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Marmeladenbrot

von

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Erstes und einziges Kapitel

Disclaimer: Sie gehören nicht mir und ich bekomme kein Geld dafür.

Personen: Joey, Tristan

Kommentar: Entstand aus einer Laune heraus an einem Mittwochmorgen vor der Uni. Fast wäre ich dahin zu spät gekommen.
 

Marmeladenbrot
 

Als Joey an jenem Morgen erwachte, stellte er fest, dass seine Gefühle ihn verlassen hatten.

Wie eine Wunde, die über Nacht verheilt und tags darauf nur noch wie ein roter Streifen auf der Haut liegt. Die Erinnerungen an Freude und Schmerz waren ihm wie eine frische Narbe geblieben und irritierten ihn.

Sollte es jemals eine Welt gegeben haben, in der er weinte und heimlich in seinem Zimmer tobte und Schränke kaputtschlug, nachdem sein Vater dasselbe mit ihm gemacht hatte?
 

Die Sonne schien und Joey stieg mit einer ungekannten Leichtigkeit über Bierflaschen und seinen auf dem Boden schlafenden Vater hinweg, suchte sich in der Küche einen Toast und etwas Nougatbelag zusammen und frühstückte. Das gute Wetter änderte nichts an seiner Stimmung. Die Sonne war da, doch ihre Strahlen berührten Joeys Innerstes nicht. Es kam ihm ein wenig vor, als ob seine Gefühle die Waren eines lächerlichen Kleinbetriebes in seiner Brust gewesen waren, eines Betriebes, der nun pleite gegangen und ausgezogen war.

Etwas fehlte, durchaus. Aber es fühlte sich nicht schlecht an. Genauer genommen fühlte es sich überhaupt nicht an und das Paradoxon der Unmöglichkeit, über das Fehlern aller Gefühle traurig zu sein, schwappte diesen Morgen über dem Jungen zusammen.
 

Er packte seine Tasche und betupfte seine letzte Nacht von seinem Vater an der Wand wundgescheuerte Schulter noch einmal mit etwas Salbe, zog den grünen Blazer an und ging zur Schule.

Ein paar Mal ertappte er sich dabei, wie er sich selbst auf den Rücken fasste um zu prüfen, ob dort nicht ein Aufziehschlüssel oder eine Schnur herausragte. Er fühlte sich ein wenig wie ein Aufziehvogel- alles ging von allein, aber er war gar nicht dabei. Beinahe schon routinemäßig fasste er sich an den Hals um nachzuprüfen, ob er überhaupt noch lebte. Der Schreck war verschwindend gering, denn Joey hatte keine Angst mehr.

Nein, der Puls ging regelmäßig.

„Zum Glück. Und schade.“, murmelte Joey sich selbst zu, doch die Worte waren leere Hüllen.
 

Als er im Matheunterricht saß und mechanisch Tafelbilder abschrieb, dachte er nach, wie es diese Nacht dazu hatte kommen können, dass er nunmehr nichts empfand. Es waren keine anderen Dinge geschehen als sonst. Alkoholexzesse seines Vaters waren an der Tagesordnung und der hatte ihn schon viel schlimmer zugerichtet. Vielleicht lag es am Wetter? Ein Tiefdruckgebiet?

Vielleicht war Joey in einer Parallelwelt aufgewacht, in der es Gefühle nicht gab?

Aber nein, das konnte nicht sein.

Als er sich umsah und seine Mitschüler lachten und sich ärgerten und ganz normal waren, verwarf er diese Theorie. Er starrte Seto Kaiba an um sich an den Ärger über ihn erinnern zu können. Dann spürte er die unsichtbare Wand, die ihn zurückhielt, wie watteweicher Stahl, der sich um seine Brust schnürte.
 

In der Pause saß Joey allein auf dem Schuldach und überlegte, ob er eine Karriere als Profikiller anstreben sollte. Wer konnte besser töten als einer, dem die Opfer nicht leidtaten und der sich nicht von Tränen und Betteleien beeinflussen ließ? Die Yakuza brauchten Leute wie ihn. Vielleicht würde er eintreten, morgen schon, und sich irgendwann einen großen, roten Drachen auf seinen Rücken tätowieren lassen, einen, der die ganze Haut bedeckte.
 

„Hey, Kumpel, was tust du denn hier so allein?“

„Nichts.“

„Wieder kein Pausenbrot?“

„Nein. War nichts mehr da zu Hause.“

„Oh...das tut mir Leid, Mann. Hier, nimm eins von meinen. Marmelade ist doch okay, oder?“

„Ja, danke.“
 

Es war ein bisschen schwierig, so mit Tristan zu sprechen. Joey bemühte sich um seine alltägliche Ausdrucksweise, doch sie schien ihn zu ermüden und so beschränkte er sich auf das Nötigste. Sie saßen nebeneinander und er biss in Tristans Marmeladensandwich. Eine sanfte Brise fuhr tröstend über ihn hinweg.

`Dabei brauche ich gar keinen Trost.´, dachte Joey.
 

„Ist irgendwas los bei dir?“

Tristans Gesicht schob sich in sein Blickfeld.

Eigentlich war alles wie immer. Der Kerl hatte Schmutz auf dem Revers seines Blazers und seine Haare schlampig gegelt und die Sonne in den braunen Augen blitzen.
 

Dann schien sein Blick auf Joeys zugecremte Schulter zu fallen, die unter dem weißen T-Shirt hervorlugte, da Joey der Wärme wegen den Blazer ausgezogen hatte.

Er sagte nichts, aber Joey konnte den Blick sich in sein Fleisch bohren spüren.

Spüren. Spüren.

Da regte sich doch nicht etwas?

Der Junge konnte nicht entsetzt sein, doch er betrachtete die Tatsachen aufmerksam.
 

„Dein Alter schon wieder?“

Tristan schüttelte den Kopf.

„Wir müssen dich da rausholen, echt.“

„Nicht nötig.“, sagte Joey kauend.

„Das geht schon in Ordnung. Ich kann mich damit durchaus arrangieren.“

„Arrangieren?“

Tristan lachte lautlos.

„Herrgott, du gibst dich zuviel mit Kaiba ab. Du klingst schon so wie er. So..“

„..gefühlslos?“, fragte Joey interessiert nach.

Sein Freund schüttelte abermals den Kopf.

„Quatsch.“, entgegnete er dann.

„Kaiba hat Gefühle, das wissen wir doch. Der hat mehr Gefühle als du und ich zusammen. Der verdrängt sie nur bis zum Getno. Und irgendwann jagt er sich eine Kugel durch den Kopf, weil er´s nicht mehr aushält.“

„Kaiba ist eine Maschine, das geht schon.“
 

Joey biss noch einmal ab und spürte klebrige Marmelade in seinen Mundwinkeln.

„Alter, was erzählst du da?“, sagte Tristan entgeistert.

„Ich weiß, du magst ihn nicht besonders, aber er ist doch keine Maschine. Kein Mensch kann ´ne Maschine sein.“

„Doch, das geht schon.“

„Nein. Bestimmt nicht.“

Tristan lachte erneut, doch das blieb nicht lange.

„Doch, wenn ich dir das sage, ist es auch so.“

Die Marmelade wurde heiß im Mund.
 

„Nur weil du´s gerne so hättest, muss es nicht stimmen!“

Plötzlich sah Tristan ernst und ärgerlich aus.

„Was ist bloß los mit dir, dass du plötzlich so einen Kram redest?! Maschine, so ein Blödsinn. Guck dich mal an, Joey! Maschinen flennen nicht!“

Und tatsächlich.

Unbemerkt waren zwei Tränchen in Tristans Toast getropft.

Joey starrte auf das Brot, tatsächlich entgeistert und verwirrt und spürte, wie sein Magen sich umzudrehen begann. Er hatte klebrige Marmelade im Mund, die Fäden zwischen seinen leicht geöffneten Zähnen zog. Er hatte Tränchen auf den Wangen. Und er hatte den Wunsch, diesen Moment ungeschehen zu machen.

Tatsächlich. Wie hatte Joey sich so irren können?
 

Wie Blut, das aus einer Wunde strömt, wenn man die Kompresse abnimmt, stürzte alles wieder hervor, mehr und heftiger als er sich hatte erträumen können.
 

„Oh Gott...“, hörte er Tristan leise rufen, aber er erkannte schon gar nichts mehr, weil die Sonne so blendete.

„Sorry, so wollte ich´s nicht ausdrücken! Tut mir Leid!“
 

Wenn Tristan mit der Situation überfordert war, ging er zu direktem Körperkontakt über. Das hatte etwas durchaus Äffisches, fast schon Primitives. Aber es hatte auch seine guten Seiten.

Gefühle waren schließlich, wenn es nach Kaiba ging, auch etwas Primitives.

Aber mit primitiven Sachen war es eben so; man brauchte sie. Sie machten einen zum Menschen.
 

`Es war einen Versuch wert.´, dachte sich Joey im Stillen, als Tristan ihn in seinen Armen umklammert hielt und versuchte zu trösten. Seine Gedanken hatten sich ein Stück abgespalten von seinen leisen Schluchzern und den zitternden Schultern und dem Brot, das auf den Boden gefallen war.

´Mission fehlgeschlagen. Ich muss mir was anderes ausdenken.´
 

„Wein doch nicht mehr...Es tut mir Leid.“, flüsterte Tristan und Joey hielt sich an ihm fest wie an seinem eigenen Verstand, rieb seine nasse Wange an der seines Freundes, umklammerte dessen Hände und Arme, fahrig, wie ein Blinder.

Und holte sich ins Gefühl der Welt zurück, wie ein Mensch, der seine eingeschlafenen Beine zurück ins Leben massiert und das Kribbeln fühlt.
 

Erleichterung.
 

ENDE



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Jien
2013-02-26T11:27:40+00:00 26.02.2013 12:27
Ist zwar schon etwas älter, das gute Stück, aber ich wollte trotzdem noch kurz sagen, wie gut mir diese FF gefallen hat.
:-)
Von: abgemeldet
2008-12-10T09:52:42+00:00 10.12.2008 10:52
WAS? Kein Kommi? Das ist doch nicht wahr...
Also da muss ich jetzt endlich mal mein Kommi zu dieser Story loswerden…
Von den Geschehnissen her ist sie ziemlich unbedeutend, aber ich denke, dass es genau DAS ist, was diesen OS so lesenswert macht…
Er ist… interessant! Ja, das auf jeden Fall! Und ich denke, er ist auch sehr gut durchdacht…
[…]Als Joey an jenem Morgen erwachte, stellte er fest, dass seine Gefühle ihn verlassen hatten. […]
Dieser triviale Satz veranlasste mich dazu, den OS erstmal nicht zu lesen… Ich dachte: „Oh man, wenn es schon so los geht…“ Doch bald musste ich feststellen, dass das ein großer Fehler war, denn wenn man weiterliest, bemerkt man, dass es eigentlich eine, wenn auch wortkarge, passende Einleitung war.
[…] „Zum Glück. Und schade.“, murmelte Joey sich selbst zu, doch die Worte waren leere Hüllen. […]
Solche lyrischen Schmankals passen unheimlich gut zum eigentlich sehr ernstem Thema, welches einen EXTREMEN Kontrast zu der Umgebungssituation und der Überschrift bilden… aber gerade DAS finde ich ziemlich genial.
[…]Vielleicht würde er eintreten, morgen schon, und sich irgendwann einen großen, roten Drachen auf seinen Rücken tätowieren lassen, einen, der die ganze Haut bedeckte. […]
Du bringst auch diese kleinen Widersprüche in einzelnen Sätzen unter, was ich sehr faszinierend finde… hier z.B. das „vielleicht“ und gleich drauf das „morgen schon“… Anbei: soll die Tätowierung eine kleine Haniball Lektor – Anspielung sein oder spinn ich mir hier nur was zusammen? XDDDDDDD
[…]Eine sanfte Brise fuhr tröstend über ihn hinweg.
`Dabei brauche ich gar keinen Trost.´, dachte Joey. […]
Interessant, dass er TROST empfindet… ^.~
[…] „Was ist bloß los mit dir, dass du plötzlich so einen Kram redest?! Maschine, so ein Blödsinn. Guck dich mal an, Joey! Maschinen flennen nicht!“ […]
Auch interessant, dass Tristan Joeys Wink verstanden hat… XDDDDDDDDDDDDD
[…]Joey starrte auf das Brot, tatsächlich entgeistert und verwirrt und spürte, wie sein Magen sich umzudrehen begann. Er hatte klebrige Marmelade im Mund, die Fäden zwischen seinen leicht geöffneten Zähnen zog. Er hatte Tränchen auf den Wangen.[…]
Diese Stelle empfinde ich als beste, weil sie so herrlich real und unverblümt geschrieben ist… bravo!
[…]Wenn Tristan mit der Situation überfordert war, ging er zu direktem Körperkontakt über. Das hatte etwas durchaus Äffisches, fast schon Primitives. […]
In diesem Satz spürt man deutlich, dass du GENAU weißt, was du schreibst… aus psychologischer Sicht. Hab ich damit vielleicht Recht? Ö.ö
[…]Und holte sich ins Gefühl der Welt zurück, wie ein Mensch, der seine eingeschlafenen Beine zurück ins Leben massiert und das Kribbeln fühlt.
Erleichterung. […]
Und noch so eine fantastische Stelle…
Im Endeffekt habe ich es sehr bereut, dass ich mich anfangs abschrecken ließ und die Story erst später richtig gelesen habe.
Ein kleines Meisterwerk, das muss ich schon sagen… ^^
*wink* Pan



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