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Quo vadis?

von

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Dankbar

Das alte Jahr verging und das neue kam, mit ihm auch die Strahlentherapie. Drei anstrengende Wochen lagen nun vor Farin. Drei Wochen, in denen er zwei Mal täglich Bestrahlung haben würde. Er hoffte, dass sich Bela bald melden würde. Seit er ihn besucht hatte, haben sie nicht mehr miteinander geredet. Hatte er den Älteren wirklich so wütend gemacht? Mit einem Mal war die Angst, jenen zu verlieren, noch größer. Was war passiert? Sie waren doch Seelenverwandte, hatten immer gewusst, was der andere dachte. Sie waren für einander da gewesen, wenn man Hilfe gebraucht hat, sie hätten sich nie im Stich gelassen…
 

Bereits am frühen Morgen musste Farin ins Krankenhaus wegen der Therapie. Er hatte eine kleine Sporttasche bei sich, immerhin würde er ganze drei Wochen von zu Hause weg sein. Schon in der letzten Dezemberwoche hatte er einmal dort sein müssen, wo alles richtig eingestellt wurde.
 

Nun lag er schon zum vierten Mal auf dem kalten Kliniktisch und ließ die halbe Stunde über sich ergehen. So kurz die Bestrahlung auch war, so intensiv waren ihre Nebenwirkungen: In den letzten paar Tagen hatte er mindestens 10 Kilo abgenommen.

Da auf seinem Kopf und – wie er beim letzten Mal duschen bemerkt hatte – eigentlich am ganzen Körper lange keine Haare mehr wachsen würden, hatte seine Schwester eine Überraschung für ihn.

„Hey, Bruderherz! Sieh mal, was ich dir mitgebracht hab“, meinte sie freudig, als sie Farins Zimmer betrat. Sie setzte sich zu ihm aufs Bett und legte eine Einkaufstüte auf ihren Schoß. Ihr Bruder sah sie erwartungsvoll an.

„Da dir ja so bald keine Haare mehr wachsen werden, hab ich mir gedacht, du brauchst ein paar Kopfbedeckungen…ja ich weiß, du hast deine Haube, aber die wird dir doch herinnen viel zu heiß!“, fuhr sie fort.

„Tada!“ Sie zog ein paar Tücher und Hauben aus der Tüte.

„Unfassbar…wo hast du denn die her?“ Freudestrahlend betrachtete der Große die Stücke.

„Ich hab mich beraten lassen…willst du gleich was aufsetzen?“

Farin überlegte nicht lange und entschied sich für ein indigoblaues Tuch, dass er sich von seiner Schwester um den Kopf wickeln ließ.

„Hach, dankeschön! Was würde ich nur ohne dich machen?“, fragte er, als er in sein Bett zurücksank.

„Du würdest hilflos verrecken!“

Beide stimmten in ein fröhliches Lachen ein.

„Weißt du, ich hab mir gedacht, ich nehm lieber was Buntes, weil mit was Schwarzem würdest du aussehen wie eine Leiche, so blass, wie du jetzt bist!“

„Du weißt gar nicht, wie froh ich bin, dass ich dich hab“, meinte er ehrlich, zog sie zu sich hinunter, um sie zu umarmen.
 

Am dritten Therapietag nach der vormittäglichen Bestrahlung fühlte sich Farin hundeelend. Er war zu schwach und zu müde, um irgendetwas zu tun und doch konnte er nicht schlafen. Seit dem Tag zuvor half ihm eine Nasensonde beim Atmen. Sie schien zu helfen, denn die Krankenschwester, die gerade bei ihm war, meinte, dass sich seine Werte etwas verbessert hätten. Die Pflegerin und er hatten sich während seiner Chemo angefreundet und verstanden sich prima. Sie hieß Lisa und war nicht viel jünger als er.

„Blau steht dir übrigens hervorragend!“, meinte sie, auf sein Kopftuch deutend.

„Ach, dankeschön! Julia hat’s mir gekauft. Sie hat gemeint, mit was Schwarzem würde ich aussehen wie eine Leiche“, wiederholte er die Worte seiner Schwester.

„Wie geht’s dir eigentlich?“

„Frag lieber nicht!“

„Muss ich aber“, antwortete Lisa, auf das Krankenblatt tippend.

„Bis auf ein paar Unannehmlichkeiten sehr gut, würd ich sagen.“

„Was im Klartext heißt: dir ist schlecht, dir tut so ziemlich alles weh, du bist müde und geschwächt…hab ich Recht?“

Farin schenkte ihr nur ein bedrücktes Nicken.

„Hey, das wird schon wieder…das sind nur die Nebenwirkungen, die vergehen auch wieder“, sagte sie und strich ihm beruhigend über die Wange.

„Außerdem juckt das Ding da“, lenkte er ab und kratzte an der Infusion, die an seinem linken Handrücken steckte.

„Warte, ich wechsle mal das Pflaster.“

Lisa nahm die alten Klebestreifen ab und ersetzte sie durch neue.

„Besser so?“

„Na ja…“

„Aber hör auf, da rum zu kratzen, sonst stichst du dir noch mal die Nadel durch“, warnte sie den Patienten schmunzelnd.
 

Leise ertönten vertraute Schritte am Gang draußen. Farin konnte sie aus den anderen heraushören, verwunderlich, bei der Anzahl an Menschen, die da draußen wahrscheinlich herum liefen. Ja er kannte diese Schritte, so unvorstellbar es auch klingen mag. Nach den vielen gemeinsamen Jahren konnte er mittlerweile sogar sagen, in welcher Gefühlslage sich der Gehende befand. Diesmal schien es eine Mischung aus Wut und Angst zu sein.

Lisa verabschiedete sich und ließ im Gehen die Tür für Farins Besucher offen.

„Dirk“, begrüßte der Große ihn freudig und richtete sich auf.

„Jan“, flüsterte der Angesprochene und umarmte ihn sanft. Er hatte Angst dem anderen wehzutun, wenn er ihn fester an sich drückte, so zerbrechlich wie dieser gerade aussah. Eigentlich wollte er sauer auf ihn sein. Wollte ihm zeigen, wie sehr es ihn verletzt hatte, angelogen zu werden...und wollte auch verbergen, wie wütend er auf sich selber war, weil er nichts gemerkt hatte. Doch als er seinen Freund sah, merkte, wie schlecht es diesem ging, war jeglicher Zorn wie weggeblasen.

„Danke“, flüsterte Farin.

„Wofür?“

„Dafür, dass du da bist!“

„Jan, ich –“, begann Bela leise, als er den Anderen etwas von sich hielt.

„Schhhh“, unterbrach ihn der Größere ebenso leise. „Nicht jetzt“, fügte er noch hinzu und lehnte sich an ihn. Lange verharrten sie in dieser Position, bis Farin merkte, dass ihm die Anstrengung zu groß wurde und er sich wieder hinlegen musste.

„Bevor du noch etwas sagst: Es tut mir so Leid, dass ich dich angelogen habe, aber ich wollt’s dir einfach sanfter beibringen…und das ging irgendwie nie wirklich, du musst mich doch verstehen…ich hoffe, du bist mir nicht böse! Und ich versprech dir, ich werd alles dran setzen, um wieder gesund zu werden, hörst du?“ Er sah seinem Freund hilflos in die Augen. Er hoffte nur, dieser würde es verstehen!

„Ach Jan…was machst du manchmal nur für’n Scheiß!“ Seufzend strich Bela seinem Freund über die Wange, während er fort fuhr: „Natürlich verstehe ich dich, ich weiß nicht, was ich an deiner Stelle getan hätte. Aber versprich mir, dass du das nie wieder machst, hörst du?“ Er lehnte sich vor und bettete seinen Kopf neben den seines Freundes, sodass sie den Atem des anderen spüren konnten.

„Weißt du eigentlich, dass wir beide ganz schön blöd sind?“, meinte Bela nach einer Weile des Schweigens

„Du meinst, weil wir uns zwar nach Weihnachten getroffen, aber unsere Geschenke nicht ausgetauscht hatten?“, erwiderte Farin schmunzelnd.

„Wir sind solche Flitzpiepen!“ seufzte der Drummer und begann zu lachen. Er setzte sich auf, griff nach seinem Rucksack und zog ein Packet heraus.

„Hier…frohe Weihnachten“, grinste er, als er das Geschenk seinem Freund überreichte.

„Du musst aber zuerst meins aufmachen. Bitte, bitte, bitte!“ Der Gitarrist zog eine so herzzerreißende Schnute, dass Bela ihm nicht widersprechen wollte.

„Okay, okay! Ich ergebe mich.“

„Jaaa!“ Farin applaudierte begeistert.

„Du musst mir aber zuerst mal meinen Rucksack geben“, bat er den Älteren noch.

Dieser lehnte sich etwas übers Bett, damit er zu eben jenem herankam und reichte ihn anschließend an den Großen weiter, der nun auch ein kleines und ein größeres, dafür flacheres Packet herauszog und sie dem Drummer überreichte.

Zuerst öffnete der Schwarzhaarige das größere Geschenk. Langsam zog er das Klebeband ab, um das Papier nicht zu beschädigen. Endlich entfernte er die Verpackung und zum Vorschein kam eine sehr rare LP von Elvis.

„Oh. Mein. Gott. Jan! Woher hast du denn die her? Weißt du, wie lange ich die schon gesucht habe?“ Belas Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung.

„Du hast sie also noch nicht?“, fragte Farin frech. Ja, er wusste, wie lange der Drummer schon nach dieser suchte, schließlich hatte er sich oft genug dessen Leid anhören müssen und ihn stets mit den Worten beruhigt: ‚Irgendwann wirst du sie schon bekommen’

Eigentlich wollte sich Bela nicht von seinem Geschenk losreißen, doch die Neugierde über das zweite siegte. Er öffnete die Schachtel und entdeckte ein rechteckiges, breites Metallplättchen, an dessen Schmalseiten jeweils ein Lederband angemacht war, damit man es als Armband tragen konnte. Als er es näher betrachtete, entdeckte er, dass auf dem Plättchen zwei Figuren eingraviert waren, die Farin und Rod darstellten.

„Ich weiß, es ist total kitschig, aber ich hab in ’nem Urlaub mal jemanden gesehen, der so was machen kann und da hab ich mir gedacht, dass wär ein super Geschenk. Rod hat auch so eins mit uns beiden und wenn du mal die Schublade von dem Ding da öffnest, dann wirst du sehen, dass ich auch so eins hab, mit euch beiden“, meinte Farin.

„Jan, das ist…wunderschön.“ Gerührt umarmte Bela seinen Freund. Er ließ es sich von seinem Freund sofort um sein Handgelenk binden und betrachtete es noch einmal intensiv.

„Woher hatte denn der Typ die Vorlage fürs Eingravieren?“

„Weißt du, ich hab mich echt bemüht –“

„Das hast du gemalt?“, unterbrach Bela Farin erstaunt und sah ihn mit offenem Mund an.

„Hab ich doch ziemlich gut hingekriegt, oder?“

„Jan, du überraschst mich immer wieder…aber jetz will ich sehen, wie ich geworden bin! Wo, hast du gesagt, ist dein Armband?“

Der Gitarrist deutete auf die Schublade seines Nachtkästchens, die der Ältere sofort öffnete.

„Ähm, Jan…was ist denn das?“, fragte Bela und hielt den verwirrenden Gegenstand vor sich.

„Meine Brille…?“, gab der Kopftuchträger zurück.

„Seit wann hast du eine Brille?“

„Ähm…seit über 20 Jahren?“

Verblüfft sah der Drummer ihn an. Dann fiel es ihm wieder ein.

„Ach stimmt ja, wie konnt ich das bloß vergessen?“

„Zu deiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich sie ja nur sehr selten nehm…“

„Und auf der Bühne nimmst du immer Linsen, oder? Mann, ich werd langsam wirklich alt!“

„Stimmt“, schmunzelte Farin, ließ offen, auf welche Frage sich seine Antwort bezog und setzte sich seine Brille kurz auf die Nase. Sie war rahmenlos, hatte rechteckige Gläser und silberne Metallbügel.

„Aber ich glaub sogar, dass du die noch gar nicht kennst“, meinte er dann nachdenklich.

„Ist sie etwa neu…hattest du nicht sonst eine mit einem schwarzen Rahmen?“

„Na ja, so neu auch wieder nicht – ich glaub, ein Jahr hab ich sie jetzt schon. Und ja, ich hab auch noch die andere, genau. Ich brauch ja fürs Auto fahren sowieso eine Ersatzbrille und die hat mir so gut gefallen. Ein bisschen eitel darf ich doch wohl sein, oder?“

„Ich muss sagen, sie passt dir hervorragend…aber, dass das bis jetzt noch niemand bemerkt hat, wundert mich irgendwie!“

„Ich denk mir, dass halt keiner erwartet, dass ich eine Brille hab und deswegen glauben sie, dass ich nicht Farin Urlaub bin, wenn ich sie trag, und lassen mich in Ruhe!“, meinte er, als er Bela die Brille zurückgab, damit dieser sie wieder in die Schublade legen konnte. Aber es schien zu stimmen, denn wann immer er auf der Straße von einem Fan angesprochen wurde, was zwar nicht allzu häufig passierte, aber hin und wieder schon, dann war es immer einer der Momente, in denen er seine Brille nicht trug. Es schien, als wäre er mit dieser unbemerkbar. ‚So wie Harry Potter seinen Unsichtbarkeitsmantel hat, hat Jan Vetter seine Brille’, dachte Farin schmunzelnd.

„Ha, hab ich dich“, jubelte Bela, als er endlich das Armband des Gitarristen fand.

„Wow, also ich muss sagen, ich seh…scharf aus“, meinte der Drummer, nachdem er sein Abbild betrachtet hat, wobei er die letzten beiden Wörter in seiner tiefsten Stimmlage und mit gehobener Augenbraue aussprach.

„Willst du mich etwa anmachen?“, lachte Farin und schubste den Schwarzhaarigen freundschaftlich.

„Nein…aber ich muss sagen, das hast du wirklich gut hinbekommen!“ Anerkennend legte Bela das Armband zurück in die Schublade. „Mann, dagegen kommt mein Geschenk natürlich überhaupt nicht an“, seufzte er.

„Das glaub ich schon mal ganz und gar nicht!“, erwiderte der Gitarrist, als er sich aufrecht hinsetzte und begann, eben jenes zu öffnen.

„Du weißt ja noch gar nicht, was drin ist! Achso, verstehe, du wolltest mich nur beruhigen…ich halt auch schon meinen Mund“, meinte der Ältere.

Genervt, aber grinsend, verdrehte Farin seine Augen. Er entfernte das Papier und entdeckte eine große braune Schachtel. Er öffnete diese und zum Vorschein kam:

„Eine Schneekugel“, strahlte der Größere.

Er wollte sich gerade bedanken, als er sie schüttelte und noch etwas bemerkte:

„Aber das ist ja…das ist ja MEIN Haus!“ Er sah Bela mit großen Augen an.

„Tja, weißt du Jan, auch ich hab da so einen Typen entdeckt…und schüttle sie noch mal!“

Der Kopftuchträger tat wie ihm befohlen und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er lehnte sich an Bela, tippte an das Glas der Schneekugel und fragte beinahe tonlos: „Bin das etwa ich?“

„Du und dein kleines Ungeheuer von Hund“, schmunzelte der Drummer. Er hätte nicht gedacht, dass sein Geschenk so gut ankommen würde. Als er es hat anfertigen lassen, hatte er gedacht, dass es vielleicht schon zu übertrieben war, aber als er nun in die leuchtenden Augen seines Freundes sah, wusste er, dass es genau passte.

„Dankeschön…das ist echt…das Schönste, das du mir jemals geschenkt hast!“, meinte Farin und umarmte Bela. Keuchend ließ er sich in sein Bett zurückfallen, da ihm das Sitzen einfach zu anstrengend wurde, was nicht unbemerkt am Drummer vorbeizog: „Hey, ich glaub, ich werd jetzt gehen. Du musst dich ein bisschen ausruhen“, sagte er, als er seine Schallplatte sachte in seinem Rucksack verstaute.

„Nein, bitte, geh noch nicht“, versuchte der Jüngere ihn aufzuhalten.

„Doch…ruh dich aus, sonst klappst du noch bei der Therapie am Nachmittag zusammen!“

„Kommst du wieder?“

„Ja, natürlich“, antwortete Bela im Aufstehen.

„Versprichst du mir das?“

„Ich versprech’s dir!“ Er drückte dem Größeren noch einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und verabschiedete sich.
 

Nachdem Bela gegangen war, betrachtete Farin seine Schneekugel. „Wunderschön“, flüsterte er, während er sie unzählige Male schüttelte. Der Drummer hatte wirklich an jedes einzelne Detail gedacht: Man sah Farins Haus und ein paar Bäume dahinter deuteten den Wald an, der in Wirklichkeit direkt hinter begann. Im Garten sah man eine große blonde Figur, die mit einem schwarzen Hund spielte. Vorsichtig stellte der Gitarrist sein Geschenk auf das Nachtkästchen in die Mitte, damit ihr auch nichts passieren konnte. Erst jetzt bemerkte er, wie müde er eigentlich war und nachdem er es sich in seinem Bett etwas gemütlich gemacht hatte, war er auch schon eingeschlafen.



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