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Unsichtbar

Du siehst mich nicht
von

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Die blasse Seele der Welt

Aus einer Laune heraus entscheide ich mich, das Haus von heute Mittag aufzusuchen. Dort, wo ich mir mein Mittagessen, das im Übrigen sehr lecker gewesen war, stibitzt hatte. Ich vermag mich zu erinnern, dass der Tisch auf einer Terrasse stand, wo ich mich wohl einwandfrei verstecken könnte. Mein Gedächtnis täuscht mich nicht. Nach einigem Suchen – mein fehlender Orientierungssinn macht mir von Zeit zu Zeit das Leben etwas schwerer – finde ich das auserwählte Haus. Auch der Tisch ist glücklicherweise noch vorhanden.

Ich klettere also über den Zaun und krieche unter der Plastiktischdecke, an die ich mich jedoch seltsamerweise nicht erinnern kann, hindurch. Die Fliesen, die auf der Terrasse verlegt wurden, sind noch warm von der Sonne. „Perfekt“, denke ich und lege mich auf den warmen Grund.

Auch falls sich der Himmel in dieser Nacht entscheiden sollte, etwas Wasser loszuwerden, so würde ich, dank des Plastiküberwurfs, wenigstens im -Trockenen schlafen können.

Ich starre an die weiße Tischplatte über mir und lasse den Tag Revue passieren. Es war ein wundervoller Tag. Ich habe ein Mädchen wohl bestimmt ein Stück glücklich gemacht, meine Kindheitstage wieder aus meinem Gedächtnis gekramt – wobei ich die schlechten Tage doch lieber in der hintersten Ecke meiner Erinnerungen verstaut lasse - und einen Engel gefunden, der seltsamerweise zwei Namen hat. Vielleicht war das bei Engeln ja normal?

Kurzerhand nehme ich mir vor, morgen beizeiten aufzustehen, um ein weiteres Mal die Schule zu besuchen und meinen Engel wiederzufinden. Bei meinem Sinn für Orientierung kann man ja nie wissen.

Die Gedanken an den nächsten Morgen stimmen mich fröhlich. Verträumt projiziere ich das Bild des Engels an die Unterseite der weißen Tischplatte. Mit einem fiktiven Stift male ich ihm an jeder Seite einen großen, gefiederten Engelsflügel und betrachte schließlich zufrieden mein Werk.

Plötzlich beginnen seine Flügel zu leuchten, sie erhellen mein Gesicht. Ich fange an, mir Fragen zu stellen. „Bin ich denn jetzt total irre geworden?“, zweifele ich an meiner eigenen Wahrnehmung. Ich blinzle, einmal, zweimal, doch das Bild des Engels verschwindet nicht. Fast mechanisch strecke ich den Arm aus und berühre die Federn der Flügel. Da ist es wieder dunkel. Ich versuche, im Finsteren den Engel auszumachen, doch ich kann ihn nirgends finden. Kein Leuchten, kein Engel. Ich zucke mit den Schultern. Vielleicht bin ich einfach zu müde und mein Unterbewusstsein spielt mir Streiche. Ich seufze und lege mich in eine bequeme Position. Bevor ich jedoch noch einmal „Engel“ denken kann, bin ich auch schon eingeschlafen.

Die Strahlen der Morgensonne kitzeln mich wach. Verschlafen recke und strecke ich mich und scheuche den Schlaf aus meinen Gliedern, während ich herzhaft gähne. Dann richte ich mich auf, nur um gleich festzustellen, dass es wohl besser gewesen wäre, mir zu merken, wo ich die Nacht verbracht hatte. Denn auch die Tischplatte begrüßt mich mit einem ordentlichen Stoß gegen den Kopf. Verärgert reibe ich mir den Kopf und nehme mir vor, beim nächsten Mal doch eher einen Schlafplatz aufzusuchen, der nicht mit einer Gefahr für morgendliche Beulen verbunden ist.

Ich krieche unter dem Tisch hervor und erstarre. Ich blinzle ungläubig, doch immer noch fangen meine Augen das gleiche Bild ein, das ich einfach nicht wahrhaben will. Ich lasse meinen Blick hinauf in den Himmel schweifen. Die Sonne, die eben erst aufgegangen war, scheint mit voller Kraft auf die Erde nieder. Sie kann also nicht der Grund dafür sein.

Es ist seltsam. War das Gras nicht gestern noch saftig und grün? Waren die Blüten der Sträucher nicht in kräftige Farben getaucht? Wieder kneife ich die Augen zusammen und schüttle den Kopf. „Ich werde irre, ich werde total verrückt!“, schießt es mir durch den Kopf. Das, was ich sehe, kann einfach nicht real sein.

Es scheint, als hätte die Welt ihre Farbe verloren. Als würden die Farben unter einer Krankheit leiden, die sie schlapp machen und auslaugen. Alles ist farblos, blass. Ich streife mit der Hand durch das Gras. Es fühlt sich normal an, gesund und kräftig, doch das blasse, wie ausgewaschene grün sieht alles andere als gewöhnlich aus.

Der Himmel, dessen blau ich so liebte, hat sich nun in ein trauriges blassblau gehüllt, die Sträucher sehen keinesfalls lebendig und fröhlich aus. Mir kommt es so vor, als habe sich ein Schleier über die komplette Welt gelegt, der alles blass und leblos wirken lässt.

Plötzlich ertönt hinter mir ein vertrautes Geräusch. Beinahe zu Tode erschrocken, drehe ich mich reflexartig um, nur um ein weiteres Mal zu erschrecken. Ich schnappe nach Luft. Das wird alles immer verrückter!

Vor mir sitzt eine Katze, die so freudlos wirkt wie der Rest der Umgebung, trotzdem schnurrt sie mich an und gibt mir so ihr Lebenszeichen. Aber noch etwas zeigt mir eindeutig, dass sie am Leben sein muss. Ihr Herz leuchtet. Ja, wirklich. An der Stelle, wo ich ihr Herz vermute, beweist mir ein roter, leuchtender Punkt ihr Leben. Was ist mit mir passiert? Oder ist das vielleicht der Anfang des Weltuntergangs, den man der Menschheit seit jeher prophezeit hat?

Ich atme tief durch. „Nur nicht verwirren lassen. Es ist alles in Ordnung, du lebst und noch ist nichts verloren. Bis auf deine Sichtbarkeit. Und die Farben“, versuche ich mich erfolglos zu beruhigen. Um mich zu zerstreuen, beschließe ich, einen Ort aufzusuchen, an dem sich viele Menschen befinden. Die Idee vom vorhergegangenen Tag, wieder die Schule zu besuchen, war längst im Papierkorb des Vergessens gelandet.

Der Marktplatz ist das erste, was mir einfällt. Am Morgen treffen sich dort alle Arbeitnehmer, die nicht hier im Umkreis arbeiten, um mit dem Bus zum Geldverdienen zu fahren. Nachdem ich auf dem Weg dorthin keiner Menschenseele begegnet bin, erschrecke ich nun dementsprechend heftiger. Und gleichzeitig fange ich an, zu begreifen, was mit mir geschieht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Thuja
2011-01-04T23:27:36+00:00 05.01.2011 00:27
Was ist los?
Was ist passiert?
wahh wie spannend!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!1
ich will gleich weiterlesen!
aber erst MUSS ich mein Lob loswerden.
Es war sehr sehr schön geschrieben
du bringst es toll rüber, wie sie ihr Leben in der Unsichtbarkeit meistert, auf was sie achten muss, was ihr egal sein kann
was mir aber am meisten gefallen hat, war die Veränderung der Welt am nächsten Tag. Du hattest eine sehr bildhafte Sprache. Man konnte praktisch mit ihren Augen sehen, was sie gesehen haben muss. Und man konnte ihre Gedanken peferkt nachvollziehen. Super Arbeit
außerdem hast du einen herrlich einfach zu lesenden Schreibstil. Alles geht flüssig ineinander über. Selbst um die Uhrzeit liest man da gerne.

glg
Von:  Thuja
2011-01-04T23:27:14+00:00 05.01.2011 00:27
Was ist los?
Was ist passiert?
wahh wie spannend!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!1
ich will gleich weiterlesen!
aber erst MUSS ich mein Lob loswerden.
Es war sehr sehr schön geschrieben
du bringst es toll rüber, wie sie ihr Leben in der Unsichtbarkeit meistert, auf was sie achten muss, was ihr egal sein kann
was mir aber am meisten gefallen hat, war die Veränderung der Welt am nächsten Tag. Du hattest eine sehr bildhafte Sprache. Man konnte praktisch mit ihren Augen sehen, was sie gesehen haben muss. Und man konnte ihre Gedanken peferkt nachvollziehen. Super Arbeit
außerdem hast du einen herrlich einfach zu lesenden Schreibstil. Alles geht flüssig ineinander über. Selbst um die Uhrzeit liest man da gerne.

glg
Von:  Cygni
2010-06-01T11:36:45+00:00 01.06.2010 13:36
okayy~ verwirrend.
was ist denn jetzt los?

das überfordert mich gerade ein bisschen...viel...
dir ist schon im klaren das du mit dem nächsten kapi nicht mehr so lange warten kannst? das macht mich kirre...

lg stellax3


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