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Open Frontier

Wettbewerb des KouKou-Zirkels
von

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Bei den paar Freunden, die Kouji angeblich eingeladen hatte, handelte es sich, wie ich feststellte um circa achtzig Leute die sich im der winzigen Drei-Zimmer-Wohnung gegenseitig auf den Füßen standen.

Obwohl man es eigentlich nicht mehr als „stehen“ bezeichnen konnte, wie dieser Haufen Besoffener mehr oder wenig erfolgreich der Schwerkraft zu trotzen suchte.

Aus den Boxen der Anlage im Wohnzimmerschrank klang Rockmusik, die ich nicht kannte und einige der Mädchen versuchten dazu zu tanzen.

Kouji saß, rechts und links je ein spindeldürres Mädel mit sektseliger Grimasse, auf dem Sofa und schien mit einem Typen zu diskutieren, dem ich gerne reinschlagen wollte.

Ich verkehre vielleicht nicht regelmäßig in „Künstlerkreisen“ aber ich bin nicht dumm und so war es nicht verwunderlich, dass mir die Blicke nicht verborgen blieben, die dieser Typ meinem kleinen Bruder zuwarf.
 

Wenn man mir gewogen wäre, hätte man es als brüderlichen Beschützerinstinkt deuten können, dass ich es nicht mochte dass ein kleiner, dicker, schmieriger Typ Kouji ansah, wie einen besonders großen Schokoriegel.
 

Ich muss zugeben, mein kleiner Bruder war schon ausgesprochen ansehnlich, wenn man darüber hinwegsah, dass er verschiedenfarbige Socken trug.

Sein Gesicht war ein blasses ebenmäßiges Oval, er hatte eine perfekte gerade Nase, deren Flügel sich auf bezaubernde Weise zu blähen wussten, wenn er sich aufregte.

Seine Lippen waren zart geschwungen und appetitlich süß, wie Erdbeersaft und seine Augen waren groß, mandelförmig und ungewöhnlich blau.

Und sein Körper war nun schlank und geschmeidig im Gegensatz zu meinem, auf dem Bewegungsmangel, Bürojob und ein etwas zu üppiges Essverhalten ihre Spuren hinterlassen hatten.
 

Nun nach dieser Ausführung spätestens müsste selbst dem letzten Zweifler klar geworden sein, dass sich meine Gedanken bezüglich Kouji empfindlich mit der landläufigen Vorstellung von einem gesunden Verhältnis unter Brüdern beißen.

Und um ehrlich zu sein, mir ist das ziemlich egal.

Solange ich nichts verbotenes tue und nur ab und zu ein bisschen an ihn denke, kann man mir ja nun wirklich keinen Strick daraus drehen.

Die Gedanken sind ja bekanntlich frei.
 

Trotzdem sollte ich mich beherrschen dem Triefauge da vorne nicht an die Gurgel zu springen. Schließlich ist Gewalt verabscheuungswürdig und keinen Lösung.
 

Ich seufzte und goss mir noch ein Glas Wein ein.

Den stärkeren Getränken hatte ich mich bis jetzt erfolgreich erwehren können.

Wenigstens einer musste hier ja schließlich entsprechend verhandlungsfähig bleiben, falls wütende Nachbarn, die Polizei, die Drogenfahndung oder der Sensenmann auftauchen sollten.

Und da ich sowieso aufpassen musste, dass nicht einer der Hieranwesenden meinem Bruder zu nahe trat, konnte ich mich ja auch gleich dieser Aufgabe stellen.
 

Takuya sah sehr seltsam aus, wie er da im Versuch zu tanzen herum torkelte. Ich sah ihm amüsiert zu und ignorierte die rotgefärbte, weibliche Person, die sich da neben mich auf meinen(!) Stuhl zu quetschen versuchte.

Von Weibern hab ich für die nächste Zeit erst mal genug.

Einen Moment tauchte in meinem Kopf das Bild meiner Nun-Ex-Frau auf, wie sie ihre und Kimikos Sachen in einen Koffer schmiss und laut kreischend und heulend aus dem Haus rannte.

Ich frage mich bis heute, warum die Frau mir Vorwürfe gemacht hat, dass SIE mit dem KINDERGÄRTNER meiner Tochter in die Kiste, beziehungsweise Waschküche, gehüpft war.

Ganz zu schweigen von ihrer Affäre mit dem Bofrost-Mann, dem Techtelmechtel mit ihrem Chef und diesen kleineren Stelldicheins mit unserm Nachbarn…

Aber sie hatte sich bestimmt eine Geschichte zusammengebastelt, die sie meiner Tochter präsentieren konnte.

Fünf Ehejahre hatte ich geglaubt, endlich die heile Familie zu haben, nach der ich mich immer gesehnt hatte.

Egal, jetzt war nicht der Zeitpunkt um zu grübeln, befand ich und nippte an meinem Glas.

Eines musste man Takuya lassen, der Wein war erstklassig.

Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, schlug der Spender des edlen Tropfens mit einem dumpfen Laut auf dem Teppichboden auf.

Irgendwie, so schien es mit, hatte der Kerl dieser Tage eine recht intensive Beziehung zum Fußboden. Er schien regelrecht auf ihn zu fliegen.

Ich seufzte erneut und warf einen Blick auf die Uhr, während Takuya von einem Mann, dessen Gesicht mir von irgendwoher bekannt vorkam, auf die Beine geholfen wurde.

Das heißt er versuchte es, was zum Ergebnis hatte, dass ein wirres Knäuel aus Armen Beinen und lallenden Stimmen auf dem Boden rumkugelte.

Es war erst kurz nach halb elf, wie wollten die bis Mitternacht durchhalten?
 

„Nii-kun!“ rief Kouji, was mich dazu veranlasste ihn irritiert zu mustern. Es dauerte einen Moment, ehe die kleinen Rädchen in meinem Hirn einrasteten und mir signalisierte, dass es nur einen gab, den er damit meinen konnte.

Nämlich meine Wenigkeit. Schließlich hatte mein Bruder nur einen großen Bruder.
 

Er nannte mich NIE so.

Es passte einfach nicht zu uns und ich fand es okay so.

Ich nannte ihn ja auch nicht „Aniki“ und meinte es ernst.
 

„Junge du bist besoffen.“ merkte ich sehr intelligent an, als ich eine der dürren Grinse-Mädels von ihrem Platz vertrieb und mich selbst neben Koji aufs Sofa pflanzte.

„Erzähl mir was neues.“ grinste Kouji ungerührt und legte zu meiner Verwunderung seinen Kopf auf meine Schulter.
 

Wir hatten noch nie eine besonders große körperliche Nähe gepflegt, ein flüchtiges Schulterklopfen oder ein unbeholfenes Anstubsen waren vielleicht die größte Nähe die wir zuließen.

Einfach weil es seltsam war einen Menschen zu berühren, der zwar aussah wie man selbst, sich jedoch so ganz anders benahm.

Als würde man zuschauen, wie der eigene Körper von jemandem anderen gelenkt wird ohne dass man eingreifen kann.

Ein seltsames Gefühl.
 

Der Typ, mit dem sich mein Bruder unterhalten hat, wurde mich vorgestellt, doch meine Abneigung milderte dies nicht. Ich vergaß den Namen gleich wieder.

„Vielleicht kennst du…“ Wann hatte ich der Gesäßfidel erlaubt mich zu duzen? „…meine Bilder ich bin Fotograph und auf ungewöhnliche Familienportraits spezialisiert.“

Aha. Und was will der dann mit mir?

„Er hat gefragt ob er uns mal photon darf.“

Danke, für diese wenn auch etwas undeutliche Antwort auf meine ungestellte Frage, Kouji. Muss wohl doch sowas wie Gedankenübertragung unter Zwillingen geben.

Mein Bruder grinste so breit, dass es schon fast unheimlich war.

Ich meine, ich freu mich ja, wenn er glücklich ist, aber ich fragte mich trotzdem, was er zusätzlich zu diesem quietsch-grünen Gesöff in seiner Hand wohl noch intus hatte, dass er so glücklich war.

„Aha.“ Ließ ich verlauten und schaut ihm beim Grinsen zu.

„Was ist photon?“

„Ein Neologismus.“ Kouji strahlte wie ein ganzer Reaktorenpark vor sich hin und ich fühlte mich schon ein bisschen leicht doof. Ich konnte nicht mal im nüchternen Zustand derartige Wörter wie „Nologismus“ dechiffrieren und der warf sie stockbesoffen mal eben in die Gesprächswelt raus, als wären sie so klar verständlich, wie „Kühlschrank“ oder „Balkon“.

„Aha.“ Sagte ich trocken.
 

„Ey, Matt!“ rief der Typ, dessen Namen ich vergessen habe, weil er unsympathisch und hässlich ist und Interesse an meinen Bruder äußerte.

Gerufener verlor vor Schreck dass gleich Gewicht und purzelte samt ramponierter Akustikgitarre vom Wohnzimmerschrank.

Ist, meiner Meinung, auch nicht ganz plausibel warum er da hochgekrabbelt ist. Man kann auch doof sein.

„Boah ey!“ knurrte Blondie und steckte den Kopf aus dem Schoß seiner rothaarigen Begleitung. „Willst du mich umbringen? Mein Gesicht ist mein Kapital, Hornochse.“

Wenn er nicht mehr lebt bringt ihm sein Kapital auch nix mehr, dachte ich während ich mich aufrappelte.

Wie mich das alles ankotze. Man entschuldige meine vulgäre Ausdrucksweise.

Möglichst ohne, von dem Schwall einer schwarzhaarigen, jungen Dame, die meinen vorletzten Satz wohl recht wörtlich genommen hatte, mit ihrem Abendessen bespuckt zu werden ging ich in den Flur und holte meine Jacke.
 

Vor dem Wohnzimmer gibt es einen kleinen Balkon.

Er ist vielleicht einen Quadratmeter groß und momentan wird der meiste Platz von einigen Kisten Bier vereinnahmt, aber es ist ruhig im Gegensatz zu dem Krach der innerhalb der vier Wände meines Bruders herrscht.

Nun…so ruhig, wie es um kurz vor elf in Tokyo eben sein kann.

Der kühle Wind von der See wehte durch die Straßen hindurch und um meine Nase, während er das stete Heulen von Sirenen zu mir trug.

Es war Freitagabend in einer Großstadt, also wunderte es mich nicht.
 

Da die Wohnung relativ hoch liegt, ist es mit möglich über die Dächer einiger niedrigerer Hochhäuser hinweg den Himmel sehen.

Die Luft ist aprikosenfarben durch die Wolken, welche die Lichter der Stadt reflektieren.

Vereinzelt reißt die Wolkendecke auf und schwarz und sternfunkelnd blitzt das Antlitz der Nacht hindurch.

Seufzend setze ich mich auf einen der Bierkästen.

Ich hör morgen auf, nehme ich mir vor, während ich mir eine Zigarette anstecke und ruhig den ersten Zug nehme.

Der weise Rauch kräuselt sich in von mur und ich frage mich, warum ich eigentlich gekommen bin.
 

Es war dumm zu glauben, man könne fünf Jahre Familienleben einfach so verdrängen.

Wie naiv ich war zu glauben, dass es etwas bringen würde vor meinem leeren Zuhause zu flüchten, wo mir die Decke auf den Kopf fiel.

Was sollte ich hier?

Hier, in einer Wohnung voller Postpubertärer, die Teenager spielten.



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