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Zerspringende Ketten

von

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Zeitlos

Takaya stand am Eingangstor des Takahashi Anwesens und spähte nervös den Weg zurück, den er gekommen war.

Er konnte Kousaka im Wagen erkennen, der ihn mit einer Handbewegung zur Eile antreiben wollte. Takaya verzog missmutig das Gesicht und sah anschließend zum Auto dahinter, in dem ihre Verfolger saßen.

Seit er den Wagen verlassen hatte, wartete er angespannt darauf, dass diese ihren Angriff starteten, aber nichts dergleichen geschah. Er konnte sich noch nicht entscheiden, ob er das als gutes oder schlechtes Zeichen interpretieren sollte.

Takaya wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Haus zu. Er blickte auf das Namensschild.

Takahashi..., dachte er wehmütig und drückte die Klingel daneben. Er schaute hoch zur Frontwand des Hauses und hoffte, dort eine Reaktion auf sein Klingeln zu sehen, aber er wurde enttäuscht.

Kein Wunder... Jemand Fremdes steht vor dem Tor. Zwei verdächtige Autos parken in der Nähe... Und dann noch das eigene Wissen an der Beteiligung an Naoes Entführung! Wer macht da schon freiwillig die Tür auf... Gedankenverloren wollte Takaya gerade ein zweites Mal die Klingel betätigen, als sich das Tor vor ihm plötzlich öffnete.

Überrascht sah er erneut nach oben und konnte dort nun eine ältere Frau an der geöffneten Haustür stehen sehen, die ihm zuwinkte. Er hielt für einen kurzen Moment den Atem an, bevor er zuerst zögerlich, dann aber voller Selbstvertrauen auf die Frau zuging.
 

Takaya sah sich sitzend im Zimmer um. Bis auf einen halbhohen Tisch, an dem er jetzt saß, befand sich nichts weiter in diesem Raum. Er richtete seinen Blick auf die Seite des Zimmers, die ihn schon beim Betreten in seinen Bann gezogen hatte – durch ein wandgroßes Fenster konnte er auf den dahinter liegenden Garten schauen. Dieser war nicht sehr groß, da sie sich in einem eng bebauten Stadtteil Nagano befanden, dafür war er aber umso liebevoller und beinah bis zur Perfektion gestaltet. Takaya staunte. Er wäre am liebsten nach draußen gegangen, aber er musste sich jetzt auf das konzentrieren, weswegen er hierher gekommen war. Er seufzte hörbar.

„Alles in Ordnung, junger Mann?“

Takaya erschrak, da er Takahashis Zurückkommen nicht bemerkt hatte. Er tadelte sich innerlich dafür. Er sah mit widersprüchlichen Gefühlen rauf zu der Frau, die zum einen den Lockvogel für Naoes Entführung gespielt hatte – und zum anderen Minakos Schwester war. Er war über sich selbst überrascht, da ihn, seit er das Haus betreten hatte, eine tiefe Ruhe erfasst hatte. Die Befürchtung, ein emotionales Desaster beim Treffen auf Takahashi zu erleben, hatte sich also nicht bewahrheitet.

Er beobachtete Takahashi dabei, wie sie zwei Tassen mit Tee füllte und sich danach ihm gegenüber auf den Boden setzte. Sie sah ihn mit neugierigen Augen an.

Takaya wurde das Gefühl nicht los, dass er diese Frau kannte. Natürlich war dem nicht so, aber er hatte den Eindruck, durch sie Minakos Gegenwart im Raum spüren zu können. Takahashis eleganten Bewegungen, ihre Mimik und vor allem ihr klarer Blick erinnerten ihn an Minako. Seine innere Ruhe wurde von einer tiefen Traurigkeit überlagert. Er musste schlucken.

„Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen!?“, meinte Takahashi im Scherz und wusste nicht, wie nah sie damit der Wahrheit kam. Takaya spürte, wie ihm leicht übel wurde und er sich zusammenreißen musste, um keinen gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht erscheinen zu lassen.

„Oh?! Nein, alles in Ordnung. Danke für den Tee.“, entgegnete Takaya aufrichtig, während er nach der für ihn bestimmten Tasse griff, um sie zum Mund zu führen.

Er kam nicht dazu, einen Schluck zu nehmen, da ihn Takahashis nächste Worte erstarren ließen.

„Ich nehme an, du bist hier, weil du auf der Suche nach Tachibana bist?!“

Takaya blickte Takahashi unvermittelt in die Augen. Er konnte nicht glauben, was er eben gehört hatte. Ihr offenes und direktes Wesen ließen ihn erschaudern. Er kam nicht umhin, den Mut dieser Frau zu bewundern. Intelligente Augen sahen ihn noch immer fragend an.

„Warum glauben Sie, dass ich auf der Suche nach Tachibana bin?“, erwiderte er mit ernstem Gesichtsausdruck. Er hatte noch nicht vor, ihre Frage zu bejahen. Ihn interessierte zum jetzigen Zeitpunkt nur Takahashi allein. Er wollte mehr über sie erfahren.

Aber warum? Was bringt es mir, mehr über sie zu erfahren... Minako kommt dadurch nicht zurück... Was will ich eigentlich hier? Takaya sah mit zweifelnden Augen zu ihr rüber und wartete darauf, dass sie seine Frage beantwortete.

„Nun, ich glaube es nicht, sondern ich weiß es. Ich habe zwar keine Ahnung, wer du letztendlich bist, aber ich ahne, dass du der Grund bist, warum sich Tachibana so verhält, wie er sich verhält. Ich denke, Shishido ist eigentlich hinter dir her. Er benutzt Tachibana als Druckmittel um dich zu bekommen, nun, und er benutzt mich ebenfalls. Ich bin Shishido nie begegnet, aber ich kann sagen, dass er ein grausamer Mensch ist. Nicht weniger grausam als der, der Minako getötet hat. Laut Shishido, könnte mir Tachibana meine Fragen bezüglich des Todes meiner Halbschwester beantworten, aber er weigert sich bisher. Was ist mit dir? Wenn du Tachibana kennst, dann weißt du vielleicht ebenso viel wie er?“ Während Takahashi sprach, sah sie mit unergründlichen Augen zu Takaya, der Mühe hatte, ihrem Blick standzuhalten.

„Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Dieser Tachibana wird seine Gründe haben, wenn er etwas darüber wissen sollte und es Ihnen nicht sagt. Seit wann ist Ihre Schwester tot?“, fragte Takaya ausweichend und spürte, wie es ihm die Kehle zuschnürte.

„Seit dreißig Jahren... Mir ist bewusst, dass Tachibana zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelebt hat. Dennoch wurde mir versichert, dass er die Antwort auf all meine Fragen ist. Ich bin es langsam leid, nach den Antworten zu suchen, aber ich werde nicht aufgeben. Wenn Tachibana etwas weiß, dann wird er es mir sagen – koste es, was es wolle.“, sagte Takahashi mit unerschütterlicher Zuversicht, während sie von ihrer Teetasse trank.

Takaya schaute zu ihr rüber. Ein Teil seiner Persönlichkeit hätte ihr am liebsten alles erzählt. Wer er war...

Wer Tachibana wirklich war...

Was mit Minako passiert ist...

Warum sie in diese Sache hineingeraten war...

Aber ein anderer Teil von ihm verbot es. Er befürchtete, nein, er wusste, dass er mit den Konsequenzen jetzt noch nicht leben konnte. Vielleicht ergab sich irgendwann die Möglichkeit, ihr alles zu gestehen. Takaya machte sich bei diesen Gedanken innerlich über sich selbst lustig.

Was?! Ihr alles erzählen? Irgendwann? Wenn sie tot ist? Vielleicht noch auf dem Sterbebett? Du bist ein Träumer, Takaya! Nie könntest du dieser Frau erzählen, dass du den Körper ihrer Schwester in Besitz genommen hast und dabei Minakos Seele ausgetrieben hast... Und was bringt es dir überhaupt? Erlösung? Takaya lachte heiser und schüttelte gequält den Kopf. Takahashi sah ihn irritiert an.

„Willst du mir nicht sagen, wer du bist?“, sprach Takahashi mit ruhiger Stimme und sah interessiert zu ihm rüber. Er erwiderte ihren Blick, senkte ihn aber einen kurzen Augenblick später wieder und betrachtete seine Teetasse. Auf der Oberfläche des Wassers konnte er die ätherischen Öle des wohlschmeckenden Tees erkennen, die sich den sanften Bewegungen der Flüssigkeit anpassten. Er schloss für einen kurzen Moment die Augen, bevor er Takahashi die schuldig gebliebene Antwort gab.

„Mein Name ist Ougi Takaya und ich bin ein guter Freund von Tachibana Yoshiaki. Ja, ich bin auf der Suche nach ihm. Ich habe erfahren, dass Sie die letzten Wochen mit ihm verbracht haben. Ich bin hier, um etwas darüber zu erfahren.“ Während er sprach, hob er seinen Blick und schaute in die wissenden Augen vor ihm. Takahashi nickte bedeutungsvoll.

„Dann lag ich mit meiner Vermutung also richtig...“, sagte sie so leise, dass sich Takaya anstrengen musste, um sie zu verstehen.

„Nun, als ich Tachibana gestern das letzte Mal gesehen habe, ging es ihm den Umständen entsprechend noch gut. Ich weiß natürlich nicht, was seitdem alles passiert ist. Ich hatte das Gefühl, dass dort eine Unruhe aufgekommen ist, die mit meiner Abreise wohl nur einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Es kann durchaus sein, dass sie diesen Ort, den ich nicht kenne, inzwischen verlassen haben. Wäre logisch, wenn ich bedenke, dass du auf deiner Suche nach ihm schon hier bei mir aufgetaucht bist. Ich kann dir also diesbezüglich nicht helfen. Ich glaube, dass wusstest du schon vorher, oder?! Was ist also der wahre Grund deines Auftauchens?“, entgegnete Takahashi ehrlich, während sich ihre Augen fragend auf Takaya richteten. Dieser war erneut beeindruckt von der Stärke dieser Person. Er hatte keine Ahnung, wie viel sie wirklich wusste und bisher bereit war preiszugeben, aber er spürte, dass alles, was sie bis zum jetzigen Zeitpunkt gesagt hatte, der Wahrheit entsprach. Es hatte nicht den Anschein, dass sie mit ihm spielte.

Was hat Shishido jetzt mit dir vor? Ich glaube nicht, dass er dich am Leben lässt... Oder doch? Shishido hat darauf spekuliert, dass ich dich aufsuchen würde, und dafür hat er dich nach Hause geschickt... Aber warum? Ich werde aus dieser Person nicht schlau... Takayas Gedanken wurden durch Takahashis Stimme unterbrochen.

„Wie stehst du zu Shishido? Kennst du ihn?“, fragte sie ihn ohne Umschweife und bot ihm an, seine Tasse erneut mit Tee zu füllen. Takaya schüttelte auf ihr Angebot hin verneinend den Kopf und setzte stattdessen zu einer Antwort an.

„Keine Ahnung, wer dieser Shishido ist und was er von mir will. Ich bin ihm nie begegnet. Ich kann nicht sagen, warum er Tachibana in seine Gewalt genommen hat. Ich mache mir einfach Sorgen um meinen Freund, daher...“ Takaya verstummte, als er Takahashis zornigen Gesichtsausdruck bemerkte.

Er hatte bei dem, was er eben gesagt hatte, nicht gelogen. Er kannte Shishido wirklich nicht. Er konnte Takahashi natürlich nichts über die Unterwelt erzählen, und somit auch nichts von Shishidos plötzlichem Auftauchen. Er hoffte, dass Chiaki und Haruie ihm später mehr Informationen über Shishido vorlegen konnten.

Er fokussierte seinen Blick auf Takahashi, die ihren Zorn inzwischen wieder gut verbarg.

„So, du weißt also nicht, wer er ist. Hm?! Für Tachibana schien Shishido ebenfalls eine fremde Person zu sein. Aber seit ein paar Tagen scheint dieser einen Narren an Tachibana gefressen zu haben. Er hat auf einmal angefangen, ihn jeden Tag zu besuchen, manchmal sogar zwei Mal – sehr zum Missfallen einer seiner Vertrauenspersonen. Wie dem auch sei, Tachibana ist von diesen Besuchen nicht sehr angetan. Ich empfand ihn als zunehmend unruhiger, zorniger und vor allem schweigsamer. Letzteres war mir natürlich ein Dorn im Auge. Ich wollte Antworten, aber er ignoriert meine Fragen ständig. Somit stehe ich jetzt, wie zu Beginn dieser ganzen Angelegenheit, noch immer ohne Antwort da! Es ist sogar eher so, dass ich jetzt noch mehr Fragen habe, die mir niemand beantworten will. Das macht mich wütend!“ Takahashis laute Stimme hallte durch den Raum. Ihre Wut zeigte sich abermals offen in ihrem Gesicht.

Takayas Gedanken drehten sich noch immer um Shishidos Besuche bei Naoe. Er hatte kein gutes Gefühl dabei.

„Ich bin mir meiner Schuld durchaus bewusst, Komplizin eines Verbrechens zu sein. Aber das ist mir egal! So lange ich die erwünschten Antworten nicht erhalte, werde ich keinen anderen Weg einschlagen... Das habe ich mir geschworen.“ Sie sah mit entschlossenem Blick zu Takaya, den diese Worte betroffen machten. Sie hatte nicht nur das Leben von Minako ausgelöscht, sondern in gewisser Weise auch das ihrer Schwester.

Takaya spürte, wie ihn die Last der eigenen Schuld niederdrückte. Er wollte dieser Frau irgendetwas geben können, dass ihr helfen würde, den bisherigen Leidensweg zu verlassen, aber er besaß nichts – nichts außer der Wahrheit, und gerade diese konnte er ihr nicht offenbaren.

Das Bedürfnis, dieses Zimmer, Takahashi und die ihn quälenden Gedanken hinter sich zu lassen, bildete sich in seinem Inneren und nahm mit jeder verstreichenden Sekunde an Intensität zu, so dass er sich entschied, vorerst zu gehen. Er konnte hier nichts mehr erfahren. Er wollte hier vorläufig nichts weiter erfahren.

„Ich muss jetzt gehen. Ich bedanke mich für Ihre Gastfreundschaft, Takahashi-san.“, sagte Takaya und bemühte sich dabei, möglichst emotionsfrei zu klingen. Diese sah ihn überrascht an, aber behielt ihren Kommentar für sich.

„Ich nehme mal an, dass du nicht zur Polizei gehen wirst?! Denn wäre das deine Absicht gewesen, dann hättest du es schon längst in die Tat umgesetzt, richtig?! Nun, dieses Verhalten wirft neue Fragen auf, die ich wohl nicht beantwortet bekommen werde!? Werden wir uns wieder sehen? Diese Frage kannst du wohl auch nicht beantworten. Ich sehe schon... Ich hoffe zumindest, dass ich Tachibana noch einmal sehen werde.“ Mit diesen Worten stand Takahashi enttäuscht auf und wartete darauf, dass es ihr Takaya gleichtat. Dieser erhob sich und folgte ihr zur Zimmertür. Bevor er durch sie hindurch ging, warf er einen letzten Blick durch das Fenster auf den Garten. Er fragte sich, ob es ihm irgendwann erlaubt sei, diesen einmal sorglos zu durchschreiten.
 


 

„Nun red schon endlich! Wie war es?“ Kousaka sah für einen kurzen Moment genervt zu Takaya auf dem Beifahrersitz, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße richtete.

Knapp eine Stunde war vergangen, seit sie Takahashi in Nagano verlassen hatten. Takaya hatte bisher nichts über den Verlauf des Treffens gesagt – lediglich eine Anweisung über die Richtung, die sie jetzt einschlagen würden, war über seine Lippen gekommen.

Kousaka grummelte leise vor sich, während er sich auf das Fahren konzentrierte. Er dachte über ihre gemeinsamen letzten Stunden nach. Er kam zu dem Entschluss, dass Takaya viel mehr wusste, als er bereit war zu sagen. Diese Tatsache wurmte Kousaka, da er auf diese Weise seinen eigenen Plan nicht vorantreiben konnte. Er musste unbedingt herausfinden, was Takaya alles vor ihm verbarg.

Warum fahren wir nach Oomachi City? Was soll da sein? Naoe etwa? Wenn ja, woher weißt du das? Verdammt... Du gehst mir echt auf die Nerven, Kagetora! Aber wir werden sehen, wer von uns sein Ziel als erstes erreicht..., dachte Kousaka entschieden, als er mit dem Auto die Schnellstraße verließ, um ihren Weg auf der abkürzenden Landstraße fortzusetzen.
 

Nach weiteren schweigsamen Minuten im Auto schien Kousaka das Ende seiner Geduld erreicht zu haben. Er fuhr an den Straßenrand und bremste scharf ab. Takaya sah ihn überrascht an.

„Verdammt! Du nervst mich, Kagetora! Würdest du mich jetzt bitte aufklären? Schau, ich habe sogar ‚bitte’ gesagt!“, sprach Kousaka im sarkastischen Tonfall und funkelte Takaya wütend mit seinen Augen an. Dieser ließ sich davon nicht beeindrucken, und starrte ihn ignorierend aus dem Fenster.

„Ich meine es ernst, Kagetora! Wenn du mir jetzt nicht augenblicklich irgendetwas dazu sagst, werde ich dich aus dem Auto schmeißen und ohne dich weiterfahren. Na?! Wie wäre das? Vielleicht kommst du ja per Anhalter weiter...“ Kousaka bemühte sich, seine Stimme nicht zu verzweifelt klingen zu lassen.

Er konnte diese Abhängigkeit nicht weiter ertragen – er konnte Anhängigkeiten generell nicht ertragen, daher arbeitete er lieber für sich allein. Nicht nur allein, sondern auch allein für seine eigenen Zwecke.

Er sah zu Takaya, der noch immer keine Regung zeigte.

Jetzt reicht es..., stellte Kousaka entschlossen fest und setzte an, Takaya aus dem Auto zu werfen, als dieser sich ihm zudrehte und ihn gebieterisch anfunkelte. Kousaka blinzelte überrascht und war über die Verwandlung sprachlos.

Was soll das jetzt?, überlegte er verunsichert, als er Takayas eisige Stimme vernahm.

„Du willst wissen, wie es war?! Was glaubst du, wie es ist, einem Menschen zu begegnen, dessen Leben du zerstört hast – dabei hattest du zu diesem noch nicht einmal direkten Kontakt! Und noch schlimmer, du hattest keinen Einfluss auf das eigentlich Geschehene... Was denkst du, wie es sich anfühlt?! Es brennt. Es schmerzt. Es schnürt sich alles zu! Ich bin voller Hass, Wut, Reue, Schuld, Liebe...Macht! Dennoch, trotz all meiner Macht fühle ich mich hilflos... Und wem verdanke ich das? Genau! Der Person, die ich aus den Händen einer nicht weniger grausamen Person befreien will. Schizophren, was? Krank, oder?“ Takaya sah Kousaka trotz seines emotionalen Ausbruches die ganze Zeit lang gefühllos in die Augen.

„Naoe lebt. Sie hat ihn gestern noch gesehen. Und wie es scheint, haben sie den Aufenthaltsort verlassen und sind in Bewegung. Ich habe mit Hilfe von reiha douchou erfahren können, wo sie sich ungefähr befinden. Daher würde ich dich bitten, den Wagen zu starten, damit wir nicht noch mehr wertvolle Zeit verlieren.“ Damit schien Takaya alles gesagt zu haben, denn er wandte seinen Blick von Kousaka ab und sah unnachgiebig nach vorne. Dieser sah ihn noch einen kurzen Moment von der Seite an, bevor er sich seufzend ebenfalls nach vorne drehte und das Auto startete.

„Okay. Damit muss ich mich wohl begnügen, was? Aber du hast bei deinem Bericht eine Menge ausgelassen... Aber was soll’s! Wirst schon deine Gründe haben...“, entgegnete Kousaka mit neu gewachsener Zuversicht, da ihn Takayas Worte bezüglich Naoe hoffnungsvoll gestimmt hatten.
 

Takaya lehnte sich nach seinem verbalen Ausbruch etwas entspannter im Sitz zurück und er sah mit einem unbestimmten Blick seitlich aus dem Fenster, während Kousaka die Fahrt wieder aufnahm.

Er schloss nach wenigen Minuten seine Augen und konzentrierte sich auf Naoe – oder vielmehr auf das Band der Versiegelung an dessen Knöchel. Er konnte es deutlich spüren und wäre sogar in der Lage gewesen, es sofort zu brechen, aber das hatte er noch nicht vor – weder Shishido noch Naoe wussten oder ahnten etwas von seiner Manipulation des Ringes.

Er war noch immer über sich selbst überrascht. In dem kurzen Augenblick, als er in der Lage war Naoe zu erreichen, hatte er, trotz aller überschäumenden Gefühle, einen klaren Kopf bewahrt und den Ring mit seiner Macht so minimal verändert, dass er ihn nun jederzeit mit Hilfe von reiha douchou ausfindig machen konnte – die Energie der Veränderung war für ihn klar durch die Augen seines spirituellen Gehilfen zu sehen.

Diese Entwicklung der Dinge erlaubte ihm zwar, etwas gelassener auf Ortswechsel ihrerseits zu reagieren, aber er hatte letztendlich keine Ahnung, was in Naoes oder Shishidos Kopf vorging. Dieser unbekannte Faktor bereitete ihm Sorgen. Er konnte sich mit Naoe nicht austauschen, da dieser sich noch immer rigoros abschottete. Takaya blieb somit erst einmal nichts anderes übrig, als sich behutsam heranzutasten und einen günstigen Moment abzuwarten – er musste Geduld haben.

Takaya rutschte auf seinem Sitz in eine angenehmere Position und blickte zu Kousaka rüber, der sich nun in Schweigen hüllte.

Tut mir leid, mein Lieber... Ich kann und werde dich nicht aufklären! Das Vertrauen dazu besitze ich nicht... Werde es wohl auch nie besitzen, wenn es um dich geht, Kousaka. Aber das weißt du selbst..., stellte Takaya nüchtern fest. Er seufzte hörbar. Kousaka sah daraufhin kurz zu ihm rüber.

„Ist etwas passiert?“, fragte dieser neugierig, während ein angespannter Unterton dabei nicht zu überhören war. Takaya hob überrascht die Augenbrauen.

Du bist mir ein Rätsel, Kousaka..., dachte Takaya schief grinsend.

„Ich habe Hunger. Das Reisbällchen und der Tee waren wohl nicht ausreichend. Was ist mit dir? Du hast zwar fast alle Bällchen gegessen, aber dein kurzer Kampf mit den zwei übrig gebliebenen Verfolgern müsste dich doch eigentlich hungrig gemacht haben?!“, äußerte Takaya fragend und dachte an den Moment zurück, als er wieder zum Auto kam.

Ihm war dabei aufgefallen, dass die beiden Personen im hinteren Wagen zusammengesunken und regungslos in ihren Sitzen hingen. Er konnte außerdem zwei aktivierte Airbags erkennen, die inzwischen luftleer waren.

Auf seinen fragenden Blick hin hatte Kousaka ihm erklärt, dass sich die beiden sofort in Bewegung gesetzt hatten, als er im Haus verschwunden war. Kousaka ließ sie nicht einmal aussteigen, sondern schickte sie einfach auf unsanfte Weise mit Hilfe von nendouryoku (Kraft der Telekinese) in den Schlaf. Dazu hatte er ihre Sitze mit Hilfe seiner Macht nach vorne gedrückt und zeitgleich die Luftsäcke aktiviert. Der unerwartete nahe Aufprall raubte den beiden zwar das Bewusstsein, ließ sie aber am Leben.

Takaya mutmaßte, dass sie inzwischen wieder zu sich gekommen sein müssten. Folglich hätten sie also über ihre Abreise Bericht erstattet können.

„Etwas Essen?!“ Kousakas belustigte Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück.

„Hatte ich dir nicht gesagt, dass du es bereuen wirst, nicht ein paar mehr Bällchen gegessen zu haben! Okay... Lass mich mal überlegen. Ich war hier zwar noch nie in der Gegend, aber vielleicht halten wir einfach in der nächsten Stadt an und sehen weiter. Viel kann ja nicht passieren. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir verfolgt werden. Lassen wir uns also überraschen, was der kommenden Ort Kulinarisches zu bieten hat!“, meinte Kousaka vergnügt, der Takaya einen amüsierten Blick zuwarf.

„Einverstanden.“, war alles, was Takaya dazu meinte und griff zum Radio. Er stellte einen ihm bekannten Sender ein und ließ sich zurück in den Sitz fallen. Kousaka verkniff sich die Bemerkung und ließ den gewählten Sender laufen.
 


 

„Hey Naoe! Wie lange willst du noch da drin bleiben?“ Naoe vernahm Shishidos hämische Stimme und schloss erschöpft die Augen. Er saß eingeschlossen in der Toilettenkabine eines Rasthofes und seufzte leise.

„Muss ich mir Sorgen machen? So schlimm war das doch eben gar nicht, oder? Nun, eine willkommene Abwechslung zum Autofahren meinerseits und Rumsitzen deinerseits. Ich gebe dir noch eine Minute. Wenn du dann nicht raus kommst, komme ich eben rein und wir werden es ein zweites Mal treiben, hörst du?!“ Shishido lehnte lässig mit verschränkten Armen von außen an der Kabinentür und lachte vergnügt, während er Naoe sein Vorhaben mit belustigter Stimme androhte.
 

Naoes Gedanke rasten. Er dachte an die vergangene Stunde, die seit ihrem Aufbruch verstrichen war.

Shishido hatte ihn, kurz nachdem er aufgestanden war, abgeholt und gemeinsam waren sie zu einem bereitgestellten Wagen gegangen. Naoe hatte die leise Hoffung gehabt, dass er das Fahren übernehmen sollte, was seinem Plan entgegen gekommen wäre, aber Shishido machte diesem Gedanken einen Strich durch die Rechnung. Naoe sollte nichts weiter tun, als brav auf dem Beifahrersitz auszuharren und den Dingen entgegen sehen, die da kommen würden.

Dieser Umstand führte dazu, dass er seinen ausgearbeiteten Fluchtplan zwar ein wenig umgestalten musste, aber er ihn dennoch ausführen konnte, sobald sich die Gelegenheit bot.
 

Inzwischen wusste er auch, wo er sich ungefähr auf der Landkarte befand. Das ließ ihn zum einen aufatmen, aber zum anderen auch verzweifeln, da er nicht weit von Matsumoto entfernt gefangen gehalten wurde.

Der Ort, an dem er die letzten Wochen verbracht hatte, lag in der Nähe von Oomachi City, welche sich circa eine Stunde nördlich von Matsumoto befand. Inzwischen waren sie aber fast eine Stunde in die nördliche Richtung gefahren, so dass sich der Abstand vergrößert hatte, und seine Sehnsucht nach Kagetora mit jeder genommenen Meile angewachsen war.
 

Um seine Flucht weiterhin erfolgreich umsetzen zu können, musste er zudem herausfinden, ob Shishido selbst dann Macht über den Ring besaß, wenn sie einander nicht in Sichtweite waren. Alle Mühe wäre vergeblich, wenn er es schaffen würde zu fliehen, Shishido ihn aber zu jedem möglichen Zeitpunkt außer Gefecht setzen könnte.

Es war eine ungewisse Sache. Naoe glaubte auch nicht, dass Shishido ihn über seine Macht aufklären würde, wenn er ihn ganz direkt danach fragen würde. Hinzukommt, dass dieser sich sehr wahrscheinlich auf alle Eventualitäten eingerichtet hatte.

Naoe kam zu dem Ergebnis, dass er nur dann die Chance auf eine Flucht hatte, wenn er sich Kagetora öffnete, damit dieser den Ring zerstörte. Für diese Maßnahme blieben ihm wahrscheinlich nur ein paar Sekunden. Und das Wahrnehmen dieser war außerdem abhängig von seiner eigenen körperlichen Verfassung, wenn der Zeitpunkt des Fluchtversuchs gekommen war.

Naoe wusste, dass es eine riskante Angelegenheit war, aber er sah keine andere Möglichkeit, sich mit eigener Kraft aus Shishidos Gewahrsam zu befreien.

Naoe stützte den Kopf in beide Hände und stöhnte leise. Er hatte Angst – Angst Kagetora nicht wieder sehen zu können. Sein Vorhaben musste einfach klappen. Ansonsten würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als abzuwarten, bis er erneut wiedergeboren würde. Und das hätte zugleich die Bedeutung, dass er seine Suche von vorne beginnen zu müsste.
 

„Die Minute ist rum, Naoe!“, sprach Shishido verärgert, dessen Belustigung aus der Stimme verschwunden war. Naoe sah auf und bemerkte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Er konnte spüren, dass Shishido das Türschloss mit seiner Macht manipulierte. Er hatte definitiv keine Lust darauf, es hier ein zweites Mal mit Shishido zu treiben. Er sprang also auf und öffnete die Tür.

„Guter Junge!“, raunte Shishido mit einem teuflischen Lächeln, als er Naoe Platz machte, damit dieser die Kabine verlassen konnte. Naoe verkniff sich eine Bemerkung und ging Shishido ignorierend zum Waschbecken. Dieser folgte ihm auf dem Schritt, und blieb hinter ihm stehen. Er umschlang Naoes Oberkörper mit seinen Armen und legte den Kopf auf dessen Schulter ab. Durch den Wandspiegel blickte Shishido in Naoes Augen.

„Ich muss zugeben, dass ich ein wenig enttäuscht bin...“, meinte dieser und küsste Naoe dabei seitlich auf den Hals. Naoe unterdrückte einen Schauder.

„So? Also ich nicht. Ich denke, wir sind hier wohl fertig und sollten gehen?!“, erwiderte Naoe kühl, während er den Blick abwandte und den Wasserhahn wieder zudrehte. Ihm entging dabei die Veränderung in Shishidos Gesicht, der ihn nun ungehalten zu sich umdrehte und ihn brutal auf den Mund küsste. Naoe erstarrte. Er hatte sich an Shishidos plötzliche Stimmungsschwankungen noch immer nicht gewöhnt.

Naoe vernahm die Tür zum Toilettentraum und spähte hinüber. Dort stand ein älterer Herr, der bei ihrem Anblick überrascht stehen geblieben war. Shishido drehte sich lasziv um und bot ihm an, an ihrem Spiel teilzuhaben. Der ältere Mann riss peinlich berührt die Augen auf und verließ umgehend den Raum. Shishido lachte amüsiert und wandte sich abermals Naoe zu. Dieser sah ihn mit unergründlichen Augen an.

„Schade... Wäre doch bestimmt interessant geworden, oder was meinst du?“, fragte Shishido süffisant und setzte seinen Kuss fort.

Naoe wollte dieses Spielchen beenden und versuchte, Shishido von sich zu drücken, aber dieser ließ nicht locker. Er überlegte, noch handgreiflicher zu werden, als er auf einmal einen brennenden Schmerz in seiner Unterlippe spürte. Shishido hatte ihn gebissen. Überrascht zuckte er zurück, als Shishido ihn freigab. Naoe berührte mit seiner Hand die Lippe und bemerkte, dass er leicht blutete.

„Rot steht dir ausgezeichnet! Hat das schon einmal jemand zu dir gesagt?“, meinte Shishido verspielt, während er sich abrupt umdrehte und ohne ein weiteres Wort den Raum verließ. Naoe starrte ihm nach.

Er konnte noch immer nicht glauben, was sich da für zwiespältige Gefühle Shishido gegenüber in ihm aufgebaut hatten. Er verachtete ihn einerseits, aber gleichzeitig zog ihn dessen undurchschaubares Verhalten an. Wer war dieser Mensch? Woher kommt er und vor allem, was will er wirklich? Naoes Gedanken wanderten ein ums andere Mal wild durcheinander, als er Shishidos Schatten folgte.
 


 

Takaya gähnte ausgiebig und versuchte seine Beine so gut es ging auszustrecken. Er blickte verschlafen aus dem Beifahrerfenster, um sich anhand der Verkehrsschilder zu orientieren. Sie waren kurz vor Shinanokizaki, was bedeutete, dass sie Oomachi City ein ganzes Stück näher gekommen waren. Er seufzte erleichtert. Sie würden noch ungefähr eine halbe Stunde brauchen, um die Stadt zu erreichen.

Takaya konzentrierte sich auf das manipulierte Band der Versiegelung an Naoes Knöchel. Er verstärkte seine Konzentration und wandte reiha douchou an und erstarrte. Naoe war nicht weit von ihnen entfernt. Er konnte durch die Augen seines spirituellen Helfers einen schwarzen Wagen erkennen, der bewegungslos auf dem Parkplatz eines Rasthofes stand. In dem Auto saßen zwei Personen, die sich aufgebracht miteinander unterhielten. Eine dieser Personen war ohne jeden Zweifel Naoe. Sein Herz begann zu rasen.

Takaya versuchte irgendwo einen Anhaltspunkt zu finden, der ihm Aufschluss darüber gab, wo genau sich der Rasthof befand. Er wurde fündig. Er entdeckte ein Verkehrsschild, welches die Stadt Kamishiro in fünf Kilometern Entfernung ankündigte. Takaya fluchte, denn das bedeutete, dass Shishido ihnen einen Vorsprung von einer halben Stunde hatte. Er klärte Kousaka über den neuen Stand der Dinge auf, und sie machten sich sofort auf in Richtung Norden.
 


 

Naoe blickte angespannt zu Shishido rüber, der sich scheinbar mühelos dem Fahren und gleichzeitig seinem mobilen Telefon widmen konnte.

„Verstehe. ... Und mehr hast du nicht dazu zu sagen? ... Was für eine Verschwendung. ... Sammelt euch, und fahrt zum vereinbarten Treffpunkt. Wenn ihr dort angekommen seid, dann lasst Arakawa wissen, dass ich auf dem Weg bin. ... Und überlegt euch, wir ihr das wieder gut machen könnt!“ Shishido beendete das Gespräch und murmelte dabei ungehalten vor sich hin. Er steckte das Telefon zurück in seine Jackentasche und sah zu Naoe, der ihn neugierig anblickte.

„Untergebene sind manchmal zu nichts zu gebrauchen, was!? Vielleicht sollte ich mich mal mit Kagetora darüber unterhalten, wie er es schafft, so fähige Leute um sich zu scharren. Könnte ich doch glatt neidisch werden. Wie dem auch sei, dein Herrchen ist auf dem Weg hierher...“, meinte Shishido plötzlich etwas genervt und strich dabei Naoe über die Wange.

Naoe schluckte – nicht wegen Shishidos Berührung, sondern wegen der Tatsache, dass sich Kagetora auf dem Weg zu ihm befand. Aber woher wusste dieser, wo er sich aufhielt? Naoe hatte das Gefühl, dass er etwas übersehen hatte. Aber was?

„Fängt dein Schwanz zu wackeln an, wenn du hörst, dass dein Besitzer kommt? Nun, dann soll er mal kommen. Ich bin schon richtig gespannt darauf, wie er ist. Da kann ich ihm auch gleich sagen, dass du unglaublich gut im Bett bist. Oder sollte ich das lieber nicht sagen?“, sprach Shishido begeistert und beobachtete dabei, wie sich Naoes Gesicht wütend zusammenzog.

Naoe blieb stumm und richtete seinen Blick nach draußen. Er versuchte sich auf seinen Fluchtplan zu konzentrieren, da ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde. Shishido selbst würde nun mehr als sonst auf der Hut sein.
 

Sie fuhren inzwischen durch ein kleines Waldstück leicht bergauf, und Naoe sah aufmerksam nach draußen. Er hatte beschlossen, dass er in den nächsten Minuten handeln würde.

Sobald sie den Wald hinter sich gelassen haben würden, würde er seinen Plan in die Tat umsetzen. Er begann sich innerlich dafür zu sammeln und schärfte all seine Sinne. Ihm war klar, dass er schnell und präzise handeln musste, um zum gewünschten Erfolg zu kommen. Gleichwohl wusste er auch, dass er unmittelbar danach erst einmal keine Kontrolle über das weitere Geschehen haben würde und daher nur hoffen konnte, dass alles gut gehen würde.

Naoe sah nach vorne und konnte das Ende des Waldstücks erkennen. Er hielt unbewusst die Luft an.

Als sie aus dem Waldstück herausfuhren, ging alles ganz schnell. Naoe orientierte sich rasch in der sich ihnen nun zeigenden Umgebung, und griff danach Shishido brutal in das Lenkrad.

„Was zum Teufel...“ Shishido kam nicht dazu seinen Satz zu beenden, da der Wagen bereits unwiederbringlich über die Böschung raste. Naoe schluckte, als sich sein Magen über die unerwartete Richtungsänderung beschwerte. Er sah für einen kurzen Moment zu Shishido rüber, der ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte, als das Auto begann, sich zu überschlagen. Naoe schloss die Augen und dachte an Kagetora.
 


 

Ihm stieg Brandgeruch in die Nase. Wo war er?

Naoe öffnete schwerfällig die Augen, aber er konnte nichts erkennen, da seine Sicht verschwamm.

Der Brandgeruch wurde stärker. Was war passiert?

Naoe strengte sich an, etwas zu mit seinen Augen zu erkennen, erntete dabei aber nur einen ansteigenden Schmerz in seinem Schädel. Er stöhnte. Er sah an sich hinab und entdeckte Blut – sein eigenes Blut? Mit einem Mal fiel ihm alles wieder ein. Er begann zu zittern.

Ich lebe also noch..., dachte er und begann zu husten. Er drehte seinen Kopf zur Seite und sah Shishido, der schlaff in seinem Gurt hing. Er schien zu atmen, war aber nicht bei Bewusstsein. Naoe war erleichtert darüber. Trotz allem, was dieser junge Mann ihm angetan hatte, wollte er nicht für dessen Tod verantwortlich sein. Es gab noch so vieles, was er erfahren musste.

Naoe konzentrierte sich so gut es ging auf sich selbst. Er durchzog seinen Körper einer innerlichen Prüfung und stellte erleichtert fest, dass er nicht lebensbedrohlich verletzt war. Es schien nichts gebrochen, aber er hatte mehrere Platzwunden. Unter anderem eine an seinem Kopf, die dafür sorgte, dass ihm das Blut in sein linkes Auge lief, so dass er auf diesem nicht richtig sehen konnte. Er wischte unbeholfen darüber und hustete erneut.

„Ich muss aus dem Wagen raus...“, hauchte er unter Schmerzen, während er versuchte, sich abzuschnallen.

Er war froh darüber, dass der Wagen nicht auf dem Dach liegen geblieben war, aber selbst in dieser Position fiel es ihm schwer, sie zu bewegen. Er unterdrückte einen Schmerzenslaut, als er begann, seine Tür aufzudrücken.

„Keine Chance... Verdammt...“, wisperte Naoe verzweifelt, da er nicht in der Lage war, die Tür zu öffnen. Sie hatte sich zu sehr verzogen. Er beugte sich ächzend zu Shishido rüber, um zu prüfen, ob sich die Fahrertür öffnen ließe. Er hatte Glück. Der Spalt war groß genug, um herausklettern zu können. Er krabbelte so behutsam es nur ging über Shishidos Körper hinweg, und war nach kurzer Zeit draußen.

Er hatte das Gefühl, dass er dafür eine Ewigkeit gebraucht hatte. Er seufzte und blickte den Abhang hinauf. Er bekam eine Gänsehaut. Sie waren beinah zwanzig Meter in die Tiefe gestürzt.

Ein leises Knistern riss ihn aus seinen Gedanken. Er konnte Flammen aus der zerbeulten Motorhaube züngeln sehen. Hier hatte sie das Glück wohl im Stich gelassen. Naoe musste schleunigst handeln. Es würde nicht lange dauern, bis sich die Flammen ihren Weg in die Fahrzeugkabine gefressen hatten. Er musste Shishido so schnell es ging aus dem Auto ziehen.

„Dann mal los Naoe! Sonst überlegst du es dir noch anders...“, sprach er ermutigend zu sich selbst, als er an seine eigene körperliche Verfassung dachte. Er unterdrückte seine Schmerzen und machte sich an die Arbeit.
 

Naoe lehnte sich erschöpft mit dem Rücken an einen großen Felsbrocken, und versuchte bei Bewusstsein zu bleiben. Er spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Er ging augenblicklich in die Knie und übergab sich. Nachdem sich sein Magen wieder beruhigt hatte, erhob er sich und ging zu Shishido rüber, der noch immer ohne Bewusstsein war. Naoe wusste, dass er keine Zeit zu verlieren hatte und eigentlich fliehen müsste, aber er wollte Shishido hier nicht einfach so liegen lassen. Er durchsuchte Shishidos Jacke und fand das Gesuchte. Er las aufmerksam die Einträge und hoffte, die richtige Rufnummer erwischt zu haben. Er wählte.

„Oh?! Da habe ich also tatsächlich die richtige Person erwischt. ... Na, aus seiner Jackentasche, woher sonst! ... Nein, er liegt friedlich neben mir. Obwohl ich nicht sagen kann, wie stark er wirklich verletzt ist. ... Hm. Wenn du so schreist, erfährst du überhaupt nichts, Arakawa. Das solltest du eigentlich wissen. ... Und Drohungen bringen dir auch nichts. ... Er befindet sich circa drei Kilometer nordwestlich von Kamishiro. Ich denke, du solltest in der Lage sein, ihn zu finden. Oder soll ich lieber einen Krankenwagen rufen? ... Dann mal viel Glück!“ Naoe beendete das Gespräch und legte das Telefon in Shishidos Schoss. Er strich diesem eine lose Strähne seines langen schwarzen Haares aus dem Gesicht und betrachtete ihn eingehend. Er hatte keine Ahnung, warum diese Person solch einen Groll gegenüber Kagetora hegte, aber er nahm an, dass er das noch erfahren würde. Er stand auf und setzte sich in Bewegung.
 

Naoe lief zurück in das Waldstück, aus dem sie gekommen waren. Er war noch keine zweihundert Meter weit gegangen, als er spürte, dass er schon seine Schmerzgrenze erreicht hatte. Schwer atmend lehnte er sich an den nächsten Baumstamm und schloss die Augen. Er versuchte sich innerlich zu beruhigen.

Soweit, so gut... Und nun? In diesem Zustand wirst du nicht weit kommen, Naoe!, stellte er nüchtern fest. Er öffnete seine Augen und überlegte, was er als nächstes tun sollte.

„Jetzt noch nicht, Kagetora... Tut mir leid, aber ich bin dazu noch nicht in der Lage...“, murmelte Naoe wehmütig und begann erneut einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er musste erst noch ein wenig mehr Abstand zwischen sich und Shishido schaffen, bevor er sich Kagetora öffnete.

Naoe lenkte seine Gedanken auf Shishido.

Da er noch immer in der Lage war, sich frei zu bewegen, nahm er an, dass Shishido entweder weiterhin bewusstlos war, oder aber dessen Macht über den Ring nicht greifen konnte, da er sich nicht in dessen Nähe aufhielt. Diese Ungewissheit machte Naoe nervös, aber er zögerte nicht, sich weiter von Shishido zu entfernen.

Mit jedem weiteren Schritt spürte er seine Kräfte schwinden. Er musste unbedingt einen Unterschlupf finden, damit er sich für einen kurzen Zeitraum unentdeckt ausruhen konnte, aber das war leichter gedacht als getan. Er sah sich aufmerksam um und entdeckte einen Wanderpfad.

Wenn es einen Wanderpfad gibt, dann gibt es auch eine Hütte zum Rasten..., dachte er logisch und ging weiter.

Naoe wusste, dass es keine gute Idee war, einem erkennbaren Pfad zu folgen, aber er musste sich beeilen, da er nicht wusste, wie lange er noch durchhalten würde.
 

Nach weiteren Minuten des mühsamen Dahinschleppens, erblickte Naoe eine kleine verfallene Hütte jenseits des Pfades. Er bahnte sich einen Weg durch das Unterholz, und kam nach wenigen Augenblicken vor der Hütte zum Stehen. Er zwängte sich durch die kaputte Tür und versuchte sich im dunkleren Inneren zu orientieren.

Ein zur Hälfte zugenageltes Fenster, das sich auf der rechten Seite befand, ließ ein wenig Helligkeit in den Raum fließen, so dass Naoe in der Lage war, sich ein Bild von seiner Umgebung zu machen. Die Hütte war bis auf ein paar Spuren, die eindeutig Tiere hinterlassen hatten, leer.

Naoe stöhnte schmerzvoll, als er sich nach der Musterung an der gegenüberliegenden Wand erschöpft zu Boden gleiten ließ. Von dieser Position aus hatte er zwar die Tür im Blick, war aber zugleich in der Defensive, falls jemand auftauchen sollte. Aber das war ihm jetzt egal. Er war einfach nur müde.

„Okay, fünf Minuten, Naoe, mehr nicht...“, sprach er leise und schloss erleichtert seine Augen.
 


 

„Halt hier an, Kousaka! Sofort!“ Takayas befehlerischer Ton ließ Kousaka zusammenzucken, während er wie befohlen an den Straßenrand fuhr.

„Was ist? Hast du nicht gesagt, dass wir durch dieses Waldstück müssen?“, entgegnete Kousaka verunsichert und sah zu Takaya, der sich inzwischen abgeschnallt hatte.

„Ja, das habe ich. Und du wirst das auch tun! Ich werde hier aber aussteigen, und zu Fuß weiter gehen.“ Takaya blickte gelassen zu Kousaka rüber, während er das sagte. Er traf dabei auf ein argwöhnisch blickendes Augenpaar.

„Wie jetzt?! Was heißt zu Fuß? Warum?“ Die Fragen sprudelten nur so aus Kousakas Mund, der sich keinen Reim auf Takayas plötzliches Verhalten machen konnte.

„Wie ich es sagte. Ich werde zu Fuß weiter gehen. Ist das so schwer zu verstehen? Ich möchte mich dem Ort einfach aus einer anderen Richtung annähern, okay? Alles Weitere machen wir so, wie wir es besprochen haben... Kein Alleingang und keine Toten, Kousaka! Hast du verstanden?“, sagte Takaya mit Nachdruck und öffnete die Beifahrertür. Er stieg aus, lehnte sich aber noch einmal zu Kousaka runter, da dieser ihm noch eine Antwort schuldig war.

„Verstanden, Kagetora! Aber ich bin nicht glücklich über diese Veränderung unseres Planes... Ich hoffe, du weißt, was du tust...“, meckerte Kousaka und blickte Takaya dabei direkt in die Augen. Dieser grinste ihn schief an und nickte mit dem Kopf.

„Ich weiß! Ich bin darüber auch nicht erfreut... Also bis gleich!“ Mit diesen Worten schloss Takaya die Tür und sah dem fortfahrenden Auto hinterher.

Takaya sah konzentriert in das Waldstück, das sich bergab vor ihm ausbreitete und ein böses Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

„Da versteckst du dich also, Naoe...“, sprach er mit einer Mischung aus Sehnsucht und Verachtung in der Stimme und machte sich auf den Weg.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2008-12-20T21:30:18+00:00 20.12.2008 22:30
neiiinnn ;_; omg schreib schnell weiter. ich kanns kaum noch erwarten. hab gerade alle kapitel durchgelesen und jetzt bin ich voll verwirrt und fertisch, weil ich nich weiß wies weitergeht @__@ aber echt..einfach nur spitze dein ff!!!!
bitte, bitte schnell weiterschreiben ;__;
Von:  firebeast
2008-12-06T11:28:10+00:00 06.12.2008 12:28
ohhhhhh.....ist das spannend. Jetzt gehts wohl richtig los...mach bitte, bitte gan z schnell weiter *unruhig auf und ab wipp*. Das hält ja keiner aus °°...

Von:  firebeast
2008-12-05T13:05:13+00:00 05.12.2008 14:05
juhuuuu...da ist ja das heiß ersehnte Kapitel ^^. Und es ist wieder supi geworden. Ich staune jedes Mal wie lang die Kapis werden, echt der Hammmer. Takaya muss sich wirklich scheiße gefühlt haben, als er Takahashi gegenübertrat. Aber sie werden sich bestimmt wieder treffen. Bin mal gespannt wie das erste Treffen zwischen Naoe und Takaya verlaufen wird.....

lg firebeast


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