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Quo vadis?

von

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Gewinnen

Als Farin das erste Mal auf Doktor Gerard Molére traf, war er etwas skeptisch, dass dieser schmächtige Typ, dessen Haare definitiv schon bessere Zeiten erlebt hatten, wirklich sein Leben retten könnte. Aber er ließ sich gerne eines Besseren belehren, nachdem er gemerkt hatte, dass der Arzt sehr zuversichtlich bezüglich des Behandlungsverlaufs war. Mit verschiedenen Medikamenten, deren komplizierten Namen er anfangs kaum aussprechen konnte, wurde er auf die Operation vorbereitet. Man hatte ihm erklärt, dass diese eine sehr schwierige und vor allem riskante sein würde und dass sie nur deswegen an ihm durchgeführt werden konnte, weil sein Körper sich in den letzten Wochen so gut erholt hatte. Vor der Abänderung der Therapie wäre so ein schwerer Eingriff undenkbar für Farins geschwächten Körper gewesen.
 

Nun war der große Tag gekommen. Als am Morgen der französische Spezialist in sein Zimmer kam, war gerade Farins Schwester bei ihm.

„Und eins musst du mir versprechen: Wenn du das Licht siehst –“, forderte Julia den Patienten gerade auf.

„Werd ich umdrehen und weglaufen, versprochen“, unterbrach dieser sie schmunzelnd.

„So Herr Vetter, sind Sie bereit?“, begrüßte Dr. Molére mit leicht französischem Akzent.

„Scheint so“, seufzte der Gitarrist.

Julia beugte sich so zu ihrem Bruder hinunter, dass ihr Mund bei seinem Ohr war.

„Mach keinen Scheiß, hörst du? Ich brauch dich doch noch“, flüsterte sie ihm zu. Natürlich hatte sie Angst. Wer würde denn keine haben, wenn sein großer Bruder sich einer derart riskanten Operation unterziehen müsste?

„Keine Panik, Julchen“, erwiderte Farin genauso leise und lächelte sie zuversichtlich an.

„Kann’s losgehen?“, fragte der Arzt und wies die Schwestern anschließend an, den Patienten in den OP zu bringen.
 

Fünf Stunden wartete Julia nun schon mit ihrer Mutter auf Neuigkeiten. Sie waren es mittlerweile gewohnt, in dem Wartezimmer zu sitzen und zu hoffen, dass die unendlich lange Zeit eventuell schneller vergehen würde. Für Farin war das inzwischen die siebte Operation, keine von denen hatte unter vier Stunden gedauert. Man hatte ihnen erklärt, dass Eingriffe am Gehirn sehr schwierig sind, da unter anderem viele Nerven zu berücksichtigen sind und deshalb auch mit höchster Konzentration durchgeführt werden. Daher ist eine lange Dauer nicht unüblich für solche Operationen.

Meistens hatten die beiden Frauen etwas zu lesen mit, oder redeten miteinander. Manchmal sind sie auch schon in die Krankenhauscafeteria gegangen und haben dort etwas gegessen, aber die Angst, etwas zu verpassen, war einfach zu groß, weshalb dies nicht oft vorkam. Daher hatten sie entweder eine Jause bei sich, oder eine von ihnen ging etwas zu essen kaufen.

Seufzend faltete Frau Vetter die Zeitung, in der sie bis gerade eben gelesen hatte, zusammen und legte sie auf den freien Sessel neben sich. Julia, die bereits ahnte, was nun kommen würde, klappte ebenfalls ihr Buch zu und schenkte ihrer Mutter vollste Aufmerksamkeit.

„Wenn die Operation so verläuft, wie sie sollte…was passiert dann?“, fragte die Ältere auch schon.

„Wenn die Operation so verläuft, wie sie sollte, heißt das, dass der Tumor vollständig entfernt werden konnte. Dann wird Jan noch einige Zyklen Chemotherapie über sich ergehen lassen müssen, damit alle Krebszellen, die sich dann noch in seinem Körper befinden, zerstört werden. Dann wird er sich regelmäßig untersuchen lassen müssen, damit man einen möglichen Rückfall sofort erkennen kann und die Behandlung rechtzeitig gestartet werden kann“, gab Julia die Informationen wider, die sie sich von den Ärzten hat erklären lassen.

„Und…wie wahrscheinlich ist es, dass Jan einen Rückfall hat?“, wollte ihre Mutter vorsichtig wissen.

„Na ja…die Ärzte haben gesagt, dass die Möglichkeit besteht, mehr weiß ich auch nicht…“, antwortete die Jüngere.
 

Endlich kam Lisa durch die Türen, die zu den OP-Sälen führten, gelaufen. Ihr freudiges Grinsen verrieten gute Neuigkeiten. Als die beiden Wartenden die Krankenschwester erblickten, standen sie sofort auf und wandten sich an sie.

„Und, wie war’s?“, fragte Julia.

„Es ist gut gelaufen, der Tumor konnte vollständig entfernt werden“, verkündete Lisa die frohe Botschaft.

„Hach, Gott sei Dank“, stieß Frau Vetter aus und umarmte ihre Tochter.

„Wie geht es ihm jetzt? Wo ist er?“, hakte Julia nach, die wie immer einen kühlen Kopf bewahrte.

„Jan wird jetzt in den Aufwachraum gebracht. Er wird sehr geschwächt sein, weil die OP für beide Seiten sehr kräfteraubend war! Es kann durchaus sein, dass er erst morgen aufwacht, was aber nicht schlimm ist, sondern in solchen Fällen schon oft vorgekommen ist“, erklärte die Krankenschwester geduldig. Sie deutete den beiden Frauen noch, mitzukommen und brachte sie zum Patienten.
 

Als sie den Raum betraten, bot sich ihnen das beinahe schon gewohnte Bild. Das Bett, auf dem Farin lag, stand wie immer quer zur Tür mit dem Kopf an die Wand gestellt. Der Gitarrist war durch mehrere Kabel und Schläuche mit Geräten verbunden, die seine Vitalfunktionen überwachten. Das vertraute Piepen, das den Herzschlag signalisierte, beherrschte die Geräuschkulisse. Der Schlauch, der in seinen Rachen führte, unterstütze Farin beim Atmen, wie nach jeder Operation.

„Ich kann euch nur fünfzehn Minuten geben, dann ist die Besuchszeit zu Ende“, teilte Lisa mitleidig mit und verließ dann leise den Raum, um die Familie alleine zu lassen.

„Ich kann’s noch immer nicht glauben…“, seufzte Julia kopfschüttelnd und strich ihrem Bruder vorsichtig über den Verband, der um seinen Kopf gewickelt war.

„Ich auch nicht“, stimmte ihre Mutter ihr zu.

So sehr hatten die letzten acht Monate an den Kräften aller gezehrt. Zwar war Farin der Kranke, aber nicht nur Julia hatte in dieser Zeit alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihm die Tage so angenehm wie möglich zu machen, hatte ihm geholfen, wo sie nur konnte. Aber es hatte sich gelohnt. Natürlich hatte es Tage gegeben, an denen das Ganze aussichtslos erschien, sie einfach nur fliehen wollten und doch hatten sie sich durchgebissen und ihr Ziel der Genesung Farins nicht aus den Augen verloren. Sie alle hatten gekämpft und am Ende nun auch gewonnen.
 

Am nächsten Tag schlich Lisa noch vor Beginn ihrer Schicht in das Zimmer ihres Freundes. Noch immer war dieser nicht aufgewacht. Nachdem sie Farin vorsichtig auf die Stirn geküsst hatte, kontrollierte sie seine Werte, um besorgt festzustellen, dass sie sich seit dem vergangenen Tag nicht geändert hatten. Anscheinend würde der Gitarrist länger als erwartet brauchen, um aus dem bewusstlosen Zustand, in dem er sich gerade befand, zu erwachen.

„Jan verdammt, jetzt kannst du uns doch nicht so hängen lassen“, schimpfte sie leise, aber liebevoll und ging aus dem Zimmer, um sich auf der Schwesternstation für ihren Dienst vorzubereiten.
 

Etwas später am Vormittag kam Julia, um ihren Bruder zu besuchen. Sie konnte es kaum erwarten, ihm die gute Nachricht zu überbringen. Kaum hatte sie die Station, auf der Farin untergebracht war, betreten, kam ihr auch schon Lisa entgegen.

„Guten Morgen, alles klar?“, begrüßte sie die Krankenschwester fröhlich.

„’Morgen’ ist gut, wenn man schon fünf Stunden auf der Arbeit ist“, schmunzelte diese.

„Hach, wenn du immer so kleinlich sein musst“, erwiderte Julia grinsend. „Wie geht’s Jan?“, fügte sie dann noch hinzu.

„So wie’s aussieht, wird es noch ein, zwei Tage dauern, bis Jan aufwacht“, erklärte Lisa bedauernd.

„Was? Warum?“, wollte Farins Schwester sofort wissen.

„So wie es aussieht, wird sein Körper noch etwas brauchen, um sich von der doch sehr anstrengenden Operation zu erholen. Aber das bedeutet nichts Schlimmes. Im Prinzip hatten wir erwartet, dass Jan durch die Abänderung der Therapie mehr Kräfte mobilisieren kann, als es jetzt tatsächlich der Fall ist. Aber wie gesagt, es ist nichts Schlimmes, er ist nicht ins Koma gefallen, oder sonstiges, sondern…schläft einfach nur etwas länger als gedacht“, munterte die Pflegerin die Blonde auf und brachte sie anschließend zu ihrem Bruder.
 

„Verdammt Jan, was machst du bloß für Sachen?“, begrüßte Julia den schlafenden Farin, als sie alleine bei ihm im Zimmer war. Sie setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand, nahm die Hand des Patienten in ihre und betrachtete eingehend sein friedlich ruhendes Gesicht.

„Echt jetzt! Das kannst du doch nicht bringen“, fuhr sie fort. Natürlich meinte sie es nicht so böse, aber es tat ihr gut, Dampf ablassen zu können. Ihr Bruder bekam es ja sowieso nicht mit.

„Ah, ich verstehe. Dir war das alles zu schlicht. Wär ja langweilig, wenn du einfach nach der OP aufwachen würdest und alles ist super. Du kleine Dramaqueen willst es noch etwas spannend machen, so sieht’s aus“, meinte sie dann schmunzelnd, lehnte sich gemütlich zurück und wandte ihren Blick aus dem Fenster hinaus.
 

Erst zwei Tage später wachte Farin endlich auf. Als er zu sich kam, waren gerade Lisa und Julia bei ihm.

„Hey, unser Dornröschen ist aufgewacht“, wurde er liebevoll von seiner Schwester begrüßt. Der Gitarrist, der natürlich keine Ahnung hatte, dass er so lange bewusstlos war, sah sie nur verwirrt an.

„Du hast drei Tage geschlafen“, klärte ihn Lisa auf, nachdem sie ihm einen sanften Kuss auf die Lippen gedrückt hatte.

„So lange?“, keuchte Farin erschrocken.

„Keine Panik, das ist ganz normal, immerhin war es eine schwere Operation“, beruhigte ihn die Krankenschwester.

Da erst erinnerte sich der Patient, warum er eigentlich im Krankenhaus lag.

„Wie ist…“, wollte er wissen.

„Die Operation ist gut verlaufen, der Tumor konnte vollständig entfernt werden“, antwortete Julia auf die Frage, bevor sie überhaupt vollständig ausformuliert war.

Farin sah ungläubig zwischen den beiden Frauen hin und her. Hatte seine Schwester gerade wirklich gesagt, dass er geheilt war?

„Wir können es auch noch nicht wirklich glauben“, erklärte Lisa lächelnd, als schien sie seine Gedanken gelesen zu haben.

„Und…also…wie geht’s jetzt weiter?“, fragte der Gitarrist, nachdem er diese fantastische Nachricht etwas auf sich hat wirken lassen.

„Jetzt bekommst du noch etwas Chemotherapie, damit die ganzen Krebszellen, die sich noch in deinem Körper befinden, zerstört werden. Dann ist es eigentlich vorbei, du musst dich dann halt anfangs vier Mal, später dann zwei Mal jährlich untersuchen lassen, damit man einen möglichen Rückfall sofort erkennen und die Behandlung gestartet werden kann. Du solltest halt auch bei möglichen Beschwerden, wie länger anhaltende Kopfschmerzen und so, zum Arzt gehen und es untersuchen lassen – du weißt ja, Vorsicht ist besser als Nachsicht“, informierte Lisa den Patienten.

Farin grinste. „Es ist tatsächlich vorbei?“, fragte er sicherheitshalber noch einmal.

Julia nickte freudig und umarmte ihren Bruder.

„Ich hab dir doch gesagt, wir schaffen das“, flüsterte sie ihm ins Ohr und konnte nicht verhindern, dass ihr vereinzelte Tränen des Glücks über ihr Gesicht liefen.



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