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Hinotama

Teil VI der "Späte Erkenntnis"-Reihe
von

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Immer wieder Wochenende

Dieses Mal hats wieder länger gedauert, aber ich hoffe, dafür ist es umso besser geworden. Viel Freude und nicht mit mir verzweifeln.
 

Der Rundgang durch die große Wohnung nahm einige Zeit in Anspruch. Aber Fireball hatte sich die Zeit genommen und April alles gezeigt. Schließlich würde sie in nächster Zeit öfter hier sein und sie sollte sich überall zurecht finden können. Die Räume waren hell und jedes Zimmer besaß zumindest ein Fenster, auch das Badezimmer. Alle Zimmer waren irrsinnig groß, wie April fand, aber sie waren stilvoll eingerichtet. Schlicht aber stilvoll. Beinahe alle Einrichtungsgegenstände waren aus hellem, fast weißem Ahornholz, mit Glas oder Milchglaseinsätzen versehen. Die Küche bestand aus einer großen Kochinsel, davor befand sich gleich der Esstisch. Alles in der Küche war aus mattierten Stahl oder Edelstahl. Im Wohnzimmer stand der einzige Einrichtungsgegenstand mit Farbe. Eine riesige, dunkelrote Couch. Auf dem Milchglastisch stand eine Vase mit frischen Schnittblumen und eine Tageszeitung lag aufgeschlagen daneben.

April richtete ihren Blick auf die gegenüber liegende Wand. Ein großer Flachbildfernseher war genauso platziert worden, dass man von der Couch aus gemütlich fernsehen konnte. Spärlich gesäte Sideboards aus Milchglas beherbergten Bücher, einige CDs und auf einem stand ein Gestell mit drei japanischen Katanas. Die Bilder, die an der Wand hingen, waren mindestens ebenso schlicht, wie die Einrichtung, es waren einige Bleistiftzeichnungen dabei und japanische Schriftzeichen. Neben der Couch hatte Fireball offenbar einen kleinen Ahnenaltar eingerichtet. Das erkannte April an den drei Bildern, die auf dem Altar standen und an den Räucherstäbchen, sowie der dickbauchigen Buddhafigur. Auf den Bildern waren sein Vater und seine Mutter sowie Haruto abgebildet. April kannte die Bedeutung dieser Ahnenaltare aus dem alten Haus der Hikaris, Hiromi hatte es ihr einmal erklärt.

Zu guter Letzt führte Fireball die Blondine noch auf die Dachterrasse hinaus. War ihr das Wohnzimmer schon groß vorgekommen, so überwältigte sie der Anblick der gigantischen Dachterrasse. April wusste nicht, wo sie zuerst hinsehen sollte. Direkt neben der Terrassentür stand eine Gartengarnitur, wo die Freunde leicht alle Platz haben würden, daneben einige Topfpflanzen, die die Sonne hier hoben für sich allein beanspruchten. Die gesamte Terrasse war mit Holzboden ausgelegt worden, April sah keine einzige Steinplatte hervorblitzen. Weiter hinten war ein buddhistischer Steingarten angelegt worden. Die weißen Steine blendeten April regelrecht, aber der rote Zierahorn, der in der Mitte des Steingartens thronte, entschädigte für die strapazierten Augen. Während April aus dem Staunen nicht herauskam, hatte sich Fireball in die Hängematte gesetzt und die Hände gefaltet. Er wartete in aller Seelenruhe ab, bis April alles genau in Augenschein genommen hatte. Neugierig lief April die komplette Terrasse ab, lugte über die Brüstung hinunter auf die wuseligen Straßen Yumas. Es war unglaublich hier! Wie hatte er dieses Schmuckstück nur gefunden? April gefiel es in der Wohnung, auch wenn es den Zimmern noch an persönlicher Note fehlte, aber das würde sich schon ändern. Von der Terrasse war sie begeistert.

Als April wieder zu Fireball zurückkam, zwinkerte er verschwörerisch: „Und? Darf ich die Wohnung behalten? Hab ich dein Einverständnis?“

Die blonde Ingenieurin legte Fireball sachte die Faust auf die Schulter, sie schubste ihn lediglich symbolisch und lachte: „Was fragst du mich das? Dir muss es hier gefallen!“

Der ehemalige Rennfahrer stand auf und trat wieder ins Wohnzimmer hinein. Er wartete auf April, ehe er die Tür wieder schloss. Die große Glasfront hatte verdunkelte Scheiben, so konnte sich die Wohnung im Hochsommer nicht zu sehr aufheizen. Fireball bot April einen Platz auf der Couch an und brachte ihr aus der Küche was zu trinken. Er selbst legte ruhige Musik ein, bevor er sich neben April setzte. Leicht lächelnd informierte er April, als er sich dazu entschloss, auf der Couch gleich umzufallen: „Laura bleibt heute übrigens bei Saber.“

Als ob April nur auf dieses Stichwort gewartet hätte, beugte sie sich über ihn und gab Fireball einen leichten Kuss. Die Blondine wollte die Zeit mit Fireball nutzen, und zwar nicht zum Reden. Es kam im Moment ziemlich selten vor, dass sie alleine waren, denn tagsüber war April im Oberkommando und abends war oft Laura da, oder auch Saber kam zu Besuch. Und wenn jemand anderer dabei war, versteckte Fireball seine Gefühle für die Blondine in der Regel. Er schenkte ihr dann nur unauffällige Blicke, strich ihr ab und zu mal über die Schulter, aber alles andere sparte sich der Rennfahrer in der Öffentlichkeit. Es schien April fast so, als wollte er niemanden wissen lassen, dass er eine Beziehung mit ihr führte. Die Leidenschaft übernahm ab nun die Herrschaft, was beide sehr begrüßten. Fireball erwiderte Aprils zärtlichen Kuss, indem er mit beiden Händen nach ihr griff und ihren Kopf weiter zu sich heranzog. Als er sich sicher war, dass die Blondine ihren Kopf in der Nähe seiner Lippen lassen würde und nicht so bald damit aufhörte, ihn zu küssen, wanderten seine Hände weiter. Er strich April die Haare nach hinten, ehe er ihre Hüften hinunterdrückte.

Vorsichtig setzte sich April auf Fireballs Schoß, vorhin hatte sie sich noch über ihn gebeugt. Sie konnte gar nicht sagen, wie nahe sie Fireball in diesem Moment sein wollte, aber sie waren ohnehin auf dem besten Weg dahin. Ihre schlanken Finger fuhren Fireball durch die Haare, vorbei an seiner langen Narbe am Kopf. Doch April beachtete diese im Augenblick nicht. Sie wollte nur eines: Fireballs Zärtlichkeiten. Inzwischen wanderten ihre Lippen über Fireballs Nacken zu seinem Ohrläppchen. Ihr Atem wurde schneller, ihre Bewegungen und Küsse immer fordernder.

Fireball bedeckte Aprils Wangen mit Küssen, zog sie immer näher zu sich und machte sich an ihrem Shirt zu schaffen. Seine Hände suchten den Weg unter ihr Shirt und schoben es gleichzeitig mit nach oben. Er spürte jeden Zentimeter Haut, von Aprils Hüften aufwärts, so intensiv er nur konnte. Seine Nase sog ihr Parfum ein und vernebelte ihm vollends die Sinne. April war warm, ihre Haut zart und er konnte ihre unregelmäßige Atmung spüren.

‚Wenn du mein Kind auch nur noch einmal schief ansiehst, vergesse ich mich.’ Entsetzt riss Fireball die Augen auf und hielt in seiner Bewegung inne. Augenblicklich schossen seine Hände unter dem Shirt hervor, streiften es April wieder nach unten und schoben die Wissenschaftlerin von sich weg. So gut er nur konnte, drückte er April von sich weg, als er verängstigt hauchte: „Ich kann das nicht.“

Fireball kroch unter April weg und setzte sich auf. Seine Atmung ging schwer, seine Augen hielt er geschlossen. Fireball fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und kratzte sich dabei mit den Fingernägeln, die er mit aller Gewalt in die Kopfhaut drückte. Diese verdammte Stimme! Warum nur, warum ausgerechnet jetzt, musste er sich an Commander Eagles Worte aus dem Krankenhaus erinnern?

April hatte sich auch aufgesetzt. Mit großen Augen verfolgte sie Fireballs Bewegungen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie musste was falsch gemacht haben, sonst würde Fireball sie nicht plötzlich von sich stoßen. Es tat April weh, immerhin hatte er bis vor kurzem ihre Leidenschaft noch geschürt und ihre Berührungen und Zärtlichkeiten erwidert. Sie wusste nicht, was sie getan hatte. April kniete sich auf der großen Couch hin und stützte ihre Arme vor sich auf. Sie flüsterte gekränkt: „Was? Was ist los, Fireball?“

„Nichts.“, Fireball schüttelte frustriert den Kopf und vermied es, die Augen aufzumachen. Seine Hände ruhten immer noch auf dem Kopf. Der Rennfahrer spürte, wie Aprils Augen ihn fixierten. Es war ihm unangenehm. Hinter ihm saß die Frau seiner Träume und er dachte an ihren Vater! Unvermittelt hatte er sie von sich gestoßen, ohne ihr einen Hinweis darauf zu geben, weshalb. Sie musste unglaublich verunsichert und enttäuscht von ihm sein. Niedergeschlagen, April nicht so nahe sein zu können, wie er selbst es gerne wollte, murmelte er schließlich: „Es hat nichts mit dir zu tun, Süße.“

„Ach wirklich?“, April setzte sich ordentlich auf die Couch. Alles, was die Blondine im Augenblick verstand, war, dass Fireball sie nicht mehr liebkoste und räumliche Distanz aufgebaut hatte. Und sie reagierte eingeschnappt auf Fireballs Erklärungsversuch. Das konnte er jedem anderen erzählen. Außer ihnen beiden war gerade niemand in der Wohnung, wer sonst, wenn nicht sie, sollte daran Schuld sein, dass mit Kuscheln ohne Vorwarnung Schluss gewesen war? Energisch schüttelte April ihren blonden Schopf und fuhr ihren Freund unabsichtlich an: „Das glaub ich dir kein Stück.“

April konnte beobachten, wie Fireball kurz nach ihren Worten noch weiter in sich zusammensank. Sie war mit ihrem Tonfall etwas zu weit gegangen, aber wie sollte sie ihm sonst ihre Lage deutlicher schildern? Die Blondine fühlte sich im wahrsten Sinne des Wortes weggestoßen. Und es war ein schreckliches Gefühl, wie sie bedauernd feststellte. Endlich hatte sie annähernd eine Vorstellung davon, was sie Fireball auf Ramrod angetan haben musste.

Der Rennfahrer starb gerade tausend Tode. Die Erinnerung an unzählige Auseinandersetzungen mit Aprils Vater, vor allem aber jene im Krankenhaus, schnürten ihm die Luft ab. Und das ausgerechnet in dem Moment, in dem er April einmal für sich alleine hatte. Langsam begann sich der Japaner zu fragen, weshalb sich ihnen immer etwas in den Weg stellte. Am Anfang war es die Arbeit gewesen und das Versprechen ihrem Vater gegenüber, danach war es ihr Vater selbst gewesen und in Japan sein ruiniertes Kreuz. Endlich, so zumindest Fireballs verärgerte Auffassung, sollte es alleine seine und Aprils Entscheidung sein, was sie taten und dann pfuschte ihm seine eigene Erinnerung und wahrscheinlich auch die Angst vor Aprils Vater ins Handwerk! Kopfschüttelnd versuchte er ein weiteres Mal, es April zu erklären: „Es ist wirklich nicht deine Schuld. ...Ich... ich kann nur einfach nicht.“

Ungläubig zog April hinter ihm einen Schmollmund und runzelte die Stirn. Sie konnte es nicht so recht glauben. Eingehend musterte sie ihren Freund, der seit seinem abrupten Innehalten beinahe regungslos auf der Couch saß, den Kopf in die Hände gelegt und den Blick, wenn er dann mal die Augen aufmachen würde, auf den Boden gerichtet. Er kniff die Augen regelrecht zu und verzog das Gesicht, als ob ihm etwas Schmerzen bereiten würde. Nachdem April eine aufmerksame Frau war und ihren hübschen Kopf durchaus auch zum Denken benützte, begann sie unweigerlich zu grübeln. Wenn sie nicht Schuld daran war, dass Fireball ihr nicht mehr nahe sein wollte und Fremdverschulden offenbar ausgeschlossen war, musste es an Fireball liegen. Mit Argusaugen musterte sie den Japaner mit den dunkelbraunen, beinahe schwarzen Haaren. Bis es ihr endlich einfiel. Sie krabbelte näher zu Fireball hinüber und legte ihm behutsam die warme Hand in den Nacken: „Ist es dein Rücken, Matchbox?“

Aprils Finger strichen ihm gegen die Wuchsrichtung der Haare den Nacken entlang. Die Sorge in ihrer Stimme hatte sich nicht verheimlichen lassen, der erste Frust war schneller bei April verpufft, als er aufgekommen war. Plötzlich hatte April Angst, zu ungestüm mit Fireball umgegangen zu sein, in etwa so wie in Tokio nach Hiromis Beerdigung. Aber im Gegensatz zu gerade eben hatte er damals vor Schmerzen regelrecht aufgeschrieen.

Fireball atmete schwer aus und setzte sich aufrecht hin: „Schön wär’s. …Es ist was anderes.“

Spätestens jetzt war April mit der Situation überfordert. Wenn sie nicht Schuld daran war und Fireballs Rücken auch nichts damit zu tun hatte, was war es dann? Im ersten Moment hatte sich alles in April verkrampft, unabsichtlich hatte sie ihm dabei die Fingernägel in den Nacken gestoßen. Ihr behagte die Stille nicht, April hatte unglaubliche Angst, dass ihre Beziehung zu bröckeln begann, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Fireballs Schweigen war schlimmer als hunderte von Schimpfworten es sein konnten. Die Blondine schluckte schwer. Sie musste gegensteuern, solange sie noch die Chance dazu hatte. Sie fasste sich ein Herz und schmiegte sich behutsam an Fireballs Rücken. Ihre Hand begann wieder zärtlich über seinen Nacken zu streicheln, während sie den Kopf auf seine Schulter legte und sich an ihn lehnte. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als April weiter nachhakte: „Aber was ist es dann, Fireball? …Baby, rede mit mir, ich kann es nicht ertragen, dich so zu sehen.“

April brauchte nicht lange auf eine Reaktion zu warten. Fireball lehnte sich zurück, er lehnte sich mit dem Rücken gegen April und legte den Kopf in ihre Hand. Seine Hände suchten nach Aprils zweiter Hand und umschlossen sie schüchtern, als sie sie fanden. Die braunen Augen blickten traurig zur Decke. Auf seiner Haut konnte er Aprils Atem fühlen und endlich begann sich Fireball ein wenig zu entspannen. April war da und würde sich um ihn kümmern, so wie sie es gerade tat. Seine Süße würde an seiner Seite bleiben. Mindestens genauso leise, wie April zuvor nachgefragt hatte, begann Fireball zu sprechen: „Ich hasse es… Ich hatte früher nie Probleme damit, dir nahe zu sein und mit dir ein paar schöne Momente zu verbringen. Aber seit ich wieder fix in Yuma wohne, holen mich manche Phrasen deines Vaters wieder ein. Ich hasse es deshalb, weil es immer dann vorkommt, wenn ich es mir so sehr wünsche.“

Unweigerlich hatte sich April ein wenig aufgerichtet, aber gerade mal so viel, dass Fireball es bemerkte. Sie hielt nach wie vor seinen Kopf in ihrer Hand und spürte Fireball nahe bei sich. April konnte sogar fühlen, wie sich sein Brustkorb mit jedem Atemzug hob und wieder senkte. Der Rennfahrer war ihr so nahe, dass es April immer wieder beinahe den Atem verschlug. Diese wunderschöne Eintracht hatte nur den Haken, dass Fireball offenbar Worte ihres Vaters nicht zur Ruhe kommen ließen und ihm derart zu schaffen machten, dass er sie nicht einmal mehr küssen konnte. Die Blondine rückte ein Stück auf der Couch zurück, immer darauf bedacht, Fireball nicht fallen zu lassen. Behutsam zog sie ihn mit sich, bis sie sich mit dem Rücken gegen die Couch lehnen konnte. Fireball rutschte ein Stück an ihr hinab und kuschelte sich an sie. Sein Kopf lag auf Brusthöhe, als er ihn drehte und sie fragend mit seinen braunen Augen anblickte.

April senkte ihr blaues Augenpaar zu Fireball hinab und nickte kaum merklich. Sie verstand ihn, allerdings schien ihm die stumme Zustimmung noch nicht auszureichen. Deshalb erklärte April, während sie ihm immer noch die Kopfhaut krauelte: „Er hat dich schlecht behandelt, Fireball, ich weiß. Und er hat dir verboten, mich zu lieben. Aber das alles ist lange her. Daddy hat sich geändert. Er bereut es und wird sich in meine Angelegenheiten nicht mehr einmischen. …Versuch es zu vergessen und lass uns unser Leben leben, wie wir es wollen.“

Fireball schloss einen Moment lang die Augen. Es klang zu schön, um Wirklichkeit zu sein. Er liebte April, mehr als er es zu sagen im Stande war. Aber Commander Eagle. Der alte Herr von April warf einen derart langen Schatten über das Glück, dass Fireball alleine bei dem Gedanken daran alles verging. Und er konnte Aprils Worten keinen rechten Glauben schenken. Commander Eagle hatte es die letzten Jahre nicht geschafft, sich aus seinem und Aprils Leben herauszuhalten, wie sollte er es in Zukunft schaffen können? Fireball wusste sehr wohl, dass Charles eine wichtige Lektion in seinem Leben gelernt hatte, aber er bezweifelte, dass es für einen totalen Lebenswandel ausgereicht hatte. Fireball seufzte niedergeschlagen: „Woher weißt du das so sicher, Süße? Woher willst du wissen, dass er mir nicht gleich wieder eine runterhaut, wenn er erfährt, dass du dir mit mir das Bett teilst?“

Etwas hatte Aprils Aufmerksamkeit erregt. Sie setzte sich aufrechter hin und musterte Fireball mit großen, fragenden Augen. Hatte er eben wirklich ‚wieder’ gesagt? Die Ingenieurin kam zu dem Schluss, dass der junge Mann, der es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hatte und mit April ein vertrautes Gespräch führte, wie man es von einem Paar erwartete, ihr nicht alles erzählt hatte. Stirn runzelnd ließ April von Fireballs Haaren ab und legte beide Hände auf Fireballs Schultern. Mit einigem Druck strich sie ihm von den Schultern aus über die Arme und ermutigte ihn somit, ihr was zu erklären: „Ich weiß es, weil ich mit ihm gesprochen habe. Er hat seine Fehler eingesehen und mir erklärt, weshalb er so gehandelt hat. Teilweise kann ich ihn sogar verstehen, aber ich verzeihe ihm deswegen noch lange nicht alles. Bitte glaub mir, mein kleiner Fireball, du brauchst dir um Daddy keine Gedanken mehr zu machen. …Aber was heißt hier, wieder eine runterhauen?“

Fireball schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf. April bekam aber auch alles mit. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er behaupten, sie hörte das Gras wachsen. Seine Hände begannen, an Aprils Oberschenkeln entlang zu streichen. Er fühlte sich geborgen bei der Blondine und langsam kam auch bei ihm wieder die Lust auf Zärtlichkeiten auf. April schilderte ihm sehr ausführlich, was sie mit ihrem Vater alles besprochen hatte, nachdem er ihr kurz erzählt hatte, wie es dazu gekommen war, dass Commander Eagle die Hand gegen ihn erhoben hatte.

Aprils Hände begannen immer wieder aufs Neue, Fireball über die nackte Haut zu streichen und zwar so leicht und zärtlich, dass der Japaner eine Gänsehaut davon bekam. Langsam richtete sich Fireball auf und drehte sich April zu. Er sah ihr tief in die Augen. Sie glänzten und leuchteten heller als alle Sterne dieser Galaxie zusammen. Er hatte sich so lange nach ihr gesehnt, so viel ihretwegen ertragen. Es hatte sich gelohnt. Alles hätte sich für diesen Augenblick gelohnt, auch dafür zu sterben. Fireball strich ihr die Haare nach hinten und küsste ihren Nacken.

Aprils Hände suchten den Weg unter Fireballs rotes T-Shirt. Sie zog den Japaner immer näher zu sich, spürte seine Lippen auf ihrer Haut. Nie im Leben wollte April aus diesem Traum aufwachen. Endlich, nach so langer Zeit und nach all diesen Entbehrungen und Achterbahnfahrten der Gefühle, war die Blondine endlich angekommen. Sie lag in den Armen des Mannes, den sie liebte. Dabei fiel April plötzlich ein, dass sie es Fireball nie gesagt hatte. Sie hatte ihm bis heute nicht gesagt, was sie für ihn empfand. Leise und mit Tränen in den Augen, hauchte April: „Ich liebe dich. Ich liebe dich, Shinji.“

Fireball sah einen Augenblick zu April auf. Sie hatte ihn bei seinem Namen genannt, und sie hatte ihn ganz bewusst genannt, wie Fireball feststellte. April liebte ihn wie er wirklich war, nicht bloß den ungestümen und dickköpfigen Feuerball, in den sie sich verliebt hatte. Die Blondine hatte gelernt, wer er war und sie hatte verstanden, dass sie ihn mit allen Schikanen bekam. Fireball wusste nicht, wie er reagieren sollte. Ihm schlug das Herz bis zum Hals und Aprils Anblick verbesserte die Lage nicht. Behutsam nahm er ihren Kopf in beide Hände und zog sie zu sich. Überglücklich flüsterte er: „Ai shiteru.“ Fireball gab April einen innigen Kuss.
 

Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu, als er endlich seine Wohnungstür aufschloss. Abgekämpft, aber dennoch entspannt, ließ er Laura mit Matthew auf dem Arm durch die Tür treten, während er mit den Einkäufen und der Post nach ihr die Wohnung betrat und die Tür zufallen ließ. Er kickte die Schuhe auf den Boden und seufzte: „Wow, du bist beinahe so ausdauernd, wie April. Die kann innerhalb eines Tages drei Shoppingcenter leer kaufen, wenn sie Lust hat.“

Saber hatte den Nachmittag mit Laura verbracht und auf dem Nachhauseweg noch Matthew abgeholt. Wieder stand ein Wochenende vor der Tür, an dem der Vater seinen Jungen uneingeschränkt sehen durfte. Die kleine Asiatin mochte Rider junior, dessen Haare immer blonder wurden, je älter er wurde, unheimlich gerne. Sie hatte keine Probleme damit, sich am Wochenende auch mit Matt zu beschäftigen. Saber hatte sie ja mittlerweile beinahe jeden Tag.

Sie unternahmen viel zusammen und obwohl Laura das Angebot von Saber zuerst angenommen hatte, war sie noch nicht zu ihm gezogen. Sie hatte eine Nacht darüber nachgedacht und auch mit Fireball darüber gesprochen. Schlussendlich war sie zu der Entscheidung gelangt, den Schwertschwinger nicht in ein noch größeres Theater zu verwickeln, als er ohnehin schon hatte. Saber war nach wie vor noch nicht geschieden, weder er noch Synthia hatten bis jetzt die Scheidung eingereicht. Bei Saber war es einfach zu erklären, weshalb er das noch nicht getan hatte. Er war noch nicht bereit dazu, diesen Schritt zu setzen. Würde er die Scheidung einreichen, hätte die Beziehung zu Synthia überhaupt keine Chance mehr. Denn obwohl sie ihn so kühl und abweisend behandelte, hoffte Saber immer noch darauf, dass sie ihm irgendwann seine Fehler verzieh. Er hoffte alleine schon wegen Matthew darauf. Der blonde Recke wollte sein Kind in einer glücklichen Familie aufwachsen sehen und nicht, dass er herumgereicht wurde, von einem Stiefvater oder Stiefmutter zum nächsten. Und wenn Synthia mit Saber schon keine Beziehung mehr führen wollte, dann sollten sie sich zumindest in Frieden voneinander trennen und nicht um Kleinigkeiten streiten. Aber dazu war Synthia nicht bereit. Manchmal, wenn Synhtia alleine zuhause war, als Saber den Sohnemann abholen kam, versuchte sie ihn in unbedachte Aussagen hineinzureiten, die sie ihm später vorwerfen konnte, doch Saber besprach dann nur das Wichtigste mit ihr. Nein, er würde Synthia nicht die Chance geben, ihm noch mehr vorhalten zu können, egal welche Gefühle noch im Spiel waren. Es hatte dem blonden Highlander gereicht, dass sie sein Pflichtbewusstsein und seine detaillierte Auffassung einer Freundschaft zu einem Strick zusammengezogen hatte.

All das waren Gründe, weshalb das Verhältnis zwischen Saber und Laura immer noch mehr so etwas wie eine Freundschaft war, als eine Liebesbeziehung. Nicht, dass der Schotte die kleine Asiatin nicht attraktiv fand, oder ihre Art nicht atemberaubend, es war schlicht und einfach seine Reserviertheit, die er wegen der missglückten Beziehung mit Synthia hatte. Saber scheute sich noch davor, wieder eine Beziehung einzugehen, die Wunden, die ihm seine Frau zugefügt hatte, waren einfach noch viel zu frisch und er wollte Synthia keinen Anstoß für die Annahme der Untreue geben. Saber mochte viel sein, aber er war bestimmt nicht untreu.

Und Laura verstand das. Sie verstand es, ohne dass Saber es jemals erwähnt hätte. Sie schlugen einfach gemeinsam die Zeit tot, lernten sich dabei besser kennen und erfuhren von sich selbst immer wieder etwas mehr. Beide lernten voneinander. Saber bekam von Laura so klar vor Augen geführt, weshalb er manchmal nicht aussprechen konnte, was er fühlte und Laura lernte, was sie an Männern immer wieder magisch anzog. Und sie verbrachten viel Zeit zusammen, weil beide sonst alleine gewesen wären. Sie wollten weder Colt und Robin noch Fireball und April übermäßig stören, die alle viel Nachholbedarf hatten. Die einen bereiteten sich auf Familienzuwachs vor und verarbeiteten die letzte Mission, während die anderen beiden vor allem die Vergangenheit aufarbeiteten und versuchten, einen gemeinsamen Weg für die Zukunft zu finden.

Während Laura mit Matthew im Schlafzimmer verschwand und den kleinen Mann bettfertig machte, sah Saber kurz die Post durch. Es war ein herrlicher Tag gewesen und auch der Abend versprach erholsam und angenehm zu werden. Sie hatten mit Fireball besprochen, dass Laura erst am nächsten Tag wieder kommen würde, sozusagen als kleiner Hinweis für Fireball, dass April ohne weiteres über Nacht bleiben konnte und die beiden sich einen schönen Tag zu zweit machen sollten. Laura würde also bei Saber bleiben, die erste Nacht überhaupt, aber als gute Freundin, als mehr nicht. Zuvorkommend hatte er ihr das große Bett angeboten, er würde die Couch zu seiner Schlafstätte umfunktionieren.

Viel gab die Post an diesem Freitag nicht her, nur massenweise Flugblätter und zwei Briefe. Der eine entpuppte sich als Werbesendung, er war einfach nur persönlich adressiert worden. Der andere hingegen gab Nachrichten Preis, die sich der Säbelschwinger lieber gespart hätte. Unwissend hatte er das Kuvert aufgemacht und den Brief auseinander gefaltet. Er war vom Oberkommando. Saber fragte sich, weshalb er Post von seiner Arbeit nachhause geschickt bekam, wenn doch jeder Mitarbeiter für solche Fälle extra ein eigenes Postfach dort hatte. Der Briefkopf enthielt das Wort ‚Persönlich’ in dicken, schwarzen Lettern und Saber beschlich ein ungutes Gefühl. Deshalb war er nicht in sein Büro gebracht worden. Hastig überflog der Schotte den Text, wobei seine Mundwinkel immer weiter Richtung Boden zogen und die Laune damit gleich mitnahmen. Der Verteilervermerk enthielt die Namen seiner Freunde und den seines Vorgesetzten. Am nächsten Montag fand eine Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss der Kavallerie statt. Saber stieß entmutigt die Luft aus und sank zusammen. Nicht nur seine Ehe ging in die Brüche, auch seine Karriere beim Oberkommando stand auf dem Spiel.

Kraftlos legte Saber den Brief auf den Küchentisch und stützte die Hände dort auf. Seine Freunde hatten auch eine Vorladung bekommen, doch nur Fireball, Commander Eagle und er würden tatsächlich aussagen müssen. April und Colt würden lediglich bei den Zuschauern sitzen und für knifflige Fragen, die drei verschiedene Antworten ergeben würden, gebraucht werden. Er würde seine Freunde an diesem Tag nicht mehr anrufen. Sie sollten den Tag in Ruhe ausklingen lassen, die Probleme würden ihnen ohnehin nicht davonrennen. Es reichte aus, wenn sie sich morgen zusammensetzten und sich gemeinsam einen Schlachtplan zurecht legten. Aber Saber wusste, einer würde bei dieser Anhörung nicht nur sein Gesicht, sondern auch seinen Job verlieren. Der Schotte hoffte, dass nicht er oder Fireball das sein würden. Weder der geschundene Rennfahrer noch er hatten sich Fehler geleistet oder den Regeln zuwider gehandelt. Missmutig klopfte Saber auf den Tisch, er hatte Fireball nicht schikaniert oder ihn unehrenhaft rausgeworfen!

Als Laura mit Matt auf dem Arm wieder aus dem Zimmer kam, zerknüllte Saber den Brief und warf ihn quer durchs Zimmer. Sofort erklärte er Laura seinen kleinen Ausbruch: „Ich kann mir ab Montag einen neuen Job suchen. Das Oberkommando hat einen Untersuchungsausschuss wegen der Sache mit Shinji einberufen. Wenn Aprils Vater nicht fliegt, und das wird er nicht, wie ich befürchte, flieg ich achtkantig. Es kommt auch wirklich immer alles faustdick, wenn es kommt.“

Laura setzte Matthew auf die Spieldecke im Wohnzimmer und hob den zusammengeknüllten Brief auf. Sie hob ihn in Sabers Richtung: „Darf ich?“

Mit einem Nicken gestattete er der Freundin, den Brief zu lesen, was diese kurz darauf auch tat. In den Text vertieft, setzte sich Laura auf das Sofa. Bestimmt dreimal las sie den Text von Anfang bis Ende, ehe sie den Kopf schüttelte. Die schwarzhaarige Rechtsanwaltsgehilfin fand schließlich ermutigende Worte für den Schotten: „Wenn dieser Ausschuss wirklich so unabhängig arbeitet, wie ich vermute, wird er gerecht entscheiden. Und sonst: Fechtet die Entscheidung an. Ich kenn da einen guten Rechtsanwalt, der schon darauf brennt, Missstände im Oberkommando aufzudecken.“

Laura lachte leise. Tatsächlich war ihr neuer Arbeitgeber jemand, der mit Vorliebe für benachteiligte Arbeitnehmer großer Organisationen arbeitete. Sein Ruf als schärfster Anwalt des neuen Grenzlandes war diesbezüglich gerechtfertigt und nicht so übertrieben, wie er klang. Laura hatte schon nach wenigen Arbeitstagen herausgefunden, dass sie als Assistentin dieses Anwalts, einiges aushalten musste und mindestens genauso engagiert arbeiten musste, wie ihr Boss. Bis jetzt, so zumindest ihr Chef, hatte es noch keine länger als ein halbes Jahr bei ihm ausgehalten. Aber Laura hatte nicht vor, die Flinte frühzeitig ins Korn zu werfen. Keck hatte sie ihm erklärt, was sie schon alles erlebt und gesehen hatte und dass sie kein Püppchen war, auch wenn sie wie eines aussah, mit ihrem dezent geschminktem Gesicht und den dunkelroten Lippen.

Sie klopfte mit der flachen Hand auf das Sofa und lotste Saber so zu sich. Er sollte sich setzen, es machte sie nervös, wenn er im Wohnzimmer stand und von einem Bein auf das andere trat. Ein kurzer Blick in Sabers Gesicht genügte der Japanerin, um zu wissen, wie groß seine Sorgen und Ängste im Augenblick tatsächlich waren. Gedanklich ging der Anführer des Team Ramrod nämlich schon die diversen Stellenanzeigen in Zeitungen durch und hoffte, dass sein Erspartes ihn über einige Monate ohne Arbeit retten würde.

Dankbar für die Hilfe und die mitfühlenden Gesten seines Gastes, setzte sich Saber neben Laura. Für ihn war der Abend gelaufen. Saber ließ die Schultern fallen und stützte mutlos die Arme auf den Oberschenkeln auf. Sein Blick fiel auf Matthew, als er traurig murmelte: „Alles, was ich jemals wollte, war ein normales Leben. Ich wollte ein guter Vater, Ehemann und Arbeitskollege sein, aber nichts davon war ich.“

Laura verstand, was Saber damit ausdrücken wollte. Sie hatte genug aus der Vergangenheit der vier Star Sheriffs gelernt und auch gehört um es zu verstehen. Der Recke war immer der große Bruder an Board gewesen, nur selten der strenge kommandierende Offizier. Als aufgekommen war, was alles hinter seinem Rücken passiert war, ohne es zu bemerken, hatte Saber sofort angefangen, sich für alles verantwortlich zu machen. Und Laura wusste, Fireballs Beteuerungen, dass Saber keine Schuld daran traf, hatte dem Säbelschwinger nicht geholfen. Vielleicht, so schob sich der Gedanke kurz durch Lauras Bewusstsein, würde ein gerechtes Urteil dieses Untersuchungsausschusses, den Schuldgefühlen des Highlanders ein für alle Mal den Garaus machen.

Lauras dunkle Augen blinzelten Saber kurz an. Sie ließ sich seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Die kleine Frau konnte seine Aussage überhaupt nicht nachvollziehen. Denn weder das, was sie mit Saber erlebt hatte, noch das, was sie von Fireball erzählt bekommen hatte, deckte sich mit Sabers Worten. Sie entkräftete seine Zweifel, in dem sie Saber sanft in ihre Arme schloss und flüsterte: „Ein Star Sheriff wird niemals ein völlig normales Leben führen, Saber. Keiner von euch. Aber ihr alle könnt versuchen, euch ein Stück Normalität zu bewahren. Du warst und bist ein guter Vater, mehr noch als du ein guter Vorgesetzter warst. Shinji und die anderen können sich glücklich schätzen, so einen guten Freund wie dich als ihren Vorgesetzten gehabt zu haben.“

Sie konnte alles entkräften, nur seinen eigenen Vorwurf kein guter Ehemann gewesen zu sein, nicht. Immerhin war die Ehe gerade in die Brüche gegangen und Laura wusste aus Erfahrung, dass am Scheitern einer Beziehung niemals ein Partner alleine Schuld hatte. Das hatte sie bei April und Chris gesehen, wo sich alles bis zum großen Knall aufgestaut hatte und auch bei sich selbst und Shinji vor so vielen Jahren. Vielleicht, so kam Laura mit den nötigen Jahren Abstand zu dem Schluss, hätte ihre Beziehung länger gehalten, wenn sie den jungen Polizisten eher verstanden hätte und ihm einen Teil der schweren Last abgenommen hätte. Aber dazu war Laura nicht in der Lage gewesen, mit knapp sechzehn Jahren hatte sie nicht einmal ihr eigenes Leben auf die Reihe bekommen, wie hätte sie Shinji davon überzeugen können, dass Haruto nicht durch seine Schuld gestorben war? Dieses Defizit hatte Laura in späterer Folge ohnehin ausgebessert, nachdem sie Fireball auf dem Friedhof aufgelesen hatte.

Saber war der Appetit durch den Brief gründlich vergangen, weshalb das Abendessen ausfiel. Kurz nach Sonnenuntergang steckten die beiden Matt ins Bett und verbrachten den restlichen Abend vor dem Fernseher. Sie schwiegen, aber es war kein unangenehmes Schweigen. Zumindest empfand es Saber nicht als solches. Denn Laura strahlte so viel Ruhe und Sicherheit aus, dass es Saber beinahe den Verstand raubte. Er konnte mit jedem Tag ein bisschen besser verstehen, weshalb Fireball die kleine Rechtsanwaltsgehilfin so unheimlich gern hatte und ihr damals geholfen hatte, den Weg in ein normales Leben zu finden.
 

„Ich hoffe für dich, dass du einen guten Grund hast, mich am Vormittag schon zu dir zu beordern, Boss!“, Colt trat in die Wohnung des blonden Recken. Der Kuhtreiber kannte die Wohnung bereits zur Genüge, er hatte sie mit Saber zusammen eingerichtet, wieder einmal. Sein Freund und Boss hatte ihn vor einer guten halben Stunde beim Frühstück angerufen und ihn gebeten, her zukommen und zwar ohne Robin. Das erklärte, weshalb Colt eine Fratze zog, die jeden Teufel vor Neid erblassen hätte lassen.

Im Gegenzug dazu hatte Saber Laura und seinen Sohne zu Robin auf die Ranch ausquartiert, zumindest für diesen Tag. Er lenkte und schob Colt vom Vorhaus ins Wohnzimmer und drückte ihn auf das Sofa: „Der Grund ist erstens sehr gut und zweitens eine mittelschwere Katastrophe, sonst würde ich dein Wochenende nicht stören, Colt.“

Saber bot seinem Gast etwas zu trinken an und räumte anschließend das Frühstücksgeschirr ab, das noch auf dem Wohnzimmertisch gestanden hatte. Unachtsam stellte er es in die Spüle und brachte Colt ein Glas Saft, das er genau vor ihm platzierte: „Wohl bekomm’s, Colt.“

Doch der Kuhtreiber hatte ein anderes Thema, das er besprochen wissen wollte. Der gute Colt war weder blind noch blöd, was er als Scout auch nicht hätte sein dürfen, und so war ihm aufgefallen, dass beim Frühstücksgeschirr etwas nicht war, wie man es von einem Singlehaushalt erwartete. Colt schob sich den Hut aus der Stirn und grinste verschmitzt: „Entweder fängt dein kleiner Spross schon verdächtig früh an, Kaffee zu trinken, und das auch noch aus einer Tasse, oder du hattest Gesellschaft.“

„Und wenn’s so war, Colt, was wäre daran so schlimm?“, Saber setzte sich neben seinen Freund und sah ihn herausfordernd an. Der Highlander war gespannt, wie Colt auf diese Provokation reagieren würde. Diese kleine Ablenkung kam ihm gerade recht, denn im Vergleich zu seinem Gast hatte Saber in dieser Nacht nicht ruhig geschlafen. Die schlimmsten Szenarien hatte er sich schon ausgemalt und alles konnte davon am nächsten Montag tatsächlich passieren.

Colt hob sein Saftglas zwar an, aber er trank nicht daraus. Lieber drehte er seinen Oberkörper zu Saber und lachte ihm geradewegs ins Gesicht: „Nö, daran wäre gar nichts schlimm. Musst ja nicht wie ein asketischer Einsiedler leben, nur weil Synthia dich abgeschrieben hat.“

Saber war dankbar für das erneute Klingeln an der Tür. So musste er Colt wenigstens nicht mehr beachten und auch keine Antwort auf dessen dämliche Feststellung geben. Er stand also auf und öffnete seine Wohnungstür ein weiteres Mal.

„Zeit wird’s, dass ich meine Fahrerlaubnis wieder bekomme!“, Fireball drängte sich kopfschüttelnd an Saber vorbei in die Wohnung, ohne seinem Freund einen guten Morgen zu wünschen. Er war ein bisschen blass um die Nase.

Ganz anders April. Deren Gesichtsfarbe war knapp vor einem gepflegten Dunkelrot. Sie umarmte Saber kurz und erklärte ihm empört: „Ein verhinderter Rennfahrer ist der schlimmste Beifahrer, den man sich vorstellen kann. Nachhause kann er laufen, oder ich muss ihn knebeln.“

Aus dem Wohnzimmer kam die gedämpfte Stimme ihres Freundes zurück: „Da laufe ich lieber, will ja schließlich lebend zuhause ankommen, Süße!“

Saber schloss verwundert die Tür hinter sich und begleitete April ins gemütliche Wohnzimmer. Er brachte den beiden noch etwas zu trinken, ehe er sich selbst setzte. Colt unterhielt die beiden Neuankömmlinge in der Zwischenzeit: „Ihr benehmt euch schon wie ein altes Ehepaar, zu süß einfach!“

Fireball lehnte sich neben Colt zurück und verschränkte die Arme im Nacken. Mit dem gewohnten Temperament und der entsprechenden Laune dazu, schilderte er dem Kuhhirten und dem Säbelschwinger seine Nöte mit dem weiblichen Geschlecht: „Frauen gehören einfach nicht hinter das Steuer eines Autos. Laura schneidet laufend den Verkehr und April brettert überhaupt bei Rot über die Kreuzung! Sogar du fährst besser als das kleine Superhirn da drüben, Cowboy.“

Colt kratzte sich an der Nase und sah zu April hinüber. Spaßeshalber entschied er sich, Partei für April zu ergreifen. Er konterte laut lachend: „Wir alle sind bis jetzt unfallfrei im Verkehr unterwegs gewesen, Matchbox. Aber soweit ich mich erinnere, hattest du schon einige…“, Colt machte ein kurze Pause und begann, mit Hilfe seiner Finger aufzuzählen: „Eine Klippe bist du hinuntergestürzt, unzählige Dreher und Verbremser waren dabei, Reifenpannen auch und last but not least ist dir schon ein Baum im Weg gestanden. Und du willst uns was von Sicher Autofahren erzählen? Komm schon, Niki Lauda, eine Fahrschule dürftest du keine eröffnen, dürftest du nicht!“

„Bis auf die alte Kiefer waren das alles Arbeitsunfälle, Freundchen!“, Fireball lachte munter auf, ebenso wie seine Freunde.

April strich sich die Augenbrauen zurecht und schüttelte den Kopf. Sie war froh, Fireball mit seinen Freunden darüber lachen zu sehen, denn Colts Scherz hätte auch ins Gegenteil umschlagen können und ihn wieder unglücklich darüber machen können. Aber das war nicht geschehen, Fireball fand seinen Spaß daran, das Fahrverhalten seiner Freunde zu bekritteln. April lachte: „Trotzdem. Wenn du auf der Heimfahrt nicht den Mund hältst und mich fahren lässt, wie ich fahre, lass ich dich aussteigen und nachhause laufen. Solange du keine Fahrerlaubnis hast, wirst du das Autofahren gefälligst denen überlassen, die einen solchen Papierfetzen haben, Matchbox.“

Fireball lachte immer noch herzlich. Er kniff die Augen zusammen und fuhr sich mit den Händen kurz darüber, um die Lachtränen wegzuwischen, als er bierernst zur Antwort gab: „Gut, dann geh ich gleich Montag früh zu Dr. Perry und hau ihn um eine Gesundschreibung mit allem Drum und Dran an.“

„Verschieb’s auf Dienstag, Fireball. Montagvormittag hast du schon was vor.“, Saber zog verstimmt die Augenbrauen zusammen. Aber er war nicht verstimmt über Fireballs Aussage, nein, er war verärgert über den Termin, dem sie am Montag beiwohnen mussten. Und wie er festgestellt hatte, war die Laune seiner drei Freunde so übertrieben gut an diesem Samstagvormittag, dass sie den Brief entweder noch gar nicht bekommen hatten, oder ihn noch nicht gelesen hatten. Vorsichtig tastete sich Saber deshalb an das Thema heran, als er den fragenden und verständnislosen Blick von Fireball auffing: „Ihr habt nicht zufällig Post vom Oberkommando erhalten?“

Colt blickte ausweichend zur Decke, er überlegte fieberhaft, ob er in der Post was übersehen hatte. Nachdem er alle Möglichkeiten durchgedacht hatte, sah er Saber mit hochgezogenen Augenbrauen an und schüttelte den Kopf. Seine Mundwinkel verzogen sich dabei leicht: „Nope. War nichts vom Oberkommando dabei. Weder in der Arbeit noch daheim.“

Das war eine kleine Lüge gewesen, denn Colt hatte bestimmt die letzten vierzehn Tage nicht mehr in sein Postfach im Oberkommando geschaut, weil es ohnehin immer leer war. Aber Saber musste ja nicht alles gleich wissen. Er würde später ohnehin erklären, weshalb er das fragte.

April schüttelte ebenfalls den Kopf. Sie kratzte sich verlegen hinterm Ohr: „Wenn was dabei gewesen ist, dann bestimmt gestern und ich war den ganzen Tag nicht zuhause. Keine Ahnung, ob was gekommen ist.“

Und auch Fireball enttäuschte die Hoffnungen seines Freundes. Er setzte sich endlich wieder aufrecht hin und hatte die Ohren gespitzt. Sein Instinkt verriet ihm, dass Saber unangenehme Post erhalten hatte. Erstens würde er sonst nicht fragen, ob sonst noch jemand einen Brief bekommen hatte und es wären Laura und Robin auch anwesend. Naserümpfend stellte sich Fireball auf Nachrichten von Allan ein. Fireball fuhr sich mit der flachen Hand über das Kinn und verneinte ebenfalls Sabers Frage: „Bis ich persönliche Post auf die neue Adresse zugestellt bekomme, wird’s wohl noch einige Wochen dauern. Wenn die vom Oberkommando auch was an mich geschickt haben, ist es nach Japan gegangen.“

Seufzend erhob sich Saber. Wohl oder übel musste er ihnen sein Exemplar zeigen. Der Schotte verwettete alles, was er besaß, dass Colt die Post einfach nur nicht durchgesehen hatte. Der Scharfschütze war in der Beziehung nachlässig und hätte er Robin nicht, die den Papierkram einmal die Woche für ihn aufarbeitete, würden sich die Rechnungen und Mahnungen bei Colt stapeln. Dem frisch zueinander gefundenen Pärchen glaubte Saber zwangsläufig. Mit seinem verunstalteten Exemplar kehrte er zu seinen Kollegen und Freunden zurück und legte es offen auf den Tisch. Sie sollten selbst lesen, bevor er sich den Mund fusselig quatschte.

April hob das Papier prüfend vom Tisch und streckte es so weit wie möglich von sich. Der Brief war alles andere als fein säuberlich gefaltet worden. Hatte Matthew den Zettel etwa zwischen seine kleinen süßen, aber alles vernichtenden, Fingerchen bekommen? Tatsächlich, der Absender war das Oberkommando, das Datum das von Vorgestern und der Brieftext an sich ziemlich lange. Sie legte den Brief wieder auf den Tisch und begann ihn vor Fireball und Colt zu lesen. Ihr Gesichtsausdruck war zuerst neugierig, doch dann verfinsterte er sich zunehmend. Bis sie das Papier schließlich von sich stieß und eingeschnappt die Arme vor der Brust verschränkte: „So eine Sauerei!“

Colt und Fireball hatten gespannt abgewartet, was April solche Falten auf die Stirn trieb. Als sie den Brief zum Weiterreichen freigab, schnellten zwei Hände auf den Tisch hervor. Colt war schneller, weil er näher saß, und deshalb riss er Fireball den Brief vor der Nase weg: „Pech gehabt, Rennsemmel. Zuerst bin ich dran. Übe dich in Geduld, das ist eine Tugend, die dir ohnehin gänzlich fehlt.“

Empört schob Fireball die Unterlippe vor und keifte: „Dir fehlen noch ganz andere Tugenden! Aber bitte: Alter vor Schönheit.“

Saber und April sahen sich kurz ungläubig an, dann schweiften ihre Blicke auf die zwei Streithähne. Als ob nie was gewesen wäre! Fireball und Colt benahmen sich, als ob die letzte Schlacht nie geschlagen worden wäre. Es war unglaublich. Ob auch Saber und April wieder nahtlos an alte Zeiten anknüpfen konnten?

Kurz war es still in der Wohnung. Bis Colt das Schreiben energisch von sich stieß und es Fireball in die Hände drückte. Er brummte: „Das willst du gar nicht lesen. Aber du musst.“

Der Rennfahrer überflog das Schreiben nur ganz kurz. Sein Schmollmund wurde dabei immer größer und wäre die Situation nicht so ernst geworden, wäre Colt vor Lachen weg gebrochen. Der junge Pilot zerknüllte das Blatt und warf es über die Schulter nach hinten. Er sah jeden einzelnen kurz an, dann platzte es aus ihm heraus: „Der miese kleine Verräter!“

Saber, der eine Nacht Vorsprung zum Verdauen der Hiobsbotschaft hatte, war der ruhigste in der Runde. Er verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust, überschlug die Beine und begann, auf seinem Platz leicht nach vor und zurück zu wippen. Leise begann er: „Irgendwelche Vorschläge, wie wir uns da rausmogeln?“

In Sabers Worten versteckten sich der Ernst und die Sorge sehr gut, aber er hatte auch nicht gelogen. Sie mussten sich tatsächlich irgendwie da rausmogeln, wenn sie ihre Jobs behalten wollten. Einer würde zu hundert Prozent fliegen und das auch noch ziemlich unschön, wenn die Kommission mit ihnen fertig war.

Fireball machte als erstes einen Vorschlag. Er wusste, wer den Ausschuss einberufen hatte und dieser jemand hatte ihm auch gesagt, dass er zu keinen Antworten gezwungen werden konnte. Bedächtig stand er auf. Wie immer, wenn die derzeitige Lage abzurutschen drohte, brauchte Fireball Bewegung. Und mittlerweile war er wieder ziemlich beweglich. Die Krücken hatte er aus Tokio gar nicht mitgenommen, er brauchte die grauen Gehhilfen nicht mehr. Ihm ging es wieder so gut, dass er immer öfter mit dem Gedanken spielte, sich wirklich gesundschreiben zu lassen und sofort um eine Fahrerlaubnis und auch wieder um eine Rennlizenz anzusuchen. Es juckte ihn nach so langer Zeit ungeheuer, endlich wieder einen Wagen zu steuern, deshalb wurde er von Tag zu Tag ein schlechterer Beifahrer, wie April an diesem Vormittag deutlich zu spüren bekommen hatte. Während er also im Wohnzimmer umhertigerte, meinte er: „Nicht hingehen, geht gar nicht. Aber wir können uns in Schweigen hüllen.“

„Das kann zu unserem Nachteil gedeutet werden, Fireball.“, Saber schüttelte frustriert den Kopf. Aber er hatte Verständnis für die Ansichten des kleinen Japaners. Sicherlich wäre es angenehmer gewesen, gar nichts zu den Anschuldigungen zu sagen, aber da gab es nicht nur das Problem, dass die Aussagen im Prinzip bereits in Papierform existierten, sondern auch, dass ihr Schweigen ein großer Vorteil für Aprils Vater gewesen wäre, der dann nur seine Version erzählen müsste und nie durch andere Argumente aus dem Gleichgewicht oder ins Wanken geraten konnte. Sabers Augen suchten einen fixen Punkt im Raum, den er ohne weiteres länger ansehen konnte. Sachlich entkräftete er Fireballs Argument mit den genannten Gründen und überlegte weiter: „Nichts sagen und nicht hingehen scheiden also de facto aus. Dann bleibt eigentlich nur noch die Frage, was wir sagen.“

Dieses Mal war es Colt, der einen Vorschlag zur Güte hatte. Energie geladen und Feuer und Flamme für seine Idee, erhob Colt die Stimme: „Die Wahrheit!“

Die Idee war so einfach wie genial gewesen, das war allen anderen auch klar. Aber auch die Wahrheit war nicht hilfreich in diesem Fall. Es würde mehr Fehler der Star Sheriffs aufdecken, als die von Commander Eagle. April verzog nachdenklich das Gesicht. Ihre Blicke wanderten immer wieder zu Fireball, der bald Kilometergeld verlangen konnte, wenn er weiterhin so auf und ab rannte. Aber ihre Gedanken waren auch bei ihrem Vater. Würde ihr Vater seinen Posten als Commander verlieren? April wurde bei dem Gedanken daran ganz anders. Aber sie wollte auch nicht, dass einer von ihnen die Stelle an den Nagel hängen musste. Am besten für alle Beteiligten wäre, wenn es zu keiner Anhörung kommen würde. Dafür allerdings hätten sie früher gegensteuern müssen, wie April verbittert bemerkte. Hätte sich doch nur alles früher klären lassen, dann könnten sie sich die neuerlichen Schwierigkeiten sparen!

Unvermittelt blieb Fireball neben seinen Freunden stehen. Er legte April seine Hand zaghaft auf die Schulter. Neben anderen Zärtlichkeiten auszutauschen war nach wie vor Neuland für Fireball, die Japaner waren in der Hinsicht ohnedies unterkühlter als andere. Er biss sich kurz auf die Lippen und raunte: „Ganz ehrlich, Leute? Ich will weder noch.“

Colt rückte mit seinen vier Buchstaben bis an die Kante der Couch vor und legte die Arme auf die Schenkel. Mit starrem Blick musterte er Fireball. Minutenlang war kein Vorschlag mehr gefallen und die einzigen beiden, die sie hatten, kamen für Fireball nicht in Frage. Colt verstand den Spund nicht. Warum nur gab er sich nie mit etwas zufrieden?

Was Colt dabei nicht aufgefallen war, Saber und April aber sehr wohl, war der bedrückte Blick des Rennfahrers. Der Schotte hatte sofort verstanden, dass Fireball keine Vorschläge, sondern die möglichen Urteile mit seiner Aussage gemeint hatte. Der Japaner war auch viel zu gut für diese Welt, wie es Saber durch den Kopf schoss.

April sah Fireball fragend an, wagte es aber nicht, ihn zu fragen, was er meinte. Mit einem tapferen Lächeln streichelte er ihre immer noch roten Bäckchen und murmelte: „Ich will weder, dass einer von uns, oder in dem Fall einer von euch, vom Oberkommando rausgeworfen wird, noch will ich, dass deinem Herren Papa so ein Schicksal blüht.“, Fireball sah Colt und Saber entschlossen an: „Also behaupte ich, wir überlegen uns, was wir von der Wahrheit erzählen und was wir uns sparen.“

Colt schüttelte ratlos den Kopf. Manchmal hatte er das Gefühl, bei Fireball war mehr als nur das Kreuz kaputt gegangen. Jeder andere hätte Commander Eagle dafür zur Schnecke gemacht, nur der kleine Japaner wieder nicht! Dem Kuhhirten drängte sich der Verdacht auf, dass Fireball rationaler und ohne Beeinträchtigung durch seine Gefühle darüber dachte, als sonst jemand in diesem Raum. Er musste einfach eine Lektion in seinem Leben gelernt haben, die die anderen noch nicht lernen mussten. Schulter zuckend beließ es Colt dabei und schenkte Fireball diesbezüglich einfach blindes Vertrauen. Er würde schon wissen, was er tat.

Mit neuerlich gewonnener Zuversicht überdachten alle vier ihre Aussagen, erklärten den anderen, was sie bei Allan erzählt hatten und entschieden sich mehrheitlich dafür, die Sache zwischen April und Fireball generell außen vor zu lassen. Würden dennoch Fragen zu einer angeblichen Liebelei gestellt werden, so konnten sie immer noch ausweichen und etwas von einer undefinierbar guten Freundschaft erzählen. Es war allen wichtig, bei dieser Anhörung am Montag möglichst gut auszusteigen, aber immer behielten sie dabei im Hinterkopf, dass nach Möglichkeit der Commander seinen Posten ebenso behielt.

Irgendwann hatten die vier angefangen, eine Liste zu schreiben, mit Punkten, die sie schonungslos ehrlich vor den Ausschuss rezitieren würden und Dingen, die unter dem Deckmäntelchen des Schweigens verschwinden würden. Die Liste wurde immer länger, bis sie irgendwann nach Einbruch der Dunkelheit davon überzeugt waren, es irgendwie hinzubekommen.

Kraftlos und schon mehr schlafend als wach machten sich Colt, Fireball und April spät abends auf den Nachhauseweg. Die Blondine zog es vor, bei sich zu schlafen, sie hatte die Befürchtung, dass sie neben Fireball im Bett kein Auge zubekommen würde. April setzte Fireball bei sich zuhause ab und fuhr dann zu sich ins Appartement. Colt fuhr nachhause und wollte eigentlich Laura dann bei Fireball abliefern, aber als er zuhause ankam, schliefen Robin und die kleine Asiatin bereits. Sie waren bei laufenden Fernseher eingeschlafen, augenscheinlich waren die zwei kleinen Kinder anstrengender gewesen, als üblicherweise. Colt seufzte und sattelte auf Plan B um. Es würde keinem mehr was helfen, wenn er Laura aufweckte und sie auf Biegen und Brechen aus dem Haus schaffen wollte. Schmunzelnd packte Colt zuerst seinen kleinen Gast und trug ihn ins Schlafzimmer, nachher nahm er seine zierliche Frau auf den Arm und brachte sie ins Bett.
 

Den Tag vor der Anhörung nutzten die vier Star Sheriffs getrennt voneinander. Jeder bereitete sich auf seine Weise auf den nächsten Tag vor, den niemand erleben wollte. Die Nacht war dank des langes Abends für alle erholsam gewesen.

Saber war so einsam in seiner Wohnung wach geworden, wie er eingeschlafen war. Das Aufwachen, alleine in einem Bett, war für Saber mitunter das Schlimmste an der Trennung von Synthia. Es war immer ein wunderschönes Gefühl gewesen, neben der Frau, die er liebte, morgens wach zu werden und in den Tag zu starten. Alles war ihm leichter gefallen, bis zu dem Tag, an dem Synthia ihn nicht mehr bei sich haben wollte. Mit diesen trübsinnigen Gedanken schwang Saber die Beine aus dem Bett und setzte sich auf. Er reckte sich der Sonne entgegen und stapfte in die Küche. Ohne eine Tasse Kaffee würde er gar nichts machen. Mit einer großen blauen Tasse stand Saber kurze Zeit später auf seinem kleinen Balkon und blickte in den Tag. Seine Gedanken kreisten um seine nicht allzu rosig aussehende Zukunft. Was der morgige Tag wohl bringen würde? Wann würde Synthia zum finalen Schlag ausholen und die Scheidung einreichen? Würde sie versuchen, ihm Matthew wegzunehmen? Und wie würde sich das Verhältnis zu Laura weiterentwickeln?

Der Vormittag lief für Sabers Geschmack viel zu ruhig ab. Es war das erste Wochenende ohne Matthew. Und das fiel dem Schotten sofort auf, alles war ganz anders, wenn sein Kind bei ihm war. Saber ertappte sich dabei, wie Matt ihn immer wieder aufheiterte, ihn aus seinen kleinen Krisen, die er doch regelmäßig in letzter Zeit auspackte, riss und ihm neuen Mut und neue Lebenslust schenkte.

Er zog sich gerade die Jacke über und wollte aus der Wohnung gehen, um Laura und Matthew bei Colt auf der Ranch abzuholen, als ihm die beiden aus dem Treppenhaus entgegenlächelten. Erstaunt hielt Saber in seiner Bewegung inne, für einen kurzen Moment hatte es ihm den Atem verschlagen.

Laura hielt Matt auf dem Arm und schunkelte ihn leicht. Dieser quiekte vergnügt auf und hielt sich mit den kleinen Händchen in Lauras Bluse fest. Der Kopf der zierlichen Frau senkte sich auf Matthew hinab, als sie in einem angenehmen Tonfall mit ihm sprach: „Siehst du, Matt. Dein Papa hat dich schon vermisst.“

Lauras Blick war dabei so liebevoll, als wäre es ihr eigenes Kind. Saber schluckte bei diesem Anblick, er versuchte, den Gedanken zu verdrängen, der sich in den Vordergrund schob. Sie wäre ein gute Mutter für Matthew. Sie würde ihm nie das Gefühl geben, das Kind einer anderen Frau zu sein, sollte er mit ihr aufwachsen. Unweigerlich erschrak Saber bei seinen eigenen Gedanken. Erwog er ernsthaft, Synthia das gemeinsame Kind wegzunehmen? Nein! Er selbst wollte ja auch nicht, dass ihm sein Sohn entzogen wurde, Synthia sollte das genauso erspart bleiben. Blinzelnd musterte er Laura und Matt noch einmal. Nein, wahrhaftig. Diesen Anblick würde Saber nie wieder aus seinem Gedächtnis streichen können, denn es verkörperte in diesem Moment alles, was er sich so sehr wünschte aber nicht haben konnte. Eine glückliche, kleine Familie. Die Szene hatte was von einem Sonntagsspaziergang. Wehmütig erinnerte sich Saber an seine eigene, behütete Kindheit. Eduard und Mary, seine Eltern, waren jeden Sonntag mit ihm rausgegangen, egal bei welchem Wetter. Sie hatten immer was zusammen unternommen. Es waren schöne Erinnerungen, aber auch hier trübte die Gegenwart die Idylle von damals. Saber musste seinen Eltern erst noch beichten, dass er als Ehemann versagt hatte.

Saber streifte seine Jacke zurecht und trat aus der Wohnung. Die Tür ließ er zufallen. Der Schotte nahm Laura sachte an der Schulter und drehte sie wieder Richtung Ausgang. Sanft strich er ihr über den Rücken und erklärte: „Lass uns noch ein wenig an die frische Luft gehen und den Tag genießen.“

Laura nickte und setzte sich zaghaft in Bewegung. Ihr war sein Blick nicht entgangen und Laura fragte sich, was er zu bedeuten hatte. Hatte sie etwas falsch gemacht, weil sein Blick immer trauriger geworden war, seit er die Tür aufgemacht hatte? Aber auf der anderen Seite stand diese kleine, unglaublich schöne Geste. Er hatte ihr nie zärtlich den Rücken gestreichelt, oder etwas in der Art. Begann sich Saber für sie zu interessieren, oder brauchte er selbst Trost? Sie umschloss den strampelnden Rider junior etwas fester, damit er ihr nicht entkommen konnte und ging neben Saber die Treppen wieder hinunter.
 

Der Gast war gleich nach dem üppigen Sonntagsfrühstück aus dem Haus verschwunden und Familie Wilcox war wieder unter sich. Colt hatte, sofort nachdem er das Geschirr vom Frühstückstisch in die Küche getragen hatte, die Post durchwühlt. Er suchte nach dem Brief vom Oberkommando, der sich auch tatsächlich in der Post fand. Mit eingezogenem Kopf hielt er das Kuvert in Händen und keuchte: „Au Backe!“

Er hatte Saber also diesbezüglich eiskalt ins Gesicht gelogen, dabei hatte er nur die Post nicht richtig durchgesehen. Ungestüm riss er das Kuvert auf und vergewisserte sich mit kurzen Blicken, ob das tatsächlich der selbe Schrieb war, den er bei Saber am Vortag schon gesehen hatte. Mit einem unbehaglichen Gefühl schlich er anschließend durch das Haus, den Brief fest in seiner rechten Hand. Robin stand gerade im Gästezimmer und machte das Bett. Vorsichtshalber räusperte sich Colt, ehe er anfing: „Hast du mich auch noch lieb, wenn ich kein Star Sheriff mehr bin, Schatz?“

Lachend drehte sich Robin zu Colt um, während sie die Bettdecke aufschüttelte. Ihre Augen blitzten neckisch auf: „Dann liebe ich dich erst recht, Cowboy!“

Als ihr aber auffiel, wie bedrückt Colt wirkte, hielt sie inne. Abschätzend, wie schlimm es sein konnte, verharrte Robin einige Augenblicke in dieser Position, ehe sie die Bettdecke achtlos fallen ließ und auf Colt zuschritt. Sie schlang ihre Arme um den Cowboy und hob den Blick zu ihm empor. Liebevoll und warmherzig klang ihre Stimme: „Ich liebe dich, Colt, egal, was du beruflich machst.“

Erleichtert seufzte Colt. Wenigsten diese Befürchtung löste sich in Wohlgefallen auf. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte er geglaubt, Robin würde ihn weniger lieben, wenn er nicht mehr das täte, was er immer getan hatte. Obwohl es äußerst unwahrscheinlich war, dass er seinen Job morgen verlieren würde, stellte sich Colt auf Jobsuche ein. Er hatte sich am Vorabend noch geschworen, sollte einer von ihnen seinen Job verlieren, würde er aus Solidarität und Freundschaft gleich mitkündigen. Er würde mit Ramrod nirgends hinfliegen, wenn sie nicht das alte Team auf Reise schickten!

Colt drückte Robin an sich, behutsam, aber dennoch fordernd. Er liebte es, sie nahe bei sich zu spüren, wie sich ihr Körper an seinen schmiegte. Noch war vom Zuwachs nichts zu sehen, auch gewichtstechnisch hatte sich noch nicht viel getan, aber Colt konnte schon erahnen, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde. Nur ihm und Robin fielen die ersten äußerlichen Veränderungen bereits auf, sie waren einfach zu unbedeutend für einen Außenstehenden. Robin schob ihre Hände in Colts Gesäßtaschen und rückte noch ein letztes Stückchen näher. Auch sie konnte von Colts Nähe nie genug bekommen.

Liebevoll lächelte Colt, als er sich zu ihr hinunter beugte und ihr einen zärtlichen Kuss auf die Lippen drückte. Danach strich er ihr die Haare von der Schulter und raunte: „Für morgen ist ein Untersuchungsausschuss im Oberkommando eingeplant worden. Und wenn einer von meinen Freunden seine Arbeit verlieren sollte, werde ich kündigen. Für so einen ungerechten Sauladen möchte ich dann keine Minute länger meinen Kopf hinhalten.“

Robin legte fragend den Kopf schief. Ihr Mann plauderte auch immer alles nur Häppchen weise aus! Die Hälfte ließ er weg und das andere verstand sie nicht. Mit gespitzten Lippen forderte sie noch einen Kuss von ihm ein, ehe sie nachhakte: „Oberkommando? Untersuchungsausschuss? Weswegen?“

„Wegen Allan. Er will Nägel mit Köpfen machen und seiner Karriere den entscheidenden Kick geben.“, Colt machte eine hilflose Handbewegung. Er wusste doch auch nicht mehr, wie sollte er seiner Frau da erklären, was das Theater zu bedeuten hatte? Seine Augenbrauen hoben sich unsicher und seine Augen prüften argwöhnisch Robins Reaktion.

Doch diese blieb aus. Robin erwiderte Colts Blick standhaft. Lange stand sie einfach nur da und versank in Colts blauen Augen. Bewegungslos und als ob sie aufgehört hätte zu atmen. Colt hatte schon Angst, es ginge ihr nicht gut und sie würde jeden Moment zusammenbrechen, doch er unterschätzte seine Robin jedes Mal wieder. Plötzlich nickte sie kaum merklich, ihre Gesichtszüge verrieten aber, dass sie hinter seiner Entscheidung stand. Kurz darauf sank sie in seine Arme und gab Colt einen leichten Kuss auf das weiße Hemd. Ihr Kopf lehnte sich gegen seine Brust und ihre Arme schlangen sich wieder um den Oberkörper ihres Gatten. Robin murmelte: „Es wird die richtige Entscheidung fallen. Ganz sicher.“

Aber außer dieser klaren Aussage hatte Colt auch noch was anderes herausgehört. Robin würde seine Entscheidung nicht anzweifeln, kritisieren oder als Grund für einen Ehezwist nehmen. Würde er kündigen, war Robin die erste, die voll und ganz hinter ihm stand und ihn dabei unterstützte. Robin würde seine Entscheidung ohne den kleinsten Zweifel mittragen und sie mit ihm gemeinsam durchstehen. Sachte küsste er ihren Scheitel und legte anschließend den Kopf in den Nacken. Er hatte die beste Frau in diesem Universum abbekommen, ganz sicher!
 

Fireball stand am Eingang zu dem riesigen Gebäudekomplex, in dem seine Wohnung lag, und wartete. Nun schon bestimmt eine viertel Stunde, wenn er so einen Blick auf die Uhr warf. Wie war das noch mal mit zehn Uhr? Fireball schüttelte den Kopf und stellte sich auf weitere zwanzig Minuten Wartezeit ein. Seine Verabredung kam auch immer zu spät! Gerade, als er genervt das Telefon aus der Hosentasche holte und anrufen wollte, fuhr ein mausgrauer Wagen vor und hielt an. Die Beifahrertür schwang auf und Scott lehnte halb auf dem Beifahrersitz. Er lachte: „Was ist, Champ? Wartest du auf eine Einladung mit Goldrand?“

Fireball stieg ein und sah Scott verständnislos an. Seine braunen Augen nahmen das Armaturenbrett unter die Lupe, sprangen kurz auf Scott und schließlich zur Gangschaltung hinunter, während er seinen Freund anmaulte: „Die hätt ich wohl besser dir schicken sollen! Hast du nicht extra zu mir zehn gesagt? Ich steh mir hier die Beine in den Bauch, während du wieder nicht aus den Federn kommst.“

Strotzend vor Selbstbewusstsein gab Scott zurück: „Dir muss sowieso mal einer Geduld beibringen, Shinji. Bei dir muss immer alles sofort und auf die Minute sein. Gewöhn dir das ab, so kommst du nie zu einer vernünftigen Frau!“, Scott drückte das Gaspedal scharf durch und zog die großzügige Straße stadtauswärts entlang.

Fireball musterte immer noch den Innenraum des Wagens, während er auf Scott zurück schoss. Die blödsinnigen Unterhaltungen mit seinem ehemaligen Teamchef machten ihm wieder unheimlich Spaß. Der Kerl da am Steuer konnte nicht ein einziges Mal ernst sein. Genau das war der Beweggrund für Fireball an diesem Tag gewesen, was mit ihm zu unternehmen. Scott würde ihm keine blöden Fragen stellen und sonstiges. Sie würden einen netten Tag miteinander verbringen und er würde ihn ablenken. Fireball gab sich die größte Mühe ernst zu klingen, aber sein Lachen verriet ihn: „Ich bin geduldig. Sonst wäre ich schon nicht mehr wie bestellt und nicht abgeholt am Straßenrand gestanden. Dir muss mal einer beibringen, die Uhr zu lesen.“

Scott lachte herzlich auf. Genau den Rennfahrer Shinji Hikari hatte er im Rennzirkus vermisst. Als Fireball ihn heute Morgen angerufen hatte, war Scott sofort klar gewesen, was heute auf dem Programm stand. Und deshalb war er auch wieder später als geplant weggekommen, er hatte vorher noch was organisieren müssen. Scott überholte einige langsamere Autos und grinste übers ganze Gesicht: „Auf meiner Uhr war’s zehn, als ich weggefahren bin!“

Jetzt erst schnallte sich Fireball an. Seit er nur noch Beifahrer war, war er schleißig mit dem Anschnallen geworden, aber bei Scotts Fahrweise wurde selbst Fireball katholisch. Sein Kumpel raste über den Highway wie über eine Rennstrecke und das behagte Fireball nicht. Nachdem der Gurt endlich straff saß und er noch einen prüfenden Blick auf den Tacho geworfen hatte, verschränkte Fireball die Arme vor der Brust und fragte: „Wohin entführst du mich denn jetzt eigentlich? Ich dachte, wir wollten in ein nettes Cafe was trinken gehen, aber die liegen alle hinter uns.“, skeptisch deutete Fireball dabei hinter sich.

„Neugierig und ungeduldig! Das ist der Fireball, den ich kenne!“, Scott konnte sich ein weiteres Mal das Lachen nicht verkneifen. Boshaft stänkerte Scott: „Ich entführ dich nach Honduras, was glaubst du denn? …Mensch, Junge wart’s doch einfach ab, lehn dich zurück und genieß die Vorfreude.“

Die beiden entfernten sich immer weiter aus Yuma City, sie fuhren an kleinen Vororten vorbei, immer weiter aufs Land hinaus. Bis dem Rennfahrer endlich klar wurde, wohin die Reise ging. Von nun an konnte er sich wirklich zurücklehnen und die Vorfreude genießen. Scott hatte wohl seine Gedanken gelesen.
 

April stand im Kontrollraum. Von der Seitenwand hatte sie die Abdeckplatten heruntergeschraubt und entwirrte einen Kabelsalat. Sie musste sich von ihren eigenen Gedanken ablenken. Zuhause wäre ihr beim Frühstück schon beinahe die Decke auf den Kopf gefallen. Auf Ramrod hatte sie eine Aufgabe, da fühlte sie sich wesentlich wohler, als in ihrer Wohnung. Von ihren Freunden hatte sie an diesem Tag noch nichts gehört, und darüber war April auch ein wenig froh.

Während sie die Kabel alle auf Fehler und blank liegende Stellen überprüfte, drifteten ihre Gedanken von ihrer Aufgabe ab. Fireball wollte nicht, dass ihr Vater seinen Job verlor. Aber weshalb? April konnte nicht glauben, dass er so großmütig war. Wäre sie in diese Lage gekommen, sie würde alles dafür geben, um Rache und Vergeltung für die Demütigungen und die Schmach zu erhalten, die man ihr angetan hatte.

April fühlte sich zerrissen. Sie liebte ihren Vater und wollte nicht, dass ihm Schlechtes widerfuhr. Aber sie liebte auch Fireball und sie wollte auch nicht, dass dem was widerfuhr. Klar, sie machte sich auch Sorgen um Saber, aber April hatte vorrangig das Problem, dass sie nicht recht wusste, ob sie zu ihrem Daddy oder zu ihrem Freund halten sollte. Das einzige, was sie wusste, war, dass sie entweder dem einem oder dem anderen helfen sollte.

Es war so schwer! Entmutigt drückte April die Kabel wieder zurück und quetschte die Abdeckplatte wieder darauf. Sie hatte Angst vor dieser Entscheidung, weil sie wusste, dass nur sie alleine sie treffen konnte. Niemand konnte ihr dabei helfen. Denn egal, wen sie dabei um Rat bat, sie alle waren parteiisch und würden April nur einreden versuchen, was sie gerne hätten.

Seit dem Gespräch mit ihrem Vater vor einigen Wochen war der Draht zu ihm wieder etwas besser geworden. Aber April hatte ihm nicht erzählt, dass Fireball wieder hier war. Die Blondine hielt es für das Beste die beiden voneinander fern zu halten. Außerdem half sie so ihrem Vater, sich nicht mehr in ihre Beziehung einzumischen. Wenn er nicht wusste, was war, konnte er sich auch nicht zwischenschalten. Er war seit Hiromis Tod um Jahre gealtert, aus dem stolzen Commander war ein alter Mann geworden, wie April an manchen Tagen vermehrt aufgefallen war. Vielleicht, so fragte sie sich, würde die Anhörung vor dem Ausschuss ihrem Vater den letzten Stoß versetzen.

Und dann war da auch noch ihr geläuterter Freund. Fireball hatte in den letzten Wochen und Monaten genug mitgemacht. Ihr war nicht entgangen, dass er manchmal wie versteinert vor einem Fenster stand und in die Leere starrte. Sie wusste, er war dann mit seinen Gedanken bei seinen Eltern und Haruto. Es war so vieles geschehen, was schwer zu verarbeiten war, besonders für Fireball. Zwischen dem hitzköpfigen Piloten von damals und dem Fireball von heute lagen ganze Galaxien. Inzwischen gab er sich auch gar keine Mühe mehr, das abzustreiten oder zu verbergen. Und April hatte endlich gelernt, dass es gut war, in welche Richtung sich Fireball entwickelt hatte.

Frustriert brummte sie. Die Gedanken halfen ihr bei ihrer Entscheidung kein Stück weiter. Also nahm April die nächste Abdeckung herunter und fingerte an den Kabeln herum. Am liebsten würde sie sich in einem Loch verkriechen und erst wieder rauskommen, wenn der Wirbel mit dem Untersuchungsausschuss vorbei wäre. Niemand würde sie vermissen, wie sich April einreden wollte. Wer würde schon denjenigen vermissen, wegen dem der ganze Mist überhaupt erst geschehen war? Aprils Augen kniffen sich zusammen. Es war wirklich zum Altwerden!
 

„Na, du?“

Erschrocken fuhr April in die Höhe, als sie Fireballs Stimme vernahm. Sie hatte an diesem Nachmittag nicht mehr mit jemanden gerechnet, den ganzen Tag über war es ruhig auf Ramrod gewesen. Mittlerweile war sie schon mit dem Laptop in der Küche gesessen und hatte Kalibrierungen am System vorgenommen. Die großen blauen Augen starrten Fireball, der mit verschränkten Armen lässig am Türrahmen lehnte und sie milde lächelnd musterte, an. Wie war er am Sicherheitspersonal am Eingang des Oberkommandos vorbeigekommen? Verblüfft fragte April: „Wie kommst du denn hier rein?“

Fireball stieß sich von seinem Platz ab und ging auf April zu. Er deutete auf die Tür hinter sich: „Wie alle anderen auch... Durch die Tür, Süße.“

Dabei lächelte er verschmitzt. Fireball wusste genau, dass er mit dieser Art von doofen Sprüchen immer für die richtige Ablenkung sorgte. Und April brauchte dringend Ablenkung. Er war schon einige Zeit in der Tür gestanden und hatte sie beobachtet. Nachdem er den halben Tag mit Scott verbracht hatte, hatte er das Bedürfnis gehabt, nach seiner Freundin zu sehen. Sie hatte sich seit dem gestrigen Abend nicht bei ihm gemeldet und seine Sorge um sie war berechtigt gewesen, wie er gerade festgestellt hatte. Ihr Blick war so traurig gewesen. Sie musste sich furchtbar quälen. Fireball wusste, dass April, wenn sie denn könnte, ihm und ihrem Vater helfen würde. Und was sie bekümmerte war ganz einfach die Tatsache, dass sie das nicht konnte.

April klappte den Laptop zu und stand auf. Sie brummte müde: „Haha, selten so gelacht.“

Die Blondine wusste nicht, ob sie Fireball gerade überhaupt sehen wollte. Im Gegensatz zu ihr war er gut gelaunt, schien sich um den nächsten Tag keine Gedanken zu machen. Der glückliche. April bewunderte Fireball für diese Gabe. Sie würde auch manchmal gerne so unbeschwert durchs Leben gehen. Es gab Situationen, die Fireball nicht im Geringsten beunruhigten. Und sie stand hier, zerbrach sich den Kopf und kam zu keinem Ergebnis!

Fireball legte April einen Arm um die Schultern. Sein Lächeln schrumpfte indes immer weiter zusammen, bis er besorgt dreinblickte. Sanft wollte er wissen: „Wie fühlst du dich, Süße?“

Ein wenig ungestüm drückte April ihn von sich weg. Sie war nicht in der Stimmung zum Kuscheln, deshalb war sie ja zu Ramrod gefahren. Sie hatte nicht so grob mit ihm sein wollen, denn sie hatte sehr wohl die Besorgnis in seiner Stimme und seiner Geste vernommen. Aber ihre unglückselige Gefühlslage schlug sich auch auf ihre Stimmung nieder. Bekümmert drehte sie sich um und murmelte: „Dass ich gerade kein Luftsprünge vor Freude mache, ist wohl verständlich, oder?“

Mit einem leichten Nicken setzte sich Fireball auf den Tisch. Den Laptop und die Unterlagen schob er dabei nach hinten weg. Mit den Händen stützte er sich auf und bedachte die Blondine mit einem verständnisvollen Blick. Einfühlsam definierte er seine Gedanken und Gefühle: „Keiner von uns freut sich auf Morgen, Süße. Und ich weiß, dass vor allem du dir Gedanken machst. Du zerbrichst dir den Kopf, das sehe ich, April. Aber das musst du gar nicht. Ich verstehe deine Gefühle und auch, dass du deinem Vater helfen willst. Mach dir keine Gedanken um mich. Ich bin nicht mehr im Oberkommando.“

Durcheinander nahm auch April Platz. Sie ließ sich auf dem Stuhl nieder, überkreuzte die Beine und nahm eine eher gekrümmte Position dabei ein. Ihre Schultern ließ sie hängen, ebenso den Kopf. Beide Hände ruhten auf Fireballs Oberschenkeln. Unendlich traurig hauchte sie: „Um wen, wenn nicht um dich, sollte ich mir Gedanken machen, Baby? Du bist mein Partner, ich sollte zu dir halten. Zu niemanden sonst.“

Als April zu ihm aufblickte, erkannte Fireball den Streit, der in ihrer Brust tobte. Ihr Herz zerriss sich selbst in zwei Teile. Es schnürte Fireball die Luft zum Atmen ab. Sofort nahm er Aprils Hände in seine, seine Augen ließen sie keinen Augenblick mehr unbeobachtet. Eine Hand führte er zu seinem Hals, damit sie seine Haut spüren konnte. Dabei beugte er sich so weit zu April hinunter, wie er nur konnte, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, damit sie seine Nähe wahrnahm. Behutsam nahm er ihr die Last ab: „Um deinen Vater, April. Er ist alles was du noch an Familie hast. Im Gegensatz zu mir hat er im Oberkommando noch etwas zu verlieren. Und ich muss so oder so zusehen, dass ich anderwärtig wieder auf die Beine komme. Niemand verurteilt dich, wenn du in dieser Situation zu deinem Vater hilfst, am allerwenigsten ich.“

April stand wieder vom Stuhl auf. Sie trat an die Tischkante, zwischen seine Beine und drängte sich an ihn. Ihre Arme umschlangen Fireball, während sie den Kopf verzweifelt an seine Schulter lehnte. Sie schluchzte beinahe: „Ja, ich weiß. Aber...,“ April schloss die Augen und krallte ihre Finger in Fireballs Schulterblätter. Es war nicht fair, ihren Vater Fireball vorzuziehen. Sie wollte es nicht wahrhaben, ihr Sinn für Gerechtigkeit ließ es nicht zu und deshalb raunte sie: „Er hätte es verdient. Mehr als jeder andere! Fireball, er hätte seinen ranghohen Posten nicht dazu gebrauchen dürfen, um dich zu peinigen und für etwas zu bestrafen, wofür du nichts konntest!“

April war mit ihrem Latein am Ende, vor Verzweiflung machten sich nun auch noch die ersten Tränen auf den Weg über ihre Wangen. Sie benetzten Fireballs weißes T-Shirt, ihre Augen, die sie ganz fest in den Stoff drückte, hinterließen schwarze Wimpernabdrücke darauf. Ihre Verzweiflung drückte sich durch ihr Verhalten aus. Sie klammerte sich an Fireball, drückte sich so eng wie möglich an ihn.

Überrascht ließ Fireball April gewähren. Er strich ihr über den Rücken, gab ihr Halt und Zuversicht. Die Blondine zerbrach an dem Druck, den sie sich gemacht hatte. Und wieder konnte sich der ehemalige Rennfahrer den Schuh anziehen, April wehgetan zu haben. Er liebte sie und deshalb flüsterte er ihr zärtlich ins Ohr: „Das ist doch nun völlig egal. April, nur dass wir beide noch einmal eine Chance bekommen haben, zählt. Egal, was dein Vater getan hat, er ist ein guter Commander und ein ausgezeichneter Feldherr. Um uns beide geht’s morgen nicht, nur um die Position deines Vaters.“

April drückte sich an Fireballs Brust und schluchzte bitterlich. Sie verstand nicht, weshalb Fireball so großmütig war: „Hast du vergessen, was er dir alles angetan hat, Fireball? All das, was du ertragen musstest?“

Die blonde Frau schüttelte den Kopf. Nein, sie verstand es ganz einfach nicht. Sie hatte nur Ausläufer des Zwistes zwischen Fireball und ihrem Daddy erlebt und die waren schrecklich genug für sie gewesen. Wie unerträglich musste es dann für Fireball gewesen sein? Aber dieser saß hier und versicherte ihr, dass sie ohne schlechtes Gewissen ihrem Vater helfen konnte, ohne sich dabei um ihn kümmern zu müssen.

Ergeben seufzte Fireball: „Vergessen? Wie könnte ich das jemals vergessen?“, der Japaner versteckte das Gesicht in Aprils wallender Mähne. Seine Hände umfassten sie fester und gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit. Noch einmal versuchte er ihr seine Sicht der Dinge zu erklären. Er flüsterte ihr ins Ohr: „Die Vergangenheit sollte keinen von uns mehr belasten, keinen. Ich lebe immerhin noch und halte die Frau im Arm, die ich liebe. Und dein Vater ist und bleibt der kompetenteste Mann in dem Sauhaufen hier.“

Fireball schmunzelte bei diesen Worten leicht, sie klangen zum Schluss schon beinahe neckisch. Er hoffte nur, dass sie ihre Wirkung bei April nicht verfehlten. Sie sollte aufhören, daraus so ein riesiges Problem zu machen. Denn für Fireball war es keines. Für ihn war klar, dass April zu ihrem Vater halten sollte, Blut war schließlich immer noch dicker als Wasser und er brachte ihr dafür das nötige Verständnis entgegen. Sonst würde er sie nicht dazu ermutigen.

Dankbar umklammerte April Fireball noch fester. Sie griff mit den Händen seinen Rücken hinauf und hielt sich damit an seinen Schultern fest. Ihr Kinn legte sie auf die linke Schulter. Fireball war in seiner Liebe zu ihr so großherzig und verständnisvoll. Er verlangte nicht von ihr, auf seiner Seite zu stehen. Nur sie selbst. April verlangte von sich selbst, für Fireball in jeder Lage da zu sein, auch wenn es dabei um ihre eigene Familie ging.

Allmählich versiegten die Tränen der Blondine, Fireballs innige und beschützende Umarmung beruhigten sie wieder. Immer wieder holte sie tief Luft, damit keine neuen Tränen mehr aufstiegen, denn sie fühlte sich tatsächlich besser. April hatte erkannt, dass Fireball bei ihr bleiben würde, egal welchen Ausgang der nächste Tag nahm. Sie flüsterte, immer noch überwältigt von den Gefühlen, die wie eine Sturmflut über sie hereingebrochen waren: „Ich lass nicht zu, dass ich dich noch einmal verliere.“

„Na, so schnell wirst du mich auch nicht mehr los!“, Fireball löste die herzliche Umarmung und lachte April mit strahlenden Augen entgegen. Was glaubte die Gute denn? Dass er die selben Fehler zwei Mal machte? Nichts da! Den einzigen Fehler, den er noch machen würde, war sich eine Ehefrau anzulachen. Und wenn er genauer darüber nachdachte, hielt er seine Zukünftige schon in seinen Armen. Mit einem leichten Lächeln nahm er April die letzten Zweifel: „Ich liebe dich, meine kleine Taiyo. Die Wohnung hab ich mir gekauft, weil ich bei dir sein möchte. Ich möchte dich bei mir haben, jeden Tag... für immer... für ewig...“, dabei fuhr er April sanft die Konturen ihres Gesichtes nach. Seine Augen hafteten an ihren, als er ihr einen innigen Kuss gab und flüsterte: „Seelen reisen zusammen, doch wenn sie auf die Erde kommen, werden sie voneinander getrennt. Sie suchen sich oft ein Leben lang, aber wenn sie sich wieder finden, bleiben sie zusammen, bis in alle Ewigkeit.“, wieder bedeckte er Aprils Lippen mit einem zärtlichen Kuss. Fireball konnte die Liebe, die er für April empfand nicht mehr verbergen: „Ich habe meine zweite Seele endlich wieder gefunden.“

April blickte Fireball überrascht an. War das gerade...? Sie konnte nicht einmal daran denken, dass er sie gerade gefragt hatte, ob sie für immer an seiner Seite blieb. Es kam so plötzlich, nie im Leben hätte April damit gerechnet. Nicht jetzt, nicht hier und nicht so. April war sichtlich bewegt, angesichts seiner herzergreifenden Worte, doch war sie nicht im Stande, ihm eine Antwort zu geben. Sie erwiderte seinen zärtlichen Kuss, doch gleichzeitig versuchte sie, etwas Abstand zu Fireball zu gewinnen. Sie schälte sich aus seiner Umarmung und grinste ihn breit an. Sie versuchte herauszufinden, wie ernst er diese Worte gemeint hatte: „Ich weiß nicht, Fire. Bei deiner Lebenserwartung ist die Ewigkeit nicht so ewig.“

Da traute man sich endlich, der Frau seines Lebens seine Gefühle offen zu legen und das war alles, was er dafür erntete? Fireball stieß sich vom Tisch ab und landete auf seinen beiden Beinen. Irgendwie war er enttäuscht von Aprils Worten, hatte er doch eigentlich damit gerechnet, dass sie ihm wenigstens auch sagte, was sie für ihn empfand. Die Enttäuschung verflog allerdings genauso schnell wieder, wie sie aufgekommen war, als Fireball über sein Verhalten nachdachte. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt dafür gewesen. Wenigstens, so lachte Fireball im Gedanken über sich selbst, hatte er nicht direkt um ihre Hand angehalten, April wäre sonst neben ihm tot umgefallen. So hatte sie ihm wenigstens die Chance gegeben, all das ins Komische hinüberzuretten und den Moment nicht zu zerstören.

Fireball zog beleidigt die Mundwinkel nach unten und verschränkte die Arme vor der Brust: „Hey! Lachst du mich etwa aus?“, herausfordernd fixierten seine dunklen Augen die Blondine: „Mach nur weiter so und ich werf mich vor Verzweiflung in die Arme deines Vaters.“

April lachte herzlich auf. Das war grade noch mal gut gegangen. Sie liebte Fireball zwar, aber noch wusste sie nicht, ob sie mit ihm alt werden wollte. Er sollte ihr einfach noch ein wenig Zeit geben, alles andere würde sich von selbst ergeben. Die Blondine griff nach dem Kuli, der auf dem Tisch lag, und warf ihn mit aller Wucht nach Fireball: „Du!!! Wehe dir!“

Lachend duckte sich Fireball unter dem Kuli hinweg und sprang auf April zu. Stürmisch riss er sie von den Beinen und verfrachtete sie auf die Bank. Er drückte ihre Hände über dem Kopf zusammen und beugte sich lachend über sie: „Heute fliegen die Kulis wieder verdammt tief. Das wirst du mir büßen, Taiyo!“

Die ungezügelte Leidenschaft seines Spitznamens verschloss April immer wieder die Lippen. Zwischen zwei Küssen murmelte April: „Taiyo? ...Was bedeutet das?“

„Sonne, mein kleiner Sonnenstrahl.“, Fireball bedeckte nun lieber mit seinen Lippen ihren Nacken. Inzwischen hatte er ihre Arme losgelassen, weil er beide Hände für ihre Bluse brauchte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2008-04-07T14:54:24+00:00 07.04.2008 16:54
Das warten hat sich wirklich gelohnt.
Richtig tolles Kapitel :-)
Total süß fand ich die Gefühlswelt von Saber und Laura. Da sieht er sie schon als Ersatzmama für Matt. *smile*
Gewartet hab ich mit jeder Seite auf das zusammentreffen zwischen Fire, April und Eagle. Ich bin so gespannt, wie er auf die Beziehung zwischen den beiden reagiert. Kanns kaum abwarten.
Liebe Grüße
Mona
Von: abgemeldet
2008-04-05T22:40:35+00:00 06.04.2008 00:40
super geschrieben, ich bin begeistert!


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