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Die Herzschwert-Saga

Die Hüterin des Herzschwertes
von

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10. Akt: Shar´Thek

Shar´Thek.

Ein uralter Ritualkampf bei den Clans der Wüstenreiter.

Sein Ursprang ist längst vergessen,

Einige behaupten das Shar´Thek wäre eine Erfindung der alten Kalifen und Sultane,

Andere wiederum vermuten, die vier Winde hätten es den Wüstenreitern geschenkt.

Wo auch immer Shar´Thek herstammt oder begonnen hat,

Der alte Ritualkampf hat schon unzählige,

Blutige Schlachten verhindert.

Geehrt wird er nicht allein von den Winden der Wüste,

Sondern auch von den Nu´Rakal von Jeris

Und den Priesterkriegern aus Hatakk.

Ein Kampf der Ehe und des Friedens,

Wie ihn nur noch die Wüste kennt.
 

Anshak Orga,

Gelehrter aus den Wüstenländern
 

***
 

Die letzten Sonnenstrahlen senkten sich über das Lager des Sanddrachenclans. Bevor noch das letzte Licht erloschen war, entzündeten die Wüstenreiter unzählige Feuer und Fackeln, um das Lager zu erhellen. Eine unnatürliche Stille hatte sich über die Zelte der Wüstenbewohner gelegt. Alle erwarteten voller Spannung den nahenden Kampf. Viele fürchteten sogar sein Ende. Wer mochte das Shar´Thek für sich entscheiden? Lorgren oder Raga? Niemand war sich sicher, wer der beiden Wüstenreiter der Sieger sein würde. Beide galten als geschickte Krieger.
 

Fynn wollte gar nicht erst daran denken, wie das alles enden würde. Ihre Gedanken hingen bei Lorgren, den sie seit der Versammlung nicht mehr gesehen hatte. Die Dienerin, die ihr und den Zwergen den Sonnenschnaps gebracht hatte, hatte ihr erklärt, das die beiden Kontrahenten sich auf das bevorstehende Shar´Thek körperlich wie geistig vorbereiten mussten und keiner sie stören durfte. Erst am Abend würde man die beiden Männer wieder sehen.
 

Den beiden Zwergen hatte Fynn von den Ereignissen am Vormittag berichtet und beide waren nicht grade darüber überrascht gewesen, das man ihren Tot gefordert hatte. Sie hatten es mit typisch, zwergischer Gelassenheit hingenommen und vom Sonnenschnaps getrunken.
 

Als das Thema dann schließlich den bevorstehenden Kampf angeschnitten hatte, waren Valzar und Flint hellhörig geworden. Sie hatten jedes ihrer Worte in sich aufgenommen und Valzar hatte sich über den Wüstenreiter aufgeregt, der so einfach ihr Leben retten wollte, was die beiden doch schön alleine hinbekommen würden.
 

Nun standen sie zusammen mit dem Mädchen am Ratszelt des Sanddrachenclans und erwarteten, wie viele andere, den bevorstehenden Kampf. Die Wüstenbewohner hatten sich zu einem großen Halbkreis zusammen gefunden. Man hatte für Fynn, Amirah und die fünf Ratsmitglieder Kissen und Decken bereitgestellt, von wo sie aus dem Kampf mitverfolgen konnten. Valzar und Flint hatten sich zu Fynn gesellt, um auch nichts von dem Kampf zu verpassen.
 

Nohrasil hatte Fynn neben sich Platz nehmen lassen. Er beugte sich zu ihr und erklärte mit gedämpfter Stimme: „Wir warten jetzt bis der erste Ruf des Drachen erklingt.“ Das Mädchen sah ihn fragend an. Was meinte er damit, fragte sie sich. Doch dann hörte sie das Heulen einer Bestie, tief aus der Wüste, ins Lager der Wüstenreiter erschallen. Nun verstand sie, was er gemeint hatte.
 

Der Clanführer erhob sich und trat einen Schritt vor den versammelten Clan. „Der Drache der Wüste hat seine Stimme erhoben!“, rief er aus und jeder Mann und jede Frau gingen auf die Knie. Er sah sich um und fuhr fort. „Mögen die vortreten, die zum Shar´Thek ausgerufen haben!“ Die Leute erhoben sich wieder.
 

In ihrer Mitte öffneten sie einen Weg für die beiden Kämpfer. Lorgren und Raga traten, mit den rituellen Bemalung auf ihren Oberkörpern, in die Mitte des Halbkreises Nohrasil gegenüber, der beiden mit strengem Blick begegnete. Sie erwiderten diesen einen Augenblick, bevor sie vor dem Clanführer auf ein Knie nieder gingen und das Haupt senkten.
 

Fynn sah Lorgren mit großen Augen an. Nie zuvor hatte sie seine gestählte Brust gesehen, deren Haut im Schein der Fackeln glänzte. Sie konnte jeden Muskel deutlich sehen, der unter der Haut arbeitete und sie erwischte sich bei der Vorstellung, dass sie eine ihrer Hände über die ebenmäßige Brust wandern ließ, den leichten, dunklen Flaum streichelte. Sie schüttelte leicht ihren Kopf und rügte sich für solche Gedanken. Er war nur ihr Wegbegleiter und längst mit Amirah verlobt. Wie konnte sie da nur an so etwas denken? Sie war ja nicht einmal eine richtige Frau!
 

„Erhebt euch!“, befahl Nohrasil den beiden Männern. Beide erhoben sich. „Seit ihr bereit für das Shar´Thek?“
 

„Das sind wir!“, erklangen ihre Stimmen im Chor und das jagte Fynn einen kalten Schauer über den Rücken. Diese Kühle, die in den Stimmen der beiden mit schwang, war erschreckend. Als hätten sie all ihre Menschlichkeit ablegen, dachte sie nervös.
 

„So sei es!“, ertönte Nohrasils kraftvolle Stimme. „Shar´Thek!“, rief er und der Clan erwiderte diesen Ruf. „Shar´Thek!“ Fynn merkte, das jeder diesen Ruf erwiderte, jeder, außer ihr und... Ihr Blick haftete auf Amirah, die mit besorgen Gesicht zu Lorgren sah. Ihre blauen Augen funkelten im Schein der Fackeln, doch Fynn sah mehr. Sie sah die Hoffnung der jungen Frau, die Hoffnung, das Lorgren als Sieger hervor ging und die Angst um den Mann.
 

Das Mädchen richtet ihren Blick auf den Wüstenreiter, der ihr ein treuer Verbündeter geworden war und betet leise zu all ihr bekannten Göttern, das sie über Lorgren wachten. Das sie ihn beschützten.
 

Der Clanführer trat auf beide Kontrahenten zu und umrundete sie, wobei seine Augen die Muster und Bilder auf ihrer Haut genau untersuchten. Als er seinen Rundgang beendet hatte, winkte er einen Mann aus den Reihen der Zuschauer zu sich. Dieser eilte sogleich zu seinen Herren. „Deine Pflicht ist es die Waffen zu wählen, Sohn der Wüste“, sagte Nohrasil feierlich. Der Mann nickte ernst und sah die beiden Kämpfer an, die noch so standen, wie Nohrasil sie zurück gelassen hatten.
 

„Kampf mit dem Messer!“, rief der Mann aus. Die männlichen Zuschauer stampften mit ihren Stiefeln auf den Sandboden auf. Der Jerisane wand sich seinem Clanführer zu und sagte nun mit ruhiger Stimme: „Das Messer soll ihre Waffe sein.“
 

„So soll es geschehen!“, rief Nohrasil aus und ging zurück zu seinem Platz. Er sah kurz zu Fynn, die das ganze mit bangem Blick bisher verfolgt hatte und nickte ihr knapp zu. Dann beugte er sich hinter seinen Platz und zog zwei Messer hervor. Er kehrte in die Mitte des Schauplatzes zurück und ließ die Messer mit der Klinge voran in den Sand fallen, wo sie stecken blieben. Sogleich kehrte er zu seinem Platz zurück und ließ sich nieder. „Nun warten wir bis zum Ruf des Drachen!“, rief er noch einmal, dann legte sich wieder Schweigen über die Versammlung.
 

***
 

Tensh rieb sich begierig die Hände. Er freute sich schon teuflisch auf den bevorstehenden Kampf. Er stand in vorderster Reihe des Halbkreises, genau der Hüterin gegenüber, die die beiden Kämpfer aufmerksam beobachte, wie jeder andere auch.
 

Der kleine Mann betrachtet die Hüterin und fragte sich, was sie in den Augen des Zerstörers und Eroberers so gefährlich machte. Nicht alles was glänzt ist Gold, erinnerte er sich an eine alte Redewendung von daheim. Egal wie schön und unschuldig sie auch wirkte – Tensh fühlte sich zu dem Mädchen hingezogen -, der Allmächtige wollte ihren Tot und den sollte er auch haben. Er wollte ihm nicht im Weg stehen. Dennoch konnte er sich nicht davon abbringen lassen, seinen perversen Fantasien freien Lauf zu lassen.
 

Wie sich wohl ihr Haar anfühlte, fragte er sich und rieb sich nervös die Hände. Er sollte es herausfinden, fand er. Doch bis dahin musste erst einmal das Blut dieses einarmigen Mannes vergossen werden, diesem Lorgren. Er wusste um das kämpferische Können des Wüstenreiters, dennoch glaubte er nicht, das er Raga gewachsen war. Nicht, nachdem er dem Hünen den Segen Skorms ins Fleisch geritzt hatte.
 

Er musste wieder kichern, als er sich an den Traum erinnerte, den er noch in der letzten Nacht gehabt hatte. Er hatte einen Befehl seines geliebten Gottes erhalten und am folgenden Morgen den Dolch mit der feinen Klinge neben seinem Kissen gefunden. Zwar war Tensh kein Priester, doch hatte er die heilige Magie Skorms in der Klinge gespürt.
 

Er spürte sie jetzt noch immer, denn den Dolch trug er unter seiner weißen Robe bei sich. Mit der Waffe würde er auch das Blut der Halbork vergießen, die nichts ahnend auf ihrem Platz saß und den Ruf des Drachen erwartete. Wie köstlich würde sein Erfolg erst sein, wenn er in das entsetzte Gesicht der Hüterin sah, während die Klinge sich in ihre Brust bohren würde. Ein erregender Schauer durchlief ihn und er überließ sich wieder seinen kranken Fantasien.
 

Er schreckte auf, als er den entfernten Ruf des Sanddrachen hörte. Nun war es endlich so weit. Shar´Thek hatte begonnen.
 

***
 

Sobald der Ruf des Sanddrachen verklungen war, wirbelte Lorgren herum und rannte zu einem der beiden Messer, die Nohrasil hatte in den Sand fallen lassen. Überrascht stellte der Wüstenreiter fest, das sein Gegner einen Schritt voraus war und bereits nach einer der Waffen langte. Noch bevor Lorgren die andere Klinge erreichte, drehte sich Raga mit einem gehässigen Grinsen zu ihm herum und streckte ihm das Messer entgegen.
 

Der Jerisane hielt inne und wich einen Schritt zurück, blieb aus der Reichweite des anderen. Der Hüne kam mit bedächtigen Schritten auf ihn zu, achtet genau darauf, dass er zwischen dem Einarmigen und dem letzten Messer blieb.
 

Die Männer und Frauen um sie herum blieben mucksmäuschenstill, während ihre Augen die beiden Kämpfer, die sich gegenseitig belauerten, nicht einen Moment außer Acht ließen.
 

Raga wagte einen Vorstoß und schlug mit dem Messer nach Lorgren, der aber einen raschen Schritt zurück wich und der Klinge entging. Schnell bemerkte er, dass der Hüne ihn nur auf die Probe stellte, noch nicht ernsthaft vorhatte, ihn anzugreifen. Das musste er sich irgendwie zu nutze machen, überlegte er, als er einem Messerstoß auswich.
 

Wieder schoss die Klinge vor, verfehlte wieder den Wüstenreiter, der einfach zurück wich. Doch als Raga seine Klinge zurückzog, sprang Lorgren vor und hechtet an seiner rechten Seite vorbei. Der große Mann sah ihn erstaunt an, doch er reagierte sofort und versuchte Lorgren mit seinem Messer an der Brust zu erwischen, doch dieser duckte sich unter dem Schlag hinweg und sprang mit einem langen Satz zu dem verbliebenen Messer.
 

Endlich bewaffnet, wand sich Lorgren seinem Gegner zu, der ihn finster anfunkelte. Probeweise ließ der Wüstenreiter seine Waffe in der Hand kreisen, bevor er sie mit festem Griff packte und vor sich hielt.
 

„Das wird dir auch nicht weiter helfen, Krüppel“, zischte Raga, der davon überzeugt war, in Lorgren keinen ernsthaften Gegner zu haben. Doch sein Gegenüber antwortet nicht, ließ sich nicht von seinen Worten ablenken. Wie ein Schild ließ er alle Beleidigungen, jeglichen Spott an sich abprallen. Seine Gedanken waren nur auf Raga selbst gerichtet, seinem Gegner, den er besiegen musste, um das Leben seiner Freunde zu schützen.
 

Raga sprang vor, so schnell, das Lorgren nicht sofort reagieren konnte. Er warf sich zurück, doch Ragas Messer versetzte ihm einen schmerzhaften Schnitt an der Brust. Knurrend stach er nach dem großen Mann, der mit einem triumphierenden Grinsen zurück tänzelte und so seiner Klinge entging.
 

Lauernd umkreisten sich beide Männer, behielten einander im Blick. Das Grinsen war nicht aus Ragas Gesicht gewichen und Lorgren fragte sich unweigerlich, warum der Mann sich so sicher fühlte. Doch er konnte seinen Gedanken nicht weiter verfolgen, denn Raga stürzte sich mit einem lauten Aufschrei auf ihn und stach mit dem Messer nach seinem Herzen.
 

Lorgren wich nach links aus, entging der Klinge, doch bekam er kurz darauf die freie Faust des Hünen zu spüren. Sie krachte gegen seine Nase und Lorgren hörte ein leises Knacken. Er torkelte zurück und spürte warmes Blut über seine Lippen, sein Kinn laufen. Doch Raga ließ nicht locker. Er folgte ihm und drang weiter auf ihn ein.
 

Zweimal drehte Lorgren seinen Körper von der scharfen Klinge weg, dann duckte er sich unter dem dritten Streich hindurch und ließ seine Klinge über den rechten Unterarm des Mannes fahren. Sie hinterließ eine lange, blutende Wunde, doch Raga schien dies nicht einmal zu spüren.
 

Immer und immer wieder stach oder schlug er mit seinem Messer nach dem Wüstenreiter, der den Schlägen auszuweichen versuchte. Lorgren zuckte zusammen, als Raga ihn schließlich erwischte. Das Messer hatte ihn an der rechten Schulter erwischt und der Jerisane spürte schon das Blut, das aus der Wunde trat. Doch er hielt sich nicht lange damit auf, sondern wich weiter vor Raga zurück.
 

So ging es lange, bis Lorgren endlich wieder einen Angriff starten konnte. Raga hatte sich bei einem weit geführten Schlag eine Blöße gegeben und bot Lorgren so seine ungeschützte Brust als Ziel. Ohne zu zögern hastete er vor und stach zu, doch er hatte nicht mit der erstaunlichen Schnelligkeit des großen Mannes gerechnet, dessen freie Hand vor schoss und sich um seine Hand schloss.
 

Lorgren sah erstaunt zu Raga, auf dessen Lippen ein höhnisches Grinsen lag. Er drückte zu und Lorgren keuchte auf, als der Hüne ihm die Hand zerquetschte. Doch dem war nicht genug. Sein Knie schoss vor und traf Lorgren genau in den Bauch. Der Jerisane keuchte auf und krümmte sich. Kurz darauf riss Raga den keuchenden Mann von den Beinen und Lorgren landete hart auf dem Rücken.
 

Raga warf sich auf seinen hilflosen Gegner, dessen Hand er immer noch mit seinem schraubstockartigen Griff gefangen hielt. Auf der Brust Lorgrens sitzend sah er auf den einarmigen Mann herab und amüsierte sich über dessen Versuche sich aus seiner misslichen Lage zu befreien.
 

„Das bringt dir nichts“, sagte Raga leise genug, das allein Lorgen ihn verstand. „Du bist des Todes, Einarmiger. Allein die Winde können dir noch helfen, aber ich zweifle daran, dass sie dir helfen werden. Denn du hättest schon lange tot sein müssen.“
 

Lorgren funkelte den anderen Unheil verkündend an, während er sich weiter unter ihm wand. „Sei… Sei dir da nicht so sicht, Raga“, stieß er verbissen hervor. Doch der Hüne lachte nur und ließ den Druck um die gefangene Hand weiter ansteigen, das Lorgren schon fast glaubte, das Knacken seiner überbelasteten Knochen zu hören.
 

Kurz schloss er die Augen um sich zu konzentrieren. Er verbannte den Gedanken daran, das Raga nun sein Messer für den finalen Stoss fertig machte und über seinen Kopf hob. Seine Augen öffneten sich wieder und sein linkes Bein schoss vor. Raga keuchte erschrocken auf, als ihn Lorgrens Fuß am Hinterkopf traf. Davon überrumpelt konnte der Hüne auch nicht mehr verhindern, das Lorgren seine Hand befreite und ihn von sich stieß.
 

Schnell war er wieder auf den Beinen, doch Raga erholte sich schnell. Mit einem wütenden Brüllen rannte der Hüne auf den kleineren Mann zu, das Messer hoch über sich erhoben, zum Stoss bereit. Lorgren ging in die Hocke, festigte seinen Griff um seine eigene Klinge und wartete auf den richtigen Augenblick.
 

Als Raga nah genug war, sprang er aus der Hocke auf den großen Mann zu und stach zu.
 

Das Messer bohrte sich in die Seite des Mannes, zwischen seinen Rippen hindurch. Lorgren glaubte schon, Raga besiegt zu haben, da täuschte er sich. Denn der große Mann packte ihn am Haar und stieß ihn von sich weg. Lorgren stolperte Rückwärts, doch hatte er sich rasch wieder im Griff und sah den anderen Mann an.
 

Das Messer steckte noch immer in Ragas Seite. Der große Mann sah auf dieses und riss es sich aus dem Fleisch. Ein Schwall Blut folgte der Klinge beim Austritt, doch Raga zeigte keine Anzeichen dafür, dass er sich von der Wunde irgendwie behindert fühlte oder Schmerz verspürte. Er warf die Klinge achtlos von sich auf den Boden.
 

Aus den Reihen der Zuschauer, die dasselbe mit dem gleichen Erstaunen gesehen hatten, ertönte die entsetzte Stimme einer Frau. „Raga!“, kreischte sie. Eine weitere Stimme erklang, die eines alten Mannes, der die Frau zudem zurück hielt. Lorgren vermutete, das es sich dabei um Ragas Frau handelte, die um das Leben ihres Mannes bangte.
 

Er selber glaubte, das Raga der Wunde eigentlich erliegen musste. Sie war tief und er blutet stark. Doch Raga stand aufrecht da und sah ihn mit mordlüsternem Blick entgegen, als wäre nichts passiert. Sofort wusste der Jerisane, das etwas nicht stimmte. Kein Mensch konnte eine solche Wunde unbeschadet überstehen. Etwas war mit Raga geschehen und das beunruhigte den Wüstenreiter zunehmest. Für Lorgren stand fest, das er Raga irgendwie besiegen musste, denn er bangte um Fynn. Das Mädchen schwebte in großer Gefahr.
 

Raga brüllte wieder auf und stürzte sich auf den nun unbewaffneten Lorgren. Schnell rollte sich der Jerisane zur Seite ab, bevor die Klinge des Hünen ihn erreichte. Er kam auf die Beine, als Raga sich ihm zu wand und erneut einen Streich gegen ihn führte. Lorgren tänzelte grade noch rechtzeitig zurück, bevor die Klinge ihn traf.
 

Lorgren duckte sich unter einem weiteren Schlag hinweg und hechtet auf den Hünen zu. Er ließ seine Faust auf die Wunde niedersausen, doch Raga gab keinen Laut des Schmerzes von sich, sondern rammte Lorgren das Knie nur in die ungeschützte Flanke. Die Kraft des Stoßes riss Lorgren von den Beinen, doch er fing sich am Boden ab und rollte sich von dem Hünen weg, der ihm mit langen Schritten folgte.
 

Er schaffte es grade noch einem der Füße Ragas auszuweichen, der donnernd auf die Stelle traf, wo eben noch sein Kopf gewesen war. Raga folgte ihm weiter, versuchte noch einige Male den Kopf des Wüstenreiters zu zermalmen, bevor er wieder auf den Beinen stand.
 

Hektisch sah sich Lorgren nach dem verlorenen Messer um und entdeckte es nicht unweit der Reihen der Zuschauer. Raga erreichte ihn und versuchte ihn mit einem Fußtritt zu Boden zu befördern, doch der flinkere Lorgren wich aus und ergriff das muskulöse Bein des Hünen. Er stemmte sich gegen den Mann, der das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel.
 

Endlich einen Moment sicher vor seinem Gegner, hastete Lorgren zu dem Messer und ergriff es. Hinter sich hörte er Raga, der wütend auf die Beine kam und wieder auf ihn zu stürzte. Schnell wirbelte er herum und sah, dass der Hüne bereits näher heran gekommen war, als er angenommen hatte. Nur noch wenige Schritte trennten sie voneinander und es wurden immer weniger.
 

Es blieb ihm nichts anderes übrig. Lorgren holte weit mit dem Messer aus und schleuderte die kleine Waffe seinem Gegner entgegen. Raga machte keine Anstalten ihr auszuweichen und so passierte das Unvermeidliche. Die Klinge bohrte sich bis zum Griff in die Kehle des hünenhaften Mannes, der je in seiner Bewegung innehielt und den Wüstenreiter mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.
 

Das Messer fiel ihm aus der kraftlosen Hand, er torkelte noch zwei Schritte auf Lorgren zu, bevor ihm die Beine den Dienst versagten und er in die Knie ging. Seine Augen schlossen sich und der Kopf sank schlaff auf die Brust. Er fiel zur Seite in den Sand und blieb regungslos liegen.
 

Raga war tot.
 

Die Leute waren wie erstarrt und sahen zu dem leblosen Körper des Mannes. Lorgren merkte, das er den Atem angehalten hatte und jeden Moment damit rechnete, dass der Hüne wieder aufstand und sich mit einem wütenden Schrei auf ihn stürzte. Doch nichts der gleichen geschah.
 

Eine Frau kam aus der Menge gerannt und stürzte zu dem leblosen Körper. Ragas Frau, erkannte Lorgren sogleich. Kraftlos fiel die Frau auf die Knie und schlang ihre Arme um den Körper ihres Mannes und verfiel in lautes Wehklagen. Ein alter Mann folgte ihr, blieb aber hinter ihr stehen und senkte nur den Kopf. Seine Schultern zuckten unter leisem Schluchzen.
 

Lorgren musste den Blick abwenden, denn der Anblick traf ihn. Er hatte einen stolzen Mann seiner Familie entrissen. Er würde seiner Frau und dem Alten nicht in die Augen sehen können. Wenn sie ihn für seine Tat verfluchen würden, wäre er der letzte, der es ihnen übel nahm.
 

„Lorgren!“, erklang die Stimme Fynns. Er sah auf und erblickte das Mädchen, das auf ihn zu eilte, wie auch Amirah und die beiden Zwerge. Fynn erreichte ihn und sah ihn mit feuchten Augen an, während Amirah neben ihn auf die Knie fiel und behutsam die Arme um den Hals schlang. Er zuckte leicht zusammen, als sie seine Hand nahm und er wusste, dass er nicht nur mit einer gebrochenen Nase und einigen Schnitten davon gekommen war.
 

„Komm“, sagte die Wüstenprinzessin zu ihm und erhielt seine Aufmerksamkeit. „Wir bringen dich zum Heiler. Deine Wunden müssen versorgt werden.“
 

Lorgren wollte ihr da nicht widersprechen, doch das Nohrasil war noch lange nicht vorbei. Er schloss kurz die Augen und befreite sich von der jungen Frau. Etwas unbeholfen schritt er auf Nohrasil und die Ratsmänner zu, die immer noch an ihren Plätzen standen. Vor ihnen beugte er das Knie und sah zu Boden.
 

Es dauerte eine ganze Weile, bevor Nohrasil seine Stimme erhob. „Lorgren hat Raga besiegt!“, erklärte der Anführer des Sanddrachenclans seinen versammelten Leuten. „Lorgren hat Shar´Thek für sich entschieden!“
 

Die jerisanischen Männer stampften mit den Füßen auf. „Shar´Thek!“, riefen sie immer wieder auf.
 

Lorgren erhob sich schwerfällig. Er sah den Clanführer offen ins Gesicht und dankte ihm mit einem leichten Nicken. Er atmete innerlich auf, als er sich bewusst wurde, dass er Fynn und die Zwerge vor dem Tot bewahrt hatte. Sie waren nun sicher und würden sich frei unter den Wüstenreitern bewegen können.
 

Nohrasil trat auf seinen zukünftigen Schwiegersohn zu und sagte: „Nun geh, Lorgren, der das Schicksal sucht. Lass deine Wunden behandeln.“ Lorgren, zu müde zum Widersprechen, nickte schlicht und wand sich um.
 

Zu seiner Überraschung standen da die Zwerge und die beiden Frauen. Valzar funkelte ihn an. „Du närrischer Hund!“, herrschte ihn der Zwerg an und stampfte mit den schweren Stiefeln auf. „Einfach so unser Leben retten! Hat man denn da Töne!“ Doch dann grinste der Zwerg. „Danke, mein Freund.“
 

Lorgren sah den Zwerg eine Weile an, bevor er das Haupt neigte und murmelte: „Nichts zu danken… mein Freund.“
 

***
 

Tensh sah dabei zu, wie der tote Raga von einigen Kriegern der Wüstenreitern von dem Kampfplatz weg geschafft wurde, während ihnen seine Frau und sein Vater folgten. Wie hatte der Hüne nur versagen können, fragte sich der kleine Mann wütend. Skorm hatte ihm seinen Segen gegeben, ihm mehr Kraft und Schnelligkeit geschenkt. Doch das hatte nichts gebracht.
 

Vielleicht hätte es besser geklappt, wenn er auch ein Anbeter des Eroberers und Zerstörers gewesen wäre, überlegte Tensh schließlich.
 

Den Gedanken führte der Skormanbeter aber nicht zu ende, als er die Hüterin sah. Seine Augen funkelten begehrlich, während er das zarte Mädchen betrachtete. Der Wunsch, sie für sich allein zu haben übertraf fast schon sein Verlangen, seinem geliebten Gott zu dienen und dessen Wünsche zu erfüllen. Es trieb den kleinen Mann fast schon an den Rand der Verzweiflung.
 

Wieso musste sie so schön sein, wollte er wissen, doch erhielt er darauf keine Antwort. Wieso musste sie ein Mädchen von solcher Anmut sein, das es ihm fast schlecht wurde, bei den Gedanken, sie töten zu müssen. Egal war es, das sie ein Bastard war, vergessen waren die Lehren seiner Kindheit, das allein die Menschen über allem standen. Nur der Anblick dieses schönen Mädchens war wichtig.
 

Tensh erwischte sich bei den Gedanken, sie einfach zu entführen und Skorm zu entsagen, doch sofort verwarf er dies. Wie konnte er auch nur daran denken dem Zerstörer zu entsagen. Er würde seinem geliebten Gott auf Ewig die Treue halten. Ihm würde er nie entsagen können. Zu groß war die Herrlichkeit seiner Macht.
 

Dennoch wünschte sich Tensh die Hüterin für sich zu haben. Vielleicht könnte er ihre Hinrichtung etwas herauszögern, um sich an ihrer zu erfreuen, um seine Gelüste zu befriedigen. Skorm wäre sicher nicht böse, wenn sich der Tot des Mädchens um einen oder zwei Tage verzögern würde.
 

Leise kichernd huschte der kleine Mann davon, um sich für seine anstehende Aufgabe zu wappnen.
 

***
 

Fynn sah dabei zu, wie der Heiler Lorgrens zahlreiche Wunden versorgte. Die meisten von ihnen waren Schnitte, die Raga dem Wüstenreiter beigebracht hatte. Seine Hand war gequetscht, zwei Rippen waren geprellt und seine Nase war gebrochen – der Heiler hatte gesagt, dass sie wieder grade wachsen würde. Ansonsten ging es dem Jerisane gut.
 

Der Heiler, ein alter Mann, verband Lorgren in aller Ruhe die schmerzende Hand, bevor er sich erhob und verkündete, dass seine Arbeit getan war. Er wies den Wüstenreiter an sich zu schonen und die Heilmittel zu verwenden, die er ihm gegeben hatte. Er wand sich Fynn und den anderen – Amirah, Flint und Valzar – zu und verabschiedete sich, bevor er sie alleine ließ.
 

Nach dem Shar´Thek hatte Nohrasil dem Mädchen und den Zwergen erlaubt Lorgren in sein Zelt zu begleiten. Wie Fynn bereits wusste, war es ausschließlich dem Wüstenreiter und seiner Verlobten gestattet sich in dem Zelt aufzuhalten. Doch Lorgren hatte darum gebeten, das man für seine Gefährten eine Ausnahme machte. Da es sich bei ihr um die Hüterin handelte, musste der Clanführer nicht lange überzeugt werden und er hatte die Erlaubnis erteilt.
 

Amirah rückte zu dem Einarmigern und kontrollierte die Verbände und Umschläge. Fynn glaubte nicht, das die Wüstenprinzessin das tat, um die Arbeit des Heilers zu überprüfen. Sie vermutete eher, dass sie ihrem Verlobten so nah wie möglich sein wollte.
 

Die Halbork wollte dies nicht gut heißen. Konnte Amirah Lorgren nicht etwas Ruhe gönnen nach dem harten Kampf, dem Shar´Thek? Er brauchte jetzt Ruhe und keine Klette, die auf Schritt und Tritt am ihm hing. Sie waren verlobt, aber das hieß nicht, dass sie den Mann bemuttern musste. Lorgren war ein erwachsener Mann, der sich um sich selbst kümmern konnte.
 

Flint neben ihr schnaubte. „Das war ein seltsamer Kampf“, brummte der Zwerg, der seit Ende des Shar´Thek die ganze Zeit über geschwiegen hatte.
 

Lorgren, der auf seiner Nachtstätte saß, nickte zustimmend. Er wand sich an Amirah und fragte die Prinzessin: „War Raga immer so hart im nehmen?“
 

„Raga war einer unserer besten Krieger“, sagte sie. „Er hat in vielen Schlachten gekämpft und wurde einige male schwer verletzt. So eine Wunde, wie du sie ihm zugefügt hast, hatte er bereits. Zwei Monate hatte es gedauert, bis er wieder aufrecht stand und durch die Wüste geritten war.“
 

„Das stinkt gewaltig nach Zauberei“, knurrte Valzar, der die königliche Rüstung seiner Sippe trug und sich Drakobans Drachenfaust auf den Rücken geschnallt hatte. Die anderen nickten zustimmend. Auch sie waren zu dem Entschluss gekommen. „Habt ihr einen Magier oder Priester im Lager?“
 

Amirah schüttelte den Kopf. „Nein“, erwiderte sie. „Unser Clan besteht ausschließlich aus Kriegern. Gelegentlich besuchen uns Priester der vier Winde, doch das nur am Ende jedes Monats oder noch seltener.“
 

Fynn erinnerte sich an die magischen Kräfte der Priester. Sie bekamen diese von ihren Göttern, die sie mit voller Inbrunst anbeteten, so hatte man ihr erzählt. Reisende Priester hatten Steindorf gelegentlich besucht und die Lehren ihrer Götter verbreitet. Fynn selber war oft dabei gewesen, als die Priester über ihre Götter gesprochen hatten. Sie hatte ebenfalls gehört – sie war nicht dabei gewesen -, dass einer von ihnen einem Bauern das gebrochene Bein geheilt hatte. Am nächsten Tag war der Mann mit seinem geheilten Bein herum spaziert und der Gottheit des Priesters für seine schnelle Genesung gedankt.
 

Sie wünschte sich, ein Priester wäre nun hier und würde den zerschlagenen Lorgren heilen, damit er wieder aufrecht und stolz da stand. Dann würden sie rasch wieder aufbrechen und das Lager der Wüstenreiter hinter sich lassen. Dann hätten sie Ruhe von Amirah.
 

„Hmm“, machte Flint und strich sich durch seinen stolzen, weißen Bart. Er sah von einem zum anderen und sein Blick blieb auf Fynn liegen, die ihn neugierig ansah. Er schüttelte leicht den Kopf, bevor er sich an Valzar wand. „Kannst du mit deinem Hammer die Quelle ausfindig machen?“
 

„Dafür müsste ich zu Raga“, erwiderte der Zwergenkönig und schüttelte den Kopf. „Da komme ich aber nicht ran. Seine Familie betrauert ihn und läst niemanden zu seinem Leichnam.“
 

Fragend sah Flint Amirah an, doch die sagte: „Da kann niemand etwas machen. Der Brauch will es so, das der Tote einen vollen Tag von seinen Lieben betrauert wird, bevor Freunde und Kameraden sich von ihm verabschieden.“ Der alte Zwerg sah zu Lorgren, aber der nickte nur zu den Worten der Frau.
 

„Dann müssen wir wohl warten“, brummte Valzar nicht grade begeistert. Er sah seine Gefährten und die Prinzessin an. „Ich schlage vor, dass wir uns für die Nacht zurückziehen. War ein verdammt langer Tag.“
 

Die anderen konnten dem nur zustimmen. Nachdem Fynn und die Zwerge sich von Lorgren verabschiedet hatten, brachten die beiden Bärtigen die Halbork zu ihrem Zelt. Dort sagten sie ihr gute Nacht und ließen sie, im Schutz zweier Wächter, zurück. Fynn fühlte sich unwohl so allein. Sie war nun mehr als einen Monat lang mit ihren Gefährten gereist und hatte in ihrer Gesellschaft geschlafen. Doch nun musste sie in einem großen Zelt alleine schlafen, während ihre Freunde ein gutes Stück weiter weg nächtigten.
 

Das Mädchen fühlte sich unwohl, als sie sich für die Nacht umzog und unter die Decken ihres übertrieben großen Bettes schlüpfte, das aus unzähligen Kissen und Decken bestand, die allesamt aus edlen Stoffen waren. Sie war ein solches Nachtlager einfach nicht gewohnt. Ein einfaches Bett oder ihren Schlafsack hätte sie diesem allemal vorgezogen.
 

Sie musste an Lorgren denken, der allein mit Amirah in seinem Zelt geblieben war und sie fragte sich, was die beiden nun taten. Unweigerlich stellte sie sich einige Szenarien vor und wurde rot im Gesicht, schämte sich ihrer Gedanken. Nein, Lorgren würde so etwas gewiss nicht tun, nicht in seinem Zustand. Aber was wenn er gesund gewesen wäre?
 

Nein, entschied sie. Der Wüstenreiter war kein solcher Mann, der die erstbeste Gelegenheit nutzte, um mit einer Frau das Bett zu teilen. Zwar war er mit Amirah verlobt, doch es war Fynn erschienen, das er selber davon nicht all zufiel hielt. Vielleicht wollte er nicht einmal diese Frau heiraten, überlegte das Mädchen. Vielleicht musste er es im Namen seines Stammes machen, glaubte sie den Grund gefunden zu haben. Dennoch fühlte sie sich nicht besser.
 

Seit sie wusste, dass eine Frau Lorgren versprochen war, fühlte sie sich elend, als hätte er sie verraten. Er würde sie in der Hauptstadt der Jerisanen abliefern und gewiss sofort zu Amirah zurückkehren, um seine Pflicht zu erfüllen. Wie es auch bei ihr war. Sie war für ihn nicht mehr als eine Pflicht, die es zu erfüllen gab. Allein die Zwerge waren wirklich Freunde und würden zu ihr halten, wenn der Wüstenreiter sie verließ. Doch irgendwie wollte ihr der Gedanke nicht glaubwürdig genug erscheinen.
 

Der Jerisane war ein treuer Freund und Reisegefährte geworden, hatte sich um sie gekümmert und sogar das Kämpfen beigebracht – obwohl sie da noch verdammt viel zu lernen hatte. Er würde sie nicht einfach allein lassen, dachte sie, nein, hoffte sie.
 

***
 

Es war spät in der Nacht und allein Kalek war noch wach und saß vor dem Leichnam seiner beiden Söhne. Nun waren sie beide tot. Raga und Kol, seine geliebten Söhne. Die Trauer war groß. In nur wenigen Tagen hatte er sein eigen Fleisch und Blut verloren und blieb allein mit seinen Enkeln und der Frau Ragas, die sich in den Schlaf geweint hatte, zurück.
 

Der Hass auf die Zwerge, besonders den rotbärtigen, saß im Herzen des alten Mann. Der Hammer des Bärtigen hatte seinem jüngsten Sohn den Tot gebracht und dafür wollte Kalek Rache. Doch er konnte nichts machen. Der Zwerg stand unter dem Schutz der Hüterin und diese unter dem von Nohrasil. Und gegen seinen Clanführer würde er niemals vorgehen, egal wie tief sein Schmerz oder Hass saß. Doch Raga hatte dies getan und war nun seiner Wut zum Opfer gefallen.
 

Raga, seufzte er in Gedanken und sah seinen ältesten Sohn traurig an.
 

Plötzlich zuckte der leblose Leib des Hünen. Kalek sah auf diesen ungläubig herab. Er hatte angefangen zu zittern und der Schweiß lief ihm über die Stirn. Konnte es etwa sein, fragte er sich und rückte näher zu Raga heran. Lebte er etwa noch? Hatten die vier Winde ihn ins Leben zurück gerufen?
 

„Raga“, keuchte der alte Mann und wollte sich erheben, um seine Schwiegertochter und seine Enkel zu holen. Doch bevor er überhaupt aufstehen konnte, schoss eine von Ragas kräftigen Händen vor und legte sich mit schraubstockartigem Griff um Kaleks Hals.
 

Überrascht schnappte der Alte nach Luft, doch Raga verhinderte jegliches Luftholen und drückte sogar noch fester zu. Die Augen des Todgeglaubten öffneten sich und Kalek riss entsetzt die Augen auf. Der Blick seines Sohnes war stumpf und trüb, wie bei einem Toten. Sein Gesicht war regungslos und verbarg dem Vater jeglichen Einblick auf die Gefühlswelt seines Sprösslings.
 

Doch daran konnte er sich nicht länger aufhalten, sondern er versuchte sich aus dem Würgegriff zu befreien. Raga erhob sich und seine zweite Hand legte sich um die Kehle Kaleks. Der alte Mann krächzte gepeinigt und versuchte verzweifelt sich zu befreien, doch es gelang ihm nicht. Er schlug und kratzte die Arme des Hünen. Es half nichts.
 

Raga drückte plötzlich zu und mit einem Knacken brach das Genick seines Vaters und er erschlaffte in seinem erbarmungslosen Griff.
 

***
 

Tensh kam aus seinem Versteck gehuscht und kicherte leise, als er dabei zusah, wie Raga seinen toten Vater weiter würgte. Wie rührend, dachte er, als er sich vorstellte, wie der alte Kalek sich wohl gefühlt haben musste, als Raga ihn ermordet hatte. Wahrscheinlich würde Raga eine ordentliche Trachtprügel von seinem Vater beziehen, sobald seine Seele von den Winden davon getragen wurde.
 

„Lass ihn los“, befahl Tensh dem lebenden Toten. Der Untote ließ sein Opfer los und erhob sich vollends. Er wand sich dem nervösen Mann zu, der sich die Hände begierig rieb. „Wir haben noch etwas zu erledigen, mein toter Freund.“
 

Tensh kicherte begeistert, als der Untote seinem Befehl gehorchte und ihm folgte, hinaus aus dem Zelt, wo noch immer die Hinterbliebenen schliefen, ohne gemerkt zu haben, das nun ein Familienmitglied mehr den Tot gefunden hatte. Skorm hatte ihm da einen mächtigen Zauber verliehen, oder eher dem Dolch, denn er seinem Jünger eine Nacht zuvor überlassen hatte.
 

Mit Raga an seiner Seite würde Tensh die Hüterin gewiss rasch zu fassen bekommen und mit ihr entkommen, während die anderen damit beschäftigt waren den Zombie zu bekämpfen.
 

Der kleine Mann musste unweigerlich kichern, als er sich die verblüfften Gesichter der alten Freunde Ragas vorstellte, wenn dieser vor ihnen erschien und danach umbringen würde. Das würde ein Spaß werden.
 

Tensh befahl seinem Zombiediener ihm leise zu folgen. Obwohl Raga deutlich den Befehl verstanden hatte, fiel es dem untoten Diener mehr als schwer sich leise vorwärts zu bewegen. Dennoch gelang es ihnen irgendwie unbehelligt durch das Lager des Wüstendrachenclans zu schleichen. Schließlich erreichten sie ihr Ziel.
 

Begierig rieb sich der kleine Mann wieder die Hände, als er auf das Zelt der Hüterin sah, während er und Raga sich im Schatten eines nahen Zeltes versteckt hielten. Zwei Wachen hatten vor dem Eingang Posten bezogen und behielten wachsam ihre Umgebung im Auge.
 

Tensh wusste, das es sich bei diesen beiden um treue Männer des Clan handelte und einer der beiden mochte den kleinen Spion des Skorm ganz und gar nicht. Und er ihn auch nicht, wie all die anderen Wüstenreiter, mit denen er gezwungen war zusammen zu leben.
 

Tensh sah zu seinem untoten Diener, der mit trübem Blick starr grade aussah. Wie sollte er sich mit ihm um das Zelt schleichen, ohne entdeckt zu werden, fragte er sich. Die beiden Wächter würden sie zuvor entdecken. Wenn er alleine gehen würde, er wäre unbehelligt an den beiden Männern vorbei gekommen, ohne, dass sie überhaupt mitbekommen hätten, dass er da gewesen wäre. Die Logik gebot es dem kleinen Mann, dass er sich allein in das Zelt schlich und die Hüterin klimm und heimlich umbrachte. Doch sein Verlangen nach dem Mädchen wies ihn an, sie gefangen zu nehmen und seinen Spaß mit ihr zu haben, bevor sie die Klinge des heiligen Dolches zu spüren bekam.
 

Doch wie sollte er mit dem Zombie an diesen wachsamen Männern vorbei kommen? Tensh überlegte angestrengt. Schließlich kam er auf eine Idee und sein Gesicht zierte ein breites Grinsen.
 

***
 

Die Nacht war ruhig, dennoch hielten die beiden Wächter aufmerksam Wache vor dem Zelt der Hüterin. Nohrasil hatte sie beide darum gebeten, besonders achtsam zu sein. Der Clanführer hatte besorgt geklungen und die beiden Wüstenreiter verstanden ihren Herrn nur zu gut. Schließlich hatten beide miterlebt, wie Raga zu einem Berserker geworden war, der Wunden aller Art einfach eingesteckt hatte, als wären diese nichts gewesen.
 

Einer der beiden sah sich langsam um, betrachtete jeden Schatten eingehend und entdeckte so die einsame Gestalt die im Schatten eines nahen Zeltes stand. Er stieß seinen Kameraden an und wies auf den Fremden. Der andere nickte und packte seinen Speer fester. Sie wollten schon auf ihn zugehen, als der im Schatten sich aus seinem Versteck kam.
 

„Schöne Nacht, nicht wahr?“, fragte Tensh grinsend, als er auf die beiden Wächter zu spazierte.
 

„Nicht der“, knurrte der jüngere Wächter dem anderen zu, so das der kleine Mann ihn nicht verstehen konnte.
 

„Ganz ruhig, Waere“, flüsterte der ältere Mann und nickte Tensh kurz zu. „Es ist spät, Tensh. Du weist, das alle in ihren Zelten liegen sollen, oder?“
 

Der kleine Mann nickte grinsend. „Oh ja“, sagte er ruhig und verschränkte unschuldig die Arme hinter dem Rücken. „Aber in einer so herrlichen Nacht kann ich nicht einfach schlafen. Da muss ich mir die Sterne ansehen und den Lauten der Wüste lauschen.“
 

„Mach, das du weg kommst“, knurrte ihn Waere an und packte seinen Speer mit beiden Händen.
 

„Ganz ruhig“, wies ihn der ältere zurecht. „Tensh tut doch keinem was.“ Er wand sich dem kleinen Mann zu und sah ihn streng an. „Dennoch dürftest du nicht hier draußen sein, Tensh. Mach, dass du wieder in dein Zelt kommst. Ich werde auch schweigen.“
 

„Oh, das wirst du gewiss, mein Bester“, kicherte Tensh und rieb sich die Hände. Die beiden Wächter sahen den kleinen Mann irritiert an. Dieser pfiff auf einmal und aus dem Schatten, in dem er eben noch gelungert hatte, schoss eine große Gestalt hervor. Die beiden wurden von dem plötzlichen Auftauchen so überrascht, das sie nicht sofort reagierten.
 

Der ältere Wüstenreiter fasste sich als erstes und hielt dem Heranstürmenden seinen Speer entgegen. Zu seiner Überraschung rannte der Fremde mitten in diesen und ließ sich aufspießen. Waese sah seinen Kameraden ungläubig an, wie dieser ihn auch.
 

„Was zum-“, setzte Waere an, doch da schoss schon die große Faust des Fremden vor und traf den älteren Wächter mitten im Gesicht. Dieser keuchte gepeinigt auf und trudelte zurück, ohne den Speer los zu lassen. Ein großer Fehler. Der Aufgespießte knurrte wie ein Tier und packte sein gegenüber mit einer Kraft, die selbst diesen Hünen zu übertreffen schien, treib er den Schaft des Speers, auf dem er selber noch aufgespießt war, in den Leib des Mannes.
 

Tensh, der seelenruhig dabei gestanden hatte, kicherte wieder und klatschte sogar, als der Wüstenreiter tot zu Boden ging. Waere sah den kleinen Wicht mit zornigen Augen an und wollte ihn mit seinem Speer erschlagen. Doch da war der Angreifer zur Stelle. Dieser packte ihn an der Schulter und drehte ihn zu sich herum, das der junge Wüstenreiter ihm direkt ins Gesicht sehen konnte. Und was er da sah, erschreckte und überraschte ihn am meisten.
 

„Raga!“, keuchte er ungläubig, bevor der große Mann ihn seine Faust ins Gesicht trieb. Mit einem Stöhnen flog sein Kopf zurück. Raga packte mit seinen Händen zu und fing an Waere zu würgen. Der junge Mann ließ seinen Speer fallen und versuchte sich aus dem Griff des anderen zu befreien, doch es gelang ihm nicht. Wenig später brach sein Genick unter der unbändigen Kraft des Untoten.
 

***
 

Tensh sah dabei zu, wie sein untoter Lakai die Leichen in das Zelt hinein zerrte. Er kicherte begeistert, bevor er ihm folgte. Drinnen sah er sich sofort nach dem Bettlager der Hüterin um und entdeckte rasch. Auf leisen Sohlen schlich er sich zu ihr, während Raga den Eingang bewachte.
 

Die Hüterin lag schlafend in den Kissen und Decken gekuschelt und atmete ruhig. Der kleine Mann sah mit großen Augen auf das Mädchen herab und leckte sich nervös über die trocken gewordenen Lippen. Er konnte es einfach nicht glauben. Er war ihr nun so nah, dennoch traute er seinen Augen kaum.
 

Er betrachtet sie voller Ehrfurcht. Sie war so schön, dachte er. Das ebenmäßige Gesicht, die feinen Lippen. Tensh fing am ganzen Leib an zu zittern. Er schluckte schwer. Wie konnte eine Missgeburt nur so schön sein, fragte er sich und bat im Stillen Skorm um eine Erklärung. Wieso musste er es sein, der ihr Leben beenden musste? Welch eine Schande. Sicher hätte er mit ihr viel Spaß gehabt, wenn sie nicht diese vermaledeite Hüterin gewesen wäre.
 

Sie rührte sich und drehte sich. Als sie die Augen öffnete, sah sie Tensh in die kleinen Augen. Der Spion verfluchte sich innerlich für sein Starren. Schnell hatte er den Skormdolch gezogen und drückte ihn an die Kehle des Mädchens, das ihn mit schreckgeweiteten Augen ansah. „Ganz ruhig“, zischte er leise und warf ihr einen drohenden Blick zu. „Mach keinen Mucks, sonst schlitze ich dir die Kehle auf.“
 

Er hätte beinah gelacht, als sie kurz nickte und ihn ängstlich ansah. Zufrieden, das sie seiner Drohung glaubte, nahm er die Hand weg und grinste sie bereit an. Oh ja, das war genau das, was er haben wollte. Ein ängstliches, kleines Mädchen, das vor ihm kuschte.
 

Er wand sich kurz um und pfiff. Raga kam zu ihnen, zwei Schwerter in den Händen. Die Hüterin sah ihn mit ungläubigen Blicken an und keuchte: „Raga.“
 

Nun konnte sich Tensh ein Kichern nicht verkneifen. „Oh ja, Raga“, sagte er sanft. „Er ist wieder da und sinnt auf Rache. Aber keine Angst. Wenn du mir gehorchst, dann wird er dir kein Haar krümmen.“ Seine Stimme wurde sofort ernst. „Aber wenn nicht, dann sehe ich gerne dabei zu, wie er dir das Herz aus der Brust reizt.“
 

Die Halbork nickte einmal kurz, um ihn zu verstehen zu geben, das sie verstanden hatte. Zufrieden grunzte er und stand auf, hielt aber dabei immer noch den Dolch in der Hand. „Du wirst mich jetzt begleiten, Hüterin“, sagte Tensh grinsend.
 

Er sah ihr dabei zu, wie sie sich aus dem Bett wälzte und langsam aufstand. Sie trug ein langes, seidenes Nachthemd und Tensh glaubte die Konturen ihres Körpers unter dem Stoff zu sehen. Seine Gier wurde sogleich entfacht und am liebsten wäre er jetzt über das Mädchen hergefallen. Doch er hielt sich zurück, erinnerte sich immer wieder daran, dass dafür noch genug Zeit war, wenn er mit ihr entkommen wäre.
 

Er befahl Raga das Mädchen zu packen. Diese wich vor dem Zombie ängstlich zurück, doch er erwischte sie und hielt schmerzhaft ihre Hände fest. Schnell war Tensh zur Stelle und band mit einem Strick ihr die Hände auf den Rücken. Dabei streifte seine Hand ihre Haut und er erzitterte. Wieder musste er sein Verlangen nieder kämpfen. Schnell verband er noch ihre Augen und knebelte sie, damit sie ihm keine Probleme machte. Schließlich verlangte es ihn nicht nach einem Kampf mit den Wüstenreitern.
 

Der kleine Mann befahl seinem Zombie die Hüterin zu bewachen, während er sich zum Eingang des Zeltes schlich und umsah. Noch niemand hatte das Verschwinden der beiden Wächter bemerkt. Kein Alarmruf, keine ungebetenen Gäste. Zufrieden winkte er Raga zu sich, der grob die Hüterin vor sich her trieb. Sogleich verließen sie das Zelt und schlichen zu den westlichen Grenzen des Lagers. Das Mädchen widersetzte sich, worauf Tensh Raga den Befehl gab sie sich über die Schulter zu werfen.
 

Obwohl sich das Halbork-Mädchen dagegen wehrte, mit Händen und Füßen, kamen sie nun schneller voran und erreichten schon bald den Rand des Lagers. Nun musste Tensh sich überlegen, wie er an den versteckten Wächtern vorbei kam, die irgendwo da draußen die Umgebung überwachten und auf Feinde lauerten. Er hatte schon bald eine Idee und befahl Raga auf ihn zu warten, während er zurück ins Lager schlich.
 

Schon bald kehrte Tensh zurück, im Schlepptau zwei kräftige Pferde. Er befahl Raga das Mädchen auf eins der Tiere, einen Braunen, fest zu machen, während er selber auf einen schwarzen Hengst kletterte. Doch bevor sie aufbrechen konnten, erklangen laute Rufe. Der kleine Mann zischte unwillig. Man hatte wohl den Diebstahl der Pferde mitbekommen. Was für ein Pech.
 

Überall im Lager wurden Fackeln entzündet und nur wenige Augenblicke später erklang der Schrei einer Frau. „Oh“, kicherte Tensh und sah Raga an. „Deine Frau hat wohl deinen Vater gefunden, mein Freund.“ Er sah hinüber zu der geknebelten Hüterin und erkannte, dass sie sich bereits neue Hoffnungen gemacht hatte. Er fluchte leise. Nein, so schnell würde sie ihm nicht entkommen.
 

Er gab seinem Hengst die Sporen und die anderen folgten ihm. Doch weit kamen sie nicht, denn die Wächter in der Wüste kamen bereits herbei. Einige beritten, andere zu Fuß. Der kleine Mann verfluchte sein Pech. Jetzt musste er erst recht entkommen, sonst würde man ihn sofort hinrichten. Und den Tot wollte er in diesem gottverdammten Land garantiert nicht finden.
 

Er gab seinem Hengst erneut die Sporen und befahl Raga: „Zieh ihr Pferd mit, Raga! Wir müssen uns sputen!“ Der Zombie gab keinen Laut von sich, sondern folgte einfach nur seinem Herrn und Meister, als dieser davon ritt, direkt in die Wüste hinein.
 

***
 

Lorgren stürmte durch das Lager, um zu Fynns Zelt zu kommen. Flint war bei ihm und hatte ihm berichtet, dass das Mädchen verschwunden wäre. Der Wüstenreiter und der Zwerg erreichten das Zelt und stürmten durch den Eingang. Valzar war bereits vor Ort, zusammen mit Nohrasil und einigen Kriegern seines Clans. Er kniete neben der Leiche eines jungen Mannes und schloss ihm grade die Augen.
 

Als er sich Lorgren zu wand, sagte er: „Man hat die beiden ermordet und die Hüterin entführt.“
 

„Wir müssen sofort hinterher“, knurrte der Jerisane und drehte sich zum gehen um.
 

„Meine Männer verfolgen die Entführer bereits“, hielt Nohrasil ihn auf. „Sie werden die Hüterin befreien und gesund zurück bringen.“
 

Lorgren konnten die Worte des Clanführers nicht beruhigen. Er war für ihre Sicherheit verantwortlich gewesen und er würde sich nicht aus seiner Aufgabe winden, nur, weil andere diese kurzfristig übernommen hatten. Er wusste selber, dass es töricht war, denn seine Verletzungen waren kaum richtig verheilt. Er konnte zwar wieder aufrecht gehen, doch die Kraft sein Schwert zu schwingen, fehlte ihm. Er wäre viel mehr ein Hindernis, als eine wirkliche Hilfe. Doch sein Pflichtbewusstsein war größer.
 

„Ich werde mich daran beteiligen“, sagte Lorgren und man hörte ihm deutlich an, dass er sich nicht überreden ließ, das ganze sein zu lassen.
 

Nohrasil sah ihn forschend an und schließlich nickte der Clanführer. Lorgren nickte ihm knapp zu und eilte, die Zwerge im Schlepptau, aus dem Zelt, hinüber zu den Pferchen. Er musste Fynn finden, egal was es kosten sollte. Sie war die Hoffnung von ganz Konass. Zudem hatte er einem jungen Wirtssohn das Versprechen gegeben, auf sie zu achten, sie mit seinem Leben zu beschützen.
 

Die drei Gefährten erreichten die Pferche und schon bald saß Lorgren auf seinem stolzen Wüstenhengst und die beiden Zwerge auf ihren haarigen Ponys, die aufgeregt wieherten. Sie preschten sofort hinaus in die Wüste und folgten einer der Sandwolken, die am Horizont zu sehen war. Dort waren bereits Krieger des Wüstendrachenclans auf der Verfolgung der Entführer.
 

Lorgren kniff die Augen zusammen und gab seinem Hengst die Sporen. Schon bald hatte er die Zwerge auf ihren Ponys weit hinter sich gelassen und kam den anderen Verfolgern immer näher. Es überraschte ihn, wie schnell sein Pferd war, doch bald erkannte er den Grund.
 

Die Männer des Verfolgungstrupps hatten einen der Entführer eingekreist. Dieser hielt zwei krumme Schwerter in den Händen und schlug wie ein Wahnsinniger um sich und brüllte dabei wie ein wild gewordenes Tier. Diese Taktik war dennoch effektiv genug gewesen. Fünf Männer lagen regungslos im Sand, während sieben andere den Mann mit ihren Schwertern bedrohten.
 

„Raga“, sagte Lorgren, als er den Mann erkannte, der wie von Sinnen um sich schlug. Sein Oberkörper war bereits von den Klingen der Wüstenreiter aufgeschlitzt worden, doch das interessierte diesen nicht einmal. Er steckte jeden Treffer ohne weiteres weg und drängte seine Gegner weiter zurück.
 

Ein Wüstenreiter legte einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens und schickte ihn Raga entgegen. Der Pfeil bohrte sich in dessen Brust, der Hüne zuckte einmal zusammen, bevor er sich auf den Bogenschützen stürzte. Der Mann wich zurück und verwendete seinen Bogen als Keule, um den wahnsinnigen Wüstenreiter auf Abstand zu halten. Es half nichts. Raga schlug mit den Schwertern zu und trennte dem Mann erst einen Arm ab und bohrte ihm das andere in die Brust. Er hob den Mann über sich und warf das Schwert mit Mann zusammen von sich, um diesen einfach im Sand qualvoll sterben zu lassen.
 

Lorgren konnte seinen Augen nicht trauen. Wie war so etwas möglich? Raga hätte längst tot sein müssen. Er hätte nicht einmal wieder unter den Lebenden weilen dürfen! Wie war so etwas nur möglich? War ein übler Geist in den Krieger gefahren und wollte sich nun an den Lebenden rächen? Was es auch immer war, er musste Raga aufhalten. Doch wo war Fynn? Er hatte sie doch nicht etwa…
 

Er brachte den Gedanken nicht einmal zu ende, denn schon raste er auf dem Rücken seines Hengstes auf Raga zu, der zwei Wüstenreiter vor sich her trieb. Lorgren stieß einen lauten Schrei aus, der die Aufmerksamkeit des Hünen erweckte. Als dieser sich dem Reiter zu wand, schwang Lorgren seinen Krummsäbel und ließ die Klinge auf den Hals des Mannes nieder sausen. Raga heulte auf und wich einen Schritt zurück, doch wurde er am Hals von Lorgrens Klinge gestreift und diese hinterließ eine tiefe Wunde.
 

Davon ließ der wahnsinnige Hüne sich nicht aufhalten, sondern packte Lorgren am Arm und riss ihn mit einem Ruck von seinem Pferd. Der Wüstenreiter stieß einen erschrockenen Schrei aus, bevor er auf dem Sand hart aufschlug.
 

Raga war sofort über ihm und hob seine Schwerter, um sein Opfer zu töten. Doch Lorgren war flinker und rollte sich rechtzeitig weg, bevor ihn die blutigen Klingen trafen. Der Hüne heulte erneut auf und stampfte dem Wüstenreiter nach. Ein Pfeil traf ihn in der Schulter und er heulte nur um so lauter. Der Krieger legte wieder einen Pfeil auf, um Lorgren die Zeit zu geben, davon zu kommen.
 

Lorgren kam auf die Beine, als Raga auf den anderen zustürzen wollte. Er packte den Krummsäbel fester und schlug zu. Die Klinge schlitzte die rechte Kniekehle des Hünen auf, der darauf einknickte. Der Wüstenreiter sprang rasch zurück, um aus der Reichweite des Wahnsinnigen zu blieben. Zu seiner und der Überraschung der anderen Krieger, erhob sich Raga einfach und funkelte jeden finster an.
 

Noch bevor der Hüne einen Schritt machen konnte, krachte ein silbernes Etwas an seinen Kopf und brachte den Hünen zum Wanken. Alle Blicke schossen herum und sie sahen die beiden Zwerge, bewaffnet mit ihren Hämmern. Nun war Lorgren auch klar, was Raga da getroffen hatte, als er Flint sah, der nur seinen goldenen Hammer in der Hand hielt.
 

Wütend heulte Raga auf und stürmte auf die beiden Zwerge zu. Die Wüstenreiter in seinem Weg wichen bereitwillig zurück, denn sie wussten, dass sie dem großen Mann nichts anhaben konnten. Lorgren hingegen folgte dem Wahnsinnigen, denn er konnte seine Gefährten nicht alleine gegen diesen… Dämon antreten lassen.
 

Valzar hob Drakobans Drachenfaust und stürmte Raga entgegen. Flint derweil machte einen großen Bogen um den Hünen, um an seinen anderen Hammer zu gelangen. Raga wollte ihm folgen, ihn niedermetzeln, doch der jüngere Zwerg versperrte ihm den Weg und hinderte ihn am weiterkommen. Der Hüne brüllte zornig und wollte den Bärtigen einfach hinweg fegen, doch Valzer wehrte die Hiebe mit dem Drachenhammer geschickt ab und rammte den Hammerkopf dem Hünen in die Brust, so dass dieser zurück taumelte.
 

Flint hatte seinen anderen Hammer bereits wieder erlangt, als er zu Lorgren rannte. „Mach, das du Fynn rettest“, knurrte der alte Zwerg ihn an und verpasste ihn einen unsanften Stoss. „Den werden wir übernehmen.“
 

Der Wüstenreiter sah den Zwerg an und nickte schließlich. Diese beiden wackeren Kerle waren viel länger im Kriegshandwerk bewandert, als er und sie würden selbst mit dem wahnsinnigen Raga fertig. Schnell rannte er zu seinem Hengst und rief die anderen Wüstenreiter zusammen, die ihm bereitwillig folgten. Zusammen ritten sie in die Wüste, denn es galt die Hüterin zu finden und sie aus den Klauen ihrer Entführer zu befreien.
 

***
 

Valzar wehrte einen tiefen Schwerthieb mit Drakobans Drachenfaust ab und drückte den Hünen von sich weg. Raga heulte erneut auf und wollte sich wieder auf den Zwergenkönig stürzen, doch Flints goldener Hammer schmetterte hart gegen seinen Schädel. Er taumelte vorwärts und erhielt sogleich einen heftigen Hieb von Valzar, der ihn damit auch gleich auf den Sand schickte. Eins der Schwerter entglitt seinen Händen, dennoch war er ein gefährlicher Gegner.
 

Flint stürmte vor und drosch mit seinem Silberhammer auf den Kopf des Hünen ein. Dieser knurrte wie ein wildes Tier und schlug dem Zwerg hart ins Gesicht, so das dieser zurück taumelte und mürrisch brummte: „Autsch. Das hat wehgetan!“ Raga hörte ihm gar nicht zu, sondern sprang auf die Beine und stürzte sich auf den alten Zwerg.
 

„Nichts da!“, heulte Valzar Drachenhammer und sprang Raga gleich hinter her. Der Zwerg prallte am breiten Rücken des Hünen ab und landete auf dem sandigen Boden. Raga taumelte vorwärts, vorbei an Flint und fiel hin. Flint kam auf die Beine und eilte hinüber zu Valzar, der sich etwas mühselig auf die Beine brachte.
 

Der junge Zwerg packte die Erbwaffe seiner stolzen Sippe und sagte grimmig: „Der Kerl ist nicht normal.“
 

Flint nickte zustimmend. „Jede seiner Wunden hätte ihn längst töten müssen“, pflichtete er ihm bei. Beide stellten sich erneut Raga, der wieder auf den Beinen war und wie von Sinnen brüllte. „Da ist eindeutig Magie im Spiel.“
 

Valzar schnaubte angewidert. „Dann müssen wir Magie mit Magie bekämpfen“, sagte der junge Zwergenkönig und hielt sich Drakobans Drachenfaust an die Lippen. Leise flüsterte er ihm „Drakoban“ zu und in wenigen Augenblicken glühte die Waffe in einem blauen Schein auf. „Na komm her, mein Großer, damit wir das hier zu ende bringen können.“
 

Der Zwerg brauchte den Hünen nicht erst dazu aufzufordern, denn dieser stürmte mit mordlustigem Blick auf diesen zu und schwang dabei wild sein verbliebenes Schwert. Der Zwergenkönig schwang Drakobans Drachenfaust in seinen Händen und kam Raga entgegen.
 

Raga ließ seine Klinge vorschnellen, doch Valzar wehrte sie ab und verpasste dem Hünen einen Schlag mit dem Hammergriff, der ihn zurück taumeln ließ. Sofort war der Bärtige bei ihm und holte weit mit der Waffe aus, die seit Generationen in seiner Familie war. Der Hammer sauste auf Raga zu, der abwehrend einen Arm hob. Mit einer lauten Explosion wurde der Arm in Stücke gerissen und Raga von den Beinen.
 

„Verdammt zähes Bürschen“, kommentierte Valzar. Noch bevor der Zwerg einen neuerlichen Schlag ansetzen konnte, trat Raga ihn gegen die Brust und schickte ihn zu Boden. Überrascht sah der Zwergenkönig zu dem Hünen, der nun über ihm aufragte und sein Schwert hoch über den Kopf gehoben hatte, um ihn zu töten.
 

Flint eilte hektisch herbei und ließ mit einem Schrei seine beiden Hämmer, Gold und Silber, durch die Luft fliegen. Der Silberne traf Raga an der Schulter. Der Goldene hingegen krachte gegen den Kopf des Hünen. Durch die Wunde, die Lorgren Raga am Hals zugefügt hatte, knickte dieser nun durch die Wucht des Zwergenhammers zur Seite weg und der Körper erstarrte mitten in der Bewegung.
 

Als Valzar auf den Beinen stand, ließ er es sich nicht nehmen, Raga Drakobans Drachenfaust um die Ohren zu hauen. Der Schlag riss den Kopf vollends von den Schultern des untoten Hünen und der Körper fiel in sich zusammen, als der Zauber seine Wirkung verlor.
 

Zufrieden stemmte Valzar den Erbhammer neben sich in den Boden und sah Flint an, der seine beiden Waffen einsammelte und schließlich zu seinem jungen König trat. „Das wäre erledigt“, sagte Valzar.
 

„Hoffentlich findet Lorgren das Mädchen“, meinte Flint besorgt und sah hinaus in die Wüste, wo der Wüstenreiter verschwunden war, auf der Jagd nach Fynn und ihren Entführern. Deutlich hörte Valzar die Besorgnis in der Stimme des älteren Zwerges und im Stillen konnte er ihm nur zustimmen.
 

Hoffentlich findet Lorgren das Mädchen.
 

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