verheilt.
 

Da er unter guter Heilhaut litt, rechnete er so seine Zeit auf, die er nun hier verbracht hatte. Tageslicht fehlte ihm und er konnte nicht einschätzen, wann ein neuer Tag anbrach, da sich sein Peiniger zu fast jeder Zeit blicken ließ. Manchmal stundenlang nicht, manchmal jede halbe Stunde. Mal schaute er nur kurz rein, brachte ihm das Essen, was er nicht mehr verweigerte, denn er hatte sich dazu entschlossen, bei Kräften zu bleiben. Dazu reichte Wasser alleine nicht aus. Der leichte Drogeneffekt, daran gewöhnte er sich langsam. Konnte es niederringen, wenn die Wirkung meist kurz nach dem Essen zu grell und zu laut wurde. Sein Rhythmus richtete sich nach dem Erscheinen und Essen.

An seine erste Zeit hier konnte er sich nicht mehr erinnern. Wusste auch nicht, wie lange er bewusstlos auf diesem Tisch gelegen hatte. Den Tisch, den er inzwischen hasste und den sein Peiniger zu lieben schien.
 

Nach seiner Rechnung müsste er gut drei oder vier Wochen gefangen sein. Noch nicht lange, wenn man an andere Entführungsopfer dachte. Einige waren für Jahre verschwunden, andere nur für Tage. Es kam meist auf den Entführer an.
 

Bisher war Ryo einfach nicht schlau geworden, was dieser von ihm wollte. Manchmal brannte ihm das Wort ‚Zwerg’ auf den Lippen. Doch provozieren wollte er ihn nicht noch einmal, dazu war sein Rücken erst zu knapp verheilt. Also schluckte er weiter daran und grübelte, warum sein Peiniger ihn ‚Schneewittchen’ nannte.
 

Vor einigen Stunden hatte er Schmerzen gehabt, unglaublich tierische Schmerzen in seinem Innern, dass er meinte, daran eingehen zu müssen. Aber dann waren sie wie weggeblasen. Es war nicht das erste Mal, dass er sich seitdem fragte, ob mit seinem Mann alles in Ordnung war. Dee fehlte ihm so unsagbar, genauso wie seine kleine Tochter.
 

Ryo rappelte sich von seiner Behelfsliege aus alten Klamotten auf und taumelte zum Waschbecken, wo er trank. Sein Hals fühlte sich trocken wie ein Reibeisen an. Zurück auf seiner Liege krümmte er sich zusammen. Wünschte, dass er noch lange seine Ruhe haben würde, bevor der Entführer ihn das nächste Mal heimsuchte.
 

**** TBC

Freitag 6. August – Abend

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Völlig erledigt und ausgebrannt zog sich Doktor Brian Foster den Mundschutz vom Gesicht. Ging in den Nebenraum und wusch sich gründlich die Hände bis hoch zu den Oberarmen. Es war eine recht haarige Operation gewesen und nicht nur einmal stand dabei das Leben von Dee MacLane auf dem Spiel.
 

Das Rohrstück hatte die Lunge knapp verfehlt. Dennoch hatte ein kleiner Riss darin gesorgt, das Dee fast an seinem eigenen Blut ertrunken wäre. Diesen Tag würde der schwarzhaarige Cop wohl nie wieder vergessen. Nur durch die geschickten Hände von Doktor Foster und seinem eingespielten Team war es möglich gewesen, ihn dreimal zurückzuholen. Zuletzt musste er sogar so weit gehen und das Herz per Handmassage wieder zum Schlagen bringen. Noch war Dee bei weitem nicht über den Berg.
 

„Gute Arbeit, Kollege,“ schlug ihm sein Assistenzarzt auf die Schulter.
 

„Ist er schon aufgewacht?“
 

„Nein, aber das sollte bald geschehen. Sie machen sich Sorgen?“
 

„Ja. Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, was wir konnten. Er hat ein Kämpferherz... es gibt Menschen, die ihn brauchen, die ihn lieben... das wird ihm helfen.“

Müde stützte er sich auf das Waschbecken, als die Tür hinter ihm aufgerissen wurde.
 

„Doc, die Werte sehen schlecht aus...“
 

Ohne zu zögern ließ er sich erneut sterile Handschuhe überstreifen und rannte zurück in den OP-Bereich, wo Dee erneut unter den Lampen lag. Ruhig, wie tot, doch sein Herz schlug diesmal kräftiger.
 

„Innere Blutungen? Machen wir in nochmals auf!“ erklang es ruhig und gefasst.
 

„Skalpell!“
 

~~~~
 

Eine Tür öffnete sich. Vier Köpfe hoben sich und vier Menschen standen auf, verbauten dem Arzt, der den OP-Bereich verließ, den weiteren Weg.
 

„Sie sind?“ fragte er ruhig, aber man hörte die Anspannung, die diesen Arzt noch aufrecht hielt. Frisch sah er auf alle Fälle nicht mehr aus und eine Dauer-OP von mehreren Stunden, nachdem man bereits eine Doppelschicht hinter sich hatte, war auch nicht gerade förderlich für den Zustand eines Patienten.
 

„DCI...“
 

„Ross. Commissioner Ross. Es sind meine Männer dort drinnen. MacLane? Er hatte eine Eisenstange in der Lunge, wie ich hörte, und Chris Jackson mit vermutlich inneren Verletzungen,“ unterbrach Barclay den Auftritt von McNear, schob ihn aus dem Weg.
 

„Innere Verletzungen. Ja. Den hatte ich,“ nickte er und wischte sich träge über die feucht glänzende Stirn.
 

„Und?“ kam es von drei Stimmen. Denn Patrick hatte geschwiegen. Chris interessierte ihn nicht so sehr, daraus brauchte er auch keinen Hehl zu machen, das konnte hier ruhig jeder wissen.
 

„Wenn es in der Nacht keine Schwierigkeiten gibt, sehen die Chancen gut aus,“ erklärte Doc Miller und nickte den Anwesenden zu, während er sich schon abwenden wollte, um zurückzugehen.
 

„Warten Sie, Doktor. Wie schlimm war es?“
 

Ein müder Blick über die Schulter, gefolgt von einem Seufzer, drehte sich der Arzt um.
 

„Sie sind?“
 

Da Aaron Black wusste, dass nur Familienangehörige genauere Auskunft erhalten würden, zögerte er nicht, dem Arzt die gewünschte Auskunft zu geben.
 

„Er ist mein Halbbruder.“
 

Erneut folgte ein Nicken, dann nahm er Black ein wenig zur Seite, denn er durfte seine ärztliche Schweigepflicht nicht zu laut brechen.
 

„Seine Leber mussten wir zum Teil entfernen, ebenso eine Niere. Sie muss wohl geplatzt sein, wie es aussah. Den Riss im Magen sowie in der Galle konnten wir verschließen. Er hat noch einige Quetschungen der Därme aber wie gesagt, es sieht nicht schlecht aus. Die nächsten 24 Stunden sind entscheidend... Sobald er stabil ist, bringen wir ihn auf die Intensivstation. Melden Sie sich dort...“
 

„Danke!“
 

Die vier folgten dem Abgang des Arztes und erst, als dieser die Tür hinter sich geschlossen hatte, drehte sich Barclay zu Black um.
 

„Ihr Halbbruder?“ staunte er nun nicht schlecht.
 

„Ob Sie es glauben oder nicht. Ja. Chris ist mein Halbbruder,“ sagte Black aggressiv und nur dem Eingreifen von Prescott war es zu verdanken, dass er sich nicht weiter aufplusterte.
 

Doch das wäre gar nicht nötig gewesen, denn schon wieder öffnete sich die Tür. Ein Blick in die Runde und Foster ging direkt auf Barclay zu.
 

„Dee war kurz wach. Er ist bereits auf dem Weg auf die Intensivstation. Jedoch möchte ich, dass ihn im Augenblick keiner besucht. Geben Sie mir einen, maximal zwei Namen, die ihn besuchen dürfen. Ach, und noch was. Machen Sie ihrem Team Feuer unter dem Hintern! Dee braucht jetzt Ryo und Sara. Wenigsten einen von beiden. Sagen wir, in den nächsten drei Tagen will ich einen von denen hier sehen. Wir haben uns verstanden?“ sagte er und stach dabei mit seinem schlanken, feingliedrigen Zeigefinger auf Barclays Schulter.
 

Ohne den anderen eines Blickes zu würdigen, drehte er sich herum und ließ die schalldichte Tür hinter sich einrasten.
 

„Ich will die Erlaubnis, ihn...“
 

„Das werden wir hier nicht diskutieren, McNear,“ unterbrach Ross ihn erneut, drehte sich dann zu Black um.
 

„Dee geht’s soweit... ich denke, wir werden uns in nächster Zeit wohl öfters über den Weg laufen. Also sollten wir mal fürs erste das Kriegsbeil begraben. Was meinen Sie?“
 

Black zögerte nicht lange. Nickte und besiegelte es per Handschlag.
 

„Können wir Sie kurz sprechen... Wir werden Sie auch nicht lange aufhalten,“ sagte Black, der, da das Angebot von Barclay kam, nun erst recht davon überzeugt schien, dass eine Zusammenarbeit äußerst sinnvoll sein könnte.
 

Wütend blickte Patrick McNear den dreien nach. Hier konnte er wohl nichts erreichen und mit dem Commissioner würde er später noch ein Wort reden müssen. Mit der Faust schlug er gegen die Wand, drehte sich dann um und verließ das Gebäude.
 

~~~~ Irgendwo in China Town ~~~~
 

Erneut warf er einen Blick auf sein Handy. Nein, sein Bruder hatte sich noch immer nicht gemeldet. Verletzt worden war er nicht, das hatte er doch gesehen. Warum reagierte er dann nicht auf die SMS, die er ihm geschickt hatte? Das Schellen an seiner Haustür riss ihn aus seinen Gedanken und er begann über das ganze Gesicht zu strahlen, als er seinen Bruder heil und gesund vor sich erblickte.
 

„Ich...“
 

Weiter kam er nicht, denn sein Gesicht machte harte Bekanntschaft mit einer zur Faust geballten Hand, so dass er zurücktaumelte und sich im Reflex an der Wand seitlich von sich abstützte, um nicht auf den Boden zu krachen. Doch selbst dies schien wirkungslos, denn der hereinrauschende Bruder holte erneut aus. Kickte mit dem Schuh die Tür ins Schloss und schlug erneut auf den Angeschlagen ein.
 

„Du hättest mich fast umgebracht... Warum hörst du nicht auf das, was ich dir sage?“ fragte er erregt und erneut schlug er zu.
 

Den vierten Schlag jedoch bremste er ab, als sein Bruder vor ihm zusammenbrach und kläglich zu weinen anfing. Es gab für ihn nichts schlimmeres als Schwäche. Trotzdem hielt er seine Wut nun zurück. Er liebte seinen Bruder und er hatte ihm versprochen, immer für ihn da zu sein. Auch seine Rache sollte er auskosten, aber nicht auf Kosten seines eigenen Lebens.
 

„Sht... Scott... schon gut.“ Er kniete sich neben ihn und nahm ihn wie schon so oft in die Arme, wiegte ihn sanft.
 

„Du... du hättest... nicht da sein... dürfen...“ schluchzte er und beruhigte sich nach und nach. Wischte sich schließlich die letzten Tränen weg. „Ich hatte alles so schön geplant. Meine Rache wäre perfekt gewesen. Es war alles durchgerechnet und kalkuliert. Niemals hätte ich angenommen, dass ausgerechnet du da auftauchst... Bist du verletzt?“ fragte er und hatte die eingefangenen Schläge schon wieder vergessen. Später würde er sich höchstens Fragen, warum sein Kinn rot und seine Lippe aufgeschlagen war.
 

„Ich bin okay... Was man von anderen nicht sagen kann. Du weißt doch, warum ich hier bin?“
 

Scott nickte nur. Er wusste aus zahlreichen Unterhaltungen, dass er niemals direkt nachfragen sollte und einen Namen durfte er erst recht nicht nennen.
 

„Gut. Wieso hast du mich nicht in deinen Plan eingeweiht?“
 

„Ich... ich hatte Angst, dass du ihn mir ausreden würdest!“ erklang es kläglich von dem Bombenleger.
 

„Hey! Ich hab dir doch geholfen und du hattest mein Wort, dass ich dir weiter helfe. Ich habe doch nie versucht, dich an etwas zu hindern. Ich weiß doch, wie wichtig dir das alles hier ist.“ Sachte fuhr er ihm durch das Haar, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Mama hat dir doch immer gesagt, dass ich für dich da sein werde. Ach Scott,“ seufzte er, stand auf und zog seinen älteren Bruder mit sich.

„Hast du meine Bombe fertig?“
 

„Ja. Schon lange. Aber ich wollte erst...“ Scott verstummte. Hatte plötzlich wieder Angst vor den heftigen Schlägen.
 

„Hier, der ist für dich,“ sagte der Jüngere und reichte Scott einen kleinen, schlichten goldenen Ring. Dieser hatte vor kurzem noch auf dem Finger eines anderen gesteckt. Warum er ihm den heute abgenommen hatte, wusste er nicht. Nun würde er jedoch seinen Zweck erfüllen und ihm, so hoffte er wenigstens, zu seinem Erfolg verhelfen.
 

Scott schob den Ring auf seinen kleinen Finger, denn auf die anderen passte er einfach nicht, so schmal war er. Überrascht hob er den Blick zu seinem Bruder.
 

„Die Bombe, Scott?“ erinnerte er ihn.
 

„Hier drüben in der Kammer,“ sagte er und ging seinem Bruder voraus. Scott zog einen braunen Karton aus dem Schrank in der hinteren Ecke und nahm eine kleine Kiste heraus, stellte sie auf den Tisch in der Mitte des Raumes.
 

„Erklär sie mir!“ bat sein Bruder und lächelte ihn etwas wehmütig an.
 

„Sie ist so einfach...“ seufzte der Bomber. „Du musst nur hier den Schalter betätigen und dann mit dem Zünder aus einiger Entfernung die Bombe hochgehen lassen.“
 

Er stellte sich absichtlich blöd, was Bomben an sich betraf. Wollte seinem Bruder in dieser Hinsicht ein wenig Vorteil verschaffen. Normalerweise hätte er so eine Bombe auch allein zusammenbauen können, aber so war es effektvoller.
 

„Du bist ein Genie,“ lobte er Scott. Trat hinter ihn und umarmte ihn. So sah dieser nicht, wie er in die Tasche griff, eine Injektionsnadel hervorzog und sie ihm in den Hals drückte. Bevor Scott reagieren konnte, sackte er vor seinem Bruder zusammen.
 

„Es tut mir so leid, Scotty... das musst du mir glauben...“ sagte er und sah zu ihm hinab. Hievte ihn dann auf einen Stuhl, schob diesen direkt vor die aktivierte Bombe und strich ihm noch einmal durch das Haar.
 

Der Oberkörper von Scott ruhte an den Tisch gelehnt. Eine Weile blieb er noch bei dem Toten, um Abschied zu nehmen. Irgendwie hatte er gehofft, das Unausweichliche aufzuschieben, aber das Attentat heute hatte ihn dazu gezwungen, seine Pläne vorzulegen.
 

„Leb wohl, Scotty... wir werden uns irgendwann wiedersehen... Ich hoffe, du kannst mir verzeihen...“
 

Leise fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Barclay folgte den beiden, die einen Raum ansteuerten, der augenscheinlich leer war.
 

Dort angekommen ging Prescott zum Fenster und sah schweigend hinaus. Überließ vorläufig seinem Chef das Reden. Später würde er dann wohl auch reden müssen, doch bis dahin wollte er schweigen.

Eine Schwester schaute hinein und sah sich die drei Gestalten an.
 

„Schwester, wenn Sie erlauben, nur einige Minuten. Es ist dringend...“
 

„Aber rühren Sie hier nichts an,“ erklärte sie und warf noch einen Blick auf den Apothekenschrank, der abgeschlossen war, dann zog sie sich zurück.
 

„Nun, Black? Was ist so wichtig?“ fragte der Commissioner in die Stille des Raumes.
 

Aaron räusperte sich, lehnte sich dann an den Tisch in der Ecke und suchte wohl nach den passenden Worten, was ihm sonst nicht passierte.
 

„Sie wissen ja, dass ich... an dieser ganzen Misere nicht gerade unschuldig bin. Jedenfalls im Bezug auf die MacLane’s. Ich habe mich da ein wenig übernommen und dazu stehe ich.“
 

„Ja, ja... das kennen wir schon,“ unterbrach ihn Ross. Wollte gerade noch etwas sagen, als Black ihm diesmal ins Wort fiel.
 

„Wir wissen, wer der Bomber ist. Jedenfalls liegt die Vermutung nahe.“ Erneut zögerte er, ließ das Gesagte erst einmal in Barclays Kopf eintauchen.

„Schon nachdem die erste Bombe hochging, habe ich meine Leute darauf angesetzt. Wir hatten gehört, dass es ein Experte im Frequenzbereich sein müsste und das grenzte die Täterschaft gehörig ein. Da mir nicht, wie den öffentlichen Polizeistellen, die Hände gebunden sind, konnte ich mich freier umhören. Wir gingen von einer militärischen oder geheimdienstlichen Ausbildung aus. Die meisten waren noch im Dienst, die eine Bombenspezialausbildung genossen hatten. Nur wenige waren bereits entlassen. Einige in den Ruhestand, andere wurden unehrenhaft entlassen. Auf diese Leute richtete sich dann unser Augenmerk. Schließlich kamen wir einem Mann auf die Spur, der in diese Gruppe einzuordnen war. Ich schickte meinen Stellvertreter Mick Prescott los, um mehr Informationen über diesen bis dato unbekannten Mann einzuholen.“
 

„Und? Sie haben ihn?“
 

Mick sah, wie Aaron ihm zunickte und so übernahm er nach einem kurzen Moment des Sammelns das Reden.
 

„Ich frage einige Bekannte beim Militär und so kam ich diesem Mann auf die Spur. Ich machte kürzlich einen Abstecher nach Mexico und dort erhielt ich einen Teil seiner Hundemarke. Leider nicht den mit dem Namen. Aber genug, um damit weiter vorgehen zu können. An den richtigen Stellen nachgefragt erhielt ich den Namen des gesuchten Mannes.“
 

Mick sah nochmals zu seinem Chef und als dieser erneut nickte, zögerte er nicht länger.
 

„Scott Peter Fulton. Alter 44. Wohnhaft Manhattan, Pell Street in China Town.“
 

Ruhe senkte sich nach diesen Worten.
 

„Wie sicher sind Sie?“
 

„Er ist der einzige, der die Möglichkeit hatte, so eine Bombe zu bauen. Außerdem hat er auch ein Motiv.“
 

„Welches?“

Neugierig wie Barclay war, musste er alles wissen. Schließlich wollte er keinen Fehler machen. Denn der Bürgermeister würde ihn zur Rechenschaft ziehen, wenn er einen Großeinsatz aufrief und nichts dabei herauskam.
 

„Fulton ist in seiner Einheit als rabiat und brutal bekannt gewesen. Er soll während seiner Einsätze im Ausland einige Frauen und sogar Männer vergewaltigt haben. In Mexico wurde er jedoch dabei aufgegriffen und die Stammesältesten führten das Ritual der Entmannung durch. Fulton dürfte sich seit dem nur noch als halben oder gar kein Mann mehr gefühlt haben. Nach den ärztlichen Aufzeichnungen war die Amputation des Gliedes so fahrlässig durchgeführt worden, dass eine Prothese nicht in Frage kam. Wahrscheinlich, und das ist nur eine Vermutung meinerseits, wurde er von einigen Männern und / oder Frauen deswegen zurückgewiesen eventuell sogar ausgelacht. Was seinen derzeitigen Hass auf Schwule wohl rechtfertigt,“ beendete Prescott seinen Wortschwall.
 

„Gut. Das hört sich plausibel an. Ich werde mir die Daten von Ihnen aushändigen lassen und über einen Einsatz nachdenken,“ erklärte Barclay ruhig und malte sich schon gedanklich aus, wie er auf der Titelseite prangte mit der Headline ‚Bomber gefasst’.
 

„Sie wollen darüber nachdenken? Nachdem, was wir eben hier gesagt haben? Dee und mein Bruder ringen da oben mit dem Leben und ich werde nicht tatenlos zusehen, wie Sie den Kerl entkommen lassen,“ knurrte Black gereizt und stieß sich vom Tisch ab, an dem er noch immer gelehnt hatte.
 

„Entweder sie unternehmen sofort etwas, oder ich werde ihn mir schnappen,“ folgten die Worte von Mick.
 

„Ich habe ja gleich gesagt, dass er nichts tun wird, aber nein, du wolltest ja den offiziellen Weg gehen. Bitte sehr...“ schimpfte Black in die Richtung von Mick, bevor er sich bebend vor unterdrücktem Zorn vor Barclay aufbaute.
 

„Okay... Sie scheinen es ernst zu meinen. Geben Sie mir zwei Stunden. Ich geh mal davon aus, dass Sie beide oder zumindest Mr. Prescott dabei sein möchten, wenn wir Fulton hochnehmen?!“
 

„Darauf können sie Ihren Arsch verwetten,“ sagte dieser.
 

~~~~ Pell Street in China Town ~~~~
 

Die Straße füllte sich geräuscharm mit Einsatzfahrzeugen. Im Vordergrund konnte man den Wagen von Commissioner Barclay Ross ausmachen, der an der Motorhaube gelehnt mit Mick Prescott sprach. Hinter ihm standen weitere Dienstwagen des 27. Revier. J.J. Adams sowie Ted und Drake verließen ihren gerade. Weitere Einsatzkräfte verteilten sich in dem bereits frühen Abend, bis sie ihre Posten still und unerkannt eingenommen hatten.
 

J.J. Adams hatte sich im Gebäude gegenüber dem Verdächtigen positioniert und richtete sein Scharfschützengewehr. Wie gerne hätte er nun die Sicherheit eines zweiten Schützen gehabt, aber bisher rechneten sie alle noch mit Ryo’s Rückkehr und so lange wollte Ross auch keinen neuen beantragen. Er benutzte sein Headset, um seinem Commissioner mitzuteilen, dass er auf Posten war.

Zur Sicherheit hatten sie bereits das Bombensprengkommando mitgebracht, das hinter all den Wagen noch außer Sicht war. Alles war ruhig und die Spannung lag in der Luft. Schien alles um sie herum in Schwingungen zu versetzen.
 

Mit quietschenden Reifen hielt hinter dem Konvoi ein weiterer Wagen und der angeblich so überragende Profiler bahnte sich seinen Weg nach vorne zum Einsatzstand.
 

„Warum wurde ich nicht früher informiert?“ fragte er und baute sich dreist vor Barclay auf.
 

„Sie sollten das Profil erstellen. Sie haben hier überhaupt nichts verloren. Sie überschreiten Ihre Kompetenzen,“ blieb Ross überraschend ruhig.
 

„Wer sie hier überschreitet, wird wohl zu klären sein,“ konterte McNear und warf Mick einen verächtlichen Blick zu.
 

„Sie müssen ein großes Ass im Ärmel haben, dass Sie sich so aufführen, McNear. Aber eins sag ich Ihnen: hier ist nicht das FBI zuständig und wir lassen uns nicht länger auf der Nase herumtanzen. Das hier ist ein Einsatz der Polizei von New York. Also gehen Sie mir aus dem Weg. Denn bisher haben Sie nichts andres getan, als uns diesen zu verbauen.“
 

Patrick blieb jedoch stehen. So leicht ließ er sich nicht einschüchtern. Schon gar nicht von so einem, der meinte, die Welt gehörte ihm allein.
 

„Wie Sie sich erinnern, Commissioner, habe ich Sie auf die Möglichkeit von zwei Bombern hingewiesen und außerdem folgten wir der Spur...“
 

„Darüber reden wir im Büro. Sie behindern den Einsatz.“
 

„Ich werde mich beugen. Vorläufig jedenfalls. Sind Sie sicher mit Ihren Beweisen?“
 

„Es spricht viel für den Kerl und nur wenig dagegen. Wir wollen ihn nur überprüfen und...“
 

„... und deswegen all das Aufgebot?“ unterbrach in McNear fragend, drehte sich dann zu dem umstellten Gebäude um und blickte an der Fassade hinauf.
 

Vier Stockwerke hoch, und wie er erfahren hatte, wohnte der angebliche Bomber im obersten Stock.

„Ich stehe Ihnen zur Verfügung, wenn ich Ihnen helfen kann,“ sagte Patrick und trat aus dem Weg, beobachte aber still das weitere Vorgehen.
 

„Adams? Haben Sie ihn im Visier?“
 

„Nein... alles ruhig.“
 

„Berichten Sie!“
 

„Ich habe Einblick in das Wohnzimmer, würde ich sagen. Eine Tür geht nach links, wohl zum Eingang, eine weiter nach rechts, nein drei. Einen Moment...“
 

Man hörte, wie Adams wohl seine Position veränderte, bevor seine Stimme wieder die Ohren aller Beteiligten erreichte.
 

„Zwei Türen verschlossen. Die Dritte... Scheiße... eine Bombe... direkt vor ihm... Sir?... Sir?... Habe ich Feuerbefehl? Commissioner?“
 

Die Sekunden tickten langsamer, alles schien nur noch auf den Schussbefehl von Ross zu warten. Sie hatten ihn. Sie hatten den Bomber. Adams’ Aussage war eindeutig. Fulton bastelte bereits an einer neuen Bombe, während seine Opfer von der letzten noch um ihr Leben rangen.
 

„Sir?“ fragte Adams erneut, nachdem ein oder zwei Sekunden vertickt waren.
 

„Schießen Sie... Adams... Sie haben die Erlaubnis, das Ziel zu eliminieren...“
 

Kurz füllte Ruhe den Äther, dann erfolgte die Bestätigung von Adams. „Verstanden!“
 

Weitere Sekunden rannen ihnen durch die Finger. Adams presste das Gewehr fest an seine Schulter. Das Stativ hing knapp über dem offenen Fenster, damit es nicht verrutschen konnte. J.J. atmete noch ein mal tief durch, konzentrierte sich und fühlte dann die Spannung, als er den Abzugsbügel durchzog. Nur leicht spürte er den Rückstoß, doch was heftiger ausfiel, war die Detonation, die er durch den Schuss wohl ausgelöst hatte.
 

Es dauerte Sekunden, bis J.J. klar geworden war, was eben passierte und er sich hinter der Wand direkt unterhalb des Fensters zu Boden warf und seinen Kopf so gut es ging mit den Händen schützte.

Auch auf der Straße brach Tumult auf, als die Bombe hochging. Nicht so heftig wie die bekannten. Aber ausreichend, um die Wohnung des möglichen Attentäters zu sprengen. Glassplitter regneten auf sie hinab und auch einige Trümmerteile. Aber ansonsten blieb das Gebäude intakt.
 

Kein Wunder, dass sich alle Augen noch oben richteten und den Mann, der den Fernzünder wieder in seine Taschen gleiten ließ, nicht beachteten.
 

„J.J.? Melden Sie sich?!“ rief Ross hektisch ins Headset.
 

„Bin okay...!“ kam es nach schier endlosen Sekunden hustend zurück. „Bin okay...!“ Erleichtert rollte sich Adams auf den Rücken und so blieb er liegen, bis er Drake neben sich auftauchen sah.
 

„Hey...“
 

„Ich hab versagt... Drake... ich hab versagt...“
 

„Quatsch... Du hast nicht versagt... hör auf, dir so was einzureden...“ sagte Drake, kniete sich neben J.J. nieder und schaute ihn beruhigend an.
 

„Adams?!“ kam es wieder von der Straße zu ihnen hoch.
 

„Hrrrmm... Ja. Sir?!“ J.J versuchte, seiner Stimme Festigkeit zu geben. Aber noch immer haderte er mit sich selbst.
 

„Gute Arbeit... Ich will bis morgen den Bericht.“
 

„Danke Sir! Ja, Sir!“
 

„Selbst Ross ist mit dir zufrieden... also komm schon. Pack deinen Kram, damit du den Bericht fertig bekommst. Ich denke, wir feiern heute abend noch, was?!“
 

„Ja...“ nun erst schien J.J. sich zusammenraffen zu können. Montierte routiniert das Scharfschützengewehr auseinander und verstaute es in dem tragbaren Koffer.
 

Cambel stieg aus dem Wagen, schaute sich das Dilemma an, welches ihm mal wieder hinterlassen worden war.
 

„Das wird eine Heidenarbeit...“ seufzte er und ging mit seinem Team hoch in den vierten Stock, wo es recht chaotisch aussah.
 

„Sie können rein. Alles sauber. Es gibt keine Sprengfallen. Im hinteren Zimmer ist eine Leiche... übel, aber wir haben sie so gelassen...“ sagte der Bombenentschärfungsexperte David Brown zu dem Spurensicherungsexperten Jim Cambel.
 

„Jungs, wir rücken ab,“ rief er zu den drei Leuten, die nun aus dem Raum traten, wo der Bomber sein Leben ausgehaucht hatte.
 

„Danke...“ sagte Jim und winkte sein Team herein.
 

„Wenn Sie etwas entdecken, was Ihnen nicht gefällt, rufen Sie uns ruhig. Wir sind weiter auf Empfang und in der Nähe,“ erklärte David und verließ dann mit seinem Trupp die Wohnung, um davor zu warten, ob sie gebraucht wurden oder nicht.
 

***** TBC

Samstag - 07. August

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Laut fiel die Tür zu seinem Gefängnis hinter dem maskierten Mann zu. Sofort spürte Ryo, dass etwas passiert sein musste, denn der Kerl strahlte so etwas von Hass und Unmut aus, dass er es fast körperlich spüren konnte. So war sein Peiniger noch nie vor ihn getreten. So aufgebracht hatte er sich ihm noch nie gezeigt und damit war Ryo erst recht klar, dass etwas passiert sein musste, was diesen Mann komplett aus der Bahn geworfen hatte.
 

Eigentlich hatte er ihn nach seinem Ring fragen wollen, aber das ließ er lieber bleiben, denn so wie es jetzt aussah, würde er sowieso keine Antwort erhalten. Er bekam regelrecht Angst vor ihm und es wurde sogar noch schlimmer, als er sich wie eine Katze langsam näherte und zu dem Haken ging, an dem seine Kette befestigt war.
 

Ein Ruck genügte und Ryo stand.
 

„Hände hinter den Rücken,“ erklang es kalt.
 

Weg war das sanfte, das er bisher gezeigt hatte.
 

Ryo rührte sich nicht. Ihm war klar, wenn er sich jetzt widersetzen würde, würde es schlimm werden. Aber genauso schlimm konnte es werden, wenn er tat, was der Kerl von ihm wollte.
 

„Ich wiederhole mich ungern, Schneewittchen...“ drohte er und zog nochmals an der Kette, so dass Ryo nun frei stand.

Viel ausrichten konnte er nicht, da er nun nur noch mit Mühe auf den Füßen stehen konnte, so eng wurde die Kette über ihn gezogen, dass er mal wieder einen langen Hals machen musste.
 

Er tat, was ihm gesagt wurde. Lauschte auf die Schritte, die sich ihm näherten und spannte alles an sich an. Er hatte alles durchdacht und wieder verworfen. Selbst wenn er ihn überlisten könnte, würde er danach noch immer an dieser Kette hängen. Denn der Verschluss war außerhalb seiner Reichweite und freiwillig konnte er seinen Entführer wohl nicht dazu bringen, dass er ihn frei ließ.
 

„Braves Schneewittchen...“ hauchte er sanft gegen Ryo’s Hals, als er ihm die Eisenschellen um die Handgelenke legte. Dafür jedoch die Verstrebung um seinen Hals löste.
 

Noch bevor Ryo dazu in der Lage war, zu reagieren, flog er schon rücklings gegen die kalte und feuchte Wand. Die Luft flog aus seinen Lungen, als er so brutal dagegen gestoßen wurde. Als er diese wieder hektisch einzog, spürte er die warmen und weichen Hände von seinem Peiniger um seinen Hals. Wie Schraubstöcke lagen sie dort und drückten ihm langsam die Luftröhre zu.
 

„Du bist an allem Schuld... nur du allein... du hättest verrecken sollen in diesem Höllenfeuer, das ich eigens für dich bestellt habe... aber nein... du überlebst... kommst wieder... fühlst dich wie Jesus... Wiederauferstanden... Aber ich bin nicht Gott, der dich willkommen heißt an seiner Seite... nein, ich bin Satan, der dir das Leben von nun an erst recht zur Hölle machen wird... so lange, bis ich das bekommen habe, was mir zusteht... Nur du und dein Balg seid mir im Wege... aber das wird sich ändern... sehr bald sogar... dann... dann... mein kleines Schneewittchen... wirst du dir wünschen, dass deine Tochter in dem Feuer umgekommen wäre... Aber ich werde dich leiden lassen... jeden Tag... hier...“ sagte er, löste den Druck um Ryo’s Hals, der bei dem Gerde langsam die Besinnung verlor. Als der Peiniger die Hände nun löste, gaben Ryos Beine schlagartig unter ihm nach und er sank ohnmächtig zu Boden.
 

~~~~ Medical Center ~ Intensivstation ~~~~
 

Mark wusste nicht, wie oft er schon hier vor verschlossener Tür verharrt hatte. Immer wurde er mit den gleichen Worten abgewiesen, da hatte auch sein treuer Blick und seine sonst so bekannte Überredungskunst nichts gebracht. Auch jetzt stand er wieder vor der Tür, den Finger auf der Klingel.
 

Die Schwester, die aus dem Schwesternzimmer blickte, konnte er schon förmlich tief Luft holen sehen. Doch er blieb stur. Jedes Mal, wenn er mit leeren Händen zurück zu seinem Bruder gekommen war, hätte er am liebsten gleich wieder kehrt gemacht. Robin ging es zwar den Umständen entsprechend recht gut. Die Halsschlagader war genäht und er war außer Lebensgefahr. Dennoch zerriss es Mark das Herz, wenn er ihm nur mit einem entschuldigenden Lächeln erklären musste, dass er keine Informationen erhalten hatte. Er wusste auch nicht, an wen er sich wenden sollte. Die Polizei, die Dienststelle, wo er arbeitete, hatte er bereits ebenfalls kontaktiert, aber da er privat nichts mit Chris Jackson zu tun hatte, wurde ihm auch dort nichts gesagt. Lediglich konnte er seinem Bruder mitteilen, dass er lebte und das war doch schon etwas.
 

Robin ließ aber nicht locker, und obwohl er seine Stimme und seine Kräfte schonen sollte, ging er bereits auf ihn los, sobald er nur das Zimmer zwei Etagen höher betrat. Deswegen stand er schon wieder hier. Würde sich wieder eine Abfuhr abholen, aber diesmal wollte er es riskieren. Er würde einfach lügen. Für seinen Bruder und damit dieser endlich Ruhe gab.
 

Das Gesicht der sich nähernden Schwester veränderte sich, zeigte kurz bevor sie die Tür erreichte ein Lächeln und verwirrte Mark damit vollständig. Den Grund hierfür konnte er ja nicht ahnen, da er nur auf die Weißgekleidete geachtet hatte.
 

„Kommen Sie ruhig rein, Mr. Prescott! Mr. Black!“ sagte die sympathische Stimme zu den beiden Männern hinter Mark.
 

„Bitte, Schwester, ich möchte doch nur...“
 

„Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen. Ich darf Ihnen keine Auskunft erteilen. Es tut mir ja auch leid, aber ich kann die Bestimmungen leider nicht umgehen,“ erklärte sie mit einer fast enttäuscht zu nennenden Stimme zu Mark und öffnete die Tür weiter, damit die beiden Besucher ungehindert eintreten konnten.
 

„Mein Bruder... Er liebt...“
 

„Sie verstehen wohl nicht. Sir. Wenn ich Sie noch einmal hier erblicke, werde ich wohl den Sicherheitsdienst rufen müssen,“ wurde sie nun doch wieder energischer und wollte die Tür hinter Black und Mick schließen, als sich der letzte umdrehte.
 

„Sorry. Aber darf ich fragen um wen... Kennen wir uns?“ nachdenklich kräuselte Mick die Stirn und sah Mark unverwandt an.
 

„Das gibt’s nicht...“ entfuhr es Mark und ein kleines verschämtes Grinsen zeigte sich auf seinem rechten Mundwinkel, so dass ein kleines Grübchen dort entstand. „Mick Prescott? Leutnant Mick Prescott?“
 

„Ach du...“ fast wäre ihm etwas entschlüpft, konnte es jedoch gerade noch verhindern. „Mark Steward... richtig. Der kleine Stew. Was treibt dich denn hier in die Gegend?“
 

„Mick, ich geh schon voraus... Lass dir ruhig Zeit,“ erklärte Aaron und ging weiter zu seinem Bruder.

Mick verließ die Intensivstation wieder und begrüßte Mark mit einem kräftigen Handschlag.
 

„Junge, Junge, Junge... das ist aber lange her. Was treibst du so?“ fragte er neugierig. Hier schien auf einmal alles durcheinander zu gehen. Man traf Leute aus längst vergangen Tagen und erfuhr so ganz nebenbei, dass Chris der Bruder von Aaron war. Darüber hatten sie die letzte Nacht ausführlich gesprochen und Mick war nun nicht mehr sauer, dass er erst hier bei dieser ungünstigen Gelegenheit davon erfahren hatte. Gut, jeder Mensch braucht sein Geheimnis, deswegen sah er es seinem Boss und Geliebten nach.
 

„Ja. Seitdem ich ausgestiegen bin... fast acht Jahre. Und du? Scheinst dich gut gemacht zu haben. Tolles Outfit, wenn ich mal sagen darf. Ich hör dich noch wie gestern, wenn du in die enge Ausgehuniform schlüpfen musstest... Jetzt hier, mit Schlips und Anzug... kein Wunder, dass ich dich nicht gleich erkannt habe.“
 

„Acht Jahre... eine lange Zeit. Wir müssen uns mal treffen... über alte Zeiten und so reden. Jetzt ist es ungünstig. Aarons Bruder liegt hier und ich möchte ihn nur ungern lange allein lassen, sieht nicht gut aus... verstehst du?“
 

„Ja, klar,“ nickte dieser. Sein Gesicht, das eben noch freudig gestrahlt hatte, als er Mick erkannte, verwandelte sich wieder in Niedergeschlagenheit.
 

„Hast du auch jemanden bei dem Anschlag verloren? Verletzt?“
 

„Ja. Mein Bruder. Aber er ist schon okay. Deswegen bin ich nicht hier. Nun, nicht direkt. Ich...“
 

„Schon raus damit. Du weißt, wenn ich kann helfe ich immer.“
 

„Da scheinst du dich wohl nicht verändert zu haben. Leutnant, nicht wahr?“
 

„Wohl kaum. Habe es auch irgendwie zu meinem Beruf gemacht. Aber das ist ein anderes Thema. Also wer liegt hier, vielleicht kann ich was in Erfahrung bringen,“ bot er seine Hilfe an.
 

„Chris Jackson. Er ist Cop im 27. Revier. Und dann noch Dee MacLane. Auch Cop.“
 

„Warum interessierst du dich für die beiden?“ fragte Mick, nun ein wenig hellhörig geworden.
 

„Eine lange Geschichte. Aber kurz gesagt, wegen Robin, meinem Bruder. Er hat sich unsterblich in Jackson verknallt. Auch dass dieser ihm kurz vor dem Unglück eine Abfuhr erteilte änderte seine Liebe nicht. Bei MacLane ist es eher die Freundschaft, die uns verbindet. Ich hab schon im Revier nachgefragt, aber die schweigen sich nur aus... und wenn ich wieder zu Robin zurückkomme...“ Mark seufzte und strich sich sein flammend rotes Haar zurück aus dem Gesicht.
 

„Bring mich zu ihm. Frag nicht. Tue es einfach,“ hieß Mick seinen alten Kameraden und legte seinen Arm um die Schultern von Mark, so dass er ihn schon einmal von der Intensivstation weg führte.
 

Black ging direkt in das Zimmer von Chris. Noch immer schaute er entsetzt auf die ganzen Apparate, die seinen Bruder am Leben hielten. Zwar war die OP gut verlaufen, aber bisher schlief er. Kein Koma, wie die Ärzte ihn beruhigt hatten, aber er war auch noch nicht wieder richtig bei sich.

Die Wirkung von der Narkose hatte schon längst nachgelassen und dennoch schien er nicht dazu in der Lage zu sein, wach zu werden. Aaron fragte sich, was er tun könnte, um diesen Zustand der Starre, in der Chris sich befand, zu beheben, aber ihm fiel einfach nichts sinnvolles ein.
 

Aaron setzte sich wie bereits in der Nacht zuvor auf einen Stuhl, den er dicht neben das Bett zog, damit er die Hand von Chris ergreifen konnte. Seine Gedanken wanderten zurück zu dem Gespräch mit Mick, das sie geführt hatten, als sie gestern abend spät in dem Apartment angelangt waren.

Jetzt wusste er nicht mehr, warum er darum überhaupt ein Geheimnis gemacht hatte. Bisher galt er in der Welt, die er um sich aufgebaut hatte, als Einzelkämpfer, aber das war er nicht. Das war er nie gewesen. Auch wenn er einige Jahre älter war als Chris, war es doch immer sein jüngerer Bruder gewesen, der ihn aus allem rausgeboxt hatte. Chris war es gewesen, der ihn beschützt hatte. Nicht nur vor den Mitschülern. Auch vor den Lehrern und vor allem vor seinem Dad.
 

Mehr als einmal hatte er die Schläge, die für ihn bestimmt waren, auf sich genommen. Auch Strafen die er, Black, hätte absitzen müssen, lud er sich meist auf die Schultern, und warum? Weil er ihn liebte, hatte er ihm unschuldig erklärt. Noch heute war die Stimme des kleinen Chris so hell und klar in seinen Gedanken, als sei die Zeit von damals stehen geblieben. ‚Mom sagte immer zu mir, wenn du jemanden wirklich magst und ihn nett findest, dann musst du ihn beschützen.’ Genau das klang nun in seinem Ohr nach.
 

„Ich war nie für dich da, Chris. Niemals... Ich wünschte, ich hätte deine Mom kennen gelernt, sie muss eine wunderschöne Frau gewesen sein. Das habe ich dir schon so lange sagen wollen... Ich liebe dich auch, Chris. Du bist mir mein liebster und bester Freund in all den Jahren und ich habe es einfach so akzeptiert... habe es hingenommen, als sei es das natürlichste der Welt... Gib jetzt nicht auf, wo ich dich beschützen will... Bitte Chris, wach auf...“

Er seufzte leise und Tränen brannten hinter seinen dunklen Augen. Augen, die sonst so ernst und eisig schauen konnten, blickten nun flehend und verletzlich auf den starr liegenden Körper seines Bruders.
 

„Wie geht es Chris?“ stellte Robin die Frage, als sich dir Tür öffnete und er seinen Bruder erblickte. Schwieg jedoch dann, als er einen weiteren Mann hereintreten sah.
 

„Hi!“ begrüßte Mick den Kranken und trat näher, nickte Mark zu, so dass sich dieser im Hintergrund hielt und ihm erst einmal die Rolle des Übermittlers überließ.
 

„Wer sind sie?“
 

„Mick Prescott. Ein Bekannter von deinem Bruder. Ich darf doch ‚Du’ sagen? Mark und ich kennen uns vom Militär her. Eigentlich... na ja, das kann er dir später erklären. Ich bin eigentlich wegen was anderem hier.“ Mick zog sich keinen Stuhl herbei, sondern hockte sich schlicht einfach auf die Kante des Krankenbettes.
 

Robin schwieg und sah den Afroamerikaner eine Weile schweigend und abschätzend an, aber so genau konnte er ihn nun nicht zuordnen. Was wollte er? Und warum hatte ihn Mark überhaupt mitgebracht? Fragen, auf die er so keine Antwort erhielt. Robin räusperte sich und wollte schon fragen, als Mick endlich mit seinem Anliegen herausrückte. Nun ja, ein wenig Umwege gönnte er sich noch. Schließlich wollte er Robin erst einschätzen können, bevor er ein Urteil fällte. Wenn er so war wie Mark, dann wäre es schon okay, aber das würde er rasch herausfinden.
 

„Deine Verletzung? Geht es? Hast du Schmerzen?“
 

Verdattert über diese Fragen antwortete Robin rasch und deswegen auch wahrheitsgetreu.

„Nein... ein wenig... Aber...“
 

„Du warst in der Nähe, als die Bombe im Tropical hochging? Mark erzählte mir davon.“ Das war eine glatte Lüge, aber das ging den Jüngeren nichts an.
 

„Ja... ich...“
 

„Kannst du dich an etwas erinnern?“
 

„Ja, klar, das vergesse ich nie.“
 

„Okay, Robin, dann erzähl mal!“ forderte er ihn nun auf, von seinem Erlebnis von gestern zu berichten.
 

„Wird das ein Verhör? Der Arzt hat gesagt, dass...“
 

„Nein, Robin, das ist kein Verhör. Ich bin kein Cop. Aber ich bin sehr eng mit dem Besitzer des Tropical befreundet gewesen. Deswegen.“ Er legte den Kopf ein wenig schräg und sah ihn leicht lächelnd an, was seine Gesichtszüge um einige Nuancen weicher machte.
 

„O...okay... Wir waren alle im Diner, als wir eine Explosion hörten. Alle rannten gleich auf die Straße. Man brauchte auch nicht lange zu suchen, man sah schon den Qualm aus der Sauna aufsteigen. Ich wollte ja hin und helfen, aber Mark hielt mich fest...“
 

Ein Blick von Robin glitt zu seinem Bruder in der Ecke, der dort noch immer schweigend auf dem Stuhl saß und diesem Mick Prescott das hier überließ.
 

„...Dee... Also Detective MacLane...“
 

„Ich kenn ihn... Ein guter Cop und auch ein sehr enger Freund von mir... Aber erzähl ruhig weiter,“ forderte Mick Robin auf.
 

„... Er lief gleich rüber und da sah ich auch schon Chris... Detective Jackson...“

Ein bittender, fast flehender Blick in Richtung Mark, doch dieser schien das Wetter draußen nun viel interessanter zu finden als die Worte seines Bruders und so blickte Robin auf seine Bettdecke, die ihn weiß umhüllte.

„...er kam angerannt und... und dann liefen beide hinten herum... Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, aber dann fand ich mich auf dem Boden wieder, Scherben regneten auf mich hinab und dann spürte ich nur noch einen brennenden Schmerz an meiner Seite und...“
 

Die Tür öffnete sich und eine Schwester kam herein. Ging zielstrebig auf Mick zu, baute sich vor dem Dunkelhäutigen auf, stemmte die Arme in die Seite und funkelte ihn wütend an. „Keine Vernehmung. Er muss sich schonen. Der Patient darf noch nicht so viel reden.“
 

„Schon gut, Schwester. Ich bin ja gleich weg. Geben Sie mir noch eine Minute, okay?“
 

„Nein, Sie werden augenblicklich das Zimmer verlassen,“ wurde sie noch eine Spur energischer.
 

„Sie sagten doch, dass Sie kein Cop sind?“ murmelte Robin und fühlte sich verarscht.
 

„Ich bin auch keiner. Bitte, Schwester. Ich... verspreche Ihnen, dass er nicht mehr redet... Sie können auch gerne bleiben...“ bot er ihr an und dieses Angebot nahm die Schwester, die ihren Job hier äußerst ernst nahm, sofort und kommentarlos an.
 

„Okay, Robin. Das hat mir alles schon sehr geholfen.“ Sanft lächelte er ihn erneut an und dabei fingen seine Augen ebenfalls an, leicht zu funkeln. „Ich kann mir vorstellen, dass es einige Bekannte auch von dir dort getroffen hat, und eigentlich bin ich deswegen hier. Ich traf deinen Bruder vor der Intensivstation, wo er nicht rein darf und wo er auch keine Auskünfte über die Patienten erhält.“
 

„Chris?!“ hauchte er, doch Mick hielt ihn mit einer Handbewegung auf, zu reden.
 

„Es geht ihm gut. Jedenfalls sagen das die Ärzte. Die Werte sind in Ordnung und er hat die OP gut überstanden. Mehr kann ich dir auch nicht sagen. Jedenfalls sind bis dato keine Komplikationen aufgetreten und wir hoffen alle, dass er es schafft. Ich kann dir nichts versprechen...“
 

Warum er es nun sagte, wusste er nicht, aber er sah die Erleichterung in dem Gesicht von Robin, sah das Glitzern der Augen und ihm war klar, dass dieser junge Mann haltlos verliebt war. Er würde alles in seiner Macht stehende tun, um das, was ihm so spontan eingefallen war, auch zu verwirklichen.
 

„Ich werde dich wieder besuchen kommen, Robin. Bis dahin mach, dass du wieder auf die Beine kommst.“
 

Leicht drückte er ihm die Hand, legte die andere auf Robins Schulter und lächelte ihn nochmals ehrlich und aufrichtig an. Dann drehte er sich um und bat die Schwester, ihm doch zu folgen.
 

„Chris!“ hauchte Robin wieder und sank leicht lächelnd zurück ins Kissen.
 

Jetzt, da er wusste, dass er lebte und dass es ihm fast gut ging, fühlte er sich auch gleich wohler.
 

Mark trat neben ihn und übernahm den Platz, den Mick eben verlassen hatte.
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Barclay legte den Hörer zurück auf die Gabel, stütze die Ellbogen auf die Tischplatte und den Kopf in die verschränkten Hände. Black hatte ihn gerade darüber informiert, dass Dee eine ‚ruhige Nacht’ gehabt hatte und dass Chris ebenfalls, wenn alles so blieb, außer Gefahr war. Aber die Ärzte blieben dabei, die nächsten drei Tage würden entscheidend sein. Noch immer waren die beiden nicht aus der Narkose aufgewacht. Auch wenn diese lang und intensiv gewesen war, mussten sie inzwischen wieder ansprechbar sein. Aber davon war noch nichts zu sehen.
 

Sorgenfalten gruben sich in die Stirn des Commissioners, die sich noch eine Spur vertieften, als die Tür unangemeldet geöffnet wurde und der einzigste Kerl im ganzen Revier, den er nicht leiden konnte, jedenfalls im Moment, sein Büro betrat.
 

„Man sagte mir im Krankenhaus, dass ich die Erlaubnis, Dee zu besuchen, bei Ihnen bekomme. Unterschreiben Sie das hier, dann sind Sie mich los.“ Patrick McNear trat näher an den Schreibtisch und warf einen Zettel vor Ross hin. Flatternd suchte sich dieser einen Platz zwischen den Ellbogen von Barclay.
 

Sichtlich um äußerste Ruhe bemüht, nahm Ross den Zettel schließlich zwischen die Finger, sah zu dem verhassten Kerl hoch und riss das Stück Papier vor dessen Augen dreimal durch.
 

„Ich werde Sie nicht zu Dee lassen. Nicht, bis dieser aufgewacht ist und selbst ihre Besuche genehmigen kann. Vorerst geht keiner zu ihm. Ich kann Ihnen jedoch sagen, dass er sich bisher tapfer hält. Die Ärzte sind zufrieden. Gerne können Sie täglich anrufen und nach Dee’s Befinden fragen, aber...“
 

„Das können Sie nicht tun. Sie überschreiten Ihre Kompetenzen, Commissioner,“ fauchte Patrick und stemmte seine Hände auf die Schreibtischkante, beugte sich wütend vor und sah Barclay mit wild funkelnden Augen ins Gesicht.
 

„Ich kann sogar noch mehr, McNear. Da der Bomber sich selbst in die Luft gejagt hat, können Sie zu Ihrer eigentlichen Arbeit zurückkehren. Wir bedanken uns herzlichst für Ihre Arbeit. Guten Tag und Auf Wiedersehen.“ Mit diesen Worten lehnte sich Barclay mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht zurück, so dass sein Chefsessel leicht unter ihm knarzte.
 

„Ich bin... Was?“

Staunend über so viel Frechheit, die er nun nicht hier erwartet hatte, fiel McNear sprichwörtlich das Kinn auf den Fußboden. Nur Sekunden später hatte er sich jedoch wieder unter Gewalt, holte sichtlich tief Luft und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

„Das alles passt Ihnen bestens, nicht wahr, Barclay? Aber ich habe mit so was schon gerechnet. Dennoch werden Sie mich nicht so schnell los, wie Sie es sich wünschen. Ich bleibe in der Stadt. Meine Versetzung zu der hiesigen Behörde wurde bereits genehmigt. Auch wenn Sie sich wünschten, mich nie wieder zu sehen, ich werde wiederkommen,“ erklärte er nun ruhig.

Gut, er hatte geahnt, dass er hier wegen dem Bomber nicht mehr gebraucht wurde, aber dennoch musste er hier bleiben, allein schon wegen Dee. Noch bestand doch Hoffnung für ihn. Für sie. Wer wusste schon... Da fiel Patrick etwas ein.

„Ich könnte Ihnen noch von Nutzten sein. Vergessen Sie das nicht. Immerhin ist dieser MacLane, Randy, noch immer vermisst.“
 

„Sie wollen uns da helfen?“ grinste Ross und schüttelte sich innerlich. Nein, von diesem Kerl erwartete er keine Hilfe, nicht in dieser Richtung, nicht nach dem, was er alles gehört hatte. Nein. Es war eindeutig. Patrick war hinter Dee her und würde die Ermittlungen im Fall ‚Ryo’ eher noch behindern als vorantreiben.
 

„Wir werden uns melden. Wir wissen ja jetzt, wo und wie wir Sie kontaktieren können, DCI McNear!“
 

Kühl stand Barclay auf und seufzte, als erneut die Tür unangeklopft geöffnet wurde und diesmal J.J. Adams hereinplatzte und mit einen Wisch in den Händen herumwedelte.
 

„Kann ich... Oh, Sorry. Dachte, Sie wären allein,“ stotterte J.J. und blieb unschlüssig stehen. „Sir, es ist... wichtig.“ Allerdings so wichtig nun auch wieder nicht, dass er vor diesem Arsch, wie er McNear bei sich bezeichnete, auch nur ein Wort verlauten lassen würde.
 

„Wie gesagt, McNear. Wir melden uns, wenn wir Ihre Hilfe benötigen,“ sagte Ross erneut und hoffte, dass dieser diesmal die Aufforderung verstand und ging. Tatsächlich machte dieser, nachdem es kurz in seinen Augen aufgeblitzt hatte, einen Schritt zurück.
 

„Ich rufe Sie an, wegen Dee...“ sagte er nochmals und verließ dann endgültig das Büro des Commissioners.
 

Nachdem die Tür hinter dem DCI zugefallen war, richtete Ross sein ganzes Augenmerk auf J.J. „Was gibt’s, Adams?“
 

„Ich... Also ich habe eben meinen Bericht geschrieben und da habe ich mir das ganze nochmals alles vor Augen geführt... so wie ich dalag, wie ich das Zimmer durchsucht habe, wie ich...“
 

„Adams... Bitte. Die Kurzfassung.“

Ross rieb sich über die Nasenwurzel und ließ seinen Sessel unter sich knarzen, als er sich zurücklehnte. Nur so konnte er meist das Gestammel des aufgedrehten Cops durchhalten. Manchmal fragte er sich wirklich, wie so einer Scharfschütze hatte werden können, da ihm jede Ruhe fehlte. Aber wie er gestern erst bewiesen hatte, konnte er, wenn er wollte, durchaus ruhig und diszipliniert sein. Warum nicht auch jetzt.
 

J.J. schwieg, grübelte und sagte dann das, was ihm so aufgefallen war. Demnach nur das wesentliche.
 

„Er war tot!“
 

„Wer?“ So rasch schaltete Ross nun nicht und konnte auch mit diesen drei Worten so in den Raum geworfen nichts anfangen. Jedenfalls noch nicht.
 

„Der Bomber! Entweder er war tot oder er hat geschlafen,“ erklärte J.J. nun ein wenig explizierter.
 

„Was?“ Interessiert sprang Barclay auf. „Sind sie sich sicher?“
 

„Nun... ich sah durch das Zielfernglas... und ich hatte ihn ja eine Weile im Schussfeld, bis Sie den Schussbefehl gaben... der hat sich nicht gerührt... keinen Millimeter. Das ist mir aber eben erst eingefallen...“
 

Ross griff zum Hörer, wählte und wartet.
 

„Gerichtsmedizin? Habt ihr den Bomber schon obduziert?... Ich will eine genaue Obduktion. Mit allem Schnickschnack. Von Drogen bis hin zu normaler Todesursache... Einfach alles... Ja... Ja, genau. Das ganze wenn möglich bereits gestern.“ Er legte den Hörer zurück und ging zu J.J. Legte diesem wohl das erste Mal, seitdem er hier Commissioner war, die Hand auf die Schulter.
 

„Gut gemacht, Adams, und nun zurück an die Arbeit. Ich möchte Ihren Bericht noch heute auf dem Schreibtisch haben.“
 

„Ja, Sir,“ Sagte J.J. und war sichtlich gerührt über diese Geste.
 

***** TBC

Samstag – 7. August – später

~~~~ Medical Center ~ Intensivstation ~~~~
 

Doktor Brian Foster überprüfte routiniert die Geräte und blickte dann ein wenig mutlos auf Dee MacLane. Alles schien vom medizinischen Standpunkt aus gesehen gut zu laufen. Die Werte entsprachen allen Richtlinien, aber dennoch machte der Patient, der dem Tode bei der OP mehrfach von der Schippe gesprungen war, keine Anstalten, aufzuwachen. Brian war klar, dass ihm die Motivation fehlte. Hatte er nicht fast alles verloren? Jedenfalls in diesem Augenblick? Ryo verschleppt und keine Spur in dieser Richtung, wie er erfahren hatte. Nur Sara, ihr Kind.
 

Der Arzt, der Dee dabei beigestanden hatte, die Schwangerschaft durchzustehen, würde wohl oder übel noch einmal mit diesem Commissioner reden müssen. Dee brauchte entweder das Kind, was wohl mit dieser Situation überfordert wäre, oder aber seinen Mann. Und da Ryo wohl noch eine Weile verschwunden bleiben würde, blieb nur das fünfjährige Mädchen. Ein letzter Blick auf die Monitore, die in der Stille des Zimmers leise Piep- und Summgeräusche hinausschickten, dann wollte er gehen.

Seine Schicht war schon seit Stunden vorbei. Er fühlte sich müde und ausgelaugt. Seit gestern morgen stand er hier und nun, Brian warf einen Blick auf die Uhr, vierundzwanzig Stunden später wollte er gehen. Das war eigentlich nicht normal aber hier im Medical Center die Norm. Kaum einer schaffte weniger als achtzehn Stunden am Stück und bei Notfällen war es der Krankenhausleitung egal, ob man physisch und psychisch noch in der Lage war, eine richtige OP durchzuführen.
 

Da sein Kollege, der den anderen Cop operiert hatte, schon gegangen war, wollte Foster auch noch einen Blick in das Nachbarzimmer werfen. Der Kollege hatte fast eine 30-Stunden-Schicht hinter sich und brauchte dementsprechend endlich Ruhe. Normalerweise verließ niemand einen frisch operierten Patienten, ohne darauf zu warten, dass dieser aus der Narkose aufgewacht war. Aber wie gesagt, es gab die Regel und es gab den Menschen. Fehler unterliefen schnell, wenn man übermüdet war, und so hoffte Foster, dass es dem Cop, den Namen hatte er schon wieder vergessen, gut ging.
 

Ein letzter Blick streifte Dee, der kaum zwischen dem weißen Laken zu erkennen war. Schläuche führten zu seinen Armen und ein Schlauch führte direkt in die Nase, um ihm genügend Sauerstoff zuzuführen. Auf künstliche Beatmung wollte man noch nicht umstellen, da Dee noch selbstständig atmete und das war beruhigend, wie der Arzt fand.
 

Foster verließ das Zimmer und die Tür fiel leise hinter ihm zu, als er auch schon von einem dunkelhäutigen Mann, der ihm vage bekannt vorkam, angesprochen wurde.
 

„’Tschuldigung, aber kann ich Sie kurz sprechen?“
 

„Sicher. Um was geht es?“ blieb er höflich, denn er fühlte sich zwar am Ende, durfte das aber weder bei den Patienten noch bei den Besuchern zeigen. „Möchten Sie in mein Büro mitkommen?“
 

„Nein. Eigentlich wollte ich nur fragen, ob die Möglichkeit besteht, dass Jackson Besuch empfangen darf.“
 

„Ach ja, Sie sind der Freund des Bruders. Ich erinnere mich,“ fiel es Brian auch gleich wieder ein. „Sie und Mr... Black müssten doch als Besucher registriert sein.“ Er ging zu dem Schwesterntresen und nahm sich die Besucherliste, um seine Worte gleich bestätigt zu finden. „Hier steht es... Ach auch für MacLane?“ Nun wurde er wieder wach. „Kennen Sie die Umstände um MacLane?“
 

„Sie meinen Ryo und Sara?“ hakte Prescott, denn kein anderer war es, der den Arzt vom wohlverdienten Feierabend abhielt, nach. „Ja, das bin ich, aber deswegen wollte ich Sie nicht sprechen.“
 

„Okay. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie sorgen dafür, dass Ryo oder Sara so schnell wie möglich bei Dee auftauchen, und ich werde mir Ihre Bitte anhören.“
 

„Ich kann das nicht so einfach...“ Kurz zögerte Mick, dann fällte er die Entscheidung allein. „Okay. Ich werde Sara herbringen. Sie denken, dass es Dee helfen wird, und das stimmt mit Sicherheit.“
 

„Und Ihr Anliegen?“
 

„Auf der Chirurgie liegt ein junger Mann. Ebenfalls verletzt, an der Halsschlagader. Er soll sich eigentlich schonen und nicht reden, aber er macht dort alle ziemlich kirre, weil er in Jackson verliebt ist und ich dachte, wenn wir ihn im Rollstuhl ein oder zwei Stunden am Tag... wenn das ginge, würde es sowohl Robin als auch Chris helfen.“
 

„Gut, ich schreibe ihn mit auf die Liste. Am späten Nachmittag kann er hochkommen. Ich gebe auf der Chirurgie Bescheid. Sonst noch was?“
 

„Nein, danke Doktor. Machen Sie jetzt Feierabend?“
 

„Ja, wenn nichts dazwischen kommt. Aber erst wollte ich noch einen Blick auf Mr. Jackson werfen. Die Werte... aber das wissen Sie ja selbst.“
 

Was sollte er auch noch länger seine Zeit auf dem Flur vergeuden.
 

Brian legte gerade seine Finger auf den Knauf der Tür, um diese zu öffnen, als der Alarm losging. Routiniert wie er nun mal war, vergaß er auf der Stelle seinen möglichen Feierabend, blickte erst gar nicht in eine Richtung, sondern stieß die Tür direkt vor sich auf. „Rufen Sie eine Schwester!“ rief er dem Dunkelhäutigen über die Schulter zu, bevor er das Zimmer des Cops betrat und sich sofort über diesen beugte.
 

„Ist er schon lange unruhig?“ fragte er den Anwesenden, der bei dem Alarm entsetzt aufgesprungen war und nun hilflos mit den Fingern um das Bettgestell geschlungen dastand.

„Hey, Beruhigen Sie sich. Ist er schon lange so?“ fragte er zwar noch immer energisch, aber nicht mehr mit der Hektik von eben.
 

„J...ja. Schon etwa drei Minuten. Es wurde immer schlimmer... ich dachte... ich dachte...“ stammelte Black und ging der hereinstürmenden Schwester aus dem Weg.
 

„Lassen Sie den OP vorbereiten, wir müssen ihn noch mal aufmachen,“ erklärte Brian ruhig und spritzte bereits das leichte Narkotikum. „Ich bin in zehn Minuten unten, ich operiere ihn selbst.“
 

Die Schwester, die wusste, wie lange Foster bereits vor Ort war, würde es nicht schaffen, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. Auch wusste sie, dass der Arzt das niemals von sich aus tun würde, wenn die Gefahr erstens nicht enorm und zweitens er dazu nicht mehr in der Verfassung wäre. Also nickte sie nur und verschwand, um Sekunden später mit einem Sanitäter zurückzukommen. Rasch war das Bett gelöst und wurde ohne irgendwo anzuecken auf den Flur und in den Aufzug geschoben.

Als Foster nach draußen eilte, fiel ihm der Dunkelhäutige ein.
 

„Ähm... das mit dem Besuch... verschieben wir erst einmal. Könnten Sie sich um den Herrn hier drinnen kümmern? Eine Schwester wird ihm gleich eine Beruhigungsspritze geben, das wird er brauchen,“ sagte er und verschwand erst nach diesen Worten.
 

Rasch klärte er alles, was ihm einfiel, um den Kopf bei der nun folgenden OP klar zu haben. Denn nichts war hinderlicher, als wenn man noch nachgrübeln musste, ob nicht doch etwas vergessen worden war.
 

Prescott starrte dem Arzt nach. Also er bewunderte diese Menschen. Sie standen selbst kurz vor dem Zusammenbruch und schafften Übermenschliches. Er wollte erst gar nicht wissen, wie viele Stunden der Arzt bereits hier war. Aber das war jetzt nebensächlich. Hier ging es um den Bruder seines Freundes. Er hoffte nur, dass Chris es schaffen würde. Mit einem zuversichtlichen Lächeln auf den Lippen betrat er das Zimmer, welches eben hektisch geräumt worden war, und nahm Black kommentarlos in die Arme.
 

„Ich... ich dachte, er wacht auf... ich war...“
 

„Sht... komm mit raus. Die Schwester gibt dir was... Es wird alles gut,“ murmelte Mick und hoffte, dass er mit dieser Meinung nicht alleine stand.
 

Nach der Spritze erholte Black sich ein wenig. Wollte aber dennoch nicht die Klinik verlassen. Bat im Gegenzug aber Prescott, auf dem Revier vorbeizuschauen, um zu sehen, ob es neue Erkenntnisse gab. Nur ungern ließ Mick ihn alleine zurück.
 

Auf dem Weg nach draußen fiel ihm der Bruder seines Militärbekannten wieder ein. Doch diesen Weg wollte er erst antreten, wenn er mehr über den Zustand von Chris erfahren hatte.
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Nach einem kurzen Klopfen und der Aufforderung hereinzukommen enterte Prescott das Büro des Commissioners. Er wartete diesmal nicht auf eine Aufforderung, sondern ließ sich einfach in den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken, schlug die Beine übereinander und legte die Hände leicht auf die Oberschenkel, wobei die Ellbogen auf den Lehnen ruhten. So schien er, zumindest für Laien, eine beruhigende Pose eingenommen zu haben. Aber so war es nicht. Innerlich war er total aufgewühlt, aber das ging die Außenwelt nun, einfach schlicht gesagt, nichts an.
 

„Dee geht es weiterhin den Umständen entsprechen gut. Die Wunde ist nicht aufgerissen, sein Herz schlägt gleichmäßig, dennoch bleibt er vorläufig am Sauerstoff hängen. Der behandelte Arzt, Doktor Foster meint, dass es nötig sei, jemand zu holen, der ihm am Herzen liegt. Ich weiß nicht, wie weit die Ermittlungen im Fall MacLane, Ryo, sind, aber ich denke, es ist ausgeschlossen, dass er bis morgen auftaucht. Ich würde Sara holen. Je eher Dee aufwacht, desto besser ist es für die Heilung,“ gab Prescott die Anweisungen des Arztes in einem Rutsch an den Commissioner weiter. Ließ sich auch nicht von den Handbewegungen oder der heftig einziehenden Atmung Ross aufhalten. Nun schwieg er, ließ das Gesagte vorläufig erst einmal sich setzen.
 

„Doc Foster? Ich kenne ihn. Zwar nicht persönlich, aber er soll gut sein. Ich vertraue seinem Urteil, und Ihnen natürlich vorläufig auch. Wir beide wollen das beste für Dee.“ Ross schwieg kurz, bevor er das Wort wieder ergriff, nicht genau wissend, wie er es formulieren sollte. „Nun. Hrm... Der einzigste, der den Aufenthaltsort von Sara kennt, ist...“
 

„Ich weiß, wo sie ist. Oder eher gesagt... Einer unserer Leute weiß, wo sie ist. Das ist wohl das bestgehütete Geheimnis hier im Umkreis und Sie werden mir wohl auch nicht widersprechen, wenn ich anfüge, dass es dafür auch einen durchaus guten Grund gibt. Wie wir alle wohl wissen. Ich wollte nur nichts gegen Ihre Entscheidung unternehmen, Commissioner. Entschuldigen Sie mich kurz?“ entschuldigte Mick sich, als er in seine Jackentasche griff, um sein Handy hervorzuholen. Ohne lange zu zögern, tippte die rechte Hand von Black eine rasche folge von Nummern ein und hielt es an sein Ohr.
 

„Steve? Ich bin’s, Mick... Was?... Nein, noch nicht. Es geht so weit... Jetzt hör... STEVE!... Nimm dir zwei, oder drei unserer Jungs und hol Sara. Sie wird abgeschirmt wie ein goldenes Ei. Passt auf, ob ihr verfo... Ich weiß, du bist kein Anfänger, dennoch... Ja, bis nachher.“ Er legte auf und steckte das Handy wieder in die Tasche.
 

„Sie sind sehr umsichtig, Mr. Prescott.“
 

„Man kann nie vorsichtig genug sein. Ein Fehler wie bei Ryo passiert nicht noch einmal, darauf gebe ich Ihnen sogar mein Wort.“
 

„Was ist mit Jackson? Dass er der Bruder von Black ist, hat mich ein wenig umgehauen,“ gab Barclay unumwunden zu.
 

„Nun, eigentlich rede ich höchst ungern über Privates, aber in diesem Fall muss ich Ihnen zustimmen. Ich hatte genauso wenig Ahnung davon wie Sie. Obwohl die Anzeichen schon dafür sprachen,“ meinte Prescott ein wenig nachdenklich.
 

„Äußerlichkeiten? Ich finde nicht, dass sie sich ähnlich sehen.“
 

„Nein, das nicht. Eher so, wie sie miteinander umgegangen sind. Ich tippte auf langjährige Freundschaft, aber... ich denke, wir kommen vom eigentlichen Thema ab. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, Commissioner: als ich das Krankenhaus verließ, wurde Jackson gerade wieder in den OP geschoben. Was genau ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich hoffe nur, dass er es schafft.“
 

„Funk!“ knurrte Ross. Er mochte Chris. Kannte ihn ja auch schon eine Ewigkeit. Wenn er sich zurückerinnerte, hatte er nie ein Geheimnis um seine Familie gemacht. Jetzt fiel es ihm auch wieder ein, dass er hin und wieder mal einen Halbbruder erwähnt hatte, dem er ständig helfen musste. Nicht, dass dieser unfähig wäre, etwa alleine zu machen, aber meist endete das, was dieser Bruder anfing, in einem Fiasko. Da fragte man sich doch nun, wie es Black geschafft hatte, so ein Imperium aufzubauen.
 

«Er hatte wohl gute Freunde,» dachte sich Barclay.
 

„Dann heißt es wohl jetzt warten. Er hat ein gutes, kräftiges und starkes Herz und er besitzt auch Kampfgeist. Er wird es schaffen,“ murmelte Ross mehr vor sich hin, als dass er sich laut dazu geäußert hätte.
 

„Jetzt überraschen Sie mich aber. Ich dachte, Sie würden Chris nicht mögen?!“
 

„Nein. Wir sind schon lange Freunde, was mich nur ein wenig an seiner Loyalität zweifeln ließ, war der enge Kontakt zu Black. Aber das ist ja nun geklärt. Gut. Nachdem wir das hier geklärt haben, möchte ich Sie in die laufenden Ermittlungen einweihen.“ Barclay räusperte sich und war sich tief im Innersten klar, dass er nun klein Blatt vor den Mund nehmen würde. Denn schließlich hatte er die wichtigste Mitteilung zum Lösen des Falls von Seiten Black und Prescott bekommen.
 

„Die Spurensicherung läuft noch. Die Bombe an sich, wie die Experten sagten, war nicht so ausgefeilt wie die ersten oder die letzte. Aber nach dem Stand der Ermittlung spricht alles dafür, dass dieser Mann, Scott Peter Fulton, der Attentäter in allen Bombenfällen war. Seine Kenntnisse reichten in diesem Bereich. Dank Ihrem ausführlichen Bericht, Mr. Prescott, bleibt auch kein Hauch eines Fehlers übrig. Bis auf die Frage, wer tötete den Bomber?“
 

Prescott, der bis eben ruhig und still in dem Stuhl gesessen hatte, wurde nun wieder hellhörig. „Ich verstehe nicht? War da nicht eine Explosion?“
 

„Da haben Sie Recht, und dennoch war diese Bombe nicht daran Schuld, dass Scott Peter Fulton nun nicht mehr unter uns weilt. Ich werde es Ihnen erklären, denn den Bericht habe ich noch nicht offiziell vorliegen.“

Erneute räusperte er sich und bot nun erst einmal Mick einen Kaffee an. Doch da dieser ablehnte, musste er seine Kehle erst wieder durch ein weiteres Räuspern frei bekommen.

„Mein Scharfschütze ist sich absolut sicher, dass der Attentäter sich nicht gerührt hat. Er geht sogar so weit, zu behaupten, dass er mit dem Kopf auf dem Arm oder Tisch dort gesessen haben soll. Somit lasse ich die Leiche im Augenblick gründlich untersuchen. Sollte der Verdacht sich bestätigen, dann können wir davon ausgehen, dass wir noch eine tickende Zeitbombe hier herumlaufen haben.“
 

Mick hörte ruhig zu. Stellte keine Zwischenfrage sondern machte sich vorläufig, wie es nun mal seine Art war, in seinen Gedanken stichpunkthaltige Notizen.
 

„Ich weiß, dass Sie über das, was ich Ihnen nun sagen werde, noch nicht informiert sind, aber ich glaube, es ist nun wirklich Zeit, von beiden Seiten aus gesehen mit offenen Karten zu spielen.“ Kurz zauderte Mick, bevor er mit seiner Rede fortfuhr.
 

„Black, ich sowie Chris und Dee haben uns regelmäßig getroffen. Wo und wann ist im Augenblick wohl unwichtig. Aber wir haben unsere Gedanken ausgetauscht. Spuren erneuert oder verworfen. Wenn man einen Fall aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet, wird manches schnell klarer. Und da die polizeiliche Ermittlung nicht vorankam, sahen wir alle, all die Erwähnten, in dieser Zusammenkunft die Möglichkeit, schneller zum Ziel zu gelangen.“
 

„Demnach wurde dort auch Ryo’s Aktivität beschlossen?“
 

„Ja!“ Mick nickte und fühlte sich wegen der gescheiterten Observation ein wenig müde.

„Worauf ich jedoch hinaus will... Chris erzählte, nein, es war Dee... Dass Ihr Profiler McNear einen Ansatz gefunden haben könnte, dass es sich tatsächlich um zwei Männer handeln könnte.“
 

Das hatte Barclay zwar nicht vergessen, aber irgendwie schien ihm bis dato nichts darauf hinzuweisen, dass diese Vermutung zutraf. Nun, wenn er jetzt alle Aspekte zusammenfügte, bestand die Möglichkeit, dass dies nun doch der Fall sein könnte. Könnte, wohlgemerkt. So rasch ließ er sich nicht gleich überzeugen.
 

„Das entspräche dann auch der Möglichkeit, dass Scott Fulton getötet wurde, bevor die Bombe explodierte. Somit müsste er wohl in unmittelbarer Nähe des Explosionsherdes gewesen sein.“
 

„Brrr... warten Sie mal. Was Sie da andeuten, gefällt mir nicht,“ fuhr Ross in der Stimme hoch, ohne jedoch seinen Körper dabei zu bewegen.
 

„Ich sagte nichts in dieser Richtung. Lediglich, dass er in der Nähe hätte sein müssen. Auf der Straße, eventuell im Hinterhof oder in einem der Gebäude rundherum,“ wurde Mick ein wenig genauer. Und wusste, dass er eigentlich genau das meinte, was er nicht wagte auszusprechen. Noch nicht. Noch waren die Beweise einfach zu dürftig. Und noch hatte er auch keinen im Visier. Die meisten kannte er, und obwohl er nicht jedem sein Leben anvertrauen würde, so würde er doch für einige von ihnen die Hand ins Feuer legen, dass sie nicht käuflich waren.
 

„Okay... Sehen wir mal... Die Bewohner wurde nur gebeten, in ihren Häusern zu bleiben, wobei das eigentliche Zielgebäude ruhig evakuiert worden war. Auf der Straße und rund herum waren nur Cops. Bliebe also, wenn wir davon ausgehen, dass es ein Außenseiter ist, nur noch die Anwohner.“
 

„Wenn...“
 

„Ich würde für meine Jungs hier durchs Feuer gehen, Prescott,“ knurrte Ross nun, richtig angepisst über so eine Anschuldigung, zurück.
 

„Für Ihre schon. Aber was ist mit den anderen?“ Als Mick keine Äußerung von Ross vernahm, fuhr er fort: „Bombensquat? Spurensicherung? Sondereinsatzkommando und nicht zuletzt die Jungs von den Krankenhäusern und die Feuerwehr? Ich wollte Ihnen nicht auf die Zehen treten, aber denken Sie mal nach... Wenn Sie nichts mehr haben, ich möchte gerne zurück ins Krankenhaus.“
 

„Schon gut. Gehen Sie. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten, was ich von Ihrer Seite ebenfalls erwarte.“
 

Nachdem Mick zugestimmt und sich verabschiedet hatte, wurde die Tür schon wenige Augenblicke erneut aufgestoßen.
 

„Sorry, Ross. Kann ich kurz?“ Ein blonder Kopf erschien in der Türöffnung und trat erst komplett ein, als er das Nicken des Commissioners gesehen hatte.
 

„Was treibt dich hierher, Jim?“
 

„Ich war eben drüben im Gerichtsgebäude. Wegen der Obduktion. Da hörte ich auch von der Vermutung, dass Fulton bereits tot sein sollte. Da meine Jungs noch immer alles mögliche zusammenkehren, habe ich mir halt die Zeit genommen, um mir mit dem Arzt dort ein wenig genauer die Leiche zu betrachten.“
 

„Und?“ fragte Barclay, der noch immer keine Ahnung hatte, ob es nun etwas wichtiges war, was jetzt gleich auf den Tisch kam, oder eher unwichtig. Aber so wie er Cambel kannte, würde er bald mit der Sprache rausrücken. Er brauchte halt seine Anläufe.
 

„Ob du es glaubst oder nicht, aber...“
 

„Jim! Bitte. Es ist schon ein langer Tag für mich gewesen... Bitte, komm zum Punkt!“ forderte Ross ihn nun doch auf, endlich mit dem Wichtigsten rauszurücken.
 

„Du siehst auch komplett verspannt aus. Soll ich dich massieren?“ fragte Cambel und kam nun völlig vom Thema ab.
 

„Jim!“ sagte Ross ernst aber dennoch sanft. „Nicht jetzt.“
 

„Okay, dann halt später,“ grinste er ihn sanft an, holte dann sein Notizbuch aus seiner Jacke, hockte sich auf den Schreibtisch und ließ wie nebenbei einen kleinen runden Gegenstand in Barclays Hand rutschen.
 

„Punkt eins. Den trug die Leiche. Warte, bevor du mich anfährst. Keine Spuren drauf. Weder Fingerabdrücke noch Fasern. Außer von der Leiche, das habe ich schon gecheckt. Punkt zwei. Fulton war bereits tot, als J.J. auf ihn geschossen hat. Das ergibt sich aus zwei weiteren Punkten. Bist du neugierig oder willst du die offizielle Version des Gerichtsmediziners abwarten?“
 

„Nein, Leg los.“
 

„Ich will dich nicht mit dem ganzen Fachwissen volltexten, also halte ich mich schlicht, damit du es auch...“
 

„Jim!“ fuhr er nun wieder genervt zwischen die nichtssagenden Worte.
 

„Schon gut. Also Fulton war schon mindestens ein oder zwei Stunden tot, bevor er erschossen wurde. Dazu braucht man noch nicht einmal gründlich zu forschen. Aber ich sehe dir schon an, dass du gleich... gut, ich red ja schon weiter. Ähm... also. Fulton starb an Herzversagen. Jedenfalls wäre das die offizielle Äußerung. Aber da uns das nicht reicht, sind wir genauer vorgegangen. Wir haben die möglichen und eigentlich üblichen Orte genau untersucht... Du verstehst nicht, was ich meine, also doch nicht so... gut... Also dann...“

Jim legte einen Finger gegen die Lippe, grübelte kurz nach und begann dann nochmals von vorne.

„Herzversagen war die Ursache, für die sich J.D. und ich uns entschieden, doch dann kam dein Anruf und wir nahmen uns sie Leiche nochmals gründlicher vor. Kein an sich gesunder Kerl mitten im Leben erleidet einen Herzanfall und stirbt. Wenn wir in Betracht ziehen, dass ihn jemand, der ihn womöglich auch noch kannte, umgebracht hat, dann wirft das alles ein anderes Licht auf das ganze. Also sind wir von einer banalen Spritze ausgegangen. Ein wenig Luft reicht aus, um zu so einem Ergebnis zu führen. Es war nicht leicht, aber wenn man die bekannten Stellen kennt, die Verbrecher bevorzugen, dann findet man sie auch auf einer leicht ramponierten und zum teil verkohlten Leiche.“
 

„Ihr habt also was?“
 

„Einen Einstich knapp unter dem rechten Ohr. Somit wäre der Täter, wenn er hinter ihm stand, wovon man ausgehen sollte, Rechtshänder. Obwohl auch eine beiderseitige Handlung nicht ausgeschlossen werden kann.“
 

„Und der Ring?“
 

„Nun, eigentlich habe ich ihn gleich erkannt... habe ja auch lange nach dem Ding gesucht!“ warf Jim ein und machte Ross auf die Innenseite des Ringes aufmerksam.
 

„In ewiger Liebe, dein Dee!“ ungläubig hob er den Blick. „Irgendeine Spur zu Ryo?“
 

„Nope. Nur dieser Ring. Und das bringt mich zu der Annahme, dass alles zusammenhängt. Dein Profiler müsste da noch schneller hinter alles kommen. Wo steckt er denn?“
 

„Habe ihn heute morgen vom Fall zurückgezogen.“
 

„Vielleicht ein Fehler, Barc. Aber wenn du Wert auf meine Meinung legst: das steckt alles zusammen. Fulton legt die Bomben erst auf eigene Verantwortung aus Rache, wegen dem Unfall in Mexiko. Der andere Täter erfährt davon oder kommt durch Zufall auf die Spur und rechnet sich nun etwas aus. Was genau - keine Ahnung. Auf alle Fälle sind die MacLane’s da irgendwie mitten drin. Dazu würde passen, dass das Basra in die Luft fliegt und Ryo dann entführt wird. Immer nur Ryo. Warum nicht Dee? Warum schnappt sich der Spinner nicht Dee?“
 

„Du meinst wirklich, er könnte es auf Dee abgesehen haben und will Ryo nur irgendwie aus dem Weg schaffen?“
 

„Ich weiß es nicht, Barc. Ich weiß es nicht. Das ist nicht mein Metier. Aber frag diesen Profiler. Dass Ryo’s Ring wieder aufgetaucht ist, ist meiner Meinung nach kein gutes Zeichen. Nur gut, dass Sara in Sicherheit ist. Wie geht’s Dee eigentlich?“
 

„Das ist der Punkt, Jim. Sie holen Sara, damit es Dee besser geht. Ich hoffe, das geht nicht nach hinten los und wir machen einen noch größeren Fehler als Black mit Ryo.“
 

„Hey... vertrau auf dich, das hast du bisher doch auch immer. Du bist gut, Barc. Wir sehen uns später,“ sagte Jim und lächelte ihn kurz an, bevor er vom Schreibtisch hupfte und aus dem Büro verschwand.
 

Zurück blieb ein sehr nachdenklicher Barclay Ross, der sich den vergangenen Samstag in Ruhe nochmals vor sein inneres Auge rief und alles nochmals mit sich durchging. Nur gut, dass ihn jetzt keiner mehr störte.
 

***** TBC

Sonntag - 08.August

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Foster brach, nachdem er die OP hinter sich gebracht hatte, fast zusammen. Nur noch mit Mühe hielt er sich aufrecht. Eine Naht hatte sich geöffnet und hatte neues Blut in den Bauchraum fließen lassen. Wäre er nicht zur Stelle gewesen, würde Chris Jackson wohl nicht mehr unter ihnen weilen, aber so hatte er noch eine realistische Chance.
 

Brian meldete sich in der Klinik ab. Aber auf dem Weg nach draußen fiel ihm wieder dieser Bursche ein, der auf der Chirurgie lag. Vermutlich wunderte er sich, dass er nicht zu seinem Freund gebracht worden war. Ein Blick zur Uhr sagte ihm, dass es eh schon spät war, so dass er auch noch einen kleinen Abstecher auf die Chirurgie machen konnte.
 

Die Nachtschwester war zwar nicht erbaut, als er nach der Zimmernummer von einem Robin Steward fragte, dennoch erhielt er sie umgehend. Anscheinend war der Junge hier nicht sehr beliebt. Was kein Wunder zu sein schien. Er selbst war so eine Plage, wenn er krank war. Nichts konnte man ihm recht machen und wenn er dann auch noch wusste, dass derjenige, dem sein Herz gehörte auf der Intensivstation mit dem Tode rang, würde ihn auch nichts halten.
 

„Ach ja, die Liebe!“ seufzte er leise, als er die Tür vor sich langsam aufschob.
 

Sofort richtete sich ein Blick aus braunen Augen, auf ihn. Wie es Brian vorkam, schien der Bursche eben noch geweint zu haben. Gut, dass er nun hier war, das würde den Jüngeren wohl nicht ganz beruhigen, aber doch dazu führen, dass er wenigstens aufhörte, die Schwerstern zu drangsalieren.
 

„Hi, Robin. Mein Name ist Doktor Foster,“ stellte er sich erst einmal vor, überprüfte dann den Puls, als wäre es das normalste der Welt, dass ein Arzt so etwas kurz nach Mitternacht tat.
 

„Man hat mich heute nachmittag aufgesucht und gebeten, dass du einen Patienten auf der Intensivstation besuchen darfst. Nun, eigentlich spricht dem auch nichts entgegen. Nein, bleib ruhig, okay. Ich bin ja hier, um dich aufzuklären. Aber versprich mir, ruhig zu bleiben. Ein Problemkind reicht mir,“ erklärte er und hockte sich nun ganz entgegen seiner ärztlichen Gepflogenheiten auf die Bettkante. Noch immer hielte er die Finger am Puls.
 

„Nun, wo war ich... Ach ja. Ich weiß, dass Detective Jackson nicht dein Freund ist, jedenfalls nicht offiziell und eigentlich dürftest du auch nicht zu ihm, aber ich kann dich verstehen. Aber ich schweife ab, liegt wohl daran, dass ich müde bin,“ murmelte er und versuchte, ein kleines Lächeln anzubringen. Doch Robin blieb ruhig, schaute ihn nur mit seinen großen rehbraunen Augen intensiv an.
 

„Na gut. Ich habe ihn eben nochmals operieren müssen. Wie es mit ihm nun weitergeht, werden wir sehen. Wenn keine weiteren Komplikationen eintreten, müsste er morgen kurz aufwachen und dann noch vierundzwanzig Stunden später würde ich sagen, dass er über den Berg wäre. Aber bis dahin ist auch noch viel Zeit. Zeit, in der alles passieren kann, Robin. Ich wollte es dir nur selbst sagen.“ Foster verstummte und wartete auf eine Reaktion. Die auch nicht lange auf sich warten ließ.
 

„Kann ich zu ihm?“ war es mehr ein Hauch als ein Flüstern.
 

„Morgen früh... oder eher nachher. Du stehst ja auf der Liste. Also wenn... wie war sein Name... Prescott, genau. Also wenn dieser Herr dich aufsucht, kannst du mit hoch.“
 

„Doc?“
 

„Ja?“
 

„Wird er es schaffen?“
 

„Ich hoffe es. Er hat bisher nicht aufgegeben, und wenn du dann noch an seiner Seite bist... Es hilft viel, wenn jemand da ist, der auf einen wartet,“ machte der Doc Robin Hoffnung, die er auch in sich selbst spürte. Anschließend erhob er sich, nickte Robin kurz zu und verschwand, um endlich seinen wohlverdienten Feierabend anzutreten.
 

~~~~ Medical Center ~ Intensivstation ~~~~
 

Die Geräte, die bis eben noch völlig ruhig vor sich hin gepiepst hatten, änderten mit einem mal ihre Gleichmäßigkeit. Kurz setzte der Herzmesser aus, bevor dieser mit überhöhter Geschwindigkeit anfing, sich zu regen. Allein schon diese Tatsache war Schuld, dass binnen Sekunden die Intensivstation um fünf Uhr Morgens zum Leben erwachte.
 

Schwestern riefen nach Ärzten, Ärzte riefen nach Schwestern.
 

Ein Arzt griff nach der Hand von dem Cop, der sich unruhig auf seinem Bett bewegte.
 

„Mir müssen ihn ruhig halten, sonst wird die Wunde aufbrechen und ich garantiere für nichts, wenn die Lunge wieder einreißt,“ sagte der Arzt und orderte eine feste Bandage und ein leichtes Beruhigungsmittel für den Cop.
 

Kaum lag die Manschette über dem Bauch, flogen die Augenlider auf und entblößten zwei dunkelgrüne Augen, die in Entsetzen aufgerissen waren.
 

Der Arzt hielt die Spritze mit dem leichten Sedativum noch in der Hand, als er ein Stöhnen aus dem Mund des Patienten vernahm.
 

Sofort legte er die Spritze zur Seite, tastete nach dem Puls. Eine seiner Hände legte sich an die Schulter des aufgewachten Cops.
 

„Schon gut, Sie sind im Krankenhaus. Sie hatten einen Unfall.“
 

Weiter kam der behandelnde Arzt dann nicht mehr, denn der Cop murmelte über seine trockenen, leicht aufgerissenen Lippen nur einen Namen.
 

„Ryo?!“ Dann sackte er wieder zurück.
 

„Ist er...?“ fragte eine Schwester nervös. Es war nicht das erste Mal, dass Patienten aus dem Koma, sei es auch nur wenige Stunden gewesen, aufgewacht waren, um dann gleich zu sterben.
 

„Nein... seine Werte sind in Ordnung. Er ist über den Berg... jetzt...“ sagte er und man konnte dem Arzt deutlich anhören, dass er somit ein Sorgenkind weniger auf der Intensivstation hatte.
 

Er nahm das Klemmbrett vom Fußende des Bettes und notierte den Vorfall genau mit Uhrzeit, Datum und Unterschrift.
 

~~~~ In Black’s Wohnung ~~~~
 

Black verließ gerade die Dusche, als er unten in seiner Wohnung Radau vernahm. Das erste, was ihm einfiel, waren ‚Verbrecher’, doch das schob er gleich weit von sich. So gesichert wie der Häuserkomplex war und dann noch sein Sicherheitssystem. Also musste es eine andere Ursache geben.
 

Aaron beugte sich nur bekleidet mit einem Handtuch über die Balustrade und blickte nach unten. Ein kleines Lächeln, eines, was sich in den letzten Stunden versteckt hatte, zeigte sich auf seinen Lippen, als er seinen Lover mit einem kleinen blonden Engel spielen sah.
 

Er beobachtete sie noch einen Moment, bevor er sich in sein Schlafzimmer zurückzog, um sich anzuziehen. Schließlich musste er zurück ins Krankenhaus. Er musste wissen, wie es Chris nach der Not-OP in der letzten Nacht ging.
 

Außerdem gab es da noch Sara. Er musste sie schützen. Schützen vor allem vor dem Entführer. Noch immer hatten sie keine Spur. Aber er hatte auch jetzt nicht den Kopf frei dafür. Dafür hatte er seine Leute und an vorderster Front stand Prescott. Er liebte ihn und er war froh, dass er ihn in so einer Zeit an seiner Seite hatte.
 

Mit einer hellen Stoffhose und einem weißen Hemd verließ er das Schlafzimmer und begab sich zu den beiden herumtollenden.
 

„Onkel Aaron,“ wurde er begrüßt und schon schlangen sich dünne Ärmchen um seine Mitte.
 

Er hätte niemals zulassen dürfen, dass Ryo sich so in Gefahr brachte. Jetzt erst wurde er mit dem ganzen Ausmaß seiner verbohrten Idiotie konfrontiert. Wenn er es könnte, würde er die Zeit zurückdrehen. Dee gleich von Ryo’s Überleben erzählen und alles wäre gut, aber nein... Es war nur ein Wunsch und er hoffte bei sich, dass sich sein innigster Wunsch, die MacLane’s glücklich wieder vereint zu wissen, bald erfüllte.
 

„Hallo Sonnenschein... Na, du siehst ja wunderschön gebräunt aus. Hat sich denn Onkel Tony auch gut um dich gekümmert?“ neckte er sie und hob sie auf den Arm, und obwohl sie doch schon recht groß war, freute sie sich über diese seltene Gunst von ihrem adoptierten Onkel.
 

„Jahaa... wir waren viel draußen. Am Wasser. Aber Pst... Onkel Aaron. Onkel Tony sagt, dass böse Menschen mich ärgern wollen und dass ich immer brav auf ihn hören muss. Stimmt das?“ fragte sie, naiv wie sie nun mal mit ihren fünf Jahren noch war.
 

„Ja, Sara. Das stimmt.“ Er warf einen Blick zu Prescott. Dieser warf einen Blick auf den Sessel, der mit der Rückenlehne zu ihm stand.
 

„Tony schläft... Es war ein langer Rückweg.“
 

„Lass ihn schlafen. Haben wir Kaffee und für unseren kleinen Sonnenschein auch ein wenig Kakao, oder möchtest du Tee?“
 

„Schokolade... bitte,“ sagte sie artig und schlang ihre Ärmchen um Black’s Hals.
 

„Na dann wollen wir mal schauen, ob wir auch Schokolade hinbekommen,“ sagte er froh gelaunt und enterte, noch immer mit Sara auf dem Arm, die Küche.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Die Schwester betrat die Station und machte zuerst wie üblich nach der Übernahme einen Rundgang durch die Zimmer, die sie betreute. Durch die Explosion vom Vortag war die Station überaus gut belegt. Bisher jedoch konnten die Patienten weiterhin in Zimmern liegen. Wenn sie an die erste Bombe dachte, wo sie die Betten längsseits im Flur stehen hatten, grauste es ihr.
 

Sie öffnete die Tür zu Zimmer 221 und schüttelte den Kopf, als der Patient, einer der wenigen, die ihr wirklich Ärger machte, bereits am Fenster stand und hinausblickte auf den Sonnenaufgang.
 

„Mr. Stewart. Bitte. Sie brauchen doch Ruhe. Legen Sie sich hin, dann heilt die Wunde doch auch besser,“ erklärte sie mit ihrer ruhigen, aber bestimmten Stimme.

Kaum einer ließ sich davon täuschen, denn sie war eine der wenigen Schwestern hier, die wirklich noch mitlitten. Die meisten taten ihren Dienst routinemäßig und schalteten sämtliche Gefühle einfach aus. Aber das konnte sie einfach nicht. Ihr Mann hatte ihr deswegen auch schon öfters geraten, auf Abstand zu gehen, aber hin und wieder kam halt so ein Patient wie dieser junge Mann und da konnte sie es nicht unterdrücken.

„Ich weiß ja, dass es Sie zur Intensivstation zieht, aber es ist noch zu früh. Bitte legen Sie sich wieder hin.“
 

„Aber...“
 

„Kein Aber! Ich werde nachher oben mal anrufen und Sie dann persönlich hochbringen, aber jetzt sind Sie so freundlich und tun etwas für Ihre Gesundheit. Es nützt Ihnen nichts, wenn Ihr zuständiger Arzt Ihnen nachher sagt, dass Sie nicht aufstehen dürfen. Sie möchten doch zu Ihrem Freund? Also tun Sie sich selbst einen gefallen und legen sich wieder hin.“
 

Leise lachte Robin auf. „Sie sind echt toll, Schwester. Okay, dann leg ich mich wieder...“ gab er nach. Sein Hals tat zwar noch weh, aber dass er hier als Invalide betrachtet wurde, passte ihm dennoch nicht.
 

„Ich schau nachher noch mal nach Ihnen. Seien Sie artig,“ warnte sie, bevor sie das Zimmer verließ.
 

„Ich will doch nur zu ihm... Chris,“ seufzte er und schloss dann die Augen, um doch noch einmal einzuschlafen.
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Die Nacht war kurz gewesen. Nicht nur, weil er sie nicht alleine verbracht hatte, sondern weil sie auch lange über den aktuellen Fall gesprochen hatten. Barclay mochte es, wenn er außerhalb abschalten konnte, aber in diesem speziellen Fall machte er mal eine Ausnahme. Sollte er wirklich diesen McNear wieder hinzuziehen? So recht wohl war ihm dabei nicht, aber wenn dieser Mensch, so unsympathisch er ihm auch war, zur Lösung etwas beitragen konnte... Er zögerte noch einige Sekunden, dann hob er den Hörer ab und wählte die Nummer, die er sich notiert hatte.
 

„McNear!“ hörte Barc als abgenommen wurde.
 

„Commissioner Barclay Ross hier.“
 

„Wie geht’s Dee?“
 

„Oh, es geht ihm gut. Ich habe noch keine neuen Informationen über sein Befinden, aber deswegen ruf ich nicht an.“

Nur einer, der Ross lange kannte, konnte sehen, wie ungemütlich er sich in diesem Augenblick in seiner Haut fühlte.
 

„Sondern?“

Die Neugier sprang einen sogar durch das Telefon heraus praktisch an, so dass der Commissioner sich noch einmal die Frage stellte, ob er jetzt nicht einen riesigen Fehler beging.
 

„Die Obduktion des Bombers hat ergeben, dass er bereits tot war, als die Bombe gezündet wurde. Sie hatten Recht mit der Zweimann-Theorie und... und...“ er stockte, konnte es einfach nicht über sich bringen, diesen arroganten Schnösel um Hilfe zu bitten.
 

„Wollen Sie mir etwas sagen, dass Sie meine Hilfe wieder wollen?“ half McNear dem Commissioner ein wenig nach.
 

Am liebsten hätte Ross aufgehängt, aber er musste alles tun, damit dieser Fall und auch die Sache mit Ryo so schnell wie möglich geklärt wurde.

„Wenn es Ihre Zeit erlaubt, würde ich gerne Ihre Meinung zu den aktuellen Ereignissen hören. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, mich in, sagen wir zwei Stunden, im Büro aufzusuchen?“
 

„Nein, ganz im Gegenteil. Wenn ich jedoch so frei wie Sie reden darf, würde ich das gerne an eine Bedingung knüpfen.“
 

«Mistkerl!» konnte Barclay seine Gedanken nicht zügeln, verhinderte aber gerade so, dass er dieses Wort laut aussprach.

„Das wird Ihre Dienststelle nicht gerne hören, dass Sie hier Erpressermethoden anwenden!“ knurrte Barclay sichtlich gereizt in den Hörer.
 

„Ihre Entscheidung, Commissioner!“
 

Die Gedanken stoben rasend durch Barclays Kopf. Diesem DCI würde man eher glauben als ihm. Scheißegal, was für einen Rang er auch hatte. McNear stand über ihm.
 

„Was wollen Sie?“
 


 

~~~~ Medical Center ~ Intensivstation ~~~~
 

Steve und Tony hielten die Hände von Sara, als sie langsam auf die Intensivstation gingen. Überall herrschte heute Ruhe. Anscheinend waren alle Patienten entweder tot oder es ging ihnen gut, was, so hofften die beiden, am besten wäre.
 

Vor der verschlossenen Tür, hinter der Saras Dad lag, kniete sich Steve zu der Fünfjährigen hinunter.
 

„Du musst jetzt ganz artig sein, Sara. Dein Dad ist sehr krank, das habe ich dir ja schon alles erklärt, und ich weiß, dass du alles verstanden hast, aber es ist...“ wie sollte er das Kind überhaupt auf all das vorbereiten. Nun, er hatte sein Bestes getan, das wusste Steve und sah zu Tony auf, der ihm zuversichtlich zunickte.
 

Auch wenn Tony sich in den letzten Wochen mehr um Sara gekümmert hatte als Steve, vertraute die Kleine Cotton weitaus mehr. Warum das so war, konnte Tony nicht direkt sagen. Lag wohl an seiner Ausstrahlung. Selbst ihn hatte diese vor Jahren gefangen genommen und seitdem war er nicht mehr von seiner Seite gewichen. Er liebte ihn und seit dem ganzen Bombenscheiß und ihrer Trennung und der Verlustangst noch mehr als je zuvor.
 

„Komm, Sara. Gehen wir!“ sagte Tony jetzt leise.
 

Ergriff die Hand und fühlte eine andere, die sich sanft auf seine Schulter legte.
 

Ohne noch länger zu zögern öffnete er die Tür zu Dee’s Krankenzimmer.
 

Neben dem Bett stand ein großer Mann und notierte gerade etwas auf dem Klemmbrett. Neugierig richtete sich dessen Blick auf die Tür und sofort ging ein Strahlen darüber.
 

„Sara, mein Engel!“ begrüßte Doktor Brian Foster die Tochter der MacLane’s, die er auf die Welt geholt hatte.
 

„Onkel Doc!“ rief Sara begeistert, verstummte dann jedoch, als sie die ganzen Geräte erblickte.
 

Schüchtern und so ganz für Sara ungewöhnlich verstummte sie. Zog sich sogar etwas hinter Tony zurück.
 

Dieser ließ sie einen Augenblick, ging dann in die Hocke und hob sie auf. Ein Federgewicht wie Sara war da kein Problem. Mit wenigen Schritten, die er langsam voran ging, damit sich die Kleine ein besseres Bild machen konnte, näherte er sich dem Bett.
 

„Dad?!“ hauchte sie, als sie den Mann unter der Decke erkannte.
 

Doc Brian hatte das Zimmer leicht verändert, so dass Sara nicht gleich die ganzen Schläuche sah, die von ihrem Vater zu den Geräten führte. Es war so bestimmt schon nicht leicht für die Fünfjährige.
 

Brian ging zu Tony und nahm ihm Sara ab. Drückte ihr einen kleinen Kuss auf die Wange.
 

„Dein Dad ist ganz doll krank, Spatz. Du musst schön artig sein. Und darfst nicht so rumtoben, du möchtest doch, dass dein Dad bald wieder bei dir ist?“ fragte und erklärte er ihr.

„Siehst du die Geräte hier? Du brauchst keine Angst zu haben, sie tun deinem Dad nicht weh. Sie gucken nur, ob alles okay ist. Im Augenblick schläft er noch, aber wenn er dich sieht, wird es ihm bald besser gehen. Ich lass dich jetzt runter, aber sei ganz lieb, okay!“
 

Langsam ließ er sie auf die Bettkante sinken, trat hinter sie und legte eine Hand auf ihre Schulter.
 

„Du kannst ruhig mit ihm reden und ihn anfassen. Das wird ihm helfen, Spatz,“ erklärte er und richtet sich dann auf, um einen Blick wieder über die Werte schweifen zu lassen.
 

Für einen Ungeübten wären die leichten Veränderungen nicht sichtbar gewesen, aber für ihn schon.
 

„War er schon mal wach?“ fragte Steve und ging nun auch näher, zog sich einen Stuhl und löste somit den Arzt von Sara ab.
 

„Ja. Der behandelnde Arzt meinte, es sei merkwürdig. Nicht normal.“
 

„Wie das?“ fragte Tony nach.
 

„Die Geräte schlugen Alarm und er lag mit weit aufgerissen Augen im Bett. Dann rief er nach Ryo und fiel wieder in den Schlaf. Aber die Werte haben sich deutlich verbessert,“ erklärte Brian die Vorkommnisse.
 

Er kannte Steve und Tony. Schließlich gehörten sie wie Dee und Ryo zu seinem Patientenstamm. Somit kannte er auch das Verhältnis der vier untereinander. Ansonsten hätte er sich zu den genauen Fragen niemals so offen geäußert. Aber er wusste, wem er vertrauen konnte und wem nicht.
 

„Dad!“ hörten sie auf einmal Sara murmeln.
 

Die es sich, während sich die Älteren unterhalten hatte, neben ihrem Vater gemütlich gemacht hatte. Sie saß nicht mehr sondern lag nun auf der einen Seite dicht an Dee gekuschelt. Ihr Kopf ruhte auf dessen Schulter.
 

„Dad... wach auf... bitte... Dad... ich habe Angst... Dad!“
 

Die Augen von Foster flogen zur Anzeige und er ging auf die andere Seite vom Bett, fühlte den Puls und nickte.
 

„Das ist gut...“

Er beugte sich über Dee, sah, wie dessen Augenlider anfingen zu flackern, sich öffneten und sich dann zur Seite bewegten, bis er sein Kind sehen konnte.
 

„S...aara...?“ brachte er mühsam heraus.
 

„Dad!“ freute sich die Kleine, blieb aber, wie man ihr geraten hatte, brav liegen. Schenkte ihrem Dad aber ein herzliches Lächeln. Schmiegte sich noch fester an ihn. „Ich liebe dich...“
 

„Sa...ra...“ Erschöpft schloss Dee die Augen.
 

„Wir bleiben noch eine Weile.“
 

„Aber nicht zu lange. Ihr könnt nachher dann nochmals vorbeikommen. Sonst wird es zu viel für die Kleine,“ erklärte Brian, nachdem er die Veränderung auf dem Klemmbrett notiert hatte. „Wenn was sein sollte, ich bin hier irgendwo.“
 

Brian ließ die vier Menschen zurück. Dort konnte er vorläufig nichts mehr tun. Jetzt hieß es nur noch warten und hoffen, dass es nicht doch noch zu Komplikationen kam. Aber eines war gut: Dee war wach und die Werte waren sehr gut.
 

Sein nächstes Ziel an diesem Morgen war der andere Cop. Chris Jackson. Die OP war zwar gut verlaufen, er war nach der Narkose aufgewacht, jedenfalls offiziell, und lag nun im Koma. Wahrscheinlich schützte sich so der Körper vor anderen Eingriffen oder vor den Schmerzen. Wer konnte das schon sagen.
 

Auch hier überprüfte er die Werte. Sie waren noch lange nicht so gut, wie er erhofft hatte. Wenn sich nicht bald etwas ändern würde, musste er darüber nachdenken, ihn richtig beatmen zu lassen. Sauerstoff bekam er zwar über die Nasensonde, aber wenn der Zustand länger anhielt, reichte das bei weitem nicht aus.
 

Selbst in diesem Zimmer blieb er nicht lange allein. Besuchszeit war zwar keine, aber es gab halt Ausnahmeregeln. Gerade hier auf der Intensiv. Hier wusste man nie, wie lange die Patienten noch lebten. Deswegen war man hier etwas lockerer im Umgang mit den Angehörigen.
 

„Wie sieht es aus, Doktor?“ hörte er die vertraute Stimme und hängte das Klemmbrett von Jackson ans Bett.
 

„Sagen wir mal, den Umständen entsprechend gut. Er liegt weiterhin im Koma. Warum ist mir ein Rätsel,“ gab er unumwunden zu.
 

„Sein Herz?“
 

„Es schlägt. Es ist kräftig, sonst hätte er die OP nicht überstanden. Nein, es scheint mir, dass es etwas gibt, was ihm Kraft gibt.“
 

„Diesen Jungen von der Chirurgie?“
 

„Möglich! Er war noch nicht hier. Aber ich hatte ein Gespräch mit ihm. Er scheint nett zu sein und vor allem er liebt Ihren Bruder. Bedenken Sie das bitte, Mr. Black,“ erklärte er und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Ich werde ihn jetzt holen. Sie sind doch damit einverstanden?“
 

Aaron nickte, ging dann zum Bett und sah auf seinen Bruder hinab.
 

„Ich würde alles für ihn tun.“
 

***** TBC
 


 

das nächste Kapi habe ich auf Anraten meiner Betaleserinnen hier heraus gelöst, sonst hätte ich die beiden letzten Kapitel unter Adult stellen müssen.
 

So habe ich die Folter Sequenz mit Ryo nun extra zusammen gefasst.

Ich musste ihn mindestens einmal richtig leiden lassen, damit ihr am Ende der Story auch die Beweggründe von Ryo nachvollziehen könnt.

Für diejenigen die den Adultteil nicht lesen können, sei gesagt, das es keinen Eingriff auf den Ablauf der Geschichte hat.
 

Also bis zum nächsten Teil....

Eure Mikito

Ryos Folter

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Sonntag – 08. August später

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Die Spurensicherung war echt flott gewesen. Jedenfalls hielt Barclay Ross bereits einen Vorab-Bericht in den Händen.
 

Die Bomben, die bisher explodiert waren und zig Menschen das Leben gekostet hatten, von den Verwundeten mal ganz zu schweigen, waren in der Wohnung von Fulton in der Pell Street gebaut worden. Man hatte Restspuren davon gefunden und konnte diese mit fast 100%iger Wahrscheinlichkeit mit denen in Verbindung bringen.
 

Ferner fand man einen Ring, der als der von Ryo MacLane identifiziert worden war und sich im Augenblick in Obhut des Commissioner befand.
 

Barclay wusste, warum das hier extra aufgeführt wurde. Denn falls der Fall eintreten sollte, dass dieser Ring ein wichtiges Indiz werden würde, konnte er dafür haftbar gemacht werden, sollte der Ring verschwinden. Gut, das hatte er nicht vor. Also las er erst einmal weiter.
 

Die Leiche war am Fundort fotografiert worden und davon lagen einige unschöne Bilder mit in der Akte, die vor ihm lag.
 

Ross nahm eines hoch und betrachtete sich das Gesicht. Viel war nicht mehr davon zu erkennen. Kein Wunder, wenn man davon ausging, dass die Bombe direkt davor gezündet worden war. Erneut fragte er sich, was einen Menschen, selbst mit dieser Vergangenheit, dazu führte, andere Menschen so leiden zu lassen. Das passte nicht. Müsste man nicht vom Gegenteil ausgehen? Aber wer konnte sich schon in so einen Menschen hineinversetzten? Er auf alle Fälle nicht. Dafür gab es ja diese Profiler.
 

Er legte die Akte aus der Hand und lehnte sich in dem knarzenden Sessel zurück. Da war es wieder, sein Problem. McNear! Wie hatte er sich nur von Jim dazu bringen lassen, diesen Kerl wieder an den Ermittlungen teilhaben zu lassen? Und dann erst diese dreiste Forderung. Aber er war ihr nachgekommen. Schließlich ging es hier um Ryo und somit musste er genau abwägen. Sollte es wirklich nichts bringen, dann konnte er die ganze Schuld auf McNear schieben und wäre raus. Aber so etwas tat er nicht mehr. Schon lange nicht mehr, und Schuld daran waren zum einen die MacLane’s und zum anderen Jim Cambel.
 

Aber das, was vor ihm lag, reichte nicht. Das hier brachte Fulton nur mit den Bomben im Basra, dem B & B sowie dem Diner und dem Tropical in Verbindung. Was jedoch war mit den anderen? Nein, der Fall war noch lange nicht gelöst.
 

Entschlossen erhob er sich und ging quer durch das Großraumbüro. Als er beim Meetingraum angekommen war, sah er, dass dieser sich bereits gefüllt hatte. Gut, dann konnte er wenigstens gleich anfangen.
 

„Meine Herren!“ begann er auch gleich, als er zur Schautafel ging, wo alle Explosionen auf der Districtmap gekennzeichnet waren.
 

„Wir wissen mit Sicherheit, dass Scott Peter Fulton die Bomben sowohl im Basra, Diner und die im Tropical gelegt hat. Selbst einige Krampen fand man, die in direktem Zusammenhang mit denen stehen, die im B & B benutzt worden waren. Doch darum kümmert sich die Forensik weiter. Wir haben noch zwei weitere Tatorte, die wir noch nicht bestätigt haben. Zum einen wäre dass der Nachtclub Chamer und zum anderen die Diskettenbombe. Darunter fällt auch der angebliche Selbstmord des Überbringers. Bisher haben wir nach einem Unbekannten gesucht. Auch bei der Firma, die für den Umbau im Chamer verantwortlich zeichnet. Aber nun haben wir ein Bild von dem Täter. Wir fangen bei Null an. J.J und Ted, ihr werdet erneut zu der Baufirma fahren und alle Mitarbeiter überprüfen und mit ihnen reden. Zeigt das Bild. Ich will Ergebnisse haben, meine Herren! Drake, du wirst dich um das Waisenhaus kümmern, wo dieser Junge herkam. Vielleicht erkennt ihn jemand wieder. Vergiss nicht das Institut und sprich mit dem Leiter dort. Vielleicht wenn er ihn sieht... Auf, Leute... ich will Ergebnisse und nicht erst gestern,“ scheuchte er seine Leute von dannen und schaute sich dann die Karte erneut an.
 

Alle Ziele lagen in der Christopher Street... Das Basra außerhalb der Zone. Ging es da wirklich um die MacLane’s? Und wenn ja? Warum? Wie brachte man einen Psychopathen in Verbindung zu den beiden Cops?
 

Noch immer war er ratlos. Je länger er darauf starrte.
 

„Angenommen es sind zwei... die erste Bombe von Fulton, genauso wie die zweite... dann würde ich tippen, die letzten beiden... die mittleren, waren auch von Fulton, das können wir beweisen, aber er hat sie nicht gezündet, da bin ich mir sicher. Basra... Revier... Warum?“ Barclay schob sich eine Hand durchs Haar und lehnte sich mit seiner Hüfte gegen den Tisch. Noch immer heftete sein Blick auf dem Stadtplan.
 

Er nahm zwei anders farbige Pins und steckte sie hinzu. Eines für das Waisenhaus und eines für den Ort des Selbstmordes.
 

Selbst wenn er bedachte, dass die ersten und die letzten beiden von Fulton begangen worden waren, wurde er nicht schlauer. Es zeichnete sich kein Schema ab. Auch wenn er die einzelnen Punkte verband, dann könnte man mit viel Phantasie ein JY sehen. Aber das ergab genauso wenig Sinn wie alles andere. Es war aber auch zum aus-der-Haut-fahren. Da hatten sie einen und dennoch konnten sie den Fall nicht einfach so abschließen.
 

„Wo steckst du, Ryo?“ fragte er. Plötzlich und ohne Verwarnung sprang er vom Tisch, riss die Tür auf und schnappte sich den ersten Officer, der ihm über den Weg lief.
 

„Ich will alle Daten und Fakten von Fulton in 10 Minuten auf meinem Schreibtisch. Ich meine alles! Kontoauszüge, Miete. Wo er die letzten Tagen und Wochen war. Aber pronto.“ Damit ließ er den Officer stehen, der ihm mit großen Augen nachblickte. Erst als die Tür ins Schloss fiel, bewegte er sich wieder, um den Anweisungen des Commissioner augenblicklich nachzukommen.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Endlich schaffte es Ryo vom Tisch. Seine Beine fühlten sich noch immer an wie Wackelpudding. Seine Arme glühten vor Schmerz in den Schultergelenken von der 10stündigen Folter. Sein Arsch brannte. Doch das alles war nach dem, was er über sich hatte ergehen lassen müssen, wohl auch nicht verwunderlich.
 

Das einzigste, was ihm im Augenblick wirklich wichtig war, war sein Glied und wie es die Marter überstanden hatte. Waren es wirklich nur 10 Stunden gewesen, wie sein Peiniger gesagt hatte, oder waren es mehr oder weniger gewesen? Er konnte es einfach nicht sagen. Sein Zeitgefühl war verraucht. Hier bedeutete es auch nichts. Es gab nur Ruhephasen und es gab die Folter und Pein. Etwas anderes hatte im Augenblick in Ryo’s Gesichtsfeld keinen Platz.
 

Der Schmerz, der ihn aus seiner letzten Ohnmacht gerissen hatte, war auch das, was ihn nun beschäftigte. Die Wunde am Bein schmerzte, aber sie war sauber verbunden und würde, so hoffte der Halbjapaner wenigstens, keine bleibenden Schäden verursachen. Zaghaft ließ er nun seine Hand an seinem wieder schmalen Bauch herabgleiten. Eben schon hatte er die Hand von seinem Peiniger dort gespürt, aber er musste sich einfach vergewissern.
 

Er war wieder rasiert worden, das war das erste, was ihm auffiel. Dann erst ertastete er sein Glied, welches wieder zur Normalgröße geschrumpft war. Seine Hoden taten ihm weh bei jedem Schritt, den er wagte, aber das Glied schien an sich keinen Schaden davongetragen zu haben. Jedenfalls nichts, was Ryo so von seinem Tasten und auch von seinem Blick feststellen konnte. Es war noch immer gerötet, aber das Blut schien normal in ihm zu wallen.
 

Erleichtert stützte er sich mit den zittrigen Armen an der Wand ab und tastete sich so zu seinem Bett. Wenn man diese Stätte aus Stoffresten so nennen wollte. Tatsächlich sah er dort das versprochene Brot liegen. Aber er hatte keinen Hunger und auch keinen Durst. Er war nur erschöpft. Müde und psychisch ausgelaugt, krümmte er sich wieder auf der behelfsmäßigen Ruhestätte zusammen. Stöhnte, als sein Glied eingeklemmt wurde und versuchte, sich etwas zu entspannen. Nach einer Weile fand er eine Position, in der er liegen konnte, ohne dass der Schmerz ihm den Atem raubte.
 

Doch jetzt kamen auch die Gedanken zurück. Gedanken, die er während seiner Marter verdrängt hatte. Etwas war passiert, dass sein Peiniger so ausgerastet war. Und Ryo war sich sicher, dass er erst am Anfang dessen stand, was nun auf ihn zukommen würde. Auch wenn er sich mit den Worten, - „bis die Tage“ – verabschiedet hatte, glaubte Ryo nicht wirklich daran, dass er so lange Zeit haben würde, sich von der Folter zu erholen. Nein, etwas sagte ihm, dass er schon bald wieder mit so etwas konfrontiert werden würde. Ruhe, sagte er zu sich selbst. Ruhe brauche ich, damit ich das durchstehe.

Sprechen tat er noch immer nicht. Sein Zahnfleisch blutete nicht mehr, aber der gesamte Mundraum tat ihm weh. Genauso wie sein Hals. Wie sein ganzer geschundener Körper. Mit Mühe gelang es Ryo, alle Gedanken beiseite zu schieben und sich nur auf das wichtigste zu konzentrieren. Sich zu entspannen. Kräfte sammeln für die nächste Runde. Nach gut einer halben Stunde fielen ihm vor Erschöpfung schließlich doch die Augen zu und gewährten ihm das, was er am meisten brauchte.
 

~~~~ Medical Center ~ Intensivstation ~~~~
 

Eine Stimme rief ihn. Jedenfalls dachte er sich das, als sich das tiefe dunkle Schwarz, das ihn in den letzen Stunden gefangen gehalten hatte, langsam lichtete und zu einem diffusen Grau wurde. Da war sie wieder, diese Stimme, die seinen Namen rief. Ihn aufforderte, die Augen zu öffnen. Immer weiter versuchte er, sich zu dieser Stimme, die ihm vage vertraut erschien, durchzukämpfen. Am liebsten hätte er geschrieen, dass er ihn hörte, aber selbst dieser Versuch scheiterte kläglich und nur ein Stöhnen entkam seinen Lippen. Aber dieses musste wohl ausgereicht haben, um der nervigen Stimme noch mehr Elan und Drang zu verleihen, bis er es schließlich schaffte, die Augen zu öffnen.

Sofort schloss er diese, als ihm helles Licht in die Augen fiel. Obwohl es nur schummrig in dem Zimmer war, kam es ihm so vor, als ob alles Licht der Welt auf ihn gerichtet war.
 

„Chris... Chris bitte mach die Augen auf... Bitte!“
 

Da war sie wieder, diese flehende, bekannte Stimme. Nur derentwegen versuchte er es erneut. Diesmal langsamer, und er schaffte es. Es war nicht so hell, wie er angenommen hatte. Ein weiches Licht schien nur im Zimmer, doch dieses schaltete sich gleich aus, als sich ein braunhaariges Etwas über ihn beugte und ihm einen Kuss auf die Stirn drückte.
 

„Chris!“ hörte er die Erleichterung und blinzelte, bis er ein scharfes, auf alle Fälle schärferes Bild vor Augen bekam.
 

„Bo...b...?“ erklang es leise, eher einem gehauchten Flüstern gleich, in dem Zimmer wieder.
 

„Chris.“ Ein Strahlen glitt über die Züge vor ihm. Dass Chris ihn wohl nicht erkannt hatte und eher einen anderen vor sich sah, dazu sagte Robin nichts. Er war nur froh darüber, dass dieser aufgewacht war. Später, viel später konnte er ihn nach diesem Bob fragen.
 

Jackson versuchte, einen Arm zu heben, doch dieser schien wie Blei zu sein, denn er bewegte sich keinen Millimeter. Auch der andere schien an seiner Seite festgemeißelt worden zu sein.
 

„Wo?...“
 

„Sht. Du sollst dich nicht anstrengen. Ich erklär dir alles.“
 

„Das wirst du lassen,“ erklang es leise aber ernst aus der Ecke des Raumes, wo sich bisher eine dunkle Gestalt aufgehalten hatte. Langsam trat er näher ans Bett, so dass Chris ihn erblicken konnte.
 

„Schön zu sehen, dass du wieder da bist, Chris,“ sagte Prescott und lächelte den Kranken leicht an. „Dein Bruder kommt gleich wieder, er ist nur mal was essen gegangen.“
 

„Bruder?“ Noch immer war Chris nicht richtig da. Alles war zu viel auf einmal.
 

„Black!“ half Mick Chris auf die Sprünge.
 

Leise seufzte Jackson auf. Demnach war ihr Geheimnis kein Geheimnis mehr. Aber das war halb so wild.
 

Die Tür öffnete sich und ein Arzt kam herein. Überprüfte rasch die Werte und leuchtete Chris mit einer kleinen Lampe in die Augen.
 

„Alles okay,“ sagte er mit einem Lächeln. „Sieht aus, als hätten wir Sie endlich über den Berg. Ich schau später noch mal nach Ihnen.“ Und an die Besucher gewandt, konnte er den üblichen Spruch nicht zurückhalten. „Gönnen Sie ihm ein wenig Ruhe und belasten Sie ihn nicht unnötig.“
 

Nachdem Robin als auch Mick dem zugestimmt hatten, verließ der Arzt das Krankenzimmer wieder, um eines weiter zu gehen und den dortigen Patienten zu untersuchen.
 

„Du bist ruhig, bleib sitzen und schon dich. Ich hab dir gesagt, wenn du nicht gehorchst, bring ich dich umgehend zurück,“ sagte Mick in ernsten, festen Ton, der keinen Zweifel daran ließ, dass er das versprochene auch umsetzen würde.
 

Deswegen ließ sich Robin Steward auf der Bettkante nieder, ergriff die Hand von Chris und lächelte ihn einfach nur verliebt an. Der Verband um seinen Hals war heute morgen erneuert worden und der behandelnde Arzt war sehr zufrieden. Er sollte sich weiterhin ruhig verhalten, damit die Wunde schneller verheilte.
 

So gut Prescott es konnte, schilderte er die Ereignisse, ließ so gut wie nichts aus. Die Explosion im Tropical und auch die Bombe auf der Straßenseite, die nicht gezündet worden war, erwähnte er. Dass es auf der Straße kaum Tote gegeben hatte und auch von dem Erfolg, den Bomber einzukreisen. Dass dieser dann bei einer Explosion sich selbst gerichtet hatte. Sogar dass Dee, obwohl er ernsthaft verletzt worden war, sich bereits auf dem Weg der Besserung befand.
 

Jedoch verlor Mick kein Wort über die 37 Tote im Tropical, und auch nichts von den sieben Feuerwehrmännern, die begraben unter dem Feuerwehrwagen ihr Leben ausgehaucht hatten. Genauso wenig erfuhr er von der Möglichkeit eines zweiten Bombers. Auch Ryo erwähnte er mit keinem Wort. Das musste Zeit haben bis später, bis es Chris wirklich gut ging.
 

Erschöpft lauschte er den Ausführungen und nachdem das letzte Wort verklungen war, schloss er seine Augen und schlief wieder ein.
 

„Mick? Wer ist dieser Bob?“ fragte Robin leise, denn Chris wollte er noch nicht danach fragen, aber da dieser nun wieder eingeschlafen war, getraute er sich, den Freund seines Bruders danach zu fragen.
 

„Ich weiß es nicht, Robin... Vielleicht hast du dich auch nur verhört und er meinte Rob... Warte einfach. Bedränge ihn nicht damit. Ich kenn es von Black her. Irgendwann rückt er damit heraus. Habe einfach Geduld, okay?“ erklärte Prescott in aller Ruhe. „Ich sollte dich jetzt aber runterbringen,“ sagte Mick und legte Robin eine Hand auf die Schulter.
 

„Ich sag nichts... aber bitte lass mich noch hier bleiben.“ Bettelnd sah er ihn an.
 

Resigniert holte Mick Luft. „Aber nicht mehr lange...“ gab er nach und ging raus, um nur ein Zimmer weiter nach Dee zu sehen.
 

Er klopfte leise an die Tür, bevor er sie öffnete. Das Zimmer war gut gefüllt, musste er feststellen. Auf dem Bett direkt neben ihm Dad saß Sara und hielt dessen Hand. Am Fenster lehnte Steve dicht bei Tony und sie hielten sich an den Händen, wobei sich ihre Lippen auch mal berührten. Auf der anderen Seite des Bettes stand noch immer der Arzt, der auch Chris eben untersucht hatte, und schrieb etwas auf.
 

„Ihre Werte sehen bestens aus, Mister MacLane. Sie wissen, dass Ihr Schutzengel sehr genau auf Sie aufgepasst hat.“
 

„Ja! Er wacht ständig über meine Familie...“ erklärte er mit einem kleinen Grinsen. Zwar tat ihm noch alles weh, aber mit Sara an seiner Seite fühlte er sich nicht mehr so allein und bald, so war Dee sich sicher, würde auch Ryo wieder an seiner Seite weilen.
 

Der Arzt nickte ihm aufmunternd zu. Als er die Tür öffnete, um den Raum zu verlassen, lief er fast in einen dunkelhaarigen, etwa gleich großen Mann. Da sich niemand unberechtigt Zugang zur Station verschaffen konnte, ging er an ihm vorbei, ohne ihn großartig zu beachten.
 

„McNear!“ sagte Mick nur, als er diesen erkannte. „Wie haben Sie sich Zugang verschafft?“
 

„Nun, es geht Sie zwar nichts an. Aber ich habe die Erlaubnis vom Commissioner höchstpersönlich erhalten. Sie können ihn ruhig anrufen.“ Damit schob er sich an Mick vorbei, der ihn gerne höchst persönlich aus dem Zimmer befördert hätte, und näherte sich dem Bett.
 

„Dee! Und wen haben wir denn da?“ fragte er freudig und fuhr durch das sonnenblonde Haar von Sara.
 

„Sara! Mein Name ist Sara MacLane,“ stellte sie sich höflich vor und schmiegte sich wieder an ihren Dad.
 

„Pat? Bist du okay? Oder bist du auch verletzt?“
 

„Nein. Du weißt doch, mich haut so schnell nichts um. Ich muss sagen, dass ich Glück hatte. Anders als du und Chris. Aber ihm soll es ja recht gut gehen.“ Er setzte sich einfach auf der anderen Seite vom Bett auf die Kante.

„Wie geht’s dir so? Ich meine, so eine Eisenstange...“
 

„Nicht...“ sagte Dee schwach und hielt Steve und Tony davon ab, sich über den Profiler herzumachen.

„Sie weiß es nicht... ich hatte einen Unfall. Mir geht’s so weit gut. Zum Glück hat dieses Ding nichts wichtiges getroffen. Ging knapp an der Lunge vorbei. Hat sie nur angekratzt. Sonst...“
 

Mehr brauchte er nicht zu sagen. Allen war wohl klar, was passiert wäre, wenn die Eisenstange sich direkt in seine Lunge gebohrt hätte.
 

Steve ließ den Mann keine Sekunde aus den Augen. Irgendwie war der Name ihm vertraut. Langsam ließ er seine Gedanken kreisen, ohne es sich jedoch anmerken zu lassen. Nur von Tony bekam er einen denkwürdigen Blick ab, den er jedoch mit einem leichten Kopfschütteln abtat.
 

„McNear!“ murmelte er, und da kam es ihm. Über diesen Kerl hatte er doch Erkundigungen eingeholt. Bisher hatte er sie seinem Boss noch nicht mitteilen können, aber wenn er sich richtig erinnerte, war auch nichts weltbewegendes dabei gewesen. Sonst hätte er es nicht so lange mit sich rumgeschleppt. Gut, das würde er nachher, oder sollte er einfach mal rüber zu ihm gehen? grübelte er. Sara war ja nicht allein. Tony war da und auch Mick. Aber passte so was überhaupt in ein Krankenhaus? Kurz zögerte er noch, dann lehnte er sich an seinen Freund.
 

„Ich geh mal kurz... pass auf,“ sagte er und küsste ihn sanft, was ein Kichern von Sara zur Folge hatte, die die beiden schon einen Augenblicklang beobachtet hatte.
 

„Tony knutscht Steve... Dad... sooooo lieb haben sie sich,“ kicherte sie und klatschte in die Hände. Sie war halt ein Sonnenschein und brachte die Männer im Raum zum Schmunzeln, selbst Patrick konnte nicht umhin, seine Lippen zu einem Lächeln zu verziehen.
 

„Ja, mein Herz. Und du bist schön brav und bleibst bei deinem Dad. Onkel Steve kommt gleich zurück,“ sagte er und strubbelte dem Wirbelwind durch die Locken.
 

„Jahaa... bin brav,“ sagte sie und kuschelte sich artig in Dee’s Arme. „Hab dich lieb, Dad,“ schnurrte sie und küsste ihn auf die Wange.
 

Die Sauerstoffsonde war bereits entfernt worden, doch noch immer hing Dee am Tropf und seine Werte wurden anhand einer Sonde in seiner Vene überprüft. Aber ansonsten konnte er sich schon recht gut bewegen. So lange er die Bauchmuskeln nicht zu sehr anstrengte.
 

„Ich dich auch... Schlaf ein wenig... du siehst müde aus. Dad wacht über dich,“ hauchte Dee und bettete sie an seiner Schulter so, dass es für ihn bequem war, dann blickte er auf Patrick.

„Gibt’s was neues?“
 

„Wir suchen... Aber bisher... Ich weiß nicht, ob du schon darüber informiert wurdest, aber... der Bomber wurde gefasst. Oder eher nicht. Denn er hat sich selbst in die Luft gejagt. War wohl unachtsam mit dem C4,“ erklärte er.
 

„Nein, davon wusste ich noch nichts...“ sagte er. Woher denn auch. Er war ja auch erst einige Stunden wach. Die Nachwirkung der Narkose hatte er zwar überwunden, aber noch immer fühlte er sich müde und leer. Vor allem sein Herz schrie nach seinem Blonden. Einem Blonden, den er vorhin gemeint hatte, zu spüren. Der nach ihm rief, weil er ihn brauchte. Warum nur war er hier festgebunden und konnte nichts mehr für seine Befreiung tun? Warum nur?!
 

Die Tür öffnete sich erneut und Doktor Foster betrat das Zimmer. Ein Blick genügte und am liebsten wäre er die Wände hochgegangen.
 

„Meine Herren! Die Besuchszeit ist um. Alle raus hier,“ kommandierte er die drei noch Anwesenden hinaus. Ging dann zum Bett, prüfte mit einem raschen Blick die Werte und schien damit zufrieden.

Patrick wollte noch nicht gehen, weil er ja auch eben erst gekommen war, doch da hatte er sich das falsche Zielobjekt ausgesucht.

„MacLane braucht Ruhe. Ich sagte ausdrücklich, einer oder zwei, die ihn besuchen. Nicht, dass hier gleich das ganze Revier antanzt.“
 

„Ich bin nicht das Revier!“ knurrte Patrick McNear ein wenig gereizt zurück und traf in die Vollen.
 

„Mister! Ich möchte Sie ersuchen, das Zimmer freiwillig zu räumen. Sonst können Sie gerne mit dem hiesigen Sicherheitsdienst Bekanntschaft schließen.“ Die Drohung war einmalig. Denn Brian zauderte nie, wenn es um seine Patienten ging.
 

Schließlich blieb Patrick nichts übrig, als das Feld genauso wie die anderen zu räumen. Aber gehen wollte er noch nicht. Noch hatte er was zu erledigen.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Steve war mit Black raus in den Krankenhauspark gegangen. Dort konnte man sich bei weitem besser unterhalten und vor allen Dingen konnten sich die beiden sicher sein, dass sie niemand belauschte.
 

„Du wolltest reden, Steve? Ich hoffe es ist was wichtiges, wenn du mich von Chris wegholst.“
 

„Nun... eigentlich... Es ist wegen diesem McNear, den ich überprüfen sollte.“
 

„Das fällt dir JETZT ein?“ hakte Black nach.
 

„Sorry, Chef. Aber ich hatte es bei der ganzen Aufregung vergessen. Kommt nicht wieder vor,“ entschuldigte sich Steve und blickte ergeben zu Boden. Er wusste, wem er sein Leben verdankte und das, was er jetzt war.
 

„Schon gut. Ich reiß dir den Kopf schon nicht ab. Sind ja nicht bei der Mafia,“ grinste Black und klopfte Steve auf die Schulter.
 

Ein kleiner Gaunerwitz. Denn Steve war ja nun mal der Sohn eines Chicagoer Mafiabosses. Er hatte vor Jahren gegen seinen Vater ausgesagt, den Zeugenschutz ignoriert und lebte nun als freier Mann in Manhattan. Doch das ist eine andere Geschichte (zu lesen unter Fake: Folgen einer Nacht)
 

„Also, was hast du rausgefunden?“
 

„Offiziell gibt es nur das übliche über einen Patrick McNear.“ Steve zückte seinen Notizblock, welchen er ständig bei sich trug, und schlug eine Seite auf. „McNear, Patrick! Geboren 21. April. Er ist 40 Jahre, schwarze Haare, braune Augen. Wohnt seit einem halben Jahr in der 5th Avenue hier in Manhattan. Schulbildung normal. High School mit Eins. Ging dann nach Yale, hat dort Kriminologie studiert. Herausragender Schüler. Auf der Polizeischule dann vom Federal Bureau of Investigation abgeworben. Spezialausbildung in Terrorfragen, Strategie und Profiling. Ist seit zwei Jahren District Chief Inspector. Soll hier das Kommando über das CCW übernehmen.“
 

„CCW?“ fragte Black nach. Er hasste Abkürzungen und konnte deswegen damit auch nichts anfangen.
 

„Es ist ein neues Institut. Dort sollen alle offenen bzw. ungelösten Fälle eingetragen werden. Aber nicht nur aus den Vereinigten Staaten, sondern von der ganzen Welt. CCW demnach Crime Center of the World.“
 

„Was es alles gibt...“ schüttelte Black den Kopf. „Steve?“
 

„Yes, Sir?“
 

„Da ist nichts interessantes?!“ hakte er nach.
 

„Nun, offiziell gesagt, nein.“
 

„Und inoffiziell?“
 

„Nun, da müsste ich noch mal etwas tiefer graben. Aber ich wollte erst Ihr okay einholen, bevor ich das tue.“
 

„Tu es. Dieser Bursche ist mir zu sauber.“
 

„Das denke ich auch,“ gab Steve zu. Sah dann, wie Tony aus dem Krankenhaus trat und ging mit Black in die Richtung.
 

„Na, mein Herz. Alles geklärt?“ fragte er Steve und schlang einen Arme um dessen Taille, um ihn erst einmal richtig abzuküssen.
 

„Ich muss noch mal weg. Wo ist Sara?“ Ein wenig nervös schaute er sich um.
 

„Sie ist bei Dee. Sie schläft und ich wollte sie nicht wecken. Außerdem sind wir rausgeworfen worden. Mach nicht so ein Gesicht. Mick ist auf der Intensiv. Er passt schon auf,“ sagte er und schmiegte sich an seinen zukünftigen.
 

„Ich geh hoch...“ sagten Steve und Black fast einstimmig.
 

Tony seufzte, folgte ihnen aber. Er wusste Sara in Sicherheit. Außerdem war da noch dieser andere Cop. Also was sollte da schon passieren?
 

Patrick verließ das Zimmer und schaute anstandshalber auch mal bei Chris rein. Aber dieser schlief. Hatte auch Besuch. Jemand den er kannte, wie er feststellte.
 

„Hi!“
 

Robin drehte sich zur Tür und erwiderte den Gruß.
 

„Wie geht’s dem Hals?“
 

„Danke. Es geht. Soll nicht viel reden,“ gab Robin freimütig Auskunft. Immerhin verdankte er es diesem Kerl, dass er nicht schlimmer verletzt war. Hätte er ihn nur einige Sekunden später zu Boden geworfen, wer weiß, was alles passiert wäre.
 

„Wissen Sie, wie es Dee geht?“ fragte Robin der noch keinen aktuellen Stand über den anderen Cop erhalten hatte.
 

„Oh. Gut, würde ich sagen. Auf alle Fälle kann er reden und sich an alles erinnern,“ berichtete Patrick dem Jüngeren. „Und, schläft er oder ist er noch in Narkose?“ hakte er nach.
 

„Er schläft. Chris war eben wach.“ Ein kleines Strahlen glitt über Robins Züge, als er von dem kurzen Moment erzählte, wenn auch nur knapp, weil er ja eigentlich seinen Hals und somit auch die Stimmbänder schonen sollte.
 

Beruhigend drückte Patrick ihm die Schulter.
 

„Das wird schon. So wie er aussah, als ich ihn fand, gab ich keinen Cent für ihn. Aber er scheint hart im nehmen zu sein... oder er hat einen Grund zum weiterleben. Gib ihm die Kraft, Robin... nicht wahr?“
 

Robin nickte leicht und spürte neue Energie, die, wie er meinte, von der Hand auf seiner Schulter ausging.
 

„Ich lass euch allein...“
 

„Ich sag ihm, dass Sie da waren...“ fragend sah er ihn an.
 

„Patrick. Patrick McNear.“
 

Erneut nickte Robin und sah dann hinter Patrick her, bis dieser die Tür geschlossen hatte und sie beide wieder alleine waren.

„Ein netter Kerl,“ murmelte er und drückte die Hand von Chris, was dieser leicht erwiderte.
 

Im Flur traf Patrick auf Mick, der noch mit einem der Ärzte sprach. Ständig ging dessen Blick zu der Tür, hinter der Dee mit seiner Tochter war. Da Patrick keinen Streit heraufbeschwören, wollte ging er an der geschlossen Tür vorbei, verließ sowohl die Intensivstation als auch das Krankenhaus. Nicht ahnend, dass er von Black’s Leuten nun bis aufs I-Tüpfelchen durchleuchtet wurde.
 

**** TBC

Montag - 09.August

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Nach einer kurzen Nacht betrat Barclay Ross am Montag früh das 27. Revier. In dem Großraumbüro, welches er links liegen ließ, herrschte bereits ein reges Kommen und Gehen. Nach so einem Wochenende eigentlich auch kein Wunder. Leichte Delikte wurden zu Protokoll genommen, bevor die Täter weitergeführt wurden, um ihre Fingerabdrücke registrieren zu lassen, es sei denn, diese waren bereits vorhanden. Dann durften die meisten wieder gehen, oder wurden in die dafür vorgesehenen Zellen im unteren Bereich des Gebäudes geführt. Im Laufe des Tages wurden diese kleinen Delikttäter dann dem Haftrichter vorgeführt. Ein ganz normaler Montag also.
 

Ross hängte seine Jacke auf den dafür vorgesehenen Ständer hinter der Tür, ging zum Fenster und öffnete es. Sofort wurde er nicht nur mit einem Schwall Morgenluft, geschwängert von Abgasen, überrollt, sondern auch von dem dazu gehörigen Geräuschpegel. Doch das störte ihn nicht. Nach einer Weile schaltete er diesen gedanklich einfach aus. Als nächstes folgte, dass er den PC einschaltete und sich in seinen Sessel fallen ließ. Dann drückte er einen Knopf und sagte mit charmanter Stimme:

„Kate, einen Kaffee, bitte.“
 

Keine Minute später betrat die junge Praktikantin, die am Empfang im ersten Stock ihre Stunden absolvierte, nach kurzem Anklopfen sein Büro und stellte die geforderte Tasse auf den Tisch.

„Ein Löffel Zucker und ein Hauch Milch,“ erklang eine weiche, zierliche Stimme, die dem Commissioner ein kokettes Lächeln zuwarf.
 

Barclay bedankte sich freundlich, wie jeden Morgen, wenn Kate ihm seinen Kaffee brachte. Normalerweise holte er ihn selbst, aber er mochte ihre Anwesenheit am Morgen, deswegen hatte er ihr diese Arbeit zugedacht. Außerdem schien es ihr nichts auszumachen. Hinzu kam, dass sie ihm mit ihrem kleinen Lächeln schon den Tag versüßte. Doch mehr auch nicht. Schließlich gab es in seinem Leben einen Partner, doch davon wusste die Praktikantin ja nichts.
 

„Kann ich kurz?“ steckte Jim Cambel den Kopf durch die einen Spalt breit geöffnete Tür und schenkte nun seinerseits Kate ein warmes, aufrichtiges Lächeln.

„Na, wenn haben wir denn da? Lässt du dich verwöhnen?“ fragte er in Richtung des Commissioner und zwinkerte ihm leicht zu, was Kate entging, weil sie sich schon auf dem Rückweg befand.
 

„Was gibt’s denn, Jim?“ fragte er, nachdem die Tür zugefallen war und sie beide allein zurückließ.
 

„Du warst gestern nicht da!“
 

„Sorry, aber ich musste... ich...“
 

„Schon okay, war doch kein Vorwurf. Aber ich dachte, wir hätten den Fall nochmals durchsprechen können.“
 

„Ich mach mir Sorgen, Jim. Sorgen um Ryo. Ich kann nicht sagen warum, aber irgendwie... ich fürchte, dass wir ihn zu spät finden werden.“
 

„Hör auf damit, Barc. Das ist... Red so was nicht. Ihr findet ihn schon... und ich hab da auch was, was dir helfen könnte...“ meinte Jim und ging hinter Barclay, um ihm die Schultern zu massieren. Sichtlich entspannt seufzte er nach zwei Minuten auf.

„Siehst du, das hättest du gestern abend schon haben können,“ grinste der Spurensicherheitsexperte, beugte sich vor und küsste ihn leicht auf die Wange.
 

„Nicht...“ zischte Barclay. Er wollte nicht, dass sein Geheimnis hier rauskam. Noch nicht.
 

„Dann kommst du heute abend zu mir?“
 

„Ja, wenn ich kann! Also, was hast du für mich?!“
 

Kurz seufzte Jim, dann griff er in seine Jacke und beförderte ein Tütchen heraus, welches er Ross reichte.
 

„Einige Fasern, nicht viel. Aber wir fanden Blutspuren dran. Nach der DNA-Analyse handelt sich eindeutig um Blut von Randy MacLane. Ich habe den Test zweimal durchlaufen lassen. Erst der Ring, dann das Blut...“
 

„Der Ring war an dem Finger von Fulton... Nicht wahr? Wo hast du die Fasern gefunden?“
 

„Stimmt. Am kleinen Finger. Hat wohl sonst nicht gepasst. Die Fasern fanden wir am Eingang. Und wir haben noch Grasspuren gefunden. Die Analyse läuft noch.“
 

„Grasspuren? Du willst sagen, dass Fulton gerne in Parks spazieren ging?“
 

„Das überlass ich euch, das rauszufinden. Ich habe nur die Spuren gefunden, was ihr damit macht, ist euch überlassen,“ grinste Jim und steckte den Beutel wieder ein.
 

„Den Berichten zufolge, die ich gelesen habe, soll Fulton ein Einzelgänger gewesen sein. Wenig Kontakt zu den Mitbewohnern, aber das ist ja hier nichts ungewöhnliches. Aber... warte...“

Ross griff nach einer Akte und schlug sie auf.

„Ja, hier. Er war sehr selten unterwegs. Wenn, dann mit einem knöchellangen Trenchcoat und Schlapphut. Das passt auf die Beschreibung des Attentäters.“
 

„Und wenn ich mich nicht täusche, liegt in der Nähe der Pellstreet auch nicht gerade ein Park?“
 

„Ich werde das zusätzlich prüfen lassen. Warum meinst du, ist das wichtig?“
 

„Weil weder an seinen Schuhen oder an seiner Kleidung weitere Spuren gefunden wurden. Keine Haare oder weiteres Blut von Ryo, nur diese wenigen Fasern. Genauso ist es mit dem Gras. Das hat mich stutzig gemacht, also das wollte ich dir nur schnell sagen. Und hoffen, dass ich dir durch meinen Anblick den Tag verschönere, aber da war wohl Kate schneller.“
 

„Du weißt, was du mir bedeutest, Jim. Kate ist nett und freundlich. Sie bringt mir gerne meinen Kaffee... das ist alles... oder spür ich da einen Hauch von Eifersucht?“
 

„Ja, ich weiß es. Aber du sagst es nie, Barclay... Und ja, ich bin eifersüchtig. Weil du sie mehr siehst als mich.“
 

„Bitte, Jim. Können wir das nicht später klären?“
 

„Das sagst du immer... Aber wie immer, gebe ich nach. Und ich sage es dir sogar, was ich für dich empfinde, Barc. Ich liebe dich...“ hauchte er und hätte ihn jetzt gerne geküsst, aber das hätte der Ältere mal wieder abgeblockt.
 

Ein kleines wehmütiges Lächeln zeigte sich.

„Ich weiß... aber ich kann noch nicht... ich habe dir versucht zu erklären...“
 

„Vergiss es!“ unterbrach Jim ihn.

Bevor er wieder die selbe Leier wie schon seit einem halben Jahr hören musste. Ein halbes Jahr, in dem er mit ihm zusammen war, wenn Barclay es wollte. Aber kaum, dass er ihn mal brauchte oder wollte, steckte der zurück. Immer bestimmte Barclay in ihrer ‚Beziehung’. Und er nahm es immer stillschweigend hin. Er war sich sicher, was er für den Commissioner empfand, aber auch, dass dies kein Zustand für die Ewigkeit war.

„Schon was rausgefunden mit der Baufirma oder dem Jungen, der sich umgebracht hat?“
 

Barclay ordnete die Akte und wusste, dass er Jim weh tat, aber er konnte einfach nicht über seinen Schatten springen. Er wusste ja noch nicht einmal, ob er ihn wirklich so liebte, wie es der Blonde verdiente.
 

„Nein. J.J, Ted und Drake sind heute morgen unterwegs, um das abzuchecken. Übers Wochenende hatten sie keinen erreicht, auch das Waisenhaus war auf einem Ausflug. Hat mal alles gepasst!“ sagte er und vermied den Blickkontakt zu Jim.
 

„Und McNear?“
 

„Er ist wieder dabei. Er...“ sollte er es ihm erzählen? Aber wenn nicht ihm, wem denn dann.

„Er stellte die Bedingung, dass er wieder mithilft, wenn ich ihm die Erlaubnis erteile, Dee zu besuchen. Da du meintest, dass es richtig sei, ihn wieder an den Ermittlungen zu beteiligen, habe ich zugestimmt.“
 

„Du hast was?“
 

„...“
 

„Ich hab ja keine Ahnung, was dieser Kerl mit Dee hat, aber unter den Bedingungen... Barc?!“
 

„Ich weiß. Aber ich denke, ich habe richtig gehandelt,“ untermauerte er seine Entscheidung.
 

„Was hättest du gemacht, wenn ich... nein, ich will es gar nicht wissen.“
 

Barclay stand auf, ging zur Tür und schloss diese ab, zog dann alle Lichtblenden zu, so dass sie in seinem Büro abgeschirmt von allen waren. Dann ging er zu Jim, zog ihn kurzerhand zu sich.
 

„Ich vertrau dir... deinem Urteil und allem, was uns betrifft. Deswegen höre ich auf deinen Rat. Du willst mich nicht hintergehen, bist offen und ehrlich zu mir... Hättest du mir etwas anderes geraten, wäre ich deinen Worten auch gefolgt. Du bist mir sehr wichtig, Jim...“ sagte er ergriffen und küsste ihn dann lange und zärtlich.
 

„Wieso?!“ hauchte Jim, nachdem sich ihre Lippen gelöst hatten.
 

Mehr brauchte dieser auch nicht zu fragen, denn Barclay wusste es, ohne nachzufragen.
 

„Weil alle, denen ich meine Liebe gestanden habe, sterben... ich will dich nicht verlieren, Jim.“
 

„Ich bin nicht wie andere... Barc.“
 

„Lass uns doch so weitermachen...“ bat er rau.
 

„Das kann ich nicht auf ewig... ich bin ein Mensch. Ich möchte auch hören, dass ich geliebt werde.“
 

„Okay... Ich liebe dich.“
 

Barsch löste Jim sich von dem Commissioner und sah ihn wütend an.
 

„Ich will, dass du es auch so meinst, wenn du es sagst...“ fauchte er leise.
 

Schließlich wollte er im Büro, auf dem Revier, keine Szene machen. Ohne ein weiteres Wort ging er zur Tür, riss sie auf und schmiss sie hinter sich leise aber energisch genug, damit Ross wusste, dass es ihm ernst war, zu.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Ryo erwachte aus seinem Dämmerschlaf. Er schaute sich gehetzt um, nein, er war noch allein. Erleichtert ließ er sich zurück in die Kleidungsstücke fallen. Um ihn herum roch es. Er stank, wenn er es genau nahm.
 

Ryo rappelte sich auf und ging mit inzwischen wieder festeren Schritten zum Waschbecken, um sich wieder ein wenig frisch zu machen, doch als er die Wasserarmatur betätigte kam nichts außer einem Röcheln aus den Rohren. Erst nun fielen ihm die Worte von seinem Peiniger ein und ihm wurde klar, dass dies kein leeres Gerede gewesen war, wie er gehofft hatte. Mit weniger sicheren Schritten näherte er sich dem Eimer in der Mitte des Zimmers. Sein Urin grinste ihn förmlich an.

Er ließ sich davor nieder, atmete seinen eigenen Geruch ein und zog sich zurück, bis er die Wand wieder in seinem nackten Rücken spürte. Seine Beine zog er an und schlang die Arme um den merklich ausgezehrten Körper. Das Brot in der Ecke sah lecker aus, also beugte er sich rüber und ergriff es, ließ es dann jedoch fallen, als er sah, dass es bereits schimmelte.
 

Alles zog sich in ihm zusammen und schon wieder wurde er von einer Welle der Erniedrigung ergriffen. Trocken schluchzte er auf, was ihm Schmerzen in seinem Hals bescherte. Sein Blick ging zu dem hellen Kreis auf seinem linken Ringfinger, wo bis noch vor wenigen Tagen sein Ehering geprangt hatte. Nun hatte er diesen auch verloren. Sollte er auch noch seine Würde verlieren indem er das tat, was sein Peiniger von ihm verlangte? Blieb ihm denn eine Wahl? Er musste sich entscheiden, obwohl die Entscheidung schon längst gefallen war. Es gab dort draußen Menschen, die ihm wichtig waren. Menschen, die auf ihn warteten. Menschen, die nach ihm suchten.
 

„Dee... Sara...“ Hinter seinen Augen brannten die Tränen, doch er verbot sich, seiner Trauer, seiner Verzweifelung nachzugeben. Er musste einfach stark bleiben. Sonst würde er sich und alles was ihm wichtig war verlieren.
 

Sein Magen knurrte merklich auf, als er sich ein Stück von dem Brot abbrach, den gröbsten Schimmel wegbrach und es langsam kaute, bevor er sich wieder dem Eimer näherte und seine Hand eintauchte, um das trockene Brot seine wunde Kehle hinunter zu spülen. Übelkeit überkam ihn, als ihm der Geruch in die Nase stieg, aber er schluckte tapfer. Er tat es nicht für sich, sonder er zauberte auch in dieser Situation Bilder aus seiner Vergangenheit hervor. Bilder, wo er noch glücklich gewesen war.
 

~~~~ In Black’s Wohnung ~~~~
 

Erneut wurde Black von einem lauten Lachen, welches hell durch seine Wohnung schallte, geweckt. Er drehte sich nochmals auf die andere Seite, bis ihm auch so bewusst wurde, dass er nur noch allein in dem Bett lag. Sein Lover musste wohl schon auf sein. Seufzend und die Frühe verfluchend, warf er einen Blick auf den Wecker und saß plötzlich senkrecht.
 

„Morgen Schatz,“ wurde er begrüßt, als sich ein Tablett vor ihm aufbaute. Beladen mit zwei Tassen dampfendem Kaffee, einem bereits belegten Brötchen und einer blühenden Rose.
 

„Die hat Sara dazu gepackt. Sie meinte, dass ihr Dad das bei Daddy auch so macht.“ Mick hockte sich auf die Bettkante, nahm einer der Tassen in seine Hand und pustete leicht darüber.
 

„Es ist fast Mittag!“ knurrte Black und funkelte seinen Lover aus den grünen Augen an.
 

„Du sahst fertig aus. Außerdem ist alles ruhig. Ich hab schon im Krankenhaus angerufen. Chris und Dee geht es gut. Sie hatten eine gute Nacht. Wir besuchen sie nachher. Nun trink erst einmal und versuch zu lächeln. Du bist nicht im Büro.“
 

Vorsichtig, um sich nicht zu verbrühen, nahm Prescott einen Schluck der dunklen Brühe.
 

„Ich entscheide immer noch, wann ich...“
 

„Mund auf,“ sagte Mick einfach und hielt ihm das belegte Brötchen hin.
 

Resigniert öffnete Aaron seinen Mund und biss ein Stück ab.
 

„Weißt du eigentlich, wie man das trennt. Ich meine, Dad und Daddy? Dad müsste wohl Dee sein... und Ryo dann Daddy... Jedenfalls redet die Kleine Dee so an... ich würde da durchdrehen.“
 

„Du willst also keine Kinder?“ fragte Aaron kauend.
 

„Bei dem, was wir tun? Ich glaube nicht, dass es für so einen Wurm gut wäre... Sie stünde doch dann auch ständig unter Gefahr. Das würde ich nicht durchhalten,“ gab Mick ruhig seine Bedenken preis und hielt Aaron das Brötchen erneut hin, der es ihm jedoch aus der Hand nahm und nun friedlich alleine frühstückte.

„Was ist mit dir, Aaron. Möchtest du eins?“
 

„Ich hab mir ehrlich gesagt nie Gedanken gemacht. Aber seit Sara hier ist... seit der Sache mit dem Bomber und so... Irgendwie wäre es schon schön, so einen kleinen Wirbelwind um sich zu haben. Der einen von den alltäglichen Sorgen im Geschäft ablenkt...“
 

„Es wäre aber nicht nur abends, Beauty, sondern auch tagsüber. Einer von uns müsste sich einschränken.“
 

„Wir sollten das Thema lassen.“
 

„Aber du als Dad, Aaron... das könnte ich mir schon vorstellen. Nur schade, dass es nicht deine Augen haben wird...“
 

„Wir könnten eine Leihmutter...“
 

„Du meinst das nicht ernst. Könntest du mit einer Frau? Ich meine... also ich... nein... also,“ stammelte Prescott und unterbrach Aaron in seiner Ausführung.
 

Er hatte zwar schon viel in seinem Leben gemacht, aber noch niemals mit einer Frau geschlafen. Er wusste schon in der Schulzeit, dass er schwul war, und er stand dazu. Seine Eltern hatten ihn immer dazu motiviert, seinen Weg zu gehen, und das hatte er immer getan. Sie hatten ihn auch nicht verstoßen, obwohl das Dorf, in dem er aufgewachsen war, es ihnen nicht leicht gemacht hatte. Aber sie wurden schließlich akzeptiert, weil sie zu ihm standen und sich nichts gefallen ließen. Ja, man konnte durchaus was erreichen, wenn man zu seiner Überzeugung stand.
 

„Nein. Ich könnte es wohl nicht. Jedenfalls bezweifle ich, dass sie mich antörnen würde, so wie du... aber es gibt ja auch noch die künstliche Befruchtung. Unser Samen vereint in ihr... was meinst du? Wollen wir mal darüber nachdenken?“
 

Prescott bis sich auf die Unterlippe. Ein Zeichen, dass er nervös war.
 

„Wenn du es wirklich willst... werde ich mitmachen, das ist doch klar... aber wir sollten wirklich alles gründlich abwägen. Bei Dee und Ryo war es anders... ich meine, er war schwanger... aber...“
 

„Ich merk schon, dass du nicht mal darüber nachdenken möchtest.“
 

„Das ist es nicht, Black. Es ist... es ist ein großer Schritt... und ich möchte, dass wir das gemeinsam entscheiden, wenn... wenn das hier alles vorbei ist. Okay? Verschieben wir es auf später?“
 

„Gut. Erst Ryo... dann reden wir nochmals darüber,“ gab Black sich geschlagen.
 

Wer hatte eigentlich mit dem Thema angefangen? Aber so ein kleiner Schatz wäre schon was wunderschönes, und dann noch von ihnen beiden. Vielleicht konnte er Prescott ja noch überzeugen. Er musste nur bessere Argumente vorbringen.
 

**** TBC

Montag - 09.August - Folter

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Montag - 16.Augsut

{Das passierte im letzten Kapitel: für alle, die es nicht lesen konnten oder wollten!}
 

Zusammengekauert auf den Kleidungsfetzen in der Ecke starrte Ryo wie seit nunmehr sechs Tagen auf den Tisch, der ihm schräg gegenüber stand. Wie gerne würde er die Augen schließen und das ausklammern, was sich dort befand. Aber er konnte nicht.

Dort drüben starb ein junger Mann. Ein Mann, dem er bis zuletzt die Hand gehalten hatte. Ryo’s Gedanken drifteten eine Woche zurück.
 

«Flashback»
 

Erleichtert atmete Ryo auf, als sein Peiniger und der des Unbekannten endlich wieder ging. Dennoch blieb Ryo bei dem Mann stehen. Zwar nicht mehr zwischen den Schenkeln, sondern er ging seitlich, griff nach der Hand des Mannes und drückte sie leicht.

Dieser schaute zu ihm auf.

„Warum?“ brachte er träge heraus, denn er wusste wohl, welches Schicksal ihn hier auf diesem Tisch, in diesem Zimmer erwartete.

„Ich weiß es nicht... Wahrscheinlich weil du mir ähnlich siehst... Es tut mir leid...“ sagte Ryo und strich ihm über die Wange.

„Du... du bist...?“

„Ryo MacLane. Cop vom 27. Revier und ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin. Welches Datum haben wir?“

„Montag den neunten August...“

Kurz überschlug Ryo in Gedanken und atmete ruhig aus. Er hatte damit gerechnet, dass er schon länger hier gefangen war. Aber wie er nun entsetzt feststellen musste, waren es gerade mal sieben Wochen. Andere waren länger in der Gewalt von einem Psychopaten und hatten überlebt. Das machte ihm wieder Mut und zauberte sogar ein kleines, wenn auch wehmütiges Lächeln auf seine spröden, aufgeplatzten Lippen.

„Kannst du mir sagen, was alles passiert ist in den letzten sieben Wochen?“ bat Ryo und strich ihm beruhigend über die Hand. Ändern konnte er an dem Zustand des Fremden nichts, aber er konnte wichtige Informationen erhalten. Wichtig für ihn. „Von dem Bomber?“

„Der hat sich in die Luft gejagt,“ lachte dieser laut auf, bevor er anfing zu schluchzen. „Ich hab Angst... ich will nicht sterben... ich will nicht...“

„Sht... Ich weiß. Das will ich auch nicht... Wenn ich könnte... Aber es gibt keinen Ausweg,“ erklärte Ryo und streichelte weiter, entweder über die Hand oder über die Wange, die von den fließenden Tränen benetzt war.

„Wann war das?“ fragte Ryo nach. Er konnte sich nur wage vorstellen, was der Fremde durchmachte, aber er musste es durchstehen, sonst würde er noch verrückt werden.

„Ich... ich weiß nicht... vor einigen Tagen... oder war es gestern... ich bin mir nicht sicher... ich... ich will hier weg... bitte... mach mich los...“ flehte dieser und zerrte an den Fesseln.

„Nicht!“ rief Ryo entsetzt und sah zur Tür. „Nicht, er sieht und hört alles... er... er tötet mich zwar nicht, wenn ich dich freilasse..., aber ich werde nicht zulassen, dass er dich noch länger quält...“ Der Gefesselte verstand auch so und beruhigte sich langsam.

„Wie heißt du?“

„Gary Logan!“

„Erzähl mir doch was von dir,“ erbat sich Ryo. Nicht nur um die Stille zu binden, sondern um damit Gary nicht für immer in Vergessenheit geraten zu lassen.

„Ich bin... 30 Jahre und habe mein Leben lang in Manhattan gewohnt... Beruflich bin ich Broker, ein recht guter, würde ich mal sagen, aber davon werde ich wohl nichts mehr haben,“ meinte er leicht ironisch und schloss kurz die Augen. „Cordy... ich werde ihn wohl nicht mehr wiedersehen? Das einzigste, was gut war in meinem Leben... Nie wird er erfahren, warum ich weg bin... der einzigste, der mich vielleicht vermissen würde...“

„Nur Cordy? Hast du keine Familie?“

Stumm schüttelte er den Kopf und stöhnte gleich auf, weil dieser genauso wie der Rest vom Körper eng fixiert war.

„Ich werde ihm erzählen, was mit dir passiert ist... das verspreche ich dir, Gary Logan,“ schwor Ryo ernst und hörte bereits, wie hinter ihm die Tür geöffnet wurde und einen Schwall kühler Luft mit sich brachte.
 

<<<Flashback over>>>
 

Seit diesem Dienstag saß Ryo nun in der Ecke. Trank nicht und aß nichts. Er glaubte auch nicht, dass er je wieder etwas essen könnte. Denn der Geruch, der sich in dem Zimmer langsam ausbreitete, war nicht nur unangenehm, sondern bestialisch. Fliegen hatten es sich in der offenen Wunde von Gary gemütlich gemacht und bald würden sich auch Maden ansammeln, um die Verwesung langsam voranschreiten zu lassen. Doch am schlimmsten war der Gestank, den er nun schon eine Weile aushalten musste.

Die Schmerzen in seinen Gelenken, durch die schützende Haltung hervorgerufen, ignorierte er. Ryo hatte sich fast ganz in sich selbst zurückgezogen. Der Hunger, den er am Anfang genauso sehnend gefühlt hatte, wie der Durst, war vergangen. Anstatt dieses Sehnen war nun mehr eine Leere zurückgeblieben. Das Grummeln und das Schreien in seinen Eingeweiden hatte nachgelassen, jedenfalls rührte sich Ryo nicht mehr, hielt seinen Blick nur auf den jungen Mann, der wegen ihm gestorben war.

Auch die Tür hatte sich, nachdem der Entführer und Mörder hindurchgeschritten war, nicht mehr geöffnet. Mit einem lauten Knall, der Ryo kurz aus seiner Trance gerissen hatte, war sie hinter ihm zugeschlagen. Warum er noch nicht tot war, wusste er nicht. Sein Körper ausgezehrt, nur noch Haut und Knochen, gefangen in einem beginnenden Delirium, zog er sich immer weiter von der Realität zurück.

Der Entführer hatte es nun tatsächlich geschafft, Ryo zu vernichten. Ihm nichts mehr gelassen. Ryo war allein, gebrochen und geschändet und er wollte nur noch eins. Sterben!
 

Als sich eine kühle Hand auf seine Schulter legte, zeigte er keine Reaktion. Selbst wenn er es gewollt hätte, er war einfach dazu nicht mehr in der Lage. Sein Geist war umnebelt von dem Geschehenen. Nahrungs- und wasserlos. Zusammengekauert zu einem Häufchen Mensch. Nichts mehr im Vergleich zu einer Woche, wo er schon mager und hager schien.

Wie im Nebel nahm Ryo ein Knistern war, doch seine Augen blickten fahl und fast blind in das dämmrige Zimmer. Sahen nicht den Mann im Schutzanzug, fühlte kaum, wie er aufgehoben wurde, wie sein Kopf an die Schulter des Mannes glitt. Wimmern entkam seinen spröden, aufgerissenen Lippen, als sich seine Glieder streckten. Ein Schrei wäre es wohl geworden, wenn er im Besitz seiner Sinne gewesen wäre, aber er spürte kaum etwas, was mit ihm geschah.

Fühlte nicht, wie kühle Luft seine Haut touchierte, er aus seiner Zelle getragen und auf einer Pritsche niedergelegt wurde. Wie drei spitze Nadeln in seine blauschimmernden Adern unter der pergamentartigen Haut gestochen wurden. Ryo spürte nicht, wie ein wasserfeuchter Finger seine Lippen benetze, wollte nur noch schlafen und vergessen. Aus dem Hier und Jetzt fliehen. Selbst seine Gedanken um Dee und Sara waren verwoben im Nichts der Finsternis, die ihn nun einhüllte.

„Schlaf, Schneewittchen... In drei Stunden füll ich die Ampullen nach... Sie werden dir helfen, zurückzufinden... Nein, du bist noch nicht bereit zum sterben... ich bin noch lange nicht fertig mit dir... noch lange nicht...“ murmelte eine melodisch warme Stimme an Ryo’s Ohr, welche ungehört verklang.


 

Jetzt geht’s weiter im Ablauf der Geschichte!!
 


 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Die Werte von Chris blieben normal und auch die von Dee waren überraschend gut. Es stellte sich bei beiden keine Verschlechterung ein. Ganz im Gegenteil. Schon nach einer Woche auf der Intensivstation konnten sie auf die normale Chirurgie verlegt werden. Somit fiel die ständige Kontrolle durch die Apparate endlich aus.
 

Seit zwei Tagen lagen sie schon auf der Normalen und ließen es sich den Umständen entsprechen gut gehen. Sie lagen zusammen in einem Zimmer und teilten sich so auch ihre Gedanken über die Besucher mit. Über den Fall sprachen sie nur, wenn sie alleine waren, schon allein wegen dem kleinen unschuldigen Mädchen, das sich so tapfer hielt. Die ständigen Besucher, die sie täglich umzingelten, störten selbstverständlich keinen von beiden. Gern gesehene Gäste waren Sara und auch Robin, der zwar schon seit drei Tagen entlassen war, aber dennoch ständig pünktlich zur Besuchszeit in der Tür stand und erst ging, wenn die Schwester oder einer der Ärzte ihn hinauswarf.

Auch die Besuche von Prescott und Aaron, die meist abwechselnd auftauchten, erfolgten regelmäßig. Denn einer brachte Sara mit, während der andere sie meist wieder mitnahm. Steve und Tony schafften es nicht so regelmäßig, wie sie es sich gewünscht hätten.
 

Steve war noch immer hinter Infos über den DCI her und musste dafür sogar für einige Tage die Stadt verlassen, weil einer seiner Informanten meinte, in Washington wäre einer, der ihm weiterhelfen würde. Was nun dabei herausgekommen war, wusste noch keiner, denn Steve wurde erst heute abend zurück erwartet.
 

Tony hingegen kümmerte sich mit Max inzwischen um die Aufräumarbeiten beim eingestürzten und abgebrannten Basra. Eine Metallkiste fanden sie bei der Polizei und die darin enthaltenen Unterlagen halfen ihnen auf alle Fälle bei der Bestätigung bei den diversen Ämtern. Auch gut, dass er das Geld meist in seinem kleinen Safe, der das Feuer unbeschadet überstanden hatte, gelegt hatte. Auch dieser war bei der Polizei verwahrt worden und nachdem er die Kombination eingegeben hatte, konnte er feststellen, dass noch alles vorhanden war. Jedenfalls ging er davon aus. Sie buchten eine Baufirma und heuerten einen Architekten an, damit der Aufbau rasch vonstatten gehen konnte. Billig würde es nicht werden, aber darüber brauchte sich Tony zum Glück keine Gedanken zu machen. Irgendwie schaffte Tony es dennoch, wenigstens für eine Stunde am Tag vorbei zu schauen. Um Sara machte er sich kaum Sorgen, war sie doch bei Black am sichersten aufgehoben.
 

Der einzigste Gast, der sich regelmäßig sehen ließ und weit weniger erfreut begrüßt wurde als die anderen, war Patrick McNear. Chris seufzte ständig auf, wenn dieser Kerl nur die Tür aufmachte. Aber sagen wollte er nichts, da dieser sich bereit erklärt hatte, weiter seine Unterstützung in die Suche nach Ryo zu investieren.
 

Black und Mick gingen dann jeweils in den Hintergrund, ließen diesen DCI jedoch nicht aus den Augen. Zumal sich dieser immer mehr mit Sara anzufreunden schien, was auch Dee nicht gerade gern sah. Dennoch nahm er es stillschweigend hin, obwohl er sie meist mit einem der Anwesenden hinausschickte, damit dieses beginnende Band zwischen Sara und Patrick erst gar nicht anfangen konnte zu wachsen.
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Späte Nachmittagssonne schien dem Commissioner des 27. Reviers auf den Rücken und ließ sein helles Haar funkeln. Tief in Gedanken versunken durchblätterte dieser die Akte, die vor ihm lag und schien nichts mit dem wunderschönen Wetter, welches sich außerhalb seines Büros auslebte, anfangen zu können.
 

Er nahm ein Blatt auf, schaute es sich an und legte es nachdenklich auf den Tisch, neben die Akte, zückte einen Stift und machte sich Notizen zu dem Fall. Fragen, die er später mit dem Detektiv klären würde, der diesen bearbeitete.
 

Barclay hob erst seinen Kopf, als ein leichtes Klopfen an seiner verschlossen Bürotür erklang und ihn somit aus der Arbeit riss.
 

„Ja!!“ sagte er energisch, unterbrach seine Tätigkeit und blickte zur Tür, um den Störenfried anzusehen.
 

„Wie ich höre, gibt’s Neuigkeiten?“
 

Leise seufzte Ross auf. Legte dann das Blatt zurück in die Akte und schloss diese, um nach der Akte ‚Ryo’ zu greifen und diese aufzuschlagen.
 

„Wenig. Aber wir sind dran.“
 

„Sollten Sie mir nicht die Neuigkeiten zukommen lassen, damit ich effizienter an dem Fall arbeiten kann?“ fragte die Stimme von Patrick McNear unpersönlich und direkt.
 

„So wie ich das sehe, McNear, sind Sie nicht besonders daran interessiert an diesem Fall. Sie sind meist im Krankenhaus und wenig wegen dem Fall unterwegs. Sie brauchen erst gar nicht zu versuchen, es zu leugnen. Ich habe seit einer Woche keinen Bericht von Ihnen erhalten und somit auch nichts neues. Warum sollte ich Ihnen dann entgegenkommen?“ Barclay lehnte sich in seinem Sessel zurück, stützte die Ellbogen auf die Lehne und tippte die Fingerkuppen gegeneinander.
 

„Wie schon gesagt, ich habe gearbeitet. Auch im Krankenhaus. Sie können Dee gerne fragen. Wir haben über seinen Mann gesprochen. Orte wo er gerne war, Möglichkeiten von Feinden. Immerhin ist er Cop und somit hat er bestimmt private und auch berufliche Feinde. Ich bin mit ihm einige Fälle durchgegangen, von denen die Täter in den letzten Monaten entlassen wurden,“ gab Patrick durchaus zufrieden mit seiner Leistung Auskunft. Denn dass Barclay daran nicht gedacht hatte, zeigte ihm das eingefrorene Gesicht des Commissioner.
 

„Und? Fündig geworden?“
 

„Ich habe möglicherweise eine Spur. Ein Bankräuber, den sie vor vier Jahren gefasst hatten, ist ausgebrochen. Seitdem fehlt jede Spur. Ich habe ihn gleich auf die Tatverdächtigenliste gesetzt und auch alle Reviere im Umkreis darum gebeten, die Augen und Ohren weiter offen zu halten.“
 

Auch wenn es Ross stank, aber er konnte nicht umhin, Patricks Verdienst anzuerkennen.
 

„Gute Arbeit!“ lobte er, zwar zurückhaltend, aber immerhin ehrlich gemeint.
 

„Und bei Ihnen?“
 

„Einige Fasern, die wir gefunden haben. Aber noch immer keine...“ Ross unterbrach sich, als Jim Cambel seinen Kopf ins Büro schob, um gleich darauf ganz darin zu erscheinen.
 

„Barclay... Wir haben...“ Jim verstummte, als er das kurze kaum wahrnehmbare Schütteln des Kopfes von Ross bemerkte.
 

„Einen Moment, Bitte. Jim. Ich bin noch in einem Gespräch,“ sagte er und scheuchte den Spurensicherheitsexperten aus dem Büro.
 

„Wo war ich...“ grübelte er und Patrick half ihm auf die Sprünge.
 

„Ach ja... die Fasern... Wir fanden einige Fasern in der Wohnung von Fulton. Doch bisher sind diese noch nicht analysiert.“
 

„Was für Fasern?“
 

„Nun, einige Teppichfasern waren mit Ryo’s Blut getränkt. Andere stammten wohl von einem Stück Rasen oder einer Pflanze. Wir wissen noch nichts genaues. Was wir inzwischen jedoch wissen, ist, dass Fulton sich als Peter Fulton Zugang zu der Baufirma verschafft hat, um so die Bomben im Chamer zu platzieren. Auch wissen wir, dass Fulton es nicht wahr, der beim Waisenhaus war, um den Studenten zur Mithilfe zu zwingen und ihn dann schlussendlich zu töten.“
 

„Das ist doch... gut. Es waren also doch von Anfang an zwei Täter. Einer, der, wie wir nun wissen, es wegen seiner Vergangenheit getan hat und einer, der sich an der Polizei oder / und den MacLane’s rächen wollte. Demnach hatte ich recht.“
 

„Ja, McNear, Sie hatten recht. Aber weiter gebracht hat uns dieses Wissen bisher auch noch nicht. Ich denke, und dazu brauche ich noch nicht einmal ein Profiling absolviert zu haben, dass beide Täter es wegen der Vergangenheit tun. Und ich denke, dass ich damit ins Schwarze treffe. Finden Sie nicht auch?“
 

„Schon möglich,“ gab Patrick zu. „Wenn Sie sonst nichts mehr haben...“
 

„Nein.“
 

„Gut.“ Patrick erhob sich und ging zur Tür. „Soll ich den Forensikknaben reinschicken?“
 

„Das wäre nett,“ sagte Ross und war nur zu froh, dass er diesen eingebildeten Kerl los war.
 


 

„Was sollte das eben?“ schnaubte Jim, als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war.
 

„Ich trau ihm nicht. Das habe ich dir schon einmal gesagt,“ erklärte Ross, stand auf und schloss nicht nur die Tür ab, sondern zog auch die Verblendungen hinab. Dann küsste er ihn erst einmal. Kurz aber leidenschaftlich, denn zu mehr würde er mehr Zeit brauchen.
 

„Okay... was hast du?“
 

„Wir haben ihn!“
 

„IHN?“
 

„Die Probe. Ich habe sie doch... Du hast mir wieder mal nicht zugehört. Typisch, echt...“ schüttelte Jim den Kopf, hockte sich auf die Schreibtischkante und zückte ein Stück Papier aus seiner Jacke.

„Den offiziellen Bericht bekommst du noch, aber nur soviel. Die Rasenspuren, die wir gefunden haben, werden nur an einem Ort benutzt. Guck nicht so. Jeder Park hier hat eine andere Sorte Gras. Warum keine Ahnung, aber es erleichtert es etwas. Also unsere Rasenprobe wird im Battery Park benutzt.“
 

„Das ist ein großer Park!“ warf Barclay ein. Irgendwie hatte er gehofft, dass es kleiner wäre.
 

„Ja, aber noch was ist bei der Untersuchung rausgekommen. Der Rasen hat... Aber ich will dich nicht mit dem ganzen Forensik-Geschwafel langweilen. Wir können es eingrenzen. Anhand der Färbung und der Dichte.“
 

„Nun red schon,“ forderte Barclay genervt Cambel zum Reden auf.
 

„Schon gut... Also es ist nicht an der West Side. Sondern an der südlichen...“
 

„Du meist da wo die ganzen Monumente stehen? Da gibt’s doch nichts... Bist du dir sicher, dass dich dein Experte da nicht belogen hat?“ hakte Barclay nach, als er sich die Lage vor Augen führte.
 

Da gab es nichts außer Denkmäler, Gras und nochmals Denkmäler. Da war kein Versteck, jedenfalls keines, das ihm bekannt war. Außerdem war dort immer reger Betrieb. Dort konnte man niemanden ungesehen wochenlang versteckt halten.
 

„Ich weiß, was dir durch den Kopf geht, aber wir haben es zigmal geprüft. Diese Grassorte kommt sonst nirgends in New York City vor.“
 

„Gut... Wir werden das ins Auge fassen, aber wir können dort gar nichts tun,“ seufzte Barclay und schob sich zwischen die Beine von Cambel.
 

„Gibt’s keinen Anhaltspunkt, dass Fulton dort was hatte... einen Bruder, der gefallen war? Oder so was?“
 

„Bruder? Nein, soviel ich weiß... Wir werden das überprüfen.“
 

Jim schlang seine Arme um Ross und zog ihn noch eine Spur näher.
 

„Hast du heute abend Zeit?“
 

Enttäuscht seufzte Ross auf. „Sorry, aber ich treff mich heute abend mit Black und Mick. Aber wenn du möchtest, kannst du mitkommen... deine Ideen sind Gold wert.“
 

„Ja, bis auf das Zurückholen von Patrick,“ grinste Jim und endlich trafen sich ihre Lippen wieder.
 

~~~~ Hug and Bell ~~~~
 

Steve stand am Fenster gelehnt und schaute hinaus in den späten Abendhimmel. Selbst um diese späte Stunde war es nicht dunkel draußen. Lichter blitzen in unterschiedlichen Farben und Intensitäten ständig auf und suchten nach Aufmerksamkeit. Nein, es war nie still oder gar ruhig in Manhattan. Cotton drehte den Kopf, als die Tür hinter ihm aufging und ein Kellner die Getränke brachte. Er selbst hatte heute um ein Wasser gebeten, weil er später noch zu Tony wollte. Dieser wohnte vorübergehend bei Max, nur einige Blocks vom abgebrannten Basra entfernt. Dort wollten sie später über die neue Inneneinrichtung reden. Steve gefiel es, dass sein Freund ihn mit einbezog und nicht alles allein entschied. Normalerweise wäre es Tonys gutes Recht, war es doch sein Lokal, sein Eigentum und auch sein Geld, welches er wieder investieren würde. Dennoch freute er sich über diese Geste. Flüchtig hörte er die sanfte Stimme, die er just in diesem Moment vermisste.
 

„Träumst du?“ hörte er Mick hinter sich.
 

Die Tür hatte er nicht aufgehen hören, wahrscheinlich war er hereingekommen, als der Kellner wieder raus war.
 

„Ein wenig... Das Leben ist so kurz, Mick...“ seufzte er und warf noch einen sehnsüchtigen Blick in die Richtung, wo sich sein Herzblatt im Augenblick befinden musste.
 

„Wo ist Black?“
 

„Er kommt gleich. Barclay war gerade gekommen und die beiden scheinen sich jedenfalls in diesem Punkt ganz gut zu verstehen. Wenn ich daran denke, wie sie sich noch vor einigen Wochen angeblafft haben...“ grinste Prescott, setzte sich auf die Couch und nahm sich eines der gefüllten Gläser.
 

Das tat er sonst nirgends. Er ließ nie ein Glas stehen, um später erneut daraus zu trinken. So leichtsinnig war er nicht. Aber hier in Black’s Etablissement, da traute er dem Personal.
 

„Und was gibt’s bei dir neues?“ hakte Mick nach und benetzte seine Lippen mit dem Eiswasser, welches er stets hier zu trinken pflegte.
 

„Sollen wir nicht warten, bis die beiden alten Leute hier sind?“ fragte er schelmisch grinsend und prostete Mick zu.
 

„Ich geb dir gleich ‚alte Leute’“, hörte er die feste aber auch leicht amüsiert klingende Stimme seines Bosses im Nacken.
 

„Sorry, Boss. Aber ich wusste ja nicht, wie lange ihr noch braucht, um die paar Stufen hochzukommen,“ warf er grinsend als Antwort entgegen.
 

„Demnach hast du was brauchbares?“ fordert Black ihn auch gleich auf, mehr darüber zu berichten.
 

Black setzte sich auf den Sessel direkt neben Mick, wobei es Barclay vorzog, sich an die Wand zu lehnen. Dass Jim nicht hier war, war nicht seine Schuld. Eine Analyse, die er eigentlich fertig hatte haben wollen, hielt ihn länger auf. Doch das hieß nicht, dass er ihn nicht später über die Ereignisse hier informieren würde. Denn meist hatte Jim grandiose Einfälle oder brachte ihn auf andere Gedanken und Ideen.
 

„Ich habe Fulton durchgecheckt wie ich sollte.“
 

„Da gibt’s nichts mehr. Das haben wir schon alles gemacht,“ meldete Barclay sich zu Wort. Er hasste es, wenn die Arbeit seiner Leute von anderen überprüft wurde. Aber so war der Deal. Er lieferte Informationen und er erhielt welche.
 

Steve ließ sich von dem Einwurf nicht aus der Ruhe bringen. Griff sich lediglich in die Jackentasche und zückte einen Block, in dem er sich ständig, wenn er unterwegs war, um Aufträge zu erledigen, Notizen machte.
 

„Wir wissen, wann und wo er stationiert war. Aber davor gab es so gut wie nichts. Deswegen und auch wegen dem anderen Fall war ich für einige Tage ja weg... Aber ich will es kurz machen. Fultons Vater starb bei einem Militäreinsatz, der als ‚geheim’ deklariert war. Die Mutter kurz darauf bei einem Autounfall. Da war Fulton gerade mal sechs Jahre. Er kam in ein Waisenhaus. Dort erfuhr ich, dass er kein Einzelkind war. Sein jüngerer Bruder wurde schnell adoptiert. Leider fehlen die Unterlagen aus diesem Jahr. Die Heimleiterin meint sich erinnern zu können, dass er von einem angesehen Ehepaar aus New York City adoptiert wurde, aber den Namen konnte sie mir nicht sagen. Dazu später mehr. Fulton war also kein Einzelkind. Er wuchs im Waisenhaus auf, fiel auf, weil er rebellisch war, und kam, als er alt genug war, auf die Militärakademie. Von dort nahm dann seine militärische Karriere seinen Lauf, bis zu dem Punkt, an dem er unehrenhaft entlassen wurde.“
 

Steve räusperte sich und nahm einen Schluck von seinem Wasser, blätterte dann um. Die Aufmerksamkeit der Anwesenden war ihm bewusst, als er fortfuhr.
 

„Fulton mietete sich in New York eine Wohnung. Trotz seiner Verletzung, wenn man es mal so ausdrücken darf, wollte er sich in der Szene einen Namen machen. Jedenfalls habe ich das so gehört. Auf alle Fälle soll er einige herbe Enttäuschungen sowohl bei Männern als auch bei Frauen erhalten haben. Warum er sich nicht ärztlich helfen ließ, liegt wohl am Glauben, in dem er in dem Waisenhaus erzogen wurde.“
 

Steve verstummte. Langsam blätterte er noch mal zurück und wieder vor, um zu überprüfen, ob er nicht doch noch einige wichtige Fakten vergessen hatte.
 

„Einen Bruder?“ fragte Black. „Keine Informationen darüber, Steve?“
 

„Doch,... gleich...“ antworte dieser, noch immer in seinem Notizbuch vertieft.
 

„Hat er auch noch andere Gebäude angemietet oder gibt es irgendwas in dieser Richtung?“ fragte Barclay, dem wieder einfiel, dass die Grasspuren wohl vom Battery Park stammten. Auch hatte Jim nach einem Bruder gefragt. Nun kannte er die Antwort. Er würde seine Leute mal ordentlich ins Gebet nehmen müssen: wenn sie so was nicht rausfinden konnten, konnten ihnen auch kleine Fehler unterlaufen und das musste er gleich ausmerzen, bevor sich die Symptome ausbreiten konnten.
 

„Nein... nichts. Aber...“
 

„Der Name des Vaters müsste doch auf einem der Gedenktafeln im Battery Park aufgeführt sein?“ fragte er nach. „Wie lautet dieser?!“
 

„Ach ja... Moment, das habe ich mir notiert,“ murmelte Steve und blätterte nun doch ein wenig hektisch durch den Block. „Ach hier...“, grinste er „Isaac Yableu.“
 

„IY...“ murmelte Barclay vor sich hin und weckte somit die Aufmerksamkeit von Prescott.
 

„IY? Was meinen Sie, Commissioner?“ wollte er dann auch gleich wissen.
 

„Wir haben die ganzen Ziele markiert. Neulich saß ich stundenlang davor und ich konnte einfach nichts erkennen bis auf zwei mögliche Buchstaben, einem I und einem Y. Das war mir jedoch zu abwegig, deswegen habe ich den Gedanken daran auch nicht weiter verfolgt, aber nun... scheint es doch einen Zusammenhang zu geben. Aber schlüssig ist mir das ganze immer noch nicht. Als Rache für den Vater, können wir wohl vermeinen. Aber warum Ryo?“
 

„Nicht immer liegt ein Grund dahinter, wenn man so etwas macht. Vielleicht auch nur Zufall?“ meinte Black und versuchte, sich in seinen Gedanken die Ziele vor Augen zu führen.
 

„Ich habe da noch was,“ brachte sich Steve in Erinnerung.
 

„Na dann los... Vielleicht bringt das Licht ins Dunkel,“ grinste Black und lehnte sich etwas zurück, um sich wieder voll und ganz auf seinen Angestellten zu konzentrieren.
 

„Die Nachforschungen über Patrick McNear. Er ging zur Schule, Highschool, Uni, das übliche halt... Es hat etwas gedauert, aber ich habe die Eltern von ihm aufgesucht. Nach einiger Zeit haben sie gestanden, dass Patrick adoptiert wurde. Er war damals zwei Jahre alt. Die Adoptionspapiere sind jedoch verschwunden und sie können sich auch nicht mehr an das Waisenhaus erinnern. Also bin ich zu dem Anwalt, den sie mir genannt haben, doch bei diesem war vor einigen Jahren ein Brand, der sämtliche Unterlagen vernichtet hatte. Ich habe noch persönlich mit dem Advokaten geredet, aber er konnte sich auch nicht mehr an die Einzelheiten erinnern. Zumal das ganze auch fast vierzig Jahre zurück liegt. Der Name des Waisenhauses, das ich ihm nannte, kam ihm zwar wage vertraut vor, aber ob der Junge, den er für die McNears gefunden hatte, von dort kam... Na ja... die Daten, die ich gesammelt habe... und...“
 

„Es könnte hinhauen... du meist also, dass Fulton und McNear Brüder sind?“ fragte Barclay aufgeregt.
 

„Das könnte ja bedeuten, dass... Nein...“ keuchte Ross auf und suchte sich nun doch einen Sitzplatz.
 

Denn wenn er das ganze Ausmaß dessen beleuchtete, was er eben erfahren hatte... Er vermisste Jim in diesem Augenblick am meisten. Er würde ihm helfen, die Gedanken des eben gehörten richtig zu ordnen. Seltsam, dachte er bei sich, dass er sich so auf den Forensiker verließ.
 

„Es gibt noch etwas...“ sagte Steve in die aufkommende Stille, nach dem Ausbruch von Ross.
 

„Erzähl...“
 

„Die Bombe im Tropical... Die letzte, die vierte, die nicht gezündet wurde... ich weiß, nein, ich vermute, warum das der Fall war.“
 

„Nun spuck es schon aus,“ donnerte Black, der sichtlich nervös und somit auch gereizt war.
 

„Jedenfalls würde meine Meinung die Brüdertheorie bestätigen...“
 

„COTTON!“
 

„Schon gut... ähm... Ich weiß nicht, ob ihr euch an den Jungen aus dem Diner erinnert. Dieser Robin Stewart, er hängt doch ständig bei Jackson rum. Also ich hab mit ihm geredet, nachdem du mir von dem Vorfall vor dem Diner erzählt hast, Mick.“ Dieser nickte nur, konnte aber mit dem Wortschwall direkt noch nichts anfangen. Also harrte er der Dinge wie die übrigen Anwesenden, bis Steve endlich zum Kern der Sache gelangte.
 

„Robin bestätigte mir, dass er von Patrick zu Boden gerissen worden war, kurz bevor die Druckwelle sie erfasste. Ich habe mir das mehrmals angehört, habe nachgefragt und er blieb hartnäckig dabei, dass er schon auf dem Boden lag, als die Druckwelle über die preschte. Das bedeutet, dass Patrick seinen Bruder in der Menge ausgemacht hatte, dieser jedoch die Zündung der Bombe wohl nicht mehr rückgängig machen konnte, aber dennoch seinen Bruder irgendwie gewarnt hat. Sei es ein Nicken oder ein Handzeichen. Denn einen Ruf hätte er garantiert bei dem Tumult schlichtweg gesagt einfach nicht hören können.“
 

„Und was machen wir nun mit unserem Wissen?“ fragte Mick, der nun endlich wusste, was Steve eben mit seiner Andeutung gemeint hatte.
 

Damals, im Krankenhaus, als Robin ihm das berichtet hatte, war ihm diese Winzigkeit von Sekunden wirklich unwichtig erschienen. Nur gut, dass er Steve davon berichtet hatte und dieser hatte wirklich alles genutzt, um dies hervorzukramen. Er wusste, wie gut Steve war, aber selbst mit dieser Leistung hatte er sich schwer übertroffen.
 

„Wir sollten die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass... dass Ryo in seiner Gewalt ist,“ brachte Barclay es zur Sprache.
 

„Wie kommst du darauf?“ wollte Black wissen, dem es eigentlich genauso ging mit seinem Gefühl.

„Er ist hinter Dee her. Er macht keinen Hehl daraus, dass er ihn am liebsten auch im Krankenhaus für sich beansprucht. Dass er vergeben ist, stört ihn dabei nicht, und er... er hat von Anfang an Ryo nicht einmal erwähnt. Wenn er von ihm spricht, dann meist als der Entführte, aber direkt in bezug zu Dee kann oder will er ihn nicht sehen,“ erklärte Barclay das offensichtliche.
 

„So sehe ich das auch. Aber eine Frage hätte ich da noch, Barclay.“ Black erhob sich und ging zum Fenster zu Steve, um ihm wohlwollend zuzulächeln.

„Gute Arbeit,“ lobte er ihn, wenn auch nur im vorbeigehen. „Das Battery Field, oder Park... warum gerade da?“
 

„Wir fanden Grasspuren in Fultons Apartment. Wenn Patrick der Bruder von Fulton ist, was wohl den Tatsachen entspricht, dann hat er diese Grasspuren dort hinterlassen. Wahrscheinlich eher unabsichtlich. Aber wie auch immer. Dieser Grassorte wird nur im und um den Battery Park angesät. Jedenfalls behaupten das die Experten.“
 

„Okay. Steve, du wirst ab sofort zum Schatten von McNear. Wie sieht’s aus, Barclay, bekommen wir zur Observierung auch einen von deinen Leuten?“
 

Kurz dachte Ross über dieses Anliegen nach und schüttelte dann den Kopf.
 

„Ich denke nicht, dass es gut wäre. Er kennt sie alle, wenn auch nur vom Sehen... Ich habe zwar da eine gute Praktikantin, aber ich möchte sie ungern so einer Gefahr aussetzen,“ sagte er und schüttelte noch immer leicht den Kopf.

„Tut mir leid... Aber wenn er wirklich Ryo hat, dann will ich alles in meiner Macht stehende tun, damit er gefasst wird und deswegen kann ich dir keinen geben, Black.“
 

„Gut... Steve, du wirst dich mit Bill abwechseln. Ich werde ihn nachher instruieren, damit er wenigstens grob Bescheid weiß. Alles wird aufgezeichnet, ich will keine Lücken in seinem Ablauf,“ befahl Black und entließ Steve damit in die Arbeit. „Warte noch... heute abend... vor seinem Apartment in der 5th. Ich zähl auf dich.“

Steve nickte mit einem kleinen Lächeln und verließ dann das Zimmer im Hug and Bell, um sich wenigstens eine kleine Auszeit bei seinem Freund zu gönnen.
 

**** TBC

Dienstag – 17.August

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Im Anschluss an dem Treffen im Hug and Bell hatte Barclay sich mit seinem derzeitigen Freund getroffen. Jim war wie auch er verwundert, wie rasch man etwas über einen Menschen, der sonst nichts zu verbergen schien, ans Licht bringen konnte. Auch Jim war der Ansicht, dass eine Observierung das einzigst mögliche Mittel war, um hinter die Machenschaften von diesem Kerl zu gelangen. Jim wollte noch nicht einmal mehr in Betracht ziehen, dass sie sich vielleicht irren konnten. Nein. Die Beweise, die Barclay ihm vorgelegt hatte, waren reichlich belastend gewesen und für Jim überzeugend genug, um das Unmögliche für möglich zu halten.
 

Nun saß Barclay in seinem Büro und dachte nach. Keiner sollte ihn stören, jedenfalls hatte er dies verlauten lassen. Doch er glaubte nicht daran, dass ihm lange Zeit des Nachdenkens bleiben würde.

Barclay machte sich große Sorgen um Ryo. Er ging auch deswegen nicht mehr ins Krankenhaus zu den üblichen Besuchszeiten. Denn Dee kannte ihn einfach schon viel zu lange und demnach auch zu gut. Er würde sofort sehen, was Sache war und seine Sorge würde noch mehr steigen. Ross hasste es - jedes Mal, wenn er das Krankenzimmer betreten hatte, war die erste oder zumindest die zweite Frage gewesen, ob sie mit der Suche nach Ryo vorankamen. Was sollte er ihm sagen? Die Wahrheit? Das konnte er nicht. Noch nicht.
 

Das Schrillen des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. War ja klar gewesen, dass ein so ruhiger Morgen nicht lange ruhig bleiben würde.
 

Geschwind erhob er sich, nachdem das Telefonat beendet war und ging in das Großraumbüro, wo sich bereits zwei der Detectives zum Aufbruch rüsteten. Nun gut, dann wussten sie auch hier schon über den Leichenfund Bescheid. Er nicke im Vorbeigehen J.J. Adams und Drake zu, die sich ihm dann auch gleich anschlossen.
 

Im Fuhrpark trennten sich ihre Wege, um sich dann beim Tatort wieder zu vereinen.
 

~~~~ Jeanelle Park ~~~~
 

Barclay bückte sich, um das Absperrband hinter sich zu lassen. J.J. und Drake waren wohl schneller als er gewesen, denn sie schauten sich den Fundort bereits an. Selbst Jim Cambel von der Spurensicherung sowie der Gerichtsmediziner waren schon vor Ort. Wohl ein Zeichen, dass er nicht zuerst informiert worden war.
 

„Ist er es?“ fragte er, als er näher kam und auf die Leiche blickte.
 

„Nein!“ Jim erhob sich aus der knienden Stellung und stellte sich neben Barclay.
 

„Dennoch, die Ähnlichkeit...“ Barclay warf einen weiteren Blick auf die Leiche, die in dem Park in der Nähe des N.Y. Plaza von einem Spaziergänger gefunden worden. Nackt!
 

Natürlich hatte es keine Zeugen gegeben. Schon gar nicht in einem Park, der eigentlich sehr ruhig gelegen war, aber dennoch viel besucht wurde.
 

„Wie schaut es aus, Todeszeitpunkt oder Ursache?“
 

Will Godroy, der hiesige Gerichtsmediziner, mit dem Jim auch schon die Leiche von Fulton untersucht hatte, nahm einen kleinen Leuchtstift aus seiner Jacke und leuchtete über die Wunde im Oberkörper.
 

„Das ist nur minimal. Es war für den Toten alles andere als angenehm, aber daran gestorben ist er nicht. Dazu ist der Schnitt zu oberflächlich. Man sieht, dass die Haut durchtrennt wurde und die oberen Fettschichten, aber ansonsten... nichts weiter als eine lange, harmlose, vermutlich nur leicht blutenden Wunde. Im Gegensatz zu den kleineren am Fuß. Oder eher gesagt, an der hinteren oberen Ferse... hier, sehen Sie...“
 

Will drehte den linken Fuß ein wenig. Normalerweise musste er alles so lassen, aber die Bilder waren gemacht und somit war diese kleine Veränderung nicht mehr wichtig. Außerdem würde er sie sich auch gleich notieren, für alle Fälle. Da war Will Godroy sehr genau. Der knapp sechzigjährige, mit nur noch einem Haarkranz gesegnete Gerichtsmediziner deutete auf mehrere kleine Einschnitte im hinteren Fußbereich. Die eisgrauen Augen des älteren Mannes hatten schon viel erblickt, aber so etwas, wie er nun vor sich hatte, war gnadenlos brutal. Er konnte solche Menschen nicht nachvollziehen, die so eine Gräueltat begehen konnten. Mord war schon schlimm genug. Aber dass jemand daran Vergnügen fand, das Opfer so zu quälen, war nicht normal. Jedenfalls in seinen Augen. Doch dies zählte nicht.
 

„Nicht sehr effizient... Aber tödlich.“
 

Barclay beugte sich vor und betrachtete die Wunden. „Sie meinen, er ist...“
 

„Ausgeblutet. Ich tippe mal, dass kein Tropfen Blut mehr in ihm sein wird. Das Gewebe an sich ist trocken. Sonst wäre er aufgeschwemmt, was nicht der Fall ist. Außerdem fehlen die üblichen Verfärbungen, die auftreten, wenn noch Wasser oder Blut das Gewebe füllt. Das sind alles vorläufige Spekulationen, genauso wie die Tatsache, dass der Körper wohl erst kürzlich hier abgelegt worden ist. Da es gestern geregnet hat und sich der Körper auf einem feuchten Fleck befindet, würde ich mal sagen, dass er entweder vor oder während des Regens hier platziert worden ist.“
 

„Er wurde also nicht hier umgebracht...“ murmelte Barclay und notierte sich das in seinen Gedanken. Papier war unwichtig, dafür hatte er ein vorzügliches Gedächtnis.
 

„Nein. Aber ich werde die Umgebung dennoch auf Blutspuren untersuchen. Auch werde ich den Körper nach Einstichen hin untersuchen. Obwohl ich diesmal nicht davon ausgehe, dass ich fündig werde... Das hier war geplant,“ meinte Godroy und steckte den Laserstift zurück.
 

„Wir sollten ihn finden!... Warum?... Als Warnung?“ Barclay warf Jim einen Blick zu.
 

Wenn wirklich Patrick dahinter steckte, warum tötete er einen Unschuldigen? Eine Frage mehr, die nun zu klären war.
 

„Was meinen Sie, Doc, wie lange ist er schon tot?“
 

„Tja... Da der ganze Körper praktisch entwässert wurde... und wenn ich mir die Wundränder, die Flecken hier und hier ansehe... ich würde mal schätzen... vier bis sieben Tage. Genaueres kann ich ihnen erst sagen, wenn ich ihn auf dem Tisch hatte, Commissioner,“ hielt der Gerichtsmediziner sich etwas bedeckt.
 

„Eine Vorstellung, wie er hierher transportiert wurde?“
 

Godroy erhob sich, stemmte die Hände in den Rücken und ließ seine morschen Knochen knacken. Der Jüngste war er nicht mehr mit seinen knapp 60 Jahren. Da taten einem schon die Knie vom langen Hocken weh. Als er stand und alles wieder eingerenkt hatte, was schon denkbar gefährliche Geräusche von sich verlauten ließ, schaute er sich in aller Ruhe die Gegend an. Das hatte er vorhin schon beiläufig getan, aber er wusste um die Neugier der hiesigen Cops und war deswegen erst einmal zur Leiche gegangen, um eine Vorab-Schau zu tätigen.
 

„Der Boden war feucht... vielleicht... in einem Sack. Oder er wurde bis hierher gefahren, obwohl, Reifenspuren... sehe ich jetzt nicht... aber das wird die Forensik schon noch untersuchen. Meiner Meinung nach... in einem Sack. Sehen Sie... hier ist eine kleine Vertiefung... etwa so lang wie die Leiche... dann wurde er entweder herausgehoben... was ich anzweifle, sonst würden Druckstellen am Körper zurückbleiben. Also wurde er hier rübergedreht... wohl ebenfalls in dem Sack... praktisch ausgeschüttet. Dann einfach liegen gelassen... Aber wie gesagt... Cambel und sein Team werden das schneller rausfinden... Ich werde mich dann um die Obduktion kümmern... wann wollen Sie den ersten Bericht?“
 

„In einer Stunde?“ sagte Barclay und wusste, dass es mindestens drei werden würden.
 

„Ich werde es versuchen... Also... packen wir ihn ein,“ bestimmte Godroy und machte sich an die Arbeit.
 

Barclay sah sich weiter um. Ein Mann! Tot! Ähnlichkeit mit Ryo! Warum? Wieso und wofür? Fragen, die er beantwortet haben wollte.
 

Sein Handy piepte los und er meldete sich mit einem raschen „Ja!“
 

„Ich bin’s, Mick. Dee möchte dich sehen.“
 

„Ich habe zu tun!“
 

„Ich denke mal, es war keine Bitte...“
 

„Wir haben eine Leiche... im Jeanelle Park gefunden. Männlich, etwas 35 Jahre alt. Blond, schlank und mit einigen Wunden am ganzen Körper. Und was wohl augenscheinlich das objektivste ist... er sieht Ryo ähnlich,“ erklärte Barclay und hoffte, dass Mick Dee davon abhalten würde, seine Bitte zu erneuern.
 

„...“
 

Es war eine Weile still im Netz. Das musste Mick erst einmal verkraften.
 

„Es ist nicht Ryo? Seid ihr euch sicher?“ hakte er nach.
 

„Ja. Ganz sicher,“ knurrte Barclay. Ihm so eine Frage zu stellen - wo er jahrelang hinter dem Halbjapaner her gewesen war, wusste er doch, wie er wohl aussah.
 

„Gut, ich versuche, ihn hinzuhalten. Aber lange wird er sich das nicht mehr gefallen lassen.“
 

„Was macht die Observierung?“
 

„Steve ist dran...“
 

„Seit wann?“
 

„Heute morgen gegen vier Uhr hat er sich gemeldet. Soweit wir wissen, ist McNear eine Runde im Park joggen gewesen, dann war er in seinem Apartment und ist seitdem dort. Warte... bekomme grade, dass er sich auf den Weg macht... wohin, werden wir noch sehen.“
 

„Fuck! Er hätte gestern abend anfangen sollen. Vielleicht hätten wir ihn dann schon gehabt?“
 

„Ross!“ meinte Mick mit ruhiger und sachlich klarer Stimme. „Steve hätte vor seinem Haus gewartet... und wenn er es war, dann war er mit Sicherheit nicht erst zu Hause und ist dann los, um einen umzubringen...“
 

„Okay, das macht Sinn... Gut... Ich bin nur ein wenig...“
 

„Das sind wir alle, Commissioner. Bleib nur ruhig, das wird schon. Wenn er es war... kriegen wir ihn.“
 

~~~~ Battery Park ~~~~
 

Patrick fuhr einige Umwege. Er wusste nicht warum, aber er hielt es schon immer so. Nie fuhr er auf direktem Wege zu seinem Ziel. So auch heute. Und nachdem er sich sicher war, dass er alle Verfolger abgehängt hatte, wenn denn welche hinter ihm her gewesen sein sollten, fuhr er zum Battery Park. Parkte seinen Wagen in der dafür vorgesehenen Bucht und ging zu dem Kriegerdenkmal, wo der Name seiner beiden Väter eingemeißelt war. Kurz blieb er stehen, betete stumm für ihre Seelen, bevor er weiterging.
 

Seinen Verfolger bemerkt er nicht. Doch dieser wunderte sich nur, dass McNear scheinbar verschwinden konnte. Denn nachdem auch Steve das Monument umrundet hatte, war von dem DCI nichts mehr zu sehen. Verwundert blickte Steve sich um. So einen Vorsprung hatte er ihm nicht gelassen, dass er in der vielen Anzahl der hier stehenden Denkmäler einfach verschwinden konnte. Steve griff zu seinem Handy und meldete seinen Misserfolg. Blieb aber dennoch vor Ort. Irgendwas stimmte nicht, da war er sich sicher.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Ryo Entführer indessen ging durch einen langen Gang, blieb schließlich vor der offenen Tür stehen und sah auf sein Schneewittchen hinab. Noch immer leichenblass lag er auf der Pritsche.
 

Die drei Infusionen erneuerte er schon zum x-ten Mal. Doch anscheinend hatte er zu lange gezögert, denn eine wirkliche Besserung schien sich in den letzten Stunden nicht eingestellt zu haben. Er prüfte die Etiketten auf den Infusionen. Eine zum Auffüllen des Wasservolumens, eine für künstliche Ernährung und die dritte ein leichtes Sedativum, damit die Schmerzen im Körper den Gefangenen nicht wahnsinnig machten.
 

Sich anhand Ryo’s Zustand sicher fühlend, trug er das erste Mal keine Maske, als er neben Ryo in die Knie ging, um den Puls zu fühlen. Dieser war langsam und schwach, aber er schlug permanent. Auch wenn die Kraft nicht dem entsprach, wie es bei einem erwachsenen Mann normal war, beruhigte es den Entführer, dass das Herz wenigstens noch schlug. Und so lange dies der Fall war, würde Ryo wohl auch nochmals aufwachen. Damit er sein Leiden noch eine Spur verlängern konnte.
 

~~~~ Battery Park ~~~~
 

Steve wusste nicht, wie lange er schon in diesem Park herumgelaufen war. Inzwischen saß er auf einer Bank und haderte mit sich und Ryo’s Schicksal, das wegen seiner Dummheit weiterhin im unklaren blieb. Sein Blick streifte ziellos umher, bis er sich auf einen Mann fixierte. Einem Mann, dem er bis vor einer Stunde hierher gefolgt war. Wo kam dieser plötzlich wieder her? Steve verhielt sich still, wollte nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Hier gab es ein Rätsel, welches es zu lösen galt, und er würde es lösen. Keiner verschwand einfach und tauchte dann wieder auf.
 

Nachdem Steve sicher war, dass McNear den Park verlassen hatte, schaute sich der Ex-Mafiasohn die Gegend, in der Patrick verschwunden war, nochmals an. Doch er fand nichts. Keine Tür und auch keinen Spalt, der den DCI einfach verschluckt hätte.
 

„Das gibt’s doch nicht...“ knurrte er und fuhr sich gereizt durch das Haar. „Ryo... ich finde dich... halt noch was durch,“ murmelte er nur für sich verständlich. Er verdankte den MacLane’s so viel. Er würde es sein Leben lang nie zurückzahlen können, aber wenn er Ryo fand, so konnte er doch ein klein wenig davon zurückgeben.
 

Steve schlenderte weiter durch die Gegend. Schaute sich auch das Castle, das hier stand, genauer an. Doch auch dort gab es keinen Eingang. Jedenfalls für ihn keinen sichtbaren.

Dennoch, irgendwohin musste Patrick McNear verschwunden sein. Und irgendwo hier gab es ein Geheimnis. Eines, das er nur zu finden brauchte. Da war sich Steve sicher. Nur die Zeit arbeitete gegen ihn.
 

~~~~ Medical Center ~ Chirurgie ~~~~
 

Leise lachte Dee, auf als Sara ihm einen ihrer Witze erzählte. Es war an sich nicht komisch, aber er wollte auch nicht das Gemüt der Kleinen, die sich so tapfer hielt, kränken.
 

„Erzähl mal, Nikkô... wie gefällt es dir bei Onkel Aaron und Onkel Mick? Ist es besser als bei Onkel Steve und Onkel Tony?“
 

Sara beugte sich ganz dicht zu ihrem Dad vor. Denn dieser Onkel Aaron war mit im Zimmer und schaute leicht belustigt in ihre Richtung.
 

„Onkel Aaron ist immer so streng... ich darf nichts machen...“ meinte sie leise und schielte zu dem Besagten hinüber. Schnell huschte ihr Gesicht jedoch wieder zu ihrem Dad, als sie den Blick auf sich spürte. „Siehst du, Dad... der guckt schon wieder so komisch.“
 

Dee grinste und warf Black einen Blick zu.
 

„Oh... der guckt immer so... Da brauchst du dich nicht zu sorgen,“ erklärte Dee und strubbelte seiner Tochter durch das blonde Haar, welches ihn so sehr an Ryo erinnerte.
 

Innerlich wimmerte er auf, jedes Mal, wenn seine Gedanken zu seinem Mann eilten. Ihn suchten und ihn nicht fanden. Wenn er nur bald wieder aufstehen könnte, damit er Barclay Feuer unter dem Hintern machen konnte, aber dieser Feigling traute sich noch nicht einmal mehr her. Für ihn ein eindeutiges Zeichen von Schwäche und Versagen. Abends, wenn es still wurde, alle Besucher das Zimmer verlassen hatten, dann unterhielt er sich mit Chris. Über alles. Erzählte ihm von seiner Ehe, wie es mit Ryo angefangen hatte, ihre erste schwere Zeit, die Schwangerschaft und die Hindernisse vor der Hochzeit. Er musste mit jemandem über ihn reden, sonst würde er noch durchdrehen. Alles in ihm schrie nach seinem Mann. Und er lag hier zur Untätigkeit verdammt.
 

„Was?“ fragte er leise seine Tochter, denn er hatte die Frage schlichtweg gesagt überhört, so tief war er schon wieder in seiner Gedankenwelt abgedriftet gewesen.
 

„Wann Daddy wiederkommt?“ fragte sie leise. Sie wusste zwar, dass sie das nicht fragen sollte, aber ihre Sehnsucht nach ihrem anderen Vater war halt genauso groß wie Dee’s.
 

Dieser musste sich zwingen, nicht vor seiner Tochter in Tränen auszubrechen, schaffte es sogar, ein kleines Lächeln zustande zu bringen.
 

„Bald, mein Sonnenschein... bald, meine Kleine... Dann haben wir unseren Daddy wieder,“ sagte er und nahm sie in die Arme, konnte das Glitzern seiner Augen nicht länger zurückhalten. Jedenfalls sah Sara so die kleine Träne nicht, die er auch schon rasch wegwischte.
 

„Na komm, Sara. Lass deinem Dad ein wenig Ruhe. Wir machen einen Spaziergang... na, was meinst du dazu?“ fragte Robin, der es sich mal wieder neben Chris bequem gemacht hatte. Auf der Bettkante natürlich.
 

Robin war zwar nicht auf der Liste derjenigen, die Sara schaden wollten, eigentlich wohl eher im Gegenteil. Auch wenn man bedachte, dass er geholfen hatte, McNear auf die Schliche zu kommen, fühlte sich Black bei diesem Angebot alles andere als wohl.
 

„Das ist nett, Robin,“ erklang jedoch die Stimme von Dee und verhinderte, dass Black dieses verneinen konnte.
 

„Dann könnt ihr drei mal offen reden,“ meinte Robin leise zu Chris.
 

Dieser hatte sich schon so an die Nähe und die ständige Anwesenheit des Jüngeren gewöhnt, dass er sich wirklich schon fragte, warum er am Anfang so stark gegen ihn rebelliert hatte. Gut, er war noch immer jünger als er, daran würde sich wohl nie etwas ändern. Aber eins hatte Chris in den Tagen, die er hier träge herumlag, erkannt. Dass er Robin mehr als nur mochte. Er liebte ihn. Warum also nicht das nehmen, was einem so frei angeboten wurde. Es gab im Leben kein Garant darauf, dass alles ewig hielt. Ewig war sowieso ein kurzes Wort für nichts. Wenn, dann wollte er die Liebe nicht auf ewig, sondern für immer. Doch auch das war, wie er bei Dee und Ryo durch die Gespräche erfahren hatte, nicht immer mit Sonnenschein behaftet. Aber das musste sich wohl jeder selbst zurechtschustern. Deswegen war er einverstanden, mit Robin eine Beziehung einzugehen. Das würde er ihm jedoch erst sagen, wenn er wieder fit war. Denn so etwas musste schließlich ausgiebig und richtig gefeiert werden und dazu fühlte er sich noch immer nicht in der Lage.
 

Robin streckte seine Hand aus und Sara ergriff sie strahlend. Sie mochte den Jüngsten hier. Irgendwie erinnerte dieser ihn an ihren Daddy. Der auch immer so strahlte und lustig war. Gut, ihr Dad war das auch, aber seitdem er hier lag, spürte Sara, obwohl sie noch recht jung war, dass ihr etwas verheimlicht wurde. Immerhin war sie die Tochter zweier Cops und spürte es innerlich. Außerdem waren die Scherze von ihrem Dad nicht mehr so toll und der Humor dahinter fehlte ihr ganz. Vielleicht konnte sie ja aus Robin etwas herausbekommen. Schließlich war sie ja nicht dumm.
 

„Bis später, Dad...“ winkte sie ihm zu, nachdem sie ihm ein Küsschen aufgedrückt hatte und nun mit Robin aus dem Zimmer ging.
 


 

„Was gibt’s neues?“ fragte Dee, kaum dass Sara das Zimmer verlassen hatte.
 

Dass die Frage direkt an ihn gerichtet war, war Black durchaus bewusst, doch nur zu gerne hätte er ihm jetzt etwas konkretes gesagt. Die Vermutung, die sie über Patrick hatten, wollte er noch nicht erwähnen. Was, wenn sie sich täuschten?
 

„Nun, inzwischen ist klar, dass Fulton für die Explosion im Chamer, im B & B und im Tropical verantwortlich war. Die Spuren des verwendeten explosiven Materials sowie einige passende Platinen wurden in seinem Apartment gefunden. Außerdem wurde bestätigt, dass Fulton sich bei der Baufirma eingeschlichen hatte. Er wurde von drei Leuten positiv identifiziert.“
 

Dee und Chris lauschten aufmerksam.
 

„Und die anderen Bomben?“ erklang die fragende Stimme von Jackson zuerst im Raum. Offensichtlich war er damit Dee zuvorgekommen, denn dieser schloss soeben seinen Mund wieder, wartete wie sein derzeitiger Kollege auf die Antwort.
 

„Der Professor vom Institut sowie die Heimleiterin des Waisenhauses und die Schwester des Jungen konnten Fulton nicht identifizieren.“
 

„Er war also nicht beim Basra?“
 

„Doch! Er hat die Bombe gebaut, wir fanden auch dazu Spuren. Aber...“
 

„ABER?“ fragte Dee gereizt.

Warum hielt man ihm hier nur so spärliche Informationen vor.
 

Bevor Black sich dazu genötigt sah zu antworten, öffnete sich jedoch die Tür und Patrick McNear betrat fröhlich vor sich hin pfeifend das Zimmer.
 

„Hallöchen, bin ein wenig spät. Hier, Chris, für dich,“ sagte er und reichte Jackson eine Packung Kekse, ging dann zu Dee und strahlte ihn förmlich an.

„Das ist für dich...“ Patrick streckte auch Dee eine Packung entgegen, die dieser ein wenig zaghaft annahm. Eigentlich war Dee sauer, weil ihr Gespräch so plötzlich unterbrochen wurde, aber als er auf die Schachtel Pralinen blickte, die er so gerne aß, verzieh er Patrick auf der Stelle.
 

„Danke,“ sagte er leise und verzog dabei die Lippen knapp zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln. Dies, so meinte MacLane jedenfalls, war er ihm schuldig.
 

„Wir reden später,“ hörte er Black, der auch schon fast fluchtartig das Krankenzimmer verließ.
 

„Sag mal, stör ich?“ Patrick blickte ein wenig überrascht über den raschen Abgang des Kerls auf die geschlossene Tür.
 

„Nein... und ja. Du bist doch auch an dem Fall dran, Pat. Gibt’s nichts neues?“ bohrte Dee nun seinen Ex-Lover an. In der Zeit, in der er nun hier lag und Patrick länger bleiben konnte, hatte er sich an dessen Anwesenheit gewöhnt. Irgendwie war trotz der Umstände die alte Vertrautheit wieder aufgekommen. Und wenn er von McNear nichts neues erfahren würde, dann würde er dem Commissioner noch heute gehörig ein Feuer unter dem Hintern machen.
 

„Ich weiß nicht...“ wagte Patrick einen kleinen Vorstoß und stockte bereits nach diesen drei Worten. Die alles versprachen und ein ängstliches Zittern in Dee hervorriefen.
 

Dee ließ die Packung Pralinen auf die Decke fallen und griff nach einer Hand von Patrick.
 

„Sag schon... ist was mit... mit Ryo?“ Seine Stimme schwang vor Emotionen, obwohl er fast nur ein Hauchen ausgestoßen hatte.
 

„Dee...!“ hörte dieser vom Nachbarbett. Wobei Chris hoffte, dass jetzt nichts grauenhaftes über den jüngeren Kollegen hereinbrechen würde.
 

„Man hat dir noch nichts gesagt?“ fragte Patrick still nach, und erst als er den Blick von Dee und das leise Schnauben von Chris vernahm, atmete er tief durch, hockte sich dann auf das Bett seines alten Freundes.
 

„Sie haben eine Leiche heute morgen gefunden... Ich war nicht vor Ort, ich habe es nur aus dem Funk...“
 

„Wieso erzählst du uns das?“ fragte Chris nun neugierig. Da stimmte was nicht, das spürte er tief in sich. Der Hammer kam noch.
 

„Nun... wie ich gehört habe, war es eine männliche Leiche. Ich will hier nichts sagen, was dich aufregt, Dee... Es... Es tut mir leid... aber ich hörte, wie einer der Cops vor Ort den Namen deines...“
 

Weiter kam Patrick nicht. Dee stöhnte gepresst auf. Seine Augen flatterten zu, bevor sie wieder aufgingen und wie leer ins Nichts blickten. Auch aus seinem leicht geöffneten Mund kam kein Ton. Seine Finger krallten sich ins Bettlaken, als er sich zurücksinken ließ.
 

Chris zögerte keine Sekunde. Aufstehen durfte er noch nicht, aber er konnte den Notfallknopf drücken und das tat er. Nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach.
 

Patrick griff nach der Hand von Dee, doch diese war so verkrampft, dass er nichts machen konnte.
 

Wie leblos lag Dee in dem weißen Laken. Das Gesicht unnatürlich blass, die Augen... Patrick bekam Angst. Angst, dass er Dee zuviel zugemutet hatte, aber er würde schon darüber hinwegkommen. Irgendwann...
 

Energisch wurde der DCI von einem herbeieilenden Arzt zur Seite geschoben.
 

Rasche Anweisungen folgten und eine Injektion folgte einer bereits gesetzten. Der behandelnde Arzt trat einen Schritt zurück, als er Dee zwar nicht aus der derzeitigen Phase herausgeholt hatte, aber sichtlich zufrieden war mit dem Resultat seiner Arbeit.
 

Der Arzt blickte sich zu Chris um.
 

„Was hat das ausgelöst?“ Noch immer waren seine Hände auf Dee’s Handgelenk, fühlten den Puls, der langsam stärker und gleichmäßiger wurde.
 

„Vermutlich habe ich...“ stammelte Patrick und stand noch immer ein wenig nervös am Fußende des Bettes. Starrte Dee an, dessen Augen nun geschlossen waren und der wohl schlief.
 

„Haben Sie was...?“ fragte der Arzt und fokussierte den stotternden Kerl an.
 

„Ich... ich habe ihm gesagt, dass sein Mann vielleicht tot aufgefunden wurde!“ sagte Patrick und fühlte sich unter dem vernichtenden Blick des Arztes alles andere als wohl.
 

„Sie haben WAS?“ staunte der Arzt, und wenn es in dem Bereich des möglichen gelegen hätte, hätte er dem Kerl nun erst einmal gewaltig eine gedonnert.

„Sind Sie verrückt? Der Patient erholt sich hier von einer schweren OP und Sie knallen ihm so was an den Kopf? Raus...! Raus aus dem Zimmer, der Station und dem Krankenhaus. Wenn ich Sie noch einmal hier erblicke, rufe ich den Sicherheitsdienst und lasse Sie entfernen,“ sagte der behandelnde Arzt mit ruhiger Stimme aber gefährlich angehauchtem eisigem Unterton, der keinen Zweifel daran ließ, dass er es auch ernst meinte.
 

„Sie können nicht...“ Patrick blieb stur stehen, er ließ sich doch deswegen nicht rauswerfen. Nun, wo er fast das erreicht hatte.
 

„Schwester, rufen Sie den Sicherheitsdienst... wir haben hier ein Problem,“ befahl er ruhig der anwesenden Schwester, die daraufhin einen weiten Bogen um die Person machte und eilig das Zimmer verließ.
 

„Ich bin Polizist, das lasse ich nicht mit mir machen,“ wurde Patrick energischer. Es ging hier im Augenblick nur um ihn. Er würde sich nicht von Dee entfernen. Nein, endlich hatte er ihn da, wo er ihn haben wollte.
 

„McNear! Seien Sie vernünftig und gehen Sie. Sie schaden Dee nur noch weiter, wenn sie so aufbrausend reagieren. Er braucht Ruhe...“ mischte sich nun auch Chris noch mit ein.

Er konnte Patrick von Anfang an nicht ausstehen, aber diesen nun so zu sehen war nicht gerade erfreulich. Anscheinend war die ganze Zeit, wenn er freundlich war, eine Maske auf seinem Wesen gewesen. War dies sein wahres Gesicht? fragte sich Chris, und er blickte Patrick bittend an.

„Denken Sie an Dee’s Gesundheit... gehen Sie. Ich rede mit dem Arzt...“ versprach er, um nur irgendwie dazu beizutragen, dass der DCI ohne großes Aufsehen wenigstens das Zimmer verließ.
 

„Gut, ich gehe... aber Sie sollten Dee noch etwas von mir ausrichten, Jackson.“
 

„Und das wäre?“ fragte er neugierig, obwohl er es eigentlich nicht hören wollte. Denn es würde mit Sicherheit nur noch etwas sein, was Dee noch tiefer in seine Verzweiflung trieb.
 

„Der Ehering. Ich weiß, dass Barclay Ross diesen in seinem Besitz hat. Schon seit Tagen...“ sagte er mit einem Grinsen, das Chris einen Schauer über den Rücken jagte.
 

Dann verließ Patrick das Zimmer, nicht ohne dem Arzt noch einen kalten, fast tödlichen Blick zu zuwerfen. Erst als die Tür hinter ihm zugefallen war, schüttelte es den Arzt.
 

„Ein unsympathischer Mensch!“ murmelte er und wusste nicht, dass er diese Worte laut ausgesprochen hatte.
 

„Da stimm ich Ihnen zu, Doc. Aber eine Bitte habe ich an Sie. Ich muss wissen ob das stimmt, mit Ryo. Kann ich mein Handy einschalten?“
 

Kurz zauderte der Arzt. Aber angesichts der Tatsache, wie es einem seiner Patienten ging und dass es ihm wohl besser gehen würde, wenn er die Wahrheit kannte, nickte er.
 

„Gut, aber nur kurz. Ich bleibe so lange hier,“ bestimmte er und ging den einen Schritt zurück zu Dee’s Bett. Noch immer war der Puls nur schwach. Diesen Schock musste der angeschlagene Körper erst einmal erneut verkraften.
 

„Er hat ihn schon einmal verloren... Bei einer Bombe, dachte, er wäre im Feuer umgekommen, wochenlang hat er getrauert. Dass er überlebt hat, war ein Wunder und als er davon erfuhr... aber das können Sie sich selbst gut vorstellen... Dann wurde er entführt. Seit acht Wochen nun fehlt jede Spur zu ihm. Dann diese kalten Worte...“ erklärte Chris dem Arzt in knappen Worten, warum Dee so heftig auf den möglichen Tod des Ehemannes reagiert hatte.
 

„Ross!“ meldete sich der Commissioner, den es inzwischen zurück in sein Büro gezogen hatte. Auf dem Schauplatz des Tatortes gab es für ihn nichts mehr zu sehen, und bevor er wichtige Spuren zertrampelte, hatte er sich lieber zurückgezogen.
 

„Jackson hier, Commissioner,“ meldete Chris sich brav.
 

„Sie sind schon auf?“
 

„Nein, ich benutze mein Handy. Wir haben hier einen Notfall...“
 

„Einen Notfall? Was ist passiert?“ fragte Ross nicht neugierig, aber aufgeregt nach. Denn wenn Chris telefonierte und von einem Notfall sprach, dann bedeutete das, dass etwas mit Dee war.
 

„Es geht um die Leiche, die Sie heute morgen gefunden haben!“ kam er auch gleich zum springenden Punkt. Langes Gerede drum herum würde alles nur verzögern und wenn er Dee helfen wollte, dann musste er klare Aussagen machen und erhalten.
 

„Woher weißt du... davon?“
 

„Es stimmt also,“ erklang die Stimme dumpf und angeschlagen durch den Hörer.
 

„Ja, wir haben eine Leiche heute morgen im Jeanelle Park gefunden.“
 

„Ryo?!“
 

„WAS? Nein, um Gottes Willen...!“ Vehement bestritt Barclay das und Chris hatte keinen Zweifel am Gehalt der Wahrheit hinter dieser Aussage.
 

„Wer dann?“
 

„Ein noch unbekannter junger Mann. Okay, ich gebe es zu. Die Ähnlichkeit zu Ryo ist beträchtlich. Aber woher weißt du von dem Fund und wieso kommst du gleich auf Ryo?“ hakte Ross gleich nach.
 

„McNear hat es uns eben gesagt...“
 

„Fuck!“ knurrte Ross. „Wie geht’s Dee?“
 

„Er steht im Augenblick unter Schock, was denkst du denn. Außerdem erwähnte er einen Ring.“ Mehr traute Chris sich nicht zu sagen, weil Dee sich bewegt hatte und somit vielleicht auch die Unterhaltung mithören könnte.
 

„Ja, den habe ich. Und jetzt hör genau zu. Er war am Finger von Fulton. Blutspuren von Ryo waren in der Wohnung und wir haben eine Spur. Ich habe Dee extra nichts von diesem Ring gesagt, weil ich ihn nicht aufregen wollte... ob du es ihm nun preisgibst, überlass ich dir.“
 

„Wie viel wissen Black und Mick?“ fragte Chris leise.
 

„Alles. Wir treffen und regelmäßig und wie gesagt haben wir eine heiße Spur. Wir finden ihn.“
 

„McNear?“ schoss Chris mal ins Blaue.
 

„...Der Verdacht liegt nahe...“ äußerte sich Ross wage. Denn er konnte noch nicht einfach den Verdacht bestätigen.
 

„Okay... Ich... ich... Dee wacht auf, ich mach Schluss,“ sagte Chris und beendete das Gespräch, schaltete auch gleich das Handy wieder aus, um es in seinem Beistelltisch zu verstauen.

„Ist er wach, Doc?“ fragte Chris von seinem Bett her, denn genau konnte er es halt nicht sehen.
 

„Mr. MacLane... Mr. MacLane, hören Sie mich,“ beugte sich der Arzt über Dee und fühlte diesmal nach der Halsschlagader und nickte beruhigend. Anscheinend war es noch mal glimpflich verlaufen.
 

„Dee... Dee, es war nicht Ryo. Hörst du... ich habe eben mit Ross gesprochen. Es war NICHT Ryo.“
 

Träge drehte der Angesprochene den Kopf und sah zu seinem Zimmergenossen hinüber. Eine Träne löste sich aus seinen Augen, gefolgt von einem leisen Schluchzen.
 

„Ich gebe Ihnen noch etwas zur Beruhigung, Mr. MacLane. Dann können Sie ruhig schlafen. Es wird schon alles gut. Denken Sie an Ihre kleine bezaubernde Tochter. Sie braucht Sie noch...“
 

Dee drehte den Kopf in Richtung Fenster. Die Sonne lachte vom klaren, wolkenfreien Himmel auf die Erde. War es ein Zeichen, dass wirklich alles gut werden würde? Er hoffte es so sehr. Alles in ihm schrie nach seinem Mann. Doch er fand kein Echo, so wie sonst. Angst schnürte ihm seit gestern die Kehle zu. Seit gestern konnte er ihn nicht mehr spüren, so als ob er weg wäre, deswegen war er auch so leicht auf die Vermutung von McNear eingegangen.
 

„Er ist weg... einfach weg...“ murmelte er, erklärte sich aber nicht weiter, sondern starrte weiter hinaus in den sonnigen Tag.
 

Er hörte nicht, wie sich der Arzt noch leise mit Chris unterhielt und ihm die Sorge nahm, bevor die Tür hinter dem Arzt zufiel und die beiden wieder einmal allein ließ. Dee voller Sorgen und Ängste um seinen geliebten Mann und Chris, der sich um die Gesundheit von Dee sorgte.
 


 

Frustriert über den Rauswurf verließ Patrick McNear hoch erhobenen Hauptes das Krankenhaus. Nein, er würde sich nicht vom Sicherheitsdienst des Krankenhauses hinauswerfen lassen, da ging er lieber selbst. Aber er würde wiederkommen. Daran würde ihn auch nicht dieser aufgeblasene Arzt hindern können.
 

Er schlug sich den Mantelkragen etwas höher, als er sich auf den Weg zu seinem Wagen machte. Ein helles, reines Kinderlachen ließ ihn jedoch stehen bleiben und sich umsehen. Patrick machte die Richtung aus, aus der dieses fröhliche Lachen kommen musste, und ging zielstrebig drauf zu. Kurz darauf erblickte er die beiden, Sara und Robin, fröhlich herumtollend. Anscheinend spielten sie Fangen. Wieder erklang dieses erheiterte Lachen, gefolgt von einem etwas dumpferen, aber nichtsdestotrotz fröhlichen Lachen, das von dem männlichen Begleiter herrührte.
 

Patrick lehnte sich mit der Schulter gegen einen Baum, der es sich im Krankenhauspark wohl gut gehen ließ, und schaute dem fröhlichen Treiben eine Weile zu.
 

Nicht, dass sein Zorn über das eben geschehene verraucht war, aber da es ihm nicht möglich war, seinen Frust darüber an seinem Schneewittchen auszulassen, musste er sich ein anderes Objekt aussuchen. Ein Objekt, das im direktem Zusammenhang mit all den Geschehnissen stand. Eines, das Dee nahe stand. Vermutlich noch näher als sein Mann.
 

Grübelnd blieb er noch eine Weile stehen, bis ihm ein Gedanke kam, wie er es am besten und am unauffälligsten anstellen konnte.
 

Den jungen Mann bei dem Kind kannte er vom Sehen. An den Namen konnte er sich im Augenblick nicht erinnern, wusste aber wohl, dass er ihm bei der Explosion das Leben gerettet hatte. Mit langsamen, schlendernden Schritten ging er auf das spielende Pärchen zu.
 

„Hallo Sara!“ sagte er freundlich, mit einem Lächeln in der Stimme, das positiv seine Absicht verdeckte. „Na, ihr zwei, spielt ihr auch schön?“ fragte er nun direkt den Älteren.
 

„Ja. Sara brauchte ein wenig Abwechslung und Dee wohl eine kurze Auszeit. Waren Sie schon oben?“
 

Das ging besser als gedacht, grinste er in Gedanken. Da hätte er sich erst gar keinen Plan zurechtlegen müssen, wenn man ihm so freundlich entgegenkam.
 

„Nein. Ich hörte Kinderlachen und dachte mir, dass die Kleine hier ist. Wenn es recht ist, nehme ich sie mit hoch. Nicht, dass sie sich noch verkühlt,“ erklärte er und ging neben Sara in die Hocke, streckte ihr seine Hand entgegen.
 

„Hey, das wäre echt nett. Ich muss eigentlich schon längst wieder im Diner sein. Die geben mir zwar richtig viel Zeit, um Chris zu besuchen, aber heute habe ich eigentlich Schicht und hab mich rausgestohlen,“ erklärte er mit einem bezaubernden, aber auch verlegenen Lächeln.
 

„Klar... Wie geht’s dir? Hab schon lange nicht mehr gefragt. Die Wunde scheint gut verheilt zu sein,“ richtete Patrick nochmals sein Augenmerk auf Robin. Wollte ja nichts überstürzen und so ein kleiner Plausch kostete kein Leben, nur ein wenig Zeit.
 

„Ja. Die Ärzte sind zufrieden. Ich werde zwar eine kleine Narbe behalten, aber ansonsten bin ich wieder voll einsatzbereit. Tja... ich geh dann... und ich kann mich drauf verlassen, dass Sie Sara mit hoch nehmen?“
 

„Ich passe schon auf sie auf. Nicht wahr, du Kleine...“

«wie nannte Dee sie doch gleich»

„Sonnenschein... ich bringe dich zu deinem Daddy!“ sagte er leise.
 

Sara blickte Robin hinterher, der sie auf einmal bei diesem anderen zurückließ. Sie hatte kaum eine Frage an ihren älteren Spielkameraden stellen können, weil er sie so gut abgelenkt hatte, aber nun hörte sie dieses Wort und schaute den anderen, der ihr irgendwie unsympathisch war, an.
 

„Du bringst mich zu meinem Daddy?“ fragte sie mit leicht schräg geneigtem Kopf, was Patrick am Anfang oft bei Ryo bemerkt hatte. War wohl Vererbung, wie er wütend erkannte, doch mit einem Lächeln kaschierte.
 

„Ja. Oder magst du nicht?“
 

„Doch... Aber ich muss Dad Bescheid sagen, dass wir zu Daddy gehen,“ meinte die Kleine, klug, wie sie mit ihren fünf Jahren war.
 

„Dein Dad weiß Bescheid... Komm, Sara... Dein Daddy wartet.“ Noch immer hielt Patrick seine Hand offen zu Sara hingestreckt, welche diese nun zögerlich mit ihrer kleineren bedeckte. Sogleich spürte sie, wie sich die Finger der Hand um ihre schlossen.
 

Groß schaute sie zu dem Mann auf, rührte sich nicht vom Fleck.
 

„Ich will zu meinem Dad,“ sagte sie bestimmt und energisch.
 

„Da wird dein Daddy aber traurig sein,“ murmelte dieser und zog ein wenig an der Hand, die er fest in seiner hielt.
 

„Nein... ich geh nicht mit... lassen Sie mich los,“ wurde Sara lauter. Ihr war eingefallen, dass ihre Daddys ihr immer wieder eingebläut hatten, nie mit einem Fremden mitzugehen. Gut, das war zwar nicht gerade ein Fremder, aber sie mochte ihn nicht.
 

„Lassen Sie mich los...“ Verzweifelt zerrte Sara an der Hand, stemmte ihre Füße in den Kies und wurde nun doch gröber, als Patrick eigentlich beabsichtigt hatte, vorwärts gezogen.
 

„Komm schon mit, Sara. Dein Daddy wird sich freuen!“ sagte er ernst und zog sie weiter in Richtung Parkplatz.
 

Rasch warf er einen Rundblick, aber er konnte zum Glück keinen entdecken. Und er hoffte, dass auch keiner aus dem Fenster blickte und das Theater, das die kleine Göre veranstaltete, mitbekam.
 

Mit allem hatte er gerechnet, doch nicht damit, dass die Kleine weiterhin so ein Theater machen würde. Schließlich hatte er es auf den Parkplatz geschafft. Die Kleine schrie immer wieder, dass er sie loslassen sollte und nur mit Mühe gelang es ihm, nicht die Hand gegen das Kind zu erheben. Nein, das würde er sich aufsparen für später. Der Druck um die zierliche Kinderhand war nur fester geworden, bis sie sich scheinbar in ihr Schicksal zu fügen schien. Doch den Griff behielt er bei, bis er bei seinem Auto war. Erst als er nach dem Schlüssel kramte, lockerte er den Griff etwas und diesen Augenblick nutzte Sara, um sich rasch aus der Hand zurückzuziehen. Trat dem bösen Menschen heftig gegen das Schienbein und rannte auf das Krankenhaus zu. Tränen verschleierten der Kleinen die Sicht.
 

Weit kam Sara nicht. Denn Patrick, obwohl von der Aktion völlig überrascht, fing sich schneller als erwartet und setzte der Kleinen in raschen Schritten hinterher. Doch diesmal fasste er sie um die Mitte. Zog sie vom Boden hoch und griff ihr hart in die Haare.
 

„Halt die Klappe... und halt still, sonst kannst du was erleben,“ bebte er völlig wütend, so dass Sara sofort das tat, was er befahl.
 

Sie wimmerte in seinem Arm, hielt sich aber auf einmal still. Sah sich um, suchte etwas.
 

«Warum bin ich allein... warum hilft mir keiner... Dad... Daddy... Onkel Aaron...» schluchzte sie in Gedanken auf und begann wie vorhin, heftig zu zappeln.
 

Nein, so einfach würde sie es dem Mann, der sie so brutal umfasste, nicht machen. Dazu hatten sie ihre Eltern zu lieb und viel zu gut geschult. Wie oft waren sie mir ihr beim Kindertraining gewesen. Wenn sie sich doch nur noch daran erinnern könnte.
 

«Wie war das doch gleich... überraschen... das hat nicht geklappt... ich hab mich doch gewehrt... geschrieen... warte... Daddy sagte immer... bleib ruhig... konzentrier dich, meine Nikkô... ruf nicht nach Hilfe... sondern...»
 

„FEUER! FEUER!“ brüllte die Kleine auf einmal los, nachdem sie wieder ruhiger geworden war.
 

Fast hätte Patrick die Kleine losgelassen, so überrascht war er. Nicht nur von der Lautstärke, die die Kleine nun an den Tag legte, sondern auch von dem, was sie rief. Aber er war nicht so weit gegangen, um nun zu scheitern. Nein, wenn sie ihn mit ihr im Arm entdeckten, war seine Tarnung, sein Leben, einfach alles... vor allem Dee... Gescheitert! Das konnte er nicht. Deswegen zögerte er nicht länger und schlug Sara in den Nacken. Nicht zu fest, wie er hoffte, aber sie erschlaffte augenblicklich in seinem Arm. Ein weiterer Blick, doch niemand schien auf das Geschrei zu reagieren. Doch, dort am Eingang sah er einen dunkel gekleideten Mann erscheinen. Rasch drehte er sich um, bugsierte Sara auf den Rücksitz und warf ihr eine Decke über, als er auch schon die Stimme hinter sich hörte.
 

„McNear? Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?“
 

Patrick hoffte nun darauf, dass zum einen das Gespräch nicht zu lange dauerte und zum anderen, dass Sara lang genug außer Gefecht gesetzt war.
 

„Black! Nicht wahr? Was kann ich für Sie tun?“
 

„Nun, ich frage mich, ob sie vielleicht Robin und Sara gesehen haben?“
 

Seine Chance, schmunzelte er.
 

„Der Junge vom Diner... Ja, habe ich. Sie waren im Park, ich hab sie gesehen, sie spielten Fangen... Ja... Ich sah, sie wie sie eben, vor wenigen Sekunden ins Krankenhaus rein sind. Sie müssten sie eigentlich gesehen haben,“ erklärte McNear mit eiskalter Gelassenheit.
 

„Nun, dann habe ich sie wohl knapp verpasst... Danke!“ meinte Black.
 

Irgend etwas gefiel ihm nicht an McNear. Dieses Grinsen, das er schon wieder aufgesetzt hatte, war noch überheblicher als sonst, wenn er ihn sah. Das er nur im Krankenzimmer von Dee und Chris zeigte. Doch die Antipathie hatte er, und diese vertiefte sich mit jedem Etwas, das über diesen Kerl ans Tageslicht gelangte. Black machte sich auf den Weg zurück ins Krankenhaus und erfuhr erst von Chris, was inzwischen vorgefallen war. Und da weder Sara noch Robin im Zimmer anwesend waren, zögerte er keine Sekunde.
 

Aaron rannte so schnell er konnte, wich geschickt dabei einigen Krankenschwestern, Ärzten und auch Besuchern sowie Patienten aus, und erreichte den Ein- oder Ausgang, ganz wie man es sah, ein wenig außer Atem. Rasch zückte er sein Handy und hatte nach nur einem Klingeln seinen engsten Vertrauten und Freund an der Strippe. In schnellen aber deutlichen Worten informierte er Mick über den Stand der Ereignisse. Auch dass er den Verdacht habe, dass sich McNear Sara geschnappt hatte. Mick versprach, sofort zu handeln und ließ sich diesmal nicht einmal Zeit, seinem Boss und Lover einige tröstende Worte zukommen zu lassen.
 

Nachdem er das erste Gespräch beendet hatte, wählte er erneut und landete diesmal bei seinem neuen Verbündeten.
 

„Ross!“ hörte er und informierte auch den Commissioner präzise über seinen Verdacht.
 

Gerne hätte Barclay sofort eine Großfahndung nach McNear erlassen, aber das würde bedeuten, dass dieser von ihrer Aktion Wind bekam und abtauchte. Da er das Leben von Sara, wenn sie in dessen Händen weilte, nicht noch unnötig in Gefahr bringen wollte, versprach er Black, dennoch nicht inaktiv zu bleiben.
 

Nun, da der Ball am Rollen war, fühlte sich Black schon wohler. Mit langsamen und gemessenen Schritten, die dennoch die innere Spannung nicht verbergen konnte, ging er zurück ins Krankenhaus, in das Zimmer, welches er eben erst fluchtartig verlassen hatte. Seinen Verdacht behielt er vorläufig für sich, das würde Dee nur noch den Rest geben und er konnte den Anblick, den dieser im Augenblick zeigte, schon ganz und gar kaum ertragen. Erinnerte es ihn doch an die Zeit kurz nach der Explosion im Basra.
 

Barclay rief Adams, Drake und Ted zu sich und informierte sie. Sie sollten sich getrennt auf die Suche nach McNear begeben. Aber nicht allein. Jeder, so befahl er mit fester gewohnter Stimme, sollte sich einen Partner dem sie vertrauten, mitnehmen. Welchen, das überließ er jedem für sich.

Nachdem er wieder allein war, fühle er eine Angst für die Kleine in sich. Schließlich war er mitverantwortlich, wenn Sara was passierte. Doch nun blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen.
 

**** TBC

Dienstag - 17. August - Abend

~~~~ Downtown Manhattan ~~~~
 

Steve betrat das Christal und wurde von einer Empfangsdame aufgehalten. Erst nachdem er seinen Namen und den Grund seiner Anwesenheit genannt hatte, wurde er von einem herbeieilenden Kellner zu einem Tisch im hinteren Bereich der Lounge geführt.
 

„Ein Glas Wasser, bitte,“ orderte er bei der Bedienung, die sich dann auch gleich verzog, um das Gewünschte zu bringen. Schließlich war er ein Gast des angesehenen Generals C.D. Montgomery.
 

„Mr. Cotton, nehme ich mal an,“ wurde er von dem älteren Herrn mit einem charmanten Lächeln begrüßt.
 

„Ja, Sir!“ sagte Steve und fühlte sich unter dem strengen Blick nicht ganz wohl.
 

Am liebsten wäre er vor Nervosität auf seinem Stuhl hin und her gerutscht. Dieser Blick und diese damit verbundenen Augen, die ihn genau musterten, erinnerten ihn an seinem verhassten Vater. Einen Vater, der es nur ihm verdankte, dass er die nächsten Jahre nicht in Freiheit verbringen würde. Er allein, nein, zusammen mit den MacLane’s und mit Tony hatte er die Kraft gehabt, gegen diesen Mörder auszusagen. Diese Augen, die ihn noch immer ruhig anblickten, riefen nun diese doch schon längst verdrängte Erinnerung in ihm wach. Nur mit eiserner Mühe gelang es ihm, ruhig zu bleiben. Schließlich konnte er heute und hier einen Teil der Hilfe, die er von allen erhalten hatte, wieder abtragen, auch wenn die MacLane’s immer wieder beteuerten, dass sie das nicht wollten. Deswegen konnte er nun auch, nachdem keine dreißig Sekunden vergangen waren, diesen Blick genauso erwidern, wie er ihn empfing.
 

Nicht, dass er diese Umgebung nicht mochte, nein, ganz im Gegenteil. Seitdem er für Black arbeitete, war er schon in den meisten renommierten Hotels, Clubs und Bars ein sehr gern gesehener Gast. Nur hierher hatte es ihn noch nie verschlagen. Aber das hatte sich nun auch geändert.
 

Nachdem er McNear am Morgen im Battery Park aus den Augen verloren hatte, hatte er sich schon Gedanken darüber gemacht, wohin ein Mensch so plötzlich verschwinden konnte. Es hatte eine Weile gedauert, weil er ja auch nicht in Manhattan oder New York im allgemeinen aufgewachsen war, sondern eher ein Kind von Chicago war. Er hatte damals dafür gesorgt, dass seine Familie vom großen Geschäft in Chicago ausstieg. Dennoch hatte er so seine Kontakte zu einigen der wenigen, die ihn damals verstanden hatten. Ein Anruf eben zu einem von diesen nun wohl Normalbürgern, und er hatte ihm den Namen des Generals genannt und auch diesen Termin mit diesem arrangiert.
 

Angeblich wusste der weißhaarige ältere Herr alles, was er wissen wollte, doch das würde sich wohl nun zeigen.
 

„Sir, es liegt mir fern, Sie lange von Ihrem Mittagessen aufzuhalten.“
 

„Haben Sie gedient?“ wurde er prompt unterbrochen.
 

Warum war ihm diese Frage so klar gewesen.
 

Steve biss sich innen auf die Wange und zögerte kurz mit der Antwort, wollte eigentlich diese komplett blöde und unangebrachte Frage ignorieren, aber damit hätte er auch die Verschwiegenheit heraufbeschwören können. Deswegen entschloss er sich, offen und ehrlich zu sein. So was zog meistens.
 

„Nein, Sir. Aber...“
 

„Sind Sie ein Kriegsgegner?“ wurde er erneut unterbrochen.
 

Diesmal genehmigte Steve sich erst einmal ein Schluck aus dem Wasserglas. Zorn wallte in ihm auf. Er hasste nichts mehr, als ständig wegen solchen banalen Fragen abgekanzelt zu werden, denn so fühlte er sich im Augenblick.
 

„Nein, Sir. Obwohl ich persönlich auch kein großer Befürworter der Kriege bin, kann ich verstehen, warum sie geführt werden.“
 

Dafür er hielt er sogar ein wohlwollendes Nicken des Generals.
 

„Wenn ich Sie um eine Minute Ihrer kostbaren Zeit bitten darf, General.“
 

„Ihr Ruf eilt ihnen voraus, Mr. Cotton. Sie sind doch der Sohn, der seinen Vater hinter Gitter gebracht hat?“
 

«Ruhig, bleib ruhig... wenn du Antworten willst, bleib ruhig...» mahnte Steve sich selbst und versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen.
 

„Ein Freund von mir...“
 

„Es ist unhöflich, eine Frage zu übergehen, mein Sohn,“ hob C.D. Montgomery die Stimme in väterlicher Stimmlage.
 

„Ich habe keine Zeit für small talk, General. Mein Bekannter sagte mir, dass Sie mir helfen könnten, aber wenn Sie meine Zeit wegen solcher Fragen vergeuden... dann versuche ich es allein.“ Eine Spur Zorn schwang unheilschwanger in seiner Stimme mit und er machte Anstalten, sich zu erheben.
 

„Setzen Sie sich, Cotton,“ hörte Steve die Stimme des Generals, und es klang eindeutig nicht nach einer Bitte. Sein Blick streifte den Weißhaarigen, bevor er sich dazu entschloss, ihm noch eine Chance einzuräumen.
 

„Ich hörte, dass Sie aufbrausend sind. Aber man sollte sich die Zeit nehmen, einen Menschen erst kennen zu lernen, bevor man sich ein voreiliges Urteil bildet.“
 

„Diese Zeit würde ich mir nur zu gerne herausnehmen, General. Aber mein Freund ist in Gefahr und ich benötige Ihr Wissen.“
 

„Gut, dann fragen Sie, was Sie zu fragen haben. Ich werde entscheiden, ob es einer Antwort bedarf.“
 

Bei diesen Worten hätte Steve fast die Kontrolle über sich verloren. Aber wenn es hieß, dass der General wirklich eine Lösung hatte, musste er sich beruhigen. Oh ja, er war aufbrausend, wenn er um etwas ging, wozu er bereit war zu kämpfen. Aber nur dann.
 

„Ich interessiere mich für die Monumente im Battery Park. Insbesondere die Ehrentafeln.“
 

„Und was genau wollen Sie nun von mir hören, oder erfahren? Die Namen aller uns bekannten Gefallenen und Vermissten finden Sie auf diesen Tafeln.“
 

„Es geht mir nicht darum. Eher, was sich darunter befindet.“
 

„Darunter? Ich verstehe nicht, Cotton.“
 

„General, wie man mir sagte, sind Sie für das Battery Field verantwortlich. Für die Namen, für die Ordnung und alles drumherum. Und ich denke, nein, ich hoffe, dass Sie mir helfen können, wenn ich Ihnen sage, dass heute morgen, fast vor meinen Augen, ein Mann in diesen Auflistungstafeln einfach verschwunden ist.“
 

C.D. Montgomery nahm einen Schluck seines Whiskeys, der sich im Licht wie Gold ausmalte. Kurz nur befeuchtete er seine Lippen damit, bevor er das Kristallglas, in welchem leise Eiswürfel aneinander perlten, wieder auf dem Tisch abstellte. Ein kaum wahrnehmbares Zucken der Mundwinkel zeugte wohl davon, dass sich die Formulierung bei dem General ein wenig lustig anhörte.
 

„Nun, mein Freund, der nicht gedient hat. Eigentlich dürfte ich Ihnen darüber nichts sagen. Es betrifft zwar nicht direkt die Nationale Sicherheit, aber in Anbetracht der Tatsache, dass einige Terroristen Milliarden für dieses Wissen ausgeben würde, möchte ich mehr über Ihr Anliegen erfahren.“
 

Steve hatte keine Wahl, wenn er wirklich etwas hören wollte, musste er wohl ein wenig preisgeben.
 

„Ein Freund von mir wurde vor einigen Wochen entführt. Wir haben nun einen Verdächtigen, den ich heute morgen beschattet habe. Er ging zu den Denkmälern, betete, und auf einmal war er wie vom Erdboden verschwunden. Ich befürchte fast, dass mein Freund dort irgendwo in einem unterirdischen Gang gefangen gehalten wird,“ beendete er seine Ausführung.
 

Nun galt es dem General, dieses Wissen zu nehmen und zu entscheiden, ob es wichtig genug war, um Steve einzuweihen, in ein Wissen, das gefährlich werden könnte.
 

Doch bevor er dazu kam, klingelte das Handy von Steve. Mit einem entschuldigenden Wort nahm er das Gespräch entgegen. Der General, der den jungen Cotton genau beobachtete, bemerkte sofort, dass etwas passiert sein musste. Doch wartete er, was dieses Gespräch erbringen würde. Vielleicht hatte sich der Freund von Steve ja schon eingefunden. Steve hängte auf, steckte das Handy an seinen gewohnten Ort und schaute den General an.
 

„Ein fünfjähriges Mädchen... mein Patenkind wurde eben entführt. Und vermutlich war es derjenige, der auch meinen Freund, den Vater des Kindes, entführt hat. Bitte, General! Wenn Sie helfen können... keiner wird etwas über dieses Tunnelsystem erfahren, wenn es denn eines gibt,“ wurde Steve nun ernst und auch dringlich. Denn nun war nicht nur ein Leben in Gefahr.
 

„Es gibt ein unterirdisches Tunnelsystem, wie Sie vermuten. Aber nicht an der Stelle, wo Sie den Eingang vermuten. Früher wurden dort bei Angriffen der Engländer meist die Generäle untergebracht. Von dort wurde der Krieg geführt. Heutzutage wird er nicht mehr so häufig in Anspruch genommen, dennoch wird dieses System ständig überwacht und auch gesäubert. In regelmäßigen Abständen werden die vorhandene Software sowie die Lebensmittel und was so alles dazugehört aufgefrischt. Man weiß ja nie, wann ein Anschlag vor der Tür steht. Diese Information ist geheim und ich hoffe, Sie werden sie nicht weitergeben, sonst würden die Konsequenzen daraus auch die in Chicago betreffen. Nun, wie sollte ein Entführer von diesem Objekt erfahren haben?“ erklärte er nun doch ein wenig umständlich, ohne jedoch genau zum Kern der Sachlage vorzudringen.
 

Steve konnte nicht darauf antworten. Leicht neigte er den Kopf. Auch mit dem nun erhaltenen Wissen konnte er nicht wirkungsvoll gegen McNear vorgehen. Er wusste immer noch nicht, wo der genaue Eingangspunkt lag. Er konnte tagelang dort herumsuchen.
 

„Sagt Ihnen der Name McNear etwas?“ fragte er deswegen ins Blaue hinein.
 

„McNear?“ grübelte C.D. Montgomery eine Weile. „Ja. Er war im Stab von General Harrison. So weit ich weiß, verstarb er bei einem Einsatz... Sie meinen...“
 

„Es geht um seinen Sohn. Ja, Sir.“
 

„Ein Unding... Dass er so ein Geheimnis verraten hat, das glaube ich nicht.“
 

„Sir... General... Ich will es auch McNear nicht unterstellen, aber vielleicht hat sein Sohn Aufzeichnungen gefunden, oder Gespräche mitgehört, die ihn nichts angingen... alles wäre möglich. Bitte, sagen Sie mir, wie ich in diesen Tunnel gelange,“ wurde Steve’s Stimme immer drängender.
 

„Gut. Ich erkläre es Ihnen. Haben Sie einen Stift?“ fragte der General und zog sich eine Serviette zu Hilfe. Begann, mit geraden Strichen etwas einzuzeichnen.
 

„Wenn man es nicht weiß, läuft man jahrelang herum. Aber den Eingang, den sie erwähnten, ist mir unbekannt. Jedoch findet sich im Castle Clinton eine verborgene Tür. Wenn Sie das Gelände betreten, halten sie sich links, durchqueren die vier Räume und stehen dann schließlich vor einer Sackgasse. Direkt neben der linken Schießscharte finden Sie eine kleine Einbuchtung. Mit dieser öffnen Sie die Geheimtür. Sie gelangen in einen Gang, der schräg abfällt. Folgen Sie diesem und Sie gelangen in eine große Halle. Von dort zweigen mehrere Gänge ab. Rechts geht’s es zu den technischen Einrichtungen, die Sie jedoch nicht interessieren. Also halten Sie sich links. Dort geht es zu den Quartieren. Ich war nur einmal dort unten, Gott... das ist lange her. Aber die Bequemlichkeit wurde dem heutigen Standard angepasst. Wenn sie sich in nördliche Richtung begeben, landen Sie direkt unter den Gedenktafeln. Ich werde mir das notieren und nachprüfen lassen. So, mein Freund, der nicht gedient hat. Ich hoffe, dass ich Ihnen helfen konnte und ich hoffe fest darauf, dass Sie Ihren Freund finden. Auch wenn die Chance wohl gering sein wird, zu hoffen, dass dieser Komplex nicht für solch eine Schandtat entweiht wurde,“ sagte der General nun freundlicher als am Anfang.
 

Steve dankte ihm und spendierte sogar ein Lächeln.
 

„Sir! Wenn ich gefunden habe, was ich suche, dann werde ich mich bei Ihnen melden, wenn ich es darf.“
 

„Ich würde mich freuen.“
 

Steve erhob sich und neigte kurz den Kopf, bevor er sich umdrehte und das Christal mit eiligen Schritten verließ, um zu seinen Wagen zu eilen. Jede Sekunde zählte, wenn er ein großes Drama verhindern wollte.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~ Battery Park ~~~~
 

Träge hob er die Augen, doch sein Blick erspähte nichts. Kein Licht, das ihm irgendeinen Hinweis gab. Nur eines nahm er wie am Rande wahr: der Geruch war verschwunden. Sein Herz schlug und er war sich sicher, noch zu leben. Denn Schmerz sammelte sich in seinen Knochen, im Gewebe, eigentlich überall. Sein Rücken schmerzte vom Liegen, das wusste er nicht. Ryo war unfähig, auch nur einen einzigen richtigen Gedanken zu erwirken. Seine Zunge stahl sich aus dem trockenen Mund, wollte die aufgerissenen Lippen befeuchten, doch da war nichts, womit er dies bewerkstelligen konnte.
 

Ohne Hast drehte er den Kopf zur Seite, spürte etwas in seinem Arm, konnte aber auch diesen nicht fokussieren. Deswegen schloss er die Augen. Verließ sich erst einmal nur auf sein Gehör, doch auch dies brachte nichts. Ryo versuchte langsam zu atmen, doch jedes Luftholen bereitete ihm enorme Qualen. Meinte er doch, dass die Luft den rauen und geschundenen Hals noch mehr traktierte. Aber ihm war auch klar, trotz seines desolaten Zustands, dass er atmen musste. So biss er tapfer die Zähne zusammen, wie schön war es doch gewesen, wo er nichts gespürt hatte. Nichts gefühlt und in dieser Dunkelheit gefangen gewesen war. Warum musste er wieder zurück.
 

Ein Lachen schoss durch seine Gedanken, gefolgt von einem, nein zwei Namen, und er wusste, warum er sich wieder aus dem Dunkeln gekämpft hatte. Es gab noch jemanden, der ihn brauchte, ihn vermisste. Auch wenn die Chance, diese zwei jemals lebend wiederzusehen, mit jedem Tag, der verging, blasser wurde. Ein trockenes Schluchzen bahnte sich seinen Weg ins Freie und ließ Ryo gepresst aufstöhnen, da er das Gefühl hatte, davon zerrissen zu werden.
 

Mühsam versuchte er, sich an etwas zu erinnern. Doch das letzte, was ihm bewusst in Erinnerung geblieben war, war ein vernichtender Gestank. Gestank des Todes. War er es? War er vielleicht doch tot und wollte es nur nicht akzeptieren. Lag er vielleicht gar nicht mehr bei diesem Peiniger, sondern vielleicht schon in seinem Grab?
 

«Nein...» schrie es in ihm.
 

«Nein. Ich lebe... ich fühle doch Schmerz...» rief er sich zur Ordnung.
 

Begann noch mal von vorne.
 

Man konnte deutlich sehen, wie sich die Augen hinter den geschlossenen Lidern bewegten, als suchten sie im Dunkeln des Gedächtnisses nach einem Punkt, an den er sich klammern konnte.
 

«Cordy... Cordy...» doch mehr fiel ihm dazu nicht ein, nur, dass er zu diesem Mann wollte.
 

Ihm etwas mitteilen. Etwas, was er vergessen hatte. Doch Ryo blieb ruhig, machte sich selbst Mut. Wusste aber, dass er seinem Peiniger nichts mehr entgegensetzen konnte oder würde. Er hatte einfach nicht mehr die körperliche Kraft, sich zu wehren. Auch wenn Ryo seinen Körper diesem Irren überließ, so schütze er doch seine Gedanken, seine innere Welt, und das war etwas, was ihn doch ruhiger werden ließ. Langsam ließ die Verkrampfung nach, fühlte er die Nadeln, die in seinem Arm staken. Ryo brauchte sich nicht zu lange zu fragen, was das war. Wenn er sich richtig entsann, wurde er hier mit Nährflüssigkeit gefüllt. Flüssigkeit, die er verweigert hatte, nachdem... nachdem... ihm fiel der Name nicht mehr ein, aber er wusste, dass er jemandem beim Sterben zugesehen hatte. Nein, geholfen hatte. Nach und nach kehrte die Erinnerung zurück. Bruchstücke nur, aber diese hätte Ryo am liebsten vergessen.
 

Ihm fehlte einfach die Kraft dazu, das zu bewältigen. Jetzt hier, so ausgeliefert. Ryo schloss die Augen, suchte wieder nach dem hellen Punkt in seinem Kopf und fand das Lachen seines Sonnenscheines. Es beruhigte ihn, wie schon so oft seit seiner Gefangenschaft. Er konzentrierte sich und schlummerte wieder ein.
 

~~~~ China Town ~~~~
 

Patrick warf einen Blick in den Rückspiegel und schüttelte über seine enorme Dummheit den Kopf. Warum konnte er auch nicht warten. So fiel der Verdacht doch nur auf ihn. Wie sollte er Dee wieder gegenübertreten können, wenn alles danach aussah, dass er seine Tochter entführt hatte? Wahrscheinlich verdächtigten sie ihn dann auch noch, seinen Mann zu verstecken. Er brauchte eine Lösung. Eine, die man ihm auch abkaufte.
 

Er konnte wohl kaum mehr sagen, dass er Sara nicht gesehen hatte... Nein, das hatte er doch schon diesem Kerl... wie hieß er noch gleich, Black, gesagt. Gut, aber das konnte er zur Not ausbügeln, wenn er es geschickt anstellte. Aber wohin mit der Kleinen? Es war verdächtig, wenn er nun zu lange wegblieb, wo er doch Dee kaum eine Minute aus seiner Nähe ließ.
 

Als McNear sich umsah, fiel ein Schmunzeln auf seine Lippen. Genau, dort würde ihn keiner vermuten. Niemand würde hier nach ihr suchen und das gab ihm Zeit. Er fuhr die nächste links und drosselte das Tempo. Nein, er sah niemanden. Anscheinend fanden sie es nicht nötig, eine Wache zu positionieren. Das war nur gut für ihn.
 

Er fand keine Parkmöglichkeit und in zweiter Reihe wollte er nicht parken, schon alleine, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er fuhr eine Runde um den Block und sah erst jetzt die Möglichkeit, hinter das Haus zu fahren. Es war zwar nur ein schmaler Durchlass, aber breit genug, um den Wagen hindurch zu manövrieren. Schließlich hielt er hinter dem Haus, schaltete den Motor aus, stieg aus und öffnete die hintere Tür, zog die Decke von dem zierlichen Mädchenkörper. Anscheinend schlief die Kleine noch immer. Oder sollte er sagen, dass sie noch bewusstlos war. Gut, dann bräuchte er auch hier kein unnötiges Risiko einzugehen.
 

Patrick hob sie auf die Arme und trug sie rasch und ungesehen in die unordentliche Wohnung seines toten Bruders. Ein wenig tat es ihm leid, dass er ihn so hintergangen hatte, aber immerhin war das innere Band doch nicht so groß gewesen, dass er über diesen Verlust weinen musste. Nein, so nah standen sie sich nie. Es war eher ein glücklicher Zufall für ihn gewesen, als er ihn endlich gefunden hatte. Jahrelang hatte er nach ihm gesucht und als er ihn endlich in New York, Manhattan aufgestöbert hatte, war Peter schon von seinem Rachedurst völlig aufgefressen gewesen.
 

Die Kleine rührte sich in seinem Arm, ein Zeichen, dass sie wohl bald aufwachen würde. Ihm blieb also kaum Zeit. Er ging ins Badezimmer, dort war es zwar kühler, aber auch sicherer. Warum sein Bruder die Wände hier isoliert hatte, konnte er nur ahnen, aber hier konnte die Kleine zur Not schreien, wie sie wollte. So schnell hörte sie niemand.
 

Langsam und behutsam ließ er sie in eine Ecke gleiten. Nein, er wollte ihr nicht unnötig weh tun. Nicht, so lange es Ryo so schlecht ging. Wenn, dann sollte sein Schneewittchen auch was davon haben. Ein irres Grinsen zierte seine Züge. Nichts war mehr von dem netten charmanten Cop zu sehen, den er sonst zeigte. McNear zückte seine Handschellen und ließ sie um den Heizkörper herum um die schmalen Handgelenke von Sara einrasten. Er wusste aus Erfahrung, dass ein Knebel, wenn er falsch angebracht war, die Luftzufuhr durch die Nase auch behindern konnte, also schaute er sich in der Wohnung seines Bruders um. Tatsächlich erspähte er Klebeband. Natürlich gehörte so etwas in einen gewöhnlichen Haushalt. Also wunderte sich Patrick auch nicht groß darum, dass er welches fand. Rasch riss er ein Stück ab und ging zu seiner kleinen Geisel zurück, kniete sich hin und blickte hinein in zwei wild funkelnde Augen.
 

„Schrei und du wirst weder deinen Dad noch Daddy jemals wieder sehen,“ donnerte es Sara entgegen, die vor Entsetzen gleich wieder ihren Mund schloss. Sie kannte eigentlich nur Wärme und Geborgenheit, doch die Kälte, die von diesem Mann ausging, jagte ihr einen eisigen Schauer über den jungen Körper.
 

„Ich will zu Daddy...“ schluchzte Sara und Tränen schimmerten hinter ihren grünen Augen, die Patrick sogleich an Dee’s erinnerten.
 

„Du bleibst hier und bist artig, Sara. Dann bring ich dich zu deinem Daddy. Hörst du?!“ sagte er nun sanft. Schien sich von einem Augenblick zu ändern, zu wandeln. Sanft strich er ihr über die Wange. „Ich kleb dir jetzt deinen Mund zu. Nicht,“ sagte er, als Sara versuchte, seinem Griff zu entgehen. Weit konnte sie nicht, aber sie war wirklich tapfer und kämpfte, bis er das Klebeband fest auf ihren Mund gedrückt hatte.
 

Noch immer schimmerten die Tränen nur, flossen noch nicht, aber Wut und Zorn konnte er erkennen.
 

„Ich bin bald zurück,“ sagte er, erhob sich und ließ die Kleine allein in dem Badezimmer und in der Wohnung in der Pell Street zurück.
 

Sara schaute diesem Kerl nach. Ihr Nacken tat ihr weh und sie kämpfte mit den Tränen. Doch sie hörte die Worte ihrer beiden Väter.
 

«Bleib ruhig und schau dich um. Manchmal findet man etwas brauchbares.»
 

Mit drei Jahren hatte sie mit ihren Eltern trainiert. Sie wollten, dass sie auf alles vorbereitet war. Aber angekettet an eine Heizung, das war auch ihr neu. Sie wusste, wie man sich verhielt, wenn man ungewollt wohin gezerrt wurde, doch das hatte ja eben nichts genutzt und nun war sie hier angekettet. Noch nicht einmal um Hilfe konnte sie rufen, als ihr eine Idee kam und sie wieder ihren Blick streifen ließ.
 

~~~~ Battery Park ~ Castle Clinton ~~~~
 

Steve betrat das imposante Gebäude und sah sich um. Er hatte die Distanz zu den Gedenktafeln grob abgemessen. So schnell konnte keiner verschwinden. Irrten sie sich mit der Annahme, dass McNear hinter Ryo’s Entführung stand? Aber was war dann mit Sara? Seit einer Stunde wurde die Tochter der MacLane’s vermisst und noch immer war keine Spur von ihr gefunden worden.
 

Steve hatte Tony und auch Mick per Handy über sein Vorhaben informiert. Hatte ihnen das Ziel und den Weg in das Innere dieser ehrwürdigen Festung genannt. Nun stand er vor der Tür, die ihn ins Innerste leiten würde. So ganz wohl fühlte sich Steve bei seiner Aktion nicht. Aber er konnte auch nicht auf Unterstützung bauen. Er war auf sich alleine angewiesen. Mit ruhigem Atem, aber mit enorm angestiegenem Adrenalinspiegel ging er durch die Tür. Eine Treppe führte hinab ins Dunkel. Nur kurz ließ er den Strahl seiner Lampe aufleuchten, bevor er sie mit der Hand abschirmte. Er wusste nicht, ob Patrick, wenn er es denn war, sich hier aufhielt. Wusste nicht, ob es noch mehr Zugänge gab, wusste nicht, ob Patrick alleine arbeitete. Vielleicht waren es mehrere und er tappte genau in eine Falle. Steve versuchte, ruhig zu atmen, obwohl er seinen Herzschlag überlaut in den Ohren dröhnen hörte.
 

Er folgte dem einfachen Gang und blieb erst stehen, als er die große Halle vor sich sah. Sein Schritt verlangsamte sich automatisch und er checkte erst, ob sich dort keiner befand, der ihm übles wolle. Es dauerte fünf Minuten, bis er sich sicher war. Kein Geräusch drang an sein Ohr und auch keine Bewegung erfasste sein Auge. Langsam, aber nichtsdestotrotz aufmerksam trat er aus dem Gang in die Mitte der Halle.
 

Groß? Da hatte er sich wohl ein falsches Bild gemacht. Dieser Raum war gigantisch. Überall standen Tische und Stühle herum. An der Wand seitlich von ihm hingen große Monitore. Wahrscheinlich wurden hier diejenigen unterrichtet, die nicht direkt Zugang zu den geheimen technischen Einrichtungen hatten.
 

Steve rief sich die Erklärung des Generals ins Gedächtnis. Rechts von den technischen Einrichtungen. Diese würde er vorläufig außer acht lassen. Was ihn interessierte und wo er hoffte, sein Ziel eher zu finden, befand sich links. In den privaten Zimmern. Wenn er sich das Ausmaß hier vor Augen hielt, dann würde das eine lange Suche werden.
 

Er wollte auch nicht rufen, denn die Gefahr, dass ihn jemand hörte, der es nicht sollte, war recht groß.
 

«Gut,» machte er sich selbst Mut und ging nach links zu den Quartieren.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Patrick rückte seine Krawatte zurecht, als er seinen eben geparkten Wagen absperrte und das Klinikum heute bereits zum zweiten Mal betrat. Der Arzt, der ihn aus diesem gewiesen hatte, wollte eben dieses verlassen und hielt Patrick auch gleich auf.
 

„Mister! Ich denke, Sie haben Hausverbot!“ stellte sich der Arzt ihm breit in den Weg.
 

„Deswegen bin ich hier. Ich wollte mich entschuldigen. Bei Ihnen, aber hauptsächlich auch bei Dee. Ich weiß nicht, was mit mir los war. Meine Nerven haben wohl ein wenig überreagiert. Ich wollte Mr. MacLane nicht unnötig aufregen. Ich bin doch froh, dass er so rasche Fortschritte macht,“ erklärte er und gab sich besondere Mühe, reuselig auszusehen.
 

„Bei Ihrem nächsten Fauxpas werde ich nicht noch einmal Gnade walten lassen. Damit wir uns verstehen,“ sagte der Arzt bitter ernst, nickte Patrick dann kurz und knapp zu, bevor er sich an diesem vorbeischob, um seinen wohlverdienten Feierabend zu beginnen.
 

Patrick grinste hinter ihm her.
 

«So weit so gut... einer wäre geschafft... fehlt nur noch...»
 

Rau wurde er an der Schulter herumgerissen und erblickte einen dunklen Hünen, der die Sonne vor ihm nun gänzlich verdunkelte.
 

„McNear!? Wo ist Dee’s Tochter?“
 

„Sara?“ fragte er überflüssigerweise und zuckte dann auch gleich mit der Schulter.
 

„Ja, genau! Sara!“
 

„Ich weiß es nicht.“
 

„Sie wissen es nicht?“ Ironisch grinste Mick Patrick an. So als ob der Hüne etwas mehr wusste, als er bereit war zu äußeren.
 

„Ja. Ist sie nicht oben bei Dee?“
 

„Wie kommen Sie darauf?“
 

„Weil sie mir ausgebüxt ist.“
 

Ungläubig schaute Mick den angeberischen und rechthaberischen DCI an.
 

„Wann denn, wenn ich fragen darf?“
 

„Sie dürfen. Ich erkläre es Ihnen gerne auf den Weg nach oben,“ meinte Patrick. Er wusste, dass er sich somit auslieferte, wenn man ihm nicht glauben würde. Aber die Story, die er sich zurechtgelegt hatte, schien ihm wasserdicht zu sein.
 

Mick folgte ihm zu den Aufzügen und lauschte dann den Worten, die Patrick wie einstudiert aus dem Mund tropften.
 

„Ich war schon einmal hier und habe Mist gebaut. Habe Dee etwas von einer Leiche gesagt, was ich nun bitter bereue, dachte ja nicht, dass er so darauf reagiert. Aber gut, der behandelte Arzt, meinte ich sollte gehen. Draußen traf ich dann die Kleine mit dem Jungen vom Diner. Robin... richtig? Da Robin zurück zu seiner Arbeit musste, bot ich mich an, Sara wieder hier hoch zu bringen. Auch wenn ich dadurch wohl Ärger mit dem Arzt bekommen hätte. Aber die Kleine wollte nicht mit mir gehen. Sie lief einfach weg und als ich ihr folgte, sah ich, wie sie in das Krankenhaus lief. Na ja, ich dachte, dass sie dort gut aufgehoben sei und ging zu meinem Wagen. Dort sprach mich dann Ihr Boss an. Black. Er fragte auch nach Sara. Da ich sauer auf die Kleine war, sie hatte mir doch einen Kratzer an der Hand eingebracht, sagte ich nichts von dem Vorfall. Dachte mir, dass man die Kleine dann schon finden würde.“
 

„Einen Kratzer?“ hakte Mick nach und sah auch gleich die Schramme am Handrücken des Befragten. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Sicher war und blieb nur eins: Sara war verschwunden und dieser Kerl hier neben ihm verschwieg etwas. Denn seine Story, so gut sie auch klang, hatte Mick nicht von seiner Unschuld überzeugt. Ganz im Gegenteil.
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Nervös trommelte Barclay mit seinem Zeigefinger auf der blankpolierten Platte seines Schreibtisches. Noch immer hatte er keine Nachricht vom Gerichtsmediziner und hinzu kam die Ungewissheit von dem Verbleib der jungen Sara MacLane.
 

Als schließlich das Telefon anschlug, zuckte er fast zusammen. So rasch, wie er den Hörer am Ohr hatte, so rasch flog auch sein Atem, als er ein fragendes sowie hoffendes „Ja?!“ von sich gab.
 

„Sir? Wir wurden gerade von ungewöhnlichen Geräuschen in dem versiegelten Apartment des Bombers informiert. Ich möchte nur sichergehen, dass es keiner Ihrer Leute ist, der sich dort aufhält, bevor ich jemanden hinschicke, der die Sachlage überprüft!“ hörte er eine ihm gänzlich unbekannte Stimme.
 

„Geräusche? Sie sind von?“
 

„Notrufzentrale, Sir. Officer Crusher, Sir.“
 

„Nein, dort dürfte von meinen Leuten keiner sein,“ sagte Barclay ruhig, wollte schon wieder auflegen, als er den anderen daran hinderte. „Was für eine Meldung war das?“
 

„Sir? Bewohner meldeten Geräusche. Der Anrufer hatte jeden möglichen Anwesenden in dem Haus befragt, wer diese verursachte. Da er morgens früh aufstand, wollte er sich zur Ruhe begeben und fühlte sich durch diese Geräusche gestört, deswegen machte er Meldung,“ erklärte Officer Crusher genauer die Meldung.
 

„Niemand im Haus?... Ich kümmere mich drum. Danke, Officer.“ Nachdenklich hängte er auf.
 

«Wer ist in dieser Wohnung? Obdachlose? Wohl kaum... nicht so schnell... außerdem ist sie noch gesperrt... wer...»
 

Kurz zögerte er, doch dann beschloss er, sich selbst um diese Angelegenheit zu kümmern. Er verließ sein Büro, meldete sich an der Information ab und gab Bescheid, was er zu untersuchen gedachte, bzw. wo man ihn erreichen konnte, falls ein Notfall eintraf.
 

~~~~ Battery Park ~ Castle Clinton ~~~~
 

Steve späte durch jede Tür. Alle waren offen, angelehnt oder geschlossen, aber nicht dicht. Ein kurzer Blick nur reichte, um ihm zu sagen, dass in diesen kein Gefangener war. Alles starrte vor Sauberkeit. Entweder wurde hier regelmäßig gereinigt oder aber die Staubbrigade, die es sich bei ihnen zu Hause gerne wohnlich machte, schien von diesem Ort noch nichts gehört zu haben. Auch von Spinnweben konnte er nichts entdecken. Gut, dieser Ort musste wohl so sauber sein, denn es war nie gewiss, wann ein Krieg ausbrechen oder die oberen Generäle schnell in Sicherheit gebracht werden mussten.

Immer weiter drang er in den Gang vor. Ein Blick zurück sagte ihm, dass er fast schon 200 Meter zurück gelegt hatte.
 

Der Gang verlief geradeaus, doch nun kam er an eine weitere Kreuzung. Drei Gänge. Einer weiter geradeaus, einer nach rechts und einer nach links. Wenn es doch wenigstens ein paar Fußspuren gäbe, oder ein Anzeichen in welche Richtung. Aber wenn alle so gebaut waren wie eben der und es sich womöglich noch mehr verzweigte, konnte er sich hier unten ganz schnell mal verlaufen.
 

Steve zögerte, aber blieb ihm eine Wahl?
 

Zurückgehen hieße aufgeben?
 

Was wenn Ryo hier tatsächlich irgendwo lag?
 

Vielleicht schon im nächsten Zimmer?
 

Sollte er ihn hier lassen?
 

Energisch schüttelte Steve seinen Kopf und entschloss sich, auf dem geraden Weg zu bleiben. Wenn er dort nicht fündig wurde, konnte er immer noch an den Abzweigungen suchen.
 

Patrick verließ das Krankenhaus. Dee hatte ihn nicht einmal mehr angeschaut. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob er die Entschuldigung überhaupt vernommen hatte, aber was war er auch für ein Dussel gewesen. Er musste langsam und ganz anders vorgehen, wenn er die Liebe des Dunkelhaarigen erlangen wollte. Ganz anders.
 

Sein Weg führte ihn auf direktem Wege zu seinem Ziel. Er parkte, ging zielstrebig und sicher, dass er nicht verfolgt wurde, zu der geheimen Tür im Castle Clinton. Erst als er in der Halle stand, die Taschenlampe erhellte ihm den Weg, kam ihm wieder dieses kleine Biest in Erinnerung.
 

„Soll sie doch schmoren, dann ist sie nicht mehr so wild,“ grummelte er vor sich hin und ging in den linken Gang, um mal wieder nach seinem Schneewittchen zu sehen.
 

Steve blieb stehen, hatte er da nicht eben was vernommen? Rasch knipste er die kleine Handlampe, die kaum Licht vorauswarf, aus und sah sich um. Tatsächlich, dort hinten kam jemand. Nicht so langsam und suchend wie er, nein, dieser schien zu wissen, wohin er gehen musste. Cotton blieb keine große Wahl, als sich zu verbergen. Nur gut, dass die Türen hier alle offen waren. So huschte er schnell in die nächste und lauschte den Schritten, die eilig, kaum dass die Tür sachte ins Schloss gefallen war, an dieser vorbeischritten.
 

Erneut musste er sein Handeln und seinen Plan überdenken. Sollte er dem Unbekannten nach? Sollte er nur warten und lauschen, wo die Tür zu Ryo’s Gefängnis, wenn es sich denn hier wirklich befand, war? Als er sich sicher war, dass der Unbekannte weit genug von der Tür weg gegangen war, wollte er die Türklinge nach unten drücken, doch er griff ins Leere. Ein kurzer elektrisierender Schock zuckte durch seine Adern, als er die Tür an der Seite abtastete und tatsächlich keine Öffnungsmöglichkeit vorfand.
 

Cotton knipste seine Taschenlampe an und leuchtete die gesamte Tür ab. Nichts! Er ließ den Strahl der Lampe ins Zimmer gleiten und ihm wurde klar, dass er hier nicht in einem der gemütlichen Räume saß, die er bis eben durchsucht hatte, nein, dies hier war definitiv eine Gefängniszelle.
 

Er saß fest!
 

***** TBC

Mittwoch - 18. August Früh

~~~~ China Town ~ Pell Street ~~~~
 

Kurz nach Mitternacht erreichte Barclay Ross die Pell Street und wurde von einem älteren Herrn direkt auf dem Bürgersteig begrüßt.
 

„Wurd ja auch Zeit, dass sich mal einer hier blicken lässt,“ wurde er direkt angefahren.
 

„Sir! Sie haben den Notruf getätigt? Würden Sie mir...“
 

„Da kommste daher und hast kene Ahnung. Gottchen... Also noch mal. Da oben is was und macht Krach. Da es zugepappt is, und ich nich verhaftet werden will, hab ich euch angerufen. Hätt ich geahnt, dass ihr solche... Schnecken seit, dann hätt ich selbst scho nachgeschaut.“
 

Barclay hasste es, wenn man sich nicht ordentlich ausdrückte und die Endungen verschluckte, aber dieser Dialekt war hier nun mal gang und gäbe.
 

„Sir, ich kümmere mich darum. Bleiben Sie bitte hier stehen,“ erklärte der Commissioner und betrat alleine das Gebäude.
 

Den betreffenden Flur erreichte er schnell und er lauschte. Doch kein Ton drang an sein Ohr. Sollte sich der Kerl dort unten geirrt haben? Nein, schoss es Barclay durch den Kopf. Nein, dann hätte er nicht so ein Aufheben darum gemacht. Er zeriss die Versiegelung nicht, sah aber auf den ersten Blick, dass dieses überklebt wurde. Anscheinend hatte sich hier jemand widerrechtlich Zutritt verschafft.

Er zückte sein Messer und ritzte das Siegel an der Tür nun ebenfalls auf. Vorsichtig drückte er die Klinke herunter und betrat die abgesperrte und gesicherte Wohnung des toten Scott Peter Fulton. Ross rechnete mit dem Schlimmsten, aber es geschah nichts. Es hätte ja auch ein Trick sein können, um weitere Polizisten außer Gefecht zu setzen.
 

Seine Handfeuerwaffe im Anschlag, zielte immer genau dorthin, wohin er schaute. Vorsichtig durchquerte er den Raum. Viele gab es hier nicht davon. Das wusste er aus den diversen Berichten, die er gelesen hatte. Persönlich war er noch nicht hier gewesen. Sein Weg führte ihn ins Schlafzimmer, dort sah er nichts auffälliges. Auch der andere Raum war sauber, soweit man das von dem vorherrschenden Chaos hier überhaupt so nennen konnte. Blieb nur noch das Badezimmer.
 

Die Tür war nur angelehnt, er schob sie mit der Fußspitze auf und wurde von einem schrillen Schrei und einem permanenten Klopfen auf dem Heizkörper begrüßt. Sein erster Reflex galt seiner Waffe, die er nach oben hob und sicherte. Der Schrei klang laut und schmerzhaft in seinem Ohr, hörte aber abrupt auf, genauso wie das Hämmern von Eisen auf Eisen.
 

„Sara!“ rief er aufgebracht und erleichtert, als er sich neben der Tochter der MacLane’s niederkniete.

Diese schaute ihn nur verstört durch ihre verweinten, rot geschwollen Augen an. Bis ihr dämmerte, wer sie da rettete.
 

„Onkel Ross!“ schluchzte sie und erneut liefen Tränen über ihre Wangen. „Der Mann... er kommt gleich wieder... er hat gesagt... er hat gesagt, dass er mich zu meinem Daddy... bringt... aber er hat gelogen...“
 

„Sht... meine Kleine. Beruhige dich erst einmal. Ich pass auf dich auf, der Mann tut dir nicht mehr weh,“ erklärt er und schob einige der losen blonden Strähnen aus dem feuchten, geschwollenen Gesicht.
 

„Zeig mal her, ich hab den Schlüssel...“
 

Barclay wühlte in seinen Taschen, in der Hoffnung, auch wirklich Handschellenschlüssel dort zu finden, und tatsächlich, nach einigem Suchen wurde er fündig.
 

„Tadaaa,“ sagte er und lächelte das Mädchen offen an.

„Gleich bist du frei und dann bring ich dich zu deinem Dad. Ein Arzt muss sich deine Hände mal anschauen, die sind ganz wund,“ erklärte er sein Vorhaben.
 

Als er Sara befreit hatte, nahm er das Bündel Mensch auf den Arm und verließ die Wohnung. Nein, er sicherte sie nicht mehr ab. Aber er würde eine Wache herbeordern. Er wollte den Mistkerl haben, aber seine Gedanken und seine Absichten hielt er weiter vor Sara geheim, die sich fest an ihn klammerte.
 

~~~~ Battery Park ~ Castle Clinton ~~~~
 

Steve konnte nichts unternehmen, so lange er sich sicher war, dass derjenige noch in diesem Gang irgendwo umherirrte.
 

Leise fluchte er und ging in seiner Zelle, die er sich ja selbst ausgesucht hatte, hin und her. Lauschte auf alles, was ihm ungewöhnlich vorkam, aber er hörte nichts. Sollte er es wagen? Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass er nun fast schon eine halbe Stunde eingesperrt war. Nein, er wollte noch warten. Vielleicht ging der andere wieder. Und was, wenn er sich gerade mit Ryo amüsierte? Ihn quälte? Sollte er die Qualen des Freundes noch länger hinauszögern? Er wusste, er musste eine Entscheidung fällen.
 

Er griff zu seinem Handy und wählte die Nummer von Mick Prescott.
 

Nur einige Zimmer weiter sah Ryo’s Entführer auf den noch immer Schlafenden hinab.
 

„Ich hab deine süße Tochter, Schneewittchen. Ich fahr gleich los und bring sie zu dir, dann werden wir ja sehen, ob sie auch in der Lage ist, nicht nur den Dad sondern auch den Daddy zurück ins Leben zu holen,“ sagte er rau und wechselte erneut die Infusionen.
 

Befeuchte die Lippen des ruhenden, der sich kaum regte und wohl noch eine Weile außer Gefecht sein würde. Er hätte ihn früher verarzten müssen. Jetzt konnte er noch nicht einmal etwas mit diesem Kerl anfangen. Nein, er musste ihm helfen, damit er weiter leiden konnte. Es war aber auch zum Verrücktwerden. In den letzten Tagen lief einfach nichts mehr, wie es geplant war.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Barclay blieb bei Sara, als ein Arzt sich um die aufgeschürften Handgelenke kümmerte. Inzwischen hatte er von der kleinen tapferen Tochter der MacLane’s erfahren, was sie getan hatte. Jedes Mal, wenn er wohlwollend genickt hatte, hatte sie ihm gesagt, ‚das hat mir Daddy gezeigt’. Wahlweise war es auch mal ein Dad gewesen. Sie war einfach zu goldig. Er war mal wieder richtig neidisch auf die MacLane’s. Aber er gönnte ihnen inzwischen ihr Glück.
 

Dass dieses Geschepper überhaupt jemand in diesem Haus genervt hatte, wunderte Barclay noch immer etwas, aber so hatte er wenigstens eine Sorge weniger.
 

Die Reichweite von Sara, gefesselt wie sie war, war nicht besonders groß gewesen, aber sie hatte sich doch den Halter von der Klobürste geschnappt. Dass dieser aus Metall war, war natürlich mehr als nur hilfreich gewesen und damit hatte sie ständig auf die Rohre der Heizung gehauen. Ein kluges Kind. Und dabei war sie noch so jung. Sie würde eine gute Polizistin abgeben. Daran hegte Ross gar keinen Zweifel.
 

„Schatz, ich bin kurz vor der Tür. Ich ruf nur jemand an,“ erklärte er, als der Arzt die beiden Handgelenke von Sara verarztete.
 

Draußen vor der Klinik zückte er auch schon sein Handy und rief im Revier an.
 

„Ross hier. Mit wem spreche ich?“
 

„Officer Hiddens, Sir!“ erhielt der Anrufer sofort Antwort.
 

„Gut, Officer Hiddens. Sie schicken sofort einen Wagen zur Pell Street. Das Zimmer von dem Bomber Scott Fulton wurde aufgebrochen und eine Entführte dort festgehalten. Sie sorgen dafür, dass sich drei Leute in dem Raum befinden, das Siegel ordnungsmäßig wieder gesichert wird und sich noch zwei weiter Polizisten im Treppenhaus oberhalb befinden. Eingegriffen wird, sobald sich der Entführer den Zutritt zu der betreffenden Wohnung verschafft. Sie haben mich verstanden?“
 

„Ja, Sir!“
 

„Gut. Ich verlasse mich auf Sie.“
 

„Sir!“
 

„Ja?“
 

„Da kam eben auch ein Anruf von der Forensik. Jim Cambel ist auf der Suche nach Ihnen,“ sagte der wachhabende Officer.
 

„Danke! Ich kümmere mich drum.“
 

Barclay hängte auf und wählte gleich darauf die Nummer von seinem Lover.
 

„Jim?“
 

„Endlich, Ross. Wo steckst du?“
 

„Arbeit, was sonst. Ich hab die Kleine der MacLane’s befreit. Aber das erzähl ich dir alles später. Du hast mich gesucht?“
 

„Ja. Schon vor einer Stunde habe ich dich... Aber auch egal. Wir haben da was gefunden und ich dachte, dass du neugierig bist.“
 

„Red nicht um den heißen Brei, Jim. Raus damit, was habt ihr?“
 

„Wir haben DNA-Spuren von Ryo gefunden,“ erklang es ruhig am anderen Ende der Leitung.
 

„Wo?“
 

Mit dieser neugierigen Frage hatte Jim gerechnet, aber das, was er nun sagen musste, würde Barclay nicht ganz gefallen.
 

„Wir fanden Hautspuren unter den Fingernägeln von der Leiche im Jeanelle Park. Außerdem Sperma im Darm und im Rachenbereich.“
 

Ein Schnauben vom anderen Ende erklärte lediglich, dass Barclay das Ergebnis nicht zusagte.
 

„Sonst noch etwas. Irgendeinen Hinweis, wo er getötet wurde?“
 

„Nein. Ansonsten keine Faser. Nichts. Wir haben einen Einstich gefunden. Nur minimal und den hätten wir fast übersehen, aber dieser liegt mindestens eine Woche zurück. Vielleicht wurde er betäubt, das konnten wir nicht mehr feststellen.“
 

„Habt ihr ihn identifiziert?“
 

„Ja, warte...“ Leises Blätterrascheln drang an Barclays Ohr, bevor sich die Stimme von Jim wieder meldete.

„Ein Broker. Gary Logan, wohnhaft in der Cranberry Street drüben in Brooklyn. Dreißig Jahre. Ich habe die Meldung vorhin schon rausgeschickt an das zuständige Revier. Sie wollten die Wohnung überprüfen und uns dann kontaktieren.“
 

„Gut, dann warten wir, was die Jungs so rausfinden,“ sagte Ross.
 

„Kommst du heute noch?“
 

„Ich weiß es nicht, Jim. Das entwickelt sich heute noch. Ich bring die Kleine erst mal hoch zu Dee. Bleibe wohl, bis Mick oder Black auftauchen, dann sehen wir weiter. Ich meld mich später. Schlaf gut...“
 

„Tja, dann schlaf ich nicht, sondern mach hier weiter. Du erreichst mich im Labor. Ich... I love you, Barc,“ hauchte er in den Hörer und hängte sofort auf. Er wollte Ross mit seinen Worten nicht in die Ecke drängen, aber er musste es einfach mal sagen.
 

~~~~ In Black’s Büro ~~~~
 

Lange hatten sie noch über die Ereignisse des Vortages gesprochen. Über die Entführung von Sara und den Verdacht, der noch immer auf McNear haftete. Hinzu kam nun auch noch der Leichenfund im Jeanelle Park. Das alles hatte die beiden Männer nicht schlafen lassen. Black hatte lange gebraucht, um seinen Freund und Geliebten dazu zu überreden, sich auszuruhen. Denn wenn es nach Mick gegangen wäre, hätte er die Suche weiter koordiniert. Aber ändern konnte er jetzt um drei Uhr morgens wohl auch nichts gravierendes. So lag er nun an Aaron gekuschelt, konnte aber nicht den inneren Frieden finden, den er nun mal zum schlafen brauchte.
 

„Es ist meine Schuld,“ sagte er schlicht in die Finsternis.

„Ich habe die Verantwortung für die Kleine, ich hätte nicht...“
 

„Fang nicht wieder damit an!“ unterbrach Black sogleich die Schuldzuweisung seines jüngeren Bettgefährten. „Wir alle sind nicht unschuldig, also hör einfach auf damit.“
 

„Aber...“
 

„Kein Aber, Prescott. Die Jungs sind dran und Steve ist hinter einer heißen Spur her. Apropos... Steve. Hast du schon was von ihm gehört?“
 

„Nein, noch nicht. Er wollte sich melden, wenn er was findet.“
 

„Wann ist er in dieses Castle denn rein?“
 

„Um acht. Das sind jetzt... sieben Stunden her... ich wollte ihm noch Zeit lassen bis morgen früh... Ich meine bis nachher, so um sechs rum. Dann wollte ich Kontakt herstellen.“
 

„Du weißt, wo er rein ist?“ fragte Black leise nach.
 

„Ja, er hat es mir beschrieben. Wenn was ist, hole ich ihn raus. Warum fragst du?“
 

„Ich weiß nicht. Ich hab so ein eigenartiges Gefühl... Irgendwie... alles zusammen...“
 

„Soll ich ihn anrufen? Schlafen können wir ja eh beide nicht,“ wurde Prescott gleich aktiv. Denn die Zeit lief seiner Meinung nach nur im Sekundentakt an ihnen vorbei.
 

„Gut, ruf ihn an,“ gab er schließlich sein Einverständnis. Denn da er dies nun mal zur Sprache gebracht hatte, musste er das jetzt wohl auch durchziehen und einen Rückzieher machte ein Aaron Black nicht.
 

Mick griff zu seinem Handy, welches griffbereit und ständig in Bereitschaft auf dem kleinen Nachttisch geruht hatte. Blind, ohne wirklich Licht zu machen, tippte er die Nummernfolge ein und wartete. Doch alles was er hörte, war, dass der Teilnehmer zur Zeit nicht zu erreichen war.
 

„Nur die Ansage...“ legte Mick das Handy zurück. Das gefiel ihm nicht, ganz und gar nicht. „Er würde es nicht ausschalten...“ grübelte er leise vor sich hin und setzte sich dann auf.
 

„Du hast recht. Soll ich mitkommen?“
 

„Nein. Ich geh alleine.“
 

„Vielleicht ist nur der Empfang gestört, das ist dir doch klar. Wir wissen nicht, wie tief dieser Bunker geht,“ milderte Black die Sorge, die in ihnen beiden eben erwacht war.
 

„Ja... kann schon sein.“
 

Doch Mick ließ es so nicht auf sich beruhen. Erhob sich schließlich und kleidete sich an.

Kaum war er fertig, klingelte sein Handy.
 

Mit zwei Schritten war er beim Nachttisch und meldete sich auch schon, kaum dass der Apparat an seinem Ohr angekommen war.
 

„Guten Abend, Mr. Prescott. Hier ist Doktor Brian Foster vom Medical Center,“ hörte Mick die ihm bekannte Stimme und ein weiteres Unwohlsein gesellte sich zu den bisherigen Sorgen hinzu.

Er schluckte, bevor er mit einem fragenden „Ja?“ den Hörer fester an sein Ohr drückte.
 

„Es ist nichts schlimmes,“ drangen die Worte des netten Arztes an sein Gehör und nahmen ihm ein wenig von dem aufkommenden Schock.
 

„Um was geht es. Dee oder Chris?“ hakte er mit rauer Stimme nach.
 

„Weder noch. Jedenfalls nicht direkt. Wir haben seine Tochter Sara hier. Der...“
 

„Sie haben Sara?“ konnte er nun doch seine Überraschung nicht verbergen.
 

„Ja. Lassen Sie mich ausreden,“ erbat sich Doktor Foster und begann zu erzählen.

„Commissioner Barclay Ross brachte sie gegen halb eins hierher. Sie hatte leichte Abschürfungen am Handgelenk. Warum, wollte er uns nicht mitteilen. Wir untersuchten sie gründlich und fanden ansonsten nichts auffallendes. Deswegen übernahmen wir die kleine MacLane. Sie schläft im Augenblick im Zimmer ihres Vaters. Mr. Ross wollte, dass wir sie über den momentanen Stand informieren, weil er noch zu einem anderen Fall musste.“
 

„Ihr geht’s gut,“ seufzte Mick und biss sich leicht auf die Unterlippe. Eine Sorge weniger, schoss es ihm durch den Kopf. „Danke, Doc. Ist es recht, wenn Aaron... ich meine Mr. Black... vorbeikommt?“
 

„Eigentlich... Aber in Anbetracht der Situation und möglichen Folgen... Ja. Er soll sich beim Pförtner melden, ich sage dort Bescheid.“
 

Mick hängte auf und erklärte Aaron, der dem Gespräch sprachlos gefolgt war, was in den letzten Stunden passiert war. Wie das alles, oder woher Ross auf einmal Sara hatte, wie er sie gefunden und ins Krankenhaus gebracht hatte, würden sie wohl erst vom Commissioner selbst erfahren. Doch das war im Augenblick zweitrangig.
 

„Fahr du ins Krankenhaus. Wenn unser Verdacht stimmt, hat er Sara womöglich an einen anderen Ort gebracht gehabt. Von dort ist sie, wie auch immer, geflohen und nun im Krankenhaus. Sollte er sie suchen, findet er sie mit Sicherheit auch dort. Pass also auf dich auf,“ ermahnte Mick seinen Boss.
 

„Du aber auch auf dich. Wenn was ist, ruf mich an. Oder am besten, ich stell dir gleich noch einen zur Seite.“
 

„Nein!“ lehnte Mick bestimmt ab.

„Wenn alles in Ordnung ist, möchte ich mich nicht lächerlich machen, indem ich mit einer halben Armee antanze. Machen wir es so. Wenn du bis um sechs von mir nichts gehört hast, dann schick Hilfe. Am besten die Polizei,“ sagte Mick leise.
 

Er wusste nicht, auf was er sich da einließ. Wusste nicht, wie der Stand der Dinge in dem geheimen Bunker war und er wusste auch nicht, in welcher Verfassung er seinen Mitarbeiter und Freund auffinden würde. Sorgen stahlen sich in seine dunklen Augen, als er in die grünen des Gegenübers blickte.
 

„Ich melde mich...“ sagte er und verließ als erster die Wohnung.
 

Bis zum Battery Park war es nicht weit, dennoch nahm er seinen Hummer und brauste durch das niemals zur Ruhe kommende Manhattan.
 

~~~~ Battery Park ~ Castle Clinton ~~~~
 

Steve starrte immer wieder auf sein Handy.
 

„Nutzlos,“ murmelte er und fragte sich, warum man so ein Ding eigentlich mit sich rumschleppte, wenn es eh nicht zu gebrauchen war, wenn man in einer Notsituation steckte.
 

Verschüttet in einer Höhle, oder unter Schnee. Das einzigste, was er ersehen konnte, war, dass er nun schon fast vier Stunden untätig hier rumsaß und wenn nicht bald ein Wunder geschah, dann würde er hier wohl einfach verrecken.
 

Vor einer Stunde hatte er die Schritte wieder vernommen. Dieselben, die ihn hier hineingetrieben hatten. Sie waren weg. Das hieß wohl, nicht nur die Schritte, sondern auch der Mann, zu dem diese gehörten. Das einzigste, was er bisher noch nicht eingesetzt hatte, um hier rauszukommen, war seine Waffe. Doch da es hier recht finster war, konnte er nicht genau zielen und womöglich traf er auf Stein oder Eisen, oder wer weiß was. Einen Querschläger wollte er nun wirklich nicht auch noch wegen seiner Dummheit einstecken müssen.
 

Er stand auf, lauschte, war sich nicht sicher, aber war da nicht ein Geräusch gewesen? Nicht laut, nicht so wie bei dem Kerl vorher, der sich sicherer fühlte hier unten. Nein, dieses klang nach... Schleichen. Leichtes Schaben über die Wand. Sollte er es riskieren? Auf alle Fälle besser, als hier weiter vor sich hin zu grübeln.
 

„Hey?“ rief er einfach auf gut Glück.
 

~~~~ China Town ~ Pell Street ~~~~
 

Er sah sich in dem nächtlichen China Town um. Erst nachdem er sich sicher war, dass ihn niemand beobachtete, oder das sich unnötig viel Polizei hier herumtrieb, verließ er seinen Wagen. Stieg die wenigen Stufen hoch und lauschte auf Anzeichen, dass die Kleine entdeckt worden war. Aber nichts.

Patrick besah sich genau das Siegel, welches er heil zurück gelassen hatte. Aber es schien in Ordnung zu sein. Wenigstens etwas, das heute gut lief, schmunzelte er für sich, als er sein Messer zückte und das Siegel am heutigen Tag wieder aufschnitt.
 

Das Geraune und die fragenden Blicke, die sich das dort stationierte Team zuwarf, hörte und bemerkte er nicht einmal.
 

Er schob die Tür leise auf und trat in das schummrige Licht, welches nur von den Neonreklameleuchten von der anderen Straßenseite hier hineinschien. Ohne auf etwas zu achten ging er schnurgerade in Richtung Badezimmer und erst dort spürte er die Gefahr, in der er schwebte. Doch es war zu spät.
 

„Hands up, guy!“ hörte er eine harte Stimme in seinem Rücken, die ihn sofort in seiner Handlung einschränkte. Kurz verharrte er, mit der Hand auf der Türklinke zum Badezimmer, bevor er langsam, fast bedächtig der Anweisung des hinter ihm stehenden Polizisten folgte. Doch dies nicht nur alleine, sondern er drehte sich auch ruhig zu der ihn bedrohenden Gestalt um.
 

„Officer?! Hier liegt wohl ein Missverständnis vor,“ begann er ruhig zu sprechen.
 

Nicht, dass dem anderen noch etwas wichtiges entgehen konnte.
 

Doch dieser blieb wachsam. Hob die Pistole noch einen Millimeter mehr an und folgte jeder der von McNear ausgeführten Bewegungen. Sein Partner hatte inzwischen die Handschellen gezückt und auch das zweite Team, welches auf der Treppe stationiert war, betrat mit gezogener Dienstwaffe die Szene.
 

„Ganz langsam, Mister!“ hörte Patrick die Drohung.
 

Dass es eine war, konnte er nicht nur sehen, sondern auch hören.
 

„Ich greife jetzt ganz langsam in meine Jackentaschen, Officers,“ erklang seine ruhige und gefasste Stimme in dem Raum.
 

Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren, er musste hier raus. Wenn sie ihn hier festnahmen, war alles umsonst gewesen.
 

„Ich an ihrer Stelle würde keine Dummheiten machen, Sir,“ hörte er die bekannten Worte, die er auch schon öfters benutzt hatte.
 

„Ich bin Profiler. Ich arbeite im Augenblick für das 27. Revier. Ich hole nur meinen Ausweis raus, also keine unnötige Aufregung,“ erklärte er seine Absichten.
 

Langsam, ohne die Cops aus den Augen zu lassen, griff er in die Innenseite seiner Jacke, holte mit nur zwei Fingern sein Ausweismäppchen hervor und reichte es mit ausgestreckter Hand dem ihm am nächsten stehenden Officer. Dieser nahm es und schlug es auf, nickte zu seinen Kollegen.
 

„Er sagt die Wahrheit. FBI – Profiler. Dennoch, Sir. Wir werden Sie ihn Gewahrsam nehmen. Ihre Waffe, Sir! Genauso langsam wie Ihren Ausweis, wenn Sie gestatten.“
 

„Und wenn nicht?“
 

„Sir?“
 

Was tat er da? McNear musste handeln, und das hieß, dass es hier gleich fünf oder nur einen Toten geben würde. Die Chancen standen für ihn ausgesprochen schlecht. Er war zwar schnell, aber gegen eine bereits gezogene Dienstwaffe zu gewinnen... Seine Gedanken flogen, als er mit der linken Hand die Jacke zurückhielt, sich leicht vorbeugte und mit der Rechten dann seine eigene Dienstwaffe mit zwei Fingern am Griff aus dem Holster an der Seite zog.
 

Patrick sah sich während dieser Aktion nicht nur einer Waffe, sondern inzwischen drei Waffen gegenüber. Was hatte man denen denn erzählt, dass sie so aggressiv vorgingen? fragte er sich im Stillen. Wo Sara war, interessierte ihn nur noch nebensächlich. Interessanter wurde es da schon, wie sie gefunden wurde.
 

„Okay, ich komme freiwillig mit. Die Handschellen braucht ihr wohl wirklich nicht,“ begehrte er ruhig und noch immer gefasst auf. Obwohl die Wut tief in ihm brodelte.
 

„Er hat wohl recht, Matt!“
 

„Aber denk an die Vorschriften. Wenn... Nein, ich mach das nicht. Du weißt, dass wir dann die Dummen sind...“
 

„Jungs. Wir sind doch vom selben Verein,“ unterbrach Patrick das Geplänkel der beiden wohl hier zuständigen Officers.
 

„Shut up!“ sagte der angesprochene Matt und legte dem DCI dann selbst die Handschellen um. Fest, aber nicht zu eng. Denn er wollte nur, dass er denjenigen, den er hier festgenommen hatte, wohlbehalten ins Revier bringen konnte, ohne Zwischenfälle. Und mit einem Gefesselten war es leichter. Man wusste nie, wann dieser vielleicht in die Idee verfiel, sich aus der Misere zu befreien, und dann würden sie zur Rechenschaft gezogen. Nein! Nicht mit ihm. Das war ihm einmal passiert, nie wieder. Das hatte er sich geschworen.
 

„Nach Ihnen, Sir!“ sagte er und deutete zur Tür.
 

„Wie wurde die Kleine denn gefunden?“ fragte er schlicht nach.
 

„Ein Anwohner hat sich... WAS?“ knurrte er seinen Partner Matt an, der ihn mit einem raschen „Bewegung!“ unterbrach.
 

Erst als Patrick bereits vor der Tür war, erklärte Matt seinem Kollegen, dass niemand mit dem Gefangen reden sollte.
 

„Warum sagt mir das keiner?“ fragte er nach, doch Matt konnte daraufhin nur die Schulter zucken.
 

„Sorry, Mann. War wohl mein Fehler. Oder du hast mal wieder nicht richtig zugehört,“ grinste er und nickte ihm dann aufmunternd zu. „Komm, sonst haut der uns trotz Handschellen noch ab,“ witzelte Matt und steckte beruhigt die Waffe vorläufig ein.
 

~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~
 

Ryo öffnete erneut die Augen. Er sah in dem dämmrigen Licht, welches in seiner neuen Zelle war, nicht gerade viel, aber es blendete ihn nicht und das war ihm schon angenehm genug. Seine Zunge kam hervor, um die trockenen, spröden Lippen zu befeuchten, doch selbst diese war inzwischen trocken geworden und spendete nichts an Feuchtigkeit.
 

Müde wie er sich fühlte, wagte er, den Kopf langsam zur Seite zu drehen. Erspähte die Infusionen, die wohl erneuert worden waren. Er musste sagen, dass er sich körperlich besser fühlte. Jedenfalls besser noch als vor Stunden, wo er das erste Mal aufgewacht war. Etwas kraftlos hob er die Hand, an der die Infusionsnadeln eingestochen waren. Den anderen schaffte er nicht zu bewegen. Warum dies so war, bemerkte er rasch.
 

Feste Binden hielten ihn auf der Liege fest. Ließen ihm nur Raum zum Atmen, aber ansonsten konnte er sich einfach nicht bewegen.
 

Trocken schluckte er und wünschte sich nur einige Tropfen Wasser, aber er war allein, wie er hörte. Nichts regte sich bei ihm. Einerseits war er darüber erleichtert, denn das hieß, dass sein Peiniger ihn nicht noch weiteren Demütigungen aussetzte. Aber die andere Seite war, dass auch keiner da war, den er um Wasser bitten konnte.
 

Da die Bewegung bis auf seinen Kopf eingeschränkt war, versuchte er, sich gedanklich fit zu machen. Das letzte, woran er sich erinnerte, war...
 

„Gary... Cordy...“ kam es gebrochen von seinen trockenen Lippen und das forderte schon alles von ihm. So beschränkte er sich auf seine Gedanken. Sprechen sprengte einfach zu sehr an.
 

«Der Tisch... ich... ich habe ihn getötet... verdammt... Bastard!»

knurrte er in seinem Kopf, als er die letzten Tage, die er noch mitbekommen hatte, rekonstruierte. Das wirklich letzte, woran er sich lebhaft erinnerte, war der Gestank gewesen. Er sah sich selbst noch wimmernd in der Ecke hocken, und keines Gedankens mehr fähig. Wie oft hatte er an der Tür geklopft, wie oft hatte er seinen Peiniger angeschrieen, die Leiche zu entsorgen, aber er hatte ihn mit Gary eine Woche allein gelassen. Eine Woche...
 

Ryo schloss die Augen, sah die kleinen Maden, die er nicht gesehen, aber sich doch lebhaft vorgestellt hatte, wie sie nun auch schon bald auf oder eher in ihm krabbeln würden.
 

«Dee... Sara... verzeiht... ich kann nicht mehr... ich kann einfach nicht mehr... ich will... ich will...»
 

Er wusste, was er wollte, und da half kein Jammern und kein Klagen. Er würde das durchstehen, er würde überleben. Egal wie. Es gab zwei Menschen, die ihn liebten. Ihn noch immer liebten, und...

Da war etwas, etwas, das er gehört hatte, von Gary... etwas, das er vergessen hatte, etwas, das wichtig war. Genau... es fiel ihm langsam wieder ein. Der Bomber... er war tot! Wer war dann der Kerl, der ihn hier gefangen hielt? Ihn peinigte, ihn quälte und ihn dazu brachte, einen anderen zu missbrauchen, während dieser starb? Wer war er?
 

Angestrengt von dem Nachdenken dämmerte er wieder weg. Darüber würde er nachdenken, später, wenn er es nicht vergaß...
 

~~~~ Battery Park ~ Castle Clinton ~~~~
 

Leise Schritte glitten über den Boden. Kleidung schabte über die Wände.
 

«War da nicht was?» fragte sich Mick.
 

„Hey?!“ rief er leise, die Waffe seitlich neben seinem Arm zur Decke zielend. Immer bereit, sofort zu reagieren.
 

„Mick?“ hörte Prescott seinen Namen, ebenfalls nur ein geflüstertes Wort.
 

„Steve? Wo steckst du?“
 

„Ich bin in einer Zelle... ich kann dich gut hören,“ sagte er und steckte nun, da er sicher war, einen Freund hier zu haben, seine Hand durch die vergitterte kleine Öffnung in der Tür.
 

Mick sah die Fingerspitzen und ging immer noch wachsam darauf zu, drückte die Tür auf und befreite seinen Freund.
 

„Hey... was machst du da drin?“
 

„Es kam jemand und ich bin einfach... die anderen, die ich vorher überprüft hatte, hatten auch von innen Klinken, nur hier... Fuck...“
 

„Hast du ihn erkannt?“
 

„Nein. Aber er ist auch schon ein oder zwei Stunden weg. Und ich hab hier keinen Empfang... warum zum Geier braucht man so ein Ding.“
 

„Reg dich ab. Hast du Ryo schon gefunden?“
 

„Nein, aber ich denke, dass es nicht mehr weit ist,“ erklärte Steve und war wirklich froh, dass er hier rauskam.
 

„Warum?“
 

„Der andere... er ging nicht mehr weit, als ich eine Tür hörte. Obwohl es hier wohl gut hallt, aber nein, ich denke, wenn wir noch einige Zellen vorangehen...“
 

„Bist du dir sicher?“
 

„Ja, vertrau mir,“ meinte Steve und klopfte Mick kurz auf die Schulter. „Danke, Mann. Ich schulde dir was.“
 

„Ja, schon gut. Irgendwann...“
 

Steve zog nun ebenfalls seine Waffe, die er vorhin in der Zelle eingesteckt hatte, weil sie ihm dort nichts gebracht hatte, und ging diesmal nicht mehr so mit zögerlichen Schritten voran. Wusste er doch, dass Mick nun ebenfalls die Augen und Ohren offen hielt und somit ein Garant für den Rückzug sein würde.
 

Dennoch blieb er vorsichtig. Schrie nicht, sondern ging systematisch in die Richtung, die er meinte, vorhin vernommen zu haben. Gut, er konnte sich auch irren. Doch hier war Sackgasse, wie er feststellte. Das letzte Zimmer. Er schob die Tür auf und trat nicht ein, sondern erst einmal einen Schritt zurück.
 

„Mick!“ rief er leise, denn dieser war ein Stück weit zurückgeblieben.
 

Erst als er ein Zeichen machte, dass er hinein gehen würde, kam auch Mick näher, schaute kurz hinein.
 

„Mein Gott!“ sagte er.
 

Steve hielt sich ein Tuch vor die Nase. Es roch nicht mehr so stark wie noch vor Tagen, aber so etwas bekam man auch nicht mit dem besten Duftspray aus dem Haus, geschweige denn aus einer Zelle, die noch nicht einmal gut klimatisiert schien.
 

Viel sah er nicht. Ein Kleiderbündel in der Ecke, einen Tisch und diverse Ösen an der Decke und an der Wand. Sowie einen Schrank. Nicht viel, aber dennoch. Der ganze Raum war anders als die anderen.
 

Ohne zu zaudern öffnete er den Schrank und schluckte. Er kannte ja einiges an Spielsachen, aber das hier raubte ihm nun doch ein wenig den Atem. Die andere Hälfte war leer. Steve vermutete mal, dass dort die Klamotten drin gewesen sein mussten, die nun in der Ecke lagen.
 

„Hast du was gefunden?“ hörte er die Stimme von Mick, der doch draußen blieb, um Wache zu schieben.
 

„Nein... nichts, was ich mit Ryo...“ Er verstummte, als er sich den Tisch näher betrachtete.
 

Ein Meisterwerk, musste er neidlos eingestehen. Die Platte an sich ganz dicht, doch wenn er sich die ganzen Scharniere unterhalb der Tafel betrachtete... Da Steve zu einer der Rassen zählte, die sehr neugierig waren, schob er ein wenig an der Platte herum und schüttelte mit dem Kopf. Er konnte die Tischplatte förmlich auseinander nehmen, ohne sie wirklich zu zerstören. Das einzigste, was wirklich fest zu sein schien, war ein mittleres Teil. Wohl für den Body gedacht. Er konnte sich noch nicht einmal vorstellen, was man alles damit machen konnte, oder was man einem Menschen zufügen konnte, der auf diesem Tisch festgeschnürt war.
 

Sein Rundgang endete bei der kleinen Toilette an der Seite. Doch auch dort war nichts, was auf Ryo hindeutete. Resigniert verließ er das Zimmer.
 

„Ich denke, er war hier... Der Gestank... es riecht nach Tod... sag mir, dass er noch lebt, Mick,“ erklang es bitter von Steve, als er neben dem dunkelhäutigen Amerikaner stand.
 

„Ich weiß es nicht... ich hoffe.“
 

„Hat er ihn woanders hingebracht, während ich mich selbst außer Gefecht gesetzt habe?“ fragte Steve sich frustriert. Das würde ja passen, da waren sie ganz dicht davor, Ryo zu finden und dann machte er den Fehler.
 

„Hättest du es nicht gehört? Ich meine, Ryo lässt sich mit Sicherheit nicht so einfach wegschleifen,“ machte Prescott seinem Kollegen Mut und gemächlich gingen sie den Weg zurück.
 

„Was ist, wenn er... wenn er ihn einfach... RYO! WENN DU MICH HÖRST, MELDE DICH! RYO!“ rief Steve auf einmal laut und schlug dann mit geballter Faust gegen die Wand.
 

Nur einige Zimmer weiter öffnete Ryo MacLane seine Augen. Irgendetwas hatte ihn geweckt, doch er konnte nicht sagen, was oder wer. Im ersten Augenblick dachte er wirklich, er hätte Stimmen vernommen, sogar seinen Namen, aber nun? Alles schien ruhig, nur sein Atem klang laut in seinen Ohren nach.
 

Erschöpft schloss er die Augen wieder, versuchte, sich auf Geräusche außerhalb zu konzentrieren und ja, da war etwas. Ein Dumpfer Schlag, ein Tritt, oder nur ein Keuchen? Er war sich nicht sicher. Aber jemand war da, jemand, der eigentlich nicht hierher gehörte. Denn sein Peiniger, wer immer das nun auch war, machte keine Geräusche. Nein, dieser tauchte einfach nur plötzlich auf und verschwand genauso leise wieder.
 

„Hier!“ krächzte er.

Als er seine trockene Stimme hörte, war ihm klar, dass ihn so niemand hören konnte. Selbst wenn dieser jemand direkt vor der Tür stehen würde.
 

Da war es wieder. Jemand rief laut nach ihm. Nein, es waren zwei Stimmen. Und er wusste nicht, wie er sich bemerkbar machen sollte. Festgeschnallt wie er war, blieb ihm nicht viel.
 

Hektisch flogen seine Augen hin und her und er erspähte nur eins, was ihm helfen könnte. Den Ständer mit den Infusionen. Doch wie sollte er diesen umschmeißen? Eine Frage, die ihn beschäftigte, und erneut musste er all seine grauen Gehirnwindungen einschalten, um klarer denken zu können.

Seine Bestandsaufnahme von vorhin war ihm noch gut im Bewusstsein vorhanden. Gefesselt. Beine, Körper und die Arme. Nein, nur ein Arm, der andere war frei. Unter Schmerzen versuchte er, diesen zu heben, doch sein Anhängsel wog, so meinte er jedenfalls, mindestens eine Tonne. Dennoch, wenn er nichts tat, würde die einzigste Chance auf Rettung einfach an ihm vorbeigehen. Ryo musste etwas tun, und wollte dies auch.
 

Unter einer Kraftanstrengung, die ihm tatsächlich die letzten Tropfen Flüssigkeit auf die Stirn jagte, hob er den Arm, zog ihn langsam immer weiter auf die andere Seite, hoffte, dass er den Ständer so vielleicht etwas näher holen könnte und tatsächlich: er hörte ein Schaben von Rollen über den Boden und hätte fast hysterisch aufgelacht, doch dazu fehlte ihm nun doch die Kraft, die er für wichtigeres aufsparte. Die Augen aufs Ziel gerichtet, verfolgte er, wie der Ständer immer näher kam, bis er fast neben seiner Pritsche stand.
 

Sein Atem flog und er wusste nicht, ob die anderen noch da waren. Er hörte nichts mehr, außer das wild pochende Herz in seinen Ohren. Träge ließ er die Hand zurückgleiten und ergriff den kühlen Stab mit seinen Fingern.
 

„Dee... hilf mir,“ murmelte er leise stetig vor sich hin, als er nun mit aller Kraft, die er aufzubringen in der Lage war, den Infusionsständer von sich stieß und hoffte, dass dieser umfiel, so dass genug Krach entstand.
 

**** TBC

Mittwoch – 18. August - später

~~~~ Battery Park ~ Castle Clinton ~~~~
 

„Wir sollten gehen. Ryo wurde mit Sicherheit woanders hingebracht. Wenn er denn überhaupt hier war,“ hörte Steve die beruhigende Stimme von seinem Vorgesetzten.
 

„Nein... ich weiß, dass er noch hier ist... ich weiß es einfach,“ konterte Steve und rief erneut laut Ryo’s Namen.
 

Resigniert folgte Prescott Steve. Nein, er glaubte nicht mehr an ein Wunder, geschweige denn daran, dass sich Ryo noch hier befand.
 

„Hör mal, das hab ich dir noch gar nicht erzählt,“ hielt er Steve’s Geschrei an und berichtete dann in aller Ruhe, soviel er wusste, von der Rettung von der kleinen MacLane. Auch, dass ihm Patrick da eine Story aufgetischt hatte und er sich so hoffend aus der direkten Gefahr befreien wollte. Doch das alles passte wie die Faust aufs Auge, mutmaßte Mick und legte nun eher kameradschaftlich eine Hand auf die Schulter seines Gegenübers.
 

„Steve.“
 

„Hast du das gehört?“ fragte der und drehte sich von rechts nach links. Lauschte und rannte dann den Weg zurück, den er eben erst mit Mick gekommen war.
 

„Ryo? Ryo? Komm schon, Mann. Sag was... wo steckst du?!“ fing Steve aufgeregt an zu schreien.
 

Nein, er hatte sich nicht verhört, da war ein Klappern gewesen, ganz deutlich, aber nun wieder nichts.

Er blieb stehen. Lauschte, aber es war wirklich nichts mehr zu hören. Sollte er vielleicht doch alle Räume durchgehen, obwohl Mick das als Zeitverschwendung abgetan hatte, nachdem die ersten 10 Zimmer ohne Befund waren. Er schuldete Ryo verdammt viel und er würde nicht eher gehen, bis er ihn gefunden hatte und wenn es hieß, dass er hier alles umgraben musste.
 

Da... Da war wieder etwas. Nicht laut, aber undeutlich zu vernehmen.
 

Mick stand etwas weiter weg und hörte das Wimmern, wenn man es so bezeichnen wollte, deutlicher. Er drehte sich um. Er stand direkt an einer Gabelung. Die erste, wenn man den Komplex mit den Unterkünften betrat. Woher kam es? Dass dort nichts war, konnte er nun nicht mehr sagen.
 

„Du nimmst den Weg... es muss eine der ersten Türen sein... Ruf, wenn du was gefunden hast,“ orderte Mick die Durchsuchung an.
 

Rasch ging Steve in den rechten Gang, während der linke für Mick langsam von der Taschenlampe erhellt wurde.
 

„Ryo?“ rief er immer wieder, hörte entweder sein Echo oder aber die Stimme von Steve in seinem Rücken.
 

Mick öffnete die erste Tür in der Hoffnung, fündig zu werden, doch wurde er wie schon die letzen Male enttäuscht. Er wollte vier Türen öffnen, danach wäre es aus seinem Hörkreis gewesen, dann würde er weiter nach vorne die Zimmer durchsehen, nahm er sich vor, während er schon ein wenig frustriert die nächste Tür öffnen wollte, doch das ging nicht.
 

Erneut drückte er die Klinke hinab, aber die Tür blieb zu.
 

„Steve!“ rief er und blickte dann durch das kleine Fenster an der oberen Seite der Tür, leuchtete mit der Taschenlampe so gut es ging in das Zimmer und tatsächlich, dort auf einer Pritsche lag jemand.
 

„Ryo? Wir sind gleich da... wir holen dich raus,“ erklärte er und alle Sinne von Mick gingen in Alarmstellung.
 

„Wir brauchen einen Dietrich oder was ähnliches. Hast du was dabei?“
 

„Nein... aber ich hab meine Waffe,“ erklärte Steve und entsicherte sie bereits. Deutete Mick an, dass er in Deckung gehen sollte, zielte und schoss zweimal, wie er es gelernt hatte. Obwohl der Sicherungsschuss eigentlich nutzlos war, denn das Schloss gab bereits beim ersten Treffer den Geist auf.
 

Sofort stieß Steve die Tür auf und rannte zu dem Liegenden, hockte sich neben ihn.
 

„Ryo?!“ ertönte die ruhige Stimme von Steve, der sich den Entführten noch nicht einmal richtig ansah. Für ihn war nur wichtig, dass sie ihn erst einmal gefunden hatte. Im Gegensatz dazu war wohl Mick der wohl praktischer denkende von ihnen beiden.
 

Er sah auf den ersten Blick, dass die Infusionsnadeln aus dem Arm von Ryo gerissen worden waren und dass dieser anhand dessen, sowie des Schocks und eventuell auch der Erleichterung, endlich befreit zu werden, bewusstlos geworden war.
 

„Wir brauchen einen Krankenwagen... oder meinst du, wir...“
 

„Nein, das dauert zu lange. Wir bringen ihn hoch. Mein Wagen steht nicht weit vom Eingang,“ erklärte Mick und drückte sein Taschentuch auf die leicht blutenden Einstichstellen.
 

„Er sieht schrecklich aus,“ murmelte Steve.
 

Obwohl er Sohn eines Mafiabosses war, hatte er sich stets geweigert, an Folterungen oder so etwas teilzunehmen. Schon gar nicht war er in direktem Kontakt mit diesen Menschen geraten. Er wusste zwar davon, aber der einzigste, der ihm damals wichtig gewesen war, wurde von seinem Vater erschossen, vor seinen Augen. Das war das einzige, was er an roher Gewalt je gesehen hatte. Wenn man mal von seiner eigentlichen Erziehung absah.
 

Der Anblick der eingefallenen Wangen, die fahle Haut und dazu der allgemeine schlechte körperliche Zustand, nein, da war nichts, was an den doch so vitalen und lebenslustigen Ryo erinnerte. Jedenfalls jetzt nicht mehr.
 

„Steve... reiß dich zusammen. Ryo wird schon wieder,“ beruhigte Mick ihn.

„Ich nehme ihn auf den Arm, wickle du bitte die Decke um ihn, damit er nicht unnötig friert,“ übernahm er befehlsgewohnt das Kommando.
 

Für ihn war dieser Anblick nichts neues. War er doch in Krisengebieten gewesen, wo Menschen halb verhungerten und nur wenig zum Leben hatten. Obwohl das drastische Aussehen von Ryo ihn nicht gerade kalt ließ. Er war schon ein Gefühlsmensch und deswegen auch früh aus der Armee ausgestiegen.
 

Ryo war nun eingehüllt in eine Decke, geborgen auf den starken und festen Armen von Mick, der ihn langsam hinaustrug. Den Kopf von dem entführten Cop spürte er an seiner Schulter, doch das Gewicht an sich eher wie eine Feder. So leicht war er in nur wenigen Wochen geworden.
 

Was Mick nur ein wenig traurig stimmte, war die Tatsache, dass sie den Entführer noch nicht hatten. Es konnte immer noch jeder sein, oder aber doch McNear. Aber Hinweise würden sie hier wohl keine finden. Denn während Steve Ryo vorsichtig eingehüllt hatte, waren ihm die diversen Handschuhe aufgefallen. Nein, so würden sie niemanden überführen, dennoch würde er den Commissioner hierher führen, um eventuelle Spuren zu sichern. Man wusste ja nie.
 

Das Sonnenlicht blendete sie, denn die aufgehende Sonne schien direkt in den geheimen Eingang, den sie nun zu dritt verließen.
 

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Völlig übermüdet betrat Barclay Ross so gegen sechs Uhr in der früh das Revier und wurde prompt von dem wachhabenden Officer abgefangen, der ihm gleich einen Bericht entgegenstreckte.
 

Bereits auf dem Weg in sein Büro schlug er diese Mappe auf und las das wenige, das dort stand. Kaum die Hälfte des Weges zu seinem Ziel hatte er hinter sich, als er die Schrittrichtung änderte und einige Meter zurückging, die Treppen in den Gefängnistrakt hinabstieg. Der dortige Wachmann sprang fast auf, als er des Commissioner’s ansichtig wurde, und schlug lächerlicherweise die Hacken zusammen.
 

„Sir, guten Morgen, Commissioner Ross!“
 

„Ja. Ja! Auch Ihnen... Der Gefangene von der Pell Street. Hier steht DCI Patrick McNear. Trifft das wirklich zu?“ fragte er und wedelte mit der Akte gegen seinen Oberschenkel.
 

„Ja, Sir! Dieser Mann wurde festgenommen. Er befindet sich in Zelle drei. Soll ich Sie hinbringen, Sir?“
 

„Nein... Ich denke, ich lese mir erst einmal den Bericht durch. Danke, Officer.“
 

Damit drehte sich Barclay um und stiefelte in sein Büro. Drückte auf eine Taste und orderte einen Kaffee, den er unbedingt brauchte. Die ganze Nacht hatte er im Krankenhaus verbracht. Nachdem Sara endlich eingeschlafen war - die Untersuchung hatte länger gedauert, als er eigentlich gedacht hatte - und nachdem alle Telefonate geführt waren, hatte er es sich bei Dee und Chris bequem gemacht, da sie alle nicht schlafen konnten, oder eher gesagt wach blieben, damit ihnen Ross mal in aller Ruhe alles berichten konnte. Die Nacht war dementsprechend rasch vorbei gewesen, doch nun fühlte er ein wenig Müdigkeit.
 

Ein freundlicher Officer brachte ihm das gewünschte Getränk und nachdem er sich bedankt hatte, nahm er die Akte auf. Ross lehnte sich in seinem Ledersessel, der leise knarzte, zurück.
 

Er kannte keinen der Officer, die den Bericht eingereicht hatten. Gut, sie waren zwar von seinem Revier, aber gehörten eigentlich zum Fußvolk und mit denen hatte Ross an und für sich wenig zu tun. Dies übernahm der Chef der Abteilung. Wie nannten sie ihn, ach ja, das alte Walross.
 

Er schlug die Seite um und las in aller Ruhe, wann, wo und wie sie McNear verhaftet hatten. In dem Bericht, der sehr sorgfältig geführt worden war, stand sogar, dass der Inhaftierte sich darüber informiert hatte, wie die Kleine entdeckt worden war.
 

„Wie erbärmlich,“ murmelte Ross und schmiss die Akte auf den Schreibtisch, dicht neben seine hochgelegten Füße. Der Kaffee rann gerade so schön warm durch seine Kehle und fast konnte er spüren, wie sich seine totgeglaubten Lebensgeister wieder meldeten.
 

Ein Seufzer entfuhr ihm, als er so die ersten Schlucke des schwarzen Getränks genoss. Doch lange währte diese Ruhe nicht. Sein Telefon schrillte los und ließ ihn erneut seufzen.
 

„Ross!“ meldete er sich und lauschte für einige Sekunden in den Hörer.
 

„WAS?... Wirklich?... JA!... Ich komme... Okay... dann ruft mich an, wenn ihr was wisst.“
 

Mit einem erleichterten Lächeln legte er den Hörer zurück und man konnte sehen, wie die Anspannung und die Angst, die in den letzten Wochen immer tiefere Furchen in sein Gesicht gezogen hatte, sich langsam legte.
 

Erneut griff er nach dem Hörer, wartete, bis sich Jim Cambel auf der anderen Seite meldete und sagte nicht viel, nur „Sie haben Ryo gefunden...“
 

Dann informierte er auch den Rest des Reviers. Denn somit konnte er wenigstens ein wenig von der Spannung abbauen. Auch wenn es noch keinen Befund gab, so war Ryo doch am Leben.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Steve saß neben Mick in der Notaufnahme. Doch lange hielt es Steve nicht auf diesen unbequemen Stühlen. Unruhig lief er hin und her. Seitdem sie hier waren, hatte er kaum eine ruhige Minute gesessen. Ständig in der Hoffnung, dass einer der Ärzte mal ein Ton sagte, aber nichts, nur stilles hinein- oder hinaushuschen. Nachdem ihm sogar von einer der Schwestern gedroht worden war, ihn rauszuwerfen, weil er ständig die Hilfsmaßnahmen behinderte, sah er diesen herumlaufenden Göttern in Weiß nur noch stumm zu.
 

„Setz dich endlich, so wird es nicht besser,“ erklang die ruhige und gefasste Stimme von Mick. Inzwischen hatte dieser alle wichtigen Personen über Ryo’s Befreiung informiert. Nur den Ort hatte er bisher noch keinem mitgeteilt. „Vielleicht solltest du den General anrufen und das Terrain sichern lassen,“ schlug Mick vor, damit Steve endlich etwas anderes zu tun bekam.
 

„Gut... mach ich.“ Kaum gesagt, rauschte er schon raus. Die Frischluft würde sein Gemüt abkühlen, und der Anruf seine Nerven vielleicht auch ein wenig entspannen.
 

„Büro von General C.D. Montgomery. Was kann ich für Sie tun?“ hörte Steve die angenehme Stimme des Sekretärs, die ihn fast an Tony erinnerte.
 

„Steve Cotton. Ich möchte den General in einer vertraulichen Angelegenheit sprechen.“
 

„Tut mir leid, Sir. Aber der General ist im Augenblick sehr beschäftigt.“
 

Anscheinend kannte sich dieser aus, um unwichtige Anrufer zu beurteilen, und diese war eine dieser untergeordneten Proben, um die wirklich wichtigen Anrufer zu sondieren.
 

„Sagen Sie ihm bitte, dass es um das Clinton Castle geht,“ blieb Steve jedoch hartnäckig und hörte auch gleich darauf, wie die freundliche aber dennoch unverbindliche Stimme des Mannes ihn bat, einen Moment in der Leitung zu warten.
 

Keine dreißig Sekunden später hörte er diese angenehme Stimmer erneut und diesmal wurde er von ihr lediglich darauf hingewiesen, dass er ihn nun zu dem General durchstellte.
 

„Montgomery!“ brummelte es in den Hörer.
 

„Sir. Sie erinnern sich bestimmt an unser Gespräch gestern bei Tisch. Steve Cotton, mein Name.“
 

Meist wusste Steve nicht, wie er so ein Gespräch anfangen sollte, deswegen war er mal wieder unsicher, aber das würde sich im Laufe dieses Telefonats bestimmt rasch legen.
 

“Ja, ich erinnere mich, Junge. Sie haben nicht gedient!“
 

Genau deswegen war er wohl auch im Gedächtnis des Generals haften geblieben, dachte sich Steve.
 

„Ja, Sir. Und ich möchte Ihnen nun erst einmal danken, dass Sie mir Ihr Vertrauen in dieser speziellen Angelegenheit gewährt haben. Leider muss ich Ihnen auch mitteilen, Sir, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag.“
 

„Cotton?“ kam es aufgeregt aus dem Hörer.

Steve konnte sich schon vorstellen, dass er mit seiner Äußerung einen ziemlichen Tiefschlag in die Geheimhaltung geschlagen hatte, aber er hatte ja nun auch ausreichende Beweise und stützte seine noch gestern nur geäußerte Vermutung nun auf handfeste, greifbare Belege.
 

„Wir haben in einer der Zellen den gesuchten Polizisten gefunden und noch einen anderen Raum, in dem er wohl gefoltert wurde. Da es nicht in mein Zuständigkeitsgebiet gehört und ich Ihr Refugium in dieser Sache nicht umgehen möchte, möchte ich Sie im Namen meines Arbeitgebers darum bitten, Soldaten zu diesem Ort zu entsenden und alle, die nicht dorthin gehören, zu inhaftieren oder zumindest der Polizei zu überstellen. Den Ort der Geheimtür habe ich, aus Sicherheitsgründen, nur einem mir sehr engen Vertrauten mitgeteilt und nur dank diesem waren wir in der Lage, den Entführten zu finden, Sir!“ Steve war sich nicht sicher, ob er alles so richtig formuliert hatte, um den General nicht zu beleidigen oder gar in die Ecke zu treiben, denn das lag ihm fern. Er benötigte einfach nochmals die Hilfe des Militärs, oder er würde den Ort von Ryo’s Pein der Polizei übermitteln, zwecks Spurensicherung.
 

„Ich werde umgehend Maßnahmen in die Weg leiten,“ hörte Steve da schon seine Hoffnung bestätigt.
 

„Sir! Wenn ich Sie noch um etwas bitten dürfte?!“
 

„Nun, Mr. Cotton. Ich denke, ich schulde Ihnen noch etwas. Sofern es auch in meiner Macht steht.“
 

„Nun, ja, Sir! Wir haben den Entführer noch nicht gefasst, deswegen müsste das ganze diskret ausgeführt werden, um ihn möglichst am Ort der Tat zu stellen. Dann wäre da noch die Spurensicherung... Ich müsste eigentlich die Polizei informieren, aber das würde ein streng gehütetes Geheimnis offenbaren. Ich weiß nicht genau, inwieweit die Militärpolizei mit der Spurensicherung vertraut ist.“
 

Vielleicht wagte er nun zu viel, oder er zerstörte gerade die einzigste Möglichkeit, den Entführer anhand von eventuell zurückgelassenen Spuren zu überführen.
 

„Wir werden diese Angelegenheit diskret regeln. Und was Ihre Sorge wegen möglicher Spuren betrifft, kann ich Sie ebenfalls beruhigen. Die MP ist dafür nicht zuständig, sondern das FBI und diese Kerle verstehen etwas von...“
 

„Entschuldigen Sie Sir, wenn ich Ihnen so ins Wort falle. Aber die Einmischung vom FBI wäre... Nun. Wir haben einen Verdächtigen und diese Person gehört dem FBI in New York an. Deswegen möchte ich Sie bitten, mir die Erlaubnis zu geben, das zuständige Forensikteam vor Ort schicken zu dürfen.“
 

Steve redete sich hier gerade um Kopf und Kragen und als er sich umdrehte, sah er sich zu seinem Glück auch noch seinem Chef gegenüber. Na toll, schlimmer konnte es dann wohl auch nicht mehr kommen. Er sprach hier über einen möglichen Verdächtigen und es konnte jeder hören, der gerade vorbeiging, wie leichtsinnig konnte er denn noch werden.
 

„Das ist...“
 

Für einige Sekunden konnte man nichts hören, bis auf das Atmen des Generals.
 

„Gut. Informieren Sie die Forensik. Ein Soldat wird Sie am Eingang empfangen und Sie begleiten,“ kam es dann heiser zurück.
 

Steve war sich bewusst, wie schwer es dem General gefallen sein musste, diese Äußerung und somit den Befehl zu geben, noch weitere in das Geheimnis einzuweihen, aber hier standen möglicherweise wichtige Spuren auf dem Spiel. Sollte es sowieso zu einer Verhandlung kommen, konnte man vielleicht den Ort des ganzen verschweigen.
 

„Ich danke Ihnen, General. Es tut mir leid, dass ich mit so einer Nachricht Ihren Tag trüben muss.“
 

Steve sah förmlich, wie der Schmalz von seinen Worten tropfte, aber er wusste sich auch nicht genau anders auszudrücken. Schließlich sprach er mit einem ranghohen Offizier der Vereinigten Staaten, da konnte man doch nicht einfach Wörter benutzen, die einem gerade in den Sinn kamen.
 

„Schon gut, Junge. Ist ja nicht Ihre Schuld,“ kam es dagegen etwas lockerer zurück. „Ich werde mich persönlich darum kümmern,“ versprach der ältere Mann ihm und beendete sogleich das Telefongespräch.
 

Auch Steve klappte nun sein Handy zu. Erst wollte er das mit Black klären, dann würde er die Forensik informieren.
 

„Sir!“ sprach er seinen Chef diskret aber direkt an.
 

„Steve! Das war gute Arbeit,“ lobte er seinen Mitarbeiter.
 

Eine besondere Auszeichnung, wenn man bedachte, dass Black ansonsten kaum so ein Lob aussprach. Und dies führte dazu, dass Steve nun verlegen lächelte und seine Hand sich ebenso verlegen in seinen Nacken legte. Er wusste nun wirklich nicht, wie er darauf reagieren sollte.
 

„Gibt es schon etwas über Ryo’s Zustand?“ fragte Black.
 

„N...nein, noch nichts. Soll ich Dee Bescheid geben? Er weiß es noch nicht.“
 

„Nein. Damit warten wir, bis wir mehr wissen.“ Black wusste, dass er sich mal wieder zu tief einmischte und es Dee wohl auch wirklich besser gehen würde, wenn er über Ryo Bescheid wüsste, aber wenn er es ihm sagte, dann wollte er mit mehr aufwarten.
 

„Wie hast du ihn gefunden?“ fragte Aaron nach, denn viel wusste er ja selbst noch nicht.
 

„Mick und ich, wir waren eigentlich schon auf dem Rückweg. Wir suchten noch die letzten Zimmer ab, als wir hinter uns ein Scheppern hörten und dies uns zu Ryo führte. Er hatte einen Infusionsständer umgeworfen. Dabei hat er sich die Injektionsnadeln aus den Venen gerissen, als er umfiel. Er sieht nicht gut aus. Gott, so was habe ich noch nie gesehen.“ Stumm schüttelte Steve kurz den Kopf, versuchte sich zu sammeln, damit er mit seinem Bericht fortfahren konnte.
 

„Mick hat ihn dann rausgetragen und ich hatte ihn auf der Herfahrt im Arm. Er ist so leicht, man fühlt jeden Knochen. Ich weiß nicht, was er mitgemacht hat, aber leicht war es bestimmt nicht für ihn.“
 

„Das ist es nie,“ sagte Black, als ob er wirklich wüsste, wie es war, entführt zu werden.
 

„Ja.“
 

Steve wusste wie es war, eingesperrt zu sein. Sich dem Willen eines anderen beugen zu müssen, und wenn man es nicht tat, die Strafen zu kassieren. Oh ja, nur zu genau erinnerte er sich, wie er unter seinem Vater gelitten hatte. Wie er ihn eingesperrt und dazu geführt hatte, dass er noch heute unter Klaustrophobie litt. Nur er hatte nicht diese Qualen durchlaufen müssen, die Ryo aufgezwungen worden waren.
 

„Geh rein, ich komm gleich nach,“ sagte Black sanft, so als ob er wüsste, was in seinem Angestellten vor sich ging.
 

„Ich muss noch bei der Forensik anrufen,“ sagte er, denn es gehörte zu seiner Aufgabe, sich darum zu kümmern und so lange er diese nicht beendet hatte, konnte er nichts anderes tun.
 

„Ich ruf diesen Cambel an. Mach dir keine Gedanken. Wo soll er hinkommen?“
 

„Battery Park ins Castle Clinton. Dort wird er erwartet,” erklärte Steve und ging dann wieder ins Gebäude.
 

Black sah ihm nach. Es war nicht leicht, einen Freund so zu finden, das wusste er nur zu gut. Auch er hatte Narben, unsichtbare Narben, die nur einer kannte.
 

Er zückte sein Handy und wählte eine ihm nicht fremde Nummer.
 

~~~~
 

Steve betrat die Notaufnahme und sah, wie Prescott mit dem Arzt sprach. Rasch beschleunigte er seine Schritte und hörte nur noch, dass sie ihn auf Intensiv legen würden. Noch bevor Cotton etwas fragen konnte, verschwand der Arzt in der Kabine von Ryo wieder und ließ ihn mit all seinen Fragen zurück.
 

„Mick?“
 

Dieser zögerte einen Moment; das, was er gehört hatte, war nicht gut. Es war zwar nicht lebensgefährlich, wie er gehört hatte, aber es würde langwierig werden. Ob Ryo jemals zu seiner alten Form, geschweige denn zu seinem alten ‚ich’ zurückfinden würde, konnte man jetzt noch gar nicht sagen.
 

„Lass uns rausgehen, ich möchte eine rauchen,“ äußerte Mick und somit rief er in Steve erst recht die Angst hervor. Denn eines wusste Steve zu Genüge: Mick rauchte nur, wenn er sich seelisch angespannt fühlte und das auch nur, wenn es wirklich wirklich ernst war.
 

Schweigend folgte er ihm, hörte, wie das Bett von Ryo aus der Kabine geschoben wurde und ging zurück zu seinem Freund, dem er so viel zu verdanken hatte.
 

Infusionen hingen an ihm. Sein rechter Arm war bandagiert und in seiner Nase steckte die Sauerstoffzufuhr.
 

„Warten Sie bitte,“ bat er den Arzt. Nein, er wollte jetzt nichts fragen, die Antworten würde er von Mick erhalten, aber eines musste er tun. Er beugte sich zu Ryo runter und fuhr ihm sacht über die Stirn. „Kämpfe, Dee und Sara warten auf dich, gib nicht auf, nicht so kurz vor dem Ziel,“ befahl er Ryo. Ernst danach trat er einen Schritt zurück, damit Ryo zu weiteren Behandlung auf die Intensivstation gefahren werden konnte.
 

~~~~
 

Mick steckte sich eine der ungeliebten Zigaretten zwischen die Lippen. Warum er ständig eine Packung bei sich trug konnte er keinem sagen, aber so war er nun mal. Ständig in Versuchung, aber nur selten wurde er schwach. Aber genau in so einem Augenblick war er froh, die Glimmstängel bei sich zu haben. Das Feuerzeug ging zischend an, doch bevor die Flamme die Spitze erreichen konnte, hörte er jemanden nahen.
 

„Ist es so schlimm?“
 

Die Flamme erlosch und Mick nahm die Zigarette, welche noch nicht entzündet war, und drehte sich zu dem Mann um, der ihn angesprochenen hatte.
 

„Schlimmer, würde ich sagen,“ seufzte er und steckte die Kippe dann doch wieder ein.
 

„Was sagt der Arzt?“ fragte Black, denn kein anderer war es, der ihn am Rauchen gehindert hatte.

„Lass uns warten. Steve kommt gleich,“ bat er um ein paar Sekunden.
 

Die körperlichen Sachen konnte man ja beheben, jedenfalls so gut wie, doch die seelischen, die noch nicht abzusehen waren, würden wohl lange dauern. Eine Entführung war nicht so ohne, und die Folgen kannte er. Schon allein durch seine langjährige Tätigkeit für Uncle Sam.
 

Nachdem Steve hinzugekommen war, konnte Mick sich nicht davon abhalten und genehmigte sich nun doch eine Zigarette.
 

„Sein körperlicher Zustand ist geradezu desolat. Jedenfalls sagte das der Arzt. Die Vitalwerte liegen gerade mal so am Limit. Zur Zeit bekommt er Infusionen, die ihn künstlich ernähren und das Volumen, sprich Wasser, wieder auffüllen. Er ist an der unteren Stufe des Verhungerns und des Verdurstens. Hinzu kommt, dass sein Zahnfleisch aufgerissen oder wund ist. Der Arzt vermutet eine Vergiftung über einen längeren Zeitraum mit Strychnin, was den Zustand erklären würde.“ Mick machte eine Pause und nahm einen langen Zug. Für ihn war es nicht gerade leicht, das so einfach aufzuzählen. Die inneren Verletzungen konnte man ja noch nicht einmal betrachten, das wurde auf dem Weg zur Intensiv noch gecheckt.
 

„Sein gesamter Körper hat Hämatome in verschiedenen Stadien. Von frisch bis hin zu Wochen alten. Dazu kommen die meist entzündeten Verletzungen, wohl von einer Peitsche oder Gerte an seinem Rücken, die ihm zusätzlich zusetzen. Eine Quetschung im Halsbereich und vermutliche diverse Vergewaltigungen. Jedenfalls wurden Proben entnommen. Die Ergebnisse werden so schnell wie möglich vorliegen,“ beendete er seinen Monolog, drehte sich von Black und Steve, deren Augen immer größer geworden waren, weg. Noch immer sah er ihn dort liegen auf dieser Pritsche, nackt, ausgezehrt, aber mit so einem schlimmen Zustand hatte er persönlich nicht gerechnet.
 

Eine Hand auf seiner Schulter gab ihm die Kraft, sich wieder seinem Freund und Chef zuzuwenden.
 

„Geht schon.“
 

„Was sagen die Ärzte, kommt er durch?“
 

„Wenn im inneren Bereich alles okay ist, haben sie Hoffnung, dass er körperlich wieder wird.“
 

„Das ist doch gut, oder?“ fragte Steve hoffend, denn all das hörte sich zwar schlimm an, aber waren doch auch nur körperliche Makel.
 

„Ich geh hoch zur Intensiv. Vielleicht wissen sie schon mehr. Ihr zwei ruht euch aus. Das ist ein Befehl. Steve, dich will ich vorläufig nicht mehr sehen. Kümmere dich mit deinem Freund um den Wiederaufbau, du bist bis auf Weiteres freigestellt. Was dich betrifft, Mick...“
 

„Mich schickst du nicht weg. Forget it.“ Energisch hob er den Kopf und blickte seinem Lover ernst und herausfordernd entgegen.
 

„Wir halten dich auf dem laufenden, Steve,“ meinte Black in die Richtung von Cotton, der ebenfalls wiedersprechen wollte, doch im Gegensatz zu Mick wohl keine Chance hatte. „Kein Wort zu Dee, bis wir wissen, was mit Ryo’s Werten wirklich ist. Sara ist oben bei ihm, hol sie ab und pass bitte weiter auf sie auf.“
 

So hatte Steve wenigstens etwas zu tun und konnte dennoch regelmäßig hier auftauchen, auch wenn es ihm schwer fallen würde, Dee nichts zu sagen.
 

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Langsam legte er den Hörer zurück. Das alles hörte sich echt übel an. Schon allein die Aufzählungen, die Ryo an äußerlichen Verletzungen aufwies, konnten bei einem anderen schon den Tod bedeuten. Ryo war zäh, das wusste Ross, aber wie lange hätte er noch durchgehalten? Doch das waren Sachen, die er noch keinem hier im Revier mitteilen würde. Vorläufig reichte es, dass sie wussten, dass Ryo gefunden und am Leben war.
 

Gerne hätte er von Black erfahren, wo sie Ryo gefunden hatten, aber da war er gegen eine Wand gelaufen. Lediglich, dass sich Jim Cambel auf dem Weg dorthin befand, hatte er rausgefunden. Gut, Jim würde ihn schon später informieren. Spätestens in seinem Bericht musste er ja den Ort erwähnen.

Doch nun hatte er Zeit. Zeit, sich um etwas zu kümmern, was er den ganzen Morgen vor sich hergeschoben hatte. Er nahm die Akte, welche ihn bereits am frühen Morgen in den Zellentrakt geführt hatte, erneut auf und verließ mit dieser sein Büro. Auf dem Weg dorthin lief ihm Ted über den Weg.
 

„Ich bin unten, falls was ist, piept mich an,“ erklärte er rasch und war auch schon an diesem vorbei, um sich zu dem möglichen Entführer zu begeben.
 

**** TBC

Mittwoch – 18. August – noch später

~~~~ Diner of Love ~~~~
 

Steve hatte Tony angerufen, nachdem er Sara von einer Schwester aus dem Zimmer hatte holen lassen, und ihn gebeten, sich mit ihm im Diner of Love zu treffen.
 

Nun saß er mit der kleinen MacLane zusammen an einem Tisch und konnte das Bild von Ryo, dessen Kopf so schwer an seiner Schulter gelegen hatte, einfach nicht von seinem innern Auge wegschieben. Die Kleine war richtig aufgeweckt und spürte sofort, dass etwas nicht stimmte, doch sie blieb ruhig und wartete. Schließlich sollte sie ja artig sein, das hatten Dad und Daddy ihr immer gesagt.
 

„Na ihr zwei Hübschen, was darf ich euch bringen?“ Robin kam fröhlich an den Tisch gehoppelt und erhielt prompt das, was er beabsichtigt hatte: ein lautes fröhliches Lachen von Sara.
 

Ein wirkliches Herzchen, die Kleine. Robin hatte sie sofort ins Herz geschlossen, schon als er sie als Baby gesehen hatte. So rosige Wangen. Nein wirklich. Sara war schon immer hübsch gewesen und irgendwann würde sie einem ganz gewiss den Kopf verdrehen.
 

„Wir warten noch,“ kam es einsilbig von Steve, der nur zögernd den Blick hob und Robin anblickte.
 

Dieser kannte den Blick. Ein kalter Schauer rieselte über seinen Rücken.
 

„Fuck! Was ist passiert?“
 

„Das sagt man nicht,“ schimpfte Sara und hob mahnend ihren Zeigefinger.
 

„Sorry, Schatz. Ist bei deinem Dad alles in Ordnung?“ stelle er Sara die Frage, denn Steve sah ihm eher so aus, als würde er sich die Zunge abbeißen, bevor er nur daran dachte, seine Frage mit einer Antwort zu beglücken.
 

„Jahaa... alles toll. Dad hat sogar wieder gelacht. Er guckt nicht mehr so traurig. Alles tut ihm weh, hat er mir verraten und ich soll auch schön artig sein, aber das bin ich ja immer,“ lobte sich Sara selbst und es stimmte auch.

Sie war schon ein recht verständiges und überaus braves Kind. Was anderes wäre auch ein Wunder, wenn man bedachte, dass ihre Väter Polizisten waren.
 

„Na, das ist doch schön! Willst du einen Kakao und ein Stück Schokotorte?“ lockte er die Kleine, da er schon wusste, was sie gerne aß.
 

„Jaha... aber...“ ein wenig verlor sich ihr strahlendes Gesicht, als sie zu Steve linste.
 

„Hey, sorry, hat länger gedauert,“ schob sich Tony an Robin vorbei, küsste Steve kurz auf die Wange und strubbelte Sara durch die Haare.
 

Sofort fiel auch ihm die bedrückte Stimme von dem Ex-Mafiasohn auf.
 

„Was ist los?“
 

„So ist er schon die ganze Zeit, keine Ahnung. Bisher hat er noch nichts gesagt,“ meinte Robin.

„Ich sag dir was, ich nehme Sara kurz mit und du versuchst, mit ihm zu reden,“ bot er diskret seine Hilfe an.
 

„Okay! Thanks, Robin. Sara, mein Krümelchen, was meinst du. Willst du mal mit Robin gehen und die Küche unsicher machen?” Tony kannte Sara schon, seitdem sie auf der Welt war und wusste, dass die Küche einen magischen Anziehungspunkt für die kleine MacLane hatte.
 

Ohne zu zaudern ließ sich Sara von Robin in die Küche führen und so hatte Tony Ruhe, um sich um sein bedrücktes Freundchen zu kümmern.
 

„Nun red schon, Steve. Was plagt dich?!“
 

„Wir haben Ryo gefunden,“ kam es leise von Steve.
 

Tony musste sich sogar vorbeugen, damit er ihn verstehen konnte.
 

„WAS?“
 

„Nicht so laut. Es weiß noch keiner,“ sagte er und griff über den Tisch zu den Händen seines Geliebten.

„Jesus, er sieht...“
 

„Lebt er?“ flüsterte nun auch Tony, damit er nicht unnötiges Interesse auf sich zog.
 

„Ja.“
 

War das alles, was er zu hören bekam? Ryo lebte und war frei, und sonst? Müsste man da nicht fröhlich und gut gelaunt sein, aber wenn er an das ‚er sieht’ dachte? Und genau diese zwei unscheinbaren Wörter konnten einfach alles beinhalten.
 

„Red endlich,“ knurrte er ihn genervt an.
 

Tony ließ sich so nicht abspeisen und gängelte Steve so lange, bis er ihm alles erzählt hatte. Jedenfalls, wie es um Ryo stand. Dabei vergaß er absichtlich oder unabsichtlich, dass dies wohl noch nicht alles bleiben würde. War ja auch schon schlimm genug.
 

„Was sagt Dee?“
 

„Er weiß es nicht. Sara auch nicht und es soll erst mal so bleiben.“
 

„Sagt Black. Right?“ Tony schüttelte wütend den Kopf.

„Sagt mal, hat er nicht schon genug durch seine Schweigerei angerichtet?“ giftete er gegen Steve’s Boss los. Er mochte ihn nicht, konnte nicht genau sagen warum, aber er wurde einfach nicht warm mit diesem Kerl.
 

„Es ist besser so... jedenfalls vorläufig, bis es Ryo besser geht. Sara darf es auf keinen Fall wissen, sie würde...“
 

„Was darf ich nicht wissen?“ kam eine leise zierliche Stimme dazwischen, die Steve entsetzt zu Sara blicken ließ.
 

„Wolltest du nicht in die Küche?“ fuhr er die Kleine ungehalten an, so dass diese ihr Schnütchen leicht verzog. Sie wusste ja noch nicht einmal, warum sie angefahren wurde, deswegen kullerten auch gleich zwei Tränen aus ihren grünen Augen, die von Steve zu Tony blickten.
 

„Bist du irre...“ fauchte nun auch Tony los und nahm die Kleine auf seinen Schoß.

„Ist ja gut, mein Engelchen. Steve ist nicht böse mit dir. Er hat nur einen ganz schlechten Tag. Du weißt ja, sein Boss hat ihm vielleicht wieder geärgert. Mhmm... ist wieder gut?“ strich er ihr liebevoll über die Wangen, wischte so die Tränenspuren fort.
 

Die kleine Sara MacLane mit ihren fünf Jahren schlang ihre Arme um den Hals von Tony.

„Er ist gemein... ich will zu Dad.“
 

„Morgen, mein Süßes. Lass deinen Dad heute mal ausruhen. Wir gehen nachher noch in den Zoo. Mhmm... nehmen den bösen Steve mit und bringen ihn wieder zum Lachen, Na, was meinst du, schaffen wir zwei das?“
 

Steve sah Tony zu, wie er Sara beruhigte und auch gleichzeitig davon abhielt, zurück ins Krankenhaus zu wollen. Jetzt fühlte er sich noch schlechter als eben noch, doch dieses Bild mit Sara auf Tony’s Schoß verwischte das von Ryo.
 

„Ja, vielleicht bringt mich das auf andere Gedanken,“ sagte er leise.

„Tut mir leid, mein kleines Wühlmäuschen... sei mir nicht böse.“ Tief durchatmend, um sich innerlich aufzubauen, schob er eine Strähne von dem blonden Haar hinter Saras Ohr, die ihn zweifelnd anblickte.
 

„Bist du auch wirklich nicht böse auf mich?“
 

„Nein, bin ich nicht.“ Tatsächlich schob sich ein Lächeln auf seine Lippen und damit war wohl die Situation vorläufig gerettet.
 

„Hast du schon gegessen, Sara? Gut. Dann machen wir uns jetzt gleich auf den Weg,“ bestimmte Tony, nachdem MacLane’s Jüngste genickt hatte.
 

Robin sowie Mark und Björn verfolgten das Geschehene mit einem mehr als fragenden Blick, aber von der Unterhaltung hatten sie nichts mitbekommen. Sie belauschten schließlich ihre Kundschaft nicht. Auch wenn ihnen die Neugier mitten ins Gesicht geschrieben stand. Wenn es etwas gab, was sie wissen sollten, dann würde man es ihnen schon irgendwie und irgendwann sagen.
 

„Ich frage Chris nachher. Irgendwas ist da im Busch,“ sagte Robin und machte sich dann dran, die verlassenen Tische abzuräumen und abzuwischen.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Black wartete im Flur vor der Intensivstation auf den Arzt.
 

„Hi. Auch schon wieder mal da?“ hörte er die bekannte Stimme des Arztes.
 

„Doktor Brian Foster! Ja, auch wieder hier. Wenn das so weitergeht, kann ich hier bald meine Zelte aufschlagen,“ grinste er ein wenig wehmütig.
 

Denn die Situation war alles andere als angenehm. Aber das war sie wohl nie, wenn man Gast auf der Intensivstation war.
 

„Ryo MacLane?“
 

„Ja. Sagen Sie bloß nicht, dass Sie für ihn zuständig sind?“
 

„Eigentlich nicht. Aber Freunde von mir behandle ich selbst. Gerade in diesem speziellen Fall.“
 

„Haben Sie was neues?“
 

„Nun, Mr. Black, das kommt darauf an, was Sie bereits wissen.“
 

Grob umriss Aaron das, was er von Mick erfahren hatte.
 

„Das toxikologische Ergebnis liegt vor, warten sie einen Moment.“

Foster ging kurz in das Schwesternzimmer, nahm sich die Akte, warf einen Blick hinein und kam auch schon zu Black zurück auf den Gang.

„Wenn Sie mir folgen möchten... Es ist nicht gerade bequem, so etwas auf dem Korridor zu besprechen.“
 

Aaron ahnte schlimmes. Aber ihm blieb keine Wahl, wenn er mehr erfahren wollte, musste er ihm folgen.
 

Im Arztzimmer angekommen bot Brian Aaron einen Stuhl an, den dieser aus Sicherheitsgründen nicht ausschlug. Das folgende Angebot für einen Kaffee jedoch lehnte er dankend ab.
 

„Schonungslos, bitte,“ bat er und richtete sich schon mal auf alles ein.
 

„Nun. Ryo wurde über Wochen Gift zugefügt. Einmal sogar in größeren Mengen, was zu sofortigen Zahnfleischentzündungen führte. Er wird daraufhin bereits behandelt. Da es sich um ein bekanntes Gift handelt, haben wir es leichter.“
 

„Es fiel vorhin die Vermutung von Strychnin?“
 

„Stimmt. Das wurde auch bestätigt. Ein gängiges Gift, das viele sogar wissentlich einnehmen, um so Vergiftungen vorzubeugen. Eigentlich stärkt es nach und nach die Abwehr, aber dazu war wohl die Dosis zu klein, oder die andere Dosis zu hoch.“
 

„Ich vermute mal, da kommt noch mehr?“ mutmaßte Black und lag damit völlig richtig.
 

„Durch die Vergiftung sind auch innere Organe in Mitleidenschaft gezogen worden. Ganz besonders das Herz und die Leber. Von der Niere mal ganz zu schweigen.“
 

„Damn!“
 

„Ja, ich kann es nachfühlen. Hinzu kommt, dass sein Allgemeinzustand eine Operation nicht zulässt. Wir versuchen, ihn soweit zu stabilisieren, dass wir in wenigstens in ein oder zwei Tagen operieren können.“
 

„Sie sagten doch nur was von ‚in Mitleidenschaft gezogen’, warum dann eine OP?“
 

Foster, eigentlich ein Arzt, der zu allen Patienten gleich und ehrlich war, hatte nun aber ein Problem. Denn das, was er in dieser Akte gelesen hatte, war schon unglaublich und es nun auch noch auszusprechen, machte es nicht leichter, aber sollte er einem anderen wirklich davon berichten? Welches Recht nahm sich Black da heraus? Eigentlich müsste er Dee darüber informieren und nicht einen eigentlich Unbeteiligten, wohl eher nur Freund der Familie.
 

„Ist es so schlimm?“ unterbrach Aaron die Gedanken des Arztes.
 

„Das bleibt unter uns. Sie werden es keinem sagen. Auch nicht Ihrem Freund und schon gar nicht Dee MacLane,“ verlangte er von Black ein Versprechen, dass dieser nach kurzem Zögern gab.
 

Schließlich belastete er sich somit mental selbst noch mehr und mit diesem Versprechen konnte er es sich noch nicht einmal von der Seele reden.
 

„Bei genauerer Untersuchung haben wir einen Haarriss in der Leber festgestellt. Wenn dieser reißt...“
 

Mehr sagte er nicht. Brian konnte auch so sehen, dass Aaron ihn verstanden hatte. Ryo’s Leben hing also förmlich am seidenen Faden. Nur gut, dass Dee noch nichts von der Rettung seines Mannes erfahren hatte.
 

„Was... War das alles?!“
 

„Nun. Der Rücken ist offen, entzündet und vereitert, und er hatte eine noch relativ frische Wunde am Oberschenkel. Aber wir können ihn nicht groß bewegen. Jede Bewegung kann zum Platzen der Leber führen.“
 

„Weiß es Dee?“ fragte er leise. Nein, er konnte diese Verantwortung nicht alleine tragen. Nicht diesmal.
 

„Nein. Wir halten es noch geheim. Ich habe das veranlasst und jedem, der sich verplappert, mit Rauswurf gedroht. Dee hat ihn schon einmal verloren und ihn wieder gefunden. Noch so etwas würde auch ihn zerstören und wir müssen dabei auch Sara bedenken.“
 

„Gut. Meine Leute haben ebenfalls Schweigepflicht geleistet. Tun Sie Ihr bestes, Doktor. Ich vertraue Ihnen.“
 

~~~~ 27. Revier ~ Zellentrakt ~~~~
 

Ross wartete in aller Ruhe, bis der dort zuständige Wachmann ihm die Tür öffnete und ihn in den reviereigenen Zellentrakt ließ. Viele saßen nie hier, meinst nur welche, die über den Durst getrunken hatten und solche, die verdächtigt wurden, eine Straftat begangen zu haben. Diese warteten dann hier auf ihren Anwalt oder darauf, dass Anklage erhoben wurde. Doch zu diesen wollte er nicht.
 

„Commissioner!“ sagte der Wachhabende und ging Barclay voraus zu der gesuchten Zelle.
 

Noch immer wusste Ross nicht, wo Ryo gefunden worden war und ob mögliche Spuren vorlagen, deswegen entschloss er sich, erst einmal zu dem Fund nichts zu sagen.
 

„Hat er etwas gesagt?“ fragte Barclay und blieb einige Schritte stehen, wollte erst einige Fragen geklärt haben.
 

„Er verlangt ständig, jemanden anrufen zu wollen, und Sie wollte er sprechen. Dann war eine Weile Ruhe, bis er vor einer Stunde wieder danach verlangte, endlich jemanden sprechen zu können. Seit zehn Minuten ist er ruhig, Sir.“
 

„Haben Sie mit ihm über die Inhaftierung gesprochen?“
 

„Nein, Sir,“ tat der Wachhabende überrascht. „Sir, das steht mir nicht zu. Ich passe nur auf, dass die mir hier Anvertrauten keinen Dummheiten machen.“
 

„Gut, Officer. Den Rest des Weges schaffe ich schon allein.“
 

„Wenn Sie mich brauchen, Commissioner, dann rufen Sie mich, ich bin wieder in meiner Stube.“
 

Damit ging der Wachoffizier zurück und Ross ging die wenigen Meter, bis er der Zelle von Patrick McNear gegenüber stand.
 

Sofort sprang dieser von seiner schmalen Pritsche auf. Viel gab es nicht dort drinnen. Denn man wollte ja nicht, dass es sich die Gefangenen vielleicht noch gemütlich machten. Eine Pritsche, mehr war nicht. Selbst ein Stuhl oder Tisch fehlten. Doch das war auch überflüssig, weil es hier nur Durchgangsverkehr gab.
 

„Lassen Sie mich sofort hier raus, oder es wird für Ihr Revier Konsequenzen haben,“ fuhr er den Commissioner an, legte dabei seine Finger um die dicken Eisenstangen, so fest, dass man die Knöchel weiß hervortreten sehen konnte.
 

Ross ließ sich Zeit, hob die Akte, die er mitgenommen hatte, hoch und schlug diese auf. In aller Ruhe las er nochmals die dort festgehaltene Aussage des Polizisten, der McNear festgenommen hatte.
 

„Ross!“ drohte Patrick allein schon mit dem Namen, doch auch dies ließ den Angesprochenen äußerst kalt.
 

Wenn er der Entführer war, wie alle vermuteten, dann müsste ihm nun der Arsch auf Grundeis gehen, weil er zu Ryo musste? Oder warum zeterte er so, wenn er wusste, was man gegen ihn in der Hand hatte?
 

In aller Ruhe holte er einen Stuhl, stellte den kleinen tragbaren Kasten, den er mitgebracht hatte, darauf, drückte die Aufnahmetaste. Gut sichtbar für Patrick.
 

„Das Gespräch wird aufgezeichnet. Ich hoffe, Sie haben keine Einwände. Es dient zu Ihrem und zum Schutz der Polizei,“ erklärte Ross.
 

„Nein, mir egal... ich will endlich...“
 

Doch Ross ließ ihn erst gar nicht mit dem, was Patrick sagen wollte, ausreden, sondern unterbrach ihn.
 

„Wie ich hier sehe, wurden Sie an einem Ort festgenommen, der zu einem Tatort deklariert wurde. Würden Sie sich dazu äußern? Oder warten Sie, McNear, bevor Sie etwas sagen, muss ich Ihnen wohl Ihre Rechte vorlesen.“ Barclay kramte einen Zettel aus der Tasche und begann.

„Sie haben das Recht zu schweigen...“
 

„Ich kenne meine Rechte...“
 

„... alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht...“
 

„Verhaften Sie mich?“
 

„... gegen Sie verwendet werden...“
 

„Sie machen sich lächerlich, Commissioner...“
 

„Sie haben das Recht auf einen Anwalt.“
 

„Das ist eine Farce...“ stöhnte Patrick.
 

„Wenn sie sich keinen leisten können...“
 

„Sie meinen das wirklich ernst?!“ McNear schüttelte den Kopf über so viel Sturheit.
 

„...wird Ihnen vom Gericht einer gestellt. Haben Sie Ihre Rechte verstanden, Mr. McNear?“
 

„Welches Verbrechens werde ich denn beschuldigt?“
 

„Ich fragte, ob Sie Ihre Rechte verstanden haben.“ Ruhig sah Ross den Gefangenen an, das einzigste, was sich bei ihm regte, war eine Augenbraue, die sich langsam in die Höhe schob.
 

„Ja, habe ich. Bekomme ich nun Antworten?“
 

„Die Fragen stelle ich, sofern Sie mir die Antworten geben! Oder bestehen Sie auf einen Anwalt?“
 

„Nein. Fangen Sie endlich an, damit wir das hier beenden können.“
 

„Was taten Sie am Mittwoch, dem 18. August um 2 Uhr 13 in der Pellstreet in einem versiegelten Apartment?“
 

„Ich erhielt einen Anruf, dass dort etwas ungewöhnliches wäre.“
 

„Einen Anruf? Von wem?“
 

„Wieso verhören Sie mich hier unten und nicht wie gewöhnlich in den oberen Verhörräumen?“ fragte Patrick, dem das ganze hier nicht gefiel, ganz und gar nicht gefiel.
 

„Sicherheitsgründe, Mr. McNear. Bitte beantworten Sie meine Frage!“ blieb Ross unverbindlich freundlich. Es war schließlich nicht sein erstes Verhör und diese Frage von Patrick war durchaus berechtigt. Aber er befürchtete, dass dieser flüchten könnte, und somit...
 

«Das wäre der Beweis, vielleicht sollte ich doch...»
 

Kurz wog er es ab.
 

«Was, wenn er zu Ryo fahren will, feststellt, dass er nicht mehr dort ist und dann flitzt... aber Black wird bestimmt Wachen aufgestellt haben... ihm unterläuft kein Fehler...»
 

Sein Handy klingelte.
 

„Sie haben Recht, McNear. Wir werden das Gespräch in bequemere Räume verlegen. Einen Kaffee könnten Sie wohl auch gebrauchen. Ich lasse Sie gleich hochbringen,“ erklärte er, während er sein Telefon hervorfischte und sich dann von dem Gefangenen entfernte. Die Stimme von Patrick im Nacken, der nun auch verlangte, zu telefonieren.
 

„Mir steht ein Anruf zu,“ rief er hinter Barclay her, der sich umdrehte, zu der Zelle zurückkam. Doch dort nahm er lediglich das Aufnahmegerät vom Stuhl, schaltete es aus.
 

„Sie bekommen Ihren Anruf, sobald wir offiziell Anklage gegen Sie erheben.“
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Black hatte soeben mit dem Commissioner geredet und auch dieser hielt es für besser, Dee vorläufig noch nichts von Ryo zu erzählen. Obwohl dies eine schwerwiegende Entscheidung war, denn schließlich konnte so etwas auch nach hinten losgehen. Das war Black nur zu bewusst. Schon einmal hatte er Dee Ryo’s Leben verheimlicht und ihn in Wochen von Trauer gestürzt. Aber wie der Arzt gesagte hatte: Dee hatte ihn schon einmal verloren, noch einmal würde er es einfach nicht verkraften. Jedenfalls nicht, wenn er erst erfuhr, dass er gerettet war.
 

Auf dem Weg zu den beiden Cops traf er dann auch auf Sara, die in Begleitung von Steve und Tony war. Ein ruhiger Blick streifte die beiden, die sich trotz der Lage aneinander erfreuten. Ja, so war es immer. Egal, wie hart die Wirklichkeit auch zuschlug. Es gab ein danach.
 

Steve blieb kurz neben seinem Chef stehen, sprach leise mit ihm, doch viel erfuhr er nicht. Nur, dass es Ryo nicht gut ging und dass sich der Arzt dafür ausgesprochen hatte, Dee erst einmal nichts von seinem Ehemann, der nun auf der Intensivstation versorgt wurde, zu erzählen.
 

Diese Nachricht sagte Steve mehr als alles andere, dass Ryo’s Leben am sprichwörtlichen seidenen Faden hing. Er nickte ruhig und versucht dabei, so gelassen wie möglich zu sein. Tony wusste zwar, dass der ältere der MacLane’s gefunden war, aber er würde alles andere von ihm fernhalten. Auch wenn es ihm schwerfallen würde.
 

Trauer schlich sich in seinen Blick, nur zu gut konnte er sich an Dee erinnern, wie er gebrochen nach Ryo geschrieen hatte, kurz bevor er zusammengesackt war. Nein, noch mal erst Hoffnung, dann ein weiterer Schicksalsschlag, nein, er konnte sich recht gut an sich selbst messen, wie es in ihm aussehen würde.
 

Schließlich hatte er auch gedacht, Tony verloren zu haben. Diese Leere in ihm, und hätte er nicht so schnell von seinem Überleben erfahren, dann wäre er wohl nicht mehr in der Lage, nun bei Sara zu weilen. Sara... die Kleine, die schon so viel mitgemacht hatte. Nein, wenn sie einen ihrer Eltern verlor, das konnte sie wohl nur dann verkraften, wenn der andere an ihrer Seite blieb. Beide zu verlieren würde auch die Kleine in ein tiefes seelisches Loch stürzen. Sie brauchte Dee und Dee brauchte Sara, ganz klar. Dieser Familie stand eine schwere Prüfung bevor, noch schwerer, als die, die sie bereits hinter sich hatten, und Steve wollte auf keinen Fall mit ihnen tauschen. Aber er würde an ihrer Seite sein, so lange sie es wollten und er die Kraft dazu aufbringen konnte.
 

„Alles klar?“ hörte er die vertraute und geliebte Stimme von Tony neben sich. Er versuchte ein kleines Lächeln, das ihm nicht ganz gelingen wollte.
 

„Ja... es geht schon,“ versuchte er ihn zu beruhigen, doch seine Augen blickten voller Trauer in die Welt.
 

„Ist es...“ Tony brauchte den Namen nicht auszusprechen, Steve verstand auch so. Nur gut, dass Black mit der Kleinen schon vorgegangen war.
 

„Es sieht wohl noch schlimmer aus, als wir schon befürchtet haben. Genaues hat er nicht gesagt, wird er auch nicht. Aber bitte, Tony. Halte dein Wort. Dee würde zerbrechen, wenn wir ihm jetzt Hoffnung geben und er ihn dann erneut gehen lassen muss.“
 

„Wäre es nicht besser, ein wenig hoffen, als nichts... diese Angst, die er in sich trägt, sich jeden Tag fragt, ob Ryo noch lebt... Ich halte es für falsch. Ich würde lieber den ganzen Tag an deinem Bett wachen, als diese Angst in mir zu spüren, nicht sicher sein zu können, ob ich dich jemals wiedersehe. Jeder Tag an deinem Bett wäre mir mehr wert. Aber ich habe das wohl nicht zu entscheiden... Und ja, auch wenn ich weiß, dass es falsch ist, werde ich zu meinem Wort stehen.“
 

Bestimmt drehte er sich von seinem Freund ab, konnte ihn nicht wirklich verstehen. Energisch ging er auf das Zimmer von Dee und Chris zu, ließ Steve mit seinen Gedanken und Gefühlen mitten auf dem Krankenhausflur zurück.
 

~~~~ Battery Park ~ Castle Clinton ~~~~
 

Jim Cambel fühle sich nicht gerade wohl, als er von einem Soldaten bewacht in einen unterirdischen Gang geführt wurde. Viel redete der Soldat auch nicht. Meistens waren es nur Wegweisungen. Nur eins war ihm nun klar, warum er alleine hierher kommen sollte und warum er nicht sein ganzes Team mitschleifen durfte. Es handelte sich hier wohl um ein militärisches Geheimnis. Ein Geheimnis, welches wohl nicht mehr ganz so geheim war.
 

Zwei Räume sollte er untersuchen. Gut, er hatte alles dabei und die anwesende Militärpolizei sicherte ihm sogar Unterstützung zu. Immerhin etwas, dachte sich Jim, als er sich weiter von dem schweigsamen Soldaten führen ließ.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

„Gibt es nichts neues?“ fragte Dee ruhig nach. Seine Tochter lag in seinem Arm.
 

Seine Wunde schmerzte kaum noch. Er konnte sich sogar schon setzen und war heute morgen sogar schon einige Schritte gegangen. Doch dann kamen auch diese Zeiten, in denen er sich fragte, warum er überhaupt kämpfte, um wieder auf die Beine zu kommen. Jeden Morgen fragte er sich dies. Die Antwort erhielt er nur, wenn er Sara sah. Ihren Engel, ihren Sonnenschein. Sie brauchte ihn. Dennoch die Sehnsucht nach Ryo, die Angst, die ihm das Atmen schwer machte, wurde stärker. Er fühlte ihn nicht mehr, spürte ihn nicht mehr und das erhöhte die Angst in ihm, doch diese konnte er keinem mitteilen.
 

Damals, es kam ihm wie Jahre vor, als er ihn im Feuer verloren glaubte, selbst dort hatte er tief in sich nicht an Ryo’s Tod geglaubt, aber nun? Es war lange her, dass er ihn gehört, gespürt hatte.
 

Resignierte er, gab er ihn auf? Wenn er realistisch war und davon ausging, dass der Bomber, dieser Fulton, Ryo entführt hatte, dann wäre es möglich, dass er bereits verhungert oder verdurstet war.

Aber gab es nicht auch diese Theorie, das mit McNear? Seit dem Tag, als Patrick ihm von einem Leichenfund erzählt hatte, spürte er diese Angst, dass er Ryo nie wieder sehen würde. Egal was er auch fragte, ständig wich man ihm aus. Selbst Chris erfuhr nichts mehr. Jeder Tag war schwerer für ihn. Wäre Sara nicht, dann hätte er die Hoffnung aufgegeben. So leer fühlte er sich.
 

Sein Blick glitt von Sara zu Aaron und von dort zu Steve und Tony. In Black’s und Cotton’s Blick konnte er etwas sehen. Trauer, Schmerz und eine ungewisse Hoffnung. Doch damit anfangen konnte er nichts.
 

„Habt ihr ihn gefunden?“ fragte er erneut und hoffte diesmal auf eine Antwort.
 

„Wir haben eine Spur, wir sind dran, Dee!“
 

„Pah!“ schnaubte Tony. „Ich bin draußen. Sorry, Dee. Aber die Luft hier drin bekommt mir nicht.“
 

Ungläubig sahen Dee und auch Chris ihm nach. Normalerweise war es Tony, der sich hier stundenlang bei ihnen aufhielt, sie versuchte abzulenken oder einfach nur da war. Ihn nun so rasch verschwinden zu sehen, machte den beiden Liegenden klar, dass etwas nicht stimmte.
 

„Was ist los?“ mischte sich nun auch Chris in das kaum vorhandene Gespräch ein.
 

„Ich geh ihm nach,“ hörte man Steve’s Stimme, bevor auch er das Krankenzimmer verließ und Black mit dieser Frage allein zurückließ.
 

Dieser zog einen Stuhl in die Mitte, setzte sich drauf und schlug die Beine übereinander. Ruhig legte er seine Hände auf die Knie, schaute dann von Dee zu Chris, bevor er den Blick auf den schwarzhaarigen Cop legte.
 

„Wir haben eine Spur,“ wiederholte er erst einmal den Satz, den er eben schon einmal von sich gegeben hatte. Ruhig schaute er dabei Dee an, der Sara fest in seinem Arm hielt. Seine einzigste Stütze.

„Du musst mich verstehen, Dee. Aber ich werde dir keine Details erzählen. Nur so viel, dass wir hoffen, ihn lebend zu finden.“

Wie sollte er es sagen, ohne dass Dee austickte. Am besten geradeheraus, denn der Cop, einer von beiden auf alle Fälle, würde sofort bemerken, wenn er mehr als das jetzige schon verheimlichen würde.

„An der Leiche, die in dem Park gefunden wurde, hat man Spuren von Ryo entdeckt.“
 

„Spuren?“ Dee hielt den Atem an. Er lebte? Warum konnte er ihn dann nicht spüren?
 

„Aaron?“ erklang die Frage von seinem Halbbruder.
 

„Frische Spuren. Wir wissen, dass er wenigstens vor einigen Tagen noch gelebt haben muss.“
 

„Was für Spuren?“ verlangte Dee energisch zu wissen. Egal was es war, es war ein Zeichen, dass er lebte. Hoffnung keimte neu in ihm auf.
 

„Sie fanden Sperma und Blut.“
 

Das was Black sagte, konnte er auch in den Akten finden, deswegen brauchte er daraus kein Geheimnis zu machen. Nur dass der Gesuchte nur einen Stock höher über ihnen lag und um sein Leben kämpfte, das behielt er noch für sich.
 

„Er lebt... Ryo lebt.“ Das war das Positive, was Dee für sich speicherte. Etwas, das ihm Mut machte, weiter zu leben.
 

Black konnte förmlich sehen, wie Dee’s Gesicht anfing zu strahlen, jedenfalls für einen kurzen Moment. Denn diese Spur hieß nicht, dass er übeleben würde.
 

„Ich hätte es dir gesagt, aber es gibt so viele Hinweise, deswegen werde ich jetzt auch wieder gehen. Tony wird die Kleine nachher wieder abholen,“ erklang Black’s Stimme, als er sich auch schon erhob und den Stuhl zurückschob. „Ich muss los. Mir ist was wichtiges eingefallen.“ Damit ging er einfach.
 

„Hast du gehört... er lebt.“
 

„Ja. Dee?“
 

„Ja?“
 

„Er verheimlicht etwas. Ich sah es in seinen Augen. Das, was er uns hier aufgetischt hat, hätte dir jeder sagen können. Jeder, der Zugang zu den Akten hat. Nein, da ist noch was... etwas... du hast es doch auch in den Augen von den beiden gesehen. Tony... Wir sollten Tony nachher befragen. Er scheint es auch zu wissen, aber nicht mit dem einverstanden zu sein, was...“

Chris verstummte, das was ihm bei seinen Worten eingefallen war, gefiel ihm nicht. Nicht um Längen.

„Wenn das stimmt, kann er was erleben...“ knurrte er leise, doch nicht leise genug, dass Dee nicht hellhörig geworden wäre.
 

Dee sah Chris an, strich gedankenversunken über das blonde Haar ihres Schatzes. Stimmt, es war ihm auch aufgefallen, und dieses Schnauben von Tony. Da passte etwas wirklich nicht richtig zusammen. Und dann diese Worte von Chris. Sollte Black...? fragte sich Dee ruhig.
 

„Du meinst, dass sie ihn gefunden haben?“
 

„Was?“ Chris drehte sich zu Dee. Setzte sich dann auf, bevor er langsam durch das Zimmer streifte. „Könnte sein...“
 

„Warum sagen sie es dann nicht?“
 

„Um dich zu schützen? Um den Entführer zu verwirren? Ich weiß es nicht... aber es würde zu Black passen.“
 

„Mich zu... Du meinst, er ist...“

Dee stockte der Atem. Spann den Faden, den er laut angefangen hatte, in seinen Gedanken weiter und konnte nach einigen Minuten sogar verstehen, warum Black schwieg. Sollte das denn wirklich der Fall sein, dass Ryo gefunden war?
 

Chris hingegen sprach das aus, was Dee nur dachte.
 

„Er ist vielleicht schwer verletzt, ausgemergelt, was auch immer. Jedenfalls scheint er um sein Leben zu ringen... Um dich zu schützen... dir nicht erst Hoffnung zu geben, schweigen sie, bis es ihm besser geht, oder...“
 

Dee sah, dass seine Überlegungen laut ausgesprochen genauso brutal waren, wie sie sich angehört hatten. Wollte es nicht wirklich einsehen, dass Black ihn schon das zweite Mal so hinterging. Ihm eine Wahrheit vorspielte, die keine war. So was war doch kein Freund.
 

Die Tür öffnete sich und Steve betrat allein das Zimmer.
 

„Ich wollte Sara holen,“ sagte er ruhig.
 

Der Streit, den er eben mit Tony gehabt hatte, war heftig gewesen und hatte an seinem bisschen Substanz gezehrt. Nun fühlte er sich nur noch leer und hohl.
 

„Habt ihr Ryo gefunden?“ erklang die energische Stimme von Dee in dem Raum, prallte voll gegen den ungeschützten Steve, der den Blick hob und ihn traurig anblickte.
 

Was sollte er auf diese Frage antworten. Nein! Musste er ihn anlügen? Konnte er es denn überhaupt? Den Menschen, der ihm so viel geholfen hatte, dem er so viel verdankte?
 

„Nur Sara... Bitte Dee!“ brachte er müde hervor und taumelte dann auf das Bett zu, bevor er davor zusammensackte. Seine Energie war verbraucht. Sein Körper verlangte Ruhe, genauso wie seine Seele.
 

**** TBC

Donnerstag – 19. August

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Jim Cambel saß im Büro des Commissioner’s und wartete darauf, dass dieser von der Toilette zurückkam. Die Akte wog schwer auf seinem Schoß. Die letzten Stunden waren alles andere als angenehm für ihn gewesen. Zuerst diese Untersuchung in diesem Geheimobjekt, welches er auch in seinem Bericht nicht namentlich benennen durfte, und schließlich die Auswertung der Daten, die er dort gefunden hatte.
 

Viele waren es nicht gewesen. Nein, eigentlich kaum der Rede wert. Aber genau solche Beweise waren meist nötig, um Verbrecher zu überführen. Und genau das beabsichtigte Jim nun in Zusammenarbeit mit Ross Barclay auch zu tun.
 

„Die Zeit läuft mir weg. Ich hab ihn nur noch bis morgen früh, dann muss ich ihn laufen lassen oder Anklage erheben,“ murrte Ross, als er in sein Büro zurückkam.
 

Von wem er da sprach, war Cambel klar.
 

Patrick McNear.
 

„Sag mir bitte, das du was hast?“ ließ er sich in seinen Ledersessel fallen und blickte quer über den Tisch zu dem Spurensicherheitsexperten seines Reviers.
 

„Was ist mit seiner Wohnung?“ fragte Jim. „Kannst du die nicht durchsuchen lassen? Verdacht besteht doch?!“
 

„Der Richter will Beweise. Wenigstens einen, der einen Durchsuchungsbefehl rechtfertigen würde.“
 

„Und was ist mit dem Tatort und der daraus sichtbaren Entführung von Sara MacLane?“ hakte Jim nach.
 

„Das reicht ihm nicht. Weil wir nicht sicher sagen können, dass er es war.“
 

„Und Sara?“
 

„Verdammt, du hast recht. Ich hab einfach zu viel im Kopf. Seh das offensichtliche einfach nicht mehr. Gut dass ich dich habe, Jim,“ grinste er und griff gleich zum Hörer, um Black anzurufen, damit dieser die kleine MacLane aufs Revier brachte.
 

Nach dem Gespräch wandte er sich dem Forensiker erneut zu.
 

„So, Jim! Hast du was an dem Ort gefunden, der so geheimnisvoll behütet wird?“
 

„Ja, einige Spuren. Deswegen bräuchte ich auch welche von McNear’s Wohnung, um sie zur Not abzugleichen. Einige Fasern habe ich schon zugeordnet. Steht alles in meinem vorläufigen Bericht. Sie stammen aus der Wohnung des Bombenlegers. Blutpartikel sind identisch mit der Blutgruppe von dem Toten aus dem Jeanelle Park. Gary Logan. Andere sind eindeutig von MacLane,“ erklärte er und legte die Akte nun auf den Tisch. Ließ Barclay die Zeit, um diese ein wenig zu studieren.
 

„Demnach steht fest, dass Ryo dort festgehalten wurde.“

Er besah sich auch die Bilder, die von einem der MP gemacht und freigegeben worden waren. Ketten, die von der Decke hingen und an der Wand befestigt waren. Selbst mit bloßem Auge konnte er die Blutspritzer an der Wand erkennen. Das Stoffknäuel ebenfalls stellenweise blutig. Nur ungern malte er sich aus, was Ryo dort alles durchlitten hatte. Wut brandete in ihm auf, wenn er nur daran dachte, dass er diesen Sadisten womöglich in Gewahrsam hatte.
 

„Gibt es schon was neues über den Zustand von ihm?“
 

„Bisher nichts neues. Er lebt, heißt es nur.“
 

„Und Dee?“
 

„Er weiß es wohl. Hat es irgendwie rausbekommen. Ist auch besser so. Auch wenn ich anfangs anderer Meinung war,“ gab Barclay kund und schloss die Akte.
 

„Ich werde mich um McNear kümmern. Immerhin sitzt er jetzt lange genug dort unten.“

Energisch stand er auf.

„Sobald ich den Durchsuchungsbefehl habe, melde ich mich.“
 

„Okay. Ich hoffe nur, dass das bald rum ist. Du brauchst mal wieder etwas mehr Ruhe,“ meinte Jim, strich ihm fürsorglich über die Stirn hinunter zur Wange. „Ruhe... ich weiß, du liebst deinen Beruf, aber in letzter Zeit frisst er dich auf.“
 

„Ich weiß... Bald... dann machen wir zwei Urlaub.“
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Nachdem Steve ohnmächtig geworden war, hatte Chris so lange Terror gemacht, bis Doktor Foster erschienen war. Denn keinen anderen Arzt hatte Dee sehen wollen. Nur diesem schien er zu vertrauen. Wenn Brian sagen würde, dass Ryo hier nicht lag, dann würde er es glauben. Doch nachdem er mit ihm gesprochen hatte - Sara war bei einer Krankenschwester geblieben, um sie nicht damit zu belasten - bekam Dee eine Beruhigungsspritze, die ihn schlafen ließ.
 

Brian klopfte kurz an, trat dann auch gleich ohne Aufforderung ein. Chris erhielt lediglich ein kurzes Nicken, während sich der Arzt zu Dee begab. Wie selbstverständlich maß er in aller Ruhe den Puls.
 

„Die Spritze scheint noch zu wirken,“ meinte der weißbekittelte Arzt mit ruhiger und gefasster Stimme.
 

„Ich will zu Ryo.“
 

„Ich weiß. Deswegen bin ich hier, Dee. Und ich werde dich auch nicht abhalten, ihn zu sehen. Dennoch möchte ich dich vorwarnen.“
 

„Er ist mein Mann, ich habe ein Recht dazu.“
 

„Hör mich doch bitte erst einmal an,“ bat Brian mit ernster Stimme.
 

„Ich weiß, wie Entführungsopfer aussehen, also brauchst du mir nichts zu sagen,“ wurde Dee nun energischer. Wenn er diese Spritzte nicht bekommen hätte, dann wäre er noch gestern abend gleich zu ihm geeilt, aber nein, sie mussten ihn außer Gefecht setzen. Nun war er zwar äußerlich ruhig, aber innerlich brodelte es. Er musste ihn einfach sehen. Verstand es denn niemand?
 

„Nur kurz.“
 

„Nein... mir geht’s gut. Ich bin okay und ich werde nicht mehr von seiner Seite weichen.“
 

„Was ist mit Sara? Sie braucht dich auch.“

Musste Chris ihn wirklich daran erinnern, dass Ryo nicht der einzigste war, der ihn brauchte. Wenn er sich auch nur ungern einmischte, aber Dee brauchte wohl eine objektive Sichtweise und die würde er für ihn behalten.
 

„Was soll ich denn tun?“

Dee versuchte mit aller Macht, seine inneren Gefühle nieder zu ringen, doch er war machtlos. Tränen standen in seinen Augen. Tränen, die er nicht mehr zurückhalten konnte. Viel zu lange hatten sie sich in ihm aufgestaut. Viel zu lange war er zu tapfer gewesen, für sich und für seine Tochter. Nun brauchte er noch Kraft für Ryo. Kraft, die er im Augenblick nicht in sich fand, aber finden musste.
 

„Ist schon okay... lass dir Zeit, Dee.“
 

„Doc? Wie stehen die Chancen?“ fragte Chris ruhig. Damit Dee die Zeit nutzen konnte, sich wieder zu fangen.
 

„Er hält sich tapfer. Wir halten ihn ruhig. Seine Werte sind besser geworden und wenn es so weitergeht, werden wir ihn heute oder morgen operieren können.“
 

„Ist er... ist er...“ Dee war sich nicht sicher, was er fragen wollte, oder doch schon, aber er hatte auch Angst davor, diese Frage zu beenden.
 

„Gestern sah es schlimmer aus, Dee. Ich sage noch nicht, dass er über den Berg wäre, aber seine Chancen steigen mit jeder Stunde, mit jeder Minute, die vergeht. Er kämpft... weil es für ihn noch was gibt im Leben... Deswegen bin ich auch froh, dass Mr. Black gestern abend noch zu mir gekommen ist und mich umgestimmt hat. Ich wäre gestern auf alle Fälle gekommen, um dich zu informieren, Dee.“
 

„Black war bei Ihnen?“

Unglauben sprach aus der Frage von Chris Jackson. Deswegen war also sein Halbbruder so plötzlich verschwunden. Irgendwie erleichterte es ihn.
 

„Ja. Er hielt mir vor, dass ich damals ihn gezwungen hätte, Sara herzubringen, damit Dee kämpfen sollte, und nun wollte ich Ryo abschotten. Auch wenn ich glaubte, richtig zu handeln. Ich sah Dee, sah ihn nach diesem Feuer. Und ich wollte ihn einfach nochmals vor Schmerz bewahren. Aber mir ist er danach klar geworden, dass jede Stunde, die sie noch miteinander verbringen konnten, egal wie das Schicksal auch entscheiden würde, ein Geschenk war. Deswegen war ich auch so schnell da, als nach mir verlangt wurde. Wir haben alle falsch gehandelt. Und es tut mir leid, Dee. Aber es war zum Schutz.“
 

„Ich kann dich verstehen, Brian... Aber ich kann dir noch nicht verzeihen. Kann ich jetzt zu ihm?“
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Black hatte Ted gebeten, den Gefangenen McNear ins Verhörzimmer Nummer drei zu bringen. Dort saß dieser nun und wartete auf den Commissioner. Doch dieser hatte erst noch was viel wichtigeres zu tun.
 

„Sara MacLane, das hier ist ein Tonband. Das zeichnet das auf, was du mir jetzt sagen möchtest. Verstehst du?“
 

Sara nickte und brachte sowohl den noch anwesenden Black als auch Ross zum Schmunzeln. Ernst sah die Fünfjährige in die Runde. „Ja!“ meinte sie dann. Irgendwie wirkte sie eingeschüchtert. Sie wollte zu ihrem Dad. Aber Onkel Aaron hatte ihr versprochen, dass sie später zu ihm durfte. Sie wusste nicht, was genau passiert war, aber seit man sie gestern von ihrem Dad weggebracht hatte, spürte sie, dass etwas passiert war. Sie wusste nur nicht, ob gut oder schlecht, und deswegen wirkte sie verletzlich.
 

„Wir tun dir nichts. Du darfst auch gleich wieder zu deinem Dad. Der freut sich bestimmt schon, dich wiederzusehen,“ lockerte Ross das Gespräch kurzfristig auf.
 

„Gut, meine Kleine. Du erinnerst dich doch an diesen Mann, der dich von dem Krankenhaus weggebracht hat?“
 

„Er hat mir weh getan...“ Sara legte ihre Hand in den Nacken. „Hat mich geschlagen... ich hab geschrieen, wie Dad und Daddy gesagt haben, aber es ist keiner gekommen und dann war alles dunkel,“ schilderte sie das, an was sie sich erinnern konnte.
 

„Weißt du wer das war, der dir weh getan hat?“
 

„Klar. Der war schon oft bei Dad im Krankenhaus. Chris mag ihn nicht. Ich auch nicht. Er hat mir immer Angst gemacht...“
 

Leise seufzte Barclay, so kamen sie wohl nicht weiter. Irgendwie musste er Sara dazu bringen, den Namen zu sagen, wenn sie ihn kannte, oder aber er machte eine Gegenüberstellung. Eigentlich hätte er bei dieser Befragung sogar einen Kinderpsychologen herbeiziehen müssen, aber da es nur eine informelle Befragung, eher eine Zeugenaussage war, hatte er davon Abstand genommen.
 

„Was hat der Mann dann mit dir gemacht?“
 

„Ich weiß nicht... als ich wach wurde... da hat er mir diese Dinger...“

Sara legte einen Finger an die Lippen und dachte scharf nach, jedenfalls sah es so aus. Das Näschen leicht gerümpft und die Stirn kraus. Ein wenig erinnerte es ihn an Dee, wenn er mal die Stirn wölbte. Aber bei Sara sah es um Längen besser aus.

„Handschellen... so heißen die...“ fiel es Sara dann plötzlich ein und riss Ross aus seinem Grübeln. „Er hat mir Handschellen umgemacht... mich im Bad an die Heizung gefesselt... ja... genau. Dann habe ich gewartet bis er ging... meinen Mund hat er zugeklebt... und als er weg war, habe ich... habe ich gegen die Heizung getreten... Daddy sagte mir, dass man das im ganzen Haus hört... Ich hab das mal aus Spaß gemacht und Daddy hat dann geschimpft... das ist mir eingefallen...“
 

„Das hast du sehr gut gemacht, Sara. Du bist ein kluges Köpfchen,“ lobte Ross.
 

„Kannst du dich an noch was erinnern, mein Schatz?“ fragte Black ruhig nach.

Eigentlich sollte sich dieser nicht einmischen, aber wer schon einmal versucht hatte, diesem den Mund zu verbieten, wusste schon, dass er da auf taube Ohren stieß.
 

„Mmmh...“

Wieder legte sich ein Finger an Saras Mund.

„Jaha... er sagte mir, dass er mich zu meinem Daddy bringt... aber dann wollte ich nicht mehr, weil er mich auf einmal so fest angefasst hat... und dann hab ich geschrieen und er hat mich geschlagen...“
 

„Du warst richtig mutig. Dein Dad und Daddy können wirklich stolz auf dich sein. Kannst du den Mann beschreiben, der dich entführt... mitgenommen und weh getan hat?“
 

Nun wurde es erst interessant. Auf alle Fälle war Sara nichts weiter schlimmes passiert. Es hätte auch anders ausgehen können. Das war dem Commissioner und auch dem Ladenbesitzer klar. Dee und Ryo hatten eine prachtvolle Tochter und sie hatten sie auch schon in diesen frühen Jahren nicht nur gut erzogen, nein, sie hatten ihr auch wirklich nützliches beigebracht.
 

„Ich weiß nicht... Dad nennt ihn immer Pat,“ fiel es ihr ein. Aber mehr konnte sie nicht dazu sagen.
 

„Sag mal, Sara. Wenn du ihn sehen würdest, würdest du ihn erkennen?“ verlangte er ruhig von dem fünfjährigen Mädchen zu erfahren.
 

„Ja, klar,“ gab sie freimütig Auskunft. Schließlich war dieser Kerl ja nicht direkt fremd gewesen.
 

„Warte mal kurz hier,“ meinte Ross, um kurz das Zimmer zu verlassen und etwas zu organisieren. Schließlich sollte es eher zufällig sein als geplant.
 

Nach einigen Minuten kam er zurück und ging vor Sara in die Hocke.
 

„So, meine kleine Miss MacLane. Du kannst jetzt gehen. Onkel Aaron wird dich zu deinem Dad bringen,“ entließ er Sara in der Hoffnung, dass seine kleine Inszenierung Erfolg zeigen würde.
 

Sara verließ an Aarons Hand das Büro, als hinter ihr eine Stimme erklang.
 

„Warum soll ich in ein anderes Zimmer? Und wann wird diese Farce hier beendet?“ nörgelte Patrick McNear, der von J.J. Adams gerade in ein anderes Verhörzimmer verlegt wurde.
 

„Sir, wir sollten Sie in Zimmer zwei bringen. Es ist mein Fehler. Der Commissioner wird auch gleich kommen.“
 

„Der da...“ erklang die leise Stimme von Sara neben Black, der sich so stellte, dass McNear die Kleine nicht sehen konnte.
 

„Der Mann dort hat dich entführt?“ fragte er leise nach, nachdem er sich ein wenig zu ihr runtergebeugt hatte.
 

Wild nickte Sara, so dass ihre Locken flogen.
 

„Ja...“ hauchte sie und klammerte sich an ihren Onkel Aaron. „Ich will zu Dad...“
 

„Sofort, mein Engel.“
 

Black nickte Ross wissend zu.
 

„Sie hat ihn identifiziert, Barclay... Patrick McNear hat Sara entführt,“ gab er das laut von sich, nachdem der Entführer bereits wieder im Verhandlungszimmer zwei verschwunden war.
 

~~~~ Medical Center ~ Intensivstation ~~~~
 

Dee’s Rollstuhl kam immer näher auf das Zimmer, hinter dem Ryo lag, zu. Brian hatte schließlich offen mit ihm geredet und der Dunkelhaarige verstand die Sorge des Arztes. Vor der Tür zögerte er kurz, doch dann drückte er sie energisch auf und schob den Rollstuhl durch die Öffnung.
 

Das erste, was ihm ins Auge stach, war die Infusionsstange mit drei Behältern, die alle mit dem Arm von seinem Mann verbunden waren. Das leise beständige Piepen beruhigte ihn aber. Auch wenn es nach einer Zeit wohl unangenehm in den Ohren hallte, so war es doch ein Zeichen, dass es Ryo gut ging. Jedenfalls wenn man den Geräten glauben durfte, die friedliche und gleichbleibende Töne von sich in den Raum schallen ließen.
 

Als er neben ihm stand, drückte er sich hoch. Den langen Weg hier rauf durfte er nicht laufen. Er sollte sich schonen, aber aus seiner sitzenden Position heraus konnte er Ryo nicht sehen. Nun stand er neben dem Bett und erkannte Ryo kaum wieder.
 

Durchscheinende Haut, dazu das blonde Haar, welches ihn noch blasser wirken ließ, umrahmt von einem weißen Kissen und einer weißen Bettdecke. So fahl und blass, dass man meinte, dass kaum noch Leben in dem dort liegenden Mann weilte.
 

«Kraft, Dee... gib ihm Kraft...» machte er sich selbst Mut, als er sich auf der Bettkante niederließ und langsam über die dünne Haut der Hand strich. Diese fühlte sich fast so an, als ob sie aus reinem Pergament wäre, so trocken. So spröde. Was musste Ryo alles erlitten haben.
 

„Ryo!“ hauchte er leise, beugte sich über seinen Mann.
 

Kosend streifte seine Fingerkuppe über die eingefallene Wange, berührte sie kaum. Aber die Reaktion von Ryo ließ ihn diese sofort zurückziehen.
 

Erschrockene, weit aufgerissene Augen blickten ihm entgegen. Sahen durch ihn hindurch, bis sie sich beruhigten, genauso wie das schnellere Piepen hinter ihm kurz vor dem alarmauslösenden Rhythmus halt machte und sich abflachte, bis das Herz wieder ruhiger schlug.
 

„Ich bin’s... Dee...“ sagte er leise, beugte sich erneut vor.
 

Seine Kehle schnürte sich zusammen, ihn so zu sehen. Da sah er selbst ja schon wieder wie das blühende Leben aus, stellte er ironisch fest.
 

„Dee!?“

Schwach, leise und heiser, brachte Ryo dieses Wort über die trockenen und spröden Lippen. Die zwar ständig befeuchtet wurden, aber auch in vierundzwanzig Stunden konnte ein Krankenhaus keine Wunder vollbringen.

„Sara?!“
 

Dee sah die Frage schon, ehe sein Mann sie stellte.
 

„Es geht ihr gut. Sie ist hier bei Tony... Du bist in Sicherheit...“

Tränen rannen Dee über die Wangen. Tränen der Freude, der Hoffnung und der Verzweiflung.
 

Ryo’s Blick irrte durch das Krankenzimmer, heftete sich auf die Tür und verweilte dort.
 

„Sicherheit?“
 

„Ja. Ryo. Er wird dir nichts mehr tun... du bist in Sicherheit...“
 

Wie gerne hätte er ihn in den Arm genommen. Ihn an sich gedrückt, ihm gezeigt, dass er noch lebte, dass er geliebt wurde. Dass dies hier Sicherheit bedeutete, aber die Worte von Foster klangen in ihm nach. ‚Er hat einen Haarriss in der Leber. Sei vorsichtig’. Oh ja, das würde er sein. Er würde Ryo die Kraft geben, das Martyrium, in dem er gefangen gewesen war, zu bewältigen. Er würde immer eine Stütze für ihn sein. So wie er es vor Gott geschworen hatte.
 

Dee sah, wie sich der Blick von dem Blonden langsam klarte. Wie ihm die Worte langsam im Gehirn ankamen und der gesamte Körper in sich zusammensackte. Angst durchfuhr ihn, als er dies sah, aber die Geräte hinter ihm blieben gleichmäßig.
 

Erneut öffnete sich die Tür und Ryo’s Blick flog förmlich dorthin. Kurz flackerte Panik in den dunklen Iriden auf, bevor sie sich, wie der Rest von ihm, wieder entspannten.
 

„Na... du siehst heute schon recht gut aus,“ begrüßte Brian Ryo, legte Dee eine Hand auf die Schulter.
 

„Ja?“ Fragend erklang dieses Wort.
 

„Ja, und wie ich sehe, sind die Werte auch besser. Dein Wasserhaushalt scheint sich zu regulieren. Was mir noch Sorgen macht ist der allgemeine körperliche Zustand. Aber das wird schon.“
 

Dee sah Brian zu, wie er die Werte überprüfte, dann schaute er Ryo wieder an. Erneut hob er seine Hand und legte sie hauchzart gegen die Wange. Ryo’s Blick hob sich zu dem seines Mannes. Trauer, Schmerz und tiefe Verletzlichkeit lag in diesen dunklen Augen.
 

„Ich liebe dich... Du hast mir so gefehlt...“ hauchte er leise und sanft glitten seine Fingerkuppen über die Wange.
 

„Du... hast... mir... Kraft... gegeben... jedes Mal... Unsere Liebe... Dee...“ mühsam quälte sich Ryo die Worte über die Lippe. „Ai... Aishiteru...“ Seine Lider glitten zu, sein Atem wurde ruhiger.
 

„Brian?“ Fragend hob er den Blick zu dem Arzt. Angst stand groß in seinen grünen Augen.
 

„Er schläft. Das ist am besten für ihn. Lass ihm Zeit, Dee. Wir werden ihn auch heute noch operieren. Je länger wir warten, desto höher ist die Gefahr, dass die Leber reißt, und dann haben wir ein Problem. Wir brauchen deine Unterschrift.“
 

„Wie hoch ist das Risiko?“ wollte Dee erst wissen.
 

„Sein Herz ist stark, trotz der Vergiftung und der Qualen, die er durchstanden hat. Es schlägt kräftig. Das einzigste ist der allgemeine Zustand. Aber es wird nur eine kurze OP werden. Das Risiko ist die Narkose. Aber das ist es immer. Egal, wann operiert wird. Aber je länger wir warten, desto...“
 

„Schon klar. Ich unterschreibe,“ gab Dee sein Wort und kurze Zeit später wurde Ryo bereits in den OP geschoben, um den Riss an der Leber zu flicken.
 

Dee verbrachte die Wartezeit in seinem Krankenzimmer, wo er Chris und Robin sowie Steve und Tony fast wahnsinnig machte mit seinem hin und her mit dem Rollstuhl. Nur Sara schien daran ein wenig Freude zu haben. Jedenfalls, wenn Dee sie mit auf dem Schoß hatte und mit ihr hin und her fuhr.
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Sobald er die Aussage von Sara hatte, rief Barclay Ross den Richter an. Informierte ihn über den Ausgang des Gespräches mit Sara MacLane. Der Richter erklärte sich bereit, ihm den gewünschten Durchsuchungsbefehl ausstellen zu lassen.
 

Sofort, nachdem er die Zustimmung hatte, legte er auf. Rief draußen im Büro nach Ted und J.J. sagte ihnen, dass sie das Dokument abholen und sich sofort auf den Weg zu dem Apartment von McNear machen sollten.
 

Der Commissioner wollte Ergebnisse und das so schnell wie möglich.
 

Drake war sein nächstes Opfer. Er steckte die Kassette in einen Umschlag, verklebte diesen und reichte diesen an Drake weiter.
 

„Der wird umgehend zum Gericht gebracht. Richter O’Brian wartet bereits darauf. Sobald du den Haftbefehl von ihm unterschrieben hast, kommst du zurück. Den Mistkerl mach ich fertig.“
 

„Ja, Sir!“
 

Jeder hier im Revier wusste inzwischen, dass Ryo heil geborgen worden war. Man wusste zwar nicht, wer ihn befreit hatte, noch wo er so lange verborgen gewesen war, aber das interessierte auch kaum jemanden. Solange es dem älteren MacLane nur gut ging.
 

~~~~ Apartment von McNear ~~~~
 

Ted und J.J. beschafften sich in Begleitung des Schlüsseldienstes Zutritt zu der Wohnung von McNear.
 

„So wie wir es vorgefunden haben...“ ermahnte Ted die zwei Neuen, die er mitgenommen hatte. Wer Unordnung schaffte, würde was zu hören bekommen. Alle streiften sich Gummihandschuhe über, damit man später nicht ihre Fingerabdrücke mit anderen wichtigeren fand.
 

„Bevor ihr etwas verdächtiges anfasst, ruft, oder macht Fotos... Ich will hier keinen Fehler, verstanden!“ drohte J.J. und sah sich dann in dem geräumigen Apartment um.
 

Ein kleiner Flur, wo ein Schlüsselbord hing, sowie ein Ständer für Jacken oder Mäntel. Links war gleich eine Tür, die, wie Ted feststellte, in ein kleines Bad führte.
 

Das Hauptzimmer, wo sie gleich darauf waren, war geräumig und übersichtlich gestaltet. Ein elektrischer Kamin auf der linken Seite. Eine große Fensterfront mit einem traumhaften Ausblick auf den Center Park. Inmitten des Raumes stand ein ovaler, etwa kniehoher marmoreingefasster Tisch, der von einem halbrunden rotbraunen Sofa auf der Seite eingefasst wurde. Zwei passende Sessel auf der anderen Seite rundeten das Bild ab. An den Wänden hingen einige Ölbilder, doch dahinter befand sich nichts als Wand. Lediglich zwei kleine Schränke standen unter den Bildern, ansonsten war der Raum leer, fast kalt. Kein Teppich, der Wärme spendete und wenn man mal von der Farbe der Couch absah, konnte man fast meinen, dass hier niemand lebte.
 

Rechts ging eine Pendeltür in die Küche und an der Glasfront vorbei führte die letzte Tür in das Schlafzimmer und einem dazugehörigen größeren Badezimmer. Das Schlafzimmer war hingegen nicht so kahl eingerichtet, wie der eigentliche Wohnbereich es vermittelte. Ein Doppelbett machte sich in der Mitte breit. Ein Kleiderschrank, der die gesamte Länge der Wand für sich beanspruchte und voll verspiegelt war, so dass alles noch größer wirkte. Die vielen Kissen, die hier rumlagen, sagten aus, dass der Bewohner wohl verspielt war. Wenn auch - so machte es den Eindruck - eher im geheimen.

Im Badezimmer war eine Whirlpoolwanne in den Boden eingelassen. Eine Dusche, in der locker drei Männer Platz gehabt hätten, rundete den mit Fliesen ausgelegten Raum ab. Der Blickfang waren auch hier die Spiegelfront neben der Wanne sowie der körpergroße Spiegel rund ums Waschbecken. Anscheinend musste sich der Besitzer ständig vorhalten, dass er gut aussah. J.J. konnte damit nichts anfangen. Das war ihm alles unheimlich. So was war für ihn einfach nicht normal. Auch Ted schüttelte über so was nur den Kopf. Aber sie sollten ja hier nicht einziehen, sondern die Wohnung durchsuchen. Und je weniger hier drin war, desto schneller waren sie auch fertig.
 

„Okay, Jungs. Sammy... du nimmst dir das Bad vor. Clay, du die Küche. Handschuhe bleiben an. Und wenn was ist, wo ihr euch nicht sicher seid, dann will ich, dass ihr einen von uns ruft.“ Ted klatschte in die Hände und gab das Zeichen zum Aufbruch.
 

Systematisch gingen sie alles durch. J.J. blieb im Schlafzimmer und durchsuchte hier alles. Somit war er immer in Rufweite von Sammy. Ted nahm währenddessen das Wohnzimmer und den Eingangsbereich genauer unter die Lupe. Nichts blieb ihm verborgen. Seine Hände glitten in die Ecken der Couch, drehten die Sessel um und tasteten nach darunter Verborgenem. Doch er fand nichts. Keinen einzigen Hinweis, dass sich jemand an der Polsterung zu schaffen gemacht hatte. Auch die zwei Kommoden gaben keinen Hinweis auf eine mögliche Verbindung zu der Entführung von Ryo MacLane.
 

Clay kam aus der Küche und schüttelte den Kopf.

„Nichts ungewöhnliches.“
 

Das selbe meldete auch Sammy, als sie ins Badezimmer schauten.
 

J.J. fand es zwar nicht gerade angenehm, dass er ausgerechnet das verspiegelte Schlafzimmer untersuchen sollte, doch meckern wollte er nun auch nicht. Also machte er gute Miene und kümmerte sich zu erst einmal um das Naheliegendste. Das Nachttischchen war fast leer. Bis auf Kondome, Gleitgel und einige Spielsachen.
 

Er räumte das Bett ab, sah unter die Matratze, überprüfte auch hier, ob nicht doch ein Riss darauf hindeutete, dass etwas in der Matratze versteckt war, aber auch hier nichts. Die Kissen wurden durchgeknautscht. Gerne hätte er sie mal aufgeschnitten, aber das würde erst bei der zweiten Durchsuchung kommen, wenn sie noch mehr Beweise brauchen würden, dann würde es hier auch nicht mehr ganz so ordentlich bleiben wie jetzt.
 

„Sir!“ rief Sammy, der sich einfach nicht angewöhnen konnte, die älteren Kollegen mit Vornamen anzusprechen. Als dieser mit dem Badezimmer fertig gewesen war, hatte er sich gleich daran gemacht, J.J. zu helfen. Dieser hob nun auch den Kopf von seinem Tun hoch und blickte zu dem Jüngeren hinüber. Sammy stand vor dem Schrank und deutete nach oben auf eine Kiste.

Mit behandschuhten Händen zog er eine Kiste aus der obersten Etage des Schrankes hervor und stellte sie auf den Boden vor sich.
 

„TED!“ rief J.J. „ Bring mal die Kamera...“ orderte er und klopfte Sammy auf die Schulter.

„Das ist super... wir haben ihn.“
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Barclay ging endlich in das Verhörzimmer Nummer zwei, wo der seit Stunden wartende McNear ruhig auf einem Stuhl saß. Schließlich kannte er diese Räume, wusste, dass jede Bewegung, jede noch so kleinste Äußerung aufgezeichnet werden würde. Auch wenn er wohl verdächtigt wurde, noch hatten sie nichts Beweisbares in der Hand und sobald er hier raus war, würde er diese Kiste vernichten. Es war dämlich, so was aufzubewahren, das wusste er, aber er hatte bisher auch noch keinen Fehler gemacht. Also warum sollte er sich sorgen. Die einzigste Sorge, die er hatte, war Ryo, der gefangen irgendwo herumlag. Inzwischen dürften die Infusionen schon leer sein. Da keine neuen mehr kamen, musste der Ärmste wohl verdursten und verhungern. Aber so richtig traurig machte es ihn nicht. Er würde ihn auch entsorgen. Irgendein Park würde die Leiche von MacLane ausspucken und er wäre frei genauso frei wie Dee, und dann könnten sie beide sich ein eigenes Leben aufbauen. Die Tochter, gut, das Übel würde er akzeptieren, bis dieses Gör auch von der Bildfläche verschwand.
 

„Wurde ja auch langsam Zeit,“ begrüßte er den Commissioner.
 

„Es gab noch etwas zu erledigen, Mr. McNear,“ erklang die Stimme des Commissioner ruhig fast ein wenig überheblich in dem Verhörzimmer.
 

Erneut stellte er den Kassettenrekorder gut sichtbar auf den Tisch. Nicht, dass dies eine Rolle spielte, denn die Verhörzimmer hatten eine digitale Aufzeichnung, sogar mit Bild. Dennoch bevorzugte Ross dieses doch ein wenig altmodische Gerät. Erstens war es ihm bekannt und zweitens würde niemand sich an den Aufzeichnungen zu schaffen machen. Seine Originale, wie er fand.
 

„Für die Akten. Wir haben heute den 19. August. Im Verhörzimmer Nummer zwei befindet sich Patrick McNear, dem vorgeworfen wird, ein Kind entführt...“

„Das ist ja wohl die Höhe...“ donnerte Patrick und stand auf, knallte eine Faust auf den Tisch und funkelte den Commissioner an.
 

„...und misshandelt zu haben,“ beendete Ross erst einmal die Daten. „Das Verhör leitet der Commissioner des 27. Reviers, Barclay Ross. Bitte setzten sie sich wieder, Mr. McNear.“
 

Doch dieser ignorierte ihn und baute sich vor dem gleich großen, jedoch älteren und auch breitschultrigeren Mann auf.
 

„Ihre Beweise?“ forderte er ungehalten.
 

„Dazu kommen wir gleich. Ich sagte, bitte nehmen Sie wieder Platz. Sir!“
 

Die Ruhe in Person schien Ross zu sein, ließ sich von dem aufbrausenden Verdächtigen nicht daraus bringen. Tatsächlich zeigte es Wirkung und Patrick setzte sich.
 

„Sie sind über Ihre Rechte belehrt worden?“
 

„Ja. Aber noch nicht über den Umstand, warum ich überhaupt festgenommen wurde. Bis eben wusste ich noch nicht einmal, was mir vorgeworfen wird. Und dieser Vorwurf, den Sie eben genannt haben, ist noch lächerlicher als diese ganze Farce.“
 

Barclay ließ den dunkelhaarigen DCI in aller Gemütsruhe aussprechen. Wusste er doch, was gleich passieren würde, oder wohl eher, er nahm es an.
 

„Möchten Sie einen Anwalt zu unserem Verhör hinzuziehen?“
 

„In diesem Moment nicht,“ meinte McNear, somit hielt er sich eine weitere Option offen.

Schließlich kannte er die Tricks bei Verhören. Da wurde man so freundlich gefragt und spontan antwortete man dann mit einem ‚Nein’, und dieses wurde dem Verdächtigen dann vorgehalten, wenn er später einen wollte. Doch er war ein Fuchs, er ließ es sich offen, so leicht konnte man ihn nicht überlisten.
 

„Was wird mir vorgeworfen?“
 

„Wie eingangs erwähnt. Die Entführung von Sara MacLane und die Misshandlung derselbigen Person.“
 

„Lachhaft! Wann soll das passiert sein?“
 

„Dienstag den 17. August.“
 

„Dienstag? Und wie bitte sehr sollte ich mich an der Kleinen vergangen haben bzw. wie sollte ich sie entführen, wenn Sara MacLane ständig von mindestens einer Person bewacht wurde?“
 

„Sie haben sich das Vertrauen ihrer Begleitung erschlichen. Wir haben die eidesstattliche Erklärung von Robin Steward. Er bezeugt, dass er Sara MacLane beaufsichtigte. Da er jedoch zur Arbeit musste, bat er Sie, sich um das Kind zu kümmern.“
 

„Das ist Humbug. Das ist nie so passiert.“
 

„Wollen Sie nicht doch einen Anwalt anrufen, Sir?“
 

„Nein, noch nicht.“
 

Barclay wusste, dass McNear sich noch sicher fühlte, aber nicht mehr lange, das wusste er, und er würde wimmern und um Gnade flehen.
 

Kurz klopfte es an die Tür. Barclay hatte sich erbeten, ihn nur dringenden Fällen zu stören und dies schien wohl einer zu sein.
 

„Entschuldigen Sie kurz.“
 

Der Commissioner verließ das Zimmer und ging mit Drake in den Nebenraum, wo sie auf den Staatsanwalt und noch einen Polizisten trafen, der alles aufzeichnete und die Geräte dazu überwachte.
 

„Sir, der Haftbefehl wegen Entführung von Sara MacLane,“ händigte Drake das Schriftstück offiziell an den Commissioner aus.
 

„Sind Sie sicher, dass die Beweise reichen?“ fragte der Staatsanwalt Doug M. Powder nach. Ihm war das noch nicht wasserdicht. Die Kleine konnte eingeschüchtert werden und wenn der DCI gegen die Aussage von Robin Steward Einspruch erhob oder, noch schlimmer, diesen wegen Rufmord anprangerte, dann brach dieser Fall wie trockenes Laub auseinander. Er persönlich hätte gerne mehr Beweise.
 

„Dem Richter hat es gereicht für den Durchsuchungsbefehl. Ich hoffe, dass wir mehr finden, Sir,“ meinte Ross. Denn auch ihm war klar, dass sie auf sehr dünnem Eis tanzten.
 

„Okay, ich seh mir das noch an... Ich hoffe nur, dass Sie recht haben, sonst können Sie Streifendienst schieben, Commissioner.“
 

Auch Ross war klar, mit wem er sich da anlegte. Doch das Risiko fand er gering gegenüber der Tatsache, dass er sicher war, nicht nur den Entführer von Sara sondern auch den von Ryo MacLane im Verhörzimmer zu haben.
 

Zurück im Zimmer legte er sofort den Haftbefehl vor McNear auf den Tisch.
 

„Hiermit dürfte Ihnen wohl das Lachen vergehen, McNear. Sie sind verhaftet. Anscheinend haben wir doch genügend Beweise gegen Sie... meinen Sie nicht auch?“
 

Patrick kannte diese Schriftstücke fast auswendig. Langsam zog er die Luft ein. Diesmal blieb er ruhig sitzen.
 

„Ihre Beweise sind lächerlich, Commissioner. Selbst der Staatsanwalt wird das einsehen und keinen Fall daraus machen. Warum das alles? Nur, weil Sie mich nicht mögen?“
 

Barclay legte bedächtig langsam die Hände auf den Tisch, beugte sich zu Patrick vor und sah ihn direkt an.
 

„Ich sehe die Schuld in ihren Augen. Sie wurden am Tatort verhaftet.“
 

„Ich bekam eine Nachricht, dass dort...“
 

„Machen Sie sich nicht noch mehr lächerlich. Es steht in dem Protokoll der Cops die sie verhaftet haben. Uhrzeit, Datum, alles strengstens protokolliert. Sie haben gefragt, warum jemand in den Räumen des Bombers war. Sie wurden von dem dortigen Officer darüber informiert, dass Geräusche aus dieser betreffenden Wohnung zu hören gewesen waren. Sie wurden von diesen Officers darüber informiert. Kein anderer hatte Sie angerufen. Sie wussten, wohin Sie mussten, um zu Sara MacLane zu gelangen, weil Sie sie dort zurückgelassen hatten. Gefesselt an der Heizung,“ sagte er ernst, nahm sich dann zurück und stellte einen Fuß provokant auf den freien Stuhl.
 

„Ihr Studium und Ihre Ausbildung waren von Größenwahn überschattet,“ antwortete McNear. „Sie stellen hier Verdachtsmomente her, die Sie sich an den Haaren herbeiziehen. Damit kommen Sie nicht durch.“
 

„Doch... und ich sage Ihnen noch etwas, McNear. Wir haben die Aussage von Sara MacLane. Sie hat Sie einwandfrei identifiziert als den Mann, der sie geschlagen und an die Heizung gefesselt hat. Tja... möchten Sie nun ihren Anwalt anrufen?“
 

Erneut klopfte es und Barclay, der gerade so schön in Fahrt war, war diese Unterbrechung nicht gerade angenehm, aber dennoch ging er zur Tür. Ließ McNear das ganze Gesagte erst einmal verarbeiten. Ließ ihm sogar die Zeit, sich eine weitere Ausrede parat legen zu können.
 

„Was?“
 

„Sir... sehen Sie sich das mal an...“
 

Barclay trat vor die Tür, nahm ein Bild, welches in Zellophan gehüllt war, zwischen die Finger. Nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen hatte, hob er den Blick.
 

„Woher?“
 

„Aus der Wohnung von McNear.“
 

„Mitkommen,“ sagte Ross und ging wieder einmal ins Nebenzimmer.

„Mr. Powder... das wurde eben gefunden.“
 

Damit reichte er dem Staatsanwalt nicht nur das Bild, sondern Ted stellte die komplett gefundene Kiste auf einem kleinen Tisch ab.
 

„Wir haben alles photographiert. Die Sache ist dicht,“ warf Ted stolz ein und legte den Film gleich daneben.
 

„Fingerabdrücke?“
 

„Noch nicht, Sir.“ Ted wollte das zuerst dem Commissioner zeigen, da er wusste, wie wild er hinter dem Entführer von Ryo her war, und nun konnte er ihn packen.
 

„Was für ein Irrer...“ erklärte Powder. Sein Blick fiel auf die Bilder, die er vor sich ausbreitete. Bilder von Ryo in seiner Zelle, gefesselt auf einem merkwürdig aussehenden Tisch, an der Wand. Selbst zwei Bilder von Dee fand er unter der Anzahl. Klagend die Hände erhoben vor einem brennenden Haus.
 

„Das Basra...“ warf Ted ein. Schließlich kannte er es. So hatte er Dee auch gesehen, kurz bevor er zusammengebrochen war.
 

„Okay, Commissioner... Sie haben ihren Fall,“ sagte Powder, denn nun war es auch ihm klar, dass nur der Entführer solche Bilder von Ryo machen konnte, und wenn möglich würde er diese Beweise nur ungern vorlegen.
 

„Bringt ihn zurück in die Zelle...“ sagte Barclay kalt.
 

Denn er konnte sich jetzt nicht mit dem DCI McNear beschäftigen. Nein, denn sonst mussten sie die Aussage, die digitale Aufnahmen ändern und das wollte er nicht. Schließlich war er Polizist und er hasste nichts mehr als Übergriffe von denen.
 

**** TBC

Samstag – 20. August

~~~~ Medical Center ~ Intensivstation ~~~~
 

Wie in den letzten beiden Tagen saß Dee ständig an Ryo’s Seite. Fast zwei Wochen waren nun vergangen und er fühlte sich eigentlich recht gut. Körperlich gesehen. Seine Wunde heilte schneller als erwartet. Nach der kritischen Phase zu Beginn, wo man fast mit seinem Tod hatte rechnen können, ging es nur noch steil bergauf. Da er immer noch nicht gehen sollte, jedenfalls nicht solche weiten Strecken von der Chirurgie bis hierher auf die Intensivstation, fuhr ihn immer eine Schwester oder ein Sani mit dem Rollstuhl. So gut es ihm auch ging, so schlecht sah Ryo aus.
 

Dee hielt seine Hand, ließ den ein Jahr Älteren spüren, dass er nicht mehr allein war. Redete leise über dies oder das, nur damit die Stille, die nur von den Geräten, an denen Ryo angeschlossen war, durchbrochen wurde, nicht alles war, was der Blonde hörte.
 

Noch immer zuckte der gerettete Entführte zusammen. Sei es bei einem lauten Geräusch, beim Türöffnen oder sogar wenn man vom Schwesternzimmer das Telefon hörte oder es Alarm auf der Station gab. Schon merkwürdig, wie sich das Leben hier veränderte. Die Sichtweise. Auf einmal gab es Dinge im Leben, die einem so unwichtig erschienen waren, aber hier auf einmal so viel Gewicht an den Tag legten, dass es einem schier die Luft abdrücken konnte.
 

Dee sehnte sich so nach einem Lächeln von seinem Mann. Selbst ein kleines Funkeln in dessen Augen würde ihn schon erfreuen, aber alles, was er in diesen dunklen Augen sah, war erst einmal Panik und Angst, sobald sie sich öffneten. Dies ließ erst nach, wenn sich Ryo sicher war, dass er aus seiner Hölle gerettet war.
 

Sara war noch nicht hier gewesen. Auch wenn Ryo täglich, oder wohl deutlicher gesagt, jedes Mal nach ihr fragte, wenn er wach war. Dee hingegen hielt es noch für zu früh. Ihre Tochter hatte auch schon einiges durchgemacht in den letzten Tagen und Wochen. Sie hatte Dee geholfen, schneller gesund zu werden. Doch seine Verletzung war nicht so deutlich zu sehen gewesen. Dass er sich schon wieder so gut bewegen konnte, war an sich schon ein medizinisches Wunder. Aber dazu gehörte wohl auch Glück. Seine Lunge war nicht verletzt worden, wie man erst angenommen hatte, nein, sie war um einen winzigen tausendstel Millimeter verfehlt worden. Obwohl diese Eisenstange einiges an Gewebe verletzt hatte, war dies im Gegensatz zu Chris, der noch immer ruhig liegen bleiben sollte, eher harmlos gewesen. Nun gut, heute sah er das so. Aber wenn er sich das Bild betrachtete, welches vor der OP von ihm aufgenommen worden war, kam auch er ins Grübeln. Nicht, dass er für die ärztliche Hilfe hier nicht dankbar gewesen wäre, aber es musste doch eine höhere Macht geben, die ihn dort in der schmalen Gasse beschützt hatte.
 

Das warf in Dee mal wieder diese Frage auf, warum man ihn beschützte und nicht seinen Mann, der doch weit mehr hatte erleiden müssen.
 

Sanft sah er ihn an. Wenn er schlief, konnte man erst deutlich sehen, wie tief Ryo seelisch verletzt war. Körperlich brauchte man kein Arzt zu sein. Auch wenn sie hier alles für den Cop taten, was in ihrer Macht stand, etwas konnten sie hier nicht tun: die Vergangenheit ändern. Oder dafür sorgen, dass Ryo sie verarbeiten konnte.
 

Leise seufzte er. Seine Hand glitt nur leicht über die rechte Hand von Ryo. Die linke war mit der Infusionsnadel bestückt und sollte so weit wie möglich nicht bewegt werden.
 

Die OP war vor zwei Tagen gut verlaufen. Obwohl Ryo’s Herz kurzfristig zu flimmern anfing, konnten der Anästhesist ihn rasch stabilisieren. Das war der einzigste kritische Moment in der gesamten Operation. Auch danach war er rasch wieder bei Sinnen gewesen.
 

Der Rücken machte den Ärzten hier noch am meisten Sorgen. Die Brandnarbe, die Ryo sich beim Basra zugezogen hatte, war nie richtig verheilt gewesen. Durch die diversen Peitschenhiebe auf seinen Rücken war sie immer wieder aufgerissen und durch eine Salzbehandlung sogar entzündet. Auch wenn der Entführer sich hin und wieder dieser Wunde angenommen hatte, so war sie nur oberflächlich geheilt, aber im inneren schürte der Brand weiter. Nur einem glücklichen Umstand verdankte es Ryo wohl, dass er keine Blutvergiftung bekommen hatte.
 

Ryo’s körperliche Wunden waren vielseitig und würden dennoch nach und nach heilen. Was jedoch mehr Zeit und auch mehr Ausdauer in Anspruch nehmen würde, waren die Wunden, die nicht sichtbar waren. Keiner konnte hier nur erahnen, was für ein Martyrium Ryo dort in den unterirdischen Katakomben aushalten hatte müssen. Nur die sichtbaren Wunden sprach davon.
 

„Dee?“ kam es leise von Ryo, dessen Augen noch immer geschlossen waren.
 

Deswegen hatte der nun Angesprochene auch angenommen, dass sein Mann noch schlief.
 

„Ich bin bei dir!“ sagte er leise.
 

Denn Dee hatte inzwischen herausgefunden, dass alles laute Ryo Angst machte. Und diese Angst wollte er ihm gerne nehmen. Er hatte auch schon ein längeres Gespräch mit Doktor Brian Foster geführt und dieser hatte die Schwestern und Pfleger darauf aufmerksam gemacht, besonders ruhig in Ryo’s Krankenzimmer zu sein.
 

„Durst...“
 

Viel sprach er noch immer nicht. Seine Kehle war noch immer wund. Obwohl die äußeren Hämatome nach und nach abklingen würden. Die inneren jedoch brauchten Zeit. Auch hier schien er Glück gehabt zu haben, dass sich kein Gewebeknoten gebildet und ihm womöglich die Luftröhre zugeschnürt hatte. Entweder das, oder der Entführer kannte sich mit so was aus. Wie man nun wusste, war dies wohl der Fall. Denn FBI-Agenten bekamen für so was wohl eine Spezialausbildung.

Dee nahm eine Schnabeltasse vom Tisch, hob Ryo’s Nacken leicht an, so dass dieser bequem trinken konnte. Doch schon nach nur wenigen Tropfen drehte Ryo den Kopf zur Seite. Ein Grund mehr, warum Dee nun ein befeuchtetes Tuch nahm und erst einmal Ryo’s Gesicht abtupfte, um ihn zu erfrischen. Mit einem anderen, das er in eine spezielle Feuchtigkeitspaste tunkte, bestrich er ihm die Lippen, damit das aufgerissene spröde Gewebe sich nicht löste und in den Mund des Kranken rutschte.
 

„Ruh dich aus... schlaf noch ein wenig... Ich werde über dich wachen, Ryo!“ sagte Dee sanft, fuhr ihm mit den Fingerkuppen nur hauchzart über die Stirn. Doch auch schon diese Geste erweckte bei Ryo eine Abwehrreaktion. Wie immer drehte er den Kopf zur Seite und hielt seine Augen auch weiterhin geschlossen.
 

„Sara?“
 

Dee hatte mit dieser Frage gerechnet. Aber er würde sie noch nicht hereinlassen. Wenn auch Sara schon fünf war, so war der Anblick von Ryo nun nichts für die Kleine. Jedenfalls noch nicht.
 

„Bald... Ihr geht es gut, Ryo...“ Dee’s Finger legten sich nun wieder auf Ryo’s Hand. Den einzigsten Kontakt, den dieser wirklich erlaubte.
 

Der dunkelhaarige Cop sah auf seinen Partner und Ehemann hinunter, wusste nicht, ob dieser nun schlief oder ob er wach war. Aber eins wusste er: wenn er nicht bald zu ihm durchdringen konnte, würde es schwerer und schwerer werden.
 

„Ich liebe dich... ich liebe dich, Ryo... ich werde dich immer lieben,“ sagte er leise, und dass ihm dabei Tränen über die Wangen liefen, war ihm egal.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Nur eine Etage tiefer und einige Zimmer weiter rechts lag ein weiterer Cop. Seine Wunden waren zwar gut verheilt und er bewegte sich schon wieder recht gut. Wenn auch langsam, aber er wollte einfach nicht mehr liegen. Dabei riskierte er ständig Stress mit den Ärzten. Aber sie konnten ihm auch keine Schwester zuteilen, die ihn ständig bewachte.
 

Chris hatte es gerade mal bis zum Fenster geschafft und lehnte dort nun schwer atmend und sichtlich erschöpft an der Wand. Ein Stuhl gab es in der Nähe nicht, aber er wusste, dass er den Rückweg alleine nicht schaffen würde. Es sei denn, er ließ sich auf den Boden nieder und robbte dorthin zurück. Was aber auch nicht gut für ihn wäre, weil möglicherweise die Wunde wieder aufreißen konnte.

Als sich die Tür nach einem flüchtigen Klopfen auftat, schaute er direkt in ein strahlendes braunes Augenpaar, das sich aber schlagartig verfinsterte, als er ihn am Fenster ausmachte.
 

„Du Idiot!“ wurde er auch schon angefahren, als sich ihm zwei starke Arme hilfreich entgegenstreckten und ihm dann einfach nur bis zu Dee’s Bett halfen, wo Chris sich erst einmal erholend niederließ.
 

„Danke!“ sagte er und hielt die Hand, die er eben noch zart, aber dennoch stark an seiner Seite gefühlt hatte.
 

„Du spinnst. Willst du nicht gesund werden?“ fuhr Robin ihn erneut an. Lächelte dann aber, als er die Spielerei an seinen Fingern wahrnahm.
 

„Mir geht’s doch schon besser. Ich kann nicht ständig nur rumliegen. Ich werde hier noch verrückt,“ seufzte Chris und sah zu dem Jüngeren hoch.
 

„Ich hatte ja so eine Idee... aber wenn du nicht brav bist...“ Leicht hob er seine Schulter ein Stückchen an, bevor er sie wieder seufzend senkte, wobei sich seine Lippen zu einem kleinen fiesen Grinsen verzogen.
 

Chris konnte es einfach nicht glauben. Da war er ständig ausgewichen, hatte alles mögliche versucht, um Robin zu entkommen, aber nun, wo er hier praktisch gefangen war, musste er erkennen, dass er ihm gar nicht entkommen wollte. Dass alles, was er vorgebracht hatte, nichts als Selbstschutz oder Lüge war.
 

„Okay... ich bin brav. Was schwebt dir vor mit einem Invaliden wie mir?“ fragte er und gab sich mal wieder geschlagen.
 

Nur schwach erinnerte er sich an die Zeit auf der Intensivstation, wo Robin in nur einmal besuchen durfte. Aber hier war er ständig an seiner Seite. Nur dass er weg ging, wenn er Schicht im Diner hatte, aber auch dort ließ man es ihn locker angehen. Schließlich, so befand Mark Steward, Robins älterer Bruder, war ihre Liebe noch am erblühen und da sollte man recht viel Zeit miteinander verbringen. Etwas, was ihnen fast nicht möglich gewesen wäre.
 

Chris war sich nun sicher, dass sie eine Chance hatten. Er musste nur ein wenig mehr von sich geben. Und nicht nur alles von dem anderen erwarten. Es würde ein Geben und Nehmen sein. Eine richtige Partnerschaft, wie er es sich wünschte.
 

„Nun, da wäre zum einen das Versprechen, dass du dich ab sofort nur mit mir zusammen bewegst. Also ich meine...“ Robin wurde bei seinen eigenen Worten tatsächlich leicht rot. Aber nicht, weil ihm diese Worte erst viel zu klar bewusst wurden, als er sie ausgesprochen hatte, sondern wohl eher, weil der Blick von Chris diesen Worten eine ganz andere Bedeutung eingehaucht hatten. Und das nur, weil er ihn mit diesem treuen Hundeblick anschaute, dass es Robin richtig weich um die Knie wurde.
 

„Ich weiß, was du meinst... aber dazu bin ich noch nicht fit genug,“ grinste nun auch Chris und gab somit unumwunden zu, in welche Richtung seine Gedanken geschweift waren.
 

„Erst nichts von mir wissen wollen und dann nur noch an das eine denken,“ seufzte Robin theatralisch auf.
 

„So sind wir Männer nun mal. Denken wir nicht laut irgendwelchen Studien alle sechs Sekunden an Sex? Da fragt man sich doch dann, an was wir Männer sonst noch denken?“
 

„Du wohl an nichts anderes,“ konterte Robin. Beugte sich runter und fing diese vorlauten Lippen mit seinen eigenen ein.
 

~~~~ Untersuchungsgefängnis ~~~~
 

Justin Timber betrag das Untersuchungsgefängnis. Sein rabenschwarzes Haar glänzte in der Nachmittagssonne auf. Seine ebenfalls dunklen Augen kamen erst zum Vorschein, als er seine Sonnenbrille absetzte, um sich bei dem Polizisten an der Anmeldung in das Register einzutragen. Dort trug er auch sein Vorhaben vor, den in U-Haft sitzenden Patrick McNear zu besuchen. Dieser hatte ihn zu seinem offiziellen Rechtsbeistand erwählt. Justin war schon lange Jahre ein erfahrener Anwalt. Hatte schon einige böse Buben rausgehauen, oder mit der Staatsanwaltschaft einen zuvorkommenden Handel abgeschlossen. Aber soviel wie ihm bekannt war, hatte der FBI-Agent nichts, mit dem er Handeln konnte und die Fakten, die er in seiner ebenfalls schwarzen Aktentasche durch die Gegend schleppte, ließen kaum Raum, als zu dem Urteil ‚schuldig’ zu gelangen.

Der noch immer recht robuste Körper, mit einem Maß von etwas weniger als 1,80, schob sich durch die Sicherheitskontrolle.
 

Schließlich durften keine Waffen oder scharfes Gerät mit ins Gebäude genommen werden. Die Sicherheitsvorkehrungen waren auch hier, wie überall in den Behördengebäuden, gestiegen. Aber das galt ja auch zum Schutz der Insassen. Die breiten Schultern steckten in einem dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und eine ebenfalls blaue Krawatte, passend zum Anzug, rundeten das Bild des Anwaltes ab, als er mit einem freundlichen Nicken die letzte Schranke passierte und endlich in einem Raum ankam, in dem er schon bald seinem Mandanten gegenüber stehen oder sitzen würde.

Der Fünfundfünfzigjährige ließ sich auf einen der fest montierten Stühle nieder. Er mochte dieses Ambiente des Untersuchungsgefängnisses nicht. Aber wenn man keine andere Wahl hatte... Gut, er hätte auch einem jüngeren Kollegen den Fall abtreten können, aber wenn er von einem angesehenen Mann der in den oberen Geldschichten angesiedelten Mafiosi aufgefordert wurde, den Fall zu übernehmen, dann schlug man das nicht ungeschadet aus. Und Justin Timber liebte sein Leben und er hing auch an seiner Familie. Doch deswegen war er nicht nur hier. Nein.
 

Jeder hier kannte ihn und jeder wusste, dass er für die Mafia arbeitete. Aber er war auch gerecht und ehrlich. Spielte nie mit falschen Karten und deswegen war auch sein Honorar recht hoch.
 

Nachdem er jedoch die Fakten vorliegen hatte und dem Gönner von McNear, so nannte er diesen mal, davon in Kenntnis setzte, dass ein Freispruch nicht möglich war, so erhielt er von diesem die Erlaubnis, alles in seiner Macht stehende zu tun, damit das Urteil so milde wie möglich ausfiel. Nur deswegen war er nun hier.
 

Die Tür öffnete sich und Patrick McNear wurde in Handschellen in den Raum geführt.
 

„Würden Sie bitte,“ bat Timber und deutete auf die Handfesseln, die der Cop dann auch gleich löste.

Patrick rieb sich die Handgelenke und kam zögernd und auch recht vorsichtig näher auf den sitzenden Mann zu.
 

„Wer sind Sie?“ fragte er nun auch neugierig.
 

Bisher war er lediglich von dem Revier hierher verlegt worden. Selbst seinen Anruf durfte er noch nicht durchführen, obwohl ihm der Haftbefehl vorgelegt worden war und er somit amtlich angeklagt wurde, den Polizisten Ryo MacLane und dessen Tochter Sara entführt zu haben. Wobei bei dem Cop sogar Folter mit hinzukam. Möglicherweise kam auch noch eine Anklage wegen Mordes an Gary Logan dazu. Doch bisher fehlten ihnen die eindeutigen Beweise. Aber da die Zeugenaussage von MacLane wohl noch nicht vorlag, konnte das noch folgen.
 

„Justin Timber. Ihr Anwalt. Setzten Sie sich doch, Mr. McNear,“ erklang es ruhig. Dabei hob der Anwalt noch nicht einmal den Kopf, sondern kramte weiter in aller Ruhe in seiner Aktentasche herum, bis er all die Papiere, die er anscheinend brauchte, gefunden und vor sich ausgebreitet hatte.
 

„Mein Anwalt?“ Die Frage hallte im Raum wieder.
 

„Ja. Ich wurde beauftragt, Ihren Fall zu übernehmen und, sagen wir mal... das bestmögliche für Sie herauszuholen,“ erklärte der Dunkelhaarige weiter in aller Ruhe.
 

„Von wem?“
 

Justin seufzte. Er mochte es nicht, wenn er so in einen Fall eingebaut wurde. Aber anscheinend wusste der Angeklagte rein gar nichts.
 

„Sagt Ihnen der Name Goro etwas?“
 

Patrick dachte eine Weile nach, dann hellten sich seine Züge auf.
 

„Mr. Goro rief mich gestern an und bestellte mich als Ihren Anwalt. Wenn Sie mich nicht möchten, dann machen Sie das bitte mit dem Herrn aus,“ sagte er und machte Anstalten, wieder alles einzukramen.
 

„Nein...“ hielt Patrick den älteren Anwalt auf. „Ich bin einverstanden.“
 

Nie im Leben hätte er daran gedacht, Goro anzurufen. Das musste Jahre her sein. Doch darüber würde er später nachdenken. Nun wollte er Antworten auf seine diversen Fragen.
 

„Sie wissen, was Ihnen vorgeworfen wird und wie die Anklage lautet?“ begann Timber gewohnt routiniert mit seinem Frage-und-Antwort-Spiel.
 

„Ja. Aber...“
 

„Antworten Sie bitte erst nur auf meine Fragen. Sie wissen, dass dieser Raum nicht abgehört wird?“
 

„Ja!“
 

Timber kramte in seinen Akten und fischte einen Bogen Papier hervor.
 

„Nach den mir vorliegenden Zeugenaussage steht bisher lediglich fest, dass Sie zwei Menschen entführt haben. Wobei bei dem einen auch Körperverletzung hinzukommt. Eine mögliche Mordanklage hängt wohl noch in der Schwebe, wie ich aus den Akten entnehmen kann. Ich wurde beauftragt, Sie so gut wie möglich zu verteidigen. Jedoch...“ Timber nahm seine randlose Brille ab und legte sie vor sich auf die Akten, bevor er sich die Nasenwurzel massierte.
 

Patrick schwieg. Das mit dem Mord war ihm noch neu. Wenn sie ihm den wirklich anhängten, dann käme er wohl nicht mit Gefängnis davon. Nein. Bei Mord gab es in den Staaten selten ein andres Urteil als die Todesstrafe. Ihm war nun klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Er hätte nicht mit diesem Schneewittchen spielen, sondern es von Anfang an erledigen sollen. Dann hätten sie ihn niemals gefangen. Aber so war sein Spieltrieb wohl sein Untergang.
 

„Wie sind meine Chancen?“
 

Die Brille fand ihren Weg zurück und Timber nahm bei seiner Antwort auch kein Blatt vor den Mund.
 

„Bei Entführung, selbst mit Körperverletzung, würde ich Sie bei den momentanen Beweisen mit 20 Jahren raushauen. Eine mögliche vorzeitige Entlassung nach fünf Jahren wäre möglich, wenn die Geschworenen weich werden. Kommt drauf an, wie ich es ihnen verkaufe. Und somit auch, wie Sie mir Ihre Geschichte erzählen. Sollte jedoch der Mord noch mit hinzukommen... Tja, Mr. McNear. Dann sieht es für Sie übel aus.“
 

Erneut kramte der Anwalt in der Akte und fischte ein anderes Dokument heraus.
 

„Ich bräuchte hier noch Ihre Unterschrift. Damit machen Sie mich offiziell zu Ihrem Anwalt. Ansonsten wären mir für weitere Schritte die Hände gebunden.“
 

Flüchtig nur warf Patrick einen Blick auf den Zettel, bevor er den Stift nahm und seinen Namen unter das nun amtliche Dokument setzte.
 

„Ich habe nur eine Frage. Obwohl die Beweise sehr belastend sind, muss ich wissen, von welchem Standpunkt aus ich die Verteidigung aufbauen muss. Nun... Plädieren Sie auf schuldig oder unschuldig?“
 

Patrick schob in aller Seelenruhe das Dokument zurück. Überlegte in dieser kurzen Zeitspanne, wie er sich entscheiden sollte.
 

„Unschuldig!“ sagte er dann.
 

„Gut. Ganz wie Sie meinen.“ Timber wäre es lieber gewesen, wenn sein Mandant sich anders entschieden hätte, aber er konnte ja noch immer mit ihm reden. „Sie sind sich darüber bewusst, dass die Beweise belastend genug sind, Sie in diesem frühen Stadium der Ermittlung schon jetzt der Entführung von Sara MacLane zu überführen? Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie mit einem möglichen Schuldeingeständnis die Geschworenen erweichen könnten, das Urteil abzumildern. Dazu gehört natürlich auch, dass Sie Reue zeigen. Aber schieben wir das noch mal zurück. Warten wir ab, was die Staatsanwaltschaft noch alles vorbringt. Dann reden wir noch einmal über Ihre Einstellung. Es besteht natürlich noch eine weitere Option, indem ich Sie für unzurechnungsfähig erkläre. Es würden...“ sagte Timber. Begann dann in aller Ruhe, die Akten wieder einzupacken.
 

„Nein. Das werde ich nicht machen,“ fiel McNear dem Anwalt ins Wort.
 

„Es wäre eine Option, die Sie sich gut überlegen sollten.“
 

„Nein. Ich bleibe dabei.“
 

„Es ist Ihre Entscheidung, Mr. McNear. Ich werde jeden zweiten Tag vorbeikommen, um Sie auf den aktuellen Stand der Ermittlung zu bringen. Das wäre dann alles. Es sei denn, Sie haben noch eine Frage.“
 

Das alles ging Patrick nun doch zu schnell. Er hatte noch nicht einmal ganz verarbeitet, dass Goro ihm hier Hilfe bot. Etwas, was er wohl später noch bezahlen musste. Aber das war ihm gleich. Immerhin verdankte er dem Mafiosi einen der besten Anwälte hier in New York. Deswegen schüttelte er nur den Kopf. Da Timber in zwei Tagen wiederkommen würde, konnte er dann noch immer Fragen stellen. Fragen, die er zwar in sich fühlte, aber die auch lächerlich wirken konnten.
 

„Gut... dann sehen wir uns am Montag wieder,“ sagte Timber noch, bevor er schließlich ohne ein weiteres Wort den Besucherraum des Untersuchungsgefängnisses verließ.
 

Kaum war der Anwalt jedoch verschwunden, hörte er auch schon, wie sich hinter ihm die Tür öffnete. Ohne Gegenwehr ließ Patrick sich wieder die Handschellen anlegen und zurück in seine Zelle führen. Denn er hatte es noch im Ohr, dieses ‚Gute Führung’, und wenn er auch einen von den Cops entführt hatte, umgebracht hatte er Ryo ja leider nicht. Dennoch war die Behandlung hier nicht gerade sanft. Aber das erwartete er auch nicht. Patrick spielte da schon eher mit dem Gedanken, eine der Wachen zu provozieren und ihm dann eine Klage wegen Übergriffen anzuhängen. Aber das würde er wohl dann doch erst mit dem Anwalt absprechen. Schließlich kannte er diesen nur vom Hören. Kannte einige Fälle, in denen er auf der gegnerischen Seite gewesen war. Ihn nun auf seiner Seite zu wissen, war auch eine Spur beruhigend.
 

****** TBC

Montag – 12. September

~~~~ Basra ~~~~
 

Über drei Monate war es nun her, das dieses Gebäude zum Schauplatz einer Bombe geworden war. Drei Monate, die aber nicht so ohne weiteres vergangen waren. Viel war in dieser Zeit passiert. Nicht nur mit den Menschen in New York, nein, hauptsächlich hier.
 

Der Schutt war beiseite geschafft worden und Tony hatte sich einen Architekten gesucht, der das Haus nach seinen Vorstellungen wieder aufbauen sollte. Wenigstens erst einmal auf dem Papier.

Steve und Tony waren bei Max untergekommen. Aber auf Dauer war das einfach nichts für die beiden. Sie verdankten Max schon viel, und ihn nun auch noch mit ihrer Anwesenheit zu belästigen, gefiel ihnen nicht. Zumal sie auch noch hin und wieder Sara zu beaufsichtigen hatten. Zwar weitaus weniger als noch vor einem Monat, aber noch genug, um sie auch in ihrer Tätigkeit einzuengen. Sara war schon ein niedliches Ding und eigentlich recht pflegeleicht, aber ihre fünfjährige Klugheit konnte einem auch mal auf den Geist gehen.
 

So nun auch heute. Steve Cotton und sein Freund Tony Briscol hatten eigentlich einen Termin bei dem Architekten, aber Dee hatte kurzfristig Sara vorbeigebracht, weil er zu seinem Mann wollte. Manchmal war dies echt lästig. Ryo ging es doch schon den Umständen entsprechend gut. Er hätte auch mal Sara mitnehmen können, aber Tony war schon so zum Ja-Sager mutiert, dass Steve überhaupt nicht dagegen ankam.
 

Ergeben schloss er nur die Augen, als er seinen Freund mit Sara an der Hand in die Wohnung von Max kommen sah. Nichts gegen Sara, nein, er liebte die Kleine ja auch, aber ihre naive Neugier gepaart mit dem Wissen, das sie von ihren Eltern vermittelt bekam, war schon eine rechte Landplage.
 

„Ich pass auf sie auf...“ hörte Steve Max’ Stimme in seinem Rücken und hätte den sonst so schweigsamen Koch am liebsten durchgeknuddelt.

„Nicht wahr, Sara... wir kochen was schönes. Das kannst du dann deinem Dad mitnehmen.“ Max wusste, wie er Sara von allem fernhalten und sie dennoch in aller Ruhe beschäftigen konnte.
 

„Danke, Max!“ war Steve erleichtert. Lächelte nun auch das erste Mal, seit Sara hier war. Griff dann auch gleich nach seiner Jacke, um sich mit Tony gemeinsam auf den Weg zu ihrem festgesetzten Termin zu machen.
 

„Aber...!“ wollte Tony noch aufbegehren, doch Steve ließ ihn einfach nicht weiter zu Wort kommen.

Draußen sah er den Ex-Ladenbesitzer an.
 

„Entweder du willst deinen Laden besser und schöner hochziehen, oder du bleibst Babysitter. So geht das nicht weiter. Wir müssen mit Dee reden. Wir sind doch nicht die Ersatzeltern. Wir haben doch auch ein eigenes Leben. Auch wenn ich Sara gern habe und sie auch gerne um mich hab, aber so ungefragt finde ich es nicht toll...“
 

„Aber Dee...“
 

„Ja, der arme Dee... und der arme Ryo! Fang mir nicht damit an. Es reicht!“ maulte Steve Cotton ungehalten auf.
 

„Du bist unfair!“ ging Tony in die Verteidigungsstellung und presste wutschnaubend die Hände in die Seite, funkelte den Ex-Mafiasohn an.
 

„Okay, dann bin ich eben unfair. Und? Es ist jetzt fast einen Monat her, dass ich ihn da rausgeholt habe. ICH! Also sag mir nur nichts von unfair. Wir haben auch noch ein Leben, willst du das nicht verstehen?“
 

„Dee und Ryo brauchen halt noch Unterstützung!“ fuhr Tony weiter aus.
 

„Die ich ihnen auch gewähre... Aber bitte, dann bleibt da eben ein Loch... was brauch ich schon einen Laden… so lange ich dich hab... Tony! Ich bin nur angefressen, weil Dee uns einfach Sara aufs Auge drückt und noch nicht einmal fragt, ob wir Zeit haben. Und du sagst auch ständig nur noch ‚ja’. Black hat mir extra Urlaub gewährt und ich werde auch nur in seltenen Fällen im Augenblick eingesetzt und das nur, damit ich dir helfen kann. Aber wenn du deine Zeit lieber mit dem Mädchen verbringen willst, bitte sehr. Eigentlich dachte ich, dass dir das Basra wichtig sei, aber da hab ich mich wohl auch getäuscht. Geh wieder rein, spiel mit Sara… ich geh dann arbeiten… ich weiß im Gegensatz zu dir wenigstens, was ich will,“ knurrte Steve. Drehte sich dann einfach um und ging die Stufen langsam hinunter. Er war sich noch nicht einmal sicher, warum er so ausgetickt war, aber er fühlte sich nun wohler. Schon seit einiger Zeit brannten ihm diese Worte in der Seele, und sie endlich auszusprechen war fast wie eine Erleichterung.
 

Tony sah auf die zugefallene Tür und drehte sich zu Max um. Keine Frage, er hatte diskret gelauscht.
 

„Geh...“ sagte er nur und nahm Sara bei der Hand. „Komm Kleine, gehen wir was kochen.“
 

Ohne Widerworte folgte die kleine MacLane ihrem Lieblingskoch.
 

Tony hingegen schnappte sich eilig seine Jacke und rannte hinter Steve her, erwischte ihn gerade noch, als er in seinen Wagen steigen wollte.
 

„Warte...!“ rief Tony und sah, wie sein Freund sich trotz der harten Worte von eben zu ihm umdrehte.
 

Locker lehnte er sich gegen das Verdeck und verschränkte fast in Abwehrhaltung die Arme vor der Brust.
 

„Ich verdanke den beiden mehr, als du ahnst... ich hab dir das nie erzählt... Wie Dee mich gerettet hat. Ihm verdanke ich genauso viel wie Max. Ich weiß, dass ich die Schulden nie zurückzahlen kann, deswegen will ich es so irgendwie wieder gutmachen... versteh doch,“ bat Tony zerknirscht.
 

Steve war auch wieder runter von seiner Palme und legte nun Tony eine Hand an die Hüfte, zog ihn näher zu sich.
 

„Wir verdanken ihnen beiden viel. Du vielleicht mehr als ich, aber es ist dennoch kein Grund, ungefragt unsere Zeit einzuplanen. Wir haben doch auch ein Leben, Tony. Eins, das ich mit dir verbringen möchte. Als ich dachte, ich hätte dich verloren... ich bewunderte Dee in diesem Augenblick, wie er das alles meisterte. Aber ich war nicht so stark. Wären Mick und Black nicht gewesen...Verstehst du? Jede Sekunde, die ich mit dir verbringen kann, sehe ich als himmlisches Geschenk an. Ich möchte nicht mit dir streiten, oder im Streit auseinander gehen... ich möchte dich immer um mich haben, wissen, dass du lebst, dass du mich liebst... auch wenn wir getrennt arbeiten... aber ich weiß, dass du da bist... verstehst du mich? Kannst du mich nicht ein wenig...“
 

„Steve!“ sagte Tony sanft.
 

So hatte dieser noch nie seine Gefühle vor ihm ausgebreitet. Okay, er hatte geahnt, dass diese Tage, wo das Basra in Flammen aufging, hart für ihn gewesen waren, aber so hart? Nein, das überraschte Tony. Behutsam legte er seine Stirn an Steve’s.
 

„Verzeih... ich habe es verdrängt... ich liebe dich doch... aber ich kann halt auch nicht gegen mein Innerstes aufbegehren. Wenn Dee mich fragt, oder Ryo... dann ist es schon selbstverständlich, ja zu sagen. Ist es okay, wenn ich daran arbeite?“ lächelte er ein wenig zaghaft.
 

Auch wenn die Stimmung nicht mehr hochgekocht war, so schlummerte es dennoch in Cotton.
 

„Ja... wir werden mit Dee reden, wenn er Sara abholt. Was meinst du, ist doch auch okay für dich?“ schlug dieser nun im Gegenzug vor.
 

„Gut. Reden wir nachher mit ihm. Lass uns jetzt zum Architekten gehen... sonst nimmt der unseren Entwurf noch für einen anderen.“
 

~~~~ Untersuchungsgefängnis ~~~~
 

Patrick saß allein in seiner Zelle. Einen Umstand, den er nur hatte, weil er ein Cop war. Doch lange würde er dieses Privilegium wohl nicht mehr halten können, wenn er offiziell verurteilt war. Vielleicht konnte er bestmögliche Haftbedingungen verhandeln. Doch was sollte er bieten für so etwas? Er hatte nichts, außer Beziehungen, und die würden ihm vor Gericht wohl kaum helfen.
 

Mit hinter dem Kopf verschränktem Armen lag er auf seiner schmalen Pritsche und blickte zur grauen Decke hinauf. Sonnenlicht flutete durch das vergitterte Fenster herein und zeigte ihm ein ums andere mal, wie schön es draußen wäre. Doch das hatte er sich selbst verbaut. Das Grübeln an sich brachte ihn auch nicht weiter. Mit seinem Anwalt hatte er nun schon einige Male gesprochen, aber weiter gekommen waren sie immer noch nicht. Aber Patrick hatte so erfahren, dass Ryo MacLane noch immer nicht verhört worden war und somit eine Aussage von ihm noch nicht vorlag. So lange dies nicht der Fall war, konnten sie auch nicht mit einer Planung ihrer Strategie beginnen. Zumal Timber zum wiederholten Mal gesagte hatte, dass seine Chance ausgesprochen schlecht standen. Ein Patrick McNear gab schlichtweg gesagt nicht so schnell auf.
 

Aus dem Gespräch mit dem Anwalt wusste er nur, dass Chris Jackson sich auf dem Weg der Besserung befand und wohl in den nächsten Tagen die Klinik verlassen konnte, was Dee MacLane bereits gestern getan hatte. Anscheinend waren die Wunden entweder nicht so schlimm gewesen, wie man ihm gesagt hatte, oder aber Dee und Chris hatten verdammt gutes Heilfleisch. Obwohl es schon etwas über einen Monat her war, dass sie so schlimm verletzt worden waren.
 

„Dee...!“ seufzte Patrick und wünschte sich nichts mehr, als ihm zu erklären, warum das alles passiert war. Ahnte er doch, dass er vor Gericht kaum die Chance erhalten würde, Dee seine Ansicht zu dem Fall zu bekunden.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Chris bewegte sich noch immer etwas hölzern durch die Gegend. Sein Magen-Bauch-Bereich sollte noch immer nicht groß belastet werden. Genauer hieß dies, keine körperlichen Anstrengungen und kein schweres Heben. Selbst Bücken oder Überdehnungen sollten vermieden werden.

Morgen würde er nochmals untersucht werden, dann endlich durfte er das Krankenhaus verlassen. Wie die Ärzte war auch Chris der Meinung, dass es gut verheilt war. Schneller als gedacht. Aber ruhen musste er weiterhin. Jedenfalls war er bis auf weiteres krank geschrieben und erst wenn sein Hausarzt bei der zweitägigen folgenden Untersuchung sein okay geben würde, konnte er wieder im Revier als Cop tätig werden. Irgendwie freute er sich schon darauf, wieder einsatzbereit zu sein, aber andererseits wollte er die Ruhe genießen. Sich richtig erholen und relaxen.
 

Robin wollte ihn nachher noch besuchen, doch als es leise an der Tür klopfte war es nicht der erwartete, sondern Dee stand in der Tür.
 

„Kann ich dich kurz stören?“ fragte der dunkelhaarige Cop und schloss bereits die Tür wieder hinter sich.
 

Seit gestern war Dee entlassen. Der Kratzer an seiner Lunge war ein Witz im Vergleich zu den inneren Verletzungen, die Chris davongetragen hatte, aber ansonsten waren sie beide recht flott wieder auf den Beinen gewesen.
 

„Was drückt dich?“
 

„Ryo!“ sagte er fast tonlos, zog seine Unterlippe zwischen die Zähne was neu an Dee war. Mit ein Zeichen, wie ihm diese ganze Angelegenheit zu schaffen machte.
 

„Dee! Er braucht einfach noch Zeit,“ setzte sich Chris auf das Krankenbett und sah den Mann an, der immer noch sein Partner war.
 

„Ich weiß. Aber ich komm einfach nicht durch bei ihm. Egal was ich sage, tue oder sonstwie versuche, zu ihm durchzudringen. Es scheitert, weil er sich vor mir verschließt. Ich hab keine Ahnung, was ich noch tun soll.“ Dee war scheinbar am Ende von seinem Wissen und auch seiner physischen Kraft. Lange würde er diesen Zustand wohl nicht mehr durchhalten. Jedenfalls sah dies Chris so. Doch auch er war nur ein Mensch und kein Hellseher.
 

„Dee, so gern ich dir auch dabei helfen würde... Aber ich kann nicht. Was sagt denn der Psychiater?“
 

„DER? Der kommt noch weniger zu ihm durch. Ryo blickt nur aus dem nicht vorhandenen Fenster. Du müsstest seine Augen sehen, Chris. Es ist, als ob... als ob er sich innerlich verschließt... das macht mir Angst.“
 

Chris war nun wirklich geduldig und half auch immer, wenn es in seiner Macht stand, doch hier musste er einfach klein beigeben. Egal was er auch sagen oder raten würde, es wäre falsch. Deswegen stand er auf, ging zu Dee und nahm ihn einfach in den Arm. Trost konnte er ihm spenden, ihn vielleicht auch ein wenig aufbauen, wenn er ihm zeigte, dass er nicht alleine war. Mehr jedoch war Chris außerstande zu gewähren, so gern er es auch wollte.
 

„Danke... Danke, Chris...“
 

„Schon gut, Kumpel. Ich bin immer für dich da... okay... War Sara inzwischen schon mal bei ihm?“
 

Stumm schüttelte Dee den Kopf. Das, was er jeden Tag sah, war schon für ihn schlimm genug, das wollte er der Fünfjährigen noch ersparen. Sie hatte in den letzten Monaten genug durchgemacht.
 

„Ich will dir ja nichts vorschreiben, Dee. Aber ich denke, er fragt nach Sara. Es könnte sein, dass es ihm hilft, voranzukommen. Zeig ihm, dass es noch einen Sinn gibt. Du hast mir doch gesagt, dass er, als er dich das erste Mal sah, glücklich war, befreit zu sein. Sagte dir doch auch, dass er dich liebt... Das war doch okay... Dass er sich nun vor dir zurückzieht, kann auch sein, ich will dir da wirklich nichts einreden, aber ein Versuch wäre es doch wert. Also was ich sagen will... Du bestimmst momentan über das, was er sehen und hören darf, nicht wahr? Vielleicht sieht er in dir nur einen anderen Wächter... Es ist nicht leicht, weder für dich noch für deinen Mann, aber du musst ihm auch Zugeständnisse machen. Er ist nicht im eigentlichen Sinne krank. Ryo leidet... noch immer... öffne seine Zelle... lass ihn raus... und da würde Sara ihm ein Lichtblick sein,“ sagte Chris lange und fuhr beruhigend über Dee’s Schulter, als dieser sich dann auch schon etwas von ihm löste.
 

Die Worte von Chris in sich nachhallen ließ. Es war schon möglich, dass er Ryo so einschränkte, da lag Jackson gar nicht so falsch, aber nicht, um ihn an irgendwas zu hindern, sondern eher um ihn zu schützen. Sah Ryo das womöglich als eine andere Gefangenschaft an? Wer konnte das sagen? Niemand!
 

„Du bist ein guter Partner, Chris... Danke,“ sagte er und atmete dann tief ein und wieder aus. „Ich denk drüber nach... Wie geht’s mit dir und Robin voran?“
 

Das war nun ein Thema, über das Chris nicht wirklich mit Dee reden wollte, aber er konnte auch nicht, nach so einem Gespräch von eben, abblocken oder nur die Schulter zucken.
 

„Na ja... inzwischen hab ich mir eingestanden, dass ich ihn liebe.“
 

„Weiß er von... wie war der Name von deinem Mann?“
 

„Bob! Nein... noch nicht. Aber ich werde es ihm sagen. Er kommt gleich... Robin ist so... ich weiß nicht, wie ich es sagen soll...“
 

„Niedlich? Unbefangen? Jung?“ half ihm Dee, dem es auch gut tat, mal wieder über was anderes nachzudenken als nur über sich und Ryo.
 

„So ungefähr. Ja!“
 

„Wann wollte er denn...“ weiter kam Dee nicht, weil nach einem kurzen Klopfen die Tür aufging und derjenige, von dem sie eben gesprochen hatte, ins Zimmer trat. Das Lächeln, welches Robin auf den Lippen hatte, ließ das jungenhafte Gesicht erstrahlen, welches sich auch nicht verdunkelte, als er Dee’s ansichtig wurde.
 

„Hi!“ sagte er knapp in die Richtung von MacLane, bevor er sich Chris schnappte, diesen umarmte und wie selbstverständlich mit einem Kuss begrüßte.
 

„Tja, ich stör dann wohl,“ merkte Dee auf.
 

„Ach was... Dee. Robin und ich...“
 

„Schon gut... Ich wollte eh gehen...“ Dee lächelte den beiden kurz zu, bevor er die Tür auch schon hinter sich zuzog.
 


 

„Ryo?“ fragte Robin, der das lächelnde Gesicht von Dee als eine aufgesetzte Maske erkannt hatte.
 

„Ja. Aber es sind ja auch erst vier Wochen, seit er aus diesem Martyrium raus ist,“ erklärte Chris, der nun seinerseits eine Hand hob und sie Robin gegen die Wange legte.

„Ich liebe dich, Robin. Deswegen muss ich dir auch noch was sagen. Setz dich bitte,“ bat er und löste sich dann von dem Jüngeren.
 

Robin sah Chris ernst an. Das hörte sich für ihn nicht so an, als ob sich der Weißhaarige von ihm trennen wollte. Nicht nach dem Eingeständnis der Liebe, aber wer wusste schon, was in Chris vor sich ging.
 

Robin setzte sich neben Chris auf das Krankenbett und als der Ältere nach den Händen des Jüngeren griff, wurde es diesem nun doch ein wenig unheimlich. Bang erwartete er ein Geständnis. Was daraus wurde, würde wohl seine Reaktion zeigen, soviel war Robin klar. Dennoch fühlte er sich unbehaglich, und als Chris leise anfing zu reden, wäre er am liebsten davor davongerannt. Leichter würde es nichts machen, deswegen hob er seinen Blick und sah den Mann, den er aus tiefstem Herzen liebte, direkt an.
 

Es dauerte einen Moment, in dem Chris sich wohl die Worte zurechtlegte, doch als er dann anfing zu reden, waren diese so sorgsam ausgewählten Worte wie weggewischt.
 

„Ich war 24, als ich Bob traf. Wir waren gleich alt. Ich wollte schon immer zur Mordkommission. Er war dort bereits seit einem Jahr tätig. Auf einer Weiterbildung lernten wir uns kennen und verliebten uns. Es war diese Liebe auf den ersten Blick. Bob, sein Lachen. Er hatte ein kleines Grübchen auf der Wange... so wie bei dir, Robin.“
 

Chris sah Robin schweigend an. Schien auf eine Reaktion zu warten. Und da Robin dies auch mal so annahm, wollte er den Älteren auch nicht enttäuschen.
 

„Und?“ fragte er bewusst ruhig.
 

Denn würde dieser erwähnte Bob noch eine Rolle im Leben von Chris spielen, dann hätte er ihm doch nicht die Liebe gestanden, machte sich Robin selbst ein wenig Mut. Immerhin würde er nun nicht mehr nachfragen müssen, wer dieser war.
 

„Am 14. Mai gaben wir uns das Jawort,“ sagte er weiter, hörte, wie Robin hörbar die Luft einzog und diese dann auch keuchend wieder ausstieß.
 

Anscheinend hatte er den Jüngeren mit dieser Aussage überrascht. Denn so lange sie sich kannten, hatte er ihm nie etwas von Bob oder von einem Ehemann gesagt. Damals nicht, als er sich von ihm trennen wollte und dies als guten Grund hätte angeben können. Aber er wollte Bob da nicht mit reinziehen. Aber nun, da er Robin liebgewonnen hatte, fand er es nur richtig, dass er ehrlich zu ihm war.
 

„Bob und ich... wir hatten... vier wunderschöne Jahre miteinander.“
 

Chris ließ die Hand von Robin los und stand auf. Langsam ging er zum Fenster, sah hinaus, lehnte sich dann mit dem Po gegen die knappe Fensterbank und sah zurück ins Zimmer, wo Robin noch immer auf dem Bett saß und ihn anblickte. Aus diesen rehbraunen Augen sprach Neugier aber auch eine Spur der Unsicherheit.
 

„Zwei Tage vor unserem zweiten Hochzeitstag... wir hatten Nachtdienst. Uns fiel ein Wagen auf... ein defektes Bremslicht...“
 

Man konnte sehen, wie es noch heute Chris zu schaffen machte, davon zu sprechen. Es lag lange zurück, aber dennoch schien es ihm jedes Mal, wenn er es erzählte, schwerer zu fallen. Allein schon daran zu denken bereitete ihm innerliche Qualen. Jedes Mal war es, als ob es erst gestern gewesen wäre.
 

„Bob stieg aus. Ich sollte neben ihm stehen und ihn sichern, aber ich gab erst das Kennzeichen durch, fragte, ob etwas vorlag... ich hatte gerade die Antwort erhalten, als ich auch schon einen Schuss hörte... Eine Pumpgun... aus nächster Nähe... Bob hatte keine Chance...“ sagte er und drehte sich herum, blickte hinaus aus dem Fenster. Sprach gegen die Scheibe weiter. Hörte und sah deswegen nicht, wie Robin aufstand und sich ihm näherte.
 

„Der Wagen war als gestohlen gemeldet... ein Bankraub... Sie fanden ihn und der Kerl sitzt im Knast. Wartet noch immer auf seine Hinrichtung. Seine Anwälte schaffen es jedes Mal, noch eine Verzögerung zu erwirken. Aber damit ist Schluss. Im Januar wird er gerichtet...“
 

Robin legte behutsam seine Hand auf die Schulter von Chris. Worte fand er überflüssig. Denn alles, was er sagen konnte, würde die Last und die Trauer, die Chris in sich fühlte, nicht verdrängen können. Deswegen also war Chris so abweisend gewesen, hatte ihn von sich gestoßen, nur weil er sich nicht noch einmal binden wollte. Oder versagte er sich einfach das Lieben? Stumm legte er seine Arme um den Älteren. Ließ ihm die Zeit, die er wohl benötigte, um sich zu fangen.
 

~~~~
 

Einige Zimmer weiter klopfte Dee an die Tür von Ryo’s neuem Krankenzimmer. Gestern war er auf die Normale Station verlegt worden. Dass er so lange auf der Intensiv hatte liegen müssen, lag nicht an den körperlichen Verletzungen, sondern an den Vergiftungserscheinungen. Inzwischen, so waren sich die Ärzte nach der letzten Blutuntersuchung sicher, waren alle Rückstände aufgelöst. Nur bei fester Nahrung, die Ryo im Augenblick noch verweigerte, bestand die Gefahr von Verletzungen am Zahnfleisch. Aber auch das würde sich in einigen Tagen ganz legen.
 

„Darf ich reinkommen,“ fragte er und schloss die Tür bereits hinter sich, ohne auf eine Antwort zu warten. Ryo saß im Bett. Körperlich ging es ihm gut, nur die Seele litt weiterhin und er verschloss sich noch immer. Redete nicht über diese Zeit seiner Gefangenschaft. Weder mit Dee noch mit einem der Ärzte, und einem Psychiater hatte er gleich wieder die Tür gewiesen.
 

Nun sah er mit erwartungsvollem Blick zur Tür und wand sich dann trotzig ab, als er nur seinen Mann erblickte.
 

Dee sah das Aufblitzen von Ryo’s dunklen Augen, doch als dieser seinen Mann wieder einmal alleine erblickte, legte sich dieser dunkle Schleier erneut darüber.
 

„Ich...“
 

„Warum, Dee?“
 

Was Ryo damit meinte wusste Dee, aber wie sollte er sich weiter herausreden. Es gab keinen Grund mehr, Sara von dem Blonden fern zu halten. Hatte es wohl auch nie gegeben.
 

„Ich...“
 

„Ist es deine Rache, weil ich Black’s Forderungen nachgegeben habe?“
 

„Was? Nein... Red dir das nicht ein, Ryo. Das stimmt nicht.“
 

Mit schnellen Schritten war er bei dem Bett und wollte nach Ryo’s Händen greifen, doch dieser entzog sie ihm, wie er sich in den letzten Tagen vor ihm verschlossen hatte.
 

„Lüg mich nicht an,“ kam es tonlos und aus den schwarzen Iriden sprang ihm förmlich die Anklage ins Gesicht, so dass er sich tatsächlich abwandte.
 

„Ich liebe dich doch... Ich würde dir nie Vorwürfe machen,“ murmelte Dee leise und setzte sich schwer auf die Bettkante.
 

„Du hast es getan...“
 

„Wann denn?“ fuhr er energisch dazwischen.
 

„Nach dem Feuer im Basra, nachdem wir uns im Tropical getroffen hatten. Fast wärst du sogar vor Wut und Verletzlichkeit gegangen... und glaub mir... ich bereue es... ich bereue meinen Entschluss... dennoch...“
 

„Dennoch würdest du dich wieder so entscheiden,“ vollendete Dee den abgebrochenen Satz von seinem Ehemann.
 

Er verstand ihn. Verstand ihn einfach nur zu gut. Die Hoffnung, die sie in dieses Vorhaben gesetzt hatten, wäre auch geglückt. Doch sie hatten nicht alle Fakten berücksichtigt. Zwei Täter bedeutete auch die doppelte Gefahr. Aber daran hatte nur er gedacht und sie beiseite geschoben, als Ryo ihn darum gebeten hatte, ihn dies durchziehen zu lassen.
 

Was hatten sie nun davon? Schlussendlich hatten sie den Bomber gefunden und auch Ryo’s Peiniger, aber zu welchem Preis? Würde sich Ryo je ganz davon erholen?
 

„Hast du den Mann gefunden?“ wechselte Ryo plötzlich das Thema.
 

„Ja, habe ich. Möchtest du ihn wirklich sprechen?“
 

„Das bin ich ‚ihm’ schuldig.“
 

Da war es wieder, dieses Geheimnisvolle. Dieses was er durchgemacht hatte, aber mehr sagte Ryo auch nicht, und wenn Dee nachfragte, blockte dieser gleich ab.
 

„Der Staatsanwalt möchte auch noch mit dir reden. Er bräuchte eine genaue Aussage darüber, was dort passiert ist. Ob er alles verwendet, weiß er noch nicht, aber für die...“
 

„...Akten,“ kam es wehmütig. Sollte er wirklich alles noch mal durchleben? Aber wenn er wollte, dass sein Peiniger hinter Gitter kam, oder besser noch hingerichtet wurde für den Mord an Gary Logan, dann musste er etwas sagen. „Gut... wann immer er will.“
 

Was blieb ihm denn auch für eine Wahl.
 

„Ryo...“
 

Langsam hob der Angesprochene den Blick zu seinem Mann hinauf.
 

Dee griff in seine Jackentasche und holte den Ring hervor. Den Ring, den er ihm vor sechs Jahren an den Finger gesteckt hatte.
 

„Wir fanden ihn beim Bombenleger. Ich habe Barclay bearbeitet, damit ich ihn bekomme. Er gehört doch dir,“ sagte er und griff langsam nach Ryo’s Hand, und diesmal ließ er ihn gewähren.
 

Nahm die sanfte Berührung an, als Dee die Hand hob und den Ring wieder auf seinen Finger an der linken Hand steckte.
 

„Ich liebe dich!“ sagte er dabei. Hob die Hand hoch und küsste die Stelle, wo nun der Ring saß. Wusste er doch, dass Ryo einen direkten Kuss abgelehnt hätte.
 

„Ich... ich weiß... Ich habe dich nicht verdient, Dee...“ hauchte Ryo.
 

Auch wenn er lange gefangen gewesen war und nun auch schon über Wochen hier im Krankenhaus lag, wusste er sehr genau, was für ein Tag heute war und deswegen bedeutete ihm diese Geste gerade an ihrem Hochzeitstag so viel, dass es Ryo nun doch ein wenig eng in der Brust wurde. „Ich weiß...“
 

„Ich werde dann mal gehen... Sara holen,“ sagte Dee und da er wusste, dass sie Ryo aufbauen würde, würde er ihre Tochter nun regelmäßig mitbringen. Denn je eher Ryo hier rauskam, desto eher würden sie wieder zu einem normalen Leben zurückfinden.
 

**** TBC

Donnerstag – 15. September

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Den ganzen Tag hatte Ryo MacLane diese Spannung in seinen Knochen gefühlt. Sein Rücken tat ihm weh, obwohl alles gut verheilt war. Narben würde er behalten. Oder er konnte sie sich operativ von einem Schönheitschirurgen verkleinern oder entfernen lassen, aber daran verschwendete er keine Gedanken. Jedenfalls im Augenblick nicht. Denn in wenigen Minuten würde sich die Tür öffnen und eine Horde Männer in sein Krankenzimmer stürmen. Männer, denen er nun gerne aus dem Weg gehen würde. Aber das konnte er nicht. Denn dann würde es sich nur unnötig hinziehen.
 

Als es nun an der Tür klopfte, zog er sich seinen Morgenmantel enger um sich. Stellte sich mit dem Rücken zum Fenster und sah leicht ängstlich blickend, etwas, das er so noch nie gekannt hatte, zur Tür. Ohne jedoch länger zu zögern rief er leise, „Herein!“
 

Zuerst erkannte er seinen Mann, gefolgt von Barclay Ross und dem Staatsanwalt, hinter diesem kam noch ein weiterer, ihm unbekannter Mann mit ins Zimmer.
 

„Ryo! Das ist Staatsanwalt Powder,“ stellte Ross diesen vor.
 

Doug ging auf den Befreiten zu und gab ihm die Hand, wobei er diesen sympathisch anlächelte. „Mr. MacLane.“
 

„Wir kennen uns,“ erklärte Ryo, als er den Griff fest erwiderte.
 

„Doktor Ringours,“ stellte man ihm nun auch den anderen Mann vor.
 

„Doktor? Worin?“ Ryo zog sich schon merklich zurück. Denn was sollte ein Arzt bei seiner Aussage?
 

„Er ist Psychiater, Ryo!“ erklärte Ross.
 

Das hätte dieser wohl nicht sagen sollen, denn Ryo kreuzte nun demonstrativ die Arme vor der Brust und sah von einem zum anderen.
 

„Ich sage nichts, so lange der Arzt hier drinnen ist.“
 

„Ryo! Es ist doch nur…“
 

„Ich sagte nein!“ fuhr er Ross unbarmherzig in den Satz. „Ihr wollt meine Aussage, dann bestimme ich, wer mit im Raum ist.“
 

Dee ahnte schlimmes, aber er wollte von Ryo nicht hinausgeworfen werden. Diese Diskussion hatten sie gestern. Ryo konnte es nicht verhindern, dass sein Mann die Aussage lesen würde, wenn er alles zu Protokoll gab, aber er wollte nicht, dass er in diese grünen Augen blickte, wenn er von seiner Tortur berichtete. Den Abscheu und Ekel. Nein.
 

„Ich begleite Sie hinaus, Doktor Ringours,“ sagte Dee. Ging dann aber erst zu Ryo. Legte ihm sacht eine Hand an die Schulter, etwas, das dieser sich auch langsam gefallen ließ. „Ich warte draußen….“ erklärte er und lächelte ihn aufmunternd an. Konnte er sich noch nicht einmal im Ansatz vorstellen, was Ryo hier nun gleich sagen würde.
 

„Danke,“ war alles, was dieser von sich gab.
 

Ryo wartete, bis sowohl Dee als auch der Psychiater das Zimmer verlassen hatte, bevor er sich auf die Kante des Krankenbetts sinken ließ.
 

Powder hingegen hatte es sich auf einem Stuhl bequem gemacht, packte in aller Ruhe ein Aufnahmegerät heraus sowie ein Notizblock und legte alles vor sich auf den bereitgestellten Tisch.
 

„Sie haben nichts gegen eine Aufnahme einzuwenden, Mr. MacLane?“ fragte Powder, der das bereits alles vorab von Barclay hatte klären lassen und somit nun auch nicht mit Komplikationen rechnete.
 

„Nein… es ist… okay.“ Ryo fühlte sich schlecht. Gleich sollte er nochmals alles durchmachen. Hatte er überhaupt die Kraft dazu? Aber wenn er schwieg, dann würde dieser Kerl davonkommen. Jedenfalls bestand diese Möglichkeit. Gerade in bezug auf den Mord an Logan.
 

„Ryo, wenn du eine Pause brauchst, dann werden wir eine machen. Wir brauchen das nicht alles in einem Zug durchzugehen,“ erklärte Ross erneut, nun wo das Aufnahmegerät lief.
 

„Ich weiß… aber... ich… ich weiß nicht, ob ich nochmals… Können wir nicht anfangen?“ bat er dann mit leiser, etwas brüchiger Stimme.
 

„Wie Sie wünschen, Mr. MacLane. Bitte beginnen Sie damit, wie sie entführt wurden.“
 

Eine Weile war Stille in dem Krankenzimmer. Wenn er sich nun zurückerinnerte, fragte er sich, ob er tatsächlich alles genauso nochmals gemacht hätte, wie er es Dee glauben lassen wollte. Aber er selbst war nun nicht mehr davon überzeugt.
 

„Es... Es war in einer Kapelle. Man hielt mich für tot...“
 

„Wie kam es zu dem Verdacht?“ unterbrach Powder, der zwar die Fakten kannte, aber wenn er alles auf Band hatte, mit allen Punkten, war es nur zu seinem Vorteil.
 

„Ich sollte wohl zusammen mit meiner Tochter im Basra umkommen. Ein Lokal von einem Bekannten, das in die Luft gesprengt wurde. Nur durch Glück entkamen alle,“ beantwortete Ryo wahrheitsgemäß. Schließlich waren dies Tatsachen. Seine Wunde war ein Beweis dafür. Jedenfalls die Narbe, die er behalten würde.
 

„Bitte fahren sie fort,“ forderte der Staatsanwalt auf.
 

„Ich wollte meine Beerdigung filmen. Weil wir alle, die an dem Bomben-Fall gearbeitet haben, davon überzeugt waren, dass sich der Bomber dort vielleicht blicken ließe. Ich suchte mir einen Platz, wo ich ungesehen Bilder machen konnte... Wie er mich gefunden hat, weiß ich nicht, nur, dass ich eine Hand auf meinem Gesicht spürte, bevor mein Kopf irgendwo gegen schlug... Als ich...“
 

„Entschuldigen Sie. Sie sagten, dass er sich an Sie herangeschlichen haben muss, ohne dass Sie etwas bemerkt haben? Obwohl Sie dort waren, vermutlich wachsam, jedenfalls wenn ich mir das so anhöre, und dann lassen Sie sich überrumpeln?“ Unglauben sprach aus den Worten des Staatsanwaltes, doch er zeigte wirklich nur Mängel auf, die diese Aussage hatte.
 

„Ich rechnete zu dieser Zeit mit keinem Angriff, oder dass jemand anderes anwesend war. Als ich die Kamera aufbaute, war ich alleine... Der Pastor oder Kaplan war gerade gegangen... ich hörte die Tür der Kapelle nur einmal zuschlagen...“
 

Ryo’s Gesicht ließ darauf schließen, dass er nachdachte. Doch da er seinen Peiniger noch nie zu Gesicht bekommen hatte... Dee hatte alles so weit wie möglich von ihm ferngehalten, sogar den Namen kannte er noch nicht. Dee hatte ihm lediglich gesagt, dass es ein FBI-Agent gewesen war, der ihm das alles angetan hatte.
 

„Nun gut. Kann ich das so verstehen, dass Sie früh in der Kapelle ankamen, um alles zu richten und dann niedergeschlagen wurden?“
 

„Ja!“
 

Barclay saß nur auf dem Stuhl mit übereinandergeschlagenen Beinen und schwieg. Er würde eingreifen, sobald der Staatsanwalt seiner Meinung nach den Bogen überzog, aber bisher war dies noch lange nicht der Fall.
 

„Bitte...“
 

Ryo fühlte sich durch die ständigen Unterbrechungen aus dem Konzept gebracht. Das selbe machten er und Dee auch, wenn sie ein Verhör hatten, aber er war doch hier, um eine Aussage zu machen. Eine Aussage, und er stand doch nicht vor Gericht, oder warf man ihm etwa etwas vor? War Dee deshalb so besorgt darum, dass er so wenig wie möglich von all dem erfuhr?
 

„Wird mir was vorgeworfen?“ fragte er nun lieber gleich.
 

„Was?“
 

„Nein, Ryo. Keiner wirft dir was vor,“ fing Barclay eine möglich harsche Antwort von dem Staatsanwalt ab. „Wir wollen nur die Fakten haben. Wie es passierte, was passierte und wie du befreit wurdest.“
 

„Das hört sich aber anders an... Ich habe die Justiz nicht behindert und ich habe auch keine Selbstjustiz verübt. Also was wird das hier? Ich dachte, dass das, was ich sage, dazu beitragen soll, dass dieser Kerl hinter Schloss und Riegel kommt oder sogar...“ Ryo sprach es nicht aus, aber die Todesstrafe schwebte im Raum. Unausgesprochen aber dennoch lebhaft vorhanden.
 

„Mr. MacLane, es geht einzig und alleine darum: der Angeklagte hat einen sehr guten Anwalt und er pflückt Sie im Zeugenstand auseinander, wenn Ihre Aussage nur einen Hauch einer Schwäche zeigt.“
 

„Ferner kommt hinzu, Ryo, dass du den Angeklagten nicht identifizieren kannst.“
 

„Aber...“
 

„Mr. MacLane. Fakt ist, dass wir zwar genügend Indizien aufweisen können, aber wenn dieser Anwalt Sie hart ran nimmt und Sie rau werden, kann es auch anders ausgehen. Verstehen Sie, und deshalb muss ich schon jetzt etwas dagegen unternehmen,“ erklärte Powder.
 

„Sie wollen mir damit sagen...? Dass er frei kommt?“
 

„Ryo...“
 

„Nein, ich habe ein Anrecht darauf, das zu wissen. Egal was ich sagen werde... habe ich recht. Egal, was er mir alles angetan hat. Mich dazu gezwungen hat, Gary Logan zu töten, ist das alles unwichtig?“ fuhr er auf, ging im Zimmer auf und ab.

So aufgebracht war er nun. Seine Ruhe war weg und das nur, weil er ihn nicht identifizieren konnte? Nein, da war noch mehr.
 

„Was ist mir Sara? Sie hat ihn doch erkannt, sie hat mit dem Finger auf ihn gezeigt...“ drehte Barclay sich zu dem Staatsanwalt herum.

„Das war keine offizielle Gegenüberstellung... die findet morgen statt. Dann wendet sich das Blatt wieder zu unseren Gunsten. Hinzu kommen die Bilder, die wir gefunden haben... Wie gesagt, der Fall liegt auf der Aussage einer Fünfjährigen und Bildern.“ Erklärte Powder leise. Ryo schien davon nichts mitbekommen zu haben.
 

„Die ihm auch jemand untergeschoben haben kann... nicht wahr?“ wurde Ryo ein wenig sarkastisch.
 

„Jedenfalls behauptet das der Anwalt. Ja.“
 

Ryo sackte schwer auf dem Bett zusammen.
 

„Was ist mit Logan...“
 

Powder warf einen Blick in die Akte und dann auf Barclay, weil er mit diesem Namen direkt nichts anfangen konnte.
 

„Die Leiche im Jeanelle Park,“ half Barclay dem Vertreter für den Staat auf die Sprünge.
 

„Ach ja... Genau. Nun, Mr. MacLane. Wie der Befund der Forensikh zeigte, wurden Spuren von Gift in seinem Körper gefunden, dem, das Sie in sich hatten, ähnlich. Hinzu kommt jedoch die Tatsache, dass Ihr Sperma sowohl im After als auch in der Kehle des Toten gefunden wurde.“
 

„Dann klagen Sie mich also doch an... wegen Mordes an Gary Logan...“ Da arbeitete er jahrelang für Recht und Gesetz, doch was brachte ihm das. Eine Mordanklage. „Ich verstehe... Ich habe nichts mehr zu sagen.“
 

„Ryo?!“
 

„Mr. MacLane!“
 

„Ich bin lange genug Polizist, um zu wissen, worauf das hinausläuft. Es stimmt ja, ich habe ihn getötet... ich habe ihn vergewaltigt... habe das Blut aus ihm rinnen sehen... jedes Mal die Wunde wieder aufgerissen, als sie sich verschorfte... ja, ich bin schuldig am Tod von Gary Logan...“ sagte Ryo und drehte sich zu dem Staatsanwalt und Barclay herum. „Wollten Sie das hören? Ich verliere... egal, wie Sie es auch wenden. Ich kann ihn nicht identifizieren... weil ich ihn nie ohne diese Halbmaske gesehen habe... All der Schmerz... der Glaube an das Gute... alles... Ich dachte ich wäre das Opfer, aber nein... ich bin der Täter... Ich habe nichts weiter zu sagen...“ sagte der blonde Cop und drehte den beiden demonstrativ den Rücken zu.
 

„Ryo...“, versuchte es Barclay erneut, „das was du sagst, mag aus deiner Sicht stimmen, aber es ist falsch, von uns anzunehmen, dass wir hierher gekommen sind, um dich zu verurteilen. Wir wollen...“

„Was ihr wollt interessiert mich nicht mehr.“
 

„Mr. MacLane. Bevor wir das Gespräch beenden, möchte ich Sie wenigstens noch einmal um eine Minute Zeit bitten. Hören Sie mich an.“
 

Da Ryo nichts darauf sagte, oder reagierte, nahm Powder dies als eine stille Zustimmung.
 

„Wenn Sie sich an etwas erinnern, was den Angeklagten betrifft, würde das helfen. Ein Merkmal. Eine Narbe oder eine Tätowierung... etwas in dieser Richtung.“
 

Ryo drehte sich langsam zu dem Sprecher herum, sah ihn mit versteinertem Blick an.
 

„Er trug schwarz. Schwarze Hose, schwarzes Hemd, schwarze Halbmaske und schwarze Handschuhe... ich konnte nie etwas von ihm sehen.“
 

„Was ist, als er Sie vergewaltigte?“
 

Ryo schluckte. Nur ungern dachte er daran zurück.
 

„Ich war gefesselt... ich konnte ihn nie sehen... meist schnürte er mir die Kehle zu, drückte mir die Luft ab, ließ erst von mir ab, als ich ohnmächtig wurde. Ich sah ihn niemals, wenn er mich... mich... vergewaltigte. Er traf Vorkehrungen... jedes Mal. Wie gesagt... entweder er fesselte mich oder band mir die Augen zu... aber meistens tat er es... von hinten... Sie verstehen?“
 

Ja, Powder verstand ihn nur zu gut. Also auch dort nichts brauchbares.
 

„Was ist mit seiner Stimme, Ryo? Würdest du sie wieder erkennen?“
 

„Ja... ich denke schon... Nein, ich bin mir sicher.“
 

„Okay, Powder. Können wir eine Stimmprobe von McNear bekommen?“ wand sich Barclay an den Staatsanwalt.
 

„Könnte ich beantragen. Irgend etwas bestimmtes, das er immer zu Ihnen gesagt hat?“ stelle er die Frage an den Blonden.
 

Kurz zögerte er. Noch niemals hatte er dieses Wort gesagt. Niemand wusste davon aber nun, wenn er sich sicher sein wollte, dann musste er einfach dieses Wort hören.
 

„Schneewittchen...“ war alles, was er sagte, drehte sich dann um, klammerte sich an dem Rahmen des Krankenbettes fest.
 

„Ich werde... diese Stimmprobe beschaffen. Sagen wir in drei Tagen könnte ich sie vorspielen. Da ich gehört habe, dass sie entlassen werden, Mr. MacLane, möchte ich Sie nun bereits auffordern, ins Gericht zu kommen, sobald mir die Stimmprobe vorliegt.“
 

Ryo nickte nur, blickte nicht mehr auf.
 

„Gut, dann beenden wir das hier.“
 

Powder stellte den Recorder aus und räumte alles in seine Tasche. Dann erhob er sich und ging zur Tür.
 

„Ich werde mich mit Ihnen in Verbindung setzen,“ erklärte er noch, bevor er dann endlich das Krankenzimmer verließ.
 

„Soll ich Dee reinrufen?“
 

Noch immer klammerte sich Ryo ans Bett. Schüttelte den Kopf. „Nein... noch nicht... Barclay?“
 

„Ja?“
 

„Dieser McNear... den Sie eben erwähnten... ist er derjenige, der mich entführt hat?“
 

„Die Indizien sprechen dafür.“
 

„Warum mich? Was habe ich getan? Lag es nur daran, dass wir ihm auf der Spur waren?“ fragte Ryo leise und löste langsam seine Klammerung, wobei sich auch sein Kopf wieder etwas hob. Doch den Commissioner sah er dabei immer noch nicht an.
 

„Hat Dee dir nichts gesagt?“ äußerte Barclay überrascht.
 

„Nein... er hat mir nichts gesagt... noch nicht einmal den Namen... Gar nichts. Er schottet mich total ab... Was verheimlicht er mir?“
 

„Das solltest du Dee wohl besser selbst fragen.“ Da würde sich Ross höchst ungern einmischen. Da war wohl noch eine Sache zu klären zwischen Dee und Ryo und da wollte er weit weg sein, wenn das losging.
 

„Ich frage aber dich, Barc. Ich dachte, wir wären Freunde... Was weißt du?“ verlangte Ryo, drehte sich nun energisch zu seinem Vorgesetzten herum. „Der Ring... Dee gab ihn mir zurück. Er sagte, er wurde beim Bombenleger gefunden. Aber war McNear nicht der Bombenleger? Wenn nicht, wer war er dann... Ich möchte doch nur Antworten, Ross. Antworten darauf, warum ich das durchmachen musste.“
 

Ross ging näher zu Ryo, legte eine Hand auf dessen Schulter und anders als bei Dee ließ Ryo Barclay gewähren, zuckte noch nicht einmal zurück.
 

„Am Anfang mag es ein Angriff auf die Schwulenwelt gewesen sein. Doch es hat sich geändert, als dieser McNear ins Spiel kam. Der Bombenleger hieß Scott Peter Fulton und hatte eine Phobie gegen Schwule. Vermutlich wurde er ausgelacht, gehänselt, oder weiß der Geier warum. Auf alle Fälle fühlte er sich minderwertig. Fulton war der ältere Bruder von McNear, der sich von Washington hier nach New York versetzten ließ. Zu Beginn, so vermute ich mal, um seinem Bruder näher zu sein... aber zum anderen auch, um Dee wieder zu sehen.“
 

„Dee... wieder zu sehen? Ich versteh nicht?“
 

„Du solltest es wirklich Dee überlassen, es dir zu sagen...“ Der Commissioner fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut. Aber konnte er überhaupt noch zurück, wo er schon so weit gegangen war?
 

„McNear... Er kam wegen Dee?... Du meist... du willst damit andeuten... eine alte... Freundschaft... zwischen... ihm und McNear?... Mein Entführer... er sagte immer, dass er Sara auch umbringen würde... dass er mit mir spielen wollte, um sein Ziel zu erreichen... Das Ziel war Dee... Richtig? McNear wollte Dee... liebte ihn wohl auf eine Weise... Seine Weise... und ich... ich... sag mir, dass ich mich irre... sag es mir, Barclay...“ Verletzt wie ein weidwundes Reh sah er seinen Commissioner an. Keuchte auf, griff sich an die Brust, da er den Blick von diesem richtig zu deuten wusste.
 

Er hatte gelitten, war durch die Hölle gegangen wegen Dee? Nein... Nein... Nein...
 

„Ryo?!“ Zaghaft griff er nach dem Taumelnden, half ihm, sich wieder zu setzen. „Ich sollte gehen... und Dee rufen.“
 

„Nein. Ich will alleine sein...“ bat er tonlos. Sein Herz schrie, es blutete, war verletzt von Dee’s Verrat.
 

„Ich will niemanden sehen.“
 

„Gut...“ sagte Ross. „Ich geh... Ryo! Du solltest dir vor Augen führen, dass Dee das nie gewollt hat. Er hat McNear nie an sich gelassen, seine ganze Sorge galt dir, vergiss das nicht.“
 

Barclay ging, ohne sich sicher sein zu können, dass Ryo seine Worte gehört hatte. Doch das hatte er. Nur zu deutlich, und noch viel deutlicher sah er ein Bild vor sich. Ein Bild mit einem Mann, der sich lachend an Dee lehnte und der Arm, der sich um den Lachenden gelegt hatte. Dee hatte nur an ihn gedacht, aber den Arm um einen anderen gelegt. War dies sein Entführer gewesen? Das Gesicht war unscharf. Nur Dee’s war gut zu sehen gewesen. Alles in ihm zog sich zusammen, als er sich innerlich den Krämpfen hingab, die ihn nun überfielen. So viele Wochen hatte er durchgehalten. An ihre Liebe geglaubt. Alles durchgemacht, um nun hintergangen zu werden.
 

«Ich liebe dich... pah... leere Worte... ich hasse dich... ich hasse dich, Dee, für das was du mir angetan hast...»
 

Eine Stunde später...
 

Ryo war nach dem Gespräch mit dem Commissioner und dem Staatsanwalt alleine geblieben. Offiziell hieß es, die Aussage hätte den Cop derart mitgenommen, dass er Ruhe brauchte. Doch die Tatsache sah ganz anders aus. Ryo wollte alleine sein. Auf alle Fälle wollte er Dee nicht sehen. Jedenfalls nicht, so lange dieser Zorn in ihm brodelte.
 

Der Blonde fragte sich, seitdem er von Ross den Namen und auch den Grund erfahren hatte, warum Dee ihm nie etwas gesagt hatte. Ob sein Ehemann mit einer solchen Reaktion gerechnet hatte. Aber Ryo war sich sicher, dass er anders auf diese neue Erkenntnis reagiert hätte, wäre Dee nur Manns genug gewesen, es ihm selbst zu sagen. Nun fühlte er sich wieder hilflos und dazu noch verraten.

Als es an der Tür klopfte, wischte er seine Zornestränen von den Augen.
 

„Ja!“ bat er leise.
 

Dee streckte seinen Kopf ins Zimmer, bevor er seinen Körper folgen ließ.
 

„Na, geht’s dir wieder besser. Der Arzt meinte... Was ist mir dir?“
 

Dee kannte Ryo schon viel zu gut, um nicht zu merken, dass dieser angespannt war. Etwas brodelte in Ryo.
 

„Nichts.“
 

Ein weiteres klares Zeichen, dass Ryo mit etwas kämpfte. Aber noch nicht bereit war, sich seinem Mann zu öffnen.
 

„Du weißt, dass du mir alles sagen kannst,“ begann Dee deswegen zögernd, ging auf Ryo zu und als dieser seiner Hand gekonnt auswich, blieb der Dunkelhaarige stehen. „Ryo?!“
 

Dieser schluckte, doch er konnte es nicht länger aushalten.
 

„Ich soll dir alles sagen, ja? Aber du schweigst. Wie lange wolltest du es vor mir geheim halten? Sollte ich erst bei der Gerichtsverhandlung davon erfahren? Oder wäre es dir sogar lieber, wenn ich weiter den Rest meines Lebens im Dunklen tappe... ja? Hast du dir das etwa so vorgestellt?“ fauchte Ryo und spie seinem Ehemann diese Worte hart und aufgebracht ins Gesicht.
 

Dee, der sich vollkommen überfahren fühlte, wusste überhaupt nicht, welcher Elch ihn hier getreten hatte und trat dennoch einen Schritt zurück.
 

„Ryo?!“
 

„Tu doch nicht so unschuldig, Dee MacLane!“ fauchte der Ältere weiter. „Sag es mir... sollte ich unwissend sterben? Das wäre doch am besten für dich... Ich hasse dich... Raus hier...! Verschwinde...!“
 

„Ryo... sag mir doch...“
 

„Ich sagte raus hier... und wehe du kommst wieder.“ Ryo ging wutbebend auf Dee zu, schubste ihn zur Tür und warf ihn persönlich aus dem Zimmer.
 

Dee sah auf die vor ihm zugefallene Tür und wollte diese wieder öffnen. Denn er konnte doch nicht einfach so gehen, ohne zu wissen, was passiert war, als er von drinnen die Worte hörte, die ihn innehalten ließen.
 

„Wage es ja nicht...“
 

In Dee’s Inneren zog sich alles zusammen. Womit hatte er diesen Ausbruch denn provoziert. Er fühlte sich wirklich vollkommen ahnungslos. Aber er wusste, dass es keinen Zweck hatte, mit seinem Mann zu reden, wenn dieser so war. Eigentlich wusste er es nicht, denn so hatte er Ryo noch nie erlebt, und das machte ihm Angst. Angst, die ihm die Kehle zuschnürte.
 

Wie ein geprügelter Hund trollte er sich aus dem Krankenhaus.
 

Ryo hingegen sackte zusammen, weinte hemmungslos. Fühlte sich so leer. Was sein Peiniger nicht in der Gefangenschaft gelungen war, prasselte nun über ihn in Freiheit herein.
 

***** TBC

Montag – 19. September

~~~~ In Black’s Büro ~~~~
 

Black schloss gerade eine weitere seiner Akten. Ein alter Kunde hatte um eine Gefälligkeit gebeten und Mick hatte ihm vor einer Stunde die neuesten Fakten rund um diesen Mann gebracht. Eben hatte er mit diesem Kunden eine erneute Vereinbarung getroffen und lehnte sich nun glücklich zurück. Das würde ihn erst eine Stange Geld kosten, doch der Profit überwog. Wenn Mick sich in diesem Punkt nicht getäuscht hatte. Aber das war bisher noch nie der Fall gewesen.
 

Doch das war nicht seine wichtigste Sorge an diesem sonnigen Tag. Etwas hing in der Luft und das schon seit einigen Tagen. Doch mit dieser anderen Angelegenheit hatte er Steve Cotton beauftragt und dieser stand nun vor ihm und wollte seine neuesten Erkenntnisse an den Mann bringen. Wie es nun mal üblich war, wartete Cotton darauf, dass Black erst die Akte zur Seite legte. Erst als dies geschehen war, räusperte er sich.
 

„Was gibt’s neues von der MacLane Front?“ fragte Black. Denn die Gerüchte, die sich zu ihm durchgeschlichen hatten, waren alles andere als gut.
 

„Ryo wird morgen entlassen,“ berichtete Steve erst einmal etwas Positives.
 

„Das ist gut, oder?“ Black war der besorgte Ausdruck auf dem Gesicht seines Angestellten nicht entgangen.
 

„Ryo blockt ab. Seit letztem Donnerstag, wo er vor dem Staatsanwalt ausgesagt hat, darf Dee nicht mehr zu ihm. Er flippt regelrecht aus, wenn sich Dee auch nur in seiner Nähe befindet.“
 

„Weißt du näheres?“
 

Steve schüttelte den Kopf, knabberte kurz an der Innenseite seiner Lippe. Ein deutliches Zeichen für Black, dass sein Mitarbeiter zwar etwas ahnte, oder sogar wusste, es aber noch abwog wegen der engen Freundschaft zu der Familie MacLane.
 

„Steve... Dir ist schon klar, dass ich in dieser Sache auch meine Finger drin hatte. Möglicherweise liegt es an mir. Wenn du schweigst, kann ich nicht interagieren, also raus mit der Sprache.“
 

„Boss... Ich weiß nichts genaues. Nur soviel, also das hat Sara gesagt, zieht Ryo wohl erst in ein Hotel oder aber Dee soll ausziehen.“
 

„Das ist doch...“ fuhr Black auf.
 

Stand sogar bei dem Gehörten überrascht auf. So schnell brachte ihn eigentlich nichts aus der Ruhe. Aber dass sich so eine Wende angebahnt hatte, noch dazu ohne sein Wissen, gefiel ihm nicht.
 

„Okay... Du sagst, er wird morgen aus dem Krankenhaus entlassen. Gut, dann werde ich erst einmal mit Dee reden und mir den anderen für später aufbewahren. Du fährst... hol den Wagen, bitte. Ich bin in 10 Minuten unten,“ erklärte Black ohne Umschweife.
 

Etwas war passiert und so lange er noch die Finger mit ihm Spiel hatte, würde er nicht so dabei zusehen, wie die beiden sich trennten. Nicht, so lange er es verhindern konnte.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Ryo sah aus dem Fenster. Noch immer fühlte er sich verletzt. Obwohl er in den letzten Tagen reichlich Zeit gehabt hatte, über alles nachzudenken, wusste er doch, dass er Dee nicht so ohne weiteres verzeihen konnte. Der Blonde glaubte auch nicht mehr daran, dass sein Ehemann etwas davon gewusst hatte, das war der erste Zorn, die Wut gewesen. Dennoch, die Frage blieb, warum er es ihm verheimlicht hatte. Fühlte sich Dee vielleicht doch schuldig an allem? Schließlich war es der Ex-Lover gewesen, der Ryo entführt hatte. Ihn gefoltert und über Wochen vergiftet hatte.
 

Das kühle Glas an seiner Stirn kühlte zwar, aber es bereinigte nicht seine Gedanken. Er hatte Dee ausrichten lassen, dass er vorläufig in ein Hotel ziehen würde, um mit sich klar zu kommen. Das alles brauchte Zeit. Auch wenn diese Verbindung zwischen Dee und McNear nicht gewesen wäre, musste er erst einmal Abstand von allem gewinnen.
 

Das Klopfen an der Tür ließ ihn sich umdrehen.
 

Ein ihm unbekannter Mann stand in der Tür.
 

„Mr. MacLane. Ryo MacLane?“
 

Ryo nickte. Der Mann vor ihm trat ins Zimmer und schloss diese wieder hinter sich. Das dunkle Haar hatte er im Nacken zusammen genommen. Nur eine Strähne fiel ihm vorne über die rechte Gesichtshälfte. Der etwa 1,76 Zentimeter große stämmige Mann trug Jeans und ein blaues Hemd, welche seine blauen Augen zum Leuchten gebracht hätten, wären diese nicht hinter einer Nickelbrille verborgen gewesen.
 

„Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ein Officer der NYPD 27. Revier brachte mich her und sagte mir, dass Sie mich sprechen wollten. Oh... mein Name ist Spalier, Cordalis Spalier.“
 

„Cordy?!“ entfuhr es Ryo, ohne dass es verhindern konnte.
 

„Meine Freunde nennen mich so... Ja.“
 

„Setzten Sie sich bitte, Mr. Spalier. Ich habe schon lange auf Sie gewartet,“ erklärte Ryo und deutete auf einen der Stühle, die hier herumstanden. Auf alle Fälle würde ihn das nun folgende Gespräch von seinen eigenen Problemen ablenken, und dafür war er dankbar. Außerdem hatte er auch noch das Versprechen zu erfüllen, das er einem Sterbenden gegeben hatten.
 

„Mein Name ist Ryo MacLane, ich bin ebenfalls Polizist im 27. Revier. Aber der Grund, warum Sie hier sind, ist Gary Logan!“
 

Ryo schwieg. Ließ das erst einmal so im Raum stehen.
 

Cordy hatte sich ungewöhnlich gut unter Kontrolle. Kein Keuchen oder heftiges Atmen, nichts deutete eine Überraschung auch nur an. Ruhig lagen die Hände auf den Knien, obwohl es Ryo so schien, als ob die Augen kurz geflackert hätten. Aber da konnte er sich wegen der Brille nicht sicher sein. Das alles machte Ryo unsicher. Hatte man den Falschen gefunden? Mit Sicherheit gab es nicht so viele Menschen hier in New York, die diesen Namen trugen.
 

„Sie kennen... oder kannten doch Gary Logan?“ Ryo musste sich sicher sein. Aber konnte er sich noch auf das, was Dee tat, verlassen? Doch da brauchte MacLane nicht zu überlegen. In dieser Hinsicht vertraute er seinem Ehemann.
 

„Ja. Wir... wir waren befreundet.“
 

„Die Polizei... hat man Sie informiert. Ich meine...“ Ryo mochte so was nicht. Fühlte sich immer privat mit involviert. Egal, was er auch getan hatte. Einem Menschen mitzuteilen, dass ein geliebter Mensch nicht mehr zurückkam, war für ihn die Hölle. Das war auch der einzigste Punkt, den er an seiner Arbeit wirklich hasste.
 

„Gary... soll ermordet worden sein. Mehr hat man mir nicht gesagt, als ich auf dem Revier eine Vermisstenanzeige aufgeben wollte.“
 

„Es tut mir so leid... Mr. Spalier. Gary war ein Opfer von unglücklichen Umständen.“
 

Unglückliche Umstände? Nannte man da so, weil man ihn ausgesucht hatte, weil er ihm ähnlich war? Wie sollte er dem anderen so was nur erklären?
 

„Sie sehen ihm ähnlich...“ kam es da auch schon von dem Dunkelhaarigen.
 

„Ja, ich weiß. Ich... ich bin indirekt schuld...“
 

„Ich verstehe nicht?“ Überrascht schaute Cordalis nun doch auf Ryo, der erst einen Satz anfing, dann stoppte, um mit einem anderen weiter zu machen.
 

„Es ist eine lange Geschichte... Ich möchte Sie auch nicht mit allem behelligen, aber Sie sollten wissen... nein, ich soll Ihnen sagen, dass er Sie geliebt hat. Bis zum letzten Atemzug hat er an Sie gedacht.“ Ryo’s Stimme brach, als er daran zurückdachte, wie sich die Hand von Logan um seine gelegt hatte, wie ihn diese dunklen Augen angeblickt hatten und ihn immer wieder darum gebeten hatten, Cordy dies zu sagen.
 

Auch in der Stimme von Spalier schwangen nun Emotionen mit.
 

„Sie... Sie waren bei ihm? Was ist passiert, wie ist er gestorben? Keiner hat mir was gesagt. Ich durfte ihn identifizieren, aber sonst sagte man mir nichts,“ wurde der etwa Mittzwanzigjährige neugierig und sah Ryo bittend an, ihm das zu sagen, damit er endlich Ruhe finden konnte.
 

„Ja, ich war bei ihm. Ich weiß es wird es nicht leichter machen, aber Ihr Freund... Ich muss etwas ausschweifen, entschuldigen Sie, aber Sie müssen das als Ganzes sehen.“
 

Ryo holte Atem und entschloss sich dann, so viel wie möglich zu sagen.
 

„Sie haben bestimmt von dem Bombenleger gehört. Ich wurde von einem der beiden Täter entführt. Doch darum ging es nicht...“
 

Ryo blickte seitlich an dem ihm noch fremden Mann vorbei, als suchte er an der Wand die Worte, die er als nächstes sagen konnte.
 

„Ich las davon. Dieser Kerl soll sich in die Luft gejagt haben?!“
 

„Ja. Der Bruder hat mich entführt. Wollte meinen Mann... darf ich mit Ihnen offen reden? Ich weiß, Sie wollen alles über Gary hören. Aber ich bin so durcheinander und vielleicht können Sie mir helfen, klarer zu sehen.“
 

„Sicher. Wenn Sie mir auch wirklich alles erzählen, was Gary betrifft.“
 

„Ich gebe Ihnen mein Wort, Mr. Spalier.“
 

„Cordy... Ich denke, dann redet es sich besser.“
 

Ryo setzte ein wehmütiges Lächeln auf. Würde dieses Cordy noch aktuell sein, wenn er gestand, dass er Gary umgebracht hatte?
 

„Danke! Ryo... mein Name ist Ryo. Eigentlich Randy. Aber alle sagen nur Ryo zu mir,“ seufzte er. Ja, und wem er das verdankte, war ja klar.
 

„Ich werde zuhören und Ihnen meinen Rat sagen, das wollen Sie doch?“
 

„Ja... Der... Mein Entführer war der Ex-Lover von meinem Mann. Er ist trotz allem für die Bombenanschläge verantwortlich. Doch hauptsächlich ging es ihm wohl darum, mich auszuschalten um Dee, meinen Mann, wieder für sich zu gewinnen.“
 

„Dee und Ryo... Sie haben eine Tochter, nicht wahr?“ unterbrach Cordy die schnellen Worte von MacLane. „Ich hab davon gelesen... vor Jahren. Gary und ich haben den Bericht verschlungen und irgendwann sagte er mal zu mir, dass er mich auch so lieben könnte, um sich zu verändern. Doch ich wollte Sie nicht unterbrechen,“ entschuldigte sich Spalier gleich.

Lehnte sich nun etwas zurück, denn irgendwie hatte er das unbestimmte Gefühl, als ob er heute und hier noch einiges zu hören bekommen würde.
 

Ryo schwieg, dachte zurück an die Zeit, wo er mit dem schlimmsten gerechnet hatte. Wo er sich um Dee gesorgt und dann umsorgt hatte, als sie sich mit der Tatsache abfinden mussten, dass der Jüngere schwanger war. Ja, es war eine schöne Zeit gewesen. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatten sie viele schöne Stunden zusammen gehabt. Nicht nur Stunden, Monate, Jahre. Wenige, in denen sie sich stritten, und noch nie war ihm so wie jetzt zumute gewesen. War es dann fair von ihm, jetzt wegen einem Fehler so zu reagieren? Deswegen fand er es mehr als nur gut, mit jemandem zu reden. Dazu noch ein Außenstehender. Was Ryo sich jedoch vorstellte, was Cordalis tun konnte, wusste er nicht. Das würde er erst sehen und verstehen, wenn dieser seine Meinung zu dem allen äußern würde. Deswegen räusperte sich der Ältere und begann dann noch einmal.
 

„Wie gesagt... Der Entführer wollte unsere Ehe vernichten, indem er mich als auch Sara von Dee trennte. Jedenfalls habe ich das so alles verstanden. Jedes Mal, wenn dieser Kerl in meine Zelle kam, höhnte er nur davon. Damals, dort habe ich es nicht verstanden. Doch nun, wo ich weiß, wer mein Peiniger war, da empfinde ich nur noch... Hass auf meinen Mann. Ich...“, tief atmete er durch, nur wenn Cordalis alles wusste, konnte er auch dementsprechend dazu Stellung nehmen. „...ich litt. Das können Sie sich vermutlich nicht ganz vorstellen. Immer wenn er drohte, Sara etwas anzutun. Er zeigte mir ein Bild... ein Bild, wo Dee klar zu sehen war. Wie er den Arm um einen anderen gelegt hatte... und dieser lachte... Und... und Dee sagt zu mir, dass... dass er immer nur an mich gedacht hätte... Ich weiß einfach nicht... wie ich mit all dem umgehen soll. Der körperliche Schmerz war schon unglaublich schwer zu verkraften, aber das, was ich nun in meinem Inneren spüre, lässt das alles, was ich dort überstanden habe, im Schatten stehen.“
 

Nach einer Minute, in der sie beide schwiegen, begann Spalier erst zu reden. Schließlich wollte er sicher sein, dass Ryo mit seiner Rede fertig war.
 

„Es ist nicht das, was Sie jetzt fühlen, was Sie durcheinander bringt, es ist das, was Sie nicht wissen, Ryo. Haben Sie mit Ihrem Mann denn schon darüber gesprochen?“
 

Müde und geschlagen schüttelte Ryo den Kopf.
 

„Ich kann es nicht.“
 

„Ich bin kein Psychiater, aber ich weiß, dass es einen unglaublich belasten kann, wenn man etwas nicht weiß und sich nur Vermutungen ausdenkt. Dabei kommt meist die beste Horrorstory raus. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich stelle mir vor, wie Gary gestorben ist. Wie er gelitten hat, was er alles durchgemacht hat, bevor er diese Welt und damit auch mich verlassen hat.“
 

Ryo wusste, er musste es dem Dunkelhaarigen sagen, aber erst wollte er sein Problem fertig diskutieren.
 

„Sie meinen, ich sollte wirklich mit ihm reden?“
 

„Es ist eine einfache Frage, Ryo. Lieben Sie Ihren Mann?“
 

Darüber brauchte der Cop nicht lange nachzudenken. „Ja.“
 

War das die Antwort auf all seine Fragen? War es wirklich so einfach? Hatte Cordy in dieser Beziehung nicht recht. Er wusste nur, was Barclay ihm gesagt hatte. Alles andere waren Vermutungen. Und je öfters er darüber nachdachte oder sich das Szenario ausmalte, desto schlimmer fand er es.
 

„Danke! Danke, dass Sie mir zugehört haben. Cordy, ich weiß, es wird nicht leicht für Sie, was ich nun sagen werde, aber glauben Sie mir, ich tat es nicht aus freiem Willen. Mein Entführer... er fand Gary Logan, lief ihm über den Weg. Zufall... Schicksal, das weiß ich nicht. Vielleicht hat er auch nach einem Menschen gesucht, der mir ähnlich sieht. Ich weiß es einfach nicht. Als er Gary in meine Zelle schleppte, war er ohnmächtig. Es gab... dort einen Tisch. Einen, der sich... bewegen ließ. Alles war beweglich, nur ein Teil, wo der Körper direkt drauflag, war fest... dort drauf legte er Gary. Er befahl mir, ihn zu fesseln. Ich... er drohte mir... Ich konnte mich nicht wehren... Es tut mir leid. Ich bekam ein Messer und er sagte mir, dass ich ihm einen Schnitt... einen Schnitt oberhalb der Ferse... als ich mich weigerte... drohte er, es selbst zu tun, aber dann würde Gary leiden. Mir blieb keine Wahl... ich bin indirekt der Mörder von Gary Logan.“
 

„Hat er gelitten?“ kam es nun tonlos von dem jungen Mann.
 

„Ich möchte Ihnen... gerne alles ersparen, aber ich gab ihm mein Wort, ehrlich zu Ihnen zu sein. In gewisser Weise ja. Gary wurde mehrmals vergewaltigt...“
 

„...von Ihnen?“
 

„Ja... ja, von mir. Während ich ebenfalls vergewaltigt wurde...“
 

Ryo hob den Blick, den er in den letzen Minuten gesenkt hatte, sah nun trotz der Nickelbrille, wie die Tränen auf der gebräunten Wange von Cordalis hinabliefen.
 

„...irgendwann... wurde er bewusstlos... je mehr Blut aus dieser Wunde trat, desto weniger bekam er mit. Gary schlief irgendwann einfach ein. Ich hielt ihm die Hand, war bei ihm und gab ihm immer wieder mein Wort, dass ich Sie suchen und Ihnen von seiner Liebe zu Ihnen berichten würde. Gary starb wegen mir... es tut mir so leid...“
 

MacLane konnte nun ebenfalls nicht mehr seine Trauer über diesen Verlust verbergen und wischte sich einige Tränen fort.
 

Cordalis kämpfte nun etwas mühsam um Fassung, nahm die Brille kurz ab und betupfte sich seine Augen, die nun rot schimmerten.
 

„Ich danke Ihnen, Ryo, für Ihre Offenheit. Aber Sie tragen an seinem Tod keine Schuld.“
 

Mit allem hatte Ryo gerechnet, aber nicht mit diesen klaren und so ehrlich gemeinten Worten.
 

„A...“
 

„Nein. Sie sind doch Polizist. Wer ist der Mörder und wer ist der Täter? Gibt es da nicht Unterschiede? Glauben Sie mir, auch ich kenne mich in diesem Metier durch meinen Beruf aus. Sie haben eine Tat begangen, aber der Mörder ist derjenige, der Sie dazu gezwungen hat... Denken Sie über meine Worte nach... Ich glaube, Sie werden Ihnen auch helfen, wieder etwas Glauben in Ihrer Sache zu sehen. Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Ich möchte gehen... ich...“ Cordalis stand überraschend langsam auf, so als müsste er sich erst vergewissern, dass ihn seine Beine auch tragen konnte.
 

„Ich danke Ihnen... für Ihre Worte, Cordy... Sie bedeuten mir sehr viel.“
 

„Vielleicht darf ich mal wiederkommen?“ fragte dieser mit dem Rücken zu dem Cop.
 

„Ich würde mich freuen.“
 

Ryo sah Cordalis nach, wie dieser nun die Tür hinter sich zuzog.
 

~~~~ Untersuchungsgefängnis ~~~~
 

Patrick McNear saß auf einem dieser unbequemen Stühle und wartete auf seinen Anwalt. Ihm wurde mitgeteilt, dass dieser nun die ganzen Fakten kannte und wollte mit ihm nun die Strategie durchsprechen. Patrick wusste, dass er wohl kaum eine Chance auf Freispruch hatte. Nicht, wenn alles auf ihn als Täter hinwies. Aber schließlich hatte Goro ihm den besten Anwalt von New York besorgt. Dem FBI-Agenten war klar, dass dies nicht so selbstlos geschah. Schließlich kannte Patrick einige Zusammenhänge in bezug auf diesen Mafiaboss, die man nicht an die Öffentlichkeit bringen sollte. Aber Patrick wäre damit auch nie hausieren gegangen. Immerhin hing er an seinem Leben und nur die Androhung von so was verkürzte das eigene Leben auf wenige Tage, und so dumm war er nun doch nicht. Doch dass er auch nicht der schlaueste gewesen war, sich auf so ein Spiel einzulassen, war ihm nun auch klar geworden.
 

Eigentlich hätte sein Bruder alles untergeschoben bekommen sollen, aber dieser war für seinen Geschmack zu schnell enttarnt worden und da ihm in diesem Augenblick sogar die Hände gebunden waren, konnte er nicht so weitergehen, wie es geplant gewesen war. Und was hatte er davon. Eine Anzeige wegen Entführung, Körperverletzung und vermutlich sogar auf Mord. Dieser springende Punkt war es wohl auch, den sein Anwalt nun zum Anlass genommen hatte, ihn mal wieder hier aufzusuchen. Schon seit Tagen hatte er von Timber nichts mehr gehört. Deswegen hoffte Patrick nun auf eine positive Wendung.
 

Als der fünfundfünfzigjährige Anwalt schließlich in das Zimmer trat, legte er seinen Mantel zuerst einmal über den Stuhl und machte es sich dann auf dem Stuhl Patrick’s gegenüber bequem. Aus der Aktentasche, die dieser immer bei sich trug, zückte er ein Aufnahmegerät und die Akte.
 

„Sie werden gut behandelt, Mr. McNear. Oder haben Sie inzwischen irgendwelche Vorkommnisse zu melden?“ fing der Anwalt mit der gleichen Frage an wie immer, nachdem er das Aufnahmegerät gestartet hatte.
 

„Ja, ja, mir geht’s gut. Was gibt’s neues?“
 

„Die Staatsanwaltschaft ist an mich herangetreten. Man wünscht eine Stimmaufnahme. Nun liegt es an Ihnen, Mr. McNear. Wollen Sie sich weigern oder gewähren Sie Ihre Zustimmung für diesen Antrag?“
 

Justin Timber kramte nochmals in der Aktentasche und holte ein etwas kleineres Aufnahmegerät hervor.
 

„Wozu?“
 

„Der Staatsanwalt erklärt nicht viel. Jedoch liegt die Vermutung nahe, dass Ihr Zeuge Sie nicht identifizieren kann. Deswegen eine Stimmprobe. Diese wird dann dem Zeugen in den nächsten Tagen, mit mehreren anderen, vorgespielt. Selbstverständlich in meinem Beisein. Ich werde darauf bestehen, dass sich einige Stimmen der Ihren ähnlich anhören. Mit dieser Möglichkeit steht uns auch wieder ein Freispruch in Aussicht. Sie sollten sich jedoch vor Augen führen, dass dies kein Versprechen ist.“
 

„Wenn ich mich weigere, dieser Stimmprobe zuzustimmen?“
 

„Das würde alles in die Länge ziehen. Powder wird zum Richter gehen, ihm die Notwendigkeit erklären und dann werden Sie gezwungen, diese zu geben. Immerhin lastet dieser Verdacht schwer auf Ihnen. Hinzu kommt, dass eine Weigerung einem Schuldeingeständnis gleichkommt.“
 

Patrick stand auf, hätte am liebsten seinen Frust an den Stühlen ausgelassen, aber diese waren leider am Boden fest verankert. An alles hatte er gedacht. Ryo hatte nie sein Gesicht gesehen, nie einen Flecken seiner Haut. Aber an die Stimme hatte er nie gedacht. Er hätte ihn umbringen sollen, anstatt ihn mit seiner Samariter-Ader am Leben zu lassen. Und das auch nur, weil er noch weiter mit ihm spielen wollte. Wäre ja auch ein toller Spaß geworden, wenn er Dee zurückbekommen hätte und Ryo hin und wieder vergewaltigen konnte. Aber nun saß er im Knast und wartete auf seine Verhandlung, die alles andere als rosig aussah.
 

„Gut, ich stimme zu... was soll ich sagen?“
 

„Lesen Sie einfach ein Stück aus diesem Märchen. Was genau sie hören wollen, wurde mir nicht gesagt. Nur dieses Kapitel.“
 

Timber reichte das Märchenbuch von ‚Schneewittchen und die sieben Zwerge’ über den Tisch, wartete, bis McNear es aufgeschlagen hatte und drückte dann die Aufnahmetaste.

Patrick las das markierte Stück ruhig und gleichmäßig vor. Das Wort ‚Schneewittchen’, worauf es wohl ankam, betonte er nicht. Warum auch, wusste er doch, dass es dies war, was Ryo zu hören bekommen würde.
 

Als Patrick fertig war, klappte er das Buch zu, wartete, bis Justin Timber alles, was die Stimmaufnahme betraf, wieder eingepackt hatte, als er ihm die Frage stellte, von der er hoffte, mildernde Umstände zugesprochen zu bekommen.
 

„Was ist mit der Mordanklage?“
 

„Bisher ist dies noch nicht im offiziellen Anklageschriftsatz aufgenommen. Aber bis zur Verhandlung sind es auch noch einige Tage, wenn nicht sogar Wochen. Auch mein Gesuch, Sie auf Bewährung zu entlassen wurde abgelehnt. Haben Sie noch Fragen?“
 

Das, was er sich von diesem Besuch erhofft hatte, war in Rauch aufgegangen. Noch immer hing dieser Mord über ihm.
 

„Nein...“
 

„Gut, dann sehen wir uns wieder, sobald ich was neues erfahre.“
 

Damit räumte der Anwalt alles wieder ein, erhob sich und nahm seinen Mantel.
 

„Mr. McNear!“ Nach einem freundlichen, aber nichtssagendem Nicken verschwand der Anwalt.

Der unter Anklage stehende FBI-Agent wurde auch wenige Minuten später zurück in seine Zelle geführt, wo Patrick wieder die Zeit hatte, um sich all seine Fehler vor Augen zu führen und er malte sich auch aus, wie er es hätte besser machen können. Keine Spielchen mehr. Das nächste Mal direkt. Eine, nein zwei Kugeln, und Dee wäre frei. Genauso würde er es machen.
 

~~~~ Medical Center ~~~~
 

Black ließ sich von niemandem aufhalten. Das fehlte ihm auch noch in seiner aufgebrausten Laune, dass sich ihm einer in den Weg stellte. Auf direktem Wege eilte er deswegen auch zu dem Zimmer, in dem er den älteren der MacLane wusste. Nach einem kaum hörbaren Klopfen trat er auch schon ein.

Schlagartig verrauchte seine Wut, welches das Gespräch mit Dee zur Tage befördert hatte, als er den Hellhaarigen wie ein Häufchen Elend auf dem Bett zusammengekauert vorfand.
 

„Ryo?!“ sagte er dementsprechend sanft.
 

Eigentlich bekam nur einer diese Stimmart zu hören. Doch hier schien seine weiche, seine andere Seite weitaus besser angebracht als die energische, die er sonst zu tragen pflegte.
 

Als sich der Angesprochene rührte, setzte sich Black einfach auf die Bettkante.
 

„Du siehst scheiße aus, Mann,“ sagte er mitfühlend.
 

Anders als das, was er eigentlich Ryo hatte alles an den Kopf werfen wollen. Gut, er trug mit Schuld an diesem Dilemma und nur deswegen mischte er sich überhaupt hier ein.
 

„Danke... genau das wollte ich jetzt hören,“ kam es trüb von Ryo, der sich nun gänzlich zu Aaron umdrehte. „Was willst du?!“
 

Eine nur zu berechtigte Frage, wie er fand.
 

„Mit dir reden.“
 

„Mach es kurz...“
 

„Dee! Ist das kurz genug?“
 

„Fuck!“ knurrte Ryo und drehte den Kopf wieder zu Seite.
 

„Genau, das meinte ich auch, als ich von deinem Entschluss hörte, in ein Hotel zu ziehen.“
 

„Wie geht’s ihm?“
 

„Interessiert es dich wirklich?“
 

„Black... Bitte. Wie geht’s ihm?“
 

„Es geht ihm scheiße. Was erwartest du auch? Du knallst ihm nichts an den Kopf, nur, dass du ihn hasst, und damit soll er dann klarkommen? Nach dem, was er alles durchgemacht hat?“
 

„WAS ER DURCHGEMACHT HAT? Was ist mit mir? Alle reden nur von Dee!“ kam es verzweifelt zurück.
 

Black blieb ruhig, angesichts dessen, was er aus dem hörte, und dem, was er vor sich sah. Ryo war nicht mehr der Mann, den er vor Monaten dazu überredet hatte, alleine, nur mit seiner Deckung, hinter dem Bomber herzuschnüffeln. Nein, das hier war ein ganz anderer Mann. Kurz vor dem Zusammenbruch. Tief verletzt nicht nur am Körper sondern hauptsächlich an der Seele, und der einzigste der ihm wirklich helfen konnte, war Dee, und dieser saß in einer Ecke und war ratlos über den Hass seines Mannes.
 

„Keiner weiß, was du durchgemacht hast, Ryo. Wir kennen doch nur das, was der Arzt gesagt hat. Deine äußerlichen Wunden. Du redest nicht. Selbst bei deiner Aussage hast du so lange alles auf einen Punkt fixiert, bis du nicht mehr zu einer direkten Aussage, was dir angetan worden war, gekommen bist. Ryo... Ich kann ja verstehen, wenn du nicht mit einem Psychiater reden möchtest, aber dann rede wenigstens mit Dee. Er versteht deinen Hass nicht. Wenn es ist, weil du entführt wurdest, dann solltest du den Hass auf mich lenken... Denn betrachte es objektiv: ich habe dich dazu angestiftet. Dee wollte dich nicht in Gefahr bringen... Wir haben sogar gekämpft, als du entführt wurdest. Dee hat eine gewaltige Rechte, das kann ich dir flüstern,“ versuchte Black ein wenig, das Gespräch aufzulockern. Nicht um die Wichtigkeit in den Worten ins Lächerliche zu ziehen, sondern ganz allein, um Ryo ein wenig zum Lächeln zu bringen.
 

„Dee hat dich geschlagen?“ So kannte Ryo Dee nicht. Dee war immer... Aber kannte er ihn denn überhaupt?
 

„Ja, und er drohte mir, wenn dir weh getan wird, dass ich dafür gerade stehen muss. Aber bisher ist er noch ruhig. Weil er mit dem, was du ihm gesagt hast, nicht klar kommt, Ryo. Keiner versteht, warum du so reagierst,“ forderte er ihn indirekt dazu auf, ihm wenigstens einen Hinweis zu geben.
 

„McNear...“ murmelte Ryo und machte somit Black wohl klar, worum es hier wirklich ging.
 

„McNear?! Klar. Wie sollte es auch anders sein. Es ist Tatsache, dass er dich entführt hat. Steve wird wohl für dich aussagen. Mick ebenfalls. Wo sie dich gefunden haben. Den Kontakt, woher dieser McNear von dem geheimen Ort kannte, können wir ebenfalls aufweisen. Aber das ist wohl nicht der springende Punkt. Habe ich recht?“ Aaron machte eine Kunstpause, ließ Ryo gerade so viel Zeit zum Nicken.
 

„McNear... der Ex-Lover von Dee. Darum geht es. Soll er es noch im Nachhinein schaffen, und euch auseinander bringen? Traust du Dee wirklich zu, dass er dich verraten hätte?“
 

„Er hat doch mit einem anderen rumgemacht...“
 

„Was? Wer sagt das?“ wurde Black nun doch ein wenig sauer. Wer konnte Ryo nur so weh tun, dass man ihm so was auftischte.
 

„McNear... Er zeigte mir ein Bild... Da war Dee und hielt einen Mann im Arm... Es war deutlich zu sehen.“
 

„Und du glaubst das?“
 

„Ja...“
 

„Dann ist dir nicht zu helfen. Dee ist am Boden. Weißt du... Dich einmal zu verlieren, war für ihn die Hölle. Doch zu wissen, dass du lebst und ihn hasst für etwas, woran er keine Schuld trägt, wird ihn zerstören. Euch beide zerstören. Denkt auch an Sara... Aber wenn du dich wirklich von Dee trennen willst, werde ich dich nicht aufhalten können. Keiner kann das. Aber denk dran: Dee hat immer nach dir gesucht. Du kannst Chris fragen. Er ist mein Halbbruder. Du hast ihn ja bei einem Treffen kennen gelernt... Wenn du wirklich wissen willst, wie Dee McNear gegenüber war, dann frag ihn, wenn du mir schon nicht glaubst. Wenn du deinem Herzen nicht vertrauen kannst. Es tut mir alles so leid, Ryo. Noch nie habe ich so etwas Blödes in meinem Leben getan. Ich habe mich das erste Mal wirklich überschätzt und diejenigen, die darunter leiden, sind meine besten Freunde. Ich geh dann wieder. Ich wollte dir den Kopf waschen, aber ich bin der, der an allem Schuld hat. Tja... gib Dee... dein Leben mit ihm, nicht wegen etwas auf, was du nicht benennen kannst, Ryo.“ Etwas zögerlich legte er seine Hand auf Ryo’s Schulter, drückte sie knapp, bevor er sich erhob.
 

„Aaron?!“
 

Black drehte sich an der Tür noch mal um.
 

„Ja?“
 

„Sagst du ihm, dass er mich morgen abholen soll?“
 

„Mach ich...“ Etwas erleichtert, dass Ryo es wohl doch noch mal versuchen wollte, verließ er das Krankenzimmer.
 

**** TBC

Dienstag - 20. September

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Auf dem Schreibtisch des Commissioner des 27. Reviers lagen fünf Kassetten. Und auf allen war das gleiche zu hören.
 

In wenigen Minuten würde Ross gemeinsam mit dem bereits anwesenden Staatsanwalt diese versiegelten Bänder nehmen und in das Verhörzimmer Nummer drei gehen. Dort würden sie dann auf den Anwalt von Patrick McNear treffen. Und wenn alles glatt lief, würde Ryo MacLane pünktlich um 10 Uhr auftauchen und aus diesen fünf Bändern die Stimme identifizieren, die seinem Peiniger gehörte.
 

„Sie hören sich alle fast gleich an,“ gab Powder zu bedenken.
 

Schließlich war er bei all den Aufnahmen zugegen gewesen. Bis auf die eine, die der Anwalt direkt von McNear aufgenommen hatte. Doch er zweifelte nicht daran, dass diese getürkt war. Gut möglich war es immer, aber wenn nur ein geringer Zweifel kam, Ryo nicht einwandfrei eine Stimme erkennen konnte, dann konnte er darauf plädieren, dass McNear dem Cop direkt vorgeführt wurde und sie eine direkte Gegenüberstellung sprich Sprachgegenüberstellung vornahmen. Diese Option blieb ihnen noch. Selbst der Richter, der sich die Bänder angehört hatte, alle fünf, und sie anschließend versiegelt hatte, hatte Schwierigkeiten, die Stimmen zu trennen. Nur Glück würde ihnen hierbei helfen. Hier ging es einzig und allein um das Hörvermögen von Ryo.
 

„Ich habe nichts anderes erwartet, Powder. Aber unterschätzen Sie Ryo nicht.“
 

„MacLane... ich kann mir kein Bild von ihm machen. Erst wollte er aussagen und auf einmal schien es mir, als wollte er sich selbst anklagen. Wenn er bei dieser Aussage bleibt, gerade in bezug auf den Mord von Logan, dann können wir ihn höchstens für 25 Jahre rankriegen.“
 

„Was ist mit dem Jungen aus dem Waisenhaus?“
 

„Das habe ich auch schon überprüft. Aber auch nachdem wir Bilder von McNear rumgezeigt haben, konnte ihn keiner identifizieren. Selbst diese Nonne nicht. Also sollten wir das aus der Anklageschrift raushalten,“ erklärte der Staatsanwalt. Denn er arbeitete nur mit bestätigten Beweisen.
 

„Tja... dann wollen wir mal. Ryo wird wohl gleich kommen.“
 

Barclay erhob sich, nahm die Bänder und verließ mit Powder sein Büro, um durch das Großraumbüro zu gehen. Denn Verhörzimmer Nummer drei lag direkt gegenüber den Büros.
 

~~~~ 27. Revier ~~~~
 

Ryo stieg aus dem Wagen. Blieb dann stehen und sah zu dem Gebäude, welches er gleich betreten musste. Er fühlte sich befangen wie selten. Denn er wusste, warum er hier war. Gleich würde er die Stimme wieder hören. Die Stimme, die sich in sein Ohr eingebrannt hatte.
 

„Ryo?!“ hörte er die besorgte Stimme von Dee.
 

Der Hellhaarige war froh, dass dieser nun bei ihm war. Als er ihn vor zwei Stunden aus dem Krankenhaus abgeholt hatte, waren sie nicht zu einem Hotel gefahren. Nein, Ryo hatte darauf bestanden, nach Hause zu fahren, und dort hatten sie lange miteinander gesprochen.
 

Zwei Stunden vorher...
 

Der Ältere hatte seine Vermutungen vor Dee ausgebreitet. Doch Dee hatte nicht gelacht, wie Ryo gefürchtet hatte, sondern war vor ihm stehen geblieben. Hatte ihn nur angesehen, ruhig und gefasst. Noch immer berührte er ihn nicht. Vermutlich lag noch immer die Distanziertheit auf Ryo’s Zügen. Als der Schwarzhaarige dann endlich die Stille durchbrach, wusste Ryo auf einmal, dass all seine Ängste seine Vermutungen falsch waren.
 

„Traust du mir nicht mehr?“
 

Was konnte er darauf antworten. Seine Zweifel waren weg, nur weil er die Verletzlichkeit in Dee’s Augen sah. Weil er wusste, wie falsch all das gewesen war. Auch das Foto, das er immer vorgeschoben hatte, musste eine Fälschung gewesen sein. Deswegen sagte er das, was er wirklich empfand.
 

„Doch... Aber...“
 

„Es gibt kein ‚aber’, Ryo. Ich... ich weiß nicht, was du alles erlitten hast unter diesem Mistkerl, aber du musst mir einfach glauben, dass es keinen Menschen auf der Welt gibt, der mir wichtiger wäre als du!“
 

„Er zeigte mir ein Bild...“ sagte Ryo, sah knapp an Dee vorbei, weil er einfach nicht länger den Schmerz in diesen Augen sehen konnte, aber auch wegschauen wollte er nicht, als er ihm das, was auf dem Bild gewesen war, sagte.
 

„Ja... Ich erinnere mich. Chris hatte mich gerade heimgefahren, als Patrick anrief und mich treffen wollte. Angeblich hatte er etwas rausgefunden. Ich weiß nicht, ob du weißt, dass er Profiler ist... aber auf alle Fälle rief ich Chris an, sagte ihm, was Sache war. Denn er traute ihm genauso wenig wie ich. Obwohl ich ihm auch so etwas nie zugetraut hätte. Glaub mir, wir haben nur etwas getrunken. Etwas neues hatte er schon zu sagen... aber das ist... es geht ja um das Bild. Als wir gingen, bat er mich, ob ich ihn nicht zu seiner Wohnung bringen konnte. Das tat ich. Einmal... wirklich nur das eine Mal... er schien zu taumeln und ich fing ihn auf... und da muss einer das Bild gemacht haben... Es war nichts... wirklich nicht,“ erklärte Dee. Denn das musste es sein, ein anderes Mal hatte er Patrick nie so nah an sich heran gelassen.
 

„Dee... Es ist so... ich... ich war verblendet... Er hat mir alles eingeredet... weißt du... die Angst, dich zu verlieren... sie war auf einmal wieder da...“ sagte er und wand sich dann doch ab.
 

Ging in die Küche und war froh, alles so vorzufinden, wie er es verlassen hatte. Denn wenn er sich zurückerinnerte an die Zeit, wo er und Dee sich näher gekommen waren und was manchmal für ein Chaos hier geherrscht hatte. Gerade so, als ob Dee’s Wohnung für das nicht mehr gereicht hätte.
 

Dee folgte ihm, vermutete mal, dass dies noch nicht alles war, was seinen Mann bedrückte.
 

„Warum hast du es mir nicht gesagt?“
 

Diese Frage hing schwer in der Küche. Aber auch Dee hatte sich diese Frage schon so oft gestellt. Zwar nicht so, aber bei ihm ging es eher um das ‚Wann’. Doch da sich dies aufgelöst hatte, musste er nun auch nachdenken. Warum?
 

„Ich weiß es nicht. Ich kann es einfach nicht sagen. Nichts verbindet mich mit McNear. Ich spüre nur noch... Leere, wenn ich an ihn denke. Denn selbst Hass wäre zu viel für ihn. Ich wollte dich vermutlich schützen... Weil es ja... Wie soll ich sagen... Wenn es mich nicht gegeben hätte, oder ich... wir nicht zusammen wären... dann hättest du auch nicht leiden müssen.“
 

Ryo drehte sich langsam zu Dee herum. Lehnte sich mit der Hüfte gegen die Arbeitsfläche und stütze seine Hände rechts und links von sich auf.
 

„Wärst du zu ihm zurück, wenn es mich nicht gegeben hätte?“
 

Ryo hatte Angst vor dieser Antwort, aber sie mussten das jetzt klären, wenn sie eine Chance auf ein weiteres gemeinsames Leben wollten, dann mussten sie über all das reden und zwar jetzt. Denn aufschieben ließ sich so etwas nicht. Auch wenn eine Frage womöglich nicht gestellt wurde, so doch wenigsten die, die am wichtigsten waren.
 

„Nein!“
 

„Bist du dir sicher?“
 

„Ja, ich bin mir sicher. Sehr sicher sogar, Ryo. Ich habe ihn mal geliebt. Es brach mir das Herz, als er mich einfach so zurückließ, und dann erkannte ich, was er wirklich war. Ein egoistisches Arschloch, das nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Ich war fertig mit ihm. Okay, ich kann es nicht abstreiten, dass ich mich dennoch gefreut habe, ihn wieder zu sehen, aber das, was er wollte, hätte er nicht bekommen, auch wenn ich noch frei gewesen wäre...“
 

„Dee...“
 

Ryo kämpfte mit den Tränen. Er war sich so sicher gewesen, dass dieser lieber zu seiner ersten Liebe gewollt hätte, aber so etwas aus dem Mund von Dee zu hören, war einfach zu schön.
 

Ryo stieß sich von der Arbeitsplatte ab und ging die zwei Meter zu Dee.
 

„Ich... ich brauche noch Zeit... aber ich möchte, dass du mich in den Arm nimmst...“ bat Ryo leise.
 

Und als er die starken Arme von seinem Mann fühlte, spürte er, wie die innere Kälte, die ihn seit Wochen bewohnt hatte, sich langsam verzog und sich ein warmes Gefühl in ihm ausbreitete.
 

„Ich muss dir was beichten...“ hörte Ryo dann überraschenderweise an seinem Ohr. Doch da Dee ihn nicht losließ, legte er seinen Kopf auf dessen Schulter.
 

„Was?“
 

Etwas schlimmeres, wie er die letzen Tage vermutet hatte, konnte es nicht sein, dann hätten sich die Worte anders angehört.
 

„Ich habe deine Bücher gelesen...“
 

„Du hast was?“
 

Nun verlangte er doch etwas energischer, dass Dee ihn losließ, was dieser dann auch tat. Wenn sie schon bei einem klärenden Gespräch waren, dann konnte er doch auch gleich alles beichten.
 

„Sorry... aber ich dachte, ja dass du tot wärst... Und du hast mir doch gesagt, dass ich sie lesen soll, wenn du... also... ich...“
 

„Als ich...“ Ryo dämmerte wann er sie gelesen hatte. “Alle?“
 

„Bei der Menge? Nein... ich kam nur bis zu Saras Geburt... Danach hörte ich ja, dass du lebst und...“
 

„...Hör ich da etwa einen Vorwurf?“ stemmte Ryo seine Arme in die Seite. Das glaubte er jetzt nicht.
 

„Nein... du weißt doch, was ich meine...“ murmelte Dee verkniffen. “Bist du böse?“
 

„Nein, deswegen nicht... deswegen bestimmt nicht...“
 

Sie waren zusammen, sie liebten sich, aber konnte Ryo die Entführung und die damit verbundenen Qualen, erhalten von Dee’s Ex-Lover, einfach so verdrängen? Jedenfalls war der Ältere nun schon einmal so weit bereit und schmiegte sich nach der Eröffnung von Dee wieder in seine Arme.
 

Jetzt...
 

„Okay. Lass uns gehen,“ murmelte Ryo. Suchte nach der Hand von Dee und hielt sie fest. Fühlte den Mut, der ihm in die Knie gerutscht war, wieder höher steigen.
 

Als die beiden das Revier betraten, verstummte schlagartig alles.
 

Ryo schien es, als ob er die Blicke anziehen würde. Das sonst so laute Gebrummel im Großraumbüro war nie so laut wie die Stille, die sich nun ausgebreitet hatte. Am liebsten wäre Ryo nun gleich herumgefahren, um zu gehen, aber die Hand, die noch immer fest von Dee’s gedrückt wurde, ließ ihm nicht die geringste Chance dazu.
 

Dee wollte etwas sagen, als J.J. das Wort an sich riss.
 

„Welcome back, Ryo...“ rief er quer durch das Büro.
 

Diese Worte schienen den Bann gebrochen zu haben, denn auf einmal setzte das Gemurmel rundherum wieder ein und J.J., Drake und Ted kamen zu ihnen und schüttelten Ryo erst einmal die Hand.
 

„Der Boss erwartet dich in Nummer drei,“ erklärte Drake und ging dann auch schon mit J.J. zurück, um einen Bericht über den letzten Vorfall zu schreiben.
 

„Schön dass du wieder hier bist...“ sagte Ted und drückte Ryo herzlich die Schulter.
 

Dann führte er die beiden, damit keiner es auch nur wagen sollte, maulaffenfeil zu stehen, vorbei zum Verhörzimmer.
 

„Der Anwalt von diesem Sack ist ein Geier... passt bloß auf euch auf,“ mahnte er noch, als er die beiden alleine ließ.
 

„Bist du bereit?“ hörte Ryo neben sich.
 

„Nein, aber bringen wir es hinter uns.“
 

Ohne anzuklopfen öffnete Dee die Tür und ließ Ryo den Vortritt.
 

~~~~ Verhörzimmer Nr. 3 ~~~~
 

Der erste, den Ryo erblickte, war der Staatsanwalt. Die Sonne ließ dessen brünettes Haar ein wenig heller scheinen, als es in Wirklichkeit war. Die grünen Augen, die einen Touch dunkler als die von Dee waren, lagen mandelförmig unter den schmalen Brauen. Wie üblich trug der Staatsanwalt einen silbernen Dreiteiler. Irgendwie konnte sich Ryo diesen Mann auch nicht in was anderem vorstellen. Selbst zu Verhandlungen trug er diese Anzüge. Wohl eine Macke, aber wer war er denn, dass er so was kritisierte?
 

Barclay trug wie immer eine dunkle Jeans und sein Sakko hatte er wohl im Büro gelassen, denn sein Hemd wurde diesmal nicht davon bedeckt.
 

Den einzigsten, den Ryo und Dee, der nun die Tür hinter ihnen schloss, nicht kannten, war der schwarzhaarige Anwalt. Da sonst keiner anwesend war, musste dies wohl die Vertretung im Fall McNear sein.
 

Dass die beiden sich nicht getäuscht hatten, wurde klar, als Barclay ihn als Justin Timber vorstellte. Nachdem alle sich bekannt gemacht hatten, wurde Ryo ein Stuhl zurechtgerückt, der direkt vor ein Abspielgerät gestellt wurde.
 

Der Staatsanwalt räusperte sich, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
 

„Nun, meine Herren. Wir sind hier, damit Mr. MacLane eine Stimmprobe vorgespielt bekommt. Anhand dieser soll er seinen Entführer erkennen. Alle Männer, die hier aufgenommen wurden, taten dies aus freien Stücken und sind vom Gericht zugelassen worden. Anhand der Schwere des Vorwurfes hat der Richter zugestimmt, dass der Zeuge diese Stimmproben in einem ihm vertrauten Rahmen hören kann. Dennoch möchte ich alle Anwesenden bitten, bei den nun folgenden Abspielungen äußerste Ruhe zu wahren, damit alles objektiv bewertet werden kann. Noch eins, bevor wir fortfahren: weder mir noch dem werten Herrn Anwalt ist bekannt, welche Stimmprobe zu dem Verdächtigen gehört. Sie, Mr. MacLane, werden sich diese Stimmen alle anhören. Wenn Sie möchten, legen wir zwischen den Bändern immer eine Pause ein, das überlasse ich Ihnen. Wenn Sie sich für eine Stimme entschieden haben, Sie sich sicher sind, dass es Ihr Entführer ist, sagen Sie es mir und ich werde den Richter anrufen. Wenn Sie sich nicht einig werden, werden wir einen weitern Versuch starten. Doch vorerst versuchen...“
 

„...einen weiteren Versuch. Herr Staatsanwalt, mit allem Respekt, mir wurde nichts von einem weiteren Versuch mitgeteilt!“ unterbrach Timber die lange Ausführung des Staatsanwaltes.
 

„Ja. Wir werden Sie davon noch unterrichten, wenn dies der Fall sein sollte,“ blickte der Staatsanwalt den Anwalt ganz ruhig aber dennoch etwas von oben herab an. Immerhin konnte er so lange etwas fordern, bis er das hatte, was er wollte. Entweder freiwillig oder mit richterlichem Beschluss.
 

Dee beugte sich zu Ryo runter.
 

„Jedenfalls steht Powder auf deiner Seite,“ flüsterte er seinem Mann zu.
 

Doch da war Ryo gar nicht so sicher. Auch wenn er hier einen auf wichtig machte, Ryo war sich dennoch bewusst, dass Powder nur nach seinen Regeln spielte. Auch wenn er in den anwaltlichen Kreisen als ‚harter Hund’ verschrien war, würde er nur nach seinem Vorteil handeln.
 

Trotz seiner Bedenken nickte Ryo.
 

„Wenn nichts mehr dagegen spricht, hören wir uns nun die Aufzeichnungen der Reihe nach an. Mr. MacLane... können wir?“ fragte er nun an Ryo gewandt, denn schließlich ging es hier um ihn und wenn er nun alles kippen würde, konnte er nichts dagegen tun.
 

„Ja!“ sagte der ältere MacLane jedoch mit fester Stimme, fühlte, wie Dee seine Schulter drückte.
 

„Mr. MacLane... bitte würden Sie zurücktreten. Mir ist bekannt, dass Sie den Angeklagten gut kennen und wir möchten eine unvoreingenommene Aussage von Ihrem Ehemann. Sollten Sie jedoch diese Aussage in irgendeiner Weise gefährden oder gar eingreifen, werde ich gerichtlich gegen Sie vorgehen,“ drohte Justin Timber. Denn die Hand dort auf der Schulter, die einige vielleicht als Trost und Unterstützung sehen würden, konnte er nur als Absicht sehen, dem Zeugen einen Tipp zukommen zu lassen.
 

„Ich muss dem Anwalt zustimmen, Dee MacLane. Bitte treten Sie zurück oder ich muss Wie aus dem Raum entfernen lassen.“
 

„Aber...“
 

„Schon gut, Dee...“ mischte sich nun Ryo ein, drückte Dee’s Hand kurz. “Geh bitte...“
 

Dee kniete sich vor Ryo und sah zu ihm hinauf.
 

„Wenn was ist... ich bin gleich vor der Tür.“
 

Sie waren sich zwar schon wieder etwas näher gekommen und auch die McNear-Sache stand nicht mehr zwischen ihnen, aber dennoch wollte er Ryo hier nicht küssen. Schon allein, dass der Hellhaarige sich vielleicht sogar zurückziehen konnte, ließ Dee das einfach so geschehen.

Nach einem nochmaligen leichten aufmunternden Druck, diesmal auf den Oberschenkel, drehte Dee sich herum und verließ das Zimmer.
 

„Können wir dann... Meine Herren, ich bitte um Ruhe.“
 

Powder packte eine Kassette aus und legte sie in den Recorder.
 

Stillte breitet sich aus, als das Rauschen des Bandes anfing und kurz darauf eine weiche, samtige Stimme zu hören war.
 

Als das erste Mal das Wort ‚Schneewittchen’ fiel, zuckte Ryo leicht zusammen. Blieb ansonsten aber ruhig. Es war nur ungewohnt, es nun in so einem Zusammenhang zu hören.
 

Als die Stimme geendet hatte, drückte Powder den Stoppknopf und spulte schon aus Gewohnheit zurück.
 

„Kann... kann ich mir erst alle anhören und dann... entscheiden,“ fragte Ryo. Obwohl er sich sicher war, dass diese Stimme nicht zu dem Entführer gehörte.
 

„Sicher, Mr. MacLane. Sie können sie alle in Ruhe anhören, dann nochmals, sooft Sie möchten...“ sagte Powder.
 

Ryo nickte. Griff nach dem Glas Wasser, das für ihn bereitgestellt worden war, und trank einen Schluck. Dabei sah er das abfällige Grinsen des Anwaltes. Dass dies nicht leicht werden würde, hatte er schon gedacht. Aber irgendwie hatte er damit gerechnet, dass er gleich den Richtigen erkennen würde. Okay, es war das erste Band. Dennoch fühlte er sich schon jetzt etwas unsicher.
 

„Möchten Sie eine Pause?“ fragte der Staatsanwalt, während er die zweite auspackte.
 

„Nein...“ schüttelte Ryo den Kopf und lauschte dann dem Märchen.
 

Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Hause kamen. Als sie Schneewittchen wie tot auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach und fanden den giftigen Kamm, und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Schneewittchen wieder zu sich und erzählte, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal, auf seiner Hut zu sein und niemand die Türe zu öffnen.

Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach

„Spieglein Spieglein an der Wand,

wer ist die Schönste im ganzen Land?“

Da antwortet er wie vorher

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,

aber Schneewittchen über den Bergen

bei den sieben Zwergen

ist noch tausend mal schöner als ihr.“

Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. “Schneewittchen soll sterben,“ rief sie, „und wenn es mein eigenes Leben kostet.“

© Gebrüder Grimm
 

Auch nachdem er das dritte Band gehört hatte, immer die gleiche Geschichte, immer fast der gleiche warme Unterton, fragte sich Ryo, ob das alles überhaupt einen Sinn machte. Was wollten sie machen, wenn er ihn nicht identifizierte? Was, wenn er die Stimme nicht erkannte? Gegenüberstellung? Was sollte er denn erkennen? Das Kinn, die Mundpartie... nun, möglich wäre es. Aber vielleicht doch etwas. Etwas, was ihm jetzt einfiel. Das Deo oder Rasierwasser, das sein Peiniger genommen hatte. Aber gab es nicht Zigtausende, wenn nicht sogar noch mehr, die diesen Duft hatten?
 

„Ryo?“ wurde er aus seinem Grübeln gerissen.
 

„Wir können weitermachen,“ sagte er rasch. Denn das, was er sich in Gedanken ausgemalt hatte, war für später.
 

Das vierte Band wurde ausgepackt und eingelegt. Erneut senkte sich Ruhe über das Zimmer und erneut erklang eine samtige weiche Stimme. Wieder erklang das Kindermädchen.
 

Ruhig wurde es vorgelesen. Wie bei den anderen auch. Kein Heben oder Senken der Stimme, nur ein monotones Vorlesen, wie es Erwachsene gerne tun. Doch kaum war das erste ‚Schneewittchen’ verklungen, begann Ryo’s Herz zu hämmern. Ohne äußere Anzeichen hörte er weiter zu. Beim zweiten ‚Schneewittchen’ war er sich sicher. Selbst das Wort ‚tot’ hallte in ihm schwer nach. Beim dritten hatte er keine Zweifel mehr.
 

„Das ist er... das ist er...“
 

„Ryo? Bist du dir auch sicher?“ fragte Ross, bevor dies der Anwalt konnte und es somit fast unwiderruflich sein würde.
 

„Ja... Das ist er...“ blieb Ryo dabei.
 

„Möchten Sie die Aufnahme nicht noch einmal hören?“ forderte Powder, der auch lieber auf Nummer Sicher gehen wollte.
 

„Ich glaube, das wird nicht nötig sein, Herr Staatsanwalt. Der Zeuge hat eindeutig auf diese Stimme reagiert. Eine Wiederholung würde wohl nichts daran ändern. Dürfte ich Sie dann bitten, uns mitzuteilen, ob dies mein Mandant war?“ verlangte Timber. Denn egal ob oder ob nicht, an der Aussage würde sich wohl nichts ändern.
 

„Mr. MacLane?“ Verlangend erklang die Stimme des Staatsanwaltes. “Wir haben noch ein Band. Das sollten Sie sich...“
 

„Unnötig... haben Sie nicht gehört. Der Zeuge hat...“
 

„Unterbrechen Sie mich nicht, Herr Anwalt. Einspruch können Sie vor Gericht erheben. Nicht hier. Dass Sie hier anwesend sind, verdanken Sie meiner Güte, vergessen Sie das nicht,“ fuhr Powder den Älteren ruhig, aber nichtsdestotrotz ein wenig aggressiv an.
 

Dieser schaute nur pikiert, schwieg dann jedoch. Denn insgeheim musste er dem Staatsanwalt ja zustimmen. Es sollten alle Bände gehört werden. Um einwandfrei diese Aussage zu manifestieren.
 

„Mr. MacLane...“ richtete Powder seine Aufmerksamkeit wieder auf den Polizisten.

„Angesichts der Tatsache, dass Sie der Meinung sind, dass Nummer vier die Stimme Ihres Entführers ist, sollten wir dennoch das letzte Band nur zur Sicherheit hören.“
 

„Wenn Sie meinen... aber ich werde meine Meinung nicht ändern,“ blieb Ryo stur.
 

„Kann ich Sie kurz sprechen,“ mischte sich Ross nun in das Geschehen ein und forderte Powder mit einer energischen Handbewegung auf, in eine Ecke zu kommen. Dort flüsterte er leise mit dem Staatsanwalt. Als dieser nickte, ging er zurück zu dem Tisch.
 

„Nun gut. Wenn Sie sich so sicher sind, dann werde ich den Richter anrufen,“ sagte er nun, klein beigebend. Denn das, was der Commissioner eben dazu beigetragen hatte, leuchtete ihm schließlich ein.
 

Sollte es wirklich nicht der Angeklagte sein, der eben identifiziert worden war, dann konnten sie sich darauf berufen, dass der Zeuge nicht alle Bänder gehört hatte. Doch warum hatte Timber nicht darauf bestanden? Wollte er, dass sein Mandant verurteilt wurde, oder war er sich so sicher, dass dies nicht die Stimme von McNear war? Aber sie hatten die Bänder untersucht. Alle möglichen Geräusche waren herausgenommen worden. Es konnte unmöglich sein, dass sich der Anwalt in dieser Sache sicher war. Aber gut, er würde nun den Richter anrufen und ihm die Nummer durchgeben. Dann würden sie... Aber das ging auch anders herum, fiel es Powder wie Schuppen von den Augen. Der Anwalt konnte die Aussage als nichtig geltend machen, dass Ryo anstatt aus fünf nur aus vier Stimmen zu wählen brauchte, und somit die Chance gestiegen war, einen richtigen Tipp abzugeben.

Powder fühlte sich eingeengt. Egal, wie er entscheiden würde, er spielte mit dem Risiko. Doch da er das Sagen hier hatte, legte er das Handy zurück auf den Tisch und holte die letzte Kassette hervor.
 

„Sir, auch wenn Sie sich mit der vierten Nummer sicher sind, muss ich darauf bestehen, dass Sie auch das letzte Band zu hören bekommen.“
 

Als er das frustrierte leichte Schnauben neben sich hörte, wusste er, dass er sich richtig entschieden hatte.
 

Ohne lange zu zögern packte er das Tonband in das Gerät und nachdem Ryo genickt hatte, ließ er es laufen.
 

Nachdem nun auch die letzte Aufnahme abgespielt worden war und die Kassette wieder zurück in die dafür vorgesehene Box gelegt worden war, richtete der Staatsanwalt das Wort wieder an Ryo.
 

„Mr. MacLane? Bitte würden Sie uns nun sagen, welches Band Ihrer Meinung nach die Stimme des Mannes war, der Sie entführt hat?“
 

„Nummer vier... das vierte Band, das Sie mir vorgespielt haben,“ blieb Ryo bei seiner Aussage. Auch wenn die Stimmen fast alle ähnlich waren, so konnte er doch das feine Timbre nicht ganz verbergen. Dieses Etwas, das ihm jedes Mal einen Schauer über den Rücken gejagt hatte.
 

„Gut... Wir werden es gleich wissen,“ meinte Doug M. Powder.
 

Der Staatsanwalt nahm nun das abgelegte Mobiltelefon wieder auf und tippte nur eine Nummer.
 

„Euer Ehren! Nummer vier... Ja, einwandfrei identifiziert... Ja, Sir. Der Zeuge ist sich sicher... Gut, ich warte.“ Powder schritt vom Tisch weg zum vergitterten Fenster und lauschte. “Danke, Euer Ehren.“
 

Tief atmete der Staatsanwalt auf, drehte sich dann mit der Gelassenheit, die ihm so anhaftete, zu den Anwesenden herum. Auf seinem Gesicht konnte man nicht erkennen, was der Richter nun gesagt hatte.
 

„Und?“ konnte es Ross nicht mehr aushalten. Denn für ihn waren alle Stimmen gleich gewesen.
 

„Patrick McNear! Wurde soeben anhand der Stimmprobe von dem entführten Zeugen Randy MacLane als Täter identifiziert.“
 

„Das...“ Timber war anscheinend sprachlos. Zudem auch noch machtlos. Denn da alles nach Vorschrift vonstatten gegangen war, konnte er noch nicht einmal Einspruch erheben. Ohne noch etwas zu sagen nahm er seine Aktentasche und mit einem knappen Nicken verließ er dann das Verhörzimmer.
 

Dee, der die ganze Zeit davor gestanden hatte, nahm dies zum Anlass, um in den Raum zurückzugehen.
 

„Und?“ fragte er neugierig in die Runde. Anhand der guten Stimmung hier drinnen brauchte er auch nicht auf die Antwort zu warten. “Können wir dann gehen?“
 

„Ja. Ihr könnt gehen. Ach, Dee!“ hielt Barclay den jüngeren MacLane auf.
 

„Was?“
 

„Anfang Oktober möchte ich dich wieder im Dienst wissen.“
 

„Mhmm... das weiß ich noch nicht... Mein Arzt meinte, ich sollte noch in eine Kur, um mich richtig auszukurieren. Ich dachte da an Aspen.“
 

„Spinner,“ murmelte Ryo, als er sich endlich erhob.
 

„Wir werden sehen, Boss...“ grinste Dee. Denn so was von Ryo zu hören, war Balsam auf seiner waidwunden Seele. Ein Hoffnungsschimmer, dass alles gut werden würde.
 

„Lass uns heim fahren!“
 

Gemeinsam verließen die MacLane’s das Zimmer und zurück blieben ein zufriedener Staatsanwalt und ein immer noch ernst blickender Barclay Ross.
 

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

Dee betrat als erster das Apartmentgebäude, hielt Ryo die Tür auf, ging dann zum Aufzug, der zum Glück gerade unten angekommen war, und lächelte seinen Mann leicht an.
 

„Da scheint es einer gut mit uns zu meinen!“
 

„Ich laufe...“ entgegnete Ryo leise.
 

Nein, er wollte nicht in diesen Käfig, er brauchte einfach nur Raum um sich. Obwohl er auch froh darüber war, dass er nun nicht mehr draußen war.
 

Schulterzuckend ging Dee dann mit seinem Mann zusammen über die Treppe hoch, in den dritten Stock. War ja auch nicht so schlimm. Und Bewegung schadete einem ja auch nicht. Obwohl die Schritte von Ryo immer langsamer und auch ein wenig zittriger zu werden schienen. Die aufkommende Frage jedoch unterdrückte Dee. Wenn, dann sollte Ryo reden. Er war ja sonst nicht so schweigsam, aber das wenigem was er nun von sich gab, war meist eine Frage oder eine Aufforderung. Nie, dass er so wie früher einfach mal losplapperte.
 

Kaum dass er wieder klar gewesen war, hatte er lediglich eine einzige Frage gestellt. Eine, die aus Ryo’s Perspektive wohl die wichtigste war.
 

„Habt ihr ihn?“
 

Und nachdem Dee diese Frage bejaht hatte, war für Ryo erst einmal diese Angelegenheit erledigt gewesen.
 

Gut, dann kam die Bitte, nach diesem ‚Cordy’ zu suchen und diese verkappte Zeugenaussage, wo er dann von McNear erfahren hatte. Aber das hatten sie nun auch schon geklärt. Jedenfalls hoffte das Dee von Herzen. Schließlich hatte er ihm ja auch in allen Punkten Rede und Antwort gestanden und wenn er noch Fragen dazu hatte, konnte dieser sie ihm jederzeit stellen. Das wusste Ryo und er würde davon Gebrauch machen, wenn er soweit war.
 

Nun hatte Ryo seinen Entführer auch noch identifiziert. Etwas besseres konnte gar nicht passieren. Nun würde McNear für seine Taten verantwortlich gemacht werden können. Da war nun nicht mehr nur Saras Aussage allein, sondern nun belastete Ryo ihn schwer, und den Mord an Gary Logan würden sie ihm auch noch anhängen. Auch wenn Ryo ausgesagt hatte, dass er es getan hatte. Aber immerhin stand er zu diesem Zeitpunkt unter seelischem und wohl auch körperlichem Druck, so dass er es nicht hätte verweigern können.
 

Dee war nur froh, dass es nun aufwärts gehen würde. Was ihm nur noch Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass Ryo zu dem, was ihm widerfahren war, schwieg. Keinen Psychiater ließ er an sich heran, aber ansonsten schwieg er auch. Und Fragen? War das nicht zu aufdringlich? Dee wollte ihm erst die Zeit einräumen, um sich wieder zu fangen. Fragen liefen niemals weg. Aber er würde ihm sagen, dass er jederzeit da war, wenn er reden wollte. Das zumindest musste er Ryo klar machen.
 

Dee war nicht blind, er sah die Qualen, die Ryo still mit sich selbst ausmachte, sah, wie sich dieser jeden Tag ein wenig mehr zurückzog, aber er kam einfach nicht an ihn ran und deswegen wuchs seine Angst, ihn zu verlieren, mit jedem Tag. Mit jedem Tag, in dem Ryo weiterhin ins Schweigen verfiel. Auch der körperliche Kontakt war noch etwas zwischen ihnen, das sich auf ein Minimum bezog. Mal ein flüchtiger Kontakt und meist ging dieser auch noch von Dee aus. Ryo unternahm nichts, ganz im Gegenteil. Er zog sich mehr und mehr zurück, kapselte sich fast ab. Auch wenn er vorhin im Revier fast normal gewirkt haben mochte, so war er es nicht. Nicht wenn er alleine war.
 

Wenn Ryo meinte, dass niemand ihn sah, dann sah er ganz anders aus. Und das machte Dee Angst.

Nur deswegen hatte er dem Plan von Steve und Tony zugestimmt. Er hoffte nur, dass es nicht falsch gewesen war. Die Reaktion von Ryo konnte er sich schon ausmalen, dazu brauchte er noch nicht mal ein Telepath oder sonst was sein. Nein, Ryo würde zusammenzucken, wie er es immer tat. Denn die Geräusche, das Laute, das Hektische würde ihn angreifen und ihn zu etwas zwingen, das er noch nicht bereit war, wieder jemandem zu geben. Rasch würde er sich ins Schlafzimmer zurückziehen und sich ans Fenster stellen. So jedenfalls malte sich Dee die Reaktion von Ryo aus, und er wurde nicht enttäuscht. Eigentlich war es noch schlimmer.
 

„WILLKOMMEN DAHEIM!“ wurden die beiden Cops begrüßt, als sie die Tür öffneten.
 

Ryo verharrte völlig apathisch, nein verängstigt in der Tür. Es schien Dee, als ob alles Leben auf einmal aus ihm gewichen wäre, so fand er zumindest die Figur, die wie ein Fels inmitten der Türöffnung stand. Erst das nächste holte ihn zurück ins Leben.
 

„Daddy...“ erklang es leise und zwei schmale Ärmchen, in ihr Lieblingskleid gehüllt, legten sich um Ryo’s Hüfte.
 

Auch im Krankenhaus war sie die einzigste gewesen, die etwas Leben in Ryo gebracht hatte. Der einzigste Lichtblick, konnte man fast sagen, denn nur Sara schaffte es, wenn auch nur für wenige Minuten, diese Traurigkeit und Leere aus Ryo’s Augen zu verscheuchen.
 

„Nikkô...“ hauchte er ergriffen und beugte sich zu der Kleinen hinab.
 

„Daddy...“ sagte sie wieder nur und ihre Arme legten sich wie selbstverständlich nun um Ryo’s Nacken. “Ich hab dich lieb... so lieb... lass mich nie mehr allein...“
 

Fest klammerte sie sich an Ryo und der Rest der Gruppe verstummte angesichts der Tränen, den ersten, die ihren Weg aus den dunklen Iriden von Ryo fanden.
 

Steve, Tony sowie Aaron und Mick standen ergriffen da und hofften, dass es nun besser und leichter werden würde. Schließlich hatte er so lange gekämpft für seine Freiheit, das durfte man nicht so ohne weiteres einfach über den Haufen werfen. Nein, Ryo brauchte einfach noch Zeit, dann würde es schon werden.
 

„Wir gehen dann mal,“ sagten die vier und verabschiedeten sich nur von Dee, denn Ryo saß immer noch am Boden, seine Arme fest um seine Tochter geschlungen, den Kopf auf ihrer Schulter und weinte, leise, doch jeder konnte es ahnen.
 

„Komm, Ryo... setz dich auf die Couch,“ sagte Dee und half ihm auf die Beine, und damit er Sara nicht loszulassen brauchte, hielt er die Fünfjährige auch dabei. Gemeinsam setzen sie sich dann aufs Sofa.

Ryo war noch immer an Sara gekuschelt, die ihren Dad nun doch ein wenig hilflos ansah. So kannte sie ihren Daddy nicht. Er war doch immer so stark, ihn nun so schwach und weinerlich zu sehen, machte Sara das Herz schwer. Doch anstatt selbst in Tränen auszubrechen, hob sie eine Hand von Ryo’s Nacken und strich ihm sachte durch das blonde Haar.
 

„Sht... Daddy... ich bin ja bei dir...“ sagte sie die Worte, die sie sonst von ihrem Daddy Ryo zu hören bekam, wenn sie mal weinte.
 

Dee konnte es nicht verhindern, dass nun auch ihm Tränen die Wangen hinabliefen. Ihre Tochter war wirklich ein Wunder der Natur. Ihr kleines Wunder. Und wenn es in ihrer Macht stünde, würde sie auch alles tun, damit ihr Daddy bald wieder lachte.
 

Ergriffen legte Dee seine Arme um die beiden Menschen, die ihm auf der Welt das meiste bedeuteten.
 

**** TBC

Donnerstag - 29. September

~~~~ Diner of Love ~~~~
 

Vor zwei Wochen hatte Ryo seine Aussage gemacht, und obwohl er nun wusste, von wem und warum er entführt worden war, und warum das alles passiert war, fühlte er sich dennoch nicht besser. Ganz im Gegenteil. Diese Last, dieses Wissen in ihm war unruhig. Nein, Dee machte er keinen Vorwurf mehr, das hatten sie ja geklärt, aber dennoch konnte er ihn auch nicht an sich heranlassen. Jedes Mal, wenn Dee ihn berührte, fühlte er die anderen Hände auf sich. Schon allein, wenn er Dee’s Blick auf sich fühlte, wusste er nicht, wie er reagieren sollte. Ryo fühlte sich schmutzig. Doch egal, wie oft er sich in den letzten Tagen gewaschen hatte, der Schmutz ging nicht runter.
 

Dee’s Augen waren immer sanft auf ihn gerichtet, dennoch fühlte er sich noch immer nackt und ausgeliefert. Mit niemandem konnte er darüber reden... Doch, mit einem, fiel es ihm nun ein. Einem, der ihm schon einmal geholfen hatte, klarer zu sehen. Der ihn nicht für den Tod an einem geliebten Mann verurteilte. Und auf diesen Mann wartete er nun.
 

Es hatte ihn Überwindung gekostet, das Apartment zu verlassen. Allein zu verlassen. Denn dort fühlte er sich sicher. Geborgen. Ewig, das wusste er selbst, konnte er sich nicht verstecken und so hatte er gewartet, bis Dee zu seiner Abschlussuntersuchung ins Krankenhaus musste und Sara von Chris und Tony abgeholt worden war. Normalerweise war er kaum allein. Meist war einer da, aber Sara wollte mal wieder in den Zoo, und sie hatte so lange gedrängelt, bis die beiden nachgegeben hatten. Zumal Ryo allen versichert hatte, dass er schon klarkommen würde.
 

Kaum waren jedoch alle weg, hatte er telefoniert und ein Treffen ausgemacht. Die Christopher Street lag nicht gerade ums Eck, doch ein Taxi wollte Ryo nicht nehmen. Da nahm er lieber den halbstündigen Fußmarsch in Kauf. Nun saß er mit dem Rücken zum Notausgang, ungefähr dort, wo er sonst auch immer mit Dee saß. Nicht, dass es schon ein Stammplatz wäre, aber meist war es hier hinten etwas ruhiger. Bei einem der drei, er wusste nicht mehr, wer es gewesen war, hatte er sich einen Kaffee bestellt. Als dieser nun gebracht wurde, bat der wohl jüngere darum, sich einen Augenblick setzen zu dürfen.
 

„Bitte...“ sagte er und fühlte sich schon nun erst recht nicht mehr wohl in seiner Haut.
 

Irgend etwas machte ihm Angst. Wenn er das nicht bald in den Griff bekam, würde er daran zerbrechen, das wusste Ryo, aber er konnte dennoch mit keinem reden. Nicht mit Dee und schon gar nicht mit einem dieser abgebrühten Psychiater. Die nur immer nickten und dennoch keine Ahnung von was hatten.
 

„Ich will ja nicht aufdringlich sein, Ryo... Aber wenn du möchtest... wir haben ein kleines Zimmer, in das du gehen kannst. Es hat ein kleines Fenster... Also wenn du mit jemandem in Ruhe reden möchtest... sag es einfach,“ sagte Robin leise, wischte dann geschäftig über den Tisch.
 

„Danke... aber ich... ich möchte nicht...“
 

Ein kleines Zimmer, auch mit Fenster, war viel zu eng. Nur zu Hause machte es ihm nichts aus. Einer würde ihn verstehen. Einer, der auch unter Klaustrophobie litt. Steve Cotton. Doch der hatte es dank Tony soweit geschafft, dass er zumindest nicht mehr austickte, wenn sie Aufzug fuhren.
 

„Okay... aber es steht dir frei!“
 

„Ryo?“ hörte Robin neben sich und hob fragend den Kopf. Denn die Stimme von allen um Ryo kannte er. Doch dieser Mann, der den Cop nun ansprach, war ihm völlig fremd. Rasch stand der Jüngere auf und machte dem Fremden Platz. “Einen Kaffee, Sir?“ wurde er dann auch gleich geschäftlich.
 

„Einen Latte... wenn sie haben!“ meinte Cordalis, als er sich auf den eben frei gewordenen Platz setzte.
 

„Kommt sofort!“ wieselte Robin weg.
 

Doch kaum war er bei seinem Bruder, der heute Dienst hinter der Theke hatte, beugte er sich vor und fragte ob er den ‚Fremden’ kannte.
 

„Nope... aber lass mal. Misch dich da nicht ein, es ist Ryo’s Sache,“ verbot Mark seinem Bruder weitere Nachforschungen.
 

Bis Robin den latte macchiato brachte, war Ruhe an dem Tisch, doch auffällig oft wuselte dieser dann in der Nähe herum. Doch zu seinem Leidwesen schnappte er kaum etwas von den leisen Worten der beiden auf. Und das führte in Robin zu der Annahme, dass Ryo fremd ging. Doch obwohl das in seinen Augen irrsinnig war, kam er auch nicht zu einem anderen Ergebnis.
 

„Du klangst aufgeregt. Ist was passiert?“ fragte der Dunkelhaarige.
 

„Ich weiß nicht... mit wem ich reden soll. Ich habe das Gefühl, dass mir die Luft abgeschnürt wird...“
 

„Was ist mit Dee? Würde er dir nicht zuhören?“
 

„Doch... Schon öfters hat er es mir gesagt, aber ich... wenn ich mir nur vorstelle, wie ich ihm davon erzähle... ich schaff das nicht.“ Nur mit Mühe gelang es Ryo, nicht in aller Öffentlichkeit in Tränen auszubrechen.
 

Cordy streckte seine Hand über den Tisch und legte sie auf Ryo’s, und dieser Kontakt war Balsam für Ryo. Er zuckte nicht zurück, sondern eine ungeahnte Wärme durchflutete ihn, gab ihm Ruhe.
 

„Ich sagte dir, dass ich dir gerne helfen würde. Aber ich bin der Falsche dafür, Ryo. Schon allein, weil ich noch nicht mit Gary abgeschlossen habe. Ich wache nachts auf. Höre ihn nach mir rufen. Spüre sogar noch immer seine Nähe... Ich kann dir leider nicht helfen.“
 

„Kannst oder möchtest du es nicht,“ fragte er leise, senkte den Blick auf ihre beider Hände.
 

„Vielleicht beides. Ich sagte es dir schon einmal, Ryo. Wenn du deinem Mann verziehen hast, wo es keinen Grund gab, dann gib ihm auch die Chance, dich zu heilen. Denn nur er kann es. Nur die Liebe kann so was heilen und ich... ich mag dich... höchstens als Freund...“
 

„Danke...“ Ryo zog seine Hand zurück, spielte mit seiner Kaffeetasse und versenkte seinen Blick dort hinein.
 

„Hi!“
 

Diesmal war es Ryo, der aufblickte und auch ein wenig erschrak. Denn mit nichts hatte er gerechnet. Aber Dee nun hier zu sehen, war doch überraschend.
 

„Dee?!“ entfuhr es Ryo auch dementsprechend.
 

„Stör ich etwa?“
 

„Nein... Mr. MacLane... Ich wollte gerade gehen.“ Ein ernster Blick streifte Ryo, und als dieser ihn auf sich fühlte, wusste er, er musste mit Dee reden.
 

„Ich vertreibe Sie doch nicht etwa, Mr. Spalier?“
 

„Nein... ich bin nur kurz in der Pause gekommen... Ich wünsche Ihnen beiden alles Gute... Ryo?!“
 

Als dieser nun doch wieder den Blick hob, sah er in den dunklen Augen von Ryo die Entschlossenheit, wenn auch noch etwas zaghaft, aber er würde es schon schaffen. “Wir sehen uns...“
 

Zaghaft nickte er dann doch, schaute Cordalis hinterher, der seinen latte noch nicht einmal angerührt hatte.
 

„Woher weißt du, dass ich hier bin?“ fragte er leise.
 

„Chris! Er ist hier bei Robin. Ständig ist er eigentlich hier in der Nähe. Die beiden haben echt einen Narren aneinander gefressen. Und so lange er nicht arbeiten muss, wird er noch zum Inventar,“ grinste Dee ein wenig.
 

Ryo schaute an Dee vorbei und erkannte den Mann, den er schon einige Male gesehen hatte. So viel wie er nun wusste, war er der Halbbruder von Aaron. Was nicht unbedingt hieß, dass man ihm vertrauen konnte.
 

„Hat er mich verfolgt?“
 

„Was? Nein... das würde ich nie tun. Das weißt du doch hoffentlich. Es war wirklich Zufall,“ meinte er rasch und man hörte auch an der Stimme klar hervor, dass dies wirklich so gewesen war. Denn Dee konnte Ryo einfach in so was nicht anlügen, selbst wenn er es gewollt hätte.
 

„Ich wollte einfach mit jemandem reden...“
 

„Und da ist dir kein anderer eingefallen als Spalier?“ Dee legte den Kopf etwas schräg. Irgendwie fühlte er sich verletzt, weil Ryo einem Fremden vertraute, ihm aber nicht.
 

„Ich...“ leer blickte Ryo wieder vor sich hin. So als ob ihn nichts mehr interessieren würde.
 

„Ryo?!“ holte Dee seinen Mann aus diesem Loch, in das er zu fallen drohte.
 

„Ich möchte nach Hause,“ war alles, was Ryo hervorbrachte, danach verfiel er in Schweigen.
 

Stand aber auf, als Dee zustimmte.
 

Gemeinsam verließen sie das Diner und fuhren in ihrem Wagen, den Dee direkt davor geparkt hatte, zurück in ihre Wohnung.
 

Robin sah den beiden nach.
 

„Er tut mir leid... Wirklich leid...“ sagte er, als er sich neben Chris auf die Bank sinken ließ.
 

„Wenn er nicht bald redet, alles weiter in sich frisst... Wird er gehen. Seelisch als auch körperlich, um Dee Freiheit zu geben. Eine Freiheit die Dee bestimmt nicht verkraftet. Aber du hast Recht. Man müsste irgend etwas tun, um Ryo wachzurütteln. Nur was?“
 

Doch weder Chris noch Robin fiel etwas sinnvolles ein. Beide wollten jedoch darüber nachdenken.
 

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

Erneut hatten sie die Treppe genommen. Früher waren sie auch ständig gelaufen, aber nun gab es diesen Hintergrund der Entführung. Kaum waren sie in ihrer Wohnung, platzte Dee der Kragen.
 

„Ryo?! So geht es nicht weiter. Das ist dir doch klar?“
 

Wie unter einem Schlag zuckte Ryo zusammen und blieb mit dem Rücken zu seinem Mann stehen. Was sollte er denn tun? So tun, als ob diese Monate nicht gewesen wären? So als ob alles normal wäre? Das war es nicht, würde nie wieder so sein.
 

„Verdammt, dreh dich um. Red mit mir...“ wurde Dee nun etwas leiser, ahnte, dass er über das Ziel hinausgeschossen war. “Ryo?!“
 

Doch kaum spürte dieser, wie sich die Hände auf seine Schultern legten, zuckte er zusammen, zog sich innerlich wie äußerlich zurück.
 

Auch wenn er vorgehabt hatte, mit Dee zu reden, so waren diese harschen Worte, die er eben gehört hatten, nur ein Zeichen, dass er ihn nicht verstehen würde. Niemals, und dann dieser Kontakt, nach so einer Anfuhr. Ryo konnte nicht mehr. Er schaltete auf Schutz. Selbst in seiner Gefangenschaft hatte er sich so nie gefühlt.
 

„Ryo?!“
 

Ryo hörte die Worte, doch er konnte sich weder rühren, noch etwas sagen. Er merkte, wie Dee sich von ihm löste, sich vor ihn stellte, er sah ihn sogar, aber er konnte nichts tun. Blicklos, leer, wie eine Hülle, stand er einfach nur da.
 

„Nein...“ japste Dee auf. Der nach einem Gespräch mit einem Psychiater diese Anzeichen beschrieben bekommen hatte. Ein Schutzmechanismus, hieß es. Dann zog sich die Seele in sich selbst zurück und wenn man zu hart vorging, würde der Mensch nie wieder so werden, wie er mal war. Verloren in sich selbst.
 

„Nein... Ryo... bitte, tu mir das nicht an... lass mich nicht noch einmal allein,“ wimmerte Dee und schüttelte ihn. Doch nichts half. Ryo blieb apathisch. Ließ sich von Dee ins Schlafzimmer führen und auch aufs Bett legen, doch selbst agierte Ryo nicht mehr.
 

Kaum lag der Ältere, wählte Dee hektisch eine Nummer und Foster unterbrach augenblicklich seine Sprechstunde und eilte zu den MacLane’s.
 

~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~
 

Barclay erwartete Black in seinem Büro. Doch zur Zeit saß auf dem Stuhl direkt vor seinem Schreibtisch dessen Bruder.
 

„Sicher bleibe ich, bis Ryo wieder einsatzbereit ist. Sobald ich es bin. Der Arzt meinte, ich sollte noch einige Wochen pausieren. Ich denke noch zwei Wochen, dann bin ich wieder einsetzbar,“ erklärte er gerade, als sich die Tür hinter seinem Rücken nach einem kurzen Anklopfen öffnete.
 

„Tag auch!“ meinte Aaron, als er sich alleine ins Büro schob.
 

Sein Schatten, Freund und Geliebter war ins Büro gefahren. Schließlich hatten sie ein Unternehmen zu leiten und sie hatten sich schon viel zu lange etwas zurückgenommen. Schnell war die Konkurrenz zur Stelle, um ihre Kunden zu übernehmen. Aber Black war nicht neu in dieser Branche und hatte still aber dennoch vernehmlich verlauten lassen, dass er eine Pause einlegte, oder eher gesagt, die Geschäfte aus privaten Gründen, die auch niemand hinterfragte, etwas zurücknahm. Bisher waren auch keine großartigen Veränderungen in seinem Kundenkreis verlautbar geworden. Den dringenden und auch denjenigen, die schon zig Jahre Kunden bei ihm waren, wurde selbstverständlich sofort ein Berater oder Begleiter zugeteilt. Schließlich wusste man, was sich gehörte. Und allein durch diese Geste von Black blieben ihm auch die Kunden treu und diejenigen, die nicht warten konnten oder wollten, sollten halt bleiben, wo der Pfeffer wuchs.
 

„Nehmen Sie doch Platz!“ bot Barclay Black höflich einen Stuhl an. Seit ihrer Zusammenarbeit hatte er den Geschäftsmann schätzen gelernt. Nicht, dass er ihm blind vertrauen würde, aber wenn er einen Rat oder einen Tipp von diesem erhalten würde, würde er diesem auch nachgehen.
 

„Danke.“
 

Nachdem sich Black neben seinem Bruder niedergelassen hatte, schlug er seine Beine übereinander und wartete.
 

„Wie man hört, geht es langsam voran mit der Anklage gegen McNear. Ryo’s Aussage hat da wohl einen wichtigen Wendepunkt angezeigt. Obwohl das in seinem Zustand echt ein Wunder war. Dann auch noch die Stimme gleich zu erkennen. Na ja, wahrscheinlich bläut sich was ein, wenn man gefoltert wird,“ erklang die feste Stimme im Büro wieder.
 

„Ja, vermutlich. Deswegen habe ich auch Chris eben gebeten, vorläufig weiter hier tätig zu sein. Jedenfalls so lange, bis der Ältere der MacLane’s sich erholt hat.“
 

Black schwieg dazu. Nicht, dass er etwas dagegen hätte, seinen Bruder noch eine Weile in seiner Nähe zu wissen, aber er glaubte nicht, dass Ryo in absehbarere Zeit dazu in der Lage wäre, den Beruf wieder auszuüben. Falls das überhaupt jemals wieder der Fall sein sollte.
 

„Doch deswegen habe ich Sie nicht hergebeten, Mr. Black,“ meinte nun Barclay ernst und zog eine Akte aus dem Stapel auf seinem Schreibtisch hervor.
 

„Das dachte ich mir,“ schmunzelte Aaron, dem sehr wohl bewusst war, was nun kommen könnte.
 

Schließlich war dies nicht das erste Mal, dass er von Ross hierher zitiert worden war. Jedes Mal ging es um die gleiche Frage und jedes Mal bekam er die gleiche Antwort.
 

„Aus der Aussage von ihrem Angestellten Steve Cotton geht leider nicht hervor, wo er den Entführten Ryo MacLane gefunden hat. Er hat lediglich gesagt, dass er dazu keine Aussage machen kann, weil er es jemandem versprochen hat. Nun möchte ich Sie bitten, erneut mit Ihrem Angestellten zu reden, damit dieser sein Schweigen bricht. Es ist wichtig für die Gerichtsverhandlung, die vermutlich Ende November, Anfang Dezember beginnt,“ betonte der Commissioner den Ernst der Lage erneut.
 

„Ich werde mit Mr. Cotton reden. Aber ich kann Ihnen schon jetzt sagen, dass er seiner Aussage nichts hinzufügen wird. Aber da ich mir schon dachte, dass Sie mich wegen dieser Angelegenheit sprechen wollten, habe ich Ihnen einen Namen mitgebracht. Vielleicht sollten Sie sich eher an diese Person wenden.“ Black griff in seine Jackentasche und zog ein gefaltetes Stück Papier hervor, reichte es über den Schreibtisch hinweg dem Commissioner.
 

Ross entfaltete es und hob den Blick wieder auf Black.
 

„Militär? General C.D Montgomery? Sie wollen mir hier sagen, dass MacLane in einer Militärbasis festgehalten wurde? Unerkannt und womöglich noch auf einer geheimen?“
 

„Genau das!“ Mehr sagte Black nicht. Denn mehr gab es dazu auch nicht zu sagen. “Wenden Sie sich an den General. Er war nicht gerade glücklich, als er davon erfuhr. Wenn Sie ihn freundlich bitten... Aber ich glaube nicht, dass er in einem öffentlichen Gerichtssaal zustimmen wird, dass der Ort genannt wird. Aber das ist nun Ihre Sache. Ross... Chris.“
 

Black war bei seinen letzen Worten aufgestanden und ging nun nach einem freundlichen Nicken in beide Richtungen aus dem Büro.
 

„Militärgelände... wenn das rauskommt, dann müssten wir auch eine Verbindung zu McNear herstellen. Wie und woher er solche brisanten Informationen hat,“ kündigte Chris das mögliche Weitergehen an.
 

„Ich werde es an Powder weiterreichen, dann werden wir sehen, wie der Staatsanwalt gedenkt vorzugehen. Es ist sein Fall und ich möchte ihm ungern noch in dem wasserdichten Prozess in die Suppe spucken.“
 

„Na dann... Wenn das alles war?“
 

„Ja, machen Sie Schluss für heute...“ meinte Barclay und drehte den Zettel zwischen den Fingern, bevor er endlich zum Telefonhörer griff, um den Staatsanwalt über den neuesten Stand der Ermittlung zu unterrichten.
 

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

Doktor Foster beugte sich über Ryo.
 

Der Puls war normal, genauso wie der Blutdruck, doch das war wohl nicht das aktuelle Problem, wie Brian und Dee wussten.
 

„Was ist mit ihm?“
 

„Tja, möchtest du es medizinisch oder verständlich?“ fragte der Arzt und räumte seine Sachen schon wieder weg, denn hier war er machtlos.
 

„Sag schon...“
 

„Er ist in sich getaucht. Dort, wo er sich sicher ist. Ist heute etwas passiert? Gestern, wo ich hier war, war noch kein Anzeichen zu sehen!“ erklärte er und sah auf Ryo nieder.
 

„Es ist meine Schuld.“
 

Kurz schilderte Dee, was passiert war, wie er Ryo angefahren hatte und dass dieser dann die Schleusen dichtgemacht hatte.
 

„Es gibt zwei Möglichkeiten, Dee. Auf alle Fälle wäre es besser, wenn Sara erst einmal Abstand zu ihn hält. Am besten schläft sie woanders. Wenn du Ryo hier behalten möchtest. Dann gäbe es noch die andere Variante...“
 

Welche Brian meinte, musste er wohl nicht sagen. Dee wusste es auch so. Aber Ryo erneut in ein Krankenhaus einzuliefern, wohl in eine Psychiatrie, wo er Medikamente bekam, die er nicht brauchte und dann noch tiefer in sich sackte, nein, das wollte Dee nicht.
 

„Er bleibt hier.“
 

„Es wird nicht leicht. Du müsstest ihn füttern... ihn womöglich waschen... ich weiß nicht, wie tief er sich verkrochen hat... Du könntest auch daran zerbrechen. Ihn vielleicht sogar zur Hölle wünschen... Dee, das ist eine große Belastung!“ malte Brian dunkle Vorzeichen an die imaginäre Wand.
 

„Ich weiß... nein, ich weiß es halt nicht. Aber ich kann ihn nicht allein lassen, ich kann es einfach nicht.“
 

„Gut... ich werde täglich kommen. Sollte er nichts essen, werde ich ein wenig Aufbaupräparate spritzen,“ sagte der Arzt, bevor er sich von dem verwirrt aussehenden Cop verabschiedete.
 

Kaum war Foster gegangen, wurde Dee aktiv. Rief nacheinander bei Steve und Tony an. Doch da die beiden mit dem Aufbau des Basra beschäftig waren, bat er schließlich Mick und Aaron um Hilfe. Ohne Probleme stimmte Mick zu. Denn Aaron war noch nicht zurück und so stimmte er, dessen Zustimmung voraussetzend, einfach zu.
 

Damit fiel Dee schon eine Last von den Schultern. Dann rief er Chris an und berichtete ihm die neuesten Vorkommnisse. Erst danach setzte er sich zu Ryo und fuhr ihm sacht über die Wange.
 

„Bitte, Ryo... komm zu mir zurück,“ sagte er leise, schmiegte sich an den noch immer ausgezehrten Körper.
 

**** TBC

Mittwoch - 12. Oktober

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

Seit zwei Wochen war Ryo in diesem Zustand bereits gefangen. Egal was Dee auch versucht hatte, nichts zeigte Wirkung. Jedenfalls aß Ryo und er wusch sich. Wie ein Roboter, aber er sprach nichts und er reagierte auch nicht auf das, was sonst um ihn herum geschah.
 

Foster fand diesen Zustand nicht ganz so beängstigend, wie er erst gedacht hatte. Denn normalerweise, so erklärte er Dee, machten solche Patienten komplett dicht. Da Ryo sich nur zum Teil zurückgezogen hatte, bestand die Hoffnung, dass dieser sich irgendwann aus der selbst hervorgebrachten Isolation befreien würde. Wann oder wie das geschehen würde, wusste selbst Brian nicht. Das gab Dee wenigstens einen Hoffnungsschimmer.
 

Seit zwei Wochen war Ryo nicht mehr allein. Wenn Dee das Bedürfnis verspürte, Luft zu brauchen, dann waren die Freunde da, die sich um ihn kümmerten. Aaron, Mick, Steve und Tony, selbst Chris und Robin waren schon hier gewesen. Allen ging das Schicksal von Ryo nahe.
 

Nach einem Spaziergang kam Dee zurück in die Wohnung. Steve saß auf der Couch und sah sich Kataloge mit Inneneinrichtungen an. Die beiden waren noch immer mit dem Aufbau des Basra beschäftig. Und wenn sie, so wie heute, mal ein Auge auf Ryo haben sollten, dann verband einer das meist damit, in den Katalogen zu schnüffeln.
 

„Wie geht’s Ryo?“ fragte Dee monoton.
 

Das ganze zehrte an seinen Nerven, das sah man ihm deutlich an. Eine tiefe Falte hatte sich auf seiner Stirn eingegraben und je länger er über diesen Zustand nachdachte, desto tiefer erschien sie Steve.
 

„Er ist in der Küche... sitzt am Fenster,“ erklärte Cotton und klappte den Katalog zu.
 

„Wie geht’s mit dem Aufbau voran?“ versuchte Dee, wenigstens eine Spur Interesse zu zeigen.
 

„Das Fundament steht wieder. Morgen kommen die Glaser und dann können wir auch innen endlich vorankommen. Das mit dem Kellerausbau war noch am schlimmsten...“ zählte Steve auf. “Dee?!“ kam es dann dennoch besorgt von dem Mafiasohn.
 

Dieser atmete tief ein, hängte seine Jacke an die Garderobe und ging in Richtung Küche.
 

„Dee? So geht es doch nicht weiter. Es zerfrisst dich...“
 

MacLane unterbrach seinen Weg und schaute Steve wehmütig an.

“Wenn es Tony wäre... könntest du ihn einfach in eine Klinik stecken, wo du weißt, dass sie ihn dort nur mit Medikamenten voll pumpen?... Ich kann es nicht. Dazu liebe ich ihn zu sehr.“
 

„Du musst aber auch an Sara denken. Sie vermisst euch beide.“
 

„Damn... Ich weiß. Sie fehlt mir auch. Aber so lange Ryo so apathisch ist... Sie hat ihn nur einmal so gesehen, das reicht. Ihr Gesicht... nein, das kann ich ihr und ihm nicht antun,“ seufzte Dee und fuhr sich durch sein dunkles Haar, welches in den letzten Tagen an den Schläfen erste Anzeichen von Grau hatte aufblitzen lassen.
 

„Was sagt der Doc?“
 

„Abwarten... und hoffen... Wenn ich doch nur was tun könnte, um ihn da rauszuholen...“ Dee ging weiter, lehnte sich an die Türöffnung und blickte hilflos auf seinen Mann, der, mit dem Rücken zu ihm, starr aus dem Fenster blickte.
 

„Er ist noch immer gefangen... Nur kurz war er frei und ich habe ihn angefahren, wollte, dass er sich endlich öffnet, damit er redet, damit es besser wird, und was ist passiert, ich habe ihn verschreckt. Habe ihm den einzigsten Halt genommen. Mich genommen. Ich war zu unsensibel. Wie ein Elefant habe ich auf ihn eingetrampelt... ich... ich...“
 

Dee verstummte. Wie so oft in den letzten Tagen stand er nun auch knapp davor, seine Emotionen freizulassen, und wie so oft drängte er sie zurück. Denn alles was er, was Ryo noch hatte, war Dee.
 

„Ich geh dann mal...“
 

Dee starrte auf Ryo. Rein körperlich gesehen war er wieder fit. Die Leber war verheilt und es hatte auch keine großen Auswirkungen gegeben. Das Gift war schneller identifiziert und entsprechend behandelt worden. Die einzigste körperliche Schädigung war der Rücken. Die Spuren der Peitsche und auch die Brandnarbe würden nie wieder vergehen. Dies hatte sich in Ryo eingebrannt. Und dann noch Ryo’s Seele, die wie ein wackliges Brücklein war. Und er hatte diese betreten, zu laut, zu hart zu undiszipliniert und mit seiner Unbeherrschtheit dafür gesorgt, dass Ryo die Brücke über dem Graben hochzog. So hatte es Brian ihm erklärt. Irgendwie musste man dafür sorgen, dass Ryo diese Brücke wieder herunterließ.
 

„Steve?“ hielt Dee diesen auf, als er fast schon an der Tür angekommen war.
 

„Ja?!“
 

„Dieser Ort... wo er gefangen gehalten worden ist... kannst du mir sagen wo?“
 

Steve zauderte. Immerhin hatte er sein Wort gegeben und auch der General hatte Powder diesen Ort verweigert. Sollte er sein Wort brechen?
 

„Wa...warum?“
 

„Ich weiß nicht... nur so?“
 

„Tut mir leid, Dee... Ich kann nicht. Aber ich werde Black fragen. Bye.“ Damit verließ Steve nun endgültig das Apartment und ließ zwei völlig verzweifelte Männer zurück.
 

~~~~ Untersuchungsgefängnis ~~~~
 

Patrick wusste nicht, wie oft er in den letzten Tagen einen Besuch ersehnt hatte. Niemand sagte ihm hier etwas. Man brachte ihm auch keine Zeitung, und der Kontakt zu den anderen Häftlingen war ihm, anhand seines immer noch aktiven FBI-Status, untersagt.
 

Nun endlich würde er wieder etwas erfahren. Die letzte Nachricht war nicht sehr erbaulich gewesen. Immerhin hatte sein Schneewittchen seine Stimme erkannt. Das war ein Tiefschlag, aber das hieß noch lange nicht, dass er sich einfach so geschlagen geben würde. Schließlich hatte er auch noch einen in der Hinterhand. Goro. McNear war sich zwar nicht so sicher, inwieweit das gut für ihn war, aber dass sich dieser Oberboss für ihn stark machte, gab ihm die Kraft, durchzuhalten.
 

Der Anwaltsraum war noch nicht einmal beheizt, als er nun von einem der Wächter hereingeführt wurde, und ganz entgegen des sonstigen Schemas war Timber bereits anwesend.
 

„Bitte nehmen Sie Platz, Mr. McNear!“ begrüßte Timber seinen Mandanten.
 

„Was gibt’s neues?“ platzte Patrick fast vor Neugier.
 

„Nun, ich will Ihnen nichts vormachen. Wie ich Ihnen bereits zu Beginn gesagt habe, sind die Aussichten auf einen Freispruch gering bis aussichtslos. Nun hat sich meine Nachforschung zu Ihren Gunsten leider nicht verändert.“
 

„Mann, reden Sie endlich.“
 

„Gut! Die Staatsanwaltschaft wird Sie für Freiheitsberaubung in zwei Fällen anklagen. Hinzu kommt Körperverletzung, Terrorismus und zweifacher Mord.“
 

„Terrorismus? Wo denn? Und Mord? Zweimal?“ Gereizt sprang er auf. Nur gut, dass die Möbel verankert waren, sonst wäre sein Stuhl nach hinten gekippt.
 

„Ihnen wird vorgeworfen, Gary Logen kaltblütig ausgesucht und zu Tode gefoltert zu haben. Doch diesen Punkt werden sie wohl wieder von der Anklageschrift streichen.“ Dass MacLane sich bei seiner ersten Aussage praktisch selbst als Mörder betitelt hatte, ließ Timber erst mal unter den Tisch fallen.
 

„Dann wäre da noch Ihr Bruder. Oder sollte ich eher...“
 

„BRUDER? Woher habe ich denn jetzt einen Bruder?“ schlug Patrick die Hände auf die Tischplatte.
 

„Nachforschungen von der Staatsanwaltschaft wollen belegen, dass Sie ihren Bruder, Scott Peter Fulton wissentlich umgebracht haben. Zudem... Lassen Sie mich bitte aussprechen,“ verhinderte Justin eine weiter Unterbrechung des Gespräches. „...Zudem wurden Blut und Faserspuren von Ihnen in dem Apartment von Fulton gefunden. Der gewichtigste Punkt jedoch dürfte wohl der Ehering von MacLane sein, der am Finger von Fulton gefunden wurde.“
 

„Fuck!“ McNear drehte sich um. Legte den Kopf in den Nacken und fuhr mit seinen schmalen Händen durch sein dunkles Haar. Was hatte er sich alles so gut ausgedacht, und nun? Alles hatte er falsch gemacht. Seine kleinen Spielereien brachten ihn nur noch mehr in Bedrängnis.
 

„Kommen wir zurück zu den Bomben, die Sie gelegt haben.“
 

„ICH HABE KEINE BOMBEN GELEGT!“ keifte Patrick zurück.
 

„Haben Sie dafür Beweise?“
 

„Ach, und die Staatsanwaltschaft hat welche!?“ Fragend hob sich eine Augenbraue und funkelte den Anwalt aus seinen braunen Augen an.
 

„Sie haben Bilder. Sie waren rechtzeitig an einem Tatort und haben dort Bilder gemacht. Das legte Powder als Beweis vor. Hinzu kommt noch...“
 

„Noch mehr Anklagepunkte? Das darf doch nicht...“ Patrick schlug sich gegen den Oberschenkel und drehte sich erneut von seinem Anwalt ab.
 

„Mittäterschaft in weiteren Bombenattentaten. Das Chamer, B & B, Diner of Love und das Tropical.“
 

„Lachhaft... das können sie nicht beweisen.“
 

„Hören Sie, McNear. Die Beweise sagen klar aus, dass der Bombenleger Ihr Bruder war. Hinzu kommt, dass mindestens eine Bombe mit C4 bestückt war, welches möglicherweise dem FBI entwendet worden sein könnte. Ich sage bewusst könnte, denn in diesem Punkt fehlt noch die Beweislast. Wie auch immer...“
 

„Wie lange...“
 

Was Patrick damit meinte, brauchte Justin Timber nicht zu hinterfragen.
 

„Lebenslänglich... Möglicherweise, anhand der schwere der Tat - Todesstrafe.“
 

Patrick schluckte. Er war doch zu leichtsinnig. Ein Fehler, und er sollte dafür mit dem Leben bezahlen?
 

„Wie geht’s den MacLane’s?“
 

„Wie man hört, soll sich Randy MacLane nicht gut fühlen. Angeblich sei er zusammengebrochen und vermutlich - das ist Hörensagen, ich habe leider keine genauen Hinweise - soll sich ihr Opfer selbst verloren haben.“
 

„Was?“ Patrick verstand so was nicht. “Selbst verloren? Was heißt das?“
 

„Psychisch gesprochen, würde ich meinen, dass er nur noch eine leblose Hülle ist.“
 

Patrick grinste irre. Da hatte er den Kerl so lange gehabt und ihn gequält und nun, wo dieser frei war, machte er ihm so ein Geschenk? Ein wenig spät. Vielleicht wenn er...
 

„Kann ich mit dem Staatsanwalt sprechen?“ fiel Patrick ein.
 

Normalerweise machte man einen Handel, und wenn er was zu bieten hatte, konnte er auch so was. Und er hatte Kontakte: wenn er es geschickt anstellte, kam er vielleicht sogar auf Bewährung raus. Dann würde er Ryo und Sara einfach entsorgen und somit einen freien Weg zu Dee haben.
 

„Sie wollen einen Deal?“
 

„Ja. Sagen Sie ihm, dass ich Kontakte habe... wichtige Kontaktmänner. Wenn die Staatsanwaltschaft interessiert ist, bin ich bereit zu einem Handel.“
 

„Gut. Ich werde Powder dahingehend unterrichten. Versprechen kann ich nichts. Sie hören von mir.“

Mit diesen Worten räumte Timber das wenige, das er ausgepackt hatte, in seine Aktentasche und verschwand aus dem Untersuchungsgefängnis.
 

„Du bist mein... keiner wird dich bekommen... du gehörst nur mir...“ lachte Patrick auf, als die Tür hinter seinem Anwalt zugefallen war.
 

Timber war weniger erfreut, zu hören, was McNear plante. Schon allein die Tatsache, dass er den Fall nicht zu lange hinziehen sollte, würde schon problematisch werden. Sollte es wirklich zu einem Deal kommen, musste er Goro informieren und er konnte sich schon vorstellen, was dieser dann von ihm fordern würde. Eine andere Wahl blieb ihm dann auch nicht, als ihm zu folgen. Sein Ruf, seine ganze Karriere basierte auf der guten Beziehung zu Goro und die würde er nicht aufs Spiel setzen. Lieber riskierte er mal was und gewann. Als wenn er stillschweigend nichts unternahm.
 

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

Sara war endlich eingeschlafen. Aaron hatte sie vor einer Stunde vorbeigebracht. Die Kleine hatte geweint und gejammert, dass sie endlich zu ihren Eltern wollte. Alles Reden hatte nichts mehr gebracht und so hatte Aaron die Fünfjährige eingepackt und war zu den MacLane’s gefahren.

„Sie schläft,“ sagte Dee zu Aaron, der es sich auf einem Sessel bequem gemacht hatte.

Ryo saß auf der Couch. Die Hände artig auf den Knien liegend, das Gesicht entspannt und der Blick leer, schaute er weder nach rechts noch nach links. So als ob ihn nichts interessieren würde.
 

„Unverändert? Dee... Steve hat mir gesagt, dass du nach der Zelle gefragt hast. Warum?“
 

Dee setzte sich neben seinen Mann, reichte Ryo ein Glas Wasser, legte die Hände um das Glas und half ihm, es an die Lippen zu führen. Erst nachdem der Blonde etwas getrunken hatte, stellte er das Glas zurück.
 

„Heute Mittag war ich mir nicht sicher. Aber ich hatte Zeit. Zeit zum Nachdenken. Brian meinte, dass die Zeit Ryo heilen wird. Ich denke es nicht. Dann hätte es schon ein Anzeichen geben müssen. Ich... ich werde ihn dorthin bringen. Vielleicht rüttelt das etwas in ihm auf. Holt ihn zurück. Schlimmer kann es auf keinen Fall werden.“
 

„Du weißt, dass es riskant ist?“
 

„Hat er denn eine Wahl?“
 

„Dee... ich halte das...“
 

„Wenn es Mick wäre? Was würdest du tun?“ forderte Dee Black auf, mal genau nachzudenken. Doch darüber nachdenken brauchte dieser nicht. Für ihn lag es klar auf der Hand.
 

„Alles was in meiner Macht steht. Okay... Ich sag es dir.“
 

~~~ Christopher Street ~~~~
 

Hand in Hand gingen Chris und Robin durch die nächtlich aktive Atmosphäre auf der Christopher Street. Sie trafen sich nun regelmäßig, seitdem Chris aus dem Krankenhaus raus war. Obwohl Chris noch darauf bestand, dass Robin ihm noch Zeit lassen sollte, hatten sie sich auf eine tiefe Freundschaft geeinigt. Eigentlich war es mehr, wie sie beide wussten, doch Chris hatte nach wie vor seine Bedenken. Immerhin war Robin jünger und zudem war der Schatten von seinem getöteten Mann noch immer nicht ganz von ihm verschwunden. Die Vorwürfe, von denen er sich einfach nicht freisprechen konnte, lasteten ebenfalls noch schwer auf ihm.
 

„Du denkst zu viel,“ platzte Robin mitten in Chris’ Gedanken.
 

„Ja... vermutlich.“
 

Hektisch lief das Leben an ihnen vorbei, während sie in aller Ruhe einfach auf der Straße flanierten.

„Ryo und Dee haben es im Augenblick...“
 

„Können... können wir mal über was anderes reden, Chris? Ich habe langsam das Gefühl, als ob die beiden dir wichtiger sind als ich?!“ meinte er melancholisch und schmiegte sich an den Arm des Ältern.
 

„Ach, Robin. Du weißt doch, dass ich gerne mit dir zusammen bin.“
 

„Weiß ich das?“
 

Chris blieb stehen und sah den Braunhaarigen an. Sachte fuhr er ihm über die Wange, zog ihn ein Stückchen näher und küsste ihn. Zärtlich umfing er die Lippen des andern, koste leicht darüber und forderte Einlass, den er ohne zu zögern auch bekam. Dann umtanzte er diese freche Zunge, umspielte sie mit seiner. Wie ein Rausch kam es Chris jedes Mal vor, wenn sie sich so küssten. Diese Sanftheit. Dieses stumme Nehmen und Geben. So als ob sie sich schon immer gekannt hätten. Keine Hektik, nur Liebe. Ja, das war es, was Chris gefiel, und vor dem er auch Angst hatte.
 

Robin war es dann auch, der den Kuss löste, sich aber im Anschluss gleich an den Älteren schmiegte.
 

„Chris... ich liebe dich... ich liebe dich so sehr.“
 

„...“
 

Der Weißhaarige war wie immer still. Brachte diese Worte nicht so einfach über seine Lippen. Alles in ihm reagierte auf Robin, doch diese drei Worte, meist so einfach heraus gesprochen, kamen bei ihm nicht so leicht über die Lippen.
 

Sie standen eine ganze Weile einfach nur da, hörten das Gejohle von vorbeigehenden Jugendlichen, doch das störte sie nicht. Sie waren zusammen, auch wenn noch nicht so, wie Robin es gerne wollte. Denn bisher war zwischen ein wenig Kuscheln auf der Couch oder diese unsagbar sanften Küsse nichts passiert.
 

„Er ist es...? Nicht wahr?“
 

„Robin, ich...“
 

Stewart löste sich von Chris, sah ihn mit seinen braunen Augen verletzt an.
 

„Ich hab dir zugehört, als du mir von ihm erzählt hast. Ich versteh dich auch zum Teil. Aber Chris... Bob ist tot. Er kommt nicht mehr zurück. Egal, ob du nun weiter alleine lebst oder nicht. Gegen einen Toten komm ich nicht an... Ich liebe dich... ich liebe dich wirklich, Chris. Aber ich mach Fehler... was dein toter Ehemann nicht mehr macht... ich bin nicht so perfekt... war er es denn? Ich... ich kann nicht mit ihm konkurrieren.“
 

„Das brauchst du doch auch nicht, Robin,“ klang die Stimme von Chris bang in der anbrechenden Nacht.
 

„Nein? Wen siehst du, wenn du mich küsst... Wen nimmst du in den Arm? Wer schläft neben dir abends ein...? ER oder ich? Ich kann einfach nicht mehr... Ich wollte dich nie vor diese Wahl stellen, seitdem du dich mir so geöffnet hast, aber... aber wenn er ständig neben mir steht, zwischen uns... werde ich dich immer verlieren,“ hauchte Robin.
 

Normalerweise war Robin einer, der dicht am See gebaut hatte, aber in diesem Moment verdrängte er die Gefühle tief in sich. Wollte nicht, dass Chris weich wurde, nur weil er ihn mit Tränen in den Augen anblickte. Nein, er sollte ihn um seinetwillen lieben.
 

„Entscheide dich...“ forderte Robin fest.
 

„Robin... ich...“
 

Traurig sah er zu ihm auf, legte sanft die Hand in den Nacken des Älteren.
 

“Ich warte... denn ich lebe, brauche und liebe dich... Du weißt es...“ sagte er sanft. Drehte sich dann still herum und ging zurück zu dem Diner, wo er eine Wohnung direkt darüber hatte.
 

Stumm sah Chris ihm nach. Wusste er doch nur zu gut, dass Robin recht hatte. Bob war tot, durch seinen Fehler. Mit gesenktem Kopf ging er den Weg zurück zu seinem Wagen, doch starten tat er ihn nicht. Lehnte den Kopf gegen die Nackenstütze, schloss die Augen und schaute erneut in die Vergangenheit. Sah wieder und wieder, wie sein Mann vor seinen Augen erschossen wurde. Fühlte die Leere, als er an dem Grab stand. Tränen rannen ihm aus den Augenwinkeln, fielen über die Wange hingab auf seine Jacke.
 

„Bob... was soll ich machen!“ fragte er stumm seinen so innig geliebten Ehemann.
 

Dann, als ob er eine Antwort bekommen hätte, wischte er sich die Tränen energisch ab, stieg aus und ging zum Diner.
 

Noch immer war hier Betrieb. Schließlich machte das Diner den meisten Umsatz in den Abendstunden. Mit einem mulmigen aber dennoch entschlossenen Schritt betrat er das Gebäude, das fast einem Anschlag des Bombers zum Opfer gefallen wäre.
 

„Ist Robin oben?“ fragte er Mark, der mal wieder Thekendienst hatte.
 

„Ja, er ist grad erst hoch... soll ich ihn rufen?“
 

„Danke. Aber kann ich hoch?“
 

„Eigentlich... okay... Ich nehme es auf meine Kappe,“ gab der Bruder von Robin sein Einverständnis und kaum hatte Chris diese, ging er zu der Tür, auf der mit großer Schrift ‚PRIVAT’ stand, und verschwand dahinter.
 

Durch den kleinen Lagerraum führte ihn eine weitere Tür zu einer Treppe hoch in den nächsten Stock. Dort schaute er sich um. Hier war er noch nie gewesen. Immer hatte Robin ihn in seiner Wohnung besucht. Unter einer Tür sah er Licht flimmern und so entschloss sich der noch krankgeschriebene Cop, seinen ersten Versuch nach Robin zu suchen, dort zu beginnen.
 

Robin wischte sich die Tränen aus den Augen, als es an seiner Tür klopfte. Mit einem leisen “Ja?!“ ging er zur Tür und öffnete diese. Verdutzt blickte er auf den Mann davor. Irgendwie hatte er mit seinem Bruder oder mit dessen Lover gerechnet, aber Chris vor sich zu sehen, verschlug ihm nun erst einmal die Sprache.
 

„Darf ich reinkommen?“ fragte Chris gefasst. Dass Robin geweint hatte, konnte er nur zu deutlich an den leicht rötlichen Verfärbungen im Auge sehen.
 

Immer noch sprachlos trat Robin einfach zur Seite und ließ den Älteren herein.
 

Das Zimmer war aufgeräumt, sauber und mit nicht viel vollgestellt. Es gab eine Couch, davor einen kniehohen Tisch auf einem flachen, wohl etwas älteren Teppich. Einige Hocker standen herum und ein mannsgroßer Kerzenständer. In einer Ecke sah er einen Fernsehschrank, der wohl einen kleinen TV beherbergte. Eine Tür führte wohl ins Schlafzimmer und eine weitere, so vermutete Chris schlicht, in die eigene Dusche, auf die Robin so stolz war.
 

„Was willst du?!“
 

Chris drehte sich bei diesen drei Worten zu Robin um.
 

„Ich war ein Idiot.“
 

„Und?“
 

„Robin? Kannst du mir verzeihen?“
 

Der Braunhaarige sah den Weißhaarigen aus seinen nun rotumrandeten Augen an. Schniefte und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase, bevor Chris auf ihn zukam und mit den Daumen die restlichen Tränenspuren von der Wange wischte.
 

„Ich liebe dich, Robin. Ich habe nur Angst, dass ich dich auch verliere. Die letzten Jahre habe ich mir einen Schutzpanzer zugelegt, wollte keine Gefühle zulassen. Doch du hast ihn einfach eingerannt, ohne großen Widerstand, und ich fühlte mich so schutzlos.“
 

„Chris?“ fragte Robin nun ein wenig ängstlich.
 

„Ja?“
 

„Heißt das... heißt das, dass du jetzt gehst, oder dass du bei mir bleibst?“
 

„Ach, Robin. Wenn du mir verzeihen kannst, mich so liebst wie du sagst, dann bleibe ich. Du musst nur...“
 

Weiter kam Chris mit seinen Worten nicht, denn zwei Arme legten sich wie Eisenschrauben um seinen Nacken und zogen ihn an den anderen Körper. Lippen schlossen sich sanft, aber dennoch bestimmend auf das Gegenstück.
 

Beide vergaßen für heute die Zeit und den Raum. Sie hatten etwas zu feiern. Auch wenn Chris wohl noch immer seine Ängste in sich trug, die ihn wachsam halten würden, begann hier eine Zukunft für die beiden Liebenden.
 

~~~~ Battery Park ~ Castle Clinton ~~~~
 

Mick hatte Dee zu Hause abgeholt und nun standen sie vor dem geheimen Eingang, der sie in den Castle Clinton Untergrund führen würde. Ryo war natürlich nicht alleine geblieben. J.J. und Drake waren bei ihm. Passten auf ihn auf und sollten mit ihm reden. Schließlich war es noch ungünstiger, wenn Ryo in seinem selbst gezimmerten Gefängnis auch noch mitbekam, dass keiner mit ihm sprach oder man ihn vielleicht sogar links liegen ließ. Deswegen mahnte Dee jedes Mal, dass sie nicht einfach nur still neben ihm sitzen sollten, sondern ihm von irgendwas erzählen sollten. Ob es wirklich half, wusste er nicht, aber ihm war wohler dabei.
 

Während Dee mit seinen Gedanken weiter bei seinem Mann weilte, folgte er Mick hinein in die Dunkelheit. Einige Stufen später merkte er, wie der Gang, eben noch schmal und erdig, sich langsam weitete und nun auch verkleidet war. Nicht mit Holz, sondern wohl eher etwas massives. Kaum war dies zu ihm durchgedrungen, standen sie auch schon in einer Art Kontrollzentrale. Ein runder Tisch in der Mitte, diverse Bildschirme an den Seiten, ganz eindeutig eine Militärbasis und das mitten in Manhattan. Klar, das so was geheim bleiben sollte.
 

„Hier war es also!“ murmelte Dee und sah sich um.
 

„Nein... weiter hinten. Was weißt du über die Befreiung von Ryo?“
 

„Was ich weiß?“

Kurz dachte er nach, obwohl sich alles wie frisch in sein Gedächtnis eingegraben hatte.

“Dass man mir vorbehalten wollte, ihn zu sehen. Direktes wurde mir nie gesagt, egal wie oft ich auch gefragt habe. Steve und auch du... Ihr sagtet nur dass ich froh sein soll, dass er dort raus ist.“
 

„Stimmt... ich dachte nur, das Black vielleicht? Auch gut, dann... Steve war vorher schon hier. Der Entführer kam und Steve musste sich verstecken. Zu seinem Leidwesen wählte er wohl eine Arrestzelle und schloss sich ein. Eine Funkverbindung zu einem Satelliten gibt es hier unten nicht und so blieb ihm nichts anderes als zu hoffen, dass man ihn vermisst. Ich machte mich dann am frühen Morgen auf und fand ihn, hier in dieser Zelle.“ Mick blieb stehen und deutete in eine noch immer dunkle Zelle.
 

Es war noch genauso dunkel, wie er sich erinnerte. Nur ihre zwei Taschenlampen erhellten den Boden vor ihnen.
 

„Wir gingen weiter und fanden den Raum, in dem Ryo wohl gefangen gehalten worden war. Jedenfalls vermuteten wir das und wie die Forensik auch bewiesen hat, zu Recht. Kennst du den Bericht?“ stellte er Dee erneut eine Frage, die dieser wieder mit einem Schütteln des Kopfes beantwortete.
 

„Barclay will ihn mir nicht zeigen. Keine Ahnung warum. Er hat mir sonst alles gezeigt, selbst Ryo’s Zeugenaussage habe ich gehört, nur das und die Bilder, die man in McNear’s Apartment gefunden hat, verweigert man mir,“ erklärte er ruhig. Denn aufregen tat er sich deswegen nicht mehr, dazu war seine Sorge im Augenblick ganz anders gelagert.
 

„Man fand Urinspuren von Ryo sowohl im Urinal als auch auf der Schlafmöglichkeit. Ebenso Sperma und Hautpartikel. Obwohl das alles hier als geheim eingestuft wurde, hat der General dafür gesorgt, dass sich in diesen betreffenden drei Räumen keiner zu schaffen macht. Sie sind für eine mögliche richterliche Einsicht so gehalten. Aber okay...“ Kurz sah sich Mick um, ging dann zielstrebig weiter.
 

„Hier haben wir ihn gefunden. Er lag auf der Pritsche. Einen Infusionsgalgen hatte er wohl umgeworfen, sonst wären wir einfach hier vorbeigegangen, ohne ihn zu bemerken. Ryo war ausgemergelt dünn... fast durchsichtig und nackt.“
 

Dee ging in den Raum hinein. Strich mit seiner Hand über die Pritsche, sah den Galgen, den Mick wohl meinte.
 

„Man fand auch hier Blutspuren von Ryo, wohl als er sich die Nadel rausgerissen hatte... nicht viel...“
 

„Wo wurde er festgehalten?“
 

„Ich halte das für...“
 

„Mick?! Wo wurde er festgehalten?“
 

Mick wusste zum Glück nichts von dem, was Dee plante, und warum sein Chef und Lover Dee die Erlaubnis gegeben hatte, das hier überhaupt zu sehen. Denn hätte er nur eine Spur von Ahnung gehabt, dann hätte Mick sich geweigert. Schon allein, dass Dee hier war, gefiel ihm nicht. Das würde die ganze Sache um die MacLane’s auf keinen Fall leichter machen, aber vielleicht half es Dee dabei, Ryo zu verstehen. Nach einem kurzen Zögern gab Mick schließlich nach. Ohne ein Wort zu sagen verließ er die kleine Kammer und ging weiter, bog rechts ab bevor, er dann nur noch weiter geradeaus ging. Knapp zehn Räume weiter war der Ort.
 

„Hier ist es...“ sagte er müde.
 

Blieb aber davor stehen, ging nur ein Stück zur Seite, um Dee passieren zu lassen. Er selbst wollte den Raum nicht noch einmal betreten.
 

Der Dunkelhaarige machte die Tür auf und sah sich von der Schwelle aus um.
 

Links konnte er eine Art Toilette ausmachen, rechts sah er einen Schrank. In einer Ecke direkt vor ihm einen Haufen Lumpen und kaum einen Meter davon entfernt einen merkwürdig aussehenden Tisch. Ketten hingen von der Decke und einige waren in die Wand eingelassen. Alles schien so kalt.
 

Dee fröstelte es, als er den Raum betrat.
 

«Hier war es also... Hier musste er leiden...»
 

Er brachte es nicht über sich, sich neben die Lumpen zu knien, schon allein der Gedanke, dass Ryo hier nackt gefoltert wurde, ohne Schutz einem Verrückten ausgeliefert. Wer wusste schon, was Ryo hier hatte alles erleiden müssen. War es da kein Wunder, dass er nichts sagte? Vermutlich schämte er sich noch dazu. Machte sich wohl Vorwürfe, dass er dies hatte alles mit sich tun lassen. Den Mord an Gary Logan, den hatte er wenigstens zum Teil bereits verarbeitet. Doch auch nur, weil dieser Cordalis ihn freigesprochen hatte von allem. Sonst wäre dies auch noch mehr zu einer Last für ihn geworden.
 

«Ryo... wieso redest du nicht mehr... ob ich hier wirklich die Antwort auf deine Ängste finde... auf dein Schweigen... was, wenn ich alles nur noch schlimmer mache?»
 

Dee wusste, dass er, egal wie er sich entscheiden würde, eine Wende herbeiführen musste. So abgeschottet wie Ryo war, konnte er ihn nicht erreichen. Also würde er seinen Plan in die Tat umsetzten. Morgen... oder übermorgen. Er wusste es noch nicht. Aber er würde nicht mehr lange zögern.
 

„Lass uns gehen,“ sagte er kalt, als er aus dem Zimmer wieder in den Gang zu Mick zurück trat.
 

***** TBC

Samstag - 15. Oktober

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

Dee war heute am Samstag mit dem Entschuss aufgewacht, dass er es lange genug hinausgezögert hatte. Vor drei Tagen war er dort gewesen, dort in dieser Kammer. Dort, wo Ryo so misshandelt worden war. So sehr, dass er sich jetzt verbarrikadierte, nur um Dee nichts von seiner Pein sagen zu müssen.
 

Der jüngere MacLane hatte die Nase voll. Schon am Donnerstag hatte er ihn bis zur Apartmenttür geführt, aber dann waren die Schritte von Ryo immer kleiner geworden, bis er gänzlich stehen geblieben war. Fast meinte Dee, in den dunklen Iriden so was wie Panik auflodern zu sehen, doch da dies nur ein Aufflackern gewesen war, wusste er nicht, ob er sich das nur eingebildet hatte.
 

Am Freitag, gestern, hatte er ihn das erste Mal aus dem Apartment geführt. Hatte leise mit ihm geredet, dass es gut sei, wenn er sich bewegte, wenn er sich nicht nur in dem Zimmer aufhielt. Langsam war er vorgegangen. Nun musste er es schaffen. Entweder in den Aufzug oder die Stufen runter. Egal wie, und wenn er ihn tragen musste.
 

Heute würde er entschlossen vorgehen. Ryo vertraute ihm, hörte auf ihn. In den vergangenen Tagen war auch sonst keiner hier gewesen.
 

Lediglich Black hatte angerufen, wollte hören, ob er sein Vorhaben noch in die Tat umsetzten wollte. Dee berichtete ihm lediglich, dass Ryo blockte, sobald sie rauswollten. Black brauchte nicht die Wahrheit zu wissen, nein, er hatte genug verbockt. Nun war er selbst dran, etwas zu tun.
 

Es gab ja nur zwei Möglichkeiten. Entweder es half, oder es half nicht. Selbst wenn es schlimmer werden würde, so war es kein Leben für Ryo. Dahinvegetieren, nein, das passte nicht zu dem lebenslustigen Mann, den er kennen und lieben gelernt hatte. Er wollte seinen Ryo zurück. Egal ob mit oder ohne Narben. Solange er ihn nicht mehr so glanzlos anblickte. Dann eher voller Hass.
 

Nachdem er ihn geduscht und angezogen hatte, denn bei beidem brauchte er inzwischen Hilfe, machte er für sie beide ein leichtes Frühstück. Immerhin aß Ryo. Wenn auch wenig, aber er aß und brauchte nicht künstlich ernährt zu werden.
 

Sara war nur eine Nacht geblieben. Sie wollte anscheinend nur Gewissheit haben, dass es ihren Eltern gut ging. Oder jedenfalls einem von beiden. Doch die Stille und das Desinteresse von ihrem Daddy hatte ihr wohl schon danach gereicht. Ohne aufzumüpfen war sie am nächsten Tag von Mick abgeholt worden. Obwohl es den beiden mehr Arbeit aufhalste, nahmen sie die Kleine gerne bei sich auf.
 

Ryo wollte sich nach dem Frühstück, wieder ans Fenster setzen, dort, wo er immer saß. Sein Blick glitt dann rüber zu den anderen Häusern. Erneut stellte sich Dee die Frage, ob er diese überhaupt sah, oder ob er dort nur die kahlen, nackten Wände seines Gefängnisses sah.
 

Dee seufzte, räumte ab und ließ Ryo eine Weile gewähren. Dieser trostlose Blick, diese Hilflosigkeit schnürten ihm täglich mehr ein Stück Luft ab.
 

Es wurde Zeit, entschloss er und holte für Ryo die Schuhe und eine Jacke. Nachdem er sie ihm angezogen hatte, spürte er den Blick von seinem Mann auf sich ruhen. Nicht fragend, nicht verwundert, selbst ein Hauch Interesse wäre schon ein Wunder gewesen. Nur gestört sah er ihn an, so als ob er sagen wollte, lass mich doch endlich in Ruhe. Geh und lebe und lass mich.
 

Der Schwarzhaarige zuckte zusammen, als er eine Träne über die Wange seines Mannes perlen sah. Das war das erste sichtbare Zeichen, dass sein Mann dort irgendwo in seinem Körper gefangen war und Hilfe wollte. Raus wollte, aber es alleine nicht konnte. Wusste Ryo, was Dee vorhatte? Vermutlich nicht, aber er würde ihm zustimmen, es gab keine andere Lösung.
 

„Komm, Ryo. Ich helfe dir!“ sagte er bestimmt und fest.
 

Nein, er würde sich nicht umstimmen lassen, von wem denn auch. Es wusste ja keiner von seiner Idee und es wusste schon kaum einer, wo diese Zelle war, die Ryo noch immer nicht losließ.
 

Mit langsamen, fast zögerlichen Schritten ging Ryo neben Dee her. Seine Augen blickten leer nach unten. Diesmal ging er weiter. Aus dem Apartment, in den Aufzug. Denn es war nur ein weiterer Raum, der ihn umgab. Der Ryo, der rauswollte, wäre womöglich nicht eingestiegen, aber der Ryo, der in sich gefangen war, wusste nicht, wo er war. Selbst als sie auf die Straße traten, folgte er brav den Anweisungen von Dee. Ryo ließ sich im Wagen anschnallen und schaute seitlich nach vorne.
 

„Alles wird gut... vertrau mir,“ sagte Dee zu seinem Mann und hoffte aus tiefstem Herzen, dass er mit seiner Vermutung recht hatte.
 

~~~~ Untersuchungsgefängnis ~~~~
 

„Holen Sie mich hier endlich raus,“ keifte Patrick seinen Anwalt, Justin Timber, an.
 

Dass dieser Ausbruch irrational war, wusste Patrick nur zu gut, aber er saß hier schon lange genug und ein Gerichtstermin stand angeblich auch noch nicht fest. Für wen oder was hielten die sich eigentlich?
 

Der Anwalt war solche Ausbrüche gewohnt. Schließlich verteidigte er nicht zum ersten mal einen Verbrecher. Auch wenn es eine Art Premiere war, einen FBI-Agenten zu vertreten, waren dessen Zorn und die Wutausbrüche, die sich bisher zwar in Grenzen gehalten hatten, in den letzten Tagen nun aber merklich angestiegen. Vermutlich lag es auch daran, dass Timber noch immer nichts über einen möglichen Handel gesagt hatte.
 

„Bewahren Sie bitte Ruhe, Mr. McNear. Ich bin hier, weil mir die Staatsanwaltschaft endlich mitgeteilt hat, dass sie zu Gesprächen bereit sind. Wenn sie - ich sage ‚wenn’ - sie mit den Informationen, die Sie bieten, einverstanden sind, lassen sie die Mordanklage fallen.“
 

„Was?“
 

„Mr. McNear. Seien Sie doch realistisch. Bei dem, was sie Ihnen vorwerfen und dem, was sie beweisen können, sollten Sie froh darüber sein...“
 

„Papperlapapp... das ist doch... Welchen Mord?“
 

„Gary Logan!“
 

„Das können sie mir nicht anhängen.“
 

„Mr. McNear. Sie sollten sich die Beweislast vor Augen führen. Die Fotos, die Sie gemacht haben, fand man auf Ihrem Computer. Selbst wenn MacLane die Schnitte durchgeführt hat, wird man Sie unweigerlich des Mordes überführen.“
 

Noch ein Fehler, wie er sich unweigerlich eingestand. Da hatte er jahrelang über die Täter gelacht, wenn er sie erwischt hatte. Diese Kleinigkeiten zogen einen recht tief in die Scheiße. Aber nein, er hatte ja gedacht, dass sie ihm nie auf die Schliche kommen würden. Das hatte er nun davon, schimpfte er mit sich. Wieder einmal. Nur eins lernte er draus. Beim nächsten Mal würde er es besser machen. Keine Spielchen mehr. Nein, das nächste Mal würde er gerade heraus handeln.
 

„Und wenn ich zustimme...“
 

„Freiheitsberaubung und Körperverletzung. Maximal 25 Jahre, ohne Bewährung.“
 

„25 Jahre?“ schnaubte Patrick, knallte die Faust auf den Tisch und erregte somit die Aufmerksamkeit des Wächters draußen vor der Tür, der diese auch gleich aufschloss und hereinschaute.
 

„Alles in Ordnung, Officer,“ hob Justin Timber die Hand, um den Polizisten an Maßnahmen zu hindern.
 

Nachdem die Tür wieder geschlossen war, setze sich der Anwalt und wartete darauf, dass sich sein Mandant auch wieder niederließ.
 

Timber ließ McNear Zeit zum Überlegen. Blieb ruhig, mit den Händen auf der Tischplatte, sitzen und beobachtete seinen Mandanten, dem man in dem jetzigen Zustand die Gemütsregung voll ablesen konnte.
 

„Was verlangt die Staatsanwaltschaft...“ kam es leise, nachdenklich von McNear.
 

„Daten zu ihren V-Männern. Alles, was sie haben.“
 

„Und dafür bekomme ich 25 Jahre!“ schnaubte er erneut auf.
 

„Das oder die Todesstrafe.“
 

Ja, genau darauf hatte Patrick gewartet. Genau das war der Punkt, der ihn nun zustimmen ließ.
 

„Gut, dann werden wir noch kurz den Ablauf bei Gericht durchsprechen.“
 

„Gericht? Ich dachte... Wir klären das so?“
 

„Wie gesagt, die Anklage besteht immer noch wegen...“
 

„Ach... ja, ich weiß.“
 

Das hatte Patrick doch glatt verdrängt. Aber egal. Lange würde er sowieso nicht im Knast bleiben, denn er hatte gestern einen Besuch gehabt. Einer von der Sorte, die einem das Leben auf einmal wieder lebenswert erscheinen ließen.
 

Gestern...
 

„Mr. McNear?“
 

„Wer sind Sie?“ fragte der Angesprochene. Denn eigentlich hatte er seinen Anwalt erwartet, als man ihn hierher gebracht hatte.
 

„Das spielt keine Rolle. Ich soll Ihnen lediglich Grüße von Goro bestellen und dass Sie sich keine Gedanken um Ihre Haft machen sollen.“
 

„Bitte?“ Patrick verstand nicht ganz.
 

„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“ Damit war der Unbekannte aufgestanden und war gegangen.
 

Erst nach einer Weile, in der er auf die geschlossene Tür geschaut hatte, waren ihm die Worte im Kopf gekreist, bis er lachend aufstand.
 

„Gut... ich mache mir keine Sorgen.“
 

Jetzt...
 

„Sie bekennen sich schuldig in allen Punkten und bekommen 25 Jahre,“ schlug der Anwalt vor. Powder hatte erst eben mit ihm telefoniert und die Beweislast war erdrückend. Aber da beide gegen die Todesstrafe waren, obwohl Powder diese fordern würde, wollte er auf den Handel eingehen. Immerhin bekam Powder somit Zugang zu ungeahnten Möglichkeiten.
 

„Toller Handel,“ maulte Patrick und stand auf, ging zu dem kleinen, viel zu hoch angebrachten Fenster und lehnte sich darunter gegen die Wand. “Wenn ich diesen ausschlage?“
 

„Mr. McNear?“
 

„Was?“ grummelte er, so unwirklich aus seinen Gedanken gerissen.
 

„Die Staatsanwaltschaft möchte noch heute eine Antwort.“
 

„Damit ich es richtig verstehe, Timber... Die Sache geht vor Gericht. Die Geschworenen sprechen mich schuldig und ich gehe für 25 Jahre ins Gefängnis?“
 

Innerlich seufzte Justin auf. Wie konnte man so einen Mann nur zum DCI bestimmen. Noch nicht einmal ein wenig Grips schien dort in dessen Kopf zu hausen.
 

„Wie Sie schon sagten: es geht vor Gericht. Sie bekennen sich schuldig und der Richter wird das Urteil sprechen. 25 Jahre Haft ohne Aussicht auf frühzeitige Entlassung. Dadurch sparen Sie sich und auch dem Steuerzahler viel Geld. Hinzu kommt noch die Option, Sie mit den Bomben in Zusammenhang zu bringen. Doch sobald Sie diesen Handel eingehen, wird die Staatsanwaltschaft nicht weiter gegen Sie ermitteln. Nun, was sagen Sie?“
 

Viel Auswahl blieb Patrick da nicht. Wenn selbst der eigene Anwalt eher auf dieses Angebot eingehen würde, als es zur Verhandlung kommen zu lassen.
 

“Rufen Sie den Kerl an und sagen Sie ihm, dass ich zustimme.“
 

Genau damit hatte Timber gerechnet. Genau darüber hatte er auch schon mit seinem indirekten Boss gesprochen. Und genau deswegen holte er nun ein Schriftstück hervor und legte es auf den Tisch vor sich. Einen Kuli, der noch nie benutzt worden war, legte er daneben.
 

„Bitte würden Sie mir dieses Dokument unterschreiben?“ fragte Timber nicht, sondern forderte es förmlich von seinem Mandanten.
 

„Was ist das?!“
 

„Nur Ihre schriftliche Einwilligung. Ich könnte der Staatsanwaltschaft alles mögliche erzählen. Ohne dass ich Ihre Unterschrift hier habe, wird nichts aus dem Handel,“ erklärte Timber und wartete.
 

Patrick nahm den Kuli, drehte ihn zwischen den Fingern und klopfte sich sogar damit gegen den Mund, bevor er das Schriftstück aus der Folie holte und es sich genau durchlas. Schließlich wollte er hier nicht über den Tisch gezogen werden. Nachdem er alles durchgelesen hatte, legte er es wieder auf den Tisch und setze seinen Namen darunter.
 

Timber nahm das Dokument und schob es in die Folie zurück.
 

Dann erhob er sich und packte wieder alles in seine Tasche. Es war besser gelaufen, als er es sich gedacht hatte. Gut, was anderes hatte er auch nicht erwartet.
 

„Ich melde mich wieder bei Ihnen.“
 

Damit verabschiedete sich der Anwalt und McNear wurde wenige Minuten später auch zurück in seine Zelle geführt. Auf dem Weg dorthin fing jedoch seine linke Hand etwas zu jucken an. Doch darüber machte sich der FBI-Agent keine Gedanken.
 

~~~~ Battery Park ~ Castle Clinton ~~~~
 

Dee parkte so nah wie möglich an seinem Zielort. Die ganze Fahrt über hatte Ryo genauso geschwiegen wie im Apartment. Selbst der Blick hatte keine Regung gezeigt. Nichts hatte sich geändert. Aber damit hatte der Jüngere auch nicht gerechnet, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Doch von dem, was er noch beabsichtigte, erhoffte er sich etwas. Entweder zum Guten oder zum Schlechten, das wusste er noch nicht. Aber bald würde er es wissen.
 

Er half Ryo beim Aussteigen und dieser ließ sich, nun da er draußen war, genauso leicht führen wie sonst in der Wohnung. Stur folgte er Dee’s Hand. Wich alleine auch Steinen aus, aber ansonsten zeigte sich nichts auf dem so ebenmäßigen Gesicht.
 

„Dee!“
 

Als dieser hinter sich seinen Namen hörte, drehte er sich rasch herum. Wer konnte schon wissen, dass er hier war?
 

„Mick?!“
 

Was machte der denn hier? Er hatte ihm doch nichts gesagt.
 

„Tu das nicht, Dee!“
 

„Hab ich eine Wahl?“ konterte Dee, führte Ryo weiter auf den geheimen Eingang zu.
 

„Was ist, wenn es schlimmer wird? Wenn er überhaupt nicht mehr reagiert?“ versuchte Mick, an Dee’s Vernunft zu appellieren.
 

„Und wenn es hilft?“
 

„Dee... denk an Ryo!“ bat Mick eindringlich.
 

„Deswegen bin ich hier. Geh mir aus dem Weg,“ forderte er ernst den Mitarbeiter von Black auf.
 

„Du machst einen Fehler... Ryo hat das nicht verdient,“ baute sich Mick demonstrativ weiter vor der Tür auf, die ins Innere führte.
 

„Das ist meine Sache.“
 

„Ist es eben nicht.“
 

Mick ging einen Schritt auf Dee zu, wollte ihm erklären, in aller Ruhe erklären, was alles dabei falsch laufen konnte, und deswegen sah er die geballte Faust zu spät. Voll traf sie sein Kinn und er sackte in die Knie. Rasch hob Dee seins an und schlug es Mick erneut gegen das Kinn, so dass dieser nun nach hinten fiel und dort auch liegen blieb.
 

„Tut mir leid... aber ich habe keine Wahl,“ sagte er entschuldigend zu dem Ohnmächtigen und öffnete dann die Tür, um mit Ryo an seiner Seite die vielen Treppen hinab zu steigen.
 

Unbeteiligt hatte Ryo das Geschehene mitverfolgt und ließ sich nun von Dee durch den engen dunklen Gang führen. Doch seine Schritte wurden langsamer, träger, und als sie die Vorhalle ereichten, auch wenn er sie nie gesehen hatte, stockten seine Schritte. Nur Dee’s direkte Aufforderung, ihm zu vertrauen, ließ ihn nicht zurückweichen.
 

Etwas Schweres legte sich auf Ryo’s Brust. Etwas, das er nicht benennen konnte und das mit jedem Schritt schwerer wurde. Nach einem langen Gang sah er eine Tür vor sich. Eine, die ihm vertraut vorkam. Auch wenn diese hier vor ihm einen Griff hatte. Mit einem Mal blieb er stehen.
 

Dee schaute Ryo an, kannte er etwa etwas von hier? Aber Steve und Mick hatten gesagt, dass er halb ohnmächtig gewesen war, als sie ihn gefunden hatten. Und dass Patrick Ryo hier wach herein gezerrt hatte, glaubte Dee auch nicht. Er ging davon aus, dass Ryo ohnmächtig oder betäubt gewesen war. Deswegen wunderte er sich nun doch, dass dieser stehen blieb. Dee redete wie eben schon leise auf seinen Mann ein. Wirkung erzielte er damit aber jetzt nicht mehr. Ryo stand still und rührte sich für einige lange Augenblicke einfach nicht mehr. Obwohl seine Augen noch immer dieses trübe und nichtssagende aufwiesen.
 

Anstatt vorwärts zu gehen, tasteten Ryo’s Füße rückwärts. Sein Instinkt riet ihm zu fliehen, doch die Hand, die sich urplötzlich um sein Gelenk gelegt hatte, hinderte ihn daran.
 

„Ryo... Ryo... lauf nicht mehr weg. Vertrau mir... Ich bin bei dir... Ich war immer bei dir...“ sagte er leise und tatsächlich stockte der Rückwärtsgang von Ryo.
 

Auch wenn sein Atem flog, sich seine Brust schneller hob, und seine Augen nicht mehr ganz so starr blickten wie in den letzten Wochen, oder Minuten, verharrte Ryo nun fast wie festgenagelt an diesem Punkt.
 

„Komm... Nur noch ein Stück...“ forderte Dee leise.
 

Seine Hände legten sich nun um die Mitte von seinem Mann und führten, nein drückten ihn immer weiter voran.
 

Obwohl der Hellhaarige eigentlich nicht vorwärts wollte, weil er instinktiv ahnte, dass es dort nur Schmerz geben würde, gab er dem Drücken nach und ließ sich vorantreiben.
 

Als sie direkt vor der Tür standen, öffnete Dee diese rasch. Selbst wenn er noch nie hier gewesen wäre, wäre das, was man auf den ersten Blick sehen konnte, genug gewesen.
 

Schlagartig erkannte Ryo, wo er war.
 

Harsch schlug er um sich, wollte weg von hier, rennen, fliehen, doch diese Hände hielten ihn fest, ließen ihn nicht los, verhinderten seine Flucht.
 

„Komm... lauf nicht weg...“ verlangte Dee energisch und zog ihn, obwohl er seinem Mann damit wohl weh tun würde, in das Zimmer und schlug die Tür zu. Selbst wenn Dee den Riegel nicht manipuliert hätte, hätte er die Tür wohl zugeschlagen. Denn er wusste, dass Mick sie nie hier lassen würde. Auch wenn dieser es für falsch hielt, was er hier tat.
 

Ryo wimmerte, seine Augen flackerten auf, als er die Tür zuschlagen hörte. Gehetzt sah er sich um.
 

„Hier hast du gelitten... Wegen mir... Hier hast du Schmerzen erduldet... Wegen mir... Nun bist du wieder hier... Mit mir... Ryo... komm zurück... komm zurück zu mir...“ sagte er leise und ging auf seinen Mann zu.
 

Ryo’s Augen suchten einen Ausweg. Er sah und hörte Dee’s Worte nicht. Für ihn war ein Alptraum war geworden. Sein Peiniger war zurück. Würde das vollenden, was er nicht vollendet hatte. Er würde ihn töten, Sara töten...
 

“DEE!“ schrie Ryo gepeinigt auf, dann sackte er in der Ecke mit den Kleiderfetzen zusammen.
 

Gerade rechtzeitig schaffte es Dee, seinen Ehemann aufzufangen, sonst wäre er nur unsanft gelandet.
 

Dee setzte sich auf das Lager, auf dem Ryo so lange gelegen hatte, und hielt seinen geliebten Ryo in seinen Armen. Noch immer war er ohnmächtig, aber sein Puls schlug normal und die Atmung schien auch in Ordnung. Sanft fuhr er ihm über den Rücken, murmelte leise, beruhigende Worte und nach einer Viertelstunde kam der Blonde wieder zu sich.
 

Doch kaum hatte er die Augen offen, schloss er sie wieder.
 

Er war zurück.
 

„Es ist alles in Ordnung... Ryo... Ich bin bei dir,“ erklärte Dee ruhig, als er spürte, dass Ryo zusammengefahren war.
 

Würde nun alles besser werden?
 

Hatte es Ryo geholfen, herzukommen?
 

Oder hatte er damit nun alles noch schlimmer gemacht?
 

„Dee!“ hauchte Ryo, und der Angesprochene hätte allein schon bei diesem Wort vor Freude die Welt umarmen können.
 

„Ich bin hier... Keiner tut dir mehr weh...“ seufzte er glücklich.
 

Ryo klammerte sich an seinen Mann, öffnete dann die Augen und nun sah er sich mit dem konfrontiert, dem er so gerne ausgewichen wäre.
 

„Wo...woher... weißt du?“
 

„Mick! Er hat dich zusammen mit Steve hier rausgeholt. Ich dachte, ich bringe dich hierher zurück, denn du warst zwar frei, aber deine Seele war nicht mit dir frei. Jedenfalls nicht für immer...“ erklärte Dee immer noch ruhig und leise. Denn jedes laute Wort würde hier nur widerhallen.
 

„Ich... ich wollte nicht, dass du... dass du...“
 

„...dass ich erfahre, was er dir angetan hat?“
 

Weinend nickte Ryo, krallte sich noch fester an Dee, vergrub sein Gesicht an dessen Halsbeuge.
 

„Ach, Ryo... Wenn ich könnte, würde ich dir diese Last abnehmen... Du musst hier furchtbare Zeiten erlebt haben. Es tut mir so leid, dass ich dich bedrängt habe, aber ich hatte keine Ahnung. Nun, wo ich all das hier sehe... Selbst jetzt kann ich mir deine Leiden nicht ausmalen...“ Dee verstummte, wollte nicht, dass Ryo nun was sagte, aber er wollte auch nicht so schnell reden. Schließlich war Ryo eine lange Zeit in sich gefangen gewesen. Durch zu viel Reden wollte er ihn nicht wieder dorthin zurückjagen.
 

„Ich... ich...“
 

„Sht! Es tut mir leid, Ryo. Ich hätte dir mehr Zeit lassen sollen. Ich hätte mich niemals darauf...“
 

Dee’s Worte erstarben, als er einen Finger an seiner Lippe spürte.
 

Ryo hob seinen Kopf, sah Dee mit tränenverhangenen Augen an.
 

Viel zu viel ging dem Blonden durch den Kopf, eine Unzahl von Wörtern, von Fragen und Antworten, doch er konnte keine stellen, nichts kam geformt von seinen Lippen, so sehr er es auch versuchte.
 

„Ryo?“ Besorgt sah Dee ihn an. Fürchtet das schlimmste, auch wenn dieser eben bereits etwas gesagt hatte.
 

„Dee... ich... es... es tut mir leid,“ brachte er schließlich klar hervor, nachdem er sich für etwas entschieden hatte.
 

Der dunkelhaarige MacLane lächelte seinen Mann sanft an, legte eine Hand an die feucht geweinte Wange und fuhr sacht mit dem Daumen über die Haut.
 

„Du kannst nichts dafür, Ryo... du am allerwenigsten.“
 

„Doch!“ blieb dieser jedoch hartnäckig. Schüttelte dann nicht nur die Hand von Dee ab, sondern auch die Tränen. “Ich hätte auf dich hören sollen. Das tu ich ab jetzt... Dee.“
 

„Ich möchte dich, so wie du warst... nicht anders...“ sagte Dee und hielt Ryo fest, der selbst im Sitzen durch die rasche Kopfbewegung die Haltung verlor.
 

„Dee?“
 

„Ja!“
 

„Du verstehst mich nicht... habe ich Recht? Ich werde nie wieder so sein, wie ich mal war. Ich habe Narben... sichtbare...“
 

„Und unsichtbare... Und diese möchte ich, gemeinsam mit dir, heilen, Ryo.“
 

„Dee...“
 

„Ich sage es dir, so oft du es hören musst. Ich höre dir zu, wenn du reden willst, ich schweige, wenn du Ruhe möchtest und ich liebe dich, weil du so bist, wie du bist. Nichts hat sich für mich geändert. Du magst Narben davongetragen haben, aber wenn du mir nicht gestattest, dir zu helfen, dann wird dieser Bastard gewinnen. Möchtest du das, Ryo?“ fragte er ernst und sah ihm in die Augen, die nach Wochen wieder einen Hauch Leben zeigten.
 

Stumm schüttelte Ryo den Kopf.
 

„Es waren nicht... nicht die Peitschenhiebe, nicht die Demütigungen, die dieser Kerl mich hat spüren lassen... Es war die Hilflosigkeit, nicht bei dir sein zu können.“
 

Fragend schaute Dee Ryo an.
 

„Er zeigte mir das Bild... von dir und ihm... ich weiß es nicht... Er zeigte mir Zeitungsausschnitte von dem Bomber, von Toten... von deinem Unfall... Ich hatte Angst... Angst um dich... Und ich... Ich war nicht da, als du mich gebraucht hast...“ sagte er tonlos.
 

Kaum waren seine Worte in dem kahlen Zimmer zu vernehmen, als er sich langsam zu Dee umdrehte, seine Hand hob und diese unterhalb von Dee’s Herz legte. Dort, wo diese Stange ihn aufgespießt hatte. Wo nur noch eine kleine runde Narbe an diesen schicksalsschweren Tag erinnerte.
 

Dee sah ihm in die dunklen Augen, die so von Schmerz und Leere gefüllt waren, dass es ihm selbst jetzt noch kalt wurde. Jedes Mal, wenn er dort hineinblickte. Kein Anzeichen von Wärme, nur Schmerz, Verlust und Angst sprangen ihn jedes Mal an.
 

„Du warst bei mir... hier warst du immer bei mir,“ sagte Dee und legte seine Hand behutsam über Ryo’s, spürte, wie sich dieser unter seinen Finger schon verspannte und senkte die Hand wieder. Dee’s Blick war geschwängert von Sorge.
 

Bisher hatte er keine Besserung festgestellt. Doch nun, hier in diesem Zimmer, wo Ryo gefoltert worden war, wurde es besser. Die Entfernung wurde kleiner. Einer verstand den anderen. Es war nicht die Angst um das eigene Leben, das sie belastete, sonder die Liebe zu dem anderen. Einen geliebten Menschen zu verlieren. Und niemand war hier bei Ryo gewesen, der ihm Trost gegeben hätte. Der ihm versichern hätte können, dass es Dee gut ging. Dass er leben würde. War es da ein Wunder, dass er sich so zurückzog, wo er von dem Menschen, den er am meisten liebte und brauchte, so angefahren wurde.
 

Ryo zog seine Hand von Dee’s Brust und schaute ihn mit hängenden Armen an. Es schien fast so, als ob er etwas sagen würde, doch kein Wort fand den Weg über seine schmalen, etwas blutleeren Lippen.
 

„Lass uns gehen, Dee. Ich möchte nach Hause,“ sagte er schließlich, stand auf und sah sich noch einmal um. “Hier starb Gary Logan. Hier hat mich mein Peiniger misshandelt, gefoltert, gewürgt und fast ertränkt. Hier habe ich Stunden um dein Leben gebangt, Dee. Nur die Liebe und der Glaube an dich haben mich am Durchdrehen gehindert. Hier habe ich Blut vergossen... Ich möchte nur noch nach Hause zu dir und Sara,“ erklärte Ryo ernst, während er zu dem Tisch ging.
 

Der Tisch, der ihm so viele Zeit seines Lebens gekostet hatte. Nein, er würde ihn wohl nie vergessen. Genauso wenig wie all die Qualen, die er hier durchlitten hatte. Aber er hatte auch ein neues Leben geschenkt bekommen. Eines, das er nun angehen würde, zu leben. Ryo drehte sich zu Dee um, fast schon so, als ob das, was hier passiert war, nun für ihn endgültig vorbei wäre. Aber das war wie so vieles nur ein Wunschgedanke und da war sich Ryo sicher. Fertig war er mit dem Durchlebten noch lange nicht.
 

„Ja, lass uns gehen,“ erklärte Dee und legte seinen Arm um ihn.
 

Dass alles so gut ausging, hatte er sich erhofft, auch wenn er mit mehr Geschrei gerechnet hätte, aber Ryo war nun mal ein Mann, der nie das tat, was man von ihm erwartete.
 

„Ich liebe dich...“ hörte Dee leise neben sich und dem konnte er wohl nichts mehr hinzufügen als die gleichen Worte.
 

**** TBC

Montag - 31. Oktober

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

Sara war endlich eingeschlafen. Dee setzte sich neben Ryo, der es sich auf der Couch bequem gemacht hatte. Sein Blick war diesmal nicht mehr ganz so schwer wie noch am Morgen, aber immer noch konnte Dee klar und deutlich sehen, dass Ryo sich weigern würde, sich ihm ganz zu öffnen.

Was Ryo dort auch erlebt haben mochte, Dee wollte es nun auch gar nicht mehr in allen Details hören. Er würde zuhören, so wie er es ihm versprochen hatte, aber drängen, nein, das hatte er aufgegeben. Nun, wo Ryo dieses Tief überwunden hatte, musste es aufwärts gehen. Stück für Stück. Gemeinsam.
 

Hin und wieder sackte Ryo zurück in die Zeit seiner Gefangenschaft, dann saß er da, blicklos, zuckte zusammen, wenn man ihn ansprach, und nach Meinung von Foster würde dieser Zustand so lange anhalten, bis Ryo das alles verarbeitet hatte. Monate, vielleicht auch Jahre. Aber ansonsten war Ryo fast der alte. Aber eben auch nur fast.
 

„Möchtest du noch was trinken?“ fragte er ruhig.
 

Am liebsten hätte er ihn an sich gezogen, aber er wollte auch nicht das entspannte Verhältnis, das im Augenblick zwischen ihnen herrschte, stören.
 

„Nein...“ erklang es fast tonlos. Seine Gefühle hatte er wieder hinter seiner Mauer, die nur von Sara durchbrochen werden konnte, verborgen. Seine Tränen waren getrocknet, aber es hatte ihm gut getan, sich einmal gehen zu lassen.
 

„Wie wäre es mit essen? Wir haben noch Suppe vom...“
 

„Nein, Dee. Ich möchte nichts,“ unterbrach er ihn und drehte sich dann etwas, so dass er Dee anblicken konnte.
 

Seine Hände tasteten nach Dee’s, nahmen sie sanft in seine. Trauer schwang in seiner Stimme mit. Ärger und Frust, weil er einfach nicht mit dem, was passiert war, klarkam.
 

„Ryo?“ fragte Dee leise, löste eine Hand aus dem lockeren Griff und legte sie seinem Mann an die Wange, koste mit dem Daumen über den Mundwinkel, den Nasenflügel und wieder zurück. Kurz schien es Dee, als würde sich Ryo in diese Liebkosung hinein flüchten.
 

„Ich bin noch nicht... noch nicht bereit... Es ist... Ich kann einfach nicht...“
 

„Sht... Schatz. Du weißt, dass ich warten kann. Finde du deinen Frieden in dir... ich werde da sein, um dich aufzufangen...“ sagte er leise, beugte sich vor und legte seine Stirn sachte gegen Ryo’s.
 

So langsam kam das alte Vertrauen zwischen ihnen auf. Schritt für Schritt musste er sich seinem Mann wieder annähern. Ihm zeigen, dass er nicht allein, nicht eingesperrt war. In manchen Stunden war es so wie jetzt, und dann wieder war es ganz anders. Dann zog er sich ganz zurück. Wich so einer Berührung wie eben jetzt einfach aus. Dee war sehr vorsichtig. Er wusste, dass er ihn schon einmal ins Nichts gestürzt hatte, ein weiteres Mal wollte er vermeiden.
 

„Danke...“ hauchte Ryo.
 

Wieder bahnten sich Tränen aus seinen dunklen Augen hervor und benetzten die Hand, die noch hauchzart auf seiner Wange ruhte. Doch anstatt sich von seinem Mann zu lösen, zog er ihn behutsam, ohne Zwang näher, bis er Ryo’s Kopf an seiner Schulter spürte. Ließ ihn fallen, fing ihn auf. Wusste, dass Worte mehr als genug gewechselt waren. Jetzt brauchte Ryo nur eins. Ruhe! Ruhe und nochmals Ruhe. Und so lange er konnte, würde er ihm diese auch gönnen.
 

Nachdem Ryo in seinem Arm eingeschlafen war, trug er ihn ins Bett, deckte ihn mit einem kleinen wehmütigen Lächeln zu.
 

„Du bist zwar frei, aber du bist noch nicht zurückgekommen, egal was du auch gesagt hast... noch nicht ganz, aber ein großer Teil...“ flüsterte er leise und wachte dann die gesamte Nacht über den Schlaf des Halbjapaners.
 

Irgendwann musste er dann aber doch eingeschlafen sein, denn als er eine leichte Regung neben sich spürte, krabbelte ihre Tochter gerade über die Bettkante zu ihm auf die Seite.
 

„Morgen, Dad... Daddy schläft noch,“ schnurrte sie und kuschelte sich an Dee’s Brust.
 

„Morgen, Sonnenschein... lassen wir ihn noch schlafen.“
 

„Dad?“
 

„Mhmm... was denn?“
 

„Wird Daddy wieder gesund?“
 

Ein leises Schnauben, eine Art unwissendes Lächeln zeigte sich auf Dee’s Zügen, als er das blonde Haar seiner Tochter mit seinen Fingern durchfuhr. Zeit, er brauchte ein wenig Zeit, um sich eine Antwort zu überlegen. Schließlich wollte er ihr, so gut es ging, die Wahrheit sagen. Lügen würden sowieso nur alles schlimmer machen.
 

„Ja, Nikkô. Dein Daddy wird wieder gesund... Gib ihm nur ein wenig Zeit,“ kam die Antwort dann nicht wie erwartet von ihrem Dad, sondern von ihrem Daddy.
 

Sara drehte sich in Dee’s Armen. Ryo lag dicht neben seiner Tochter, nah bei Dee und das erste Mal zeigte sich ein Anflug eines kleinen Lächelns auf seinen Lippen. Noch nicht ganz, aber es war besser als dieser grimmige Zug, den er die letzten Monate über getragen hatte und der sich auch schon an den Mundwinkeln begonnen hatte, sich in Form von Falten dort niederzulassen.
 

„Morgen, Daddy!“
 

„Morgen mein Sonnenschein. Dein Daddy...“
 

„Ryo?!“ unterbrach er ihn. Warum, war ihm nicht klar, aber er sah es in seinem Blick, dass er selbst nicht weiter gewusst hätte.
 

„Dein Daddy, Schatz... du weißt doch, dass er lange weg war?“
 

Ryo hatte sich diese Frage schon oft gestellt, aber irgendwie war ihm schon klar, dass Sara wusste, was passiert war. Immerhin war sie aufgeweckt genug, um das alles wenigstens ein bisschen zu verstehen. Und wenn er Dee’s Worten Glauben schenkte, dann war es Sara gewesen, die ihm nach dem Unfall geholfen hatte, so rasch wieder auf die Beine zu kommen.
 

„Ja. Dieser böse Mann, der auch mich...“
 

„Sara... Schatz. Warst du schon im Bad?“ unterbrach Dee erneut. Verdammt, das war die falsche Zeit dafür. Ryo war noch viel zu angegriffen. Doch es war zu spät, wie er sah. Jetzt war auf alle Fälle geklärt, woher Sara die schnelle Auffassungsgabe hatte.
 

„Der auch dich entführt hat?“ vollendete Ryo den Satz, sah dabei aber fest auf Dee.
 

„Ja. Und nein, ich war noch nicht im Bad... Darf ich denn nicht noch was hier bei euch bleiben und kuscheln?“ erbat sie sich mit ihrem Schmollmund, dem weder Dee noch Ryo widerstehen konnten. Doch diesmal war es was ernstes.
 

„Nein, Sara. Bitte geh schon mal ins Bad,“ blieb Dee ruhig.
 

Nachdem die Fünfjährige das Schlafzimmer verlassen hatte, dauerte es auch nicht länger, bis diese unheilvolle Frage gestellt wurde.
 

„Wann wolltest du es mir sagen?“
 

„Es hat sich nicht...“
 

„Was? Nicht ergeben? Kuso! Dee. Sie ist auch meine Tochter. Dieser... Dieser...“ Ryo’s Kehle zog sich zu. Es war, als ob er erneut die Hände von diesem Kerl an seinem Hals fühlen würde, wie er ihm langsam die Luft abdrückte.
 

„Ryo?“

Dee griff rüber und schüttelte seinen Mann, bis dieser wieder klar und sichtlich erleichtert atmen konnte.

“Ich hätte es dir noch gesagt... aber du bist noch so schwach. Du hast doch mit dir selbst genug...“
 

Selbst in Dee’s Ohren klang diese Entschuldigung mehr als lahm. Aber ihm fiel einfach nichts besseres ein. Das hatte er wohl verbockt, mal wieder.
 

Ryo hingegen, sein Herz pochte ihm laut in den Ohren, setze sich im Bett auf, schlug ein Bein unter und sah seinen Mann an.
 

„Was weiß ich noch nicht? Was hat er ihr angetan?“
 

Nur zu gut waren diese Worte noch in seinem Gedächtnis.
 

‚Ich bringe dir deine Tochter, Schneewittchen, dann seid ihr beide aus dem Weg’.
 

Schon damals war ihm nur bei dem Gedanken daran schlecht geworden, aber wie er nun so ganz nebenbei erfuhr, war diese Möglichkeit gar nicht so abwegig, wie er gehofft hatte. Dieser Bastard hatte seine Tochter angefasst.
 

Dee sah wie mehr und mehr die Panik von Ryo Besitz ergriff, und so legte er beruhigend einen Arm auf dessen Schulter.
 

„Ryo... Er hat ihr nichts getan. Beruhige dich, bitte.“
 

„Beruhigen... du hast ja keine Ahnung,“ fuhr er Dee an, wischte die Hand von seiner Schulter und stand auf. “Er hat mir damit gedroht, weißt du... nicht nur einmal. Mehrere Male hat er mir gesagt, dass er Sara zu mir bringen wollte, und was er alles mit ihr... mit ihr...“ Ryo versagte die Stimme und er sackte in die Knie, direkt vor dem Bett.
 

Dee sprang sofort zu ihm, zog ihn in seine Arme, hielt ihn fest an sich, ließ ihn diesmal auch nicht los, als er sich wehrte.
 

„Nicht... Ryo es ist vorbei. Sie haben ihn... er wird dir und Sara nichts mehr tun... nie wieder... hörst du... Es ist vorbei!“
 

Wie ein Sack Mehl erschlaffte Ryo in Dee’s Armen. Hemmungslos klammerte er sich an seinen Mann und erneut flossen Tränen.
 

Immer wieder strich er ihm durch das Haar.
 

„Wir haben eine ganz schlaue Tochter. Er hat einen Fehler gemacht, als er sich Sara geschnappt hat... von da an stand er unter Bewachung und wir haben dich gefunden...“ dass es so nicht ganz korrekt war, war Dee im Augenblick egal. Aber so wurde es ihm schließlich gesagt. Sara war der Schlüssel zur Verhaftung von Patrick McNear.
 

~~~~ In Black’s Büro ~~~~
 

Black thronte wie immer auch an diesem frühen Montag hinter seinem Schreibtisch, der ebenfalls wie gewohnt mit so wenig Papieren belegt war wie irgend möglich. Sein Laptop stand leuchtend in einer Ecke und wartete auf eine weitere Eingabe. Die Anfrage nach einem Begleiter blinkte unablässig und Black war sich nicht schlüssig, ob Steve Cotton bereits wieder zum Einsatz bereit war.
 

Auch wenn einer seiner besten Männer ständig von sich sagte, dass er keine längere Ruhepause brauchte, glaubte Aaron noch nicht, dass Steve gerade diesem Kunden gewachsen war. Aber wie immer in so einem Fall bestand der Kunde auf Steve, der sich einen vorzüglichen Ruf hier erarbeitet hatte. Still war er und sehr verschwiegen, seine Ratschläge hatten meist Hand und Fuß, und so war es für den Chef dieser Branche eigentlich unmöglich, gerade diese Anfrage abzulehnen.
 

Steve hatte nun auch schon über einige Monate geruht. Der Schutt vom Basra war komplett entfernt worden und nun stand schon der Rohbau wieder. Sie wollten es größer und besser aufziehen. Sie hatten sogar vorgehabt, im Keller einen Club zu eröffnen. Doch auch wenn dies zusätzliche

Geldquellen gewesen wären, hätten sie wiederum mehr Personal gebraucht und das hätte dann wohl auch die Einnahmen wieder gefressen. Deswegen hatte Steven seinen Freund davon überzeugt, dies doch nicht zu tun. Und Tony hatte, wie die Kundschaft von Black, auf den Ratschlag von Steve gehört. Im April wollten sie die Neueröffnung vornehmen. Kurz hatten sie daran gedacht, ihr Geschäft auf die CS zu verlegen, weil es dort nicht nur ein, nein zwei freie Flächen geben würde, aber sie wollten ihr zukünftiges Glück nicht auf den Trümmern von anderen aufbauen. Nein, sie wollten dort weitermachen, wo sie auch ihre Liebe gefunden hatten.
 

Nur zu gut konnte Black diese beiden verstehen. Er griff zum Telefon, drückte zwei Tasten und wartete.
 

„Cotton!“ meldete sich Steve auch gleich nach dem ersten Klingeln.
 

„Black hier. Ich habe einen Kunden für dich. Interessiert?“
 

„Klar. Wann?“
 

Das Aufseufzen und die Freude, dass er endlich wieder eingesetzt wurde, konnte Aaron sogar durch die nicht vorhandene Leitung spüren.
 

„Morgen abend. 16 Uhr vor dem Grand.“
 

„Geht klar, Chef. Muss ich was wissen über den Kunden?“
 

„Nein. Du kennst ihn. Also dürfte es keine Überraschungen geben.“
 

„Gut, dann bin ich pünktlich.“
 

Black legte auf. Auf Steve konnte er sich verlassen. Es würde keine außerplanmäßigen Gefahren geben.
 

„Stör ich?“
 

Ein Kopf lugte durch die Tür und schon folgte auch der Rest des Körpers.
 

„Nein... Was kann ich für dich tun?“
 

„Immer der Geschäftsmann... Schalt mal einen Gang zurück, Aaron. Die Verhandlung, schon vergessen?“
 

„Ach je... Ja, die habe ich glatt vergessen.“ Er seufzte tief auf. Auf seinen Lover konnte er sich eben immer verlassen.
 

„Um elf Uhr geht’s los... was meinst du, werden Ryo und Dee erscheinen?“
 

„Wenn ich Dee wäre, würde ich Ryo davon abraten. Aber wie ich den kenne, wird er Dee dazu bringen, ihn gehen zu lassen. Ich rechne mit allem.“
 

„Was meist du, bekommt er die Todesstrafe?“
 

„Hmm... ich wünschte es... Es wäre für Ryo gut, dann könnte er abschließen, statt ständig mit der Angst zu leben, dass sein Entführer irgendwann wieder freikommt. Aber sie haben ja auch noch die Leiche von diesem Broker... Ich denke schon, dass der Staatsanwalt klug genug ist, so vorzugehen. Aber wir werden sehen.“
 

~~~~ Apartment der MacLane’s ~~~~
 

Ryo hatte Dee den gesamten Vormittag ignoriert. Auch als dieser sich erst spät getraut hatte, das Schlafzimmer zu verlassen. Schweigend hatte Ryo ihn nur angesehen.
 

Nun versuchte Dee es erneut mit einem Gespräch, aber bevor Dee auch nur den Mund aufmachen konnte, hob Ryo die Hand.
 

„Ich werde heute zu der Verhandlung gehen, versuch erst gar nicht, mich davon abzuhalten.“
 

Zu erfahren, dass Sara auch entführt worden war und fast zu einem Opfer geworden wäre, hatte neben dem kurzen Schock aber auch eine heilsame Wirkung als Nebeneffekt gehabt: Ryo’s Lebensgeister waren wieder wach. Obwohl er nun stinksauer auf Dee war, weil dieser ihm so etwas vorenthalten hatte, konnte er die Beweggründe seines Mannes jedoch verstehen. Zumal Ryo Sara in den letzten Tagen erlebt hatte. Sie schien mit der Entführung recht gut zurecht zu kommen. Jedenfalls schien sie seelisch keinen Schaden davongetragen zu haben. Und dies gab Ryo nun auch den Schub, seine Vergangenheit in dieser Sache nun ebenfalls anzugehen.
 

Er musste seinem Peiniger gegenübertreten, sonst würde dieser Schatten für immer an ihm kleben bleiben. Er wusste ja, wer es war, hatte ihn an der Stimme erkannt. Aber gesehen hatte er ihn noch nie und er wusste, dass er es tun musste.
 

„Ich werde es dir nicht ausreden, wenn du das meinst,“ gab Dee sein Einverständnis, denn alles andere wäre sowieso zum Scheitern verurteilt gewesen. „Lass uns gehen,“ sagte Dee und reichte Ryo seine Jacke. Er wusste, dass es im Augenblick sinnlos war, vernünftig mit Ryo zu sprechen. Aber vom Tisch war dieses Thema nicht.
 

~~~~ Gerichtgebäude ~~~~
 

Der Gerichtssaal füllte sich nur langsam, aber es gab ja auch kein öffentliches Publikum. Lediglich die Betroffenen erhielten in Begleitung von Bekannten und Freunden zutritt. Selbstverständlich gehörten dazu auch die Opfer der Bombenattentate, denn irgendwie hatte sich herumgesprochen, dass der Angeklagte im direkten Zusammenhang damit stand.
 

Immerhin war fast sicher, so berichtete eine Zeitung aus unbestätigter Quelle, dass der Angeklagte McNear für die Bombe im bekannten Basra zur Rechenschaft gezogen werden konnte.
 

Der Rest musste draußen warten. Viel war für heute nicht anberaumt. Eigentlich nur die Vorverhandlung. Das erste Abtasten, wenn man so wollte. Die Verlesung der Anklageschrift, das Geständnis des Beschuldigten und die mögliche daraus resultierende Folge. Im üblichen ging es darin um die Haftstrafe, sollte sich der Angeklagte schuldig bekennen, im anderen Fall, um einen Termin für das Aussuchen der Geschworenen. Das meist einer langwierigen Angelegenheit gleichkam.

Bevor man in das Gerichtsgebäude kam, wurde man auf Waffen kontrolliert. Dies galt überwiegend zum Schutz der Angeklagten, damit die Selbstjustiz, die vor zehn Jahren hier Überhand genommen hatte, eingedämmt wurde. Seit dieser Zeit waren keine Zeugen mehr verloren gegangen, sobald sie mal im Gerichtsgebäude waren, oder Angeklagte erschossen, erstochen oder gar angezündet worden.
 

Ryo saß neben Dee. Sara hatten sie mal wieder bei Steve und Tony untergebracht. Sie musste zur Not aussagen. Auch der Staatsanwalt erwartete noch eine genaue Aussage von Ryo, die dieser ihm immer noch nicht gegeben hatte. Jedenfalls nicht die genaue detaillierte Aussage, auch wenn die erste vorläufig noch reichte. Doch sollte diese Verhandlung wirklich vor ein Geschworenengericht gehen, musste Ryo diese noch machen, so schwer sie ihm auch fallen sollte.
 

Dee hatte es nicht geschafft, Ryo davon zu überzeugen, wenigstens einmal in der Woche einen Psychiater aufzusuchen, denn dieser war und blieb der festen Ansicht, dass ihm dies nichts bringen würde. Aber dafür hatte er ein neues Buch angefangen. Dort schrieb er stundenlang am Tag das auf, was er durchlebt hatte, jede Qual, die ihm zugefügt worden war. Aber auch seine Gedanken und Gefühle.
 

Dee hatte ihm versprechen müssen, dieses Buch, das allein schon vom Aussehen dreimal so dick war wie Ryo’s übliche Tagebücher, nicht anzufassen, bis er die Erlaubnis hatte. Das hieß für den Dunkelhaarigen nichts anderes, als dass er es noch lesen durfte, bevor Ryo starb. Denn die anderen Bücher waren für ihn tabu, auch wenn er schon einige gelesen hatte. Doch das wusste Ryo. Eines Tages würde er dieses Buch lesen und dann würde er Ryo verstehen können, das wusste er tief in seinem Herzen, und bis zu diesem Augenblick würde er neben ihm sein und warten.
 

Hinter Dee setzte sich Black in Begleitung von Mick. Kurz klopfte der Ryo auf die Schulter. Als dieser aufsah, konnten beide sehr wohl den Schmerz, die Wut und unterdrückte Rache in diesen dunklen Augen erblicken. Nur zu gut konnten sie ihm nachfühlen. Doch sagen taten sie nichts. Es war ihr Geheimnis und sie würden es behüten bis ins Grab.
 

„Sara ist wohl wieder bei dem glücklichen Paar?“ versuchte Mick ein kurzes Gespräch anzufangen. Denn bis zur Eröffnung würde es noch eine Weile dauern.
 

„Ja!“ Einsilbiger ging die Antwort von Ryo auch nicht mehr.
 

„Jedenfalls ist ein Paar glücklich,“ schob Dee nach und blickte Ryo fast flehentlich an.
 

Aaron zog Mick auf den unbequemen Stuhl zurück.
 

„Lass die beiden... die haben Knatsch.“
 

Gerne hätte Ryo sich zu ihnen umgedreht und ihnen das, was er so nebenbei erfahren hatte, um die Ohren geknallt, aber nein, dann hätte er nach außen Gefühle zeigen müssen und er fürchtete um seine Barrikade, die ihn mühsam aufrecht hielt.
 

Aus dem Richterbüro trat der Staatsanwalt. Powder sah Barclay, der gerade den Gang zu den MacLane’s entlang ging, und winkte ihn kurz zu sich.
 

„Haben Sie ‚ihn’ gesehen?“ hörte Ross die Frage des Staatsanwaltes und blickte in die hintere Ecke des Gerichtssaales.
 

„McCoy. Rob McCoy... Was macht der hier?!“ stellte der Commissioner diese recht einfach zu erklärende Frage.
 

„Die rechte Hand von Goro. Vermutlich will er wissen, ob alles nach Plan läuft!“ murmelte Powder und richtete seine Krawatte, die etwas verrutscht schien.
 

„Sie meinen?“
 

„Wir haben einen Deal. McNear wird strafmildernd verurteilt und dafür bekommen wir eine gute Verbindung zu Goro!“
 

„WAS?“ Gebremst brauste Barclay auf. Das konnte doch nicht wahr sein und davon erfuhr er erst jetzt? Gab es denn wirklich keine Gerechtigkeit mehr? “Das...“
 

„Ich weiß, es geht um einen ihrer Männer. Aber Sie sollten den Vorteil betrachten, Ross. Wir...“
 

„Ich sag Ihnen eins: mir ist mein Mitarbeiter wichtiger als so eine Verbindung. Sie enttäuschen mich, Powder. Sehr... Ich dachte, Sie wären ein Mann für die Gerechtigkeit.“
 

Powder blickte Barclay eine Weile stumm, aber auch mit malenden Wangenknochen an.
 

„Sie irren sich in mir. Ich kämpfe für das Recht. Sie wissen so gut wie ich, dass wir der Korruption hinterherlaufen. Deswegen sehe ich in dieser Zustimmung einen Vorteil auf lange Sicht. Aber ich habe jetzt keine Zeit, um es Ihnen zu erklären. Vertrauen Sie mir, wie Sie es bisher immer getan haben, Ross.“
 

Doch davon war Barclay im Augenblick auf alle Fälle weit entfernt. Er fuhr sich durch sein blondes, kurzes Haar und drehte sich zu den MacLane’s herum. Sie rechneten mit ihm. Mit einem Schuldspruch.
 

„Er wird sich schuldig bekennen. Er kommt ins Gefängnis und dennoch bekomme ich das, was ich will,“ hörte Barclay die Stimme von seiner Seite, drehte sich wieder zu dem Staatsanwalt.
 

„Ich hoffe nur, Sie wissen, was Sie tun.“
 

Damit ging Ross und hockte sich weit genug von den MacLane’s und den anderen entfernt auf einen Stuhl.
 

Ryo ließ keinen aus dem Auge, der mit diesem Fall zu tun hatte. Irgendwie hatte er ein merkwürdiges Gefühl. Gleich würde er seinem Peiniger gegenüber stehen. Diesmal ohne Maske. Er konnte ihm in das Gesicht blicken. Nicht nur auf die Lippen, die Augen, die ihn so angestarrt hatten. In denen er den blanken Hass gelesen hatte. Nun wusste er wenigstens, warum er so gehasst worden war. Wegen dem Mann neben sich. Wegen dem Mann neben ihm musste er all dies erleiden. Ein kurzer eisiger Schauer rann durch seine Muskeln und ließ ihn zittern, noch immer, obwohl dies schon seit Wochen zwischen ihnen erledigt war.
 

„Alles in Ordnung, Ryo?“ hörte er auch gleich die besorgte Frage von seinem Mann.
 

Ryo blickte lediglich auf die Hand, die sich auf seinen Unterarm gelegt hatte, dann hob er den Blick hoch zu den grünen Augen seines Mannes. “Lass mich los,“ sagte er fast tonlos. Dee tat ihm den Gefallen, denn er wollte keine Szene machen, nicht hier.
 

Nur zu gerne hätten die Männer und Frauen in der Zuschauerreihe erfahren, was dort vorne zwischen Staatsanwalt und Commissioner zu solch einer heftigen Reaktion führte.
 

„Ich möchte zu gerne wissen, was die beiden da vorne reden. Etwas scheint Ross nicht zu behagen,“ murmelte Chris, als er sich in Begleitung von Robin, der es endlich geschafft hatte, dass er ihn an seiner Seite akzeptierte, neben Aaron und Prescott auf den Stuhl sinken ließ.
 

„Das erfahren wir noch früh genug... Mir gefällt es nicht,“ gab Black eine Antwort auf die indirekte Frage seines Bruders.
 

„McCoy wird wohl der Inhalt dieser Unterhaltung sein,“ mutmaßte Mick und machte seinen Boss sowie die anderen auf den Mann in der Ecke aufmerksam.
 

„Das ist nicht gut...!“ murmelte Black.
 

„Jedenfalls nicht für McNear, würde ich mal tippen,“ antwortete Chris, der auch schon so einiges von diesem Mann gehört hatte.
 

Alle, die Goro im Weg standen, oder die er für überflüssig hielt, verschwanden meist auf Nimmerwiedersehen. Keine Leichen, keine Spuren. Das war reine Profiarbeit. Das klang eindeutig nach McCoy. Aber bisher hatten sie halt nichts in der Hand gegen diese Bande, und wenn die weiter so sauber entsorgten, würden sie wohl auch nie etwas Brauchbares finden.
 

„Da ist er,“ sagte Robin laut genug, dass selbst Ryo diese Worte hörte, und anstatt sich nach der Stimme umzudrehen, schaute er auf den Nebeneingang, wo ein etwa so großer Mann wie er selbst, nur mit schwarzen kurzen Haaren in das Gerichtszimmer geführt wurde.
 

„Hrm...“
 

Ryo spürte, wie Angst ihn umfing, als er diesen Mann sah. Diese kalten Augen, die er nur durch die Ledermaske sehen konnte, blickten nun direkt auf ihn und sahen ihn genauso verhasst an wie gewohnt. Doch Ryo blieb äußerlich kühl, nur im Inneren wäre er am liebsten geflohen. Nicht nur aus diesem Raum. Weg. Weit weg. Doch er blieb sitzen. Meckerte diesmal auch nicht über die warme Hand, die sich auf seine verkrampfte legte.
 

„Wollen wir gehen?“ Dee wusste, dass er ihn hier nicht raus bekam, aber einen Versuch wollte er doch unternehmen.
 

Sein Blick blieb auf seinen Peiniger geheftet. Genau diese Augen würde er überall erkennen. Dieser Gang. Nicht schleichend, sondern konsequent, so als ob er noch ein Ziel hätte. Nein, dieser Mann würde sich nicht kampflos geschlagen geben. Dieser Mann, der ihn noch immer mit seinen braunen Augen fixierte, IHN, nicht Dee, wie er feststellte, fühlte sich als Sieger. Doch da irrte er sich. Ryo war sich sicher. Er musste einfach verlieren. Sonst würde er nie wieder er selbst werden.
 

„Ryo?“
 

„Nein... es geht...“ sagte er fest und brach nicht den Blick, wartete darauf, dass sein Peiniger diesen zu erst senkte, und tatsächlich wandte dieser seinen Blick ab. Setzte sich dann auf den ihm zugedachten Stuhl, redete mit seinem Anwalt und trank einen Schluck aus dem bereit gestellten Glas Wasser.
 

Nur zu gut war sich Patrick der Blicke, die von seinem Schneewittchen auf seinen Rücken geheftet wurden, bewusst. Am liebsten hätte er ihn überheblich angelächelt. Aber das würde er sich für nach seinem Sieg aufheben. Nachdem der Richter nicht sein Todesurteil verkündigen würde, sondern eine Gefängnisstrafe. Eine Strafe, die er nie gedachte, anzutreten. Gleich, nachdem er den Deal abgeschlossen hatte, hatte er telefoniert. Es war alles in die Wege geleitet worden. Sobald er ins Gefängnis überstellt werden sollte, würden ihn seine Freunde herausholen, und dann würde er nicht mehr diese Spielchen machen. Kaltblütig würde er Ryo und dieses kleine Biest umbringen, dann würde er Dee für sich nehmen. Selbst wenn er ihn zu Beginn fesseln musste. Aber er würde ihn für sich haben, für immer.
 

Der eine Mann, der ruhig und irgendwie nicht hierher gehörend in der hintersten Reihe saß, war auch Patrick und seinem Anwalt aufgefallen. Beide wussten, wer es war. Und beide hatten dazu ihre eigenen Ideen.
 

McNear rechnete fast damit, dass noch im Gerichtssaal eine Befreiungsaktion gestartet werden könnte. Während Justin Timber davon ausging, dass Rob McCoy nur aus einem einzigen Grund hier war: die Vorverhandlung zu beobachten und seinem Chef sogleich Bericht zu erstatten. Schließlich konnte ein Fehler von seiner Seite dazu führen, dass McNear sein Mundwerk noch weiter aufriss, als er es eh schon getan hatte. Dieser Deal war heikel, das wusste Timber. Denn wenn sie einen Maulwurf oder einen Kontaktmann in Goro’s Reich hineinschafften, dann könnte sich dieser eigentlich gleich einen Polizisten als Haustier halten. Nichts wäre mehr geheim und das war etwas, was Goro nicht mochte.
 

Und genau das war der Punkt, weswegen Timber gleich, nachdem er mit dem Staatsanwalt einig geworden war, sofort den Mafiaboss informiert hatte. Nichts würde geschehen ohne die Einwilligung von Goro. Noch bevor McNear von dem Deal mit der Staatsanwaltschaft erfahren hatte, wussten Goro sowie McCoy, was Sache war. Noch zu gut hatte er das Telefongespräch im Ohr, und was daraus resultierte, saß nun praktisch gesehen hier am Tisch, oder wohl eher im Gerichtssaal. Ein Fehler von ihm konnte einigen das Leben kosten. Zumal Timber als einzigster bisher den Namen des Kontaktmannes kannte, den McNear sich in langer Kleinarbeit erarbeitet hatte. So eine Art Rückversicherung, bis er alles hier geklärt hatte. Doch dass dies problemlos ablaufen würde, da hatte Justin gar keine Bedenken. Nur die Anwesenheit von McCoy ließ ihn ein wenig aus der inneren Ruhe kommen.
 

„Erheben Sie sich. Der ehrenwerte Richter Cohan hat den Vorsitz!“ erklang die feste energische Stimme des Gerichtsdieners.
 

Ein Raunen und Rascheln erfüllte kurz den Raum, als der Richter den Saal betrat, sich auf seinem hohen Stuhl niederließ, bevor es erneut fest in dem Raum hallte. “Setzen Sie sich, bitte.“
 

„Wir verhandeln heute, am Montag dem 31. Oktober, den Fall ‚Der Staat New York gegen Patrick McNear’. Angeklagter, erheben Sie sich,“ las der Richter von der Akte vor sich vor. “Gerichtsdiener, würden Sie bitte die Anklageschrift verlesen.“
 

Ross war noch immer nicht mit dem einverstanden, was Powder da angezettelt hatte, dass ihm erst nun der Mann wirklich auffiel, als dieser vortrat und die Anklageschrift vorzulesen begann.
 

„Das darf doch nicht...“ entfuhr es ihm.
 

Was hatten die sich dabei gedacht, ausgerechnet diesen Mann diesem Prozess zuzuteilen. Hatte denn keiner von den Verantwortlichen hier die Akte gelesen?
 

«Soll ich eingreifen? Das würde alles nur verzögern... warten wir einfach ab. Unternehmen kann er hier sowieso nichts,» machte sich Ross seine Gedanken.
 

Während der Gerichtsdiener der Aufforderung nachkam, die Straftaten, die McNear zu Lasten gelegt wurden, der Reihe nach vorzulesen, wurde es wieder etwas lauter im Saal, weil nichts darauf hindeutete, dass er auch für die Bomben belangt wurde.
 

Justin beugte sich zu Patrick rüber. Sprach wieder eindringlich mit ihm. Doch Patrick schüttelte ein ums andere Mal den Kopf. Das Gespräch hatten sie schon bei dem ersten Treffen gehabt und er hatte es kalt zurückgewiesen. Er war nicht schizophren und er war auch nicht unzurechnungsfähig. Das fehlte ihm noch, dass er auf so einen Anlass seines Anwaltes noch von einem Psychologen untersucht wurde. Da nahm er lieber einige Jahre im Knast in Kauf als eine lebenslange Verwahrung in einer Klapse.
 

„Ruhe im Saal,“ klopfte der Richter mit seinem Hammer auf den dazugehörigen Pult, und schlagartig kehrte diese auch ein.
 

„Angeklagter. Sie haben die Vorwürfe vernommen?“
 

„Ja, Euer Ehren,“ sagte Patrick McNear mit fester Stimme. Er fühlte sie schon, die Macht, die er auf die MacLane’s hatte, und die er gleich noch mehr ausleben konnte.
 

„Würden Sie dem Gericht mitteilen, ob Sie sich schuldig oder nicht schuldig im Sinne der Anklage bekennen?“
 

„Euer Ehren?! Wenn ich kurz...“ erklang nun eine weichere Stimme im Raum, als sich McNear’s Anwalt zu Wort meldete.
 

„Sie können gleich... Zuerst die Antwort des Angeklagten. Alles der Reihe nach.“
 

„Ich, Patrick McNear, bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage,“ sagte er mit fester Stimme.
 

Das Raunen hinter ihm nahm merklich zu. Nur zu schade dass er sich nicht umdrehen konnte... Doch wer verbot es ihm denn? So drehte er den Kopf. Viel brauchte er nicht, um zu sehen, wie der Blonde der MacLane’s zusammensackte. Sein Gesicht hatte jede Farbe verloren und seine Hände krallten sich krampfhaft in Dee’s Jacke, der ihn noch hielt.
 

„Bastard,“ hörte Dee den aufgebrachten Mick fluchen, auch dessen Begleiter entschlüpfte ein ähnliches Wort.
 

„Ruhe!... Ruhe!...“
 

Zweimal erschallte das Hammerklopfen, bevor es wieder ruhiger wurde.
 

„Angeklagter. Sie bekennen sich schuldig der Freiheitsberaubung von Sara und Randy MacLane. Ferner der schweren Körperverletzung an Randy MacLane. Außerdem geben Sie zu, einen Mann kaltblütig ermordet zu haben. Bleiben Sie bei ihrem Ausspruch?“ Dies musste der Richter erneut verlesen, damit es auch offiziell wurde.
 

„Ja. Ich bleibe bei meiner Aussage. Bis auf den einen Punkt. MacLane hat den Kerl umgebracht. Nicht ich! Ansonsten bleibe ich bei schuldig!“
 

Ryo’s Hand suchte die von seinem Mann. Am liebsten wäre er aufgesprungen, hätte sich verteidigt, doch dazu fehlte ihm einfach die Kraft. Schon allein zu hören, wie dieser das ohne mit der Wimper zu zucken einfach bekannt gab, war unglaublich in Ryo’s Ohren. Der Mann vor ihm war einfach nur krank. Fast hätte Ryo Mitleid mit ihm empfunden, aber eben nur fast. Der Hass und die Verachtung für das, was er unter ihm erlitten hatte, prägte ihn. Würde ihn für den Rest seines Lebens belasten. Egal, was mit McNear auch geschehen mochte. In Ryo’s Gedanken würde er immer existieren.
 

Cohan blickte in Powder’s Richtung und als dieser nickte, öffnet er den vor ihm liegenden Aktendeckel. Kurz versenkte er sich in seine Lektüre, bevor er seine Brille wieder auf den Pult legte.
 

„Wie mir bereits von der Staatsanwaltschaft mitgeteilt wurde, haben Sie sich mit ihr verständigt. Obwohl ich mir ein härteres Urteil für Sie vorgesehen hätte, werde ich dieses Urteil als geltend ansehen. So fälle ich als oberstes Gericht und ohne Möglichkeit auf Berufung das Urteil:

„Angeklagter, erheben Sie sich,“ sagte der Gerichtsdiener erneut, als der Richter seine Spannungspause einlegte.
 

Ross wandte den Kopf in die Ecke, wo McCoy saß. Dieser schien mit dem Spruch alles andere als glücklich zu sein. Vermutlich waren seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet worden. Rasch blickte Barclay wieder nach vorne, um auch nichts zu verpassen.
 

„...25 Jahre Gefängnis mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Anhand der Brutalität, die Sie an den Tag gelegt haben.“
 

„Das haben wir aber nicht vereinbart,“ knurrte Patrick zu seinem Anwalt, als er sich wieder auf seinen Stuhl fallen gelassen hatte.
 

„Dafür ist es zu spät. Sie haben sich zweimal schuldig bekannt.“
 

Timber trank ein Schluck Wasser, welches auf dem Tisch bereit stand, und schob eines der Gläser wieder zu McNear.
 

„Sie haben es gewusst... Sie Mistkerl...“
 

„Ich wollte es Ihnen eben sagen, aber Sie haben mich nicht gelassen,“ erklärte Timber in aller Ruhe. Er hatte nichts großes zu verlieren. “Trinken Sie.“
 

„Ich fass es nicht... Sie haben mich auflaufen lassen. Das werden Sie bereuen.“
 

Und genau das befürchtete Timber auch. Aber da stand er wohl nicht alleine da. Sein Blick glitt in die hintere Ecke zu McCoy und dieser nickte nur.
 

Hätte Patrick anders reagiert, dann wäre noch ein Hauch einer Chance gewesen, aber so? Ihm blieb keine Wahl. Eigentlich war es eh schon zu spät. Alles war in die Wege geleitetet worden. Es war nur noch eine Frage der Zeit.
 

Am liebsten hätte er Timber angegangen, aber mitten in einer Verhandlung machte sich das nicht gut. Und was regte er sich überhaupt auf? Er würde schneller auf freiem Fuß sein als der Richter wohl zu Hause.
 

Richter Cohan schlug mit dem Hammer noch einmal auf seinen Pult.
 

„Die Verhandlung ist geschlossen. Führen Sie den Angeklagten ab.“
 

Timber erhob sich und packte gemächlich die Akten wieder in seine Tasche. Hob nur kurz den Blick, als die zwei Officer näher kamen. Patrick, der nun wieder seine Maske aufgesetzt hatte, lachte. Drehte sich zu den MacLane’s um. Lachte noch, als er die Handschellen hinter seinem Rücken einrasten spürte. Sah, wie Dee ihn abweisend anblickte, doch was ihm mehr gefiel, war der ängstliche und wohl auch noch immer leidende Blick von Ryo. Ja, den würde er nie mehr ganz verlieren. Er hatte ihn nicht gebrochen. Aber er hatte sein Zeichen auf Ryo hinterlassen. Ein Zeichen, das er nie mehr verlieren würde.
 

Justin wandte den Blick von Patrick und sah zu Goro’s rechter Hand. Zuckte nur mit der Schulter. Dann sah er nur, wie dieser sich erhob. Seine Bewegungen glichen denen einer Schlange. Einfach, nicht zu viel, aber dennoch effizient. Roy McCoy stand einfach nur dort und nur, wenn man ihn genau kannte, konnte man das kurze Verziehen des Mundwinkels sehen. Gefolgt von einem knappen Nicken, das wohl auch nur einer als solches erkannte, der den Mann wirklich länger kannte, und das tat Timber.
 

Meist war es der glatzköpfige McCoy, der sich bei den Gerichtsverhandlungen einfand. Auch wenn dieser einige Jahre Rechtswissenschaften studiert hatte, machte ihn das nicht zu einem anerkannten Anwalt, aber Goro vertraute ihm. Also nahm es Timber immer als gegeben hin. Irgendwie motivierte ihn die Anwesenheit von McCoy. Doch heute machte sie ihn nur nervös. Justin legte eine Hand auf die Schulter von Patrick und dieser zuckte kurz zusammen. Schaute seinen Anwalt groß an, bevor er wieder seinen Blick auf Ryo heftete.
 

„Du gehörst mir... du weißt es nur noch nicht... Du gehörst mir...“ Lachend ließ er sich von den Officer zur Nebentür ziehen. Noch immer lachte er, bis es plötzlich ruhig wurde.
 

Stille senkte sich über den Saal.
 

Das Lachen verstimmte mitten im hellen, fast irrsinnig zu nennenden Ton. Der Nachhall des Schusses verklang im Gerichtssaal. Und alle Blicke flogen zu dem in grau gekleideten Mann, der seine Waffe langsam auf sich selbst richtete. Dass der Angeklagte langsam die Füße unter sich verlor und wie leblos zu Boden sank, bemerkten im eigenen Schock nur die beiden Officer, die ihn hinausführen sollten.
 

„NEIN!“ brüllte Ryo und sprang auf, ehe die anderen überhaupt den ersten Schuss richtig verarbeitet hatten.
 

Selbst Dee blickte nur sprachlos, als Ryo mit einem Satz über die Absperrung sprang, sich auf den Gerichtsdiener warf und ihm die Waffe aus der Hand schlug.
 

„Tu das nicht...“ bat Ryo, obwohl er Cordalis nur zu gut verstehen konnte. Denn niemand anderes war der Mann, der das Lachen von McNear’s Lippen gelöscht hatte.
 

Dee war der Mann vorhin schon bekannt vorgekommen, aber in der Uniform hatte er ihn nicht einordnen können.
 

Kaum war Ryo bei dem Gerichtsdiener und drückte die Waffe runter, eilte bereits eine Wache durch den Fronteingang und eine weitere kam mit gezogener Waffe aus dem Nebenzimmer. Beide schienen den Herd der Unruhe zu suchen und als sie bemerkten, dass die Gefahr gebannt war, steckten sie die Waffen wieder ein.
 

Mick blickte sofort, als der Schuss sich löste, in die Ecke, wo McCoy saß. Dieser stand zwar, aber war unbewaffnet. Jedenfalls konnte Mick nichts erkennen. Also richtete er den Blick wieder nach vorne. Wo Ryo den nun Unbewaffneten fast beschützend in den Armen hielt.
 

„Schließen Sie die Türen. Lassen Sie keinen rein oder raus!“ forderte der Richter die Wachen sofort auf, den Schauplatz dieser Untat abzuriegeln.
 

Unruhe erfasste die anderen Anwesenden, und erst als der Richter wieder auf den Pult klopfte, wurde es ruhiger.
 

Justin Timber kniete neben dem niedergesunkenen Patrick McNear. Genauso wie eine der Wachen.

Powder erhob sich gerade aus der knienden Position und blickte den Richter an.
 

„Euer Ehren, der Angeklagte ist tot,“ verkündete er laut und schaute nun erst in die Richtung, wo der Mafiosi saß.
 

McCoy hatte sich aber nicht vom Fleck bewegt. Nun saß er sichtlich entspannter als eben noch auf seinem Platz und hatte die Beine übereinander geschlagen. Fast so, als ob ihn das ganze nichts angehen würde.
 

Leise erklang nun eine Stimme im Raum und ließ alle wieder zu dem Gerichtsdiener und den MacLane’s blicken.
 

„Er hat meinen Freund umgebracht... ich konnte ihn nicht so davonkommen lassen... Er war alles, was ich hatte und er hat ihn mir genommen... Ein Leben für das andere... Ich bereue nichts... Gary verzeih, dass ich nicht bei dir war... aber bald bin ich mit dir vereint...“ sagte er in die Stille, die noch immer im Raum weilte.
 

„Nein... glaub mir, Cordy... es lohnt sich zu leben...“ sagte Ryo leise und er meinte das so, wie er es sagte.
 

Fast schien es so, als ob seine Augen nun klarer blicken würden.
 

Erst dann kam Bewegung in alle anderen.
 

Die zwei Officer sahen zum Staatsanwalt, zu Barclay, der auch hier bekannt war, und zum Schluss zum Richter.
 

„Verhaften Sie...“
 

„Nein!“ rief Ryo und stemmte sich hoch. “Nein... Sie wissen nicht... Sie wissen nicht, was ich... wie... Er hat genug gelitten... Lassen Sie es nicht zu...“ Ryo’s Stimme wurde mit jedem Wort fester. Sein Schritt war noch wacklig von seinem raschen Eingreifen, und so war er sichtlich erleichtert, dass Dee plötzlich an seiner Seite auftauchte und ihn stützte.
 

„Randy MacLane, Euer Ehren. Bitte hören Sie mich an, bevor Sie ihn verhaften. Er weiß, wie Gary Logan starb. Unter welchen Bedingungen. Ich kann es ihm nachfühlen. Hätte ich heute eine Waffe gehabt, dann hätte ich es hier genauso beendet... Bestrafen Sie nicht einen unschuldigen. Sie sagten eben selbst, dass Sie eine härtere Strafe vorgezogen hätten. Die einzige, die für Gerechtigkeit gesorgte hätte. Ich bin kein Befürworter der Todesstrafe, aber in so einem Fall...“
 

Cordalis Spalier trat neben Ryo. “Ich danke Ihnen für ihre Worte, und auch dafür, dass Wie bei ihm waren. Ich kann ihnen dafür nicht genug danken.“
 

Lange hatten sie im Krankenhaus miteinander gesprochen. Doch mit keinem Wort hatte Cordy, wie Logan ihn genannt hatte, verlauten lassen, wo er arbeitete, noch dass er sich mit der Absicht der Rache trug.
 

„Richter?!“ meldete sich nun auch der Staatsanwalt zu Wort, trat vor zum Richtertisch.
 

Hätte er geahnt, was er mit seinem Deal heraufbeschwören würde, dann hätte er es sich zweimal überlegt. Nun hatte er nichts in den Händen. Ross fiel auf, dass sich dieser Mann etwas träge bewegte. Fast so, als ob er Schmerzen hätte, doch von seinem Standpunkt aus konnte er das auch nicht genauer sagen.
 

„Nun, Herr Staatsanwalt?“ Wenn er das Sagen haben würde, würde er einfach mal ein Auge zudrücken, aber er wollte erst sehen, was Powder zu dieser Sache sagen wollte.
 

„Wenn Sie gestatten, würde ich gerne mit Ihnen und dem Herrn Anwalt in Ihrem Büro über das weitere Vorgehen sprechen,“ erklärte Powder und warf dem angesehenen und wohl auch älteren Anwalt einen Seitenblick zu.
 

Dies hier vor allen Zeugen zu klären war nun wirklich nicht der richtige Weg. Es durfte kein Fehler passieren, sonst wäre das alles nur eine Farce.
 

Richter Cohan nickte anerkennend zu den Worten des Staatsanwaltes und schlug dann mit seinem Hammer auf den Tisch.
 

„Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Gerichtsdiener! Sie werden hier unter Aufsicht gestellt und warten. Die Türen werden geschlossen und keiner verlässt oder betritt den Saal, bis wir uns aus der Beratung wieder melden,“ verkündete er und erhob sich dann, um mit den beiden Anwälten die wenige Schritte entfernte Tür zu durchschreiten.
 

Dahinter befand sich bereits sein Arbeitszimmer. Oder eher gesagt, das Zimmer, welches dem Richter in diesem Gerichtssaal zur Verfügung stand.
 

Erst nachdem sich der distinguierte Richter, dessen dunkelblonder Haarkranz viel von seinem Kopf frei ließ, hinter dem imposanten Schreibtisch niedergelassen hatte, richtete er das Wort an Powder.
 

„Nun, Herr Staatsanwalt! Was raten Sie in so einem Fall?“
 

„Ich verlange die Verhaftung von dem Gerichtsdiener und die Sicherstellung der Waffe!“ forderte Timber, der hier seine Ehre verteidigen musste. Schließlich war sein Klient erschossen worden, da konnte er nicht so einfach so dazu schweigen.
 

„Herr Anwalt! Bitte! Ich werde auch Ihnen gleich Gehör schenken. Aber ich kann schon soweit vorweg greifen, um zu sagen, dass ich Ihre Ansicht teile.“
 

„Euer Ehren, ich weiß, dass es im Augenblick so ausschaut, als ob der Gerichtsdiener Spalier hier einen Mord begangen hat, aber wir sollten es auch aus dem Gesichtspunkt seiner momentanen Lage betrachten.“
 

„Lage? Sie meinen wohl Rache?!“ mischte sich Timber wieder in die Ausführung von Powder ein und erntete erneut einen Blick und eine erhobene Hand von Richter Cohan, der ihm Einhalt gebot.
 

„Sie haben Recht, Herr Kollege! Spalier handelte aus Rache, das bestreite ich nicht.“
 

„Sie wussten davon?“
 

„Euer Ehren, wenn Sie gestatten, würde ich gerne meine Erklärung ausführen.“
 

Nachdem er einen Blick in die Runde geworfen hatte, ging er zur Tür, öffnete diese einen Spalt und erspähte genau den Mann, den er suchte.
 

„Commissioner Ross... Würden sie bitte die Freundlichkeit haben und die Tatwaffe abliefern?“ bat er und wartete, bis Ross ihm diese aushändigte.
 

Barclay hatte sich inzwischen die Leiche etwas näher angesehen. Etwas hatte ihn vorhin schon stutzig gemacht. Deswegen musste er sich einfach McNear’s Körpers anschauen. Als er die Jacke, die man über ihn gelegt hatte, entfernte und ihn sich anschaute, wusste er, was es gewesen war. Er bedeckte die Leiche wieder und ging, als er seinen Namen hörte, zum Staatsanwalt und reichte ihm die Tatwaffe.
 

Kurz sprach er jedoch noch mit Powder, der ihm nickend zuhörte, und dann die Tür wieder schloss.

Zweifel an der Tat bestanden nicht. Jeder im Gerichtssaal hatte gesehen, wie Spalier auf McNear anlegte und feuerte. Deswegen war es auch nicht unbedingt notwendig, Fingerabdrücke zu sichern. Dennoch berührte Powder die Waffe nur mit einem Tuch, um sicherzugehen.
 

„Die Tatwaffe,“ erklärte er, nachdem die Tür wieder geschlossen war. Behielt sie aber weiterhin in der Hand. “Ich denke, dass ich nicht näher über die Hintergründe der Tat eingehen muss, da mir Detektiv MacLane schon alles vorweg genommen hat. Dennoch möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Spalier trotz seiner Bekanntschaft zu einem der Opfer von McNear hier seinen Dienst versehen konnte. Man könnte meinen, es sei ein Fehler in der Ermittlung geschehen, doch dem müsste ich sofort entgegentreten. Mir war bekannt, dass der hiesige Gerichtsdiener mit dem Opfer Gary Logan liiert war. Auch der Polizei war dies unlängst bekannt, weil sich Mr. Spalier auf dem Revier gemeldet hatte.“
 

„Kommen Sie zum Punkt,“ forderte Timber, der nicht gerade klug wurde aus den Ausführungen des Staatsanwaltes.
 

„Mr. Spalier kam zu mir, als er hörte, dass dieser Fall verhandelt wurde, und bat mich darum, dass er seinen Job machen dürfte. Als Zuhörer hätte man ihm wohl den Eintritt verweigert. Aber als Gerichtsdiener konnte es keiner tun. Also stimmte ich zu.“
 

„Sie sind also mitschuldig am Tod von meinem Mandanten?!“ Zornig sprang Timber auf. “Euer Ehren...“
 

„Beruhigen Sie sich, Herr Anwalt.“ Powder hob die Dienstwaffe von Spalier hoch und zielte genau auf die Brust des aufgebrachten Anwalts, der ihn nur noch wütendender anstarrte.
 

„Meine Herren. Das hier ist ein Gerichtssaal, wenn ich bitten dürfte. Legen Sie die Waffe nieder, Herr Staatsanwalt. Ich sagte...“
 

Powder drehte nur etwas den Arm und nahm nun den Richter ins Visier und diesmal zögerte er nicht, sondern drückte ab. Ein Schuss erhallte in dem kleinen Raum und wenige Sekunden später sackte der Richter auf seinem Sessel zusammen.
 

Kaum war dies geschehen, flog auch schon die Tür zum Gerichtssaal auf und Barclay Ross kam mit gezückter Waffe hereingestürmt und zielte nach einem kurzen Rundblick auf den Staatsanwalt. Die zweite Tür, die, welche in das Gericht führte, flog ebenfalls auf und ein weiterer Wächter stürmte ins Büro des Richters.
 

„Waffe fallen lassen!“ rief er auch schon.
 

«Sind hier denn alle verrückt geworden?» schoss es Ross durch seinen Kopf, als er auf den nun wieder regenden Richter blickte.
 

„Was!“ entfuhr es diesem, als er sich seine Vorderseite anschaute und nichts erkennen konnte. Eigentlich hätte er doch tot sein müssen. Powder hatte genau auf sein Herz gezielt und aus dieser Entfernung konnte er doch unmöglich daneben schießen.
 

„Ich bin kein guter Schütze, Euer Ehren, das gebe ich gerne zu,“ erklärte der Staatsanwalt und legte langsam die Waffe auf die Schreibtischplatte. “Doch ich kann Ihnen versichern, dass ich näher stand als Spalier eben bei McNear.“
 

„Platzpatronen?!“ Timber fiel die Kinnlade herunter, als er nach der Waffe greifen wollte, hielt der Richter ihn jedoch davon ab.
 

„Sie haben...“
 

„Es tut mir leid, Euer Ehren. Aber ich konnte Spalier nicht mit einer scharfen Waffe Dienst verrichten lassen. Gerade weil ich wusste, dass er auf Rache sinnen könnte. Verzeihen sie mir,“ bat er reumütig und senkte devot sein Haupt. Grinste aber dabei ein wenig fies zu dem Anwalt hinüber, der sich nun schwer auf den Sessel fallen ließ.
 

«Verloren... nicht nur meinen Mandanten, sondern auch den Fall... und dabei hatte alles so schön gepasst...»
 

„Aber wenn Spalier es nicht war, wer dann?!“ stellte Cohan wohl die wichtigste Frage des heutigen Tages.
 

„Euer Ehren, wenn ich kurz dürfte?“ erbat sich der Commissioner das Wort, der nicht nur seine Waffe wieder eingesteckt hatte, sondern auch dem Wachmann ein Zeichen gab, dass dieser sich wieder entfernen konnte.
 

„Commissioner?“
 

„Nun. Ich möchte ja hier keinem die Show stehlen. Aber der Angeklagte wurde nicht erschossen!“

Nach dieser Enthüllung schauten ihn erst einmal zwei Paar Augen neugierig an, das dritte schloss nur kurz die Lider, bevor er den Blick fest auf den Commissioner richtete.
 

„Wie meinen? Wir haben alle den Schuss gehört!“
 

„Ja. Gehört. Aber wie der Herr Staatsanwalt eben so erfolgreich demonstriert hat, hat der Gerichtsdiener nur mit Platzpatronen geschossen. Was ich sagen möchte, um Sie nicht länger auf die Folter zu spannen: es gibt keine sichtbaren äußeren Verletzungen. Ich habe mir erlaubt, mir die Leiche von McNear anzuschauen. Aber es gibt weder eine Eintritts- noch eine Austrittswunde. Und wenn man aus dieser Distanz jemanden erschießt, glauben Sie mir, Euer Ehren, dann sollte doch mindestens Blut zu finden sein.“
 

„Kein Blut? Keine Wunde? Sind Sie sich sicher, Ross?!“ kam es vom Timber, der nun sichtbar verwirrt war.
 

Irgendwie hatte wohl schon jeder gedacht, dass einer aus dem Zuschauerraum, genauer gesagt McCoy, was damit zu tun hatte. Aber da hatten sie sich wohl getäuscht.
 

„Aber wenn McNear nicht erschossen wurde, wie wurde er dann umgebracht?!“ stellte Powder die wohl interessanteste Frage überhaupt.
 

„Das wird wohl eine Obduktion klären.“
 

„Nun gut. Dann werden wir wohl dies in die Wege leiten. Meine Herren. Da nun alles so weit geklärt ist, sehe ich auch keine Veranlassung mehr, den Gerichtsdiener zu belangen. Jedenfalls nicht für Mord. Lassen Sie uns zurückgehen.“
 

Powder hockte sich auf seinen Platz, und Timber suchte seinen auf. McNear lag noch immer auf demselben Fleck, wo er zusammen gebrochen war. Nur hatte man inzwischen eine Jacke über dessen Antlitz ausgebreitet. Da die Wachen den Befehl hatten, niemanden rein oder raus zu lassen, konnte die Leiche noch nicht einmal weg gebracht werden.
 

Spalier stand bewacht von zwei Männern an der Seite, wo normalerweise die Geschworenen ihren Sitz inne hatten. Doch er war nicht allein. Ryo und Dee waren bei ihm und würden ihm, egal was nun kommen sollte, beistehen.
 

Der Richter klopfte mit dem Hammer auf den Tisch, während die beiden Anwälte ihn schweigend anblickten.
 

„Das Gericht hat entschieden. Die vorgelegten Beweise zeigen eindeutig, dass Mr. Spalier die Absicht hatte, Mr. McNear zu töten. Doch anhand der Waffe, die von einem hiesigen Beamten sichergestellt wurde, ist es ihm unmöglich gewesen, diese Tat damit auszuführen.“
 

Wieder ging ein Raunen durch den Saal und alle Blicke richteten sich auf den Gerichtsdiener, der ungläubig zu dem Richter blickte. Er verstand nichts. Genauso wie wohl der Rest der Anwesenden.

„Die sichergestellte Waffe war nur mit Platzpatronen geladen und demnach nicht tödlich. Dennoch bestand die Absicht, hier im Gericht einen Mord zu begehen und diese Tat werde ich ahnden. Sie werden mit sofortiger Wirkung Ihres Amtes enthoben und werden dem Gericht nie wieder unter die Augen treten.“
 

Spalier sackte zurück gegen die Verkleidung des Zeugenstandes. Aber wenn nicht er, wer hatte McNear denn dann getötet? Diese Frage stellten sich nun auch die anderen und wieder war ein Raunen zu hören, das nur durch drei weitere Hammerschläge unterbunden wurde.
 

„Zum jetzigen Zeitpunkt können wir nicht genau feststellen, wie der Angeklagte Patrick McNear zu Tode kam. Bis dies bekannt ist, zieht sich das Gericht zurück. Die Verhandlung ist geschlossen.“

Der Richter schlug zum letzten Mal auf den Pult und erhob sich.
 

Cordalis konnte es genauso wenig fassen wie die anderen. Ryo lehnte sich schwer gegen Dee, brauchte ihn als Stütze, er war fertig. Körperlich wie auch seelisch.
 

„Es ist vorbei...“ hauchte Dee und nahm seinen Mann fest in den Arm.
 

*** TBC

Dienstag - 1. November

~~~~ Diner of Love ~~~~
 

Das Diner war heute geschlossen. Dennoch herrschte im Inneren ein reger Betrieb. Tische wurden gerückt und Stühle gestellt. Ein Feuerzeug flammte auf und brannte die eine Kerze in der Mitte des Tisches an, die den gedeckten Tisch erhellte. Es sollte kein großer Schmaus werden, aber damit wollten alle Beteiligten die letzen Wochen und Monate in einer gemeinsamen Runde abschließen.

Björn und Mark, die Besitzer des Diners, ließen es sich nicht nehmen, für die bald eintreffenden Gäste etwas zu kochen. Auch wenn sie es tagtäglich für ihre Kundschaft taten, war es doch etwas anderes, ein richtiges Menü auf die Beine zu stellen. Und da übertraf sich der Schwede, der mit seinen Eltern vor über 30 Jahren nach New York eingewandert war. Björn wollte nichts normales kochen, obwohl er schon fast sicher war, dass die Banausen lieber ein Steak vorziehen würden, als ein wenig Kulinarisches. Deswegen entschloss er sich zu einem Mix.
 

„Na, du übertriffst dich ja selbst,“ lobte Mark, als er einen Deckel hochhob und das Aroma der Suppe einatmete. “Mhmmm... das riecht köstlich... Sag mal, warum verwöhnst du mich nie so?“ fragte er und schnappte sich einen Probierlöffel, tauchte ihn in die dampfende Suppe. Pustete leicht darüber, bevor er sie genüsslich kostete.
 

„Wie du dich erinnerst, habe ich es einmal probiert. EINMAL, Mark! Und dein Gesicht und deine Kommentare haben mir da gereicht. Also komm mir jetzt nicht so,“ grinste Björn.
 

Kurz nachdem sie sich kennen gelernt hatten, ja, da hatte er für den Ami gekocht, aber das Resultat war lediglich, dass er sich in den Rothaarigen verliebt hatte und das Essen, jedenfalls das meiste davon, von Mark nicht verspeist worden war.
 

„Ja... ich weiß. Aber ich hab mich auch verändert... Was ist das?“
 

„Das willst du nicht wissen,“ meinte Björn, vor sich hin lächelnd. Nur zu gut konnte er sich ausmalen, was passierte, wenn er ihm sagte, was das für eine Suppe war. Da konnte sie noch so gut schmecken.
 

„Ach komm schon...“
 

„Du nervst,“ stemmte Björn die Arme in die Seite und baute sich mit seinen gerade mal 1 Meter 60 vor dem einen Kopf größeren auf. Dass er dabei nach oben schauen musste, nahm dem ganzen etwas den Ernst, aber nichtsdestotrotz wusste Mark, wann er am besten klein beigab.
 

„Okay... Ist ja gut... Aber ich sag’s auch keinem weiter,“ blieb er dennoch stur. Beugte sich runter und küsste ihn.
 

„Das ist Bestechung...“ wehrte Björn sich nun nicht gerade ernstlich.
 

„Hauptsache, ich bekomme, was ich will.“
 

„Spinner...“
 

„Sagst du mir nun, was das für eine leckere Suppe ist... die könntest du jeden Tag machen,“ schmiegte Mark sich an den Jüngeren.
 

„Auch wenn ich dir sage, dass da... Froscheier und Krötenschenkel drin sind?“
 

Björn verbiss sich ein Lachen, als er sah, wie es sich um die Nase seines Geliebten leicht grünlich einfärbte.
 

„Du... das meinst du nicht ernst...“ keuchte dieser auf.
 

„Also doch nicht täglich. Gut. Denn, weißt du wie schwer es ist, diese Schenkel hier aufzutreiben...?“
 

„Du verarscht mich... Richtig?“
 

„Das überlass ich dir,“ meinte Björn schulterzuckend, drehte sich zu einem anderen Topf und rührte gelassen in der vor sich hin blubbernden Soße.
 

„Komm schon... Björn... das ist nicht...“
 

„Hat’s nun geschmeckt?“ unterbrach er den Eindringling energisch.
 

„Ja... schon...“
 

„Dann ist es doch egal, was drin ist... Und nun geh... die anderen müssten bald kommen...“
 


 

Robin schmiss sein Hemd aufs Bett. Es war schon das dritte oder vierte, das sich nun zu den anderen gesellte. Denn egal, was Robin auch anzog, es schien ihm nicht das Richtige zu sein. Als er ein Klopfen an seiner Tür hörte, wäre er am liebsten in die Luft gegangen. Björn und Mark hatten ihm vor nicht mal einer Stunde gesagt, dass sie ihn nicht brauchten, also sollten die beiden nur nicht auf die Idee kommen, ihre Meinung nun zu ändern, wo er fast fertig war.
 

„Was?“ keifte er dann auch recht ungehalten zur Tür und riss diese mit entblößtem Oberkörper auf.
 

„Na, das nenn ich mal einen Empfang,“ schmunzelte Chris und zog Robin kurzerhand an sich, um sich einen Kuss zu rauben.
 

„Chris... Aber...“
 

„Ziehst du dich an, oder aus?“ fragte er neugierig.
 

Nachdem sie sich nach Wochen des heftigen Abwehrens von Chris endlich dazu durchgerungen hatten, es zusammen zu probieren, war der Mittvierzigjährige wie ausgewechselt. Hinzu kam, dass er noch krankgeschrieben war und erst nächste Woche wieder zum Dienst antreten musste. Und da verbrachte Chris die Zeit fast nur noch ausschließlich in der Nähe von Robin.
 

Dieser hatte nichts dagegen. Ganz im Gegenteil. Er freute sich über ihre Zweisamkeit. Entweder waren sie hier bei ihm, oder in dem Apartment, das Chris sich hier nun doch vorläufig gemietet hatte. Denn eine Unterkunft in einem billigen Hotel, wie er es zu Beginn gemacht hatte, war nun auf längere Sicht nicht das, was er wollte. Und bei seinem Bruder wollte Chris auch nicht ständig betteln. Wenn das Apartment auch in einem Komplex lag, das von seinem Bruder kontrolliert wurde. Auf alle Fälle hatten sie so ihre Ruhe vor ungebetenen Gästen.
 

„Eigentlich an... aber...“ dreckig grinste er Chris an, schmiegte sich provozierend an den Älteren heran und leckte sich verheißungsvoll über die Lippen.
 

„Wenn du das weiter machst, kommen wir zu spät...“ mutmaßte Chris und fuhr Robin über seinen, in eine hautenge Lederhose gepackten, Po.
 

„Wen kümmert’s...“
 

„Mich!“ sagte er leise, obwohl er nur zu gern auf dieses Spiel eingegangen wäre.
 

„Okay...!“ seufzte Robin und zog Chris nun endlich ganz in sein Zimmer. “Was soll ich anziehen?“
 

„Damn! Robin!“ schüttelte Chris den Kopf und schaute sich um. Hier sah es echt so aus, als wenn er schon stundenlang herumprobieren würde.
 

„Die Hose ist doch okay? Ich mein, ich weiß ja auch net, was die hier machen wollen... und ich möchte ungern overdressed sein...“
 

„Es ist egal, was du anhast...“
 

„Wirklich?“ Unglauben sprach aus diesem Wort.
 

Chris näherte sich dem Schrank, fischte ein violettfarbenes Hemd heraus, reichte es Robin.
 

„Das passt perfekt zu der Hose...“
 

„Aber das ist...“
 

„...Was?“
 

„...Das ist net meins...“
 

„Nicht dir...? Ach komm schon, Robin... es hängt doch in deinem Schrank.“
 

„Ja... Es ist... es gehörte meinem... Dad! Als... Also...“
 

Chris ging wortlos auf Robin zu. Sie hatten zwar viel über seine Vergangenheit gesprochen, aber das, was Robin hierher verschlagen hatte, wusste er nicht. Nur, was dieser schon alles in New York erlebt und gemacht hatte.
 

„Schatz! Meinst du nicht, er würde sich freuen, wenn du es trägst? Außerdem passt es wirklich perfekt zu dir.“
 

„Ach, Chris,“ schluckte Robin und biss sich auf die Lippe.
 

Tief atmete er durch und zog es dann über. Chris hatte recht, es passte perfekt. Lag auf seinem Oberkörper, als ob es nur für ihn gemacht worden wäre. Irgendwie fühlte er sich nun, wo er es das erste Mal trug, seinem Vater wieder näher.
 

„Du vermisst ihn...“
 

Robin nickte lediglich. Auch wenn alles schon weit mehr als 8 Jahre zurück lag, konnte er den Anblick nicht vergessen. Mark war damals schon weg gewesen. Ihre Mum war bei seiner Geburt gestorben, und alles, was ihm geblieben war, war sein Dad. Bis er ihn abends auf dem Heimweg gefunden hatte. Seine Trinkerei hatte im letzten Jahr immer weiter zugenommen, ständig hatte er Robin versprochen, damit aufzuhören. Auch wenn dieser gewusst hatte, dass dies nichts als leere Worte waren, wollte er daran glauben. Noch heute sah er hin und wieder das blutüberströmte Gesicht seines Vaters. Laut Polizeibericht war er von der Straße abgekommen, hatte sich mehrfach überschlagen, bevor sich der altersschwache Pickup schließlich noch um einen Baum gewickelt hatte. Keine Chance für ihn. Aber er hatte wenigstens nicht leiden müssen. Was für ein Trost für Robin.
 

Allein vor dem Grab wäre er fast verzweifelt. Doch dann war Mark aufgetaucht, Björn an seiner Seite, und diese beiden hatten ihm geholfen, aus diesem Tief herauszukommen.
 

Leise begann Robin zu erzählen, was damals passiert war. Das Hemd war das einzigste, was noch gut war, deswegen hatte er es eingepackt. Sicher verwahrt in seinem Schrank, nur hin und wieder hatte er es rausgenommen, gewaschen und an seinen Vater gedacht.
 

„Hey... nicht weinen... Wir beide haben einen Menschen verloren, den wir geliebt haben... aber wir haben auch uns gefunden,“ sagte er leise. Keinen Moment dachte er nun daran, dass Robin vielleicht einen Vaterersatz in ihm sah. Denn das wäre zu absurd, und dann hätten sie sich auch nie so körperlich geliebt, wie sie es getan hatten.
 

„Es... es ist nur...“
 

„...Ich weiß, Robin. Aber glaub mir, wenn ich dir sage, dass du jetzt leben sollst, nicht in der Vergangenheit. Auch wenn du ihn nie vergessen wirst... lebst du heute... hier mit mir...“ sagte er leise und hob Robins Gesicht leicht an, sah hinein in die braunen Augen, die leicht in Tränen gehüllt waren. “Ich liebe dich, Robin Stewart... Ich liebe dich so, wie du bist...“
 

„Ach, Chris,“ rief er aus und schmiss sich in dessen Arme. “Ich dich auch... ich dich auch...“ murmelte er leise.
 

„Also wenn die nicht bald kommen, verkocht mir noch alles,“ hörte man die aufgebrachte Stimme von Björn aus der Küche. Als dieser dann leicht wutschnaubend in den Gästebereich kam, sah er sich Black und Prescott gegenüber.
 

„Hi. Sind wir pünktlich?!“ grinste der Firmeninhaber über das ganze Gesicht.
 

Die Geschichte, die vor fast einem halben Jahr hier auf der Christopher Street ihren Anfang genommen hatte, war beendet. Wenn das kein Grund war, mal mit allen Freunden zusammen ein wenig zu feiern, wann denn dann? Zumal fast alles ein gutes Ende genommen hatte. Narben davongetragen hatten wohl nur Ryo, Sara und Dee. Doch auch Steve und Tony waren nicht ohne Blessuren davon gekommen. Doch am schlimmsten hatte es wohl den Gerichtsdiener erwischt. Er hatte jemanden verloren, den niemand ersetzten konnte. Und genau dieser kam nun durch die Tür.
 

„’n Abend,“ sagte Cordalis und schaute sich um.
 

Vielleicht hatte Ryo ja auch recht mit seinen Worten. Dass nicht immer nach einem so großen Verlust das Ende folgte. Doch er fühlte sich leer, ausgebrannt und wäre eigentlich nicht gekommen, wenn der ältere der MacLane ihn nicht eben noch angerufen hätte.
 

Die Zeitungen waren voll von seiner Tat. Nun, keiner zeigte mit dem Finger auf ihn, nannte ihn Mörder oder so. Aber er wusste, was er getan hatte. Und bereuen tat er nichts. Er hatte seinen Job verloren, seinen Mann und nur dank Ryo nicht auch sein Leben. Doch richtig lebendig fühlte er sich halt nicht. Was blieb ihm denn.
 

Verlegen wischte er sich hinter seiner Brille eine Träne aus dem Augenwinkel. Auch heute trug er schwarz wie seit einigen Wochen. Auch wenn das nichts am Verlust ändern würde, so konnte er sich in hellen Kleidern im Augenblick nicht sehen, geschweige denn sich vorstellen, dass für ihn irgendwann die Sonne wieder scheinen würde.
 

„Sorry! Mr. Spalier, kann ich Sie einen Moment sprechen?“
 

Cordy hatte sich wieder in der Gewalt und nickte dem ihm unbekannten Mann zu. Die Augen blickten ihn interessiert an und Cordalis meinte, sich wage daran zu erinnern, ihn im Gericht gesehen zu haben. Aber zu wem er gehörte? Wohl zu dem Älteren dort drüber, der sich mit einem Rothaarigen unterhielt.
 

„Mein Name ist Prescott. Mick Prescott, und ich bin Mitarbeiter bei Black Incorporation. Wir waren gestern ebenfalls im Gericht und haben Ihre Tat mitverfolgt. Ich möchte Ihnen in meinem Namen und auch in dem Namen meines Chefs unser tiefstes Bedauern über den Verlust Ihres Freundes ausdrücken. Da weder mir noch Black bekannt ist, inwieweit Sie mit den Ereignissen vertraut sind, möchte ich Sie...“
 

„Entschuldigen Sie, bitte, Mr. Prescott. Aber ich weiß, was ich wissen muss,“ sagte er abwehrend.
 

Denn er wollte nicht alles wissen. Er wusste, dass Gary gestorben war, weil er eine entfernte Ähnlichkeit mir Ryo aufwies, und dass Ryo entführt wurde, war schuld von dem nun toten McNear. Inwieweit die anderen hier noch eine Rolle spielten, war ihm persönlich egal. Denn ändern würde sich nichts. Gar nichts.
 

„Gut! Es war ein Angebot. Und ich hätte noch eins. Wenn sie mir kurz zuhören möchten?!“ bat Mick leise.
 

Spalier nickte und folgte dem Dunkelhäutigen noch etwas mehr in die Ecke, wo sie nicht direkt beim Eingang herumstanden.
 

Das war auch gut so, denn Barclay Ross betrat gemeinsam mit seinem momentanen Lebensabschnittsgefährten Jim Cambel das Diner. Eigentlich hatten die beiden vorgehabt, den Staatsanwalt Powder mitzubringen, doch dieser hatte mal wieder eine passende Ausrede parat. Da Barclay ihn schlecht zwingen konnte, waren sie halt allein erschienen.
 

„Ich höre?“ Irgendwie war Cordy schon neugierig, zeigte dies nach außen jedoch nicht.
 

„Mr. Black führt ein umfassendes Unternehmen. Dazu gehört zum einen auch Personenschutz. Ich biete Ihnen nun im Namen meines Chefs an, sich zu überlegen, ob Sie nicht mal einen Termin vereinbaren möchten, um sich näher zu erkundigen. Ich persönlich würde Sie einweisen und Ihnen alles erklären!“
 

„Warum? Warum mir... warum ich?“ fragte Cordalis.
 

„Nun. Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein, Mr. Spalier. Denn ich habe eine Phobie gegen Lügen, obwohl sie auch manchmal... aber das ist ein anderer Punkt. Sie fragen, warum Sie, warum jetzt? Die Antwort ist ganz einfach. Sie wurden Opfer in einem Fall, in dem Black Inc. verwickelt war. Doch damit nicht genug. Black hat ihre... Personalmappe eingesehen. Wow... warten Sie...“ sagte Mick und trat einen Schritt zurück, als Cordalis Anstalten machte, sich auf ihn zu stürzen.
 

Gerade in diesen Moment stürmten Steve Cotton und Tony Briscol in das Diner.
 

„Hey... immer ganz ruhig...“ griff Steve gleich mal mit ein, ohne zu wissen, um was es ging, aber wenn hier jemand Mick angriff, musste er einfach dazwischen gehen, auch wenn dieser sehr wohl alleine damit klarkommen würde.
 

„Dieser Mistkerl...“ knurrte Cordalis und versuchte den festen Griff von Steve abzuschütteln. “Lassen Sie mich los,“ fauchte er den Mann an, der hinter ihm stand.
 

„Bitte, Mr. Spalier...“
 

„Was ist denn hier los?“ kamen nun auch die MacLane’s als letztes ins Diner. Somit war die Zahl komplett. Doch von entspannter Atmosphäre waren sie nun weit entfernt.
 

„So, dann könnten wir ja essen,“ rief Björn von der Theke, nachdem er die Anwesenden kurz gecheckt hatte. Gut, Chris und Robin waren wohl noch oben, aber auf die beiden zu warten, konnte unter Umständen länger dauern.
 

„Ich gehe,“ drehte sich Cordy um, nachdem Steve ihn endlich losgelassen hatte, und wutschnaubend ging er auch gleich durch die eben erst zugefallene Tür.
 

„Was?!“ Dee blickte irritiert, hob Sara dann auf den Arm, während Ryo dem entlassenen Gerichtsdiener nach draußen folgte.
 

„Würde uns mal jemand aufklären, was hier gerade abgelaufen ist?“ fragte Tony in die nun entstandene Stille.
 

„Nichts,“ war alles, was Mick sagte. Dieser blickte zu Black und schüttelte kaum sichtbar den Kopf.
 


 

„Cordy... warte doch!“ rief Ryo hinter ihm her, und tatsächlich blieb dieser stehen.
 

„Dieser...“ noch immer aufgeregt drehte er sich zu dem Halbjapaner herum und hob beschwerend seine Hand.
 

„Was ist passiert?“
 

„Der Kerl... der schnüffelt in meiner Akte...“ entfuhr es Spalier aufgewühlt.
 

„Black?“ Eigentlich eine unnötige Frage, wie Ryo selbst fand, aber er wollte irgendwie auch sichergehen.
 

„Ja... dieser... dieser... Was bildet der sich ein, wer er ist?“ keifte Cordalis, noch immer auf hundertachtzig.
 

„Ich kann dich nur zu gut verstehen. Er forscht erst, dann handelt er. Er ist ein wenig... sagen wir mal... etwas viel von sich eingenommen. Hält sich für den Herrscher von halb Manhattan.“
 

„So handelt er auch.“
 

„Aber es stimmt... na ja, nicht ganz. Aber er hat ein recht großes und dazu legales Unternehmen. Da läuft wirklich nichts illegales,“ erklärte Ryo ruhig. Denn er konnte Cordalis nur zu gut verstehen. Und wenn Mick ihn angesprochen hatte, war dieses Gespräch mehr als nur direkt gewesen, kein Wunder, dass der dunkelhaarige Mann ausgetickt war.
 

„Du... du kennst den?“
 

„Ja! Er ist der Patenonkel von Sara. Black und Mick, sie sind in Ordnung. Wenn auch... na ja. Ihre Methoden, obwohl alles sauber läuft, fließt manchmal reichlich Geld. Sie haben ihre eigene Art, an etwas heranzugehen. Meist ist es nicht schlecht. Aber in einigen Sachen sind sie auch sehr forsch. Was hat er dir angeboten?“ Denn das, da was im Busch war, war wohl kaum zu übersehen.
 

„Angeboten? Ach... dieser Prescott sagte was von Personenschutz.“
 

„Und?“
 

Was und?“
 

„Du hast doch keinen Job. Black zahlt gut. Du kommst auf andere Gedanken und bist fast in deinem Metier. Was willst du sonst machen?“
 

Cordalis drehte sich um, sah die Street hinauf, dann in den Himmel, der von hier düster und wenig einladend aussah. Was hatte er denn noch?
 

„Es fuchst dich, dass er deine Akte gelesen hat. Steht da was drin, was geheim ist? Okay, die Methode ist nicht gerade fair, aber er hat es dir gesagt...!“ warf Ryo zum Nachdenken mal mit ein.
 

Denn wie es ihm schien, dachte Spalier nun wirklich nach. Dessen Wut schien auch fast verflogen zu sein. Aber so waren Black und sein Team. Geradlinig aber auch bis auf die Knochen fast ehrlich. Na ja, bis auf Ausnahmen. Gerade in dem abgeschlossenen Fall hatte besonders Black einiges verbockt, aber auch schließlich zum Bomber geführt. Wenn auch nur, weil Mick so hartnäckig gewesen war. Inzwischen kannte Ryo alles, was passiert war, und auch Dee war bis auf die Sache in der Zelle in alles eingeweiht. Diese Wochen seiner Qual würde Dee erst zu Gesicht bekommen, wenn er alles niedergeschrieben hatte, und das würde noch eine Weile dauern. Zumal er hin und wieder auch mal Pausen einlegen musste. Nicht, weil er nicht gedanklich vorankam, nein, weil der Schmerz einfach aufflackerte und ihn am schreiben hinderte.
 

„Es war doch erst gestern... wie kann er so schnell reagieren?“ fragte Cordy und schaute noch immer in den Himmel.
 

Ja, und seit gestern war auch so einiges mit Ryo passiert. Seit seinem Eingreifen, um Cordy am Selbstmord zu hindern, war bei ihm so gut wie alles wieder in Ordnung. Noch immer zuckte er zusammen, wenn Dee ihn berührte, aber nicht mehr, weil er es nicht wollte, sondern weil er ihn überraschte. Wenn er ihn kommen sah, reagierte er normal auf Dee. Ob dies nun mit der Tatsache zu tun hatte, dass sein Peiniger tot war, konnte er nicht sagen. Aber er würde auf alle Fälle nachfragen, woran dieser Kerl nun wirklich draufgegangen war.
 

MacLane verschob diese Gedanken erst einmal, um sich wieder auf den Mann vor sich zu konzentrieren. Ryo nahm einfach mal an, dass er mit ihm sprach, deswegen antwortete er auch auf diese Frage ehrlich. Jedenfalls so gut, wie er Black kannte.
 

„Vermutlich bereits, kurz nachdem der Richter nichts gegen dich unternommen hat. Black fühlt sich mitschuldig an dem, was passiert ist. Mir passiert ist.“ Ryo zögerte kurz, aber mit Cordalis hatte er bisher immer offen sprechen können.
 

Wieso das der Fall war, wusste er nicht, aber danach sah er meistens klarer. Auch gestern hatte es etwas in ihm ausgelöst, und dafür war er Spalier noch etwas schuldig, obwohl er ihm das nie sagen würde.
 

„Black kam auf die Idee, dass ich alleine agiere, weil mich der Bomber für tot hielt. Dass er mich gefunden hat... war Pech auf der ganzen Linie. Auch wenn ich dem ganzen zugestimmt hatte, war es der Plan von Black. Und weil Gary mir ähnlich sah, wurde er da mit reingezogen. Wäre ich gestorben, wie es geplant war, dann würde Gary...“
 

„Sag es nicht...“ drehte sich der Schwarzhaarige zu Ryo um. “Sag es nicht, Bitte. Gary glaubte an Schicksal. Er hat immer versucht, es mir zu erklären. Wäre Gary nicht bei dir gestorben, dann wäre er anders umgekommen. So würde er es sehen. So muss ich es sehen. Du hast mir gestern im Gericht gesagt, dass ich leben soll. Leben für Gary, weil er es sich gewünscht hätte. Meinst du, mein Leben hätte mehr Sinn, wenn ich für den Mann arbeite, der sich an allem die Schuld gibt? Hätte es Sinn, dort zu arbeiten, nur weil er sich für etwas verantwortlich fühlt, woran er keine trägt?“
 

„Darauf kann ich dir nicht antworten, Cordy. Aber ich kann dir sagen, dass es sich zu leben lohnt.“
 

„Würdest du oder dein Mann auch so reden, wenn es einer von euch wäre?“
 

Ryo schnaubte leise und schüttelte lächelnd den Kopf.
 

„Dee und ich... Wir haben schon viel zusammen durchgemacht. Wir hatten erst kürzlich unseren siebten Hochzeitstag. Ja, ich denke, bei uns ist es anders. Nein, ist es eigentlich nicht. Aber ich weiß, dass ich ohne Dee nicht leben könnte. Aber ich habe Sara... Wenn mir beides genommen würde... ich weiß es nicht. Dee hat mir damals gesagt, dass er kurz davor stand, es zu beenden. Sein Leben aufzugeben, um mir und Sara zu folgen. Aber er hat es nicht getan, weil es für ihn noch eine Aufgabe gab. Diese Frage kannst nur du dir stellen, Cordy. Auch wenn Gary möchte, dass du lebst, ist es dein Leben. Ich hörte einmal in einem Film die Worte ‚Es tut mir leid für dich, denn ich werde nicht mehr da sein, um dich zu trösten’. Dann starb sie. Ließ die Mutter in Gram zurück. Die Trauer kann einen übermannen, aber denk auch daran, was ich noch gesagt habe. Hast du noch Kraft... Hast du noch etwas zu geben in diesem Leben?“
 

Ryo legte seine Hand auf die Schulter von Spalier.
 

„Ich werde drinnen warten. Ich kann dir diese Entscheidung nicht abnehmen.“ Damit drehte Ryo sich herum und ging zurück zum Diner, wo er von einer fragend aufblickenden Meute angestarrt wurde.
 

„Was ist mit Spalier?“ fragte Black.
 

Dee machte weniger Aufriss um Spalier, ihm war nur einer wichtig.
 

„Alles klar?“ fragte er seinen Mann und zog ihm dann den Stuhl zurecht.
 

„Warten wir noch eine Weile,“ erbat Ryo und nickte Dee leicht zu.
 

Ihm ging es gut. Auch wenn die Spuren, die McNear auf ihm hinterlassen hatte, nie ganz verschwinden würden, aber sie würden verblassen. Nach und nach.
 

Deckel wurden von den Warmhalteplatten genommen, als sich endlich auch Robin und Chris zu der illustren Gesellschaft dazu begaben. Kaum saßen alle dreizehn am Tisch, öffnete sich die Tür erneut.
 

„Ich hätte abschließen sollen,“ murmelte Björn zu Mark und stupste ihm in die Seite, so dass dieser sich dann erhob.
 

Doch es war kein ungebetener Gast, sondern Cordalis Spalier.
 

„Mr. Black!“ sagte er in die aufkommende Stille hinein, in der man nur hörte, wie Mark hinter Spalier die Tür abschloss.
 

„Ja, Mr. Spalier?“ hob Black nicht nur den Kopf sondern stand auf.
 

„Ich nehme Ihr Angebot an,“ sagte er und nickte seinem zukünftigen Chef zu, setzte sich dann neben Ryo auf den einzigen noch freien Platz.
 

„Du hast die richtige Wahl getroffen.“
 

„Ich weiß nicht, Ryo. Er fehlt mir.“
 

„Gary wird dir immer fehlen. Aber Leben ist schwerer als der Tod...“
 

„Das, war das was du mir mit dem Satz aus diesem Film sagen wolltest, nicht wahr?“
 

„Ja, Cordy... Außerdem bist du nicht alleine.“
 

„Danke, Ryo.“
 

Ryo erhob sich, nahm sein Glas in die Hand, das wie die übrigen auch mit einem leichten Weißwein gefüllt war.
 

„Auf Gary Logan!“
 

Alle erhoben sich, auch Sara, die davon zwar noch nichts verstand, kletterte auf ihren Stuhl und hob ihr Glas mit Limonade.
 

„Wir werden ihn nie vergessen. Denn er hat uns alle zusammengeführt,“ beendete Ryo seinen Gedenkspruch und trank wie die anderen dann ebenfalls.
 

Danach senkte sich für eine Minute Schweigen über die Gruppe, dann erst setzten sie sich und begannen, das köstliche Mahl, das Björn zubereitet hatte, zu verspeisen, wobei besonders bei der Suppe öfters ein lobendes Wort zu hören war.
 

Als die Suppe beendet war und Mark sowie Björn wieder in die Küche huschten, konnte Dee sich die Frage nicht mehr verkneifen. Die Frage, die wohl alle anderen hier auch brennend interessierte.
 

„Ross?!“
 

„Ja, MacLane?“ kam es prompt zurück.
 

„Ich denke, wir sind hier alle recht neugierig darauf, zu hören, wie er gestorben ist!“
 

Zustimmende Geräusche waren zu hören und alle Anwesenden richteten ihre Augen nun gespannt verharrend auf den Commissioner.
 

„Ihr habt doch eine Obduktion vorgenommen!?“ mischte sich nun auch Ryo ein.
 

Eigentlich war es ihm egal, wie McNear zu Tode gekommen war. Aber es war etwas seltsam, dass ein ansonsten gesunder Mensch so einfach zusammenbrach.
 

„Ja, haben wir!“
 

„Nun komm schon, Barc. Spann uns nicht so auf die Folter,“ ergriff Chris das Wort, der die Spannung kaum noch aushielt. Kannte er Ross doch schon lange und eigentlich hatte er ihn nie so zögerlich gesehen wie jetzt.
 

„Ein Staatsgeheimnis wird es wohl nicht gerade sein,“ meinte Black und wollte sich auch mal galant zu Wort melden.
 

„Okay. Eigentlich ist es kein Tischthema, aber da ihr es wohl unbedingt wissen wollt...“ Barclay machte wieder eine spannungsgeladene Pause und blickte in die Runde, um alle einmal angeschaut zu haben. Die einzigste, die sich nicht für ihn interessierte, war Sara. Aber was anderes wäre nun auch verwunderlich gewesen.
 

„Barc,“ stupste Jim seinen Freund nun doch in die Seite. Er wollte weiter essen, also sollte er nicht noch länger trödeln.
 

„Er wurde vergiftet. Ein Kontaktgift. Wann er das erste bekommen hat, haben wir noch nicht herausgefunden. Aber er muss zu dem Zeitpunkt schon in U-Haft gewesen sein. Die zweite und damit tödliche Dosis bekam er bei Gericht. Im Wasserglas fanden wir Rückstände davon. Dass er genau zu dem Zeitpunkt zusammen gesunken ist, wo Sie, Mr. Spalier, auf ihn geschossen haben, ist purer Zufall gewesen. McNear hätte den Gerichtssaal nie lebend verlassen,“ erklärte Ross.
 

Dann erfüllte der Duft von frisch gebratenem Fleisch, gepaart mit Gemüse und einer deftigen Soße, den Raum und Aaron lehnte sich leicht vor, schaute still in die Runde.
 

„Dann hat er sich doch die falschen Freunde ausgesucht.“
 

* owari *
 


 

*******
 

So das wars mal wieder von mir!

Hier noch das üble am Schluss!
 

Danksagung!
 

Mein erster Dank geht an meine Sis die sich hier ständig umnennt und deswegen auch hier nur so erwähnt wird. *keinen Bock ständig den Namen zu ändern*

Mein zweiter Dank geht an meine Schlussbetaleserin Amalthea. *Kuff*

Mein letzter Dank an meine Erstleserin Dark-Mastermind, die mir doch so einiges gesagt hat, um die FF voran zu treiben! *flausch*
 

Und zum Schluss möchte ich mich noch bei meinen Fleißigen Komischreiberinnen bedanken!

Momolein und JounouchiKatsuya und Xx_Flower_of_Ice_xX und Vampire-Hero

Und natürlich auch denen die noch nach der Beendigung meiner FF ihren Komi hier hinterlassen haben.
 

Wir sehen uns auf alle Fälle wieder!!
 

Mikito



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Von:  Vampire-Hero
2008-07-14T13:36:23+00:00 14.07.2008 15:36
Yuchu **freudig rumspring** dann können wir diesen Fall zu akta legen nicht wahr? Mensch ich bin wirklich erleichtert dass es so gut ausging, wenn auch ziemlich krass alles war. Dafür fand ich es dennoch realistisch geschrieben und die gesamte Handluing über, wie du dennoch den Charas von Fake treu geblieben bist, klasse. Auch die Beziehung um Dee und Ryo die mich am meisten interesiert hatte, war einfach göttlich und ich würde gern mehr von dir lesen wollen ^_^

LG
Vampire
Von:  Vampire-Hero
2008-07-14T13:32:17+00:00 14.07.2008 15:32
**sprachlos und gerührt zugleich bin**
nein war das süß, wie Dee mit Ryo diesen Versuch gewagt hatte, saß ich nur noch gespannt da und konnte richtig mitverfolgen, wie es passiert. Dabei ist es nicht mal weit hergeholt, dass am Ursprung des Grauens, dieser wieder ausgelöscht werden kann. Es ist wie das Sprichwort, dass man sich seinen Ängsten stellen muss und Ryo war ja nicht alleine da, sondern mit Dee, der ihn **snif** rührend aber bestimmend im Arm gehalten hat, bis sein Mann zu ihm zurückkam. Auch wenn ich mich mal wiederhole, aber... das war süß ^_^

LG
Vampire
Von:  Vampire-Hero
2008-07-14T13:23:17+00:00 14.07.2008 15:23
mutig von Dee sich das anzutun, aber dadurch versteht er Ryo besser und auch was er durchmachen musste. jetzt muss der Süße nur noch aufwachen ^^

LG
Vampire
Von:  Vampire-Hero
2008-07-14T13:20:41+00:00 14.07.2008 15:20
Yo, genau so was habe ich gemeint **seufz** Mensch ihnen ist es aber auch nicht vergönnt glücklich zu sein, aber icvh finde es richtig von dee, wie er sich um ryso sorgt und nicht mehr von der Seite weicht **supi, strahl** ich würde ihn auch nicht mehr alleinb lassen und alles über mich ergehen lassen, nur um mir hinterher keine vorwürfe mehr zu machen. Denn so kann Dee perönlich dafür sorgen, dass NIEMAND seinem Schatz zu nahe kommt **grins**

LG
Vampire
Von:  Vampire-Hero
2008-07-14T13:15:14+00:00 14.07.2008 15:15
Süüß und ich bin erleichtert. Langsam kommen sich die beiden näher und der Übeltäter ist überführt. Also steht doch nem Happy End nichts im Weg oder? **vorsichtig guck** na gut, werd mal lieber weiter lesen, nicht dass du doch noch was fieses eingebaut hast ^^ Mal sehen

LG
Vampire
Von:  Vampire-Hero
2008-07-14T13:12:23+00:00 14.07.2008 15:12
Gut von Ryo, dass er sich jemand anderen anvertraut, aber ich hoffe die anklagenden Worte über Dee sagt er nur weil er sich noch im Schockzustand befindet oder er wird noch mal darüber nachdenken und wissen das es blödsinn ist, schließlich macht Dee keinen Kerl mehr an, seit er Ryo an seiner Seite hat.

LG
Vampire
Von:  Vampire-Hero
2008-07-14T13:08:42+00:00 14.07.2008 15:08
Gott, auch wenn es mich für Dees Seite etwas traurig stimmt, habe ich soetwas fast erwartet. Das es Ryo gut geht, sieht man an seinen scharfen und entschlossenen Texten und ich hoffe, dass sich diese Woge glättet, schließlich gibt es in jeder Beziehung krisen, die man überwinden kann. Und auch wenn es zuerst hart wird, das Ryo seine Anschuldigung gegen ihn, statt gegen seinen Peiniger richtet, muss Dee das irgendwie wegstecken und Ryo zeigen, dass ihn nichts, aber auch rein GAR NICHTS von Ryo mehr trennen kann.

LG
Vampire
Von:  Vampire-Hero
2008-07-14T13:04:15+00:00 14.07.2008 15:04
seufz

nein endlich nimmt alles ein Ende, wenn auch Ryo noch nicht die augen aufgemacht hat. Aber das hoffe ich doch stark, wird sich noch ändern ^^ Bin echt gespannt wie es zwischen den Beiden nun weitergeht und das es für Dee klar sein muss, das Ryo sich erst mal schont, schließlich dürfte er mit seinen derzeitigen Verletzungen nicht auf arbeit. Ich würde eher darauf achten, das der süße Japaner das Bett hütet und ihn nie wieder von der Seite weichen **grins**

LG
Vampire
Von:  Vampire-Hero
2008-07-14T13:00:58+00:00 14.07.2008 15:00
Suppi **vor Freude strahl** auch wenn es um Ryos Zustand nicht so doll steht sind er UND Dee endlich wieder verint. **snif** hat ja auch lange genug gedauert und wirklich süß beschrieben. Hoffe mal das Ryo nicht zu viel Schadenm davongetragen hat und sich gut mit Dees einfühlsamne und daudrch auch häufigen Kontakten gut zurecht kommt ^_^

LG
Vampire
Von:  Vampire-Hero
2008-07-14T12:53:00+00:00 14.07.2008 14:53
Also ich denke mal, das der Bombenleger und Ryos Entführer zwei verschiedene sind... oder? **verwirrt bin** kann mich nicht entscheiden, aber sonst wäre McNear nicht verhaftet worden. aber wenn sein bruder bei ryo ist, dann kann man noch nicht aufatmen. auf jedenfall müssen die jetzt unbedingt dran bleiben und nach dem Süßen suchen und ihn retten.

LG
Vampire


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