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Amnesia

Verlorene Erinnerung
von

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Flucht

Prolog
 

Die Sonne stand schon weit im Westen, als er den hintersten Teil der großen Parkanlagen betrat, die den Himmelsturm umgaben. Er wandte sich noch einmal um, aber niemand folgte ihm. Die Himmelspagode war hinter den Bäumen, Sträuchern und Brunnen verschwunden. Nur ab und zu blitzte das weiße Mauerwerk noch zwischen dem satten Grün auf. Eingetaucht in die letzten Reste des Sonnenlichts. Bald würde es sicherlich anfangen zu dämmern.

Er streifte die Schuhe ab und ging barfuss durch das kühle Gras. Der Garten war hier verwilderter und die Bäume bildeten einen kleinen Hain, den er nun betrat.

Er hatte sich unbemerkt aus dem Himmelsturm gestohlen, war völlig unauffällig über einen der Balkone in den Garten gelangt, wie er es als Jugendlicher oft getan hatte. Er war seinen Wächtern entkommen, die ihn jeden Tag aufs Neue spüren ließen, dass er ein Gefangener war - ein Gefangener, obwohl er in den Gemächern eines Königs hauste und als Gott verehrt wurde.

Der Tag war furchtbar gewesen. Der Abschluss einer katastrophalen Woche, die nur die Fortsetzung eines horrenden Monats gewesen war. Die Hasshisen hatten ihn mit Papieren zugeschüttet, jeder noch so kleine Adlige hatte eine Audienz gefordert, im Osten gab es mal wieder größere politische Skandale, im Norden gab es Verschwörungen um den Tenno Bishao Santo, im Westen gab es Rangeleien um die Thronfolge, obwohl der Tenno noch sehr lebendig war und es wohl auch noch eine ganze Weile bleiben würde, und im Süden - im Süden saß Ashray und machte ihm die Hölle heiß … Hinzu kamen noch diverse Auseinandersetzungen mit Dämonen, aber die waren zur Zeit wirklich sein kleinstes Problem.

Er konnte einfach nicht mehr. Er brauchte eine Auszeit, wollte fliehen. Jetzt! Sofort! Weg von hier, möglichst weit weg von den Wachen, den Verpflichtungen seines Amtes und dem Himmelsturm, seinem Zuhause, seinem Gefängnis. Einfach nur weg!

Er lehnte sich an den Stamm eines mächtigen Baumes und schloss die Augen. Warum konnte er nicht einfach fliehen? Nur für ein paar Tage alles vergessen, was ihn hier umgab. Vielleicht einfach mal mit Ashray ein bisschen umherziehen. Sicherlich kannte der viele Orte, die er nicht kannte, niemals sehen würde …

Er seufzte leise. Ashray … erst vor zwei Tagen waren sie wieder aneinandergeraten und es war immer der gleiche Vorwurf: „Nie hast du Zeit für mich!“ Die Worte des Prinzen hallten noch immer in seinem Kopf und das Schlimme war: Er hatte Recht. Und er, der Shuten, der Herrscher des Himmels und der Erde, das mächtigste Wesen hier, konnte nichts an diesem Umstand ändern, überhaupt nichts.

Tränen stiegen in ihm hoch. Er versuchte sie zu unterdrücken, was ihm nicht wirklich gelang. Vereinzelt liefen sie ihm über die Wangen.

Er stieß sich von dem Baum ab, drehte sich um und schlug mit voller Wucht gegen die raue Rinde. Seine Hand schmerzte, aber der Schmerz hatte etwas Befreiendes. Er starrte seine Hand an, die nicht einmal eine Schramme abbekommen hatte.

Es dauerte eine Weile, bis er sich der Situation überhaupt bewusst wurde. War es nicht damals ähnlich gewesen? Vor etwa einem Jahr, oder waren es doch schon zwei? Einer der Soldaten, ein Drogenabhängiger, hatte ihn im Garten überfallen. Er war alleine gewesen - verbotener Weise - genau wie jetzt auch. Ashray hatte ihn mehr oder weniger gerettet, indem er den Angreifer niedergeschlagen hatte und er, Tia, hatte den Mann geheilt und seine Erinnerungen verändert, sodass er sich nicht an seine Tat erinnerte … nicht erinnerte!

Eine Idee keimte in ihm auf. War es möglich. Könnte er es? Er betrachtete seine Hände, hielt sie in die untergehende Sonne, deren Strahlen sie in ein intensives goldenes Licht tauchten. Es würde auf einen Versuch ankommen.

Ohne Erinnerungen sein, hieß frei sein!

Freiheit! Nichts wollte er im Moment mehr, als einmal frei zu sein. Nur die Erinnerungen trennten ihn noch davon!

Er lachte laut auf. Es war ihm egal, ob man ihn hören würde denn es kam nur auf einen einzigen Versuch an …

Einen - einzigen - Versuch!

Führungslos

Kapitel 1: Führungslos
 

„Teiou, Teiou, komm schnell!“

„Klammer dich nicht so an mich, Ashray! Lass mich los.“

Die Stimmen drangen von ganz weit weg zu ihm. Vor ihm tauchten langsam verschwommene Schatten und Schemen auf, die sich bewegten. Erst nach und nach wurde alles deutlicher: Der blaue Himmel, das grüne Laub der Bäume, zwei dunkle Gesichter, die sich über ihn beugten … Mehr nahm er nicht wahr, sein Kopf schmerzte zu sehr.

„Tia, was machst du denn für Sachen? Fällst einfach vom Baum.“ Der neben ihm hockende dunkelhaarige Junge schüttelte verständnislos den Kopf, wobei ihm einige dunkle Strähnen ins Gesicht fielen. „Wozu kannst du denn bitte fliegen?“

Der Kleinere der beiden hatte immer noch einen sehr verschreckten Gesichtsausdruck und bisher reglos auf seiner anderen Seite gekniet. Nur langsam regte er sich wieder. „Fahr ihn nicht so an, Teiou!“ In seiner Stimme schwangen jede Menge Vorwürfe mit.

„Ja ja“, der Größere winkte ab und betrachtete ihn dann wieder mit leicht schräg gelegtem Kopf. „Er scheint sich ja nichts Ernstes getan zu haben. Aber Tia, sag mal: Warum fällst du einfach von Bäumen?“

Ja, warum fiel er eigentlich von Bäumen?

„Ich war müde und … bin wohl eingeschlafen“, nuschelte er leise.
 

Seine Lider flatterten und die Gesichter vor seinen Augen verschwammen, um dann erneut aufzutauchen. Sie hatten sich verändert. Es waren nicht mehr die Gesichter von achtjährigen Jungen, sondern von erwachsenen jungen Männern. Der eine schwarz-, der andere rothaarig.

„Eingeschlafen?“ Der Dunkelhaarige zog fragend eine Augenbraue hoch. „Da gibt’s nun wirklich nettere Stellen im Garten um einzuschlafen. Zum Beispiel eine schöne Wiese mit einem Baum. Sie haben dich aber zwischen ein paar ziemlich stachligen Pflanzen gefunden.“

„Das waren Brombeersträucher, Teiou.“ Eine dritte Person musste im Raum sein. Die angenehm klingende Stimme kam von weiter weg und der Rothaarige hatte den Mund nicht geöffnet. Er sah ihn nur schweigend mit undeutbarem Gesichtsausdruck an.

Teiou … hatte einer der Jungen in seinem Traum nicht auch so geheißen? Er schloss die Augen kurz, um sich darauf zu besinnen, aber die beiden Kindergestalten und das Geschehen seines Traumes waren schon zu weit weg, glichen nur noch blassen grauen Schemen.

„Wo bin ich hier?“ Er suchte den Blick eines der beiden Männer, die neben ihm saßen, in der Hoffnung eine Antwort zu erhalten.

„In deinem Zimmer, auf deinem Bett!“ Der Rothaarige war schneller als der, den die unbekannte Stimme mit Teiou angesprochen hatte. Seine Stimme klang ein wenig schroff und kühl, aber sein Blick wirkte doch besorgt, oder bildete er sich das nur ein?

„Tia, was hast du da draußen alleine gemacht? Du weißt, dass du nicht alleine raus gehen sollst!“ Diesmal schwangen deutlich Sorge und Vorwürfe in der Stimme des Rothaarigen mit.

„Tia … wer ist Tia?“, fragend sah er zu den beiden Männern auf, die nun seltsam, verwirrte Gesichtsausdrücke bekamen. Der mit dem Namen Teiou drehte sich um und sah in Richtung Tür, von wo nun Schritte zu hören waren, die sich nährten.

„Du bist Tia, wer sonst?“ Der Rothaarige hatte seine Verwirrung überwunden und seine Stimme klang nun fast ein wenig hysterisch. „Du bist Tiarandear Fei Gi Emeroad! Der Shugo Shuten!“

Auf der anderen Seite sprach Teiou leiser mit dem Unbekannten, der nun auch neben dem Bett stand. „Keika. Er erinnert sich nicht an seinen Namen. Was …“ Ein Schrei unterbrach das Gespräch und der Dunkelhaarige hatte sich erschrocken wieder ihm zugewandt.

Es dauerte einen Moment, bis er bemerkte, dass er es war, der schrie. Er saß plötzlich aufrecht im Bett, drängte sich so nah wie möglich an die Wand hinter sich und starrte den Unbekannten an, der am Fußende stand und mit dem Teiou gerade noch leise gesprochen hatte. Erst hatte er nur auf die Stimmen der beiden geachtet, dann hatte er nach und nach die Gestalt gemustert, die ein wenig im Zwielicht der einbrechenden Dämmerung stand. Seine Kleidung war hell und sah der, die die beiden anderen trugen, ähnlich, aber als sein Blick höher gewandert war und er das Gesicht des Fremden genauer betrachtet hatte, war es ihm eiskalt den Rücken runtergelaufen: Ein Dämon! Direkt vor ihm! Keine drei Meter entfernt!

Er schrie immer noch, warf mit einem Kissen nach dem Dämon, der sich duckte und daher von dem Geschoss verfehlt wurde. Eine Vase schepperte stattdessen und ging zu Bruch. Von draußen drangen laute Schritte herein. Teiou flüsterte „Wachen“ und etwas von einem Arzt und Murju. Er verstand kaum etwas. Der Rothaarige versuchte ihn zu beruhigen, aber auch von seinen Worten nahm er nur Bruchstücke wahr: … „nur Keika“ … „Teious Anhängsel“ …

Endlich entfernte sich der Dämon mit einem kurzen Nicken in Teious Richtung und das war das Einzige, was für ihn zählte. Der Dämon verschwand! Langsam beruhigte er sich wieder. Sein Atem und Herzschlag gingen noch schneller als normal, aber er wurde ruhiger.

Der Rothaarige saß nun neben ihm und hatte einen Arm um seine Schultern gelegt. An ihn lehnte er sich, während er versuchte wieder ruhig zu atmen. Teiou war unterdessen aufgestanden, stand mit verschränkten Armen neben dem Bett und musterte ihn nachdenklich. Sie schwiegen alle drei.

Als er den Dämon soweit wie möglich aus seinen Gedanken verbannt hatte, fiel ihm seine Frage wieder ein, die er gehabt hatte. Wer war er? Er war Tia, das hatten ihm die beiden Fremden versichert, und er war Shugo Shuten. Aber was war ein Shugo Shuten? Er richtete die Frage leise an den Rothaarigen, dessen Augen nun sehr groß wurden und dessen Blick hilfesuchend zu Teiou glitt, der immer noch beinahe reglos dastand.

„Ein Shugo Shuten“, fing dieser zögernd an, „ist der oberste Herr des Himmels. Ein göttlicher Herrscher, der von den Göttern hergeschickt wird und das Geschick des Himmels und der Menschenwelt bestimmt. Verdammt, Tia, das ist doch lächerlich! Du bist ein Shuten. Das musst du doch wissen. So schwer kannst du gar nicht mit dem Kopf aufgeschlagen sein, dass du das nicht mehr weißt!“

Ein Klopfen an der Tür unterbrach Teiou in seiner Rede und ein junger Mann trat ein, nachdem Teiou ihm den Eintritt gewährt hatte.

„Ihr habt nach mir rufen lassen, Teiou-sama?“ Der Neuankömmling verbeugte sich leicht, bevor er ans Bett herantrat und ihn, Tia, flüchtig musterte, bevor er sich zu Teiou wand. Dieser schien von dem Auftritt belustigt zu sein, jedenfalls grinste er leicht, bevor er dem anderen eine Hand auf die Schulter legte. „Das ist Murju, einer der besten Heiler im ganzen Himmelreich. Er wird sich dich mal ansehen Tia.“

Er musterte Murju, der ein wenig kühl und unnahbar wirkte. Der Heiler trug ein dunkelgrünes Obergewand, das ihm ein wenig zu groß war, weswegen er sich wohl mehrfach den Gürtel um die Taille geschlungen hatte. Oben ragte der Kragen eines hellen Hemdes heraus. Sein Gesicht wirkte sehr streng, was die schulterlangen schwarzen Haare nur noch untermalten. Sie ließen ihn auch extrem blass wirken und seinen Blick noch strenger.

„Darf ich mich Euch nähern, Shuten-sama?“ Wieder verneigte Murju sich leicht.

„Sag Tia …“, murmelte er leise. „Ich bin kein Shuten. Ich weiß nicht mal so genau, was das ist.“

Überrascht sah Murju erst ihn, dann Teiou an, der nur die Schultern zuckte. Der Rothaarige war unterdessen ein wenig widerwillig aufgestanden, um Murju Platz zu machen. Er stand nun neben Teiou und verfolgte jede einzelne Bewegung des Heilers mit misstrauischen Blicken.

Erst jetzt, wo die feingliedrigen Finger des Heilers seinen Arm vorsichtig anhoben, fiel ihm auf, dass seine Kleider völlig zerschlissen waren. Überall waren Risse drin. Hatten sie nicht eben gesagt, dass man ihn zwischen Brombeersträuchern gefunden hatte? Murju schob den Ärmel des kaputten Gewandes hoch und betrachtete die vielen feinen Kratzer auf der hellen Haut. Anscheinend hatte er selber auch genug von den Dornen der Brombeerranken abbekommen und nicht nur seine Kleidung.

„Wollt Ihr das selber heilen, Shu… ich meine Tia?“

„Heilen?“, verwirrt sah er Murju an, der ihn mit seinen dunklen, tiefgründigen Augen kurz ansah, bevor er sich kopfschüttelnd wieder den Kratzern zuwandte. „Wie soll ich heilen?“ Diesmal sah er die beiden anderen Männer an, die noch immer nebeneinander standen.

„Vergiss es Tia, Murju heilt die Kratzer und wir reden mal übers Heilen, wenn du dich ein bisschen ausgeruht hast.“ Es war Teiou, der sprach und der kleinere Rothaarige wollte anscheinend ebenfalls etwas erwidern, aber Teiou legte einen Arm um ihn und zog ihn näher zu sich. „Nicht wahr Ashray? Wir lassen ihn sich erstmal ein bisschen ausruhen. Bevor wir ihm das erklären.“ Und leiser fügte er noch hinzu: „Das Heilen und einiges andere auch.“

Ashray … der kleine Rothaarige hieß also Ashray. Der Name kam ihm irgendwie bekannt vor.

Teiou, Murju und Ashray… im Stillen wiederholte er die drei Namen. Für ihn gehörten sie drei Fremden, denen er aber vertraut zu sein schien. Sie würden ihm sicher noch vieles erklären müssen. Er atmete tief durch und ließ dann die Behandlung des Heilers über sich ergehen.
 

Ungeduldig ging Ashray in einem der Nachbarzimmer auf und ab, die noch zu den Gemächern des Shuten gehörten. Teiou saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Sofa und spielte mit einem Apfel, den er immer wieder in die Luft warf und auffing.

Draußen war es längst dunkel, aber der Raum wurde vom Licht sämtlicher Kerzen erhellt, die Ashray gefunden hatte. Um sich abzulenken hatte er sie alle angezündet und jetzt lief er wie ein eingesperrtes Raubtier durch den Raum.

„Wenn dein toller Heiler da nicht gleich raus kommt, geh ich wieder rein!“ Der Prinz des Südens blieb vor der Tür stehen, hinter der sich das Zimmer des Shutens verbarg.

„Jetzt gib ihm doch mal ein bisschen Zeit. Als Unbeteiligter kann Murju sicherlich einiges besser in Erfahrung bringen und verstehen, als wir beide es je könnten.“ Wieder warf Teiou den Apfel hoch, biss aber diesmal herzhaft hinein, als er ihn wieder in der Hand hielt.

„Murju? Glaub mir Teiou, ich weiß ganz genau, wer dieser Murju da drin ist.“ Er warf seinem Freund einen vielsagenden Blick zu, der nun ein wenig schuldbewusst den Kopf zur Seite drehte. „Keiner außer deinem Dämon riecht so extrem nach Kräutern und niemand kann so schnell einen Arzt aus dem Osten herzitieren. Du hattest nur Keika im Schlepptau, als du hier aufgetaucht bist. Also: Keika ist Murju. So blöd, dass ich eins und eins nicht zusammenzählen kann, bin ich nicht!“

Teiou grinste ihn an und biss noch mal von seinem Apfel ab. „Ich werd’s mir merken“, antwortete er noch kauend.

Das leise Klicken der Tür ließ sie beide aufmerken. Der in grün gewandete Heiler trat leise aus Tias Zimmer und schloss die Tür kaum hörbar hinter sich.

„Murju“, rief Teiou erfreut.

„Keika“, sagte Ashray kühl und musterte den jungen Mann, der gerade eingetreten war.

„Er schläft jetzt. Aber anscheinend hab ich hier ja was verpasst: Wie war das mit dem Geheimnis, Teiou?“ Murju warf Teiou einen vernichtenden Blick zu, der nur entschuldigend die Schultern zuckte.

„Ich bin von alleine drauf gekommen, Keika. Also: Was ist jetzt mit Tia? Du warst lang genug mit ihm alleine und hast uns warten lassen.“ Er stemmte die Arme in die Seiten und sah den anderen düster an, der sich nun neben Teiou setzte.

„Die Kratzer sind alle harmlos, aber er leidet unter einer retrograden Amnesie. Das bedeutet“, er sah kurz in die Runde und fuhr ein wenig lauter fort, als Ashray gerade ansetzen wollte etwas einzuwerfen, „das bedeutet, dass er sich an nichts mehr erinnert, was vor dem Ereignis liegt, das ihm im Garten widerfahren ist. Was auch immer das war. Allerdings muss ich von einer sehr schweren Form der Amnesie ausgehen, da er sich auch nicht an seinen Namen erinnern konnte. Eine Prognose, wann seine Erinnerungen zurückkommen, kann ich euch leider nicht geben. Vielleicht passiert es morgen, vielleicht nächste Woche oder erst in einem Jahr. Aber es ist bei einer solchen … nennen wir es Erkrankung, immer recht hilfreich, wenn Personen aus dem nahen Umfeld sich um den Patienten kümmern und seinen Erinnerungen ein wenig auf die Sprünge helfen.“

Eine Weile herrschte Schweigen in dem vom Kerzenlicht erhellten Raum. Die beiden anderen schienen das Gehörte erstmal verarbeiten zu müssen.

„Was kann so etwas auslösen?“, fragte Teiou leise. Dabei strich er Keika, der immer noch in seiner Menschengestalt dasaß, eine dunkle Strähne aus dem Gesicht.

„Traumatische Erlebnisse, Stress, ein Schlag auf den Kopf“, er zuckte mit den Schultern und lehnte sich an Teiou, „vieles kann der Auslöser sein. Eine Kopfverletzung war es beim Shuten-sama jedoch nicht, die hätte ich bemerkt.“

„Ich hab mich vor ein paar Tagen ziemlich heftig mit ihm gestritten.“ Ashray klang bei dem Eingeständnis sehr kleinlaut, was bei seinem aufbrausenden Charakter sehr selten vorkam.

„Oh ja, ein sehr traumatisches Erlebnis. Ein Streit mit dir. Da hatte er nun schon wirklich genug von in all den Jahren und bisher hat ihn das nur mal ein bisschen aus der Bahn geworfen, aber nicht gleich alle seine Erinnerungen gekostet.“ Teiou verschränkte die Arme hinterm Kopf, während er mit stark sarkastischem Unterton sprach, und die Decke anscheinend sehr interessiert betrachtete. „Es muss was anderes sein. Ich werde das schon herausfinden“, murmelte er und Ashray nickte zustimmend.

„Viel wichtiger ist, dass ihr eure Erinnerungen mit ihm teilt. Die Ursache ist da erstmal zweitrangig.“ Keika gähnte leise Er war müde und es war bestimmt schon nach Mitternacht. „Ihr solltet beide ein paar Tage hier bleiben, dann sehen wir weiter, auch wenn ich hoffe, dass sich das Problem bis dahin erübrigt.“

Die beiden Himmelsprinzen nickten schweigend. Endlich waren sie sich mal einig und endlich hörten sie mal auf ihn, Keika. Wie lange hatte er auf so einen Moment warten müssen? Er wusste es nicht. Vermutlich zu lange. Mit diesen Gedanken schloss er die Augen und schlief nach einer Weile an Teiou gelehnt ein

Ein neuer Gott

Kapitel 2
 

„Niemand nimmt mich ernst! Dabei ist es doch so offensichtlich, dass ich Recht habe.“ Er stampfte fest mit dem Fuß auf den Boden. Sein Freund betrachtete ihn nur ruhig und bedachte ihn mit einem milden Lächeln, während er sich furchtbar aufregte.

„Tia! Das Problem ist akut. Weder mein Vater, noch meine Brüder wollten mir zuhören und meine Mutter … die hat eh nichts zu sagen. Wenn ich ein Amt hätte …“ Er ballte eine Hand zur Faust und schlug mit der anderen in die Luft, als wollte er eine vertane Chance einfangen oder zurückholen.

„Du hast aber noch kein Amt, Teiou. Sei froh darüber. Du wirst früh genug eins übernehmen müssen.“ „Ich will nicht irgendwann eins, ich brauche es jetzt!“ Tia seufzte leise und schüttelte den Kopf über diese Unbelehrbarkeit.

„Teiou, du bist dreizehn. Du wirst noch früh genug eine Chance bekommen dich zu beweisen. Lass deine Brüder die Angelegen des Ostens klären. Du bist noch ein halbes Kind und hast nicht einmal deinen Genpuku Abschluss. Ohne den wirst du keine Anerkennung finden.“

„Du verstehst das eh nicht“, er sah Tia fest und durchdringend mit seinen blauen Augen an, „du bist ja auch der Shugo Shuten, hast schon das höchste Amt im Himmel inne und alles tanzt nach deiner Pfeife.“ Für einen kurzen Moment schwang Verachtung in seiner Stimme mit. „Niemand zweifelt an dir. Und du bist auch erst dreizehn! Und was ist mit mir? Ich bin nur der dritte Sohn eines Tennos und habe wenige Aussichten, selbst mit einem Amt, jemals auch nur einigermaßen Akzeptanz zu finden und ohne schon gar nicht! Ich bin ein Nichts!“ Aufgebracht wanderte er mit verschränkten Armen in dem großen Amtszimmer des Shuten auf und ab.

„Ashray hat auch noch kein Amt übernommen“, warf Tia vorsichtig ein, der an seinem riesigen Schreibtisch saß und dort, hinter Papierstapeln, Tintenfässern und Siegeln, fast ein wenig verloren wirkte.

„Ashray ist Kronprinz! Das ist was anderes. Er wird einmal Tenno!“, schnitt er dem Shuten das Wort ab, stützte sich mit beiden Armen auf den Tisch und beugte sich weit vor. „Ich würde jederzeit mit dir tauschen Tia. Jederzeit!“ Seine Stimme war ein beschwörendes Zischen und sein wilder Blick sprach Bände. Er war zu allem entschlossen um Beachtung zu finden. Zu wirklich allem …

Tia schüttelte leise seufzend den Kopf. Wieder und wieder führten sie diese Diskussion. Wieder und wieder …
 

„Ja. Ja, ich gebe es ihm. Ja! Hab ich doch gerade schon mal gesagt! Und jetzt raus! Spreche ich so undeutlich? Raus!“

Die Tür wurde zugeknallt und Teiou ließ sich ziemlich entnervt auf einen der Sessel fallen. Dabei warf er ein Bündel an Papieren auf den Tisch, wo schon einige andere Schreiben lagen. Eines davon hatte Keika in der Hand, der nun kurz aufsah, um sich dann wieder dem Schriftstück zu widmen.

„Habe ich denen nicht erst vor einer Stunde erklärt, dass der Shuten ein wenig unpässlich ist und niemanden sehen möchte? Warum kapieren die das nicht!“ Ein Lächeln umspielte Keikas Lippen, während Teiou so vor sich hin grummelte.

„Das ist hier nun mal so. Einen Tag ohne eine Entscheidung des Shuten und der Turm steht Kopf. Und bedenke: Heute ist schon der zweite Tag. Du bist das einfach nicht gewohnt als Generalfeldmarschall. Wenn du krank bist übernimmt ein anderer das Kommando, aber wer sollte das hier tun? Diese Hasshisen? Wohl kaum.“ Er lachte leise bei Teious tadelndem Blick, wurde dann aber ernster. „Hast du dir die Schreiben mal angesehen? Shuten-dono hat sich nun wirklich nicht den besten Zeitpunkt ausgesucht um alles zu vergessen. In jedem der vier Reiche scheint es Unruhen zu geben und da sind die Probleme mit den Dämonen, sowie die alltäglichen Pflichten des Shuten noch nicht dabei. Wir können froh sein, dass das Chaos noch nicht über uns hereingebrochen ist …“

Wieder klopfte es an der Tür und aufgeregte Stimmen drangen vom Flur in den Vorraum der Gemächer des Shuten, wo sie beide saßen. Entnervt verdrehte Teiou die Augen, stand auf und stapfte missmutig zur Tür. Keika konnte sich denken, was jetzt kam und irgendwie taten ihm die Beamten da draußen auch Leid. Sie waren letztlich nichts anderes als herrenlose Hunde, oder Kinder ohne die führende Hand der Eltern.

Die Stimmen an der Tür stritten sich immer lauter mit Teiou, der mittlerweile ziemlich wütend war, da er mit seinen Worten nicht viel erreichte. Keika erhob sich seufzend von seinem Sessel und ging langsam zur Tür, die Teiou nur soweit geöffnet hatte, dass man seinen Kopf hätte durchstecken können.

Er trat hinter Teiou und schaute über dessen Schulter hinaus auf den Flur, wo sich die elf Hasshisen - die höchsten Beamten des Himmels und das Beratungsgremium des Shuten - versammelt hatten und wild auf Teiou einredeten. Einer fehlte. Keika wusste auch warum: Er war durch einige unglückliche Zufälle ins Visier einiger Drogendealer geraten und wurde von diesen beseitigt. Ein schwerer Verlust für den Shuten, da dieser zwölfte Hasshise der Fähigste des Haufens da draußen gewesen war.

„Der Shuten wird an der Nachmittagskonferenz teilnehmen.“ Er sah die schwarzgewandeten Beamten fest an, die sich nun leicht verbeugten und einige Schritte zurücktraten. Sie hatten meistens großen Respekt vor Keika, der hoch in der Gunst des Shuten stand. Vielleicht hatten sie auch einfach nur Angst, weil er ein Dämon war. Jedenfalls waren sie jetzt ruhig. Teiou starrte ihn entsetzt an und Keika stieß ihm unauffällig mit dem Ellenbogen in die Seite. „Er wird teilnehmen“, sagte er noch einmal ruhig und Teiou nickte zustimmend, obwohl sein Gesicht immer noch verständnislos aussah.

„Wie stellst du dir das denn bitte vor?“ Teiou hatte die Tür wieder zugeworfen und ging nun neben ihm zurück zu der Sitzecke. „Willst du Tia dahin setzen und alles absegnen lassen, was ihm diese Trottel vorlegen? Dann hast du dein Chaos, von dem du eben gesprochen hast! Oder hat er bis dahin sein Gedächtnis wieder?“ Der Dunkelhaarige war ziemlich aufgebracht, was wohl zum Teil auch aus der Sorge um seinen Freund, den Shuten, resultierte.

„Ich habe doch gesagt, dass ich nicht weiß, wann er sich wieder an alles erinnern kann. Aber wir können den Himmel auch nicht ohne Führung lassen.“ Er hob einige der Papiere vom Tisch und ließ sie wieder darauf fallen. „Nicht bei den ganzen Problemen hier. Nein, Tia wird dort nicht sitzen. Aber …“, er atmete noch einmal tief durch, in dem Bewusstsein, dass Teiou sich für das, was er nun sagen würde, sicher irgendwann bitter an ihm rächen würde, „… du!“

„Ich?“ Teiou sah ihn völlig perplex mit großen Augen an und deutete fragend auf sich selber. Er saß wieder auf seinem Sessel, die Beine lässig über eine der Armlehnen geschwungen. „Wie stellst du dir das denn vor?“

„Warts ab.“ Keika lächelte verschwörerisch und steuerte, während seine Gestalt der von Murju wieder ähnlicher wurde, auf die großen Flügeltüren zu, hinter denen das Schlafgemach des Shuten lag und wo Ashray sich gerade mit dem Gedächtnislosen beschäftigte.
 

„Murju, Teiou.“ Tia lachte, als die beiden das große Schlafzimmer betraten. „Das Spiel ist gar nicht so schwierig.“ Er saß mit Ashray in einer Sitzgruppe vor den großen Fenstern, durch die die warme Morgensonne fiel und spielte Go mit ihm.

„Er gewinnt ständig, Teiou …“ Ashray sah ein wenig deprimiert aus und starrte das Brett an, in der Hoffnung das Spiel noch wenden zu können.

Teiou ließ sich neben Tia auf dem Sofa nieder und betrachtete das Brett ebenfalls. „Sieht schlecht aus für dich Ashray. Da kannst du nicht mehr viel reißen.“ Er grinste. Sonst gewann Tia nie und vor allem nicht gegen Ashray. Außerdem wirkte er jetzt gerade so glücklich und ausgelassen wie seit Ewigkeiten nicht mehr.

„Ich gebe auf.“ Ashray schob das Brett von sich, überging Tias Proteste und sah nun Teiou an. „Hat er eine Idee?“ Er machte eine leichte Kopfbewegung in Murjus Richtung, der in dem begehbaren Kleiderschrank verschwunden war, der an das Zimmer angrenzte.

Der dunkelhaarige Prinz nickte, lehnte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen kurz. „Eine Idee: Ja hat er. Aber ob die mir so recht gefällt weiß ich noch nicht.“ Er überging Ashrays weitere Nachfrage und schaute erst wieder auf, als Murju wieder vor ihnen stand, in der Hand mehrere Gewänder, die er schon oft an Tia gesehen hatte.

„Teiou, steh auf und zieh das an!“

Seufzend erhob Teiou sich, nahm Murju eines der Gewänder ab und zog sich um, während Ashray und Tia neugierig zusahen.

„Du siehst lächerlich aus Teiou.“ Ashray lachte, aber Murju sah ihn so böse an, dass er schnell wieder still war. „Lach nicht über den neuen Shuten!“, zischte er leise und ging dann auf Teiou zu, um ihm zu helfen.

„Deine Schultern sind zu breit.“ Murju hatte alle Mühe das Gewand zu schließen, schaffte es aber letztlich doch irgendwie.

„Kann ja nicht jeder so schmächtig sein wie Tia“, grummelte Teiou vor sich hin, bevor er vor einen der Spiegel trat und sich skeptisch betrachtete. „Als Generalfeldmarschall muss ich halt ein bisschen breiter an den Schultern sein, als ein Beamter …“

„Und was wird das jetzt genau?“ Tia schaute, Teious Grummeleien ignorierend, neugierig Murju an, während Ashray um Teiou herum schwebte und den ärgerte.

„Teiou wird dich vertreten, bis du dich wieder erinnern kannst. Von der Größe und seiner Statur her kommt das ungefähr hin. Die Augenfarbe passt auch und das mit den Haaren und der Narbe kriegt er schon irgendwie hin. Er ist ja so ein Magiekünstler!“ Er sah vielsagend zu Teiou, der ihm nur die Zunge rausstreckte. „Das Zeichen mal ich ihm zur Not auf. Dir müssen wir deins wegschminken und deine Haare färben wir besser auch. Es wäre nicht so gut, wenn sie hier noch einen Shuten finden würden und dahinter kommen, dass es einen echten ohne Gedächtnis und einen falschen ohne die Kräfte eines Shuten gibt.“

Tia nickte zögernd, vermutlich hatte er nur die Hälfte von dem verstanden, was Murju ihm da gerade erzählt hatte. „Das wird sicher lustig“, meinte er lachend und sah dabei beinahe so unschuldig aus wie ein Kind.

„Das glaube ich auch.“ Hinter Murju lachte Ashray laut auf und als er sich umdrehte sah er das Desaster schon. Die Nähte des Gewandes, in das er Teiou gesteckt hatte, waren an den Schultern aufgerissen. So konnte er sich auf keinen Fall bei der Versammlung blicken lassen.

„Ich hab nur nach dem Blödmann geschlagen, da ist es gerissen.“ Teiou hob entschuldigend die Schultern, schlug aber kurz danach noch einmal nach Ashray, der immer noch kichernd neben ihm in der Luft hing.

„Das sollst du ja auch nicht tun …“ Murju seufzte leise. Das konnte ja noch heiter werden. Was hatte er da nur wieder für eine Idee gehabt, wenn das jetzt schon alles nicht klappte. „Zieh dein Hemd an. Ich such dir ein Obergewand, das keine Ärmel hat. Dann besorg ich dir in den nächsten Tagen deine feinen Gewänder. Solange wird’s schon irgendwie gehen.“

Er fasste Teiou am Arm und zog ihn mit sich in Richtung des riesigen Schrankes, hielt aber noch einmal kurz inne und warf Ashray eine Flasche zu, die er von seinem Gürtel gelöst hatte. „Kümmer dich schon mal um seine Haare.“ Er nickte in die Richtung, wo Tia immer noch amüsiert saß. Dann verschwand er mit Teiou.
 

Skeptisch betrachtete er sein Werk. Tias sonst sonnengelbes Haar war nun kastanienbraun und ließ ihn fremd wirken. Er wirkte eh schon ganz anders, seitdem er sich an nichts mehr erinnerte. Ashray hatte das Gefühl, dass er es wieder vielmehr mit dem Tia zu tun hatte, den er als Kind kennengelernt hatte.

„Ich verlier schon wieder! Das gibt es nicht!“ Entsetzt riss sich der Rothaarige von Tias Anblick los und starrte das Go-Brett an, während Tia leise lachte. Warum hatte er sich nur zu noch einer Runde bequatschen lassen? Das würde seine ganze Statistik ruinieren.

„Ashray! Was machst du in meinem Zimmer?“

Erschrocken drehte er sich um. Vor Staunen klappte ihm der Mund auf. Das konnte doch nicht sein, oder doch?

„Teiou?“, fragte er leise nach, obwohl es irrsinnig war noch nachzufragen. Natürlich war es Teiou, der da vor ihm stand: Hochgewachsen, blaue Augen, aber statt schwarzer Haare blonde und statt einer Narbe das Zeichen des Shuten auf der Stirn. Auch das improvisierte Gewand entsprach den Standards eines Shuten. Nur wenn man ganz genau hinsah konnte man den dritten Prinz des Ostens noch erkennen, aber dazu musste man sowohl Teiou, als auch Tia sehr gut kennen. Das Einzige, was nicht ganz stimmte, war, dass Teious Hautfarbe nicht ganz so hell war wie die von Tia. Er kam als Generalfeldmarschall ja auch deutlich häufiger an die frische Luft. Aber den Rest hatte Murju mit ein paar Mittelchen und Teiou mit seiner magischen Kraft mehr als täuschend echt hinbekommen.

„Wer sonst?“ Der vermeintliche Shuten stand nun neben Ashray und gab ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf. Murju war auch wieder aufgetaucht und lachte leise, als er das sah. „Aber ab heute darfst du mich Tia nennen, oder besser noch Shuten-dono.“

„Klar. Ab heute bist du offiziell größenwahnsinnig und außerdem darfst du mir als Shuten nichts mehr tun.“ Der Rotschopf war aufgesprungen, grinste und ging einmal um Teiou herum. Aber äußerlich war wirklich nichts zu erkennen, was darauf schließen ließ, wer er wirklich war. Nur die blauen Augen blitzen ab und zu verräterisch. Der Schalk in Teiou war immer noch da und der neue Shuten würde sich sicherlich einiges leisten, auch wenn er sich Mühe gab Tia zu imitieren.

Murju hatte sich indes neben Tia gesetzt und betrachtete ihn eingehend, bevor er sich daran machte das Mal auf der Stirn des wahren Shuten verschwinden zu lassen. Teiou und Ashray sahen zu, nachdem sie eine Weile miteinander rumgefeixt hatten, ohne dass irgendetwas an Teious Gewand gerissen wäre.
 

Er betrachtete sich prüfend im Spiegel. Hatte er sich in den letzten beiden Tagen erst wieder an sein Gesicht gewöhnen müssen, musste er sein Selbstbild jetzt wieder über den Haufen werfen. Murju und Ashray hatten ganze Arbeit geleistet. Seine Haare waren nun braun und das Zeichen auf seiner Stirn kaum noch zu erkennen. Da ihm auch noch die Haare ins Gesicht hingen, würde der blasse Schatten, der noch übrig war, niemandem auffallen.

„Du siehst genauso aus wie ich ausgesehen habe.“ Immer noch verblüfft wandte er sich Teiou zu, der neben ihm stand und an seinem Gewand rumzupfte.

„Das ist ja auch Sinn und Zweck der Übung.“ Den Kopf leicht schief gelegt sah Teiou prüfend in den Spiegel. Auch er schien sich erst noch an seinen eigenen Anblick gewöhnen zu müssen.

„Wie machst du das? Du hast genau mein Gesicht.“ Es kam ihm immer noch so unwirklich vor, dass er vorsichtig eine Hand ausstreckte und kurz Teious neues Gesicht berührte, dass eigentlich sein eigenes war. „Wie ist das … mit der Magie?“, fragte er leise.

Teiou lachte und strich sich eine seiner blonden Strähnen aus dem Gesicht. „Das gerade du das fragst.“ Er grinste ihn an. „Keiner ist mächtiger als du, was die Magie angeht. Aber gut: Man kann mit Magie sein Äußeres verändern. Ich hab’s schon mehrfach zu einem Vogel gebracht, dann mal eine Frau, dann noch diverse Schreckgestalten für einige Adlige des Ostens …“ Teiou grinste breiter, schien einen Moment in seinen Erinnerungen zu verweilen und ihm nicht weiter Auskunft geben zu wollen. „Jedenfalls kann man mit seiner magischen Kraft viel anfangen“, fuhr er nach einer Weile fort, „wenn man genug davon hat und mit ihr umzugehen weiß. Aber wenn Keika mir mit seinen Mittelchen die Haare nicht wenigstens ein bisschen heller gemacht hätte, sähe ich vermutlich nicht ganz so perfekt aus.“

„Keika? Wer ist das?“ Er folgte dem Blick des neuen Shuten zum Fenster, wo Murju stand und raus sah.

„Ich meinte Murju …“, Teiou machte eine Pause und fuhr erst nach einer Weile leiser und mit verschwörerischem Unterton fort: „Ich verwechsle ihn manchmal mit seinem Bruder.“

Neben ihnen zischte Ashray etwas vor sich hin, dass wie „sehr plausibel“ oder so klang, aber er verstand nicht wirklich was der Rotschopf damit meinte. Bisher war ihm nur aufgefallen, dass Ashray zu Murju ein nicht allzu freundschaftliches Verhältnis zu haben schien. Teiou hingegen schien sich mit Murju sehr gut zu verstehen. Aber vielleicht hatte er auch einfach noch kein umfassendes Bild von den Dreien. Er kannte sie ja auch erst seit etwa zwei Tagen.

„Wir sollten gehen.“ Murju hatte sich ihnen zugewandt.

„Zeit für meine erste Amtshandlung.“ Teiou grinste leicht und folgte Murju zur Tür, wo er sich noch einmal zu ihm und Ashray umwandte. „Und ihr beide sucht euch eine neue Bleibe. Das Zimmer ist meins, bis du wieder normal bist, Tia. Klar? Und stellt nicht zuviel Unsinn an draußen.“ Er zwinkerte Ashray zu.

„Der richtige Shuten sollte nicht verloren gehen, klar!“ Murju warf Ashray noch einen kühlen Blick zu, den Ashray mürrisch erwiderte. Dann verschwanden die beiden aus der Tür.

Fragend sah er Ashray an. „Und jetzt?“

„Jetzt zeig ich dir den Himmel, damit du dich wieder erinnerst. Und dem Dämon zeig ich, dass ich auf dich aufpassen kann. Wer ist denn der jüngste Generalfeldmarschall hier. Er oder ich? Phh… wäre ja gelacht wenn dir was passieren würde.“

Dämon? Noch bevor er weiter nachfragen konnte, hatte Ashray ihn am Arm gepackt und zog ihn aus den Räumen, die ihm in den letzten zwei Tagen als Unterkunft gedient hatten und nun wenigstens ein wenig vertraut waren.

Neugierig folgte er Ashray durch die reichverzierte Tür, hinaus in unbekannte Gänge, in diesem unbekannten Bauwerk, in diese ihm nicht wirklich vertraute Welt.

Er lachte. Mit Sicherheit würde es sehr abenteuerlich werden.
 

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Mit ein paar Tagen Verzögerung das neue Kapitel ^^. Ich hab irgendwie verplant wann zwei Wochen rum sind. Das ging so schnell... ich gelobe Besserung.

LG kiya

Eine Einführung

Kapitel 3: Eine Einführung
 

„Schau mal! Man kann von hier bis in den Süden sehen und wenn man noch ein wenig höher steigt …“ Die Stimme seines Freundes wurde undeutlicher und er legte den Kopf weit in den Nacken, um gerade noch zu sehen, wie ein Schuh zwischen dem dichten Blätterwerk verschwand.

„Ashray?“ Er stand auf einem breiten Ast, nahe dem mächtigen Stamm, und klammerte sich an einen Zweig. Sein Blick glitt über den mächtigen Baum und dann nach unten. Ihm wurde schwindlig. Schnell richtete er seinen Blick auf ein Fenster der Himmelspagode, die in der Sonne weiß leuchtete. „Immer einen Fixpunkt suchen …“, murmelte er leise und atmete tief durch.

„… und da hinten liegt die blaue Stadt … und der Fluss und …“ Die Satzfetzen wurden undeutlich im Rauschen der Blätter. Ab und zu drang ein durchdringendes Knacken zu ihm herab.

„Ashray, ich bin noch nie höher geklettert.“ Wieder sah er kurz nach unten und wartete eine Weile. „Ashray?!“

Endlich tauchte der rote Schopf des anderen Jungen über ihm auf. Er strahlte und schien begeistert von all dem zu sein, was er eben gesehen hatte.

„Na komm. Da oben ist richtig viel Platz zum sitzen und der Baum wird fast noch breiter. Da kann man gar nicht runterfallen.“

Dankbar griff er nach der Hand, die der kleine Prinz aus dem Süden ihm entgegenstreckte und ließ sich hochziehen ...
 

Gedankenverloren saß Tia hoch oben in der Krone eines mächtigen Baumes, der in den weitläufigen Gartenanlagen des Tenshu Turmes wuchs. Sein Blick ruhte auf dem silbernen Band, das sich weit entfernt durch die Landschaft schlängelte und in der Sonne glitzerte. Ein Fluss, der laut Ashray der längste und größte Strom des Himmels war und in Nén, der Kaiserstadt des Westens, entsprang. Von weiter oben drang Ashrays Stimme zu ihm. Der Prinz stand in einer Astgabel und schaute ebenfalls in die Ferne, während er ihm erzählte was sie beide da sahen.

Sie waren schon lange in den Gärten. Ashray hatte ihm zunächst den Tenshu Turm gezeigt, bis Tia um eine Pause gebeten und Ashray ihn zu diesem Baum geführt hatte, in dem sie jetzt saßen. Er schloss die Augen und hielt das Gesicht in die Sonne, während er dem Klang von Ashrays Stimme lauschte und das Gesehene in Gedanken noch einmal Revue passieren ließ:

Da waren die unendlich vielen langen Gänge gewesen, in denen sich Menschenmassen aufhielten, die alle darauf warteten zum Shuten durchgelassen zu werden, auch an Tagen, an denen es keine Audienzen gab. Sie alle wollten zu ihm, beziehungsweise zu Teiou, der zurzeit den Shuten spielte. Wenn er ehrlich war, war er sehr froh darüber. Der Gedanke, dass so viele Menschen kamen, nur um ihn zu sehen, war sehr befremdlich und für ihn kaum nachvollziehbar, auch wenn Ashray versucht hatte es ihm geduldig zu erklären.

Als nächstes hatte der Prinz ihm den großen Audienz- und Thronsaal gezeigt. Dieser war gänzlich mit hellem Marmor ausgekleidet, der im Sonnenlicht strahlte, das durch die hohen Fenster zu beiden Seiten des Raumes hereinfiel. Den Boden zierte ein Mosaik, das eine riesige Karte der vier Reiche darstellte. Schon auf diesem war ihm der Fluss aufgefallen, den er nun in der Ferne sah. Am anderen Ende des Saals hatte der prächtige Thron des Herrschers gestanden. Insgesamt hatte die Halle ihn sehr beeindruckt, was bei Ashray nicht so der Fall gewesen war. Vielleicht lag es nur daran, dass der Rothaarige das alles schon kannte.

Im Hauptgang, der zu diesem Saal führte und durch den sie ihn verlassen hatten, hingen zu beiden Seiten riesige Portraits, aus denen die vorherigen Shuten auf sie herabgeblickt hatten. Sie alle waren wunderschöne beeindruckende Wesen mit blonden Haaren und blauen Augen. Auf der Stirn trugen sie alle das Zeichen, das hier im Turm häufig Fahnen und Banner zierte. Sie waren sich so ähnlich und doch grundverschieden. Eine beeindruckende Reihe von Herrschern. Ashray hatte ihm sein eigenes Bild gezeigt. Es reihte sich perfekt ein, aber wirklich ähnlich sah er diesem Bild zurzeit nicht - braunhaarig und ohne Mal, wie er momentan war. Es war viel mehr Teious Abbild. Teiou, der seine Rolle übernommen hatte ...

Sie waren auch durch die große Bibliothek gegangen, wo Ashray ziemlich schräg angesehen worden war. Einige Bibliothekare hatten ihm gar den Zugang verweigern wollen, aber Nathal, der Oberste und Jüngste der schwarzgewandeten Bibliothekare, hatte es ihnen doch gestattet. Tia hatte Ashray gefragt, warum er hier nicht wirklich willkommen war, aber der Rothaarige hatte nicht mit der Sprache rausrücken wollen. Vielleicht würde er später noch Murju oder Teiou fragen, wenn er ihnen begegnete.

Zum Schluss waren sie noch in einer der Logen gewesen, die den Turnierplatz umgaben, der im Zentrum des Turmes lag und wo jedes Jahr das Himmelsturnier stattfand. Dort war es ihm zu viel geworden. Tia musste über all das Gesehene nachdenken und Ashray hatte ihn daraufhin zu diesem Baum geführt …

Dies war ihr Baum, hatte der Rotschopf gesagt. Als Kinder hatten sie wohl oft hier oben gesessen und sich versteckt. Es war ihr gemeinsames Versteck gewesen, ihr Zufluchtsort, ihr Geheimnis... Tia musste lächeln. Er wusste nichts mehr von seiner Kindheit und es war seltsam jetzt erzählt zu bekommen, was sie getan hatten, und all die Orte gezeigt zu bekommen, an denen sie gespielt hatten. Es war seltsam und schön zugleich Erinnerungen mit Ashray zu teilen, aber irgendwie auch traurig sich nicht mehr selber an all dies erinnern zu können...
 

„Shuten-sama, das kann doch nicht Euer Ernst sein.“

An einem langen Tisch vor ihm saßen elf zumeist alte Männer. Die Hasshisen, die die höchsten Beamten des Himmelreiches waren und sich über das gerade Gehörte fürchterlich empörten.

„Er hat nicht die richtige Ausbildung. Man muss die hohe Rhetorik studiert haben, Kaligraphie, Politik und Philosophie. Ein solches Studium dauert Jahre. Ihr könnt doch nicht einen solchen Mann mit diesem Posten betrauen!“ Verständnislos schüttelte der Sprecher den Kopf. Ein weiterer erhob sich, schlug die Hände auf den Tisch und schaute den Shuten dabei streng an.

„Der versteht nichts, rein gar nichts von Politik und Diplomatie. Ein Laie. Seid Ihr Euch sicher, Shuten-sama? Noch nie hat jemand so etwas getan. Ein Laie in einem der höchsten Ämter des Landes. Das kann nicht sein!“

„Ich habe gehört, dass er des Öfteren in Begleitung von Tenno Soryuo Raiteos drittem Sohn gesehen wurde. Das kann doch nicht gut sein. Man weiß ja, was der sich so alles leistet mit seinem Dämon.“

Teiou saß scheinbar gelangweilt auf seinem Sessel, der wohl der edelste an diesem Tisch war. Den Kopf hatte er auf einen Arm gestützt und eine Augenbraue skeptisch hochgezogen. Zunächst war er ganz amüsiert über diese Diskussion gewesen, die sich an einige eher langweilige Themen angeschlossen hatte, aber jetzt wurde es persönlich und spätestens jetzt, wo diese Hasshisen sein Verhältnis zu Keika kritisierten, hätte er ausrasten können. Es kostete ihn viel Selbstbeherrschung es nicht zu tun. Er konnte ja nicht gleich an seinem ersten Tag als Shuten einem der Beamten eine scheuern und somit direkt gegen das oberste Gebot verstoßen, dem ein Shuten unterlag.

Ein Shuten durfte niemandem etwas antun, wirklich niemandem…

„Ich lasse nicht mit mir diskutieren“, er erhob sich und stützte sich auf den Tisch, während er mit entnervtem Blick in die Runde sah. Seine Stimme zeugte von Autorität und die Alten waren mit einem Mal still, was ihn für einen kurzen Moment verwunderte, aber was sollte es? Er war der Shuten! Die Elf hatten einfach ruhig zu sein.

„Er ist bereits hier. Ab morgen wird er euch vorstehen. Ich will es so! Also stellt das nicht in Frage. Lasst ihm die nötigen Kleider in sein Gemach bringen.“

Teiou wandte sich vom Tisch ab und ging zur großen Flügeltür des Konferenzraumes, vor dem wie überall zwei Soldaten postiert waren, um die Sicherheit des Shuten zu gewährleisten. Im Moment konnte Teiou über diese Maßnahme nur lachen. Wer bitte konnte ihn beschützen, wo er doch einer der begabtesten Krieger hier war? Er musste grinsen.

„Shuten-sama, wir haben noch gar nicht …“

„Wir sehen uns morgen, ich geh essen.“

Teiou grinste zufrieden vor sich hin, als er, die erstaunten und bestürzten Gesichter der Hasshisen hinter sich lassend, durch die Tür hinaus schritt. Er nickte den beiden Wachen kurz zu, die ihn ein wenig seltsam ansahen, woraufhin er sofort einen ernsteren Gesichtsausdruck auflegte. Dann ging er den Gang entlang zu den Gemächern, die eigentlich Tia gehörten und die er nun eine Weile bewohnen würde.

Keika wartete sicher schon auf ihn und er konnte es kaum erwarten dessen Gesicht zu sehen, wenn ihm die erste wichtige Entscheidung des neuen Shuten zu Ohren kommen würde. So war es nur gerecht und vermutlich für alle Beteiligten die bessere Lösung. Wieder musste er grinsen, begegnete auf seinem Weg aber niemandem, der sich darüber wunderte.
 

Die Sonne stand schon weit im Westen und der Himmel über ihnen leuchtete in allen erdenklichen Rottönen, als Tia seine Gedanken beiseite schob. Er legte den Kopf in den Nacken und sah zu Ashray hoch. Allerdings war die Astgabel über ihm wider Erwarten leer.

„Sag mal: Hörst du mir überhaupt noch zu?“

Beinahe wäre er rückwärts von seinem Ast gefallen, so sehr hatte er sich erschrocken. So gerade konnte sich noch an einem abstehenden Zweig festhalten. Ashray hing plötzlich vor ihm in der Luft, mit schräg gelegtem Kopf und verschränkten Armen. Sein Blick zeigte mehr als deutlich, dass er ungehalten war.

„Oder rede ich mir hier den Mund fusselig für nichts und wieder nichts?“

Tia lächelte entschuldigend, während er sich wieder in eine sichere Sitzposition brachte und sich fragte, wie Ashray so plötzlich vor ihm hatte erscheinen können.

„Ich hab nur über alles noch mal nachgedacht.“

„Und?“, fragte der Rothaarige und schaute ihn prüfend an. „Hat es was gebracht?“

Tia schüttelte den Kopf, sodass ihm einige Strähnen ins Gesicht fielen. Mit Sicherheit war dies Antwort genug. Irgendwie wusste er, was Ashray hören wollte, nämlich, ob er sich wieder an irgendetwas erinnerte. Aber nicht einmal ein Bruchteil seiner Erinnerungen war zurückgekehrt. Dafür war in ihm ein Verlangen erwacht, all die Fernen Orte zu besuchen, von denen Ashray hier oben gesprochen hatte und die man zum Teil in der Ferne erahnen konnte. Allerdings wagte er es nicht den Prinzen jetzt gerade danach zu fragen, da man die Enttäuschung über den Misserfolg seiner Bemühungen in seinem Gesicht ablesen konnte.

„Also nicht“, antwortete Ashray nach einer langen Atempause und Tia schüttelte mehr oder weniger bedauernd den Kopf. Beide schwiegen sie und Tia wartete darauf, dass der Rothaarige, der nachdenklich auf seiner Unterlippe herum kaute und in die Luft starrte, das Gespräch fortsetzen würde.

„Warum muss dieser Dämon immer Recht haben …“, hörte Tia ihn endlich murmeln, wurde allerdings aus den Worten wenig schlau. Es war nur wieder die Rede von dem Dämon, der an diesem Tag schon öfter von Ashray erwähnt worden war, von dem Tia aber immer noch nicht wusste, was es mit ihm auf sich hatte. Bisher hatte sich keine gute Gelegenheit geboten nachzufragen und irgendwie wollte er es auch gar nicht wirklich wissen. Dämonen waren gefährlich und er fürchtete sich vor ihnen. Das war das einzige, was er wusste. Er erinnerte sich wage an ein Traumbild, kurz nachdem er wach geworden war. Aber er war sich nicht sicher, ob er da wirklich einen Dämon gesehen hatte oder nicht. Vielleicht bezeichnete Ashray auch Menschen als Dämonen, die er nicht leiden konnte. Das war ja durchaus möglich und plausibel.

„Es wird spät. Wir sollten rein gehen und sehen, dass wir was zu essen kriegen, bevor Teiou alles verdrückt“, fuhr Ashray lauter fort und unterbrach seinen Gedankengang. Tia nickte. Jetzt, wo der andere ihn darauf hinwies, spürte er, dass auch er hungrig war. Sie hatten zuletzt am Morgen etwas gegessen und nun war es schon früher Abend.

Behände zog er sich hoch, sodass er aufrecht auf dem Ast stand, der ihm bisher als Sitzplatz gedient hatte. Dann machte er sich daran von seinem Aussichtspunkt herabzuklettern, was ihm erstaunlich leicht fiel. Ashray bevorzugte den schnellen Weg und schwebte durch die Luft in Richtung Boden, wo er bereits auf Tia wartete, der mehr Zeit für den Abstieg brauchte. Zwar war er fähig zu fliegen, das war gar kein Problem, aber es machte bei Weitem nicht so viel Spaß wie durch den Baum zu klettern. Das Klettern empfand Tia als angenehmer, vertrauter ... warum auch immer …

Unten angekommen folgte er Ashray über die vielen Fußwege zurück zum Palast des Shuten. Die Wachen an den Gartenpforten beachteten sie nicht wirklich und ließen sie einfach passieren. Sie standen da wie Statuen, starrten ins Leere und waren absolut reglos. Trotzdem fühlte Tia sich ein wenig argwöhnisch beobachtet.

Sie gelangten recht schnell in den Flügel, indem die Privatgemächer des Shuten lagen. Ashray marschierte einfach an den Wachen und Dienern vorbei, die sie zum Teil mit Sicherheit hatten aufhalten wollen. Tia bemerkte, dass einige auf sie zutraten, Ashray sie aber ignorierte. Andere entfernten sich schnell, als sie Ashray erblickten. Er war sich sicher, dass er alleine, ohne Ashray, nie auch nur einen Fuß in die Richtung der Gemächer des Shuten hätte setzen können. Man hätte es einfach nicht zugelassen. Dabei war er doch eigentlich der Shuten … vielleicht sollte er sich diesen Umstand einfach öfter ins Gedächtnis rufen. Das half seinen Erinnerungen sicherlich auch ein wenig.

Die Gänge hier waren Tia vertrauter und als Ashray vor der großen, reich verzierten Flügeltür anhielt, hinter der sich ein Empfangsraum, das Ankleidezimmer, sowie das Schlafgemach des Shuten verbargen, erkannte er diese sofort. Von drinnen drangen Stimmen nach draußen. Sie klangen vertraut. Mit Sicherheit würden sie dort Teiou und Murju begegnen.

Vorsichtig trat er hinter Ashray ein, der nicht einmal geklopft hatte.
 

Ashray blieb so abrupt vor ihm stehen, dass Tia ins Straucheln geriet, und Mühe hatte nicht in ihn reinzulaufen. Der Prinz schien die Situation in dem Raum abzuschätzen und betrachtete dabei die beiden anderen Personen misstrauisch, deren Gespräch nun verstummt war.

Teiou saß locker auf einem der Sessel. Eigentlich hing er, der Position eines Shuten völlig unangemessen, auf dem Stuhl und schwenkte einen Becher mit Wein in der Hand. Er grinste selbstgefällig vor sich hin, was Tia sehr irritierend fand, nachdem er an diesem Nachmittag die ganzen ernsten Gesichter der früheren Shuten auf den Gemälden gesehen hatte. Murju stand mit verschränkten Armen vor einem der Fenster und starrte in den Garten. Er wirkte unzufrieden und gereizt, was Teiou nicht wirklich zu stören schien, oder aber es war ihm nicht aufgefallen.

Ashray trat weiter in den Raum und blieb vor dem Tisch stehen, an dem Teiou saß. „Das hast du nicht ernsthaft getan, oder?“ Er sah Teiou fassungslos an, der nur mit den Schultern zuckte und ihn frech angrinste. „Doch, hab ich.“

Tia hatte unterdes Murju betrachtete, dessen Kleidung irgendwie befremdlich wirkte. Er trug ein graues Hemd und darüber ein dunkles Gewand mit weit ausgestelltem Kragen und diversen Applikationen. Auf dem Tisch lag ein sehr seltsamer Hut, der allem Anschein nach auch zu dieser Gewandung gehörte, und den Ashray nun nahm und Teiou vorhielt.

„Du hast IHN“, er deutete wild auf Murju, der dem Geschehen nun auch mit abwertendem Blick folgte, „zum Obersten der Hasshisen gemacht? Für wen hältst du dich eigentlich? Ein Däm …“

„Ich bin der Shuten.“ Teiou lachte und nahm noch einen Schluck Wein. „Ihr wollt mich doch nicht ernsthaft all die wichtigen Entscheidungen alleine treffen lassen. Ich kann ohne Keika nicht arbeiten und so ist es am unauffälligsten. Das war doch die Gelegenheit diesen Haufen alter Säcke unter Kontrolle zu bringen.“

Murju schlug sich die flache Hand gegen die Stirn. Ashray wurde noch gerade davon abgehalten das Wort Dämon ganz auszusprechen und schon nannte Teiou ihn beim richtigen Namen. Wie um alles in der Welt sollten sie so dieses Theater, das noch nicht einmal richtig angefangen hatte, aufrechterhalten?

Tia war neben ihm aufgetaucht, betrachtete aber immer noch die beiden Prinzen, die angeregt über seinen Stand als Hasshise diskutierten: Ashray eher aufgebracht, Teiou sehr amüsiert.

„Was sind Hasshisen?“ Die Stimme des wahren Shuten war leise und Neugier schwang in ihr mit. „Und Keika ist dein Bruder? Arbeitet Teiou viel mit ihm?“

Murju wandte sich von den beiden Streithähnen ab und ließ sich auf das Fensterbrett sinken, vor dem er sich befand. Er betrachtete Tia, der erwartend vor ihm stand. „Die Hasshisen stellen das Beratungsgremium des Shuten dar“, erklärte er, „und sie arbeiten alles, was dem Shuten vorgelegt wird, vorher schon einmal durch. Sie sind die zwölf höchsten Beamten des Reiches. Allerdings lässt ihre Effektivität zu wünschen übrig und einer von ihnen ist vor kurzem umgekommen, daher hat Teiou mich in den Rang eines Hasshisen erhoben.“ Er verzog das Gesicht. Von den Hasshisen hielt Murju nicht viel, eigentlich gar nichts, weswegen er nun nicht so begeistert davon war selber einer zu sein. Allerdings hatte Teiou mit seiner Argumentation schon recht: So konnte Murju unauffällig aufpassen, dass der Prinz keinen allzu großen Blödsinn anstellte, für den er so berühmt war. Außerdem hatte er auch mehr Erfahrungen mit den Abläufen und der Verwaltung des Himmelsturmes, da er Tia schon oft dabei zur Seite gestanden hatte.

„Und dein Bruder?“, hakte Tia nach. Murju hatte aufgehört zu erzählen, da er in seinen Überlegungen versunken war. Zunächst fragend sah Murju ihn an, dann nickte er zögernd. „Meinen Bruder lernst du schon noch kennen …“

Es war mit Sicherheit nur eine Frage der Zeit, bis er zumindest vor Tia auffliegen würde. Die zwei Prinzen gaben sich ja nicht so sonderlich viel Mühe seine wahre Existenz zu verheimlichen.

Murju seufzte. Das würden mit Sicherheit noch anstrengende Tage für ihn werden.

Bruchstücke

Kapitel 4 Bruchstücke
 

„… und die vier Reiche sind noch einmal in viele kleinere Fürstentümer unterteilt. Im hohen Rat repräsentieren die Fürsten ihre Verwaltungsbezirke vor dem Tenno und beraten ihn bei wichtigen Angelegenheiten. Habt Ihr das verstanden, junger Herr?“

Er nickte zögernd. Ihm schwirrte der Kopf von all diesen Informationen und er war froh, dass dieser dickliche Gelehrte vor ihm endlich mal einen Moment schwieg.

„Würdet Ihr es dann bitte wiederholen?“ Langsam und schwerfällig trat der Mann um den Tisch herum, stand nun neben seinem Sitzplatz und richtete seinen Blick ebenfalls auf die Karte des Westens, an der er ihm die Verwaltungsbezirke exemplarisch erklärt hatte. Schweiß stand auf der Stirn des Mannes, dabei war es in diesem Raum angenehm kühl und die Mittagshitze nur draußen wirklich zu spüren.

„Das Himmelsterritorium wird in vier Reiche unterteilt: Norden, Süden, Osten und Westen. Die werden dann je von einem Tenno regiert: Der Norden von Bishao Santo, der Süden von Entei Ashraou, der Osten von Soryuo Taiteio und der Westen von Suiteio. Die Reiche sind in kleinere Verwaltungsbereiche eingeteilt, die von Fürsten regiert werden, die wiederum im hohen Rat den Tenno beraten“, betete er runter. Die politischen Verhältnisse und der Aufbau seines Reiches waren ihm mittlerweile weitestgehend vertraut. Viel schwieriger waren die militärischen Strukturen dort. Er verstand das einfach nicht, egal wie oft man es ihm schon erklärt hatte.

„Sehr gut, Shuten-sama. Dann können wir ja mit dem Militär weitermachen.“ Der beleibte Gelehrte schob sich wieder zu der Karte hin und tauschte sie gegen ein anderes Bild aus, bevor er sich mit dem Ärmel seines Gewandes über die Stirn wischte.

Er seufzte kaum hörbar. Wieder würde er sich mit der Militärstruktur beschäftigen müssen. Vermutlich würde er diesmal die Stunde nicht durch eine List früher beenden können. Das hatte die letzten Male schon nur noch gerade geklappt und irgendwann musste er es ja schließlich lernen … Für einen Shugo Shuten war Unwissenheit ein fataler Fehler.
 

„Wir sollten für heute Schluss machen. Es reicht auch, wenn wir uns morgen mit den Strukturen des Militärs beschäftigen.“

„Schon?“ Ungläubig schüttelte Tia den Kopf, tauchte langsam wieder aus der Welt der unzähligen Verwaltungsbezirke, Tennos und Adligen auf, die Murju ihm eröffnet hatte. Er starrte noch immer erstaunt den recht hager wirkenden jungen Mann an, der ihm gegenüber saß und nun seine Mappe mit Notizen und Karten zusammenklappte.

„Ich denke schon. Man muss es ja nicht gleich übertreiben. Außerdem hab ich noch was anderes zu erledigen. Du kannst ja mit Teiou zu Abend essen, wenn du dich langweilen solltest.“ Mit diesen Worten erhob sich Murju von seinem Platz und zog seine schwarzen Gewänder zu Recht, die er als Hasshise tragen musste. „Der ist bestimmt auch dankbar für eine Pause.“ Ein wissendes Lächeln umspielte Murjus Lippen und durchbrach seine sonst so streng und ernst wirkenden Gesichtszüge. „Außerdem weiß er bestimmt Interessanteres zu erzählen als ich mit meiner politischen Geschichte des Himmelsreiches.“

Lachend lehnte Tia sich auf seinem Stuhl zurück und nickte. „Ich glaube, das kann ich mir auch vorstellen.“

„Siehst du.“ Murju nickte und wandte sich zur Tür. „Dann wünsch ich euch beiden einen schönen Abend … Bis morgen.“

„Bis morgen“, antwortete er leise und sah Murju nach, der schon durch die Tür war und in den Gang einbog. Einen Moment wartete Tia noch, dann stand auch er auf und machte sich auf den Weg zum Arbeitszimmer des Shuten, wo Teiou sich vermutlich aufhielt.

Es war eine gute Idee mit Teiou zu essen. Der Prinz des Ostens hatte ihm schon die letzten Tage viele Anekdoten aus ihrer gemeinsamen Kindheit erzählt, wenn er Zeit gefunden hatte, was meist nur sehr spät abends der Fall gewesen war. Die Aufgaben des Shuten beanspruchten ihn stark und Murju drängte Teiou mehr oder minder dazu sie pflichtbewusst zu erfüllen.
 

„Euer Gast bittet darum eintreten zu dürfen.“

Der Shuten nickte und machte eine knappe Handbewegung, woraufhin der Wächter den braunhaarigen Tia herein winkte, der sich höflich bedankte. Auf eine weitere Geste Teious hin ließ er sich auf einen der Sessel vor dem Schreibtisch nieder.

„Na? Ist dir langweilig, wo Ashray nicht mehr da ist?“ Leicht grinsend räumte Teiou mit ausladenden Gesten Papiere und Verträge, die er durchgesehen hatte, von einem Stapel auf einen anderen. Irgendwie wurde es trotzdem nicht wirklich weniger und aufgeräumter wirkte der Schreibtisch dadurch auch nicht.

„Ein wenig“, gestand der eigentliche Shuten, „aber ich habe ja noch dich. Murju hat gesagt, dass du bestimmt eine Pause brauchst und mit mir essen würdest.“

„Da hat Murju allerdings Recht.“ Grinsend erhob sich Teiou und streckte sich, wobei er Tia flüchtig musterte. Sein Freund war in den letzten Tagen wortgewandter, schlagfertiger und ein ganzes Stück frecher geworden, als er es vor seinem Erinnerungsverlust gewesen war. Vermutlich war das gut.

Gemeinsam verließen sie das Arbeitszimmer und schlenderten den Flur entlang zu den Gemächern des Shuten. Bedienstete eilten an ihnen vorbei, Gelehrte schleppten Schriftrollen und Bücher zwischen den Arbeitszimmern der Beamten hin und her. Es herrschte ein ziemliches Gewusel, das nur kurz innehielt um dem Shuten den nötigen Respekt zu zollen, der sich mit seinem Gast seinen Weg bahnte. Ein etwas übergewichtiger Beamter eilte noch an ihnen vorbei, als sie in den ruhigen Gang zu den Gemächern des Shutens bogen, dann begegneten sie nur noch zwei Wächtern und einer Kammerzofe. Tia sah dem Mann noch kurz nach, bis er außer Sichtweite war.

„Irgendwie erinnert der mich an den Lehrer, der mich in Politik und Militärwesen unterrichtet hat.“

Abrupt blieb Teiou stehen, der gerade die Tür zu seinen derzeitigen Wohnräumen öffnen wollte, und starrte Tia an. „Du erinnerst dich?“ Erstaunen und Freude lagen in seiner Stimme und die wage Hoffnung nicht mehr allzu lange als blonder Gott durch diesen Turm zu streifen.

„Ich glaube nicht wirklich.“ Tia zuckte die Schultern. „Murju hat mich eben mit der Politik vertraut gemacht, den vier Reichen und der Verwaltung. Ich hab eine Weile geträumt glaube ich. Jedenfalls hat mich ein dicker Mann unterrichtet, dem ich die Herrschernamen runtergebetet habe. Ich hab gehofft, dass er mich nicht nach den Militärsachen fragt und im nächsten Moment war es wieder Murju, der gesagt hat, dass es für heute reichen würde.“ Ein wenig ratlos sah Tia seinen Freund an, der nun kopfschüttelnd in die edlen Zimmer trat. „Du meinst, das sind meine Erinnerungen?“

Teiou nickte, während er seinen schweren Umhang über einen Ständer warf, der in eine Ecke des Raumes stand und von dem Schwung fast umgerissen wurde. „Deine Kindheitserinnerungen. Der Typ hieß Vauhatai meine ich. So ein schwerfälliger Dicker.“ Er deutete mit den Armen den Umfang an und machte ein paar unsichere Bewegungen, die Tia zum Lachen brachten. „Dass du dich an den als erstes erinnerst wird Ashray nicht sonderlich freuen, aber es ist ein Anfang, nicht wahr?“ Teiou legte einen Arm um seinen Freund und klopfte ihm auf die Schulter. „Das wird schon noch.“

„Warum wird das Ashray nicht freuen? Du meinst er erwartet, dass ich mich zuerst an ihn erinnere? Warum?“

Teiou sah ihn nur vielsagend an und wandte sich dann einem Tablett mit einem Krug Wein und zwei Bechern zu, die er großzügig befüllte. „Stoßen wir erstmal auf deinen kleinen Erfolg an und dann lässt du dir das irgendwann mal von Ashray selbst erklären“, meinte er schelmisch grinsend und drückte dem ratlosen Tia einen Becher in die Hand.

„Auf uns! Den Shuten und seinen super Ersatzmann.“ Teiou lachte und nahm einen kräftigen Schluck. Sein Freund tat es ihm nach kurzem Zögern nach.
 

„Ihr beiden seid voll verweichlicht. Kürbis ist gesund und außerdem gut fürs Gehirn. Damit kann man besser Denken.“ Er sah seine Freunde tadelnd an, die mit ihren Stäbchen in der Schale vor sich rumstocherten. „Und ihr wollt mal im Militär dienen? Wenn ihr nicht aufesst nehmen die euch da gar nicht erst.“

„Werden sie wohl“, empörte sich Ashray, während Teiou sich ein weiteres Stück in den Mund schob und tapfer runterschluckte, wobei er alle Mühe hatte seinen Würgereiz zu unterdrücken. Man konnte es buchstäblich an seinem Gesicht ablesen.

„Wenn es wenigstens stark machen würde. Dann könnte ich mir das noch mal überlegen mit dem Aufessen.“ Der dunkelhaarige Junge verzog noch einmal angewidert das Gesicht und schob die Schale dann demonstrativ von sich weg. „Aber es macht ja nur klüger und ich bin schon ein Besserwisser hat mein Vater gesagt.“ Teiou grinste breit, aber Ashray schien den Witz nicht zu verstehen und sein anderer Freund fand es wohl nicht sonderlich lustig.

„Ihr müsst als Feldherren auch klug sein. Jedenfalls wird es nicht schaden, denke ich mal“, wandte er ein, aber die beiden Anderen sahen ihn nur skeptisch an. „Außerdem müsst ihr hungrig ins Bett, wenn ihr nicht aufesst.“ Er kannte die Regeln dieser Schule und wer das Essen nicht aß, musste halt ohne zu Bett und auf das nächste Frühstück warten, was nach harten Schultagen eine Tortur sein konnte.

„Das werden wir ja noch sehen.“ Ashray war aufgestanden und sah Teiou verschwörerisch an, der nur mit den Schultern zuckte und Tia großzügigerweise seine noch fast volle Schale zuschob, bevor er aufstand und mit Ashray aus dem Speisesaal verschwand.
 

„Und das habe ich wirklich mal gerne gegessen?“ Mit skeptischem Blick betrachtete Tia seinen Teller und stocherte zwischen orangenen Stückchen und Soße nach etwas Essbarem. „An so was Ekliges müsste ich mich eigentlich erinnern …“

Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches lachte Teiou und schenkte Tia Wein nach, da der die ersten Bissen großzügig damit runtergespült hatte. „Das war jedenfalls nach Auskunft des Kochs deine Lieblingsspeise. Ich habe ihm persönlich aufgetragen mir, dem Shuten, mein Lieblingsessen zu kredenzen. Dass dabei Kürbis in sämtlichen Variationen rauskommt hätte ich mir auch nicht gedacht. Aber wenn ich es mir recht überlege, hast du das schon in der Schule gerne gegessen.“ Er lachte wieder, als Tia ein weiteres Stück vorsichtig zum Mund führte und hastig runterschluckte.

„Also ich glaube ich gehe lieber hungrig ins Bett.“ Er schob seinen Teller ein Stückchen weg und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Eine Weile betrachtete er Teiou, der seelenruhig weiteraß. „Wie kannst du das nur essen, Teiou?“

„Ich bin abgehärtet, Keika kocht zwar gut, aber manchmal echt seltsame Sachen. Da ist Kürbis noch harmlos. Außerdem ist es gesund und ich muss ja deinem Ruf hier als Kürbisfan gerecht werden.“

„Wegen mir musst du das nicht essen.“ Der wahre Shuten deutete auf seinen Teller, der bis auf ein paar Bissen kaum angerührt war. Dann sah er Teiou interessiert an, da ihm ein anderes Detail aufgefallen war. „Keika ist dein Koch? Ich würde den echt gerne mal kennenlernen. Ich meine du und Ashray erwähnt ihn ständig. Murju scheint ihn aber eher nicht zu mögen, auch wenn er sein Bruder ist. Ich hab ihn ein paar Mal nach Keika gefragt. Ich will auch endlich mal wissen, über wen ihr da ständig redet. Es ist total furchtbar gar nichts mehr zu wissen, auch nicht von Leuten, die ich anscheinend wirklich gut kenne. Ich denke Keika gehört dazu, oder?“

Schweigend sah Teiou in seinen Becher, den er mit einer Hand schwenkte. Der dunkle Wein leuchtete im Licht der untergehenden Sonne, das zum Fenster hereinfiel und warf rötliche Flecken auf sein Gesicht. „Man kann Keika als meinen Koch bezeichnen, doch ich denke schon. Aber lass ihn das lieber nicht hören.“ Teiou klang ein wenig nachdenklich. „Er hört so was nicht so gerne.“

Tia nickte verständnisvoll. „Kenne ich Keika denn gut? Oder besser, kannte ich ihn?“

Der blonde Teiou nickte. „Du kanntest ihn. Jedenfalls besser als die meisten anderen. Mich mal ausgenommen.“ Er lächelte kurz. „Keika ist zurzeit viel unterwegs, aber ich werde ihn mal bitten vorbei zu kommen.“ Für Tia klang diese Antwort ein wenig wie eine Ausrede und er war sich nicht sicher, ob Teiou Keika wirklich herbitten würde, nur damit er ihn mal sehen oder kennenlernen konnte. Keika war ein großes Geheimnis, jedenfalls machten hier alle eins aus diesem Mann und das machte Tia neugierig.

„Wo hast du Keika und Murju denn kennengelernt? Waren sie auf der Monju Schule, so wie wir? Ich meine Murju kennt sich unglaublich gut in der Politik aus, oder kommt mir das nur so vor, weil ich gar keine Ahnung habe?“

„Tia, du sprudelst ja heute nur so vor Fragen.“ Teiou nahm einen Schluck aus seinem Kelch und wirkte dabei fast bedächtig. Er schien zu überlegen, wie und was er antworten sollte. „Ich habe Keika auf einer seiner Reisen kennengelernt. Er war in der Menschenwelt unterwegs und ich habe ihn zufällig getroffen. Tja, wir haben uns angefreundet und seitdem kocht er ab und zu für mich, wenn er nicht auf Reisen ist. Murju beschäftigt sich viel mit Geschichte und Heilkunde, allerdings hab ich ihn auf der Monju Schule nie gesehen. Vielleicht war er ein anderer Jahrgang. Müsste ich ihn fragen. Jedenfalls hilft er mit des Öfteren bei Papierkram.“

Teiou zuckte mit den Schultern, als wüsste er nichts weiter zu berichten und Tia nickte verständnisvoll und schwieg, obwohl er noch eine Menge Fragen zu Keika und Murju hatte. Teiou hatte seine Antwort ein wenig stockend hervorgebracht, sodass Tia den Eindruck hatte, dass der andere ihm die ein oder andere Lüge aufgetischt hatte.

„Möchtest du eins davon, bevor du verhungerst und ich als nicht gastfreundlich bezeichnet werde?“ Teiou unterbrach den Moment des Schweigens und wechselte das Thema, indem er ihm eine Schale mit Gebäck hinhielt. Dankend nahm sich Tia ein Stück und biss herzhaft hinein. Es war deutlich besser als der Kürbis auf seinem Teller und er war hungrig.

„Ich dachte es gibt nichts anderes.“ Fragend blickte Tia seinen Freund an.

„Tia, ich bin der Shuten. Ich bekomme mehr als genug zu essen und nicht nur Kürbis. Hier steht ständig irgendwas Neues rum, als ob ich verhungern würde. Frisches Obst, Gebäck … soviel kann ich nicht mal im Ansatz essen. Hier ist es nicht so, wie in der Monju-Schule, wo Ashray und ich die Küche plündern mussten.“

„Ihr habt die Küche geplündert?“, unterbrach Tia ihn erstaunt.

Teiou lachte: „Klar, was denkst du denn, wie wir die Tage mit dem Kürbisfraß überlebt haben und wer der Poltergeist in der Küche war?“
 

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Es geht mal weiter. Irgendwie vernachlässige ich das hier ein bisschen. Sorry... vielleicht sollte mich bei Gelegenheit mal wer dran erinnern, dass ich schreiben sollte xD.

lG kiya

Ausbruch

Kapitel 5
 

Alle rannten wild durcheinander. Es herrschte helle Aufregung. Die Dienstmädchen riefen verzweifelt seinen Namen, die schwarzgewandeten Hasshisen schrien herum und liefen wie aufgescheuchte Rehe durch den ganzen Turm. Bibliothekare, Beamte und Dienstboten taten es ihnen gleich. Hier und dort versuchte ein Soldat dem Treiben Herr zu werden, ging aber letztlich in der Menge unter und rief dann ebenfalls seinen Namen.

„Tiarandear-sama!“

„Shuten-dono.“

„Wo seid Ihr? Ist Euch etwas passiert?“

Links von ihm gluckste Ashray leise und versuchte zwanghaft ein Lachen zu unterdrücken. Auf seiner rechten Seite kicherte Teiou so leise wie möglich. Nur er selbst hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen.

Sie standen an einer Ecke des Hauptganges und beobachteten, wie der ganze Himmelsturm Kopf stand. Einige Male wäre fast jemand gegen sie gerannt, aber da hatten sie sich so nah an die Wand gedrückt, wie irgend möglich.

„Sollte ich nicht langsam wieder auftauchen?“, flüsterte er und in den Rufen und dem Grundraunen im Gang gingen seine Worte beinahe unter. Niemand hörte ihn, außer seinen beiden Freunden, die so dicht bei ihm standen, dass sich ihre Schultern berührten.

„Ach was …“ raunte ihm Teiou ebenso leise zu und stieß ihn beinahe um, als er vor einem Beamten zurückwich, der ganz nah an ihm vorbei um die Ecke eilte.

„Pass doch auf“, zischte Ashray leise, der auch leicht ins Straucheln geraten war.

„Shuten-dono!“

„Tiarandear-sama? Wo seid Ihr bloß. Gott, wenn ihm was passiert ist.“ Eine der beiden Mägde, die an ihnen vorbeikamen wischte sich stille Tränen weg.

„Sollte ich nicht doch so langsam wieder auftauchen?“ Er tänzelte nervös von einem Bein aufs andere und trat dabei versehentlich auf etwas. Das tiefe Luftholen rechts neben ihm ließ ihn vermuten, dass es Teious Fuß gewesen war.

„Wir können ja in dein Zimmer gehen… Nein, erst noch in die Küche. Lass uns was zu essen stibitzen und dann verschwinden wir in dein Zimmer. Okay?“

Er spürte Teious Blick auf sich, auch wenn er ihn nicht sehen konnte. Neben ihm gab Ashray einen bestätigenden Laut von sich. Er selbst nickte, besann sich dann aber, dass die anderen beiden ihn nicht sehen konnten und fasste daher nach Teious und nach Ashrays Hand und drückte sie leicht. Das bedeutete „Ja“.

„Schht. Ich habe was gehört“ Vor ihnen blieb eine kleine Gruppe der Himmelsturmwächter in ihren bunten Uniformen stehen. Sie waren auf dem Weg nach draußen, zögerten aber nun und lauschten angestrengt. Teiou zog seine Freunde um die Ecke, weg von den Männern, die versuchten ihnen auf die Schliche zu kommen…
 

„Murju-sama!“

Ein Wächter riss atemlos die Tür zu dem kleinen Konferenzzimmer auf, in dem er mit zwei Gesandten des Nordreiches saß und über die Ein- und Ausfuhrregelung für Toriko-Rohsteine und das himmlische Eisen verhandelte. Erschrocken fuhr Murju zusammen, ebenso wie seine beiden Verhandlungspartner. Geistesgegenwärtig griff er noch nach einigen losen Papieren, die durch den entstandenen Luftzug sonst durcheinander geraten wären.

„Was ist?“, fuhr er den Mann ein wenig ungehalten an, der nun seinerseits einen Schritt zurückwich. „Welcher Umstand rechtfertigt es, dass man unangekündigt eine Tür aufreißt? Ein solches Verhalten ist untragbar!“ Er war aufgestanden und stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab, während er den noch recht jungen Soldaten finster ansah.

„Ich, ähm …“ Der Wächter sah die beiden Männer aus dem Norden an, die seinen Blick fragend erwiderten und ebenfalls darauf warteten, den Grund der Störung zu erfahren, was allerdings nicht geschah.

„Entschuldigt mich.“ Murju nickte seinen Gesprächspartnern kurz zu und ging zur Tür, wo er den Soldaten unsanft am Arm fasste und mit auf den Gang hinaus zog.

„Was ist?“, fragte er eindringlich und leicht genervt, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Warum musste man ihn nur immer bei den wichtigsten Angelegenheiten stören. In den letzten Tagen hatte er nicht einen Termin ohne Störung absolvieren können und das ging ihm langsam gegen den Strich.

„Der Shuten …“, stammelte der Mann, sichtlich eingeschüchtert von der dunkel gekleideten Gestalt, die ihn kühl ansah und fast ein wenig angriffslustig wirkte. „… er …“

„Der Shuten ist was?“ fragte der hochgewachsene Hasshise ungeduldig. Er atmete tief durch, als nach einem Augenblick noch immer keine Antwort aus dem jungen Mann vor ihm herausgekommen war. Und so was war Soldat. Ein bisschen mehr Mumm und weniger Gedankenlosigkeit würden dem sicher nicht schaden.

„Er ist weg. Wir haben schon alles abgesucht: Gänge, Zimmer, die Bibliothek … auch den Garten … falls noch mal so was wie vor zwei Wochen passiert sein sollte.“ Seine Stimme wurde immer leiser und er sah betreten zu Boden. „Was ich nicht hoffe. Natürlich nicht …“, fügte er noch hastig hinzu. „Der Shuten ist nicht mehr im Himmelsturm.“

„Aha“, war die einzige Antwort die er bekam. Als er aufblickte lehnte Murju mit verschränkten Armen neben der Tür an der Wand. „Und was soll ich da machen? Suchen? Ist das nicht eure Aufgabe?“

Der Wächter sah ihn verwirrt an. Mit einer solchen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Warum flippte der Beamte nicht aus, wie es die meisten anderen Hasshisen getan hätten? Nach dem Shuten war er der höchstgestellte Mann hier im Turm. Ihm oblag das Wohlergehen des Shuten. Er hatte dafür zu sorgen, dass alles so lief, wie es lief. Wer zum Shuten wollte, musste erst am Obersten der Hasshisen vorbei. Weniger wichtige Angelegenheiten regelte dieser Mann selbst oder aber er vertrat den Shuten in dessen Auftrag. Und diesem Mann war das Verschwinden des Herrschers egal? Wie hatte der Shuten ihn nur mit dem Amt des obersten Hasshisen betrauen können? Sein Vorgänger war so anders gewesen …

„Steh nicht so rum und starr Löcher in die Luft. Geh ihn suchen.“ Die Stimme des Dunkelhaarigen klang nicht mehr ganz so tadelnd, sondern eher gleichgültig und ein wenig müde. Mit dem Kopf nickte er den Gang entlang, was wohl eine Aufforderung zum Gehen sein sollte. Dann wandte er sich der Tür zu und verschwand wieder in dem Konferenzraum, als ob nichts gewesen wäre.
 

Murju ging durch die langen Gänge zu seinen Räumlichkeiten. Seit Teiou den Shuten spielte schliefen sie nicht mehr im selben Zimmer. Es war zu auffällig und er hatte so schon genug um die Ohren und das Gerede über eine mögliche Affäre zwischen dem Shuten und dem Obersten der Hasshisen konnte er nun wirklich nicht gebrauchen. Es war für ihn so schon schwer genug seine Stellung unter den elf Anderen zu behaupten.

Den ganzen Tag waren nervöse Wachen an ihm vorbeigeeilt, auch die Dienstboten und Beamten waren sichtlich aufgebracht gewesen. Das Verschwinden des Shuten war das Thema schlechthin gewesen und letztlich hatte es eine außerordentliche Sitzung des höchsten Beamtengremiums gegeben. Zwar hatte er sich bemüht vor den anderen Hasshisen ernsthaft besorgt zu wirken, aber eigentlich war er viel mehr sauer auf Teiou gewesen, dass der sich einfach so abgemacht hatte. Für sein vermeintliches Desinteresse, bezüglich des Verschwindens des Shutens, hatte er sich viele Vorwürfe anhören dürfen, auf die er nicht wirklich etwa zu erwidern gewusst hatte und das nagte noch immer an ihm.

Den größten Teil des Nachmittags hatte er mit dem wahren Shuten verbracht und diesem Unterricht in Politik und Militärwesen gegeben. Dann hatte er noch einige der Audienzen übernommen, bei denen Teiou mit Abwesenheit glänzte. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Teiou aus seiner Rolle ausbrach. Damit gerechnet hatte Murju vom ersten Tag an, aber dass Teiou es nicht mal zwei Wochen aushielt und dann einfach ohne etwas zu sagen verschwand, war nicht in Ordnung. Er konnte sich denken, dass Teiou im Osten in der Kaserne bei seinen Männern war. Er selbst war in den letzten zwei Wochen dreimal dort gewesen. Meist über Nacht, um nach dem Rechten zu sehen und Kuja Instruktionen von Teiou weiterzugeben. Teiou wusste das und trotzdem war er nun selbst losgezogen …

Mittlerweile war es schon spät abends und Teiou immer noch nicht wieder aufgetaucht. Er hatte den besorgten Wächtern und Beamten erzählt, dass der Shuten wieder da sei, schlafen wollte und nicht gestört werden dürfte. Einigen Zweiflern hatte er einen Blick in das Schlafzimmer des Shuten gewährt, wo er ein paar Kissen so unter eine Decke gesteckt hatte, dass sie von Weitem wie ein schlafender Körper wirkten. Seitdem war Ruhe. Niemand hatte den Shuten zwar richtig gesehen, aber man glaubte ihm, dass er wieder da war.

Er bog in die Sackgasse ein, in der die Tür zu seiner Unterkunft lag und wo um diese Uhrzeit niemand mehr zu finden war. Von draußen fiel Mondlicht herein und vom Hauptgang das Licht der Leuchter. Der kurze Seitengang selbst war nicht beleuchtet und wirkte fast düster. Hinter sich hörte er leise Schritte, die nun langsamer wurden und dann verschwanden. Er fuhr herum und vor ihm stand ein großgewachsener Mann, der in ein langes Cape mit Kapuze gekleidet war.

„Wo verdammt warst du?“

Murju stemmte die Hände in die Seite und seine aufgebrachte Stimme hallte von den Wänden wider.

„Im Osten“, antwortete der Gefragte leichtfertig. Er schien wenig beeindruckt von dem sich anbahnenden Wutanfall des Anderen.

„Im Osten? Teiou, spinnst du eigentlich? Die haben den ganzen Turm auf der Suche nach dir auf den Kopf gestellt! Kannst du es nicht einmal zwei Wochen aushalten, ohne ein Schwert in die Hand zu nehmen?“ Er musterte den Prinzen wütend, dessen Gesicht immer noch im Schatten der Kapuze lag. „Du warst in der Kaserne, nicht? Ich weiß es! Dabei hab ich dir gesagt, dass dort alles so läuft, wie es laufen soll! Was denkst du dir eigentlich? Ach ja, vermutlich gar nichts …“ Mit einer Hand machte Murju eine abfällige Bewegung und starrte dann ärgerlich aus dem Fenster, vor dem sie sich befanden.

„Ich bin verantwortlich für mein Regiment. Da muss man ab und zu mal nach dem Rechten sehen. Kuja hat mich bisher noch nie vertreten und bevor was passiert …“ Teiou zuckte entschuldigend mit den Schultern, was wegen seines belustigten Grinsens nicht allzu aufrichtig wirkte. Murju würdigte ihn keines Blickes. „Lügner!“, zischte er scharf vor sich hin.

„Okay“, Teiou seufzte leise. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, dass Keika hier einen solchen Aufstand machte. „Ich bin ein Krieger und ich finde nach zwei Wochen Stillsitzen hab ich mir diesen Ausflug redlich verdient. Und ich hab Verantwortung gegenüber meinen Männern.“

„Falsch!“, schnitt ihm Murju das Wort ab und sah ihn endlich wieder an, auch wenn sein Blick nicht sonderlich freundlich war. „Du“, er spürte Murjus Zeigefinger an seiner Brust, „bist zurzeit nur für den Himmelsturm und dessen Angelegenheiten zuständig. Du bist nicht Generalfeldmarschall Teiou, sondern der Shugo Shuten Tiarandear und als solcher hast du dich auch zu verhalten! Keine Kämpfchen, keine Ausflüge, kein ungebührliches Verhalten! Verstanden?!“

„Keika …“ Teiou versuchte seinem Gegenüber beruhigend einen Arm auf die Schulter legen, doch der schlug ihn weg, so dass die weiten Ärmel des Capes zurückrutschten und Teious Arm mit einigen Kratzern und schon leicht bläulich schimmernden Blutergüssen zum Vorschein kam. Als er Murju wieder ansah, starrte der ihn nur noch entgeisterter an.

„Na toll, ein Shuten mit blauen Flecken.“

„Ach komm, die sieht man doch gar nicht. Außerdem trag ich eh was drüber. Das fällt gar keinem auf.“ Einen Moment nestelte Teiou an dem Stoff rum und zog ihn über die Blessuren. Seiner Meinung nach war kaum etwas zu sehen, aber im Gang war es auch sehr dämmrig und Keika sah leider um einiges besser als ein Mensch oder Himmelsbewohner…

„Hast du dich nicht wenigstens ein bisschen um mich gesorgt? Ich meine ich bin der Shuten und ...“

„Nein!“, antwortete Murju prompt und machte dann Anstallten an Teiou vorbei in sein Gemach zu gehen.

„Bist du jetzt sauer deswegen?“

„Ja!“

Teiou fasste den Dunkelhaarigen am Arm und hielt ihn zurück, als dieser an ihm vorbei durch die Tür verschwinden wollte. Dabei rutschte ihm die Kapuze, die er immer noch aufhatte, herunter und sofort ruhte der vernichtende Blick Murjus wieder auf ihm. Sein Haar war zerzaust und verschwitzt, das Blond wirkte dreckig, das Zeichen auf seiner Stirn hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Nebel, so verschmiert war es.

„Du musst generalüberholt werden, wenn du morgen wieder als Shuten durchgehen sollst.“ An seinem Gesicht und seiner Stimme konnte man erkennen, wie wenig ihm das gefiel, was er vor sich sah.

„Ich weiß, deshalb bin ich hier.“ Der ein wenig ramponiert wirkende Ersatzshuten legte den Kopf leicht schräg und lächelte Murju an. Dann machte er einen Schritt auf ihn zu, sodass Murju mit dem Rücken zur Wand stand, und küsste ihn sanft.

„Au!“ Teiou rieb sich die Wange. Was fiel Keika ein, ihm einfach so eine Ohrfeige zu verpassen? Das war seiner Meinung nach nun wirklich eine Überreaktion des Dämons. Gerade wollte er den Mund aufmachen, um ihm das zu sagen, als er Keikas kühle Finger an seinen Lippen spürte.

„Sei still“, zischte der leise und zog Teiou die Kapuze wieder über den Kopf. „Was fällt Euch eigentlich ein DAS zu tun?“ Fuhr er lauter fort und maßlose Empörung schwang in seiner Stimme mit, während er Teiou von sich weg stieß. „Ihr solltet schon längst schlafen!“ Der Schwarzhaarige wandte sich mit einer Handgeste ab. „Lass dein Fenster offen.“ Flüsterte er noch leise und verschwand dann durch die Tür in sein Zimmer.

Ein wenig irritiert stand Teiou vor der Tür, die gerade hinter Keika ins Schloss fiel. Als er sich umwandt erkannte er noch gerade einen Schatten, der hinter der nächsten Ecke verschwand. Man hatte sie beobachtet. Vermutlich nicht lange, aber den Kuss hatte der Beobachter, Keikas Verhalten nach zu schließen, sicher mitbekommen.

Seufzend zog sich Teiou die Kapuze tiefer ins Gesicht und machte sich dann auf den Weg in Tias Gemächer, wo er in den letzten Tagen alleine schlief. Er würde dort auf Keika warten, wie der es ihm mit der Geste vermittelt hatte, und sich wohl erstmal für alles, an diesem Tag geschehene, entschuldigen müssen.

Aufbruch

Kapitel 6
 

„Ich habe gehört, du hast eine neue Freundin.“ Einen Becher Tee schlürfend saß Teiou auf einem der edlen gepolsterten Sessel und sah ihm zu, wie er ein Dokument auf seinem übervollen Schreibtisch suchte.

„Na und? Es hat sich halt so ergeben. Verdammt, wo hab ich das hingelegt…“

„Ist es denn diesmal was Ernstes?“ Teious Stimme klang unbeteiligt, dennoch konnte er den neugierigen Blick seines Freundes förmlich spüren, auch wenn er mit dem Rücken zu ihm stand. Der wusste doch ganz genau was Sache war …

„Mal sehen was sich so ergibt.“ Er zuckte mit den Schultern und warf seinem Freund einen vielsagenden Blick zu. Er wollte nicht weiter darüber reden, aber Teiou schien das nicht wirklich zu bemerken, oder aber er wollte es nicht bemerken.

„Warum sagst du es ihm nicht einfach? Das kann doch nicht so schwer sein. Du weißt doch was du willst und das ist so doch kein Zustand. Ich meine, wo du dem Richtigen schon mal begegnet bist…“ Der Dunkelhaarige machte eine Ausladende Geste, welche die Dramatik seiner Worte wohl noch untermalen sollte.

„Nein! Ich hab meine Gründe dafür. Und wir wechseln jetzt das Thema: Wie geht es deiner Freundin?“

„Welcher?“, kam es prompt von Teiou, der nun bis über beide Ohren grinste.

„Du hast zwei Freundinnen?“ Er war nicht wirklich überrascht. Das passte zu Teiou … „Oh man, Teiou.“ Mittlerweile hatte er die Suche nach dem Schriftstück aufgegeben und sich zu seinem Freund gesetzt, der nun den Kopf schüttelte.

„Nein, drei. Aber keine Sorge, die wissen alle nichts voneinander. Man muss es nur geschickt anstellen.“

„Ja, das läuft so lange, bis du dich dreiteilen musst und dich deine Liebsten am Ende vierteilen.“ Er winkte ab und nahm sich auch einen Becher Tee, an dem er kurz nippte. „Aber das lass ich getrost deine Sorge sein. Komm nachher nur nicht zu mir und sag, dass ich dich nicht gewarnt hätte.“
 

Es war noch früh am Morgen, trotzdem summte es im Himmelsturm schon betriebsam. Hier liefen die Dienstmädchen, Küchenhilfen, Hofdamen durcheinander, dort die Beamten, Bibliothekare, Wächter und wer sonst noch alles im Himmelsturm diente. Tia war mittendrin in dem bunten Treiben. Er hatte Teiou gesucht, der ihm versprochen hatte mit ihm zu frühstücken. Allerdings hatte ihm ein Bediensteter ausgerichtet, dass der Shuten dazu leider keine Zeit fand. Heute war ein Tag an dem offene Audienzen abgehalten wurden und das einfache Volk vor dem Shuten vorsprechen durfte. Dementsprechend waren auch alle schon auf den Beinen und in der Eingangshalle sammelten sich die ersten Bittsteller, die von den Wächtern des Himmelsturms in Schach gehalten wurden.

Tia interessierte sich nicht wirklich für die große Menge. Er hatte einen kurzen Blick auf sie geworfen und sich dann in den privaten, der Öffentlichkeit unzugänglichen Bereich der Himmelspagode zurückgezogen. Jetzt überlegte er, was er mit seiner Zeit anfangen konnte. Für einen kurzen Moment hatte er daran gedacht Murju zu suchen, aber der war sicher nicht weniger beschäftigt als Teiou. Sonst war niemand hier den er kannte. Ashray hatte er seit zwei Wochen nicht mehr gesehen, da der immer noch im Süden beschäftigt war. Vielleicht sollte er in die Bibliothek gehen. Es konnte sicher nichts schaden sich einiges anzulesen. Murju hätte das sicher so gesehen.

Langsam ging er durch die mittlerweile vertrauten Gänge in Richtung der großen Bibliothek, die fast einen ganzen Flügel des Turmes für sich beanspruchte. Er nahm den Weg durch den Trakt, in dem die ganzen Gästezimmer lagen, die gerade sauber gemacht wurden. Durch eine offene Tür vernahm er die hellen Stimmen von zwei Zimmermädchen, die sich unterhielten und immer wieder kicherten.

„… und dann soll er ihn geküsst haben. Murju-sama hat den Shuten geküsst.“

„Quatsch. Das war umgekehrt. Der Shuten hat ihn geküsst und dafür hat Murju ihm eine gescheuert. Hach, also ich würde nicht nein sagen, wenn der Shuten zu mir käme …“

Neugierig blieb Tia neben der Tür stehen. Was war mit dem Shuten und Murju? Gut man durfte eigentlich nicht lauschen, aber es ging hier um ihn und um seine Erinnerungen.

„Naja. Er ist immerhin ein Mann, aber der Shuten …“ „… ist der Shuten!“ Fiel die andere mit ein und beide kicherten wieder.

„Glaubst du, dass er Murju nur deshalb zum obersten Hasshisen gemacht hat, weil er was von ihm will?“ „Ach was… ich würde Murju auch nicht wegschicken und wenn er nur durch so ein Amt hier bleibt. Der ist schon süß …“ Wieder war das helle Mädchenlachen zu hören, dann schienen die zwei sich wieder auf ihre eigentliche Arbeit zu besinnen und es wurde still.

Nachdenklich und irritiert über das eben Gehörte, ging Tia den Gang entlang weiter. Teiou hatte Murju geküsst, oder umgekehrt. Also hatte er, der wahre Shuten, auch ein Interesse an dem Gelehrten. Oder Teiou hatte dieses Interesse. Aber der hatte ihm doch versichert ihn authentisch zu vertreten. Also gehörte dieses Interesse zu Teious Schauspiel, oder aber nicht? Und Murju wusste doch eigentlich, dass Teiou nicht er war… oder nicht?

„… Trubel geben.“ „Du sagst es. Angeblich verbarrikadieren sich die Bibliothekare schon, falls der Kronprinz aus dem Süden wieder auf die Idee kommt seine Wut an den Büchern auszulassen. Wenn der das spitz kriegt, geht es hier wieder rund.“

Beinahe wäre er in zwei Soldaten reingelaufen, die aus dem Wachzimmer traten, indem die Wächter ihre Pausen verbrachten und in dem der Offizier saß, der für die Sicherheit des Turmes und des Shuten zuständig war.

„Ja. In letzter Zeit treibt der Shuten es wirklich wieder ziemlich bunt. Erst sein Aussetzer im Garten, dann sein Ausflug und jetzt das mit diesem Heiler. Ich hatte mich schon an die Ruhe in der letzten Zeit gewöhnt.“

„Guten Morgen Tijan-sama.“ Der Größere der beiden hatte ihn bemerkt und entbot ihm seinen Gruß. Auch der andere nickte ihm nun freundlich zu. Tia sah die beiden erst irritiert an, entsann sich dann aber, dass Tijan sein Deckname hier war, erwiderte den Gruß und huschte eilig an den beiden vorbei, die in Richtung der großen Halle gingen.

Das Thema Teiou und Murju schien allgegenwärtig zu sein und sogar Ashray schien damit zu tun zu haben. Aber wie der da mit reinspielte konnte Tia sich nicht erklären. Er würde wohl Teiou oder Murju fragen müssen, wenn er sie sah. Aber heute würde das vermutlich nichts mehr werden.

„Da bist du ja! Ich hab dich schon überall gesucht.“

Ohne es zu bemerken war er an der Pforte der großen Bibliothek angekommen, hinter der sich die unzähligen kostbaren Bücher verbargen, der Schatz des Himmels. Ashray stand plötzlich mit verschränkten Armen vor ihm.

„Komm wir machen einen Ausflug.“

„Einen Ausflug?“ Tia war sichtlich über Ashrays plötzliches Auftauchen überrascht.

„Ja. Du sollst ja auch mal was anderes sehen.“ Der Rotschopf grinste und fasste ihn am Arm. „Und jetzt steh hier nicht so rum. Wir brauchen noch ein paar Sachen und dann will ich los. Der Weg ist ein bisschen länger.“ Er sah Tia mit blitzenden Augen an und zog ihn dann hinter sich her, zurück in den Gang aus dem der gerade erst gekommen war.
 

Langsam schob Tia sich einen weiteren Bissen in den Mund und kaute andächtig, während er Ashray betrachtete, der ihm angespannt gegenüber saß. Der Rothaarige wirkte ungeduldig, ein wenig rastlos und sah immer wieder aus dem Fenster, wo die Sonne schon tief über dem Horizont hing und jeden Moment gänzlich verschwinden würde. Seufzend nahm Ashray eine bequemere Sitzhaltung ein und schaute Tia beim Essen zu.

„Wie lange brauchst du sonst für die Strecke?“, fragte Tia zwischen zwei Bissen. Nach der langen Reise war er wirklich hungrig. Sie waren direkt aufgebrochen und hatten nur eine kurze Pause gemacht um etwas zu trinken.

„Einen halben Tag.“

„Ah.“ Tia nickte verständnisvoll. Er hatte sich schon gedacht, dass Ashray so rastlos war, weil er schon längst hätte in Amarna-Daisei, der Hauptstadt des Südreiches, sein können und er ihn nur aufhielt. „Und wie lange braucht ein normaler Himmelsbewohner?“

Der Prinz zuckte mit den Schultern. „So zwei bis drei Tage nehme ich mal an, je nachdem wie schnell er ist und was er mit sich führt. Ein Soldat muss die Strecke in anderthalb Tagen schaffen, sonst ist er dienstuntauglich.“

„Und wie lange werden wir noch brauchen?“

„Einen halben Tag, vielleicht ein paar Stunden mehr oder weniger. Kommt drauf an, wie fit du bist und wie schnell.“ Während er sprach, winkte Ashray den Wirt des Teehauses herbei, indem sie diese Nacht verbringen würden, und bestellte noch Tee.

„Ich war doch heute schon sehr schnell.“ Verständnislos sah er Ashray an, der nun lachte und ihn angrinste. „Schnell? Teiou ist im Schlaf schneller als du. Da ist noch Potential nach oben. Viel Potential …“ Mit einer Hand deutete er nach oben und lachte immer noch.

„Teiou schläft beim Fliegen?“ Erstaunt sah Tia seinen Freund an. Das war doch unmöglich. Er hatte so schon genug Mühe mit dem Fliegen gehabt und Teiou schlief dabei? Wie sollte das denn gehen?

Ashrays Lachen wurde lauter und wieder zuckte er mit den Schultern. „Manchmal. Aber seitdem er dabei mal mit einem Baum kollidiert ist tut er das glaube ich auch nicht mehr.“ Er lachte immer noch als er ihnen frischen Tee eingoss. „Naja ist ja auch egal, wie lange wir brauchen. Hauptsache wir kommen irgendwann mal an.“ Ashray lächelte Tia entschuldigend zu. Anscheinend hatte er bemerkt, dass er ihn mit dem Kommentar über dessen Schnelligkeit ein wenig gekränkt hatte.

Sie saßen noch eine ganze Weile in der Wirtsstube, die sich langsam leerte, und unterhielten sich über dies und das. Etliche Leute hatten Ashray erkannt und ihn gegrüßt. Einige anwesende Soldaten hatten dem Marschall gegenüber kurz die notwendige Aufwartung gemacht, die sich für einen Untergebenen gehörte. Ashray schien dies als recht lästig zu empfinden, ließ es aber über sich ergehen. Ihn, Tia, den Shugo Shuten, erkannte niemand. Man sah ihn nur als einen Begleiter des Königssohns. Seine gefärbten Haare und das fehlende Zeichen schienen wirklich viel auszumachen, wenn er bedachte, wie sich die Leute auf Teiou stürzten, wenn der als Shuten auftrat.

„Bist du fertig?“ Ashray war schon aufgestanden und riss ihn aus seinen Gedanken. „Ich will morgen früh los. Bis dahin musst du ausgeschlafen sein.“ Tia nickte kurz, trank den letzten Schluck aus seinem Becher und folgte dem Prinzen.

Sie stiegen eine schmale Treppe hoch. Der kurze Flur wurde nur vom wenigen Licht einer einzelnen Laterne erhellt. Ashray ließ eine kleine Flamme in seiner Hand tanzen, sodass sie wenigstens einigermaßen gut sehen konnten. Er führte sie in ein kleines Zimmer, indem nicht mehr als zwei einfache Betten, ein Schrank und ein Sessel mit einem kleinen Tischchen zu finden waren. Alles passte gerade so hinein und füllte den kleinen Raum bereits ausreichend aus.

Ashray ging zum Fenster, das gegenüber der Tür lag und zog die Vorhänge zu, bevor er sich auf eines der Betten fallen ließ und die Arme hinter dem Kopf verschränkte. Hinter ihm war Tia leise eingetreten und hatte die Tür geschlossen. Er sah kurz zu dem Rothaarigen, bevor er sich auf das andere Bett setzte und Ashray schweigend ansah, der seinerseits an die Decke starrte.

Seine unzähligen Fragen, die er am Morgen noch gehabt und aufgrund des plötzlichen Aufbruchs beiseite geschoben hatte, fielen ihm wieder ein. Wie stand er selbst zu Murju, beziehungsweise Teiou zu Murju und was hatte Ashray damit zu tun? Irgendwie hatte ihn das schon länger beschäftigt, aber erst heute hatte er die konkrete Frage gefunden. Bisher waren ihm sowohl Teiou, als auch Murju und Ashray in Gesprächen immer wieder ausgewichen. Aber er wollte Antworten. Wie sollte er sich sonst erinnern?

„Habe ich eine Beziehung zu Murju?“ Allen Mut zusammen nehmend stellte er diese Frage. Er beobachtete Ashray, der reglos dalag und schwieg. „Habe ich …“, setzte er erneut an, um seine Frage lauter und energischer zu wiederholen, aber Ashray kam ihm zuvor.

„Ich hoffe nicht.“ Der Rothaarige hatte sich schwungvoll aufgesetzt und sah ihn an. Seine Augen funkelten im wenigen Licht für einen kurzen Moment fast ein bisschen bedrohlich. „Wie kommst du auf so was? Ich hoffe nicht, dass du dich an das erinnerst. Wäre jedenfalls besser für dich!“ Die letzten Worte waren leise, aber bedrohlich gesprochen und Tia zuckte unmerklich zusammen. Das Ashray ein unberechenbares Temperament hatte, war ihm bereits aus vielen Bemerkungen Teious und Murjus bekannt. Und dieses Thema schien ein heikles zu sein.

„Also: Ja, oder nein?!“ Tia atmete tief durch und schaute den Prinzen herausfordernd an. Einschüchtern lassen würde er sich nicht. Er wollte Antworten. Jetzt!

„Nein, soweit mir bekannt ist“, antwortete der Rothaarige. „Und wie kommst du bitte auf so etwas Verrücktes?“

„Ich hab es im Turm gehört. Fast alle, denen ich heute Morgen begegnet bin sprachen über den Shuten und Murju.“ Ein wenig unsicher sah er sein Gegenüber an. Dieser atmete scheinbar erleichtert auf und entspannte sich wieder. „Dein Name fiel in dem Zusammenhang auch“, forschte Tia vorsichtig weiter. „Erklär mir bitte was mit Murju, dem Shuten und dir ist.“

Ashray legte den Kopf leicht schräg und schien zu überlegen. „Was willst du denn genau wissen?“

„Na alles.“ Tia zuckte mit den Schultern und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. „Alles über Teiou, Murju und mich und dich. Erklär mir, wie wir zueinander stehen.“

„Okay …“ Der Prinz schien nachdenklich und schwieg eine Weile. „Also …“, setzte er zögernd an und schien sich dabei ein bisschen unwohl zu fühlen. „Also Teiou und Kei… ich meine Murju sind ein Paar. Schon relativ lange. Es ist eigentlich ein Wunder, dass Teiou so lange die Finger von ihm lassen konnte. Dieser Lüstling …“ So langsam schien Ashray in Fahrt zu kommen. „Du bist mit Keika – verdammt, nein Murju, befreundet. Im weitesten Sinne jedenfalls. Ab und zu arbeitet er für dich als Sekretär, wenn Teiou mal von ihm lassen kann. Naja und …“

„Warum verwechselt eigentlich jeder Murju und Keika?“, unterbrach Tia ihn bei seinen Ausführungen. „Sind die beiden Zwillinge und sehen sich so ähnlich? Das ist irgendwie ein bisschen komisch. Ich meine sogar Teiou verwechselt sie und er ist mit einem von ihnen zusammen. Außerdem scheinen Murju und Keika sich nicht sonderlich zu mögen. Murju verliert kein Wort über seinen Bruder. Auch nicht, wenn ich frage.“

Verblüfft sah Ashray ihn an. Dann fing er an zu lachen. „Keika und Murju mögen sich nicht.“ Brachte er glucksend hervor. „Das ist wirklich gut.“ Er grinste und kicherte noch einen Moment lang, dann wurde sein Gesicht ernster. „Hör mal zu Tia. Das hat ja keinen Sinn mehr. Also Murju und Keika sind dieselbe Person. Eigentlich heißt Murju Keika und ist…“ Wieder zögerte der Rothaarige und fuhr erst fort, als Tia wieder ansetzte etwas zu sagen. „Er ist derjenige, vor dem du so wahnsinnige Panik hattest, als du wach geworden bist.“

Tia senkte den Blick und schien zu überlegen. Wen hatte er gesehen, als er wach geworden war? Es dauerte eine ganze Weile, bis ein verschwommenes Bild vor sich sah. Angestrengt versuchte er sich der Person bewusster zu werden, die er dort gesehen hatte, aber er erinnerte sich nicht. Dabei war das doch erst drei Wochen her. Er stricht sich die Haare aus dem Gesicht. Vermutlich hatte er einfach zu viel Neues in dem Moment wahrgenommen und konnte sich deshalb nicht an Keika erinnern. Aber war das nicht egal, wo Keika und Murju ein und dieselbe Person waren?

„Der Dämon?!“ Ashray hatte die Hände in den Schoß gelegt und wippte leicht vor und zurück, während er ungeduldig auf Tias Erkenntnis wartete, die sich nun langsam in dessen Gesicht abzeichnete. Blankes Entsetzen spiegelte sich darin.

„Murju ist ein Dämon?“ Er schauderte sichtbar und sah Ashray ungläubig an. „Wie ist das möglich? Wie kann er im Himmelreich sein? Man müsste ihn töten…“ Seine Stimme zitterte leicht und war sehr leise.

Ashray betrachtete seinen Freund erstaunt. Solche Gedanken hatte der nie gehabt. Wie oft hatte er auf den Shuten eingeredet, dass es unverantwortlich war einen Dämon im Himmel zu haben und nun da er, Ashray, einer der größten Dämonhasser überhaupt sich damit abgefunden hatte, wollte Tia Keika töten lassen?

„Es war deine Entscheidung ihm den Aufenthalt zu gewähren.“ Der Prinz des Südens stand auf und durchquerte das Zimmerchen, um sich neben Tia zu setzen und diesem beruhigend einen Arm um die Schultern zu legen. „Keika ist harmlos. Das solltest du doch gemerkt haben, so oft, wie ihr alleine wart.“ Jetzt verteidigte er schon diesen Dämon…

Er lächelte Tia aufmunternd zu, der nun leicht nickte. Der Shuten schien immer noch verstört über diese Tatsache.

„Am besten du schläfst da eine Nacht drüber und ich erzähle dir morgen den Rest, den du wissen willst.“ Sagte er leise und strich dem anderen über den Rücken, der ihn kurz ansah und schweigend nickte.

„Schlaf gut.“ Noch einmal lächelte er Tia an, bevor er wieder zu seinem eigenen Bett ging. Auch er brauchte ein paar Stunden Schlaf, damit er den Weg in die Hauptstadt morgen problemlos bewältigen und Tias Schutz gewährleisten konnte. Außerdem würde er sich etwas einfallen lassen müssen, um diese ganze Beziehungskiste zu erklären…

Verdammt… Warum hatte ihm dieses Los zufallen müssen?
 

~~~~~~~
 

Weiter gehts. Vielen Dank für eure Geduld bisher. Da ich zur Zeit viel mit der Uni zu tun habe, wird es weiterhin eher stockend vorangehen. Aber ich bemühe mich... LG kiya

Der Fluch des Shuten

Kapitel 7
 

„Ich werde diese verdammte Sprache nicht lernen! Warum auch?“ Mit verschränkten Armen wandte er sich abrupt von seiner Gefährtin ab und starrte wütend die Wand an. „Reicht doch, dass ich die Menschensprache beherrsche“, brummelte er noch undeutlich vor sich hin.

„Oh, du wirst sie lernen, Keika.“ Die liebliche und so überzeugt klingende Stimme seiner Begleiterin versetzte ihn nur noch mehr in Rage. Wie konnte die sich nur so sicher sein? Und was sollte dieser beschwörende Unterton? Er würde diese Sprache nicht lernen. Schluss, aus! Niemals würde er das tun!

Aus den Augenwinkeln sah er vorsichtig zu der goldgelockten Dämonin, die vor dem Tischchen auf dem Boden hockte und den Kopf auf einen Arm gestützt hatte. Ihr sanfter Blick ruhte auf ihm. Wie immer konnte er nichts in ihrer Miene erkennen. Keine Absichten, keine Erklärungen, keine Empfindungen ihrerseits über seine Entscheidung und seine Verweigerung. Ihr Gesicht war unergründlich, wie immer...

Lauernd begutachteten sie sich. Er tat es verstohlen, sie ganz offen und unschuldig.

„Ich werde es nicht tun!“ Er wirbelte herum, sodass er ihr genau gegenüber stand. Seine Stimme wurde lauter, klang gereizt. Aufgebracht baute er sich vor Lili auf, die nur sachte lächelte und ihn mit ihren Augen ansah, die die Farbe von flüssigem Gold hatten und in denen er schon so oft versunken war. „Niemals werde ich das tun.“ Sein Atem beschleunigte sich, während er Lili böse anfunkelte. Sie wusste ganz genau, wie sie ihn reizen konnte, wie sie sich verhalten musste, um ihn in absolute Rage zu versetzen.

„Ich habe alles getan. Ich bin mit dir überall hin gegangen. Ich bin dir in diese Welt gefolgt. Ich habe sogar die Sprache der Menschen gelernt. Ich habe es nach einer Ewigkeit geschafft eine menschliche Gestalt anzunehmen. Und jetzt soll ich die Sprache des Himmels lernen? Die Sprache der von mir verhassten Wesen? Was verlangst du eigentlich als nächstes? Was?!“ Er ging in die Hocke, sodass er mit ihr auf Augenhöhe war, und schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch, der erbebte. Einen Moment lang kreuzten sich ihre Blicke, dann schloss Lili ihre wunderschönen Augen und seufzte leise.

„Du bist noch so jung Keika.“ Sie streckte ihre feingliedrige Hand aus und strich ihm über sein teilweise noch recht kindlich wirkendes Gesicht. Es war nur eine hauchzarte Berührung, die ihn aber erschaudern ließ. „Die Welt ist so groß und du hast erst einen Bruchteil ihrer ganzen Schönheit gesehen…“ Ihre Stimme glich einem Flüstern, einem leisen Windhauch. Leichtfüßig stand sie auf und wandte sich zur Tür, durch die sie entschwand. Nur ein Lufthauch mit ihrem Duft blieb zurück.

Angsterfüllt blickte er ihr nach. Sie würde gehen. Sie würde ihn verlassen, wenn er nicht lernen würde. Oh diese Hexe! Er strich sich die wirren Strähnen aus dem Gesicht und sank in sich zusammen.

„Ich werde lernen, Lili. Ich werde es tun…“, murmelte er leise.
 

Hochkonzentriert starrte er die Schriftzeichen an, die sämtliche Seiten des dicken Buches füllten, das aufgeschlagen vor ihm lag. Sie gaben keinen Sinn. Sie wollten einfach keinen Sinn für ihn ergeben, egal wie lange er sie ansah.

Seufzend lehnte Keika sich zurück und betrachtete seinen Arbeitsplatz. Mehrere schwere, in Leder gebundene Bücher stapelten sich dort, oder waren aufgeschlagen und mit Merkzettelchen versehen. Grammatiken, Wörterbücher und das himmlische Vertragsrecht, das er als einziges immerhin größtenteils beherrschte. Wieder tunkte er seinen Federhalter in das Tintenfass und begann einige Zeichen auf ein Stück Papier zu übertragen, strich diese aber fast sofort wieder durch und begann von vorne.

Er hatte sich in die Bibliothek zurückgezogen, um noch einen wichtigen Vertrag vorzubereiten, mit dem Teiou sich in den nächsten Tagen auseinandersetzen musste. Das Problem war nur, dass einige der dafür notwendigen Dokumente in der alten Himmelssprache verfasst waren, die für ihn gar keinen Sinn ergab. Sie waren aber unbedingt notwendig. Außerdem wurde der endgültige Vertrag zwischen den einzelnen Ländern des Himmels immer in der alten Sprache verfasst, die alle Adligen und hochrangigen Beamten beherrschen mussten. Keika hatte sie nie gelernt. Bisher hatte Teiou ihm das bisschen, was ihm in dieser Sprache begegnet war, immer übersetzt. Es war für ihn einfach nicht nötig gewesen die sehr komplexe alte Himmelssprache zu lernen.

Jetzt war das anders. Jetzt war er der höchste Beamte im Himmelsturm, kam in der Rangfolge, die im Turm herrschte, gleich nach dem Shuten und hatte somit die Aufgabe derlei Verträge vorzubereiten. Was einem anderen schnell und mühelos von der Hand gegangen wäre, bereitete Keika regelrecht Kopfzerbrechen. Die Sprache erschloss sich ihm einfach nicht, egal wie sehr er sich bemühte und die Grammatiken wälzte. Aber es war seine Aufgabe und wenn er sie einem anderen der Hasshisen oder einem Sekretär übertragen würde, war der Respekt, den er sich in den letzten Wochen hart erarbeitet hatte, sicher sofort wieder dahin. Er war ja bloß Murju und Murju war kein geachteter Adliger… Und Teiou? Teiou hatte keine Zeit ihm zu helfen. Er war vom Amt des Shuten vollends in Anspruch genommen. Es passierte einfach zu viel in letzter Zeit und heute hatte er unzählige Menschen empfangen müssen…

„Murju-sama, Ihr seid noch hier?“

Erschrocken fuhr Murju zusammen und drehte sich um. Nathal, der oberste Bibliothekar war hinter ihm aufgetaucht, eine Laterne in der Hand, mit der er ihm ziemlich direkt ins Gesicht leuchtete, sodass er für einen Moment geblendet wurde. Er hatte gar nicht gemerkt, dass es schon so spät war. Die Regale lagen in schummrigem Dämmerlicht und man konnte kaum noch etwas wirklich deutlich erkennen. Eigentlich spendete nur Nathals Lampe und ein kleines Lämpchen an seinem Arbeitsplatz Licht. Vermutlich hatte er die vorangeschrittene Zeit nicht bemerkt, weil er auch in der Dunkelheit relativ gut sehen konnte. Nathal befand sich vermutlich auf seinem abendlichen Kontrollgang, um zu schauen, ob alle Lichter gelöscht waren und alle Besucher die heiligen Hallen der Bibliothek bereits verlassen hatten.

„Habt Ihr noch viel zu tun? Ich will Euch ja nicht unterbrechen, aber es ist schon spät.“

Der blonde Gelehrte war neben ihn getreten und schaute ihm neugierig über die Schulter. Hastig ließ Murju sein Manuskript verschwinden, bevor Nathals Blick auf seine stümperhafte Übersetzung fiel. Er war nicht schnell genug. Nathal hatte bereits einen der vielen Zettel erwischt und die Bücher verrieten ihm wohl den Rest.

„Ich habe bisher nicht sonderlich viel Zeit gehabt mich um das hier zu kümmern, aber der Vertrag muss fertig werden, damit er dem Shuten vorgelegt werden kann. Ich gehe gleich.“ Er lächelte Nathal entschuldigend an, der bereits seine Notizen studierte und ab und zu verräterisch die Augenbraue hochzog. Mit Sicherheit hatte der Blonde längst erkannt, dass es nicht daran lag, dass er wenig Zeit für die Bearbeitung investiert hatte. Ihm war sicher längst klar, dass es sich um den Versuch eines absoluten Laien handelte, die alte Sprache zu übersetzen.

„Bis wann braucht Ihr das?“ fragend lag Nathals Blick auf ihm.

„Morgen, spätestens übermorgen.“ Murju seufzte resigniert und strich sich die dunklen Haare aus dem blassen Gesicht. Leugnen war zwecklos, gleich würde die entscheidende Frage gestellt werden und wenn Nathal es wusste, wussten es bald sicher auch noch mehr, trotz der Verschwiegenheit des Bibliothekars.

„Ihr könnt es Euch morgen Abend abholen. Bis dahin habe ich die Übersetzung fertig. Ihr habt wahrlich schon genug zu tun.“ Einen Moment lang starrte Murju den Gelehrten erstaunt an, der nur leise lachte und ihm zuzwinkerte. „Ich verrate es keinem.“ Er rollte die Zettel zusammen und schob sie sich in den Ärmel. „Und jetzt solltet Ihr auch ein paar Stunden schlafen. Wie gesagt, es ist schon spät.“

„Danke.“ Murju erhob sich lächelnd und rückte den Stuhl wieder an den Tisch, an dem er die letzten Stunden verbracht hatte. Er nickte Nathal noch einmal zu, dann verließ er die Bibliothek durch einen der Hauptgänge, während Nathal seinen Rundgang durch die Nebengänge beendete.
 

Müde saß Teiou in einem der Audienzzimmer auf dem prunkvollen Stuhl des Shuten. Ein Wächter schloss gerade die Tür hinter dem letzten Bittsteller. Der Sekretär, der die Liste mit den Namen der ganzen Menschen in der Hand hielt, die heute hier vorgesprochen hatten, verneigte sich tief vor dem Shuten und dieser entließ ihn und den Wächter mit einer einfachen Handbewegung.

Teiou war alleine in dem großen Zimmer und schloss kurz die Augen. Es war furchtbar anstrengend und langweilig gewesen. Allerdings hatte er jedem seine volle Aufmerksamkeit widmen müssen. Tia hätte das sicher getan und im Moment musste Teiou wie er sein, auch wenn er dafür bis spät abends Menschen empfangen musste. Einiges war ja auch recht interessant gewesen. Besser als manche Gerüchte bei Hof, die ihm sonst immer zu Ohren kamen.

Langsam erhob er sich und schritt durch den Raum zur Tür. Es war schon recht spät, draußen war es schon lange dunkel. Vielleicht würde er Keika noch irgendwo auftreiben können und wenigstens mal fünf Minuten mit ihm alleine sein. Bisher hatte sich der Dämon ihm heute entzogen. Vermutlich wegen der kursierenden Gerüchte. Derjenige, der sie neulich abends in dem Seitengang beobachtet hatte, gehörte allem Anschein nach nicht zur verschwiegenen Art.

Ein Klopfen am Fenster ließ ihn sich noch einmal umdrehen, gerade als er die Hand schon auf der Klinke hatte. Zuerst erkannte er nichts in der Dunkelheit. Nur das Klopfen ging ohne Unterlass weiter und wurde lauter. Teiou ließ von der Tür ab und ging zurück zu den großen Fenstern. Als er eines öffnete schoss ein kleines blaues Vögelchen in den hell erleuchteten Raum.

„Hyogyoku“, Teiou seufzte leise und streckte die Hand aus, sodass sich das Tierchen auf seine Hand setzen konnte, was es auch gleich tat. Teiou setzte sich auf die Lehne des Sessels, auf dem er schon den ganzen Tag gesessen hatte und betrachtete den Vogel, der sich bisher im Osten rumgetrieben hatte und sich nicht mit ihnen im Tenshu-Turm aufhielt. Das Vögelchen schüttelte sich kurz und sah ihn aus seinen schwarzen Knopfaugen an. Dann senkte es den Kopf und zupfte an einem Papier rum, dass an sein Bein gebunden war.

Vorsichtig machte Teiou sich daran ihm den Zettel abzunehmen, was sich als recht schwierig erwies, da Hyogyoku nicht ruhig sitzen blieb und ihm mit seinen scharfen Krallen beim Rumhüpfen die Hand völlig zerkratzte. Entnervt flatterte der kleine Vogel davon, als Teiou ihn endlich von seiner Botschaft befreit hatte. Entnervt ließ sich auch Teiou nach hinten in den Sessel fallen und betrachtete seine zerkratzte Hand. Derjenige, der sich die Mühe gemacht hatte dem Vogel diesen Zettel umzubinden, sah sicher nicht viel besser aus.

Es dauerte einen Moment, bis er das fein säuberlich aufgerollte Papier geöffnet hatte und die kleingeschriebenen Zeilen lesen konnte, die sehr eilig geschrieben worden waren:
 

Deine Brüder suchen dich. Kouou-sama war hier und nicht sonderlich gut gelaunt. Ich habe ihm gesagt, dass du im Auftrag des Shuten unterwegs bist, aber er schien nicht überzeugt. Hab mitbekommen, dass ein Regiment als Geleit für den Tenno abkommandiert wurde. Sie wollen wohl in den nächsten Tagen zum Himmelsturm aufbrechen und sich vermutlich beim Shuten beschweren. Ich dachte, du solltest das besser wissen.

Kuja

PS. Ich hoffe der Vogel findet dich oder Keika.
 

Einer der Hasshisen trat ohne Vorankündigung in das Audienzzimmer und schloss die große Flügeltür möglichst geräuschlos hinter sich. Seine Kopfbedeckung hatte er tief ins Gesicht gezogen und das Dämmerlicht erschwerte es Teiou zusätzlich zu erkennen, welcher dieser nervenden Beamten ihm die Ehre erwies.

„Hier bist du noch.“

Die Stimme klang sehr müde. Sie gehörte eindeutig Murju, oder besser Keika, der nun langsam auf ihn zukam und sich auf einen der freien Sessel fallen ließ.

„Ich hab schlechte Nachrichten. Dein Bruder hat sich angekündigt und um eine Audienz gebeten. Wir werden das Shoou-sama wohl genehmigen müssen. Er ist immerhin der Tenno des Ostens.“ In seiner Stimme schwang Bedauern mit. Am liebsten wollte Keika ihnen beiden diesen Besuch wohl ersparen. Zum einen aus Rücksicht auf Teiou, der seine Brüder beide nicht sonderlich gut leiden konnte, zum anderen, weil die Tennos den Shuten wohl mit am besten kannten und ihr Schauspiel dadurch gefährdet werden würde.

„Ich weiß, dass er kommt.“ Teiou nickte seufzend und hielt dem Dunkelhaarigen das Zettelchen hin, das Hyogyoku ihm eben gebracht hatte. Erstaunen zeichnete sich für einen kurzen Moment auf Keikas Gesicht ab. Sein Blick ruhte auf dem Stück Papier, das Teiou ihm nun hinhielt.

„Woher?“ Fragend betrachtete er Teiou, der ihm als Shuten immer noch manchmal unglaublich fremd erschien, obwohl sie dieses Spiel nun schon mehrere Wochen spielten. Auf dessen Schoß erkannte er ihren kleinen blauen Dämonenvogel, der dort vor sich hin döste und von Teiou gekrault wurde.

Ein wenig schwerfällig erhob sich Keika aus dem bequemen Sessel, um Teiou die Nachricht abzunehmen. Sein Blick fiel auf die unzähligen feinen Kratzspuren auf der Hand des Shuten, die Hyogyokus scharfe Krallen dort hinterlassen hatten. Den Zettel vergessend nahm er Teious Hand in seine eigene und betrachtete sie eingehend. Seufzend ließ er sich zurücksinken. „Du musst heiliges Wasser auftragen. Ein Shuten hat keine Verletzungen und die Kratzer sind nicht gerade unauffällig.“ Hyogyoku warf er einen strafenden Blick zu, den dieser aber einfach ignorierte.

„Wir haben keins mehr.“

„Was?“

„Heiliges Wasser. Ich habe heute alle Vorräte verteilt, glaube ich. Jedenfalls meinte das eben einer der Sekretäre, der die Verteilung an die Schreine überwacht.“

Fassungslos schüttelte Keika den Kopf und starrte Teiou an. „Du hast was getan?“ Keika schien einen Moment lang ziemlich aufgebracht.

„Alles verteilt. Was sollte ich denn machen, wenn mich jemand darum bittet ihn zu heilen. Ich meine ich sehe zwar aus wie ein Shuten, aber Heilen kann ich deswegen noch lange nicht. Ich bin ja schon froh, dass meine Bannkreise annährend so stark sind wie Tias, so dass das den Wächtern wenigstens nicht auffällt.“ Teiou seufzte leise und streckte sich in seinem Sessel, was Hyogyouku aufschreckte, der nun auf die Sessellehne flatterte.

Immer noch ungläubig sah Keika ihn an. „Wirklich alles? Das ist doch gar nicht möglich. Es gibt zwar nur begrenzte Vorräte, aber du kannst das unmöglich alles aufgebraucht haben. Irgendwo gibt es sicherlich noch was für deine Hand. So kannst du auf gar keinen Fall irgendwo auftauchen.“

„Ja, wirklich alles, Keika.“ Ein wenig entnervt sah er seinen Geliebten an, der immer noch in Murjus Gestalt vor ihm saß, wie immer in den letzten Tagen und Wochen. „Wenn du wüsstest, wie viele Leute ich hier heute habe vorsprechen lassen, dann …“

„Wo ist Tia eigentlich?“, unterbrach Keika ihn. „Ich hab ihn heute nur ganz kurz gesehen. Aber ich meine er hält immer noch den großen Bannkreis des Himmels aufrecht, auch wenn er sich an nichts erinnert. Dann kann es doch nicht so schwer sein ihm zu zeigen, wie er sein Handlicht benutzt um dich zu heilen oder wenigstens heiliges Wasser herzustellen.“

„Der ist mit Ashray unterwegs. Ich glaube der wollte ihm den Süden zeigen. Ashray hat irgendwie so was erzählt heute Morgen.“

„Du hast ihn alleine mit diesem A… mit Ashray weggeschickt? Teiou, er ist der Shuten. Das ist unverantwortlich. Absolut unverantwortlich. Wie kannst du so was zulassen? Wenn da was passiert.“ Fassungslos starrte Keika ihn an. Er war aufgebracht, verärgert. Eigentlich hätte Teiou sich diese Reaktion auch vorher denken können.

„Jetzt mach mal halblang. Ashray ist einer der besten Krieger des Himmels. Außerdem: Wer hat denn gesagt, dass es gut wäre, wenn man Tia bekannte Plätze und Umgebungen zeigt. Das warst ja wohl du. Außerdem ist Tia doch inkognito unterwegs. Er strich sich die blonden Strähnen aus dem Gesicht und beobachtete den Dämon aus halbgeschlossenen Augen. Warum stritten sie sich eigentlich ständig, seitdem sie dieses Theater hier spielten?

„Das bezog sich auf den Himmelsturm und die nähere Umgebung. Nicht auf das Südreich oder sonst wo… Das hättest du dir ja wohl denken können!“ Aufgebracht stand Keika auf. Die Müdigkeit schien vollständig von ihm abgefallen zu sein, was Teiou von sich nicht behaupten konnte. „Du trägst gefälligst dafür Sorge, dass Tia hier morgen wieder unversehrt auftaucht. Klar?“ Mit einem Finger deutet er auf Teiou, dann wandte er sich ab, ging lautlos zur Tür und verschwand in den hell erleuchteten Gang.

„Gute Nacht“, murmelte Teiou noch leise, was Keika aber schon nicht mehr hören konnte. Er stützte den Kopf in die Hände und schaute zur Tür, durch die der Hasshise gerade mit wehenden Gewändern entschwunden war.

Er seufzte leise. So langsam konnte er nachvollziehen warum Tias und Ashrays Beziehung immer so angespannt war. Das musste am Amt des Shuten liegen. Seitdem er Shuten war, stritt Keika sich nur noch mit ihm.

Der Fluch des Shuten – ja, so konnte man das sicher nennen…
 

~*~*~*~*~*~

Soweit erstmal. Das nächste Kapitel ist in der Mache, allerdings stehen bei mir im nächsten halben Jahr zig Prüfungen an, weshalb ich besser gar nichts verspreche...

LG kiya



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Kommentare zu dieser Fanfic (21)
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Von: abgemeldet
2011-10-03T21:23:43+00:00 03.10.2011 23:23
Hey, ich habe nach ... eineinhalb Jahren (omg x.x) Es doch mal geschafft, deine FF weiterzulesen.
Allerdings bin ich zu einem Entschluss gelangt.
Also, ich finde deinen Schreibstil an sich wirklich wundervoll, aber ich bin fälschlicherweise anhand der FF Beschreibung davon ausgegangen, dass es hier schon etwas mehr Tia x Ashray lastig wird. Aber die beiden als Pairing scheinen in dieser FF wohl nicht vorgesehen zu sein und alleine mit Keika und Teiou kann ich einfach wenig anfangen, da T/A einfach mein Lieblingspairing ist.
Ich werde die FF also leider von meiner Favoliste nehmen.
Falls du allerdings irgendwann mal etwas mit Tia und Ashray schreiben solltest würd ich mich freuen, wenn du mir bescheid gibst ^^
Von:  Elenwe
2011-01-06T18:38:13+00:00 06.01.2011 19:38
Ich liebe die Story :3 Schreib bitte schnell weiter. Ich bin gespannt, wie es mit Tia weitergeht und ob sich eine Lösung für das Problem mit dem Heiligen Wasser findet ^.~
Von:  Sereg
2010-11-03T17:40:23+00:00 03.11.2010 18:40
Mhm, solange es stockend voran geht, ist es doch in Ordnung:3
Gar nicht vorangehen wäre viel schlimmer~:3
Ich liebe deine Geschichte bis jetzt total : D
sehr unterhaltsam und spannend:3
Dein Schreibstil ist wirklich toll. Respekt:3

Freu mich schon riesig wenn es wieder weitergeht:3

Liebe viele grüße
Sereg
Von: abgemeldet
2010-08-30T13:42:27+00:00 30.08.2010 15:42
Oh Mann, ich war noch nie so dermaßen unkreativ beim Schreiben eines Kommis, aber ich mag so gern zu jedem Kappi eins schreiben ;__;
*Grad auch ein bissl müde is*
Irgendwie stell ich es mir interessant vor, seine vertraute Umgebung mal mit den Augen eines Fremden zu sehen, bzw sein Leben...
Von: abgemeldet
2010-08-22T20:46:40+00:00 22.08.2010 22:46
Hm, na das ist vielleicht mal eine Idee... bin ja mal gespannt, ob das alles so hinhaut, wie die sich das vorstellen, das klingt alles ein wenig abenteuerlustig XD
Naja, wir werden sehen, ich bin gespannt ^^
Von: abgemeldet
2010-08-21T23:09:26+00:00 22.08.2010 01:09
Achje, Tia ist doof xD. Jetzt hat er noch mehr Stress, weil er versuchen muss, sich an alles zu Erinnern, das ist doch viel anstrengender >.<
Und irgendwie fand ich die Szene lustig, als Tia Keika mit dem Kissen bewiorfen hat XD...
Schade eig, dass das Kapitel so kurz war (fands ehrlich gesagt auch etwas abgehackt), ich mag lange Kapitel eigentlich lieber >.<
Bin aber echtmal gespannt, wie sie das nun bewerkstelligen, dass sie Tias Gedächtnis wieder hinbekommen...
Von: abgemeldet
2010-08-21T23:02:39+00:00 22.08.2010 01:02
Woah, also das klingt ja schonmal interessant... Seine eigenen Erinnerungen auslöschen, was ^^?
Der Gute kommt vielleicht auf (leichtsinnige) Ideen...
Und, darf ich vll hoffen, dass ich diesmal etwas in Tia x Ashray Geschmack komme? *~* (Bittebittebitte xD)
Bin echtmal gespannt <3
LG, Katze
Von:  Miracel
2010-07-02T08:49:54+00:00 02.07.2010 10:49
Jetzt hab ich endlich auch das neue Kapi lesen können und es war wieder schön.

Auch wenn Teiou einfach so aus dem Himmelsturm verschwunden ist, hat er Recht damit, dass er auch nach seinem Regiment sehen muss.Obwohl Keika das ja auch schon macht. (Hach wenn er ihn nicht hätte...) Naja, er hätte ja zumindest jemanden Bescheit geben können. Aber so ist er nun mal. So kennen und lieben wir ihn.
Aber seine derzeitige Aufgabe ist noch wichtiger und ich hoffe, Keika lässt das nicht so einfach durchgehen.

Ui, ein Spanner hat sie gesehen... na, wenn das nicht noch was gibt? Und wie sie Tia gegenüber dass mit Keika und Murju erklären wollen, wird recht interessant werden. Hihi... zumal ich das voll lustig finde, dass sie selbst schon durcheinander kommen und sich dadurch letztendlich immer weiter verraten werden.
Bin schon ganz ungeduldig wie es weiter geht.
Von:  Luinaldawen
2010-06-14T19:50:08+00:00 14.06.2010 21:50
Na hoffentlich macht Teiou das wieder gut. XD
Und es gibt keinen Ärger mit dem Spanner o.o;;;

Da ich die letzten Kapitel nicht kommentiert habe: Hat mir alles wieder super gefallen! >__< Ab jetzt bin ich wieder treuer! *Uni tret*

Bin schon gespannt, was du dir noch alles einfallen lässt. :)
Von: abgemeldet
2010-06-02T21:00:06+00:00 02.06.2010 23:00
ein neues chapi! *jubelndüberbodenkuller* (irgendwie haben zurzeit alle ne kreative pause eingelegt *ascheaufmeinhauptstreu* ...)

wieder ein schönes kapitel. und ich bin sehr gespannt, ob keika teiou seine nachlässigkeit so schnell nachsieht. einfach unmöglich der kerl... *g* wobei ich kein problem damit habe, ihn persönlich zu bestrafen *freu*
und wer ist eigentlich schon wieder dieser spanner?! der traut keika, 'tschuldigung, murju wohl nicht! Verdammt, und auch noch zu recht... *grummel* aber er ist immerhin der einzige, der den laden noch am laufen hält... die machen mich noch alle wahnsinnig...

ich freu mich auf die Fortsetzung!

nur mal am rande: die hasshisen tragen violette gewänder, was man im manga leider schlecht sehen kann, von daher is es eigentlich auch egal...


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