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Point Zero

Das Leben geht weiter. Aber einer fehlt.
von

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emergency treatment

Für Kao, Kao, Kat, hi-chaan, Uma_uma und Yo-mi.

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Schnell stellte ich meinen Fuß auf die Türschwelle, sollte Kyo nun auf die Idee kommen, mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen, würde ihm das nicht mehr gelingen. Was ich durchaus verstanden hätte, denn schließlich hatte ich ihn regelrecht dazu genötigt mir die Tür zu öffnen. Allerdings trug schon sein Anblick - der mich vorher noch so hatte nach Luft schnappen lassen - dazu bei, dass ich solcherlei Befürchtungen mit einem verächtlichen Kopfschütteln beiseite schob.
 

Er trug sein altes, fleckiges, schwarzes T-Shirt mit den langen Ärmeln, das ihm wie früher, als er es als Schlafanzug benutzt hatte, viel zu weit war, doch nun machte es den Eindruck als wäre es ihm noch um einige Nummern mehr zu groß.

Sein Haar war noch blond, wie damals, während der letzten Tour. Doch es war strähnig, stumpf und fettig. Er hatte es bestimmt seit Tagen nicht mehr gewaschen und es hing ihm ins Gesicht wie eine Perücke, die man falsch aufgesetzt hatte.

Das Schlimmste aber waren seine Augen.

Sie blickten mich an, schienen aber durch mich hindurch zu sehen, in weite Ferne, wohin - ich wollte es nicht wissen. Sie waren so stumpf wie menschliche Augen es eigentlich nur sein konnten, wenn ihr Besitzer gerade gestorben war.

Ich versuchte seinen Blick aufzufangen, aber es war unmöglich.

Immerhin ... hatte er vielleicht wahrgenommen, dass ich da war.
 

Aber Kyo stand nur da und rührte sich nicht.

Er sagte nichts.

Dann trafen sich unsere Blicke im Bruchteil eines Augenblicks mit unglaublicher Intensität. Ein stummer Schrei der Verzweiflung in meinem Kopf.

Er wandte den Blick sofort ab.

Dann drehte er sich um und ließ mich stehen.
 

„Kann ich reinkommen?“, war alles, was ich über die Lippen brachte.
 

Er drehte sich weder um zu mir, noch würdigte er mich im Weggehen irgendeiner Antwort, sondern verschwand durch eine Tür im hinteren Teil seines Appartements. Kurz darauf hörte ich das Knirschen eines sich umdrehenden Schlüssels. Offenbar war es ihm egal, ob ich wegen ihm gekommen war und ob ich blieb und ich hätte nicht übel Lust gehabt, mich nach diesem verstörenden und zugleich kalten Empfang einfach wieder umzudrehen und ihn in seinem Elend im Stich zu lassen, meine Hand lag schon auf der Klinke, da –

Nein.

Nein, ich konnte es nicht. So sehr ich auch wünschte, mit allem hier an dieser Tür abzuschließen, es würde mich unweigerlich wieder einholen. Wenn nicht jetzt, dann heute Nacht. Und in der Nacht darauf. Und immer so fort, bis ich an dem Punkt angekommen war, an dem Kyo stand. An dem Punkt, an dem es gefährlich war noch einen unbedachten Schritt zu tun, weil es nicht sicher war, ob man dann je wieder Boden unter die Füße bekam -

Ich musste bei ihm bleiben. Zumindest für ein paar Tage. Ihn wieder halbwegs auf de Beine bringen. Wenn ich nicht blieb oder wenn mir das nicht gelang, dann würde er mich mitreißen, das spürte ich.
 

Mein Schicksal bis auf weiteres verfluchend und auf der anderen Seite voller Sorge um unseren ehemaligen Sänger betrat ich den Raum und schloss die Tür so leise es ging, hinter mir. Diese Wohnung kannte ich nicht - ich stand in einem kleinen Wohnzimmer, kahl war es – es bestand lediglich aus einem Teppich, einer gemütlich, aber alt anmutenden Couch, einem Fernseher, einem Tisch mit ein paar Stühlen - und ein durch einen Rolleau verschlossenes Fenster ging hinaus auf einen dreckigen grauen Asphalt-Hinterhof. Die anderen Wände des Raumes wurden von Türen eingenommen. Zwei davon waren offen - Bad und Küche - die dritte, durch die Kyo gegangen war, blieb mir verschlossen, ich vermutete, dass sie ins Schlafzimmer führte.

Für etwa eine Minute legte ich das Ohr an das Türblatt und hörte nichts. Schlief er? Oder saß er einfach nur da und starrte ins Leere? Kyo hätte ebenso gut nicht da sein können. Vielleicht war er das auch schon nicht mehr.
 

So saß ich vielleicht fünf Minuten auf ebenjener grauen Couch, während mir die Stille langsam und erdrückend wie eine Bleiplatte auf den Kopf fiel. Es war eine gelangweilte, eine anonyme Stille, die sich keine Gedanken darüber machte, was sie mit den Menschen anstellte. In mir richtete sie nur insofern etwas an, dass ich mir plötzlich überlegte, dass ich mit den anderen reden musste.

Soviel Verantwortung allein für Kyo, nachdem sich die Befürchtungen meiner ehemaligen Bandkollegen - Shinya mochte ja in manchen Dingen sehr emotional bis hysterisch sein, aber ich schwor mir, von nun an seiner Intuition mehr zu trauen als meiner eigenen - erfüllt hatten, konnte und wollte ich eigentlich nicht alleine tragen.
 

Ich zog mein Handy heraus, wählte die wohlbekannte Nummer - doch keiner nahm ab. Vermeidend darüber nachzudenken, was die beiden, die am anderen Ende der Leitung hätten sein sollen - und die mich erst in diese Lage gebracht hatten, worüber ich seltsamerweise nicht mehr so ärgerlich war, wie am Anfang - in diesem Augenblick, in dem ich gewissermaßen ohnmächtig in Kyos Wohnzimmer saß, taten, dass sie nicht ans Telefon kommen konnten (ich konnte es mir bildlich vorstellen, danke - und meine Phantasien erledigte den Rest.), versenkte ich das Handy ausgeschaltet in meiner Umhängetasche.

Bestimmt waren sie einfach nur essen gegangen.

Wohl oder übel musste ich bis sie, ähm ... zurück kamen, mit dieser Situation selbst fertig werden.

Zuerst einmal ... würde ich mich beschäftigen. Das war nicht weiter schwer. Ich fing in der Küche an.

Dreckiges Geschirr stapelte sich im Spülbecken, der Müll von mindestens zwei Monaten quoll über - die nächsten fünf bis sechs Stunden war ich vollauf damit beschäftigt, in Kyos Wohnung zu putzen, zu waschen, zu spülen ...

Ab und an hörte ich das leise Klacken zweier Türen, wenn Kyo vom Schlafzimmer ins Badezimmer und wieder zurück ging.
 

Als ich schließlich hungrig wurde und den Kühlschrank inspizieren musste, fand ich außer einigen Gemüseleichen nichts essbares – anhand des Abfalls hatte ich schon ersehen, dass sich der Blonde in den letzten Wochen ausschließlich von einer gewaltigen Menge an Instant-Nahrung ernährt haben musste, aber davon war nichts mehr übrig.

Mir kam zwei erschreckende Gedanken: Hatte er in den letzten Tagen überhaupt etwas gegessen? Oder ... bedeutete, dass nichts mehr da war, dass er ohnehin nicht mehr lange hatte (hier) leben wollen?

Oder: Und das war das wahrscheinlichste: Er hatte nichts mehr gegessen und schaffte es auch nicht in seinem jammervollen Zustand die Wohnung zu verlassen und einkaufen zu gehen.

Das erledigte ich dann in der nächsten halben Stunde in einem Supermarkt gleich zwei Ecken weiter, in dem mich glücklicherweise niemand kannte.

Danach kochte ich Kyo und mir ein Abendessen – so dachte ich. Denn als der Geruch des Essens verführerisch durch die Wohnung zog, öffnete sich Kyos Tür nicht etwa automatisch. Auch nicht als ich schließlich mit einer Portion vor ihn vor der Tür stand.
 

„Kyo, ich habe gekocht ... machst du mir auf?“
 

Offensichtlich nicht. Was hatte ich auch erwartet. Da ich heute Abend weder Lust hatte, weitere bettelnde Monologe zu halten, noch irgendwelche Türen einzutreten, noch den anderen eigenhändig zu füttern, stellte ich ihm das Essen kurzerhand vor die Tür und ließ mich mit meiner Portion auf der Couch nieder und schaltete den Fernseher an und versank in der Betrachtung einer Reihe von dramatischen Doramas.
 


 

Es wurde langsam Abend und der Lärm der Stadt veränderte sich, wurde zu jenem steten Rauschen, dass die ganze Nacht die Stadt durchziehen würde wie ein ewiger Fluss, der nie abriss, der nie versiegte, legte ich noch einmal mein Ohr an seine Schlafzimmertür. Doch auch diesmal hörte ich nichts.

Das Essen war nach wie vor nicht angetastet.

Ich würde nicht nach Hause fahren. Ich würde über Nacht bleiben.
 

Im Bad lag eine einzelne Rasierklinge. Vor dem Spiegel. Es war kein Blut an ihr, aber ich musste es nicht sehen, um zu wissen, dass es da gewesen war. Kühl und abschätzig glänzend lag sie im gelblichen Licht der Leuchtstoffröhre. Ich sah in den Spiegel und sah mich selbst, mit meinen eigenen Augenringen, die selbst von dem Make-Up, dass ich aufgelegt hatte, nicht gut überdeckt wurden. Ich war ihm ähnlicher als ich zugeben wollte. Er hatte kein Make-Up getragen und sein Anblick – nur noch viel schlimmer - hatte mich an die Zeit erinnert, in der er noch nicht mit Die zusammen gewesen war, zu dieser Zeit war er noch eine Art Zombie gewesen, wir hatten jeden Tag damit gerechnet in irgendwo in seinem Blut liegend in einer Badewanne liegend zu finden, die Pulsadern von einer Rasierklinge zertrennt - ich hatte seine Arme jetzt nicht gesehen, aber ich war mir fast sicher, dass die alten Narben von damals wieder offen waren.

Verdammt.

Ich wankte nach draußen, weil ich meinen eigenen Anblick und den Kyos, an den ich dachte, nicht länger ertragen konnte und schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, bis ich hektisch das Wohnzimmerfenster aufriss und gierig nach Luft schnappte.
 

Es würde mich zu Grunde richten, wenn ich so weiter machte, ich konnte nicht -

Es gab keinen anderen Weg.

Die Vergangenheit hätte mich so oder so bald eingeholt, es gab kein Entkommen mehr.
 

Es war zu spät noch mit der U-Bahn zurück zu fahren und ich würde wohl eher in einer kleinen Bar in irgendeinem Vergnügungsviertel enden, als dass ich nach Hause gehen würde, bis ich so betrunken wäre, dass ich, wenn ich nach Hause kommen würde - wenn - zu müde wäre, irgendetwas zu tun, außer zu schlafen. So streckte ich mich lange auf Kyos Couch aus.
 

Verdammt, warum hatte ich mich von Shinya breit schlagen lassen, nach Kyo zu sehen. Nun konnte ich nicht mehr gehen, weil es mein Mitgefühl nicht zuließ. Und immer wieder war da dieser eine Augenblick, in dem er mich angesehen, mich wahrgenommen hatte, immer wieder hatte ich ihn vor Augen, seinen stummen Schrei,

es schien mir so, als wollte er mir etwas sagen, als hätte er mir stumm mitgeteilt: Jetzt hast du also gesehen, wie es mir geht. Entscheide, ob du bleiben willst, bei mir und meinem Wahnsinn und meinem so verdammten Leben.

Entscheide, ob du deinen Verstand vollends verlieren willst.

Es machte mich unglaublich wütend.

Ich hätte ihn am liebsten geschüttelt, bis er jede Erinnerung an den verdammten Vorfall verloren hätte. Aber ich wusste, dass es mir nicht gelingen würde. Es gelang mir ja selbst nicht diese Erinnerungen zu verdrängen – auf der anderen Seite, hätte ich ihn am liebsten in den Arm genommen und ihn alles vergessen lassen, was bisher geschehen war.

Aber das hatte nur Die gekonnt.

Und der war tot.

Aber -
 


 

Irgendwo in diesen düsteren Überlegungen musste ich vor Erschöpfung eingeschlafen sein, denn mitten in der Nacht schreckte ich aus traumlosem Schlaf hoch und wusste zuerst nicht, wo ich war, dann sah ich die Gestalt, die stumm neben meinem provisorischen Lager stand und schweigend auf mich hinabblickte, ohne jedwede Regung.

Da fiel es mir wieder ein.

Kyo an der Tür, so dünn, sein stumpfer Blick, der stumme Schrei in meinem Kopf, das Blut, das nicht da war, im Badezimmer -

Ich brachte kein Wort heraus. Seine Augen schimmerten hell unter seinen dunklen Wimpern hervor im nächtlichen Licht, sein Haar reflektierte es mit mattem Glänzen. Ich streckte die Hand aus, weil ich noch immer glaubte, dass ich träumte und erwartete, dass die Traumgestalt und meinen Händen verging wie Rauch im Wind. Einen Augenblick lang schien es, als wolle Kyo zurückweichen, doch dann berührte ich mit meinen Fingern kühle, glatte Haut und erkannte, dass er mir seine Hand entgegen streckte. Erkannte, dass es kein Traum war.
 


 

Ich ergriff seine Hand behutsam und hielt sie fest.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2008-10-26T21:15:14+00:00 26.10.2008 22:15
ich wein gleich~

Gott, der arme Kyo O.O (Dai x Kyo geht nie gut, kein Wunder, dass ich das Pairing nich mag <<)

aber mir gefällt das Kapitel wirklich gut.
es hat iwie n bisschen Harmonie...besonders das Ende... aber ich wette mal es geht nich so kitschig weiter, wie ichs gern hätte *seufz*

mach aber trotzdem schnell weiter^^
<3<3<3


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