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Unsichtbar

Du siehst mich nicht
von

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Die Verwandlung

Der Marktplatz ist voller leuchtender Herzen. Die Vielfalt der Farben ist atemberaubend. Rot, schwarz, weiß, blau, sowie grün, pink, braun. Jedes Herz scheint zu schimmern. Selbst das Herz des Babys, welches eine Frau mit grünem Herzen eben an mir vorbei trägt, hat einen weißen, unschuldigen Glanz. Aber die Herzen der Menschen sind keineswegs das einzig farbenfrohe an der blass gewaschenen Welt. Die Augen. Auch die Augen heben sich stark von dem sonst trüben Erscheinungsbild der Menschen ab.

Ich keuche und lehne mich an eine Hauswand. Das ist alles zu viel für mich. Zu viel, um sofort zu begreifen, was hier vor sich geht. Ich spüre, dass ich mir bereits unterbewusst eine Theorie zusammenfüge, allerdings wird diese Vermutung noch ein wenig Zeit brauchen, um bis zu meinem Verstand vorzudringen.

Mir schwirrt der Kopf. Meine Augen beobachten die farbigen Punkte, die durch die Straßen hetzen, in Bussen verschwinden, sich freundlich begrüßen. Mir wird schwindelig, ich muss mich an der Hauswand hinabsinken lassen, um nicht plötzlich umzukippen.

Mit geschlossenen Augen versuche ich, kontrolliert tief ein und auszuatmen. Ich zähle bis drei, atme ein, zähle wieder und atme aus. Es funktioniert. Nach und nach beruhigt sich mein Kreislauf. Ich wage einen erneuten Blick in die Menschenmenge. Jedes Herz leuchtet.

Und sofort klingelt die Gefahrenglocke in meinem Unterbewusstsein. Jeder Mensch hat ein Herz, das zumindest ist ein Fakt. Ich war einmal ein Mensch, wenn auch vor langer Zeit. Wenn jedes Herz plötzlich anfängt zu leuchten…

In meinem Kopf bahnt sich eine üble Erkenntnis an. Bevor ich der Wahrheit ins Gesicht sehe, atme ich noch einmal tief durch. Wenn mein Herz jetzt beginnt zu leuchten, sind die Tage meines friedlichen, unerkannten und unsichtbaren Lebens mehr als gezählt.

Mit zusammengebissenen Zähnen – bereit, jede Art von Wahrheit zu akzeptieren – lasse ich meinen Blick an mir herabschweifen.

Nichts.

Keine Veränderung, kein Leuchten, nein, nicht einmal ein Schimmer geht von meinem Herzen aus. Erleichtert atme ich aus. Gleichzeitig kommt mir jedoch die Frage in den Sinn: Was zur Hölle bin ich?

Ich stöhne unwillkürlich auf. Der Schock, den mir die neue Welt versetzt hat, ist vorüber. Nun prasseln tausende von Fragen auf meinen Verstand ein. Dieser jedoch wehrt sich – mit Kopfschmerzen.

Glücklicherweise gelingt es mir dennoch, für einen Moment einen klaren Gedanken zu fassen: „Weg hier“, macht meine innere Stimme mir unmissverständlich klar und ich gehorche ihr, ohne auch nur an eine Widerrede zu denken. Schnell, jedoch darauf bedacht, niemanden anzurempeln, verlasse ich den Marktplatz und lasse die vielen bunten Herzen hinter mir.

Mein Unterbewusstsein, von dem ich mich nun leiten lasse, da mein Verstand noch immer verrückt spielt, führt mich auf direktem Wege zum Friedhof. Und siehe da – als ich mich auf die vertraute Mauer setze, sind die quälenden Stimmen, die mir Fragen an den Kopf werfen, plötzlich verstummt. Ich kann aufatmen. Trotzdem zwinge ich mich, über die neue Welt nachzudenken. Je mehr ich über sie weiß, desto besser werde ich in ihr leben können. In Gedanken mache ich mir eine Liste, und beginne, über die Fragen nachzubrüten.

Frage eins: Was ist passiert?

Die Welt hat ihre Farbe verloren. Die Herzen der Menschen sowie ihre Augen beginnen auf unnatürliche Art und Weise zu schimmern.

Frage zwei: Wie ist es passiert?

Als ich gestern eingeschlafen bin, konnte ich eine Veränderung spüren, einen Riss in der gestrigen Welt. Vielleicht war das der Auslöser für das ganze Chaos, das sich mir nun darbietet.

Frage drei: Warum ist es passiert?

Ich könnte wohl tagelang über diese Frage grübeln und mir würde keine passende Antwort darauf einfallen. Verschieben wir also die Frage etwas nach hinten.

Frage vier: Was will mir das ganze sagen?

Etwa, dass ich verrückt geworden bin? Dass die Welt untergehen wird?

Frage fünf: Warum benehmen sich die Menschen trotz alledem völlig alltäglich und normal? Müsste denn nicht allgemeine Panik unter der Menschheit ausbrechen?

Darauf fällt mir nur eine einzige Antwort ein. Höchstwahrscheinlich bin ich mal wieder die einzige, die das ganze Desaster überhaupt beobachten kann. Es muss wohl irgendwie an meiner Unsichtbarkeit liegen, dass ich plötzlich nur noch die ausgewaschene Version der Erde zu sehen bekomme. Könnte das mein Ende sein? Könnte es möglich sein, dass ich mich nun langsam einfach auflöse? Dass mir meine Sinne schwinden, mein Körper den Geist aufgibt und im Wind verweht?

Ein eiskalter Schauer läuft mir das Rückgrat entlang. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, rede ich mir ein. Müsste ich mich denn jetzt nicht tausendmal elender fühlen, wenn ich jetzt sterben würde?

Ein plötzlicher Schmerz fährt mir durch den Kopf und lässt mich auffahren, ein unterdrückter Schrei entflieht meiner Kehle. Und da sehe ich klar.

Nein, nicht etwa die Farben der Welt kehren zurück. Jedoch das Puzzle aus Fragen, dass in meinem Kopf viel Raum eingenommen hat, fügt sich nun zu einer Antwort zusammen. –Ich kann nicht erklären, woher die Erkenntnis so unvermittelt kommt. Ich weiß plötzlich die Antwort und bin mir mehr als sicher, dass es die richtige ist.

Es sind die Seelen. Ich kann die Seelen der Menschen lesen. Die Farbe ihrer Herzen teilen mir deren Charakter mit. Ob sie geduldig sind, nett, griesgrämig, verlogen, hoffnungsvoll oder sehnsüchtig. An ihren Augen kann ich erkennen, in welchem Gemütszustand sie sich eben befinden. Sie mögen so gute Schauspieler sein wie sie wollen, mir können sie nichts vormachen.

Unvermittelt beginne ich, zu zittern. Ich habe Angst, ja, ich mache mir selbst Angst. Mein halbes Leben habe ich im Verborgenen verbracht, unsichtbar. Selbst in der anderen Hälfte war ich nur ein kleines Kind im Heim gewesen, ein unbedeutender, kleiner Mensch, der keine Eltern hat. Nun die Macht zu besitzen, Lebewesen aus der Seele zu lesen, ja, das jagt mir den ein oder anderen Schauer über den Rücken. Gruselig.

Gleichzeitig muss ich grinsen. „Glückwunsch“, denke ich , „jetzt bist du noch anormaler geworden. Lerne noch Gedanken lesen und man wird dich wie im finsteren Mittelalter als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrennen.“ Trotzdem bin ich beinahe glücklich über die Veränderung des Lebens. Irgendwie hatte ich den Alltag davor gründlich satt.

Neuen Mutes mache ich mich auf, um meine neue Macht zu erforschen. Ob es wohl die Absicht der Elfen gewesen war, mir eine solche Fähigkeit zu verleihen? Niemand sonst könnte wohl eine derartige Veränderung in meinem Sichtfeld bewirken.

Ich brauche nicht lange zu gehen, um das erste Opfer zu finden, an dem ich meine eben errungene Macht zu erproben gedenke. Eine ältliche Dame schlurft mit ihrem kleinen Hund, dessen verfilztes Haar an einen Wischmopp erinnert, den Gehweg zum Spielplatz entlang. Schon von weitem sehe ich die lebendigen, blauen Augen des Tieres und die der Frau, die in einem sanften, gemütlichen Grün schimmern.

Ich schleiche mich bis auf wenige Meter an die Lebewesen heran und folge ihnen lautlos wie ein Panther auf der Pirsch, bis die ältliche Frau sich auf eine Bank am Rande des Spielplatzes setzt, um neuen Atem zu schöpfen. Ihr kleiner Wischmopp hüpft aufgeregt vor der Bank auf und ab.

Die Augen des Tieres waren leuchtend gelb, sein Herz hatte eine hellblaue Farbe. Ich kann daraus schließen, dass der Hund im Moment sehr ungeduldig ist, im Allgemeinen ist er ein kleiner, aufgeweckter Kerl, stets lebhaft und frech.

Das Herz der Frau jedoch wies eine grüne Färbung auf, ihre Augen leuchteten dunkelblau. Instinktiv stelle ich fest, dass die Dame im Moment ruhig und entspannt ist. Im Alltag ist sie engagiert, wenngleich auch sie des Öfteren die Geduld verliert.

Fasziniert drehe ich meinen Kopf gen Himmel. Mein unbedeutendes Leben hat eine abrupte Hundertachzig – Grad – Drehung vollführt und krempelt meinen gesamten Alltag um. Ich bin neugierig darauf, was wohl als nächstes geschieht. Gleichzeitig habe ich Angst – Angst vor dem, was vielleicht folgt, Angst vor einem plötzlichen Ende.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Thuja
2011-01-15T22:39:09+00:00 15.01.2011 23:39
Eine neue Fähigkeit
Und die alles entscheidende Frage
Ist das gut oder schlecht?
Sie sieht jetzt hinter die Fassade der Menschen. Eine sicher interessante Fähigkeit. Aber dafür hat die Welt ihre Farben verloren. Das wäre irgendwie traurig, all die kräftigen Farben nicht mehr so sehen zu können
Obwohl es manchmal wirklich toll wäre, zu erkennen, was wirklich hinter einer Person steckt.
Und wie immer war dein Ausdruck überzeugend. So dass man einfach Lust hat weiter zu lesen und nebenbei tief traurig ist, dass kein neues Kapitel da ist *snief*
Wird allerhöchste Zeit das du weiter schreibst
Morgen schon was vor?
Ein neues Kapitel zu entwerfen, wäre eine wunderbare Idee
Mir macht es wirklich Spaß zu lesen
Die Idee ist sehr gut
Der Ausdruck flüssig mit einer schönen Wortwahl
Und man wartet wirklich darauf, was als nächstes passiert. Man fiebert mit der Protagonistin mit.

Nur eines habe ich mich gefragt: wieso war sie nun auf dem Weg dorthin eigentlich keinem Menschen begegnet? Das wirkte fast so, als wären die Menschen verschwunden.


glg

Von:  Cygni
2010-06-13T10:51:31+00:00 13.06.2010 12:51
okayy~ das macht mir ein bisschen angst...
und ich weiß irgentwie aucvh nicht was ich mit der information jetzt anfangen soll... ich bin verwirrt...
kann das nächste kapi ein wenig den nebel lichten?
bitte? :)

lg stellax3


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