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Little Brother + Big Brother =Chaos

Der ganz normale Wahnsinn!
von

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Verletzte Gefühle

Ein leises Rascheln direkt im Gebüsch hinter ihnen ließ drei einsame Kinder in der Dunkelheit erschrocken nach Luft schnappen und herumfahren.

Marcel hielt vor Spannung seinen Atem an und schaute mit zusammengekniffenen Augen in die schwärze der Nacht.

Je länger er starrte, desto sicherer würde er sich, eine Bewegung zwischen den Blättern wahrzunehmen.

„Da ist was“ zischte plötzlich Fee die neben ihm auf dem Boden saß, und ihre Finger reflexartig um Marcels Arm schloss. „Da ist WAS…. Echt jetzt!“

„Vielleicht eine Katze…“ erwiderte Marcel, als ihm im nächsten Moment auch schon die Kälte durch Mark und Bein fuhr.

Ja, da war nichts weiter, als nur eine streunende Katze - Eine Säbelzahn-feuerspeiende-Dämonenkatze!

Langsam stand er auf und ging mit zitterten Beinen auf die Dunkelheit zu. Scharf zog Marcel die Luft ein, als er bemerkte, wie sich wieder etwas in dem Strauch regte.

„Myaaa!“

Entsetzt Schrie Marcel laut auf und verfluchte innerlich seine Zunge, die mal wieder schneller gewesen war, als sein Gehirn.

Das mit der Dämonenkatze war doch nur ein SCHERZ gewesen! Sein Herz pumpte wie wild Adrenalin durch seine Adern.

Er wirbelte panisch herum und verlor auf dem rutschigen, bemoosten Boden den Halt. Keine zwei Sekunden später landete mit dem Gesicht nach unten auf der Erde und spürte mit Schaudern, wie die Kälte langsam unter seine Klamotten kroch, wo sie sich dann genüsslich auf seine dampfende Haut legte.

Die Blätter teilten sich, und ein Schatten erschien im schwachen Licht der Straßenlaternen.

Dieses Ungetüm kam wie aus dem Nichts, erschien wenige Meter von Marcel entfernt auf dem schmalen, grasüberzogenen Weg. Einen Augenblick verharrte es reglos und starrte nur stumm auf die erschrockenen 3 Kinder.

„Komm da weg!“ rief Connor hinter Marcels Rücken und seine braunen Haare wurden in diesem Augenblick, vom aufziehenden Wind zerzaust. „Uuuuu…!“

Auch Fee müsse ihre beiden Hände energisch in den Schoss drücken, damit die jähe Briese ihren Rock nicht hoch riss.

Unglaublich fasziniert von der düsteren Gestalt beobachtete Marcel das Wesen, das sich allmählich zu ihm runter beugte. Plötzlich blitzen weiße Zähne in den düsteren Schatten hervor; Das Wesen grinste ihn verschlagen an.

„Hi!“

Marcel biss heftig die Zähne zusammen. In diesem Moment, hätte er sich für seinen vermeidlichen Edelmut ohrfeigen können. Dennoch blickte er wieder verstohlen zu dem Schatten und musste sich zwingen, nicht vor Angst los zu brüllen. Er blieb einfach kerzengerade und schweißüberströmt auf der matschigen Erde sitzen, und atmete schwer ein und aus.

„Hi?“, erwiderte Marcel tonlos.

Das Wesen lachte Dunkel auf und seine Karminroten Augen sprachen Bände. Zuerst schien es, als wollte es etwas sagen, aber als es Marcels verstörtes Gesicht sah, ging das Wesen stattdessen in die Hocke.

Marcel erkannte, dass die Augen rasch ihre Farbe wechselten. Aus Rot wurde Blau, und aus schwarzen Schatten formte sich allmählich ein schmaler Körper. Er versuchte die tiefe Panik, die sein Herz immer fester umklammerte, zu ignorieren.

Das Wesen neigte sein Haupt zum Boden; nun saß es komplett auf den Knien im Gras.

Glatte, schwarze Haare teilten sich wie ein Vorhang und zum Vorschein, kam das Gesicht eines jungen Mädchens. Nein, ihr Haar war nicht wirklich tiefschwarz, sondern funkelte im Licht der Straßenlaternen eher wie dunkles Lila. Auch das Gesicht des Mädchens war relativ attraktiv.

Ihre weiße Haut und die großen, mandelförmigen Augen waren eine neue Erfahrung, für jemanden mit Null Übersee Erfahrung wie Marcel. Für ihn sah das Mädchen aus, wie eine kleine, zierliche Puppe im japanischen Alt Stil.

Die weißen, trockenen Lippen bewegten sich langsam.

„Marcel… Sandoje…?“, fragte dieses sondere Mädchen mit leiser Stimme. Sie neigte den Kopf wie ein Kätzchen zur Seite, das sich selbst zum ersten Mal im Spiegel betrachtete.

Marcel kniff einmal kurz seine Augen zusammen und ballte seine Hände zu Fäusten. Wenn er das hier überstehen wollte, musste er sich zusammenreißen und über seinen Schatten bringen!

„Der bin Ich, und wer bist Du!?“ fragte Marcel mit bebender Stimme und versuchte Selbstbewusst zu klingen. Doch das Mädchen schien nicht sehr beeindruckt. Misstrauisch musterte sie ihren Gegenüber Man konnte deutlich erkennen, dass das Mädchen ihm keine Antwort auf seine Frage geben würde. Was angesichts Marcels derzeitiger Verfassung auch kein sonderliches Unding wäre…

Das lilahaarige Mädchen streckte ihre Hand aus, und berührte mit den weißen Fingern leicht Marcels Arm. Sofort überzog eine Gänsehaut seinen Körper und er blickte mit aufgerissenen Augen in die Leere. Doch dann antwortete sie flüsterten:

„Mein Name ist Yu-“

Plötzlich sprangen Connor und Fee gleichzeitig in die Höhe und fuhren mit einem Ruck herum. Lodernder Zorn brannte in ihren Augen und sie durchbohrten das fremde Wesen.

„Finger weg von Marcel!“, rief Connor wütend.

„Und verzieh dich, du hässlicher The Ring- Verschnitt!“, schrie Fee entsetzt.

Beide stürmten mit vollem Tempo auf Marcel zu und rissen ihn unbarmherzig von den schaurigen Mädchen weg.

Mit roher Gewalt zerrten sie ihn zu ihrem Versteck hinter dem Brombeerbusch zurück und Fee glitt geräuschlos neben Marcel zu Boden. Connor stellte sich währenddessen schützend vor seine beiden Freunde und breitete seine dünnen Arme aus.

Verunsichert sah das blasse Mädchen die drei Kinder an. Sie war verwirrt. Von solchen Kindern hatte Scarlet ihr nichts erzählt. Es dauerte einen Moment, bis sie ihre Fassung wieder gefunden hatte und sie in Connors vor Wut verzogenes Gesicht blickte.

„Wer seid ihr beiden?“ fragte sie. „Ich kann sehen, dass ihr ganz normale Sterbliche seid. Warum beschützt ihr diesen Jungen? Er hat seine Seele doch sowieso schon an die Dämonen verloren. Für ihn kommt jede Hilfe zu spät! Tretet zur Seite…“

„Spar dir die Mühe! Ich weiß zwar nicht wovon du kranke Psychotusse da redest, aber Marcel hat ganz sicher an niemanden seine Seele verkauft!“, schrie Connor ihr aus vollem Hals entgegen, „Und selbst wenn es so wäre, wäre mir es egal. Er ist und bleibt mein bester Freund und ich würde ihn jederzeit beschützen! Verkriech dich doch in deinen Brunnen, und komm` nie wieder in diese Welt zurück!“

Wie ihr befohlen drehte sich die Angesprochene herum und für einen kurzen Moment blitzte die kalte Wut in ihren blauen Augen auf. Eine dunkle, rauchartige Aura umgab ihre Silhouette.

Wenn sie einen Wünsch hätte, würde sie diese Kindern gerne Verletzten. Ja, ihnen so richtig weh tun… Aber sie hatte von Scarlet ihre Strikten Befehle erhalten.

>Verletzte während deiner Einsätze niemals absichtlich einen Menschen – führe einfach deinen Auftrag aus, und kehrte dann Heim<

So lautete ihr Oberstes Gebot.

Scarlet Nemesis hatte diese Regel vor langer Zeit ins Leben gerufen. Sie war während der früheren Experimente ihre einzige Hoffnung gewesen. Und auch ihre Rettung. Scarlet hatte sogar die verwahrlosten Humanoid Demon-Schwestern von der Straße aufgelesen und ihren Dasein einen Sinn gegeben. Genau so hatte Scarlet sie selbst an die Hand genommen und ihr eine lebenswerte Zukunft geschenkt…

Wie im Traum drehte sich das Mädchen zu Connor zurück, blickte an ihn vorbei und schaute Marcel in die Augen.

„Ich weiß wer du bist… und ich weiß auch, -wer- deine Brüder sind. Was auch immer ihr versucht; ihr könnt Nemesis nicht aufhalten. Wir werden erst ruhen, wenn jedes Nicht-menschliche Wesen diesen Planten verlassen hat! Und deine Geschwister gehören nun mal auch dazu…“

Dann zog das blasse Mädchen einen kurzen Holzstock aus ihrer Manteltasche und schwang ihn einmal durch die Luft. Es gab einen leichten Knall und eine silberne Rauchwolke schoss aus der Spitze des Stocks empor. Keine 5 Sekunden später waren Connor, Marcel und Fee komplett von Nebel umgeben und sie sahen noch nicht mal mehr ihre eigene Hand vor Augen.

„Komm zu uns rüber Connor! Das sieht gefährlich aus!“ rief Fee unter lautem Husten. Vergeblich.

Connor war starr vor Schreck. Er bewegte sich keinen Zentimeter vom Fleck. Allmählich ging ihm auch noch die Puste aus. Die dicke Rauchwolke versuchte ihn zu ersticken!

Innerlich schlug sich Connor die Hand vor die Stirn, aber sein Körper wollte ihm einfach nicht mehr gehorchten! So, hatte er sich seine Edle Rettung nicht vorgestellt. Nun musste er sich eingestehen, dass es irrsinnig gewesen war, so zu denken.

Stattdessen stand Connor jetzt wie gelähmt hier, und ein dicker Kloss im Hals erschwerte ihm noch zusätzlich das Atmen.

Sein Herz machte einen erschrockenen Sprung, als Connor plötzlich einen Schatten sah, der wenige Meter neben vor ihm stand. Er war verschwommen und kaum wahrzunehmen, aber trotzdem deutlich zu erkennen.

Connor konnte das Wesen nicht direkt sehen, aber er konnte seine Anwesenheit deutlich spürte. Es sah aus wie menschlicher Umriss, der einfach regungslos da stand und ihn anstarrte.

Der weiße Nebel, der alles verschlang was er berührte, enthüllte nur ein funkelndes Augenpaar…

Beide Hände in Fees Klamotten vergraben drückte Marcel seine Freundin tiefer in das Gebüsch rein. Auch ihm saß die Angst im Nacken und kalter Schweiß lief über seinen Rücken.

„Bleib hier!“ zischte er zu ihr und schaute sie eindringlich an. „Ich hole Connor, Mensch!“

Um seiner Wut über das leichtsinnige Verhalten von Connor Luft zu machen, schlug er mit der Faust auf den Boden und sprang dann hoch. Warum musste sich sein bester Freund unbedingt heute als Held aufspielen?!

Bei dieser gefährlichen Situation spannte er sofort unbewusst seinen Körper an.

In Marcels Brust begann es plötzlich zu kribbeln; augenblicklich wurde dem Jungen Schwindelich und er taumelte ein Stück zurück.

Das Fühlte sich gar nicht gut an…

Auch sein Kopf schien von dem eigenartigen Gefühl nicht viel zu halten und er reagierte mit wütenden Pochen und Stichen in der Schläfe.

Marcel hoffte inständig dass er hier vor seinen Freunden nicht so einen komischen Schwächeanfall bekam, die ihn schon die ganzen letzten Tage immer wieder heimsuchten.

Seine Hände begannen nervös zu zittern. Marcel versuchte sich davon abzuhalten seine Emotionen freien Lauf zu lassen und stürzte Blindlinks durch die Nebelwolke, anstatt ohnmächtig in sich zusammen zu brechen.

„Connor!“ brüllte Marcel der Dunkelheit entgegen. Trotz der vielen Angst verspürte er plötzlich einen gewaltigen Adrenalin-kick und ein Energieschub lief seine Muskeln vibrieren. „Connor, wo bist du!?“

Von links nach rechts schweifte sein Blick, um möglicherweise irgendwo einen Anhaltspunkt von Connor ausfindig zumachen. Das fürchterliche, stechende Gefühl, das nun nicht nur in seiner Schläfe, sondern zusätzlich auch noch in seiner Brust saß, lief das Denken erlahmt. Wenn er nicht bald eine Schmerztablette bekam, würde sich Marcel hier und jetzt auf den Boden legen und nie mehr aufstehen.

„Wenn ich diesen Connor gefunden habe, drehe ich ihm persönlich einen Knoten in den Hals!“ beteuerte Marcel, der die Nase gestrichen voll hatte. Dabei streckte er in die Hand aus, sodass er sich langsam im Nebel voran Tasten konnte.

Eben stand Connor doch genau vor dem Gebüsch. Er konnte also gar nicht weit gegangen sein!

Stille kehrte ein.

„Marcel!? Hast du Connor schon gefunden!“ meldete sich Fee aus der Ferne zu Wort.

„Nein noch nicht!“ rief Marcel verblüfft laut zurück, hielt sich jedoch sofort die Hand vor den Mund. Nichts regte sich jedoch im dicken Nebel; von dem Mädchen und mit ihrem Stock fehlte jede Spur.

Mit wild schlagendem Herzen versuchte er, die Umgebung mit zusammengekniffenen Augen zu durchschauen -

„Marcel! Marcel!! MARCEL!“ schrie Fee auf einmal voller Angst.

Marcel keuchte vor Schreck auf und sein Kopf flog zurück. Sein Gesicht wurde heiß und wütend. Eine elektrisierende Spannung durchflutete jeden Teil seines Körpers. Hatte dieses verrückte Mädchen ihr Versteckt erreicht?!

„FEE!“

Panisch bahnte sich Marcel seinen Weg zum Brombeerstrauch zurück und stolperte in seiner wilden hasst über ein paar Steine auf dem Boden. Er kämpfe feste und verbissen um Halt und konnte sich schließlich jedes Mal auffangen. Der Schmerz in seiner Brust war mittlerweile so heftig geworden, dass er dachte, sein Herz müsse jeden Moment platzen.

Es gab einen Knall und einen lauten Schrei hinter Marcel. Aber für ihn hatte dieser Lärm keine Bedeutung mehr; der Schmerzensschrei hinter der unüberwindbaren Nebelwand spielte auch keine weitere Rolle.

Rutschend lief er in Fees Richtung, sprang über weitere Steine hinweg und ein roter Haarschopf tauchte aus dem Nebel auf.

„Marcel, da bist du ja!“, sagte Fee sanft und viel erschöpfter als sonst. Marcel saß, dass sich zu aller Verwirrung ein kleines Lächeln auf ihren Lippen gebildet hatte. Jedoch verstand er nicht, warum. Hinter ihrem Rücken regte sich plötzlich eine helle Gestalt.

Marcels Herz machte einen Satz Richtung Magen, und er blickte ohne zu zögern in die Goldgelben Augen hinauf. Über seinen Rücken liefen ein paar Kälteschauer. Erst jetzt erkannte Marcel, dass es sich bei der weißen Gestalt um Dylan handelte, der Fee seine Hand auf ihre schmale Schulter gelegt hatte. Neben ihm saß Connor auf der Erde und atmete schwer ein und aus. Mit einer Mischung aus unendlicher Erleichterung und Erschöpfung seufzte Marcel laut auf.

„Bist du okay?“ fragte Dylan und war mit zwei großen Schritten bei den blonden Jungen. Innerlich war Dylan der Verzweiflung nahe, doch nach außen hin bewahrte er seine kühle Fassade. „Wer war dieses Mädchen denn jetzt schon wieder und warum hat sie euch angegriffen? Mittlerweile kriege ich gar nichts mehr mit…! Könnt ihr mir sagen, warum ihr immer noch hier seid? Habe ich euch nicht gesagt, das ihr vom Museum verschwinden sollt?“

Erst ertönte nur ein seufzten. „Du hast nicht gesagt, dass wir Nachhause gehen sollen.“, kam es schließlich aus Marcels Mund. „Und du hast gesagt, dass du nach kommst, sobald du mit diesem Feuermädchen fertig bist. Wir haben hier die ganze Zeit auf dich gewartet, aber du hast dich nicht blicken lassen! Ich dachte schon, sie hätte dich zu Kohle verbrannt.“

Ungefähr eine Nanosekunde später nachdem Marcel seine Meinung kund getan hatte, fiel er kraftlos auf die Knie und krümmte sich auf dem Boden. Kaum lag er, schon zogen sich die Muskeln in seiner Brust unangenehm zusammen und verkrampften. Marcel umfasste seinen Bauch mit den Armen und kugelte sich zusammen.

„Mir ist so schwindelig…“, verkündete Marcel und schaute mit schreckensweiten Augen zu seinen Freunden hoch. Und dabei war in den letzten Minuten kaum was Interessantes passiert; seine Umgebung fing an, sich um ihn zu drehen. Langsam glaubte er, sich einen Virus eingefangen zu haben. Dieses Energiegefühl in seinem Inneren kannte er bereits, aber mit dieser Übelkeit kämpfte er erst seit wenigen Momenten. Er wusste nur eines, sie würde ihn irgendwann in den Wahnsinn treiben!
 

Marcel fühlte sich benommen und schwer. Er konnte mich nicht konzentrieren und bekam pochende Kopfschmerzen. Er fühlte sich fiebrig und als er seinen Kopf ein Stückchen bewegte wurde Marcel augenblicklich wieder schwindelig und kleine schwarze Punkt flimmerten vor seinen Augen auf…
 

Nach gefühlten 10 Minuten öffnete Marcel seine Augen einen Spaltbreit und blickte in den düsteren Himmel.

Es war kalt geworden, und seine Hände und Füße kribbelten unangenehm. Er musste sich unbedingt bewegen, damit er nicht fror und sich vielleicht eine Erkältung holte.

Vorsichtig zog Marcel die Beine näher zum Körper und ein leichter Schmerz zuckte durch seine Brust. Langsam fuhr er sich durch sein langes, blondes Haar welches von dem vielen hin und her walzten der letzten Minuten, völlig zerzaust war. Seine Finger berührten plötzlich einen warmen widerstanden.

Marcel zuckte heftig, schrie vor Angst laut auf und rollte sich blitzschnell zusammen. Sein Herz schlug mit Höchstleistungen schmerzhaft gegen seine Brust. Seine Augen tränten vor Schmerz und eine traurig wirkende Linie, verzerrte seinen vollen Mund.

„Keine Angst.“, drang plötzlich eine sanfte, wohlklingende Stimme zu seinen Ohren hervor. „Du bist in Sicherheit.“

Ehe er sich versaß, drehte sich Marcels Kopf von Alleine zu der Stimme, wo ihn auch schon ein vertrautes, goldenes Augenpaar erwartet.

Ein leises Seufzen entwich Marcel, als er sich bewusst wurde, wer ihn da so liebevoll anschaute.

Dylan. Wer sonst. Niemand anderes konnte Marcel mit einem bloßen Blick so verzaubern, wie der Albino es grade tat. Er lag mit dem Rücken auf der Erde, und Dylan kniete neben Marcels Kopf.

Marcels Blick wanderte wieder nach unten. Dylans Oberteil war von dem Kampf mit Lucy zerrissen, und offenbarte einen Teil seiner hellen Haut. Bei diesem Anblick zog sich sein Margen unweigerlich zusammen. Schmerzlich wurde ihm ins Gedächtnis gerufen, um was es sich bei seiner Entdeckung handelte.

Verbrennungen.

Fast schon mitleidig betrachtete Marcel die handgroßen Brandwunden, die Dylans Körper von den Schultern an, bis zu den schmalen Beckenknochen zeichneten. Die einzelnen Rippenknochen, die er erkennen könnte, stachen hervor und bohrten sich deutlich durch das helle Fleisch des Jungen. Marcel wurde sich bewusst, in was für einen elenden Zustand sich Dylan befand. Ihm war ja schon früher in der Schule aufgefallen, das Dylan von Mal zu Mal immer Mager wurde und jeden Tag schlechter aussah. Doch so zerbrechlich wie heute, hatte Marcel Dylan noch nie gesehen…!

Connor und Fee saßen im Halbkreis um Marcel ebenfalls auf ihren Füßen und waren sichtlich geplättet, von so viel Vertrautheit zwischen den beiden Jungen. Ihre stillen Fragen blieben unerhört und sie warfen sich des Öfteren verstohlene Blicke zu. Ein seltener Anblick, wie Marcel fand. Sonst würde sich Connor doch niemals freiwillig in Dylans Gegenwart aufhalten.

Ein selbstbewusstes Grinsen erschien für einen kurzen Moment auf Dylans Elfenhaften Gesicht, aber er schüttelte langsam, beinahe reuevoll ab.

„Du starrst mich schon wieder mit diesen sonderbaren Blick an.“, kicherte er verhalten und seine Finger streichelten über Marcels Stirn.

Als Dylan in seine blauen Augen blickte, begann auch Marcels Lächeln größer und kräftiger zu werden.

„Sorry, aber ich kann nichts anderes. Ich bin einfach wahnsinnig froh, dich zu sehen…“

Sichtlich überrascht über seine eigene, und wohlgemerkt ehrliche Aussage, blieb Marcel für einen kurzen Augenblick das Herz stehen. „Wenn ich unmoralische Scheiße rede, kommt das nur vom Schock okay? Nimm dir das also nicht so zu Herzen.“

„Schon klar. Wie geht es dir denn? Du bist auf einmal ohnmächtig geworden und hast wie wild gezittert?“ erkundigte sich Dylan mit sanfter Stimme und prüfenden Blick. Sein Gesichtsausdruck signalisierte Marcel sofort, dass sich sein weißhaariger Freund Sorgen machte.

„ Ich glaube, ich habe mir einen Virus oder so was eingefangen. Die ganzen letzten Tage ging es mir schon so schlecht. Aber es ist alles in Ordnung, wirklich. Ich werde schon wieder Gesund. Wenn ich nachher zuhause bin, lasse ich mir von Kiley ein paar Tabletten geben und dann bin ich am Montag wieder auf den Beinen!“ versuchte Marcel die Situation zu entschärfen, als er sich aufrichtete und Dylan verlegen anschaute. Doch er wusste genau, dass dies eine Lüge war, mit der er Dylan die Sorgen nicht nehmen konnte.

Dafür kannten sich die beiden mittlerweile zu gut. Nein. Diese Lüge würde Dylan ihn sogar Übel nehmen; seine goldenen Katzenaugen funkelten ärgerlich und färbten sich ein wenig Orange.

Ein ungewohnter Schauer durchzog Marcel, als er schließlich denn Gemütszustand des Albinos bemerkte.

„Ähm… Dylan?“

„Ja? Okay Marcel… Das heute Abend war ein bisschen viel für euch, hmm? Ihr habt sicher viele Fragen auf den Herzen. Doch leider kann ich euch keine Antworten geben: ich weiß auch nichts Genaues und will auch keine Lügengeschichten in die Welt setzten.“ Dylan richtete sich auf und blickte in die kleine Runde. „Ich werde euch nach nachhause begleiten. Man kann ja nie wissen, was sich noch so Alles in der Dunkelheit verbirgt.“
 

Nach circa einer Stunde erreichten Marcel und Dylan schließlich das letzte Haus auf ihrer Route. Das Anwesen der Sandjoés.

Die Stimmung war gut, das Verhalten der beiden Freunde entspannt. Selbst Marcel lachte und machte Späßchen über den gemeinsamen Abend.

Ein verblüfftes Geräusch entwich Dylan als er auf der ersten Treppenstufe stand und grade an die Haustüre klopfen wollte.

„Nanu?“, meinte er überrascht. „Ihr habt ja eine neue Eingangstüre bekommen. Die sieht ja echt ungewöhnlich aus… Ist das etwa eine Feuerfeste-Schutztüre?“

Marcel blickte betreten zu Boden. Während seiner Abwesenheit mussten Daimon eine neue Türe eingebaut haben, und er wusste nicht, wie er das erklären sollte.

Nun lastete Dylans ganze Aufmerksamkeit auf ihn. Im Mittelpunkt zu stehen lag ihm noch nie, und jetzt, in dieser verzwickten Situation schon mal gar nicht.

„Es gab… ein paar Zwischenfälle, Dylan. Jemand fremdes, hat sich auf unser Grundstück geschlichen und einen guten Freund von mir, und meinen Geschwister schwer verletzt. Vorgestern kam der Täter dann zurück und wollte Kiley auch an die Gurgel gehen.

Glücklicherweise ist mein Bruder mit einem blauen Auge davon gekommen. Aber während des Überfalls hat der Täter die Türe und einen Großteil der Diele zerstört. Ich bin mir nicht zu 100 % sicher, aber ich könnte fast das schwören, das es dieses Feuer-Mädchen aus dem Museum war.“

„Du meinst Lucy!?“ fragte Dylan mit einer geradezu emotionslosen Miene.

„Du kennst sie?“ hakte Marcel erschrocken nach.

„Nein… ja… Nicht wirklich. Also Marcel. Ich weiß nicht genau wie ich es erklären soll, aber du bist nicht der einzige bei dem es in letzter Zeit, mehrere Zwischenfälle gab. Mir sind auch allerhand Sachen passiert. Diese Lucy ist kein normaler Mensch, und sie ist auch kein herkömmlicher Dämon…“ Vorsichtig und noch sehr unsicher erzählte Dylan von seinen Erlebnisse der letzten Wochen.

Marcel traute seinen Ohren nicht. Er öffnete den Mund und hörte mit größtem Interesse und einer gehörigen Portion Fassungslosigkeit zu.

„Und da ich grade hier bin… wollte ich fragen… ob es okay wäre… wenn ich diese Nacht bei euch bleiben könnte?“ Dylan rieb sich verlegen den Arm. „Wegen der Sache die ich dir grade erzählt habe, gab es zwischen mir und Mephisto einen Streit der heftigeren Sorte. Seitdem gehen wir uns gekonnt aus dem Weg. Aus Angst dass er sich einmischen könnte und ihm womöglich etwas zustößt, habe ich Mephisto nichts von den Drohbriefen und von dem Kampf mit Lucy erzählt. Ich habe ihn nicht nur angelogen, sondern mich vorsichtshalber von Mephisto zurück gezogen. Aber seit zwei Tagen ist er besonders schlecht drauf, und wenn ich mir auch nur einen weiteren Patzer erlaube, sieht es für mich echt schlecht aus…“

Doch Marcel war feinfühlig genug um den unsicheren Blick seines Freundes richtig zu deuten und begann verständnisvoll zu lächeln. „Natürlich Dylan, schon gut… Du kannst gerne bei uns übernachten. Aber vorher muss ich die Zwillinge um Erlaubnis fragen. Schließlich haben sie im Moment das Sagen in diesem Haus.“ Plötzlich bildete sich jedoch ein ernster Ausdruck auf Marcels Gesicht. Er richtete sich zu voller Größe auf, und blickte streng zu Dylan hoch, der Augen so groß wie Untertassen machte.

„Dennoch kann ich Mephistos Reaktion nach voll ziehen. Ich habe ihn vor ein paar Tagen in der Stadt getroffen und er hat mir sein Herz ausgeschüttet. Er macht sich doch nur sorgen um dich, Dylan, und er hat bemerkt dass du ihm etwas verheimlichst. Wenn ich einen Sohn hätte, und er würde mir seine Probleme nicht anvertrauen, wäre ich ihm genauso Böse. Ich weiß, dass sich das sehr nach einer moralpredig anhört, aber ich habe für Mephisto - und jetzt sage ich mal bewusst, deinen Vater - Verständnis. “

Marcels Worte schienen sich in Dylans Gedächtnis einzubrennen, denn ausnahmsweise widersprach er nicht, und die Bestürzung war ihm an zusehen.

„Ich… wollte ihn doch nur beschützen.“, versuchte sich Dylan zu erklären, doch er hatte Schwierigkeiten die passenden Argumente zu finden, um seine Reaktion zu rechtfertigen. „Das Mephisto sich Sorgen macht, war wirklich das letzte was ich mit meiner Aktion erreichen wollte.“

„Möchtest du trotzdem hier bleiben?“ erkundigte Marcel sachte.

„Unbedingt! Auch wenn ich mich bei ihm entschuldige, ist es purer Wahnsinn ihn aus seinen Träumen zu reißen! Ich werde Morgen mit Mephisto reden.“
 

Marcel, welcher seine Gedanken zuerst geordnet hatte, hob die Hand und klopfte laut gegen die neue Stahltüre.

Es dauerte einen Moment, bist sich etwas im Haus regte. Für einen kurzen Moment, überlegte Marcel noch einmal zu klopfen, doch dann ging in der zweiten Etage plötzlich das Licht an und jemand kam trampelt die Treppe runter. Ein leisen Klicken ertönte von drinnen und ein Stahlriegel wich quietschend zur Seite. Letztlich öffnete sich die Türe rückartig und ein prüfender aber zugleich auch misstrauischer Blick, traf die beiden Jungen im Eingangsbereich.

„Na Hallo, wenn haben wir denn da? So spät noch unterwegs, Jungs?“ fragte Daimon relativ kaltschnäuzig in ihre Richtung. Ein eisiger Ausdruck machte sich auf seinem hübschen Gesicht breit. „Marcel, ich dachte du wolltest bei Connor pennen. Warum schleppst du jetzt diesen unterbelichteten Albino bei uns an?“

Marcel ballte die Hände zu Fäusten, als er Daimons gehässige Worte vernahm. Zugleich stieg Hitze in ihm auf, und beschämt richtete er die Augen auf den Boden.

Das hatte Dylan nicht verdient!

„Kann er heute bei uns übernachten, es ist dringend- “

„Das kommt gar nicht in Frage!“ unterbrach ihn Daimon unfreundlich. Völlig perplex von solch einer gereizten Reaktion, hielt Marcel kurzzeitig die Luft an.

„Das ist mir doch egal wo der Bengel pennt!“ fuhr der Rotschopf in seiner wütenden Tonlage fort. „Wir sind doch kein Kinderheim, das jeden Landstreicher aufnimmt. Soll er sich doch eine Brücken suchen, oder einen Zeitungskarton wenn er ein Dach über den Kopf haben will. Hauptsache er verpisst sich von hier. Mir kommt dein Freundchen jedenfalls nichts ins Haus! Nein Marcel. Da stelle ich mich Quer!“

„Aber Daimon…!“ rief Marcel erschrocken. Er verzog schmerzhaft sein Gesicht. So verdammt ignorant, konnte doch nicht mal ein Dämon sein…!

„Nichts, aber Daimon! Ich habe mich klar und deutlich ausgedrückt. Die Antwortet lautet, NEIN!“

„Wir können ihn doch nicht einfach hier draußen stehen lassen! Er erfriert doch noch…“

„Damit hast du vielleicht Recht – aber das interessiert mich nicht! In unserer Stadt gibt es genug Auffangmöglichkeiten für Ausreißer. Darum müssen wir uns nicht auch noch kümmern! Wo sind wir denn hier?!“

Ein kalter Luftzug streichelte über Marcels Rücken und die kleinen Härchen auf seinem Arm stellten sich auf. Um ihn herum wurde es still. Die Stimme seinen Bruders schien von Sekunde zu Sekunde leiser zu werden.

„Schon gut, Marcel. Ich werde mir für diese Nacht eine andere Unterkunft suchen.“, sagte Dylan plötzlich und lächelte ihn unsicher an. Doch Marcel schüttelte eilig den Kopf und versuchte dabei überzeugend zu wirken. „Wenn du gehst, gehe ich mit!“

Ungläubig über das Gehörte starrte ihn Dylan an. Für einen Moment war der Albino erschreckend blass geworden. „Nein Marcel, du bleibst hier! Ich komme schon alleine klar!“

„Ich bleibe nicht hier! Ich lass dich nicht alleine auf der Straße. Du bist mein Freunde und ich werde dir nicht in den Rücken fallen.“

Schließlich konnte und wollte Daimon sich nicht mehr zurückhalten, machte einen Schritt nach vorne und packte Marcel am Kragen seines Pullovers.

Dieser sah ihn allerdings völlig unbeeindruckt an als er den Kopf hob, und seinem Bruder direkt in die Augen sah. Daimon kochte regelrecht vor Wut, doch das konnte Marcel auch nicht von seinem Vorhaben abbringen.

„Du hast sie ja wohl nicht mehr alle! Ist dir eigentlich bewusst, was dir dieser Kerl antun könnte!?“ fauchte Daimon ihn an und verstärkte den Griff am Hals des Blonden. „Einen scheiß werde ich dir erlauben. Was soll diese lächerliche Aktion eigentlich? Du kannst doch nicht mit diesen wildfremden Affen abhauen. Du bleibst hier bei mir, und dein Kumpel zieht leine! Ansonsten lernt er mich kennen!“

Weiter kam Daimon nicht: er spürte einen stechenden Schmerz an der Innenseite seiner Beine und wie er das Gleichgewicht verlor. Schnell machte Dylan einen Satz nach vorne, wischte Daimons Hand beiseite und packte Marcel energisch an den Armen. Mit einem schnellen Ruck zog er ihn mindestens einen Meter von Daimon weg.

„Mit mir kannst du machen was du willst, aber an Marcel vergreifst du dich nicht!“ zischte Dylan leise und wütend, als sein Blick denn, des Älteren kreuzte.

„Was erlaubst du dir eigentlich!?“, entgegnete Daimon zornig. „Er ist mein Bruder und ich kann machen was ich will! Du kleines Miststück hast dich da nicht einzumischen!“

Angestachelt von Dylans überraschender Aktion stürmte Daimon auf den geschwächten Albino zu, und beförderte ihn mit einem gezielten Karateschlag zu Boden. Innerhalb von einer Viertelsekunde packte er seinen Arm und drehte diesen Geschickt in die richtige Position, um den Kleinen zu fixieren.

Dylan keuchte vor Schmerz auf und biss zischten die Zähne zusammen. Daimon nutzte den kurzen Moment der Ablenkung und verstärkte den Druck auf seinen Hebelgriff nur noch mehr.

„Auf hören!“, schrie Marcel seinen Bruder schließlich an. „Du brichst ihm den Arm, Daimon! Lass ihn sofort los! Sofort!“

Daimon zögere kurz, und drehte sich dann zu Marcel um. Ein fataler Fehler.

Hinter ihm rumpelte es plötzlich, und das Geräusch vom zerbrechenden Metall durch brach die stille Nacht.

Aus dem Augenwinkel heraus, sah er gerade noch einen Gegenstand in atemberaubender Geschwindigkeit auf sich zu fliegen. Instinktiv drückte Daimon seinen Rücken durch und duckte sich. Und das keinen Moment zu früh.

Das Geschoss saust nur knapp an seinem Kopf vorbei, er konnte sogar den scharfen Luftzug an der Wange spüren. Der Gegenstand schlug unter Lauten scheppern hinter Daimon ein, und bohrte sich mit beängstigender Kraft in den Boden.

Erst als er ausatmete, begriff Daimon, was er dabei für ein Glück gehabt hatte. Bei dem Wurfgeschoß handelte es sich um eine zirka, einen Meter lange Stange, aus puren Eisen.

Sie sah aus, wie ein Teil aus ihren Gartenzaun, der an sich dick genug war, um jemanden mühelos den Schädel ein zuschlagen.

Erschrocken blickte Daimon nach unten und Dylan gab ein wütendes knurren von sich.

„Ich wünschte, ich hätte dich getroffen!“ flüsterte der Albino leise während sich ein herausforderndes Grinsen auf seinem Gesicht bildete. Ächzend stemmte er sich gegen den Griff.

„Das hast du getan?!“ fragte Daimon und seine Hände verkrampfen leicht.

Der nächste Angriff überraschte ihn. Schnell stieß er Dylan von sich und drehte sich um die eigene Achse. Aber zu spät! Die Metallstange war bereits in die Luft hoch geflogen und sauste auf ihn zu. Daimon versuchte das Geschoss von sich wegzustoßen, verlor aber sein Gleichwicht und fiel taumelten auf den Boden. Noch während er fiel, war Dylan bei ihm. Er zuckte zusammen und gab einen schrillen Laut von sich. Dylans Gesicht war verzerrte vor Wut; weiße Reißzähne blitzen im Mondlicht und erwischten Daimons ausgestreckten Arm.

Das sind keine menschlichen Zähne, dachte Daimon geistesgegenwärtig und der Schmerz ließ seinen Atem stocken, Sie sind furchtbar spitz und messerscharf. Wie Zähne eines Raubtieres!

Mühsam schnappte Dylan nach Luft. Blut lief aus seinem Mund und fiel tropfend auf die Erde, wo es rote Kreise ins Glas malte. Seine roten Augen waren starr und hasserfüllt auf Daimons Gesicht gerichtet.

„Dylan…?“ Es war Marcel, der die Stille durchbrach. Es klang ängstlich, verunsichert und fragend.

Der angesprochene hielt inne. Der Biss lockerte sich ein wenig.

Das war Daimons Chance. Eine andere würde er diese Nacht nicht bekommen, und er war entschlossen, sie zu nutzen!

Er ließ seine langen, schwarzen Krallen aufblitzen und schlug mit aller Kraft zu. Dylans Gesicht flog zur Seite. Seine weiße Haut riss unter dem scharfen Hieb auf, und ein roter Blutstrahl schoss empor. Daimon hatte nicht nur seine Haut zerfetzt, sondern auch seinen Kopf einen brutalen Schlag verpasst! Es gab ein hässliches, knirschendes Geräusch.

Der schmale Albino wimmerte leise und wich stöhnend zurück. Eingeschüchtert krampfte sich sein Körper zusammen.

Die Augen seines Peinigers verengten sich Bedrohlich.

Jeder Wimpernschlag tat weh, aber der Schmerz machte ihm glücklich, weil er Dylan zeigte, dass er noch lebte. Einem normalen Menschen hätte die Wucht dieser Ohrfeige, zweifelsohne das Genick gebrochen.

„Gibst du auf…?“ fragte Daimon mit eisiger Stimme. Aufmerksam beobachtete er wie Dylan zögerlicher den Blick hob und in seine Augen sah.

Dylan antworte nicht sofort. Er versuchte, mit aller Kraft nicht seine Fassung zu verlieren. Noch bevor er sich von dem letzten Treffer erholt hatte, packte Daimon seine Haare und zwang seinen Kopf erbarmungslos in die Nacken.

„Einen Scheiß werde ich tun…!“ schrie der Albino ihm entgegen. „Gegen einen Schläger wie dich, werde ich ganz sicher nicht verlieren!“

Abermals brüllte Dylan auf. Seine Tränen konnte er vor Schmerz und Wut kaum noch zurück halten.

Ohne auf Daimons weiteres Handeln zu achten, rammte Dylan seine Fuß in die Erde und die Steine im Boden explodierten unter seinem Gewicht, wie eine Landmiene. Eine große Menge an Kies wirbelte in alle Himmelrichtungen davon, aber beim genaueren Hinsehen entpuppte sich der harmlos erscheinende Steinwirbel, als gefährliche Waffe.
 

Daimon reagierte schnell und verdeckte sein Gesicht mit den Armen.

Die Reaktion kam keine Sekunde zu spät.

An seinen Ohren hörte er das heulen des Windes und im nächsten Moment erfasste ihn der Wirbelsturm. Sogleich schlugen ein dutzend Steine, in allen erdenklichen Größen und Formen auf seinen Körper ein. Der Sturm hielt ihn eine Zeitlang gefangen und zwang denn muskulösen Rotschopf beinahe in die Knie. Nur mit Mühe konnte er sich auf den Beinen halten. Daimon kannte seinen Körper und er wusste, wie viel dieser aushalten konnte, wenn es von ihm verlangt wurde…

Langsam legte sich der Wind wieder. Die spitzen Geschosse fielen so sanft zu Boden, als ob nichts geschehen wäre.

Man konnte das Blut in Daimons Adern vor Aufregung pulsieren sehen, doch sonst, war ihm nichts geschehen. Von der Attacke hatte er keine Verletzungen davon getragen. Die spitzen Steine hatten noch nicht mal einen einzigen Schnitt, auf seiner Haut hinterlassen. Daimon grinste Siegessicher.

„Wäre ich nicht ein Stone Face, sehe ich nun aus wie ein Schweizerkäse.“

Daimon richtete sich zu voller große auf, und klopfte sich lässig den Staub von den Klamotten.

„So, und jetzt bin ich dran …!“

Die Dunkelheit legte sich wie ein schützender Schleier über Daimons Augen. Das dreckige Grinsen war bereits seit einigen Sekunden wieder von seinen Lippen verschwunden.

Ein seltsames brennen breitete sich auf seine Haut aus und seine Muskeln zuckten vor Adrenalin. Langsam, begann sich der rothaarige Junge in seine Wahre Gestalt zu verwandeln…
 

Schweißperlen brannten in Dylans Augen und er machte einen vorsichtigen Schritt nachhinten. Wie alle anderen Wesen, die jemals ein Stone Face gesehen hatten, konnte er ihr skurriles Außensehen kaum in Worte fassen.

Das rötliche flackern das Daimon Umgab klang wie das Wispern einer weit entfernten Menschenmenge; ein aufgeregtes Flüstern, Zischeln und Raunen, das einem eine Gänsehaut bescherte.

Dylan rieb über seine schmerzende, angeschwollene Wange und stellte mit Schrecken fest, das sich seine Haut dort, wo Daimons Ohrfeige ihn getroffen hatte, warm und uneben anfühlte. Die Panik, die ihn erfasste, als er die offene, nasse Stelle berührte, ließ ihn aufstöhnen. Das urplötzlich auftretende Gefühl von völliger Hilflosigkeit war für ihn kaum auszuhalten. Es war das erste Mal seit langem, das er sich einem Gegner so ausgeliefert fühlte.

Keine Angriffe.

Keine Bewegungen.

Nicht einmal atmen.

Mit dem Boden verschmelzen und am besten gar nicht hier sein. Dylan wünschte sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als Letzteres.

Der Dämon, denn er nicht beschreiben vermochte, war näher zu ihm heran getreten.

Dylan konnte dank seiner guten Augen, die mächtige Gestalt des Wesens allmählich erkennen. Sie hatte in ihrer Anatomie eine unverkennbare Ähnlichkeit mit den Gliedern eines Menschen, jedoch war sie mit einer steingrauen, von schwarzen Flecken übersäter Haut, bedeckt.

Das Gebiss trug Zähne, die eines Tyrannosaurus Rex ebenbürtig waren. Anstatt einer Nase klafften in dem Schädel an dieser Stelle lediglich zwei sichelförmige Löcher. So wie die Beine, war auch der Rest des Körpers dem eines Menschen ähnlich, wenn auch fast doppelt so groß und wohl zweihundert Kilo schwerer. Die Arme waren genauso kräftig und endeten in riesigen, säbelartigen Klauenhänden, vor denen Dylan schon jetzt beim bloßen betrachten, Panik bekam. Die Flügel der Urzeitbestie waren um ein vielfaches länger als der Rumpf und mit einer schwarzen Lederhaut überzogen, an deren Ende sich lange, Fingerartige Krallenvorsätze zu einer rasiermesserscharfen Klingenmauer an einander reihten.

Der riesige Drachendämon schüttelte seinen Leib und kleine rote Funken spürten aus seinem Maul hervor.

„Was hast du denn, Kleiner?“ fragte das Stone Face mit harter Stimme, die Daimons seiner kaum noch ähnelte. „Hast du noch nie einen unser Art gegenüber gestanden?“

Dylan fühlte, wie ihm der kalte Angstschweiß ausbrach. „Ehrlich gesagt, nein. Und ich bin überrascht, wie hässlich ihr doch seid. Keiner Wunder, das ihr Stone Face euch in Felsvorsprüngen und Berghöhlen verstecken müsste! Mit solch einem Aussehen, könnte ihr euch doch nicht auf die Straße wagen.“

Mephisto hatte ihm nur wenig über die Stone Face erzählt.

Dylan wusste nur, dass jene dämonenischen Wesen der Legende nach, vor Jahrhunderten in den rumänischen Gebirgen und Wäldern lebten. Zu dieser Zeit, standen noch keine Menschen auf ihren Speiseplan, und sie ernährten sich von den Tieren in ihrer Umgebung. An Menschfleisch fanden sie erst später gefallen.

Zu Beginn hatten die Völker in den Stone Face lediglich eine Gruppe wilder Wölfe vermutet, und manchen mutigen Soldaten angeheuert, um das vermeintliche Rudel zu stellen, das regelmäßig ihre Kühe und Ziegen verschleppte.

Doch die Männer kehrten nie in die Städte zurück. Stattdessen fanden die Jäger und Bauern immer wieder Tode Tiere, auf ihrer Suche nach den Verschollenen.

Zwei Monate ging es so weiter. Nichts änderte sich an der Situation. Und der Frust der Menschen stieg.

Ein bis zwei Mal die Woche wurden verschiedene Tierkadaver auf den Feldern gefunden, und weiter nichts. Darunter diesmal auch Füchse, Rehe, Wildschweine, Hasen, Eulen, Katzen, Hunde und… Wölfe.

Zuerst dachte das Volk, dass die Söldner sich das Geld bloß eingesteckt hatten, und über die Grenze im Norden geflohen waren. So sahen sich die Menschen gezwungen, immer mehr Jäger in die Wälder zu schicken.

Langsam machte sich Unmut unter den Menschen breit. Sie wussten, dass ohne ihre Nutztiere nicht genügend Nahrung zu Verfügung stand. Denn kommenden Winter würden sie, so, nicht überleben…

Erst wochenspäter, eher zufällig, wurden sie zermahlten Knochen der Soldaten von einem Wander in den Felsvorsprüngen der Berge gefunden. Eine unheimliche Decke des Schreckens legte sich über die Menschen und langsam begriffen sie, dass sie zur Jagdbeute eines unbekannten Gegners geworden war…
 

„Wer sagt denn, dass wir auf die Straße wollen.“ knurrte Daimon und berührte den Boden sanft mit seinen Krallen. Dort, wo sein Blut vorhin eine kleine Pütze gebildet hatte, erschienen das Gras jetzt grüner und die Blumen schöner. „Wenn wir Jagen, tun wir das nur im Dunkeln. Aber im Moment ist das unwichtig. Lenkst du mich ab, weil du Angst hast?“ Das Stone Face legte sachte seinen Kopf zur Seite. „Wird das Verlangen zu schreien nicht fast übermächtig? Ich sehe, dass die Angst deinen Körper bis in die letzte Faser lähmt. Selbst wenn du wolltest, würdest du in diesem Zustand keinen Schritt weit fliehen können. Gib auf Kleiner, das hier hat keinen Sinn für dich… Ich werde dich umbringen, bevor du überhaupt auch nur an Gegenangriff denken kannst.“

Daimon grinste Dylan selbstbewusste an. Mit diesem Grinsen hätte er ihn davon überzeugen können, dass es das Beste wäre, kopfüber von einem Hochhausdach zu springen. Aber nicht davon, auf zugeben.

„Du Großkotz! Ich werde dir schon zeigen, was ich…- “

Aber bevor Dylan den Satz zu Ende bringen konnte, schoss ihm die Faust des Stone Faces ins Gesicht. Sein Blickfeld zog sich zusammen, Dylans Augenlicht begann bedrohlich zu flackern. Er stand kurz davor, die Besinnung zu verlieren.

Daimon machte erneut einen Schritt auf ihn zu, packte ihn am Kopf und zog ihn näher an sich ran.

„Ich will dich nie mehr auf diesem Grundstück sehen, du Pisser! Wenn die Engelchen aufhören zu singen, kannst du dich davon schleppen!“

Dann rammte Daimon ihm das Knie in die Magengrube und als er sich vor Schmerz krümmte, auch nochmal ins Gesicht.

Die Klauenhand öffnete sich wieder, gab Dylans Haar frei; Wie ein nasser Sandsack klappte der Albino schließlich zusammen und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem harten Boden.
 

„NEIN!“ meldete sich Marcel aus dem Hintergrund zu Wort. Die Realität vor seinen Augen wurde durch heiße Tränen verwischt, und er schlunzte mit trockener Kehle.

Daimon drehte sich um und kam langsam auf ihn zu. Kurz sah Marcel in seine glühenden Augen, und verlor sich in ihren Innern. Dann spürte er, wie der übermächtige Dämon die Hand auf seinen Kopf presste. Daimon sagte kühl:

„Keine Sorge. Ich habe ihn nicht umgebracht. Er ist nur Bewusstlos. In ein paar Stunden wird dein Freund aufwachen, und das Weite suchen.“

Klick. Damit schaltete sich Marcels Verstand wieder ein. Und mit ihm, seinen Zorn. Ihre Blicke trafen sich, und das innere Feuer erreichte einen neuen Siedepunkt.

„Warum hast du ihn so verletzt?!“ fuhr Marcel seinen Bruder wutentbrannt an. „Er ist doch noch ein Kind! Und er ist mein Freund. Außerdem hat er mich heute Abend schon zweimal gerettet. Das ist nicht Fair, Daimon. Du kannst ihn nicht SO hier draußen liegen lassen. Wir müssen ihn verarzten…!“ Unsanft befreite er sich aus Daimons Griff und drückte sich an ihm vorbei. Er warf einen Blick auf Dylan und seine Beine verselbständigen sich.

„Du bist echt das Letzte…! Ich hätte nie gedacht, dass du so tief sinken kannst, Daimon!“

Der Angesprochene zuckte zusammen. Die Haustüre ging zum zweiten Mal auf und traf ihn mit voller Wucht ins Kreuz.

Nun ähnelte Daimon unweigerlich einem kleinen Kind welches sich vor dem Monster in seinem Schrank verstecken wollte. Eine kalte Brise, strich über seine graue Haut, worauf sich zeitgleich eine deutlich sichtbare Gänsehaut bildete. Leise Schritte, kaum hörbar, ließen ihm das Blut in den Adern gefrieren…

„Geh mir aus dem Weg, du Spatzenhirn!“ brüllte Kiley sauer, und schubste Daimon ohne Vorwarnung von der Treppenstufe, runter in den Dreck. „Kaum habe ich mich für 15 Minuten hingelegt, schon prügelst du ein Kind halb Tod!“

Zügig ging Kim zu Marcel rüber und schob den Blonden unwirsch zur Seite.

„Und du nervst mich an besten auch nicht!“ fauchte er ihn warnend an.

Langsam beugte er sich über Dylan und drehte den schwer verwundeten Jungen auf den Rücken, um sich ein Bild von den Verletzungen zumachen. Zuerst fiel Kim die große Platzwunde in seinem Gesicht auf, dann die unzähligen Verbrennungen am ganzen Körper. Auf Dylans blasser Haut konnte man jede noch so kleine Unebenheit aufs Genauste erkennen.

Ein Seufzen entfloh Kiley.

Er wendete enttäuscht seinen Blick ab, und richtete diesen stattdessen auf Marcel, welcher zitternd neben ihm kauerte.

„Hat Daimon das getan?“ erkundigte sich Kim leise. Verdutzt stellte er fest, dass Marcel sanft seinen Kopf schüttelte.

„Nicht alleine. Dylan hat mich, Fee und Connor vor einem Nemesis-Mitglied gerettet. Wir sind in Thirsks Naturkundemuseum eingebrochen. Vor wenigen Tagen hatte Connor dort ein sonderbares Geistermädchen gesehen.“ Marcel zuckte kurz zusammen, als er sah, wie sich Kileys Augen zu schlangenhaften schlitzen verengten. “Tut mir leid gewesen… Aber dabei haben wir das Mädchen auf frischer Tat ertappt! Sie wollte einen Zauberstein Klauen, erfuhr ich später. Sie griff uns an, und hätte uns wahrscheinlich auch zu Kohle verbrannt, wenn Dylan nicht eingegriffen hätte. Er hat uns Beschützt, Kiley! Nemesis ist auch hinter ihm her. Wir Alle sitzen im selben Boot. Bitte Helf ihm!“

„Kuroro hat mir von einem jungen Dämon erzählt, mit dem du seit geraumer Zeit zusammen bist. Er ist das, oder? Seine weiße Haut und Haare lassen nicht grade auf eine menschliche Herkunft schließen.“

Immer noch erschöpft von den letzten Tagen schob Kim seine Arme unter Dylans mageren Körper, und trug ihn die Treppe rauf. An der Haustüre blieb er jedoch stehen und drehte sich halb zu Daimon um, der wie festgewachsen auf seinen Hintern saß. Kims engelsgleiches Gesicht hatte sich vor lauter Zorn zu einer Grimasse verzogen und wirkte irgendwie animalisch.

„Ich bin enttäuscht von dir. Wenn du dich heute Abend in dieses Haus trauen solltest, schnappe ich mir einen Baseballschläger und haue deinen Fitnessraum zu Schrott!“

Schweigend und den Moment auskosten sprang Marcel auf die Beine, und huschte durch die Eingangstüre. Wenn er etwas für Dylan tun konnte, dann musste er Kiley beim verarzten seiner Wunden helfen. Er lief in die Küche und räumte eiligst die Tischplatte frei.

In eine Porzellanschüssel füllte Marcel lauwarmes Wasser, aus dem Erste-Hilfe-Kasten im Wohnzimmer holte er saubere Verbände und eine Schere.

Kein einziger Laut war zu hören als Kim die Küche betrat und seine Stirn runzelte, als er die bereitgestellten Materialen erblickte. Neben denn abgeräumten Küchentisch stand Marcel und breite eine saubere Tischdecke auf der Platte aus

„Was machst du denn da, Blondie?“ fragte Kim verwundert.

„Na rat mal.“ sagte Marcel. Er atmete schwer. Für einen kurzen Moment schloss er seine Augen und nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Ich möchte dir helfen. Sag mir, was ich tun muss.“

Erneut seufzte Kim auf. „Heute ist was los… Aber kannst du überhaupt Blut sehen?“

Marcel verzog minimal das Gesicht. Nein, hatte er keine Probleme mit Blut.

„Klar kann ich das sehen. Ich bin doch an Vampire gewöhnt.“

Kim grinste ein wenig.

Ohne weitere Zeit mit Fragen oder Festvorstellungen zu vergeuden legte er Dylan auf die Tischplatte und sah sich die Wunden genauer an. Die Brandwunden waren verhältnismäßig leicht, aber Daimon hatte dem Jungen sicher innere Verletzungen zugefügt. Er kannte die Brutale Art seines jüngeren Zwillings doch.

Als Diagnose schnaubte Kim nur abfällig, entspannte seine Körperhaltung aber etwas. Das alles waren zwar ernstzunehme Verletzungen, aber keine von ihnen, sah Lebensbedrohlich aus.

„Gib mir mal das Wasser, Marcel. Und ein sauberes Tuch“

Beinahe zärtlich strich Kim die weißen Haare zur Seite und säuberte vorsichtig die Platzwunde auf der Wange des Albinos. Jedes Vorurteil vergessen, betrachtete er die sanften Gesichtszüge und die roten Lippen.

Schade um den Kerl, dachte Kim kurz, für einen Jungen ist er wirklich Hübsch.

Völlig in seine Arbeit vertieft, bemerkte er nicht, dass Marcel ihn mit großen Augen beobachtete.

In Dylans Brust erwachte plötzlich ein kehliges Knurren.

„Hmmm….!“ Jammerte er mit dunkler Stimme und kniff seine Augen feste zusammen.

Völlig unbeeindruckt setzte Kim seine Behandlung fort. Ein weites Mal betupfte er die Wunde mit Wasser und legte dann eine Müllbinde obendrauf. Er spürte regelrecht, wie in Dylans blinden Körper die Anspannung wuchs.

„Keine Panik, Krümmel.“ Schnurrte Kim mit sanfter und beruhigender Stimme. „Ich will dir nur helfen…“

„Verarsch mich nicht!“ Wie von der Tarantel gestochen, riss Dylan seine Augen auf. In Anbetracht der Tatsache dass sich ein fremder Kerl bedrohlich über seinen geschwächten Körper beugte, erwachten in Dylan ungeahnte Kräfte, wodurch sein Adrenalin spiegel unaufhörlich anstieg. Flink rutschte der Albino ein Stück zur Seite, winkelte sein linkes Bein an, holte Schwung und schlug diesen mit dem Fußrücken voraus, in die Richtung seines Gegner, welcher die Attacke jedoch mit dem Unterarm abblockte. Angespannt hielt Dylan die Luft an. Gleich kam sicher der überraschende Gegenschlag.

Aber Kim reagierte gelassen. Er schmunzelte leicht und legte Dylans Fuß sanft auf den Tisch zurück. Das Gesicht des Jungen Albinos sah noch immer verzerrt aus, doch das sollte sich bald ändern.

„Ich bin Kiley Sandjoé, und wie dir der Name schon verrät, Marcels ältere Bruder. Du kannst mich aber Kim nennen. Ich bin angehender Medizinstudent und du kannst mir vertrauen, wenn ich dir helfen möchte.“

Der Blick von Dylan, welcher vor einigen Sekunden noch zum Töten bereit war, verschwand beinahe im selben Moment. Fassungslos starrte er in die Augen seines Gegenübers. Wenn das hier ein schlechter Traum war, was das kein schlechter Moment um auf zu wachen. Völlig verwirrt und halb schockiert richtete sich Dylan ein kleines Stück auf.

„Kim also? Dann bist du sicher Daimons Zwillingsbruder. Marcel hat mir schon ein wenig von dir erzählt.“

„Hoffentlich nur Gutes.“

Beinahe unbemerkt griff Dylan nach der Tischdecke und zog sie an sich. Grade eben, hatte sein Verstand bemerkt, dass man ihn bis auf Unterhemd und Unterhose entkleidet hatte. Wie auf Stichwort lief er Rot an.

Stille herrschte zwischen den beiden Dämonen, sie schienen sich innerhalb von wenigen Sekunden bis auf die Knochen zu Röntgen.

„Und wie heißt du?“ fragte Kim und lächelte aufmunternd, auch wenn er Dylans Namen schon längst von Marcel wusste.

„Dylan. Dylan Smirnow.“

Beruhigend legte Kim seine Hand auf Dylans Kopf, strich sanft über dessen weißes Haar und versuchte ihn weiterhin mit seinen Worten zu beruhigen. Es dauerte einige Momente bis Dylan seine zitterten Finger von der Tischdecke löste und sich ein klein wenig fasste.

Nervös drehte der Albino seinen Kopf ein Stück in Marcels Richtung, und sah ihn fragend an.

„Was ist passiert? Warum muss mich dein Bruder verarzten? Habe ich was Dummes gemacht?“

„Nein, nicht du. Aber Daimon. Ihr habt euch im Vorgarten geprügelt, und nun ja, du hast halt denn Kürzen gezogen. Daimon hat dich bewusstlos geschlagen, bevor ich irgendeine Hilfe holen konnte.“ Schnell stand Marcel von seinem Stuhl auf, setzte sich neben Dylan und schloss ihn fest in seine Arme. „Tut mir leid, Dylan! Aber alles wird gut. Kim ist wirklich fähig, und macht seine Arbeit gut. Möchtest du vielleicht etwas Trinken? Ich kann dir einen Tee machen.“

Es dauerte lange bis Dylan auf seine Frage reagierte und sie dann zögerlich mit einem Kopfnicken beantwortete.
 

„Ich will nicht um den heißen Brei herum reden, Dylan. Die Platzwunde in deinem Gesicht ist so tief, das sie genäht werden muss. Möchtest du ins Krankenhaus zu einem richtigen Arzt, oder soll ich dich hier behandeln?“, erkundigte sich Kim freundlich und zog einen Stuhl heran.

Dylan sah ihn abschätzend an. Sein Kiefer war angespannt und die Katzenaugen brannten unruhig. Der Schmerz war so schlimm, dass er Angst hatte, sich zu bewegen. Vorsichtig wagte Dylan einen Blick nach oben.

„Mach du es Bitte. Wenn ihr mich ins Krankenhaus bringst, werden sie meinen Vater anrufen und das will ich nicht. Er würde sich nur unnütze Sorgen machen.“

„Verstehe.“, murmelte Kim und zog die Müllbinde vorsichtig von Dylans Wange. Die Platzwunde sah nach wie vor schlimm aus. Dylan hatte wieder seine Augen geschlossen. Er musste wirklich sehr geschwächt sein.

Nachdem Kim noch mal eine grobe Reinigung beendet hatte, nahm er ein sauberes Tuch aus dem Verbandskasten und tränkte es mit einer klaren Flüssigkeit.

„Das ist nur ein normales Hautdesinfektionsmittel. Es kann aber sein, das es brennt. Zieh bitte nicht deinen Arm weg, sonst könnte es passieren, das ich dich ausversehen Kratze.“

Beunruhigt zuckte Dylan zusammen. Vom Geruch des Octenidins wurde ihm schlecht und in seinen Ohren konnte er das Blut rauschen hören. Er merkte, dass seine Miene vor Schreck erstarrt war, und versuchte seine Züge zu entspannen.

Als Antwort nickte Dylan lediglich.

„Braver Junge.“ lobte Kim lächelnd und begann behutsam die Wunde abzutupfen.

Einige Sekunde vergangenen, dann entfuhr Dylan ein tiefes, warnendes Knurren. Immer wieder bildeten sich neue Brusttropfen und quollen heraus. Plötzlich versteinerte sein so eben entspanntes Gesicht aufs Neue.

Er zuckte zusammen, als Kim irgendetwas in seinen Arm bohrte und er einen stechenden Schmerz spürte. Aber wollte sich auf keinen Fall zimperlich anstellen. Im Grunde genommen hat es gar nicht weh, er merkte nur ein leichtes Ziehen im Gesicht und versuchte das Gefühl der aufkommenden Übelkeit zu ignorieren. Ein dumpfes Gefühl breitete sich in seinen Körper aus, welcher Augenblick den stechenden Schmerz ablöschte.

„Wie schaffst du das eigentlich?“ murmelte Dylan und hefte seinen Blick konzentriert auf die Tapete. Wenn er mit Kim redete, konnte er sich wenigstens von der Situation ablenken.

„Du bist doch zur Hälfte ein Vampir. Mir kommt es unmöglich vor, wie viele Jahre Kampf und Schmerz es dich gekostet haben muss, bis du diesen Drang so mühelos beherrschten konntest! Macht der Geruch des Blutes nicht wahnsinnig vor Durst?“

„Ach, nicht sehr.“ Teilte Kim ihm wahrheitsgemäß mit. Er zuckte die Schultern, aber seine Hände blieben ruhig. „Ich war so oft bei Daimons Prügeleien dabei, dass mich der Geruch schon gar nicht mehr stört. Und wenn ich dieses Verlangen so gut unter kontrolliere habe, warum soll ich meine geschärften Sinne denn nicht benutzen, um den Menschen zu helfen? Aber ich habe auch mal eine Frage an dich, Dylan; du bist einer von -Uns- warum heilt deine Verletzung so langsam?“

Erschrocken sah Dylan auf, als er Kim ernste Stimme und seinen stechenden Blick im Nacken bemerkte. Ihm stockte der Atem und Dylan biss sich sachte auf seine Unterlippe. Er hasste es, wenn ihn jemand Fremdes auf diese Tatsache ansprach. Okay, er musste zugeben dass seine Wunden im Vergleich zu anderen Dämonen wirklich langsamer heilen, aber dafür brauchte sich ein Stone Face, wie Kim es war, nicht zu interessieren.

„Ich bin eben nicht wie andere Dämonen…“ knurrte Dylan Marcels älteren Bruder schließlich an, bevor er seinen Blick von ihm abwendete. „Ich nicht als solcher Geboren, und verfüge nicht alle Fähigkeiten.“

Auf sein Geständnis folgte keinerlei Reaktion.

Kim zog die nächste Naht und konzentrierte sich auf seine Hände. Für einen Dämon war er ein sensibler Beobachter, und er las in den meisten Menschen wie in einem offenen Buch. Doch Dylans Reaktion beunruhigte ihn dann doch ein wenig. Denn er nahm mehr wahr, als nur den bloßen Schock. Die Augen eines Lebewesens gereichten ihm als Fenster zur Seele, und durch diese sah er, wie die innere Blüte des Albinos mit jeden Moment an Kraft verlor.

„Meinst du… ob eine Narbe zurück bleibt?“ fragte Dylan leise. All die neuen Eindrücke überforderten seinen geschwächten Verstand und Körper. Die Art, wie geschickt und schnell Kim seine Finger bewegte, hypnotisierte ihn ein wenig.

„Ich glaube nicht. Dafür ist die Wunde zu Oberflächlich. Würde es dich denn ernsthaft stören?“

„Hmm, nein eigentlich nicht. Aber dann müsste ich meinem Vater erzählen, was in der letzten Zeit geschehen ist. Er weiß noch nichts von den Kämpfen mit Lucy und ihren Drohbriefen.

Ahhh, wenn ich daran denke, dreht sich mir sofort der Margen um. Ich würde für die nächsten 50 Jahre Hausarrest kriegen.“ Als Dylan einen besonders fiesen Nadelstich spürte, rückte er unbewusst ein Stück von Kiley weg. „Entschuldige, wenn ich dich so Blöde von der Seite zu Quatsche. Aber wenn ich rede, kann ich mich leichter von der Nadel ablenken…“

Kim zog eine Augenbraue fragend nach oben. „Sag doch sowas nicht! Für meine Freunde spiele ich andauernd den Kummerkasten. Ist dein Vater denn so streng, dass er dir diesen ganzen Kummer bereitet?“, fragte er mit ruhiger Stimme und zog Dylan wieder zurück.

Dylan wusste nicht so recht was er darauf antworten sollte. Der Ältere hatte Recht, sein kühles Verhalten gegenüber Mephisto lies wirklich nicht darauf schließen das in letzter Zeit, alles in Ordnung war. Bestimmend schüttelte er seinen Kopf.

„Nein, an sich ist er ganz locker. Aber er macht sich immer, und sofort sorgen um mich, wenn irgendetwas schief geht. Manchmal glaube ich, er hat einen kleinen Kontrollzwang.“

„Hmm…“, murmelte Kim, und dachte dabei im Stillen an Jeremy. Seufzend schloss er langsam seine Augen und ein leicht betrübtes Lächeln erschien auf Kims hübschem Gesicht. Es hat weh, an ihn zu denken. Langsam taste er mit seinen Finger die frische Naht ab.

Er vermisste Jeremy. Sehr sogar…

„So. Fertig.“, merkte Kim an und klopfte Dylan freundschaftlich auf die Schulter. „Gut gemacht. Du warst sehr Tapfer. Ich wünsche mir, dass meine Zukünftigen Patienten auch so mutig sind.“

„Ich bin auch fertig!“, rief Marcel vom Herd aus und stellte eine Tasse mit dampfenden Tee auf den Küchentisch.

Dankend nahm Dylan die Tasse in die Hand und zog den Duft der frisch gebrühten Kräuter ein.

„Sehr gut…“ lobte er lächelnd, bevor er sich einen großen Schluck Tee genehmigte.

Währenddessen kramte Kim wieder in dem Erste-Hilfe-Koffer nach weiteren Materialien. Er holte weitere Verbände hervor und schnitt sie mit der Küchenschere zurecht.

„Dylan? Du kannst schon mal dein Oberteil ausziehen. Jetzt möchte ich mich um deine anderen Verletzungen kümmern. Die Verbrennungen befinden sich im 1. Grad, maximal im 2. Grad. Aber ich will kein Risiko eingehen, und dir trotzdem einen Desinfizierenden Verband anlegen. In diesem Grad ist die Wunde sehr Infektanfällig, und muss unbedingt vor Krankheitserregern Geschütz werden.“

Dann drehte er sich zu Marcel um. „Würdest du mir einen Gefallen tun? Könntest du draußen mal nach Daimon schauen? So langsam mache ich mir sorgen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er tatsächlich draußen bleibt, und finde es für seine Verhältnisse ungewöhnlich ruhig… Aber bleib im der Nähe vom Haus, verstanden?“

„Ja klar, mach ich!“, versicherte Marcel seinem Bruder schnell. Unweigerlich entfloh ihm ein leises Seufzen. Nicht nur sein Körper, sondern auch sein Verstand, schien sich über diese Bitte nicht sonderlich zu freuen, und bereitete ihm eine unangenehme Gänsehaut. Einen wütenden Daimon von Angesicht zu Angesicht gegenüber zustehen, war nicht grade die Klügste Aktion seines Herren. Für ihn war dies das schlimmste Omen überhaupt!

Gestresst ließ Marcel seinen Kopf nach vorne fallen, vertuschte seinen Unmut mit einem grinsen, und verschwand aus der Küche, ehe ihn jemand auf die Schielche kam.

Eilig lief er nach draußen und schaute sich von der Treppe aus, im finsteren Vorgarten um.

Vergebens. Von Daimon war weit und breit nichts zuzusehen.

„Wo ist dieser Starrkopf…“, murmelte Marcel leise und drehte den Kopf in alle Richtungen. Immer wieder tasteten seine Augen über die einzelnen Grasflächen, als erhofften sie sich, etwas zu finden, was sie zuvor übersehen hatten.

Doch so Oft und so genau Marcel auch schaute; die Rasenfläche war und blieb wie leer gefegt.

„Daimon!?“ rief er verzweifelt der Dunkelheit entgegen.

Langsam ging er die Treppe runter und machte eine kleine Runde im Garten, wobei er sich bemühte die unterschiedlich großen Blutflecken am Boden nicht so genau anzuschauen…

Wo könnten Daimon nur hingegangen sein? War er vielleicht in die Stadt gegangen um sich bei seinen Freunden aus zu heulen? Oder würde er dort nur einen armen Teufel suchen, an dem er seine angestauten Aggressionen auslassen konnte? Daran wollte Marcel lieber nicht denken…

In seinen Gedanken versunken suchte Marcel noch einmal das gesamte Grundstück ab, als ihm plötzlich eine ungewöhnliche Delle im Boden auffiel.

Zögerlich ging er mit kleinen Schritten näher. Es war keine Delle; Er war ein Fußabdruck.

Aber kein normaler Schuh könnte so einen außergewöhnlichen Abdruck hinterlassen.

Der Fuß so groß wie ein Mülleimerdenkel und besaß 3 lange, dünnen Zehenglieder.

Das Tier, das diesen Abdruck verursacht hatte, war für ein Wesen aus ihrem Wald definitiv zu schwer. Kein Jäger, der so viel Masse am Leib trug, konnte an diesen Ort Leben ohne zu verhungern, da ihm seine Beute sofort bemerken würde.

Dinofüße, schoss es Marcel unweigerlich durch den blonden Kopf, oder eher… Drachenklauen.

Er hob den Blick und saß das die Spur in den abgelegenen Wald hinter dem Haus führte.

Von Jeremy wusste er, das dort drüben zwischen den Bäumen irgendwo Kuroros Zuhause versteckt lag. Wie ein Werwolf wohl so lebte? Als Marcel so daran dachte, schämte er sich plötzlich dafür, dass er Kuroro noch nie danach gefragt hatte.

Sachte wehte der Wind, der Mond strahlte und brachte eine unheimliche Kälte über das Land. Marcel fröstelte. Er zog seinen Pullover über die klammen Finger mit dem Wunsch dass diese bald wärmer wurden. Kims Mahnung nicht vom Haus weg zugehen spukte noch in seinem Gedächtnis umher, aber Kim sagte auch, er solle nach Daimon schauen. Und wenn Daimon im Wald war, so musste Marcel dort rein um ihn zu finden…
 

Wirr fielen ihm die Haare ins verschwitze Gesicht; die feinen Spitzen seiner Stirnfransen nahmen Marcel die Sicht, oder stachen ihm heimtückisch in die blauen Augen, als er mit seinen Füßen über den glitschigen Waldboden rutschte. Er hatte große Schwierigkeit voran zukommen und verhedderte sich nicht nur einmal im Gebüsch, wo er dann mehrere Minuten stehen bleiben musste, um sich aus den knorrigen Ästen seiner Wiedersachen zu befreien.

Ein leichter Schweißfilm hatte sich über seinen ganzen Körper gezogen, die Tropfen liefen klar über seine helle Haut, bevor sie in der Wolle des Pullovers verschwanden und sich zu ihren Brüdern gesellten.

Marcel putze sich den Schweiß von der Wange und wünschte sich mittlerweile eine 5 Liter Wasserflasche. Ausnahmsweise war sein Gesicht mal nicht Kreidebleich, sondern stark gerötet.

Punkt 1. Das der kleine Trip durch den Wald so angesprengten wurde, hätte er sich nicht träumen lassen.

Punkt 2. Wie, zum Teufel, konnte Kuroro in dieser trostlosen Einöde nur wohnen?

Ein langes seufzten schlich sich über Marcels Lippen, bevor er sich den lästigen Schweiß aus dem Augen wischte. Wenn er Daimon in diesen Urwald gefunden hatte, würde er ihn erstmals zur Schnecke machen…

Grade als er die Hoffnung aufgeben wollte, lichteten sich die einzelnen Bäume.

Nach weiteren 100 Metern trat Marcel schließlich aus dem trüben Dickicht hervor, und fand sind auf einer märchenhaften Lichtung wieder. Mit einem Mal waren die ganzen Anstrengungen der Reise vergessen.

Der Anblick verschlug den schmalen Jungen die Luft und mit einen andächtigen Staunen, blieb er stumm stehen. Obwohl es stockfinster war, strahlten die einzelnen Bäumen, die Kreisrund am Fuße der grünen Wiese Wuchsen, wie Taghell. Überall duftete es nach Blumen und eine angenehme Brise strich Marcel die nassen Haare aus dem Gesicht.

Dass es so etwas Schönes hinter ihrem Haus gab, wusste Marcel bis zu diesen Zeitpunkt noch nicht.

Langsam, fast ehrfürchtig ging er durch das weiche Gras, durch die bunten Blütenbänke und blieb vor einen schwindelerregend hohen Baum stehen, dessen gewaltige Krone einen fast alles umschließenden Schatten auf die Rasenfläche warf. Der Stamm des Riesen war so enorm, dass Marcel nicht mal die Hälfte mit einer Umarmung hätte erfassen können.

Sein Blick wanderte kurz über ungewöhnliche die Umgebung und blieb an etwas unnatürlichen hängen…

In dem feuchten Boden entdeckte Marcel weitere Fußabdrücke die gradewegs zu einen Erdloch unten den dicken Wurzeln des Baumes führte. Marcel schluckte kurz. In dieses Loch würde grade mal ein Kind mit seiner Statue reinpassen, aber kein 3 Meter hoher Urzeitdrache…
 

Unter seinen Fingern bröckelte die feuchte Erde ab und auch seine Knie rutschten ständig weg. In einer seichten Neigung ging es steil Bergab. Langsam aber sicher wurde der Gang so schmal, dass Marcel noch nicht mal einen Katzenbuckel formen konnte, ohne an die Decke zustoßen. Ständig bildete er sich ein, dass die Erde unter seinen Fußen weg brechen und er in die Tiefe stürzen würde. Marcel gab alle Kraft die er noch zu Verfügung hatte. Trotz der Angst vor den Regenwürmern und der Dunkelheit robbte er sich weiter nach vorne.

„Wenn sich Daimon hier versteckt, fresse ich einen Besen. “, murmelte Marcel wieder und wieder vor sich hin.

Irgendwann gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit und seine Griffe in das lockere Erdreich wurden sicherer. Da war jetzt Gras, an dem er sich entlang ziehen konnte, nur fühlte es sich nicht an wie Gras, sondern wie… borstige Haare. Er erreichte den Scheitelpunkt der Höhlenparabel, danach ging es aufwärts. Ein schmaler Streifen natürliches Licht traf Marcel Gesicht, unwillkürlich verengten sich seine Pupillen wieder. Er konnte seine pechschwarzen Hände sehen und musste kurz an Jeremy denken und wie er ihn anschreien würde, wenn er Marcel so dreckig sehe. Doch selbst nach diesem Gedanken sehnte er sich nach seinen großen Bruder. Wahrscheinlich mehr denn je.

Es wurde heller und heller, bis er das Ende des seltsamen Gangs erreichte.

Das weiße Licht einer runden Kugel, die an einer dünnen Schnur befestigt von der Decke baumelte, empfing Marcel als er das nach 15 Minuten muffiger Grabluft ins Freie trat.

Unter seinen Füßen spürte er, dass sich die Erde weicher anfühlte und jeden seiner langsamen Schritte dämpfte. Verblüfft stellte Marcel fest, dass er sich in einer Unterirdischen Wohnung befand, die ihm im ersten Moment leicht an eine Steinzeithölle im Neu Stil erinnerte.

Sollte er rein gehen? Zaghaft setzte Marcel einen Fuß vor den anderen, und die lockere Erde sorgte dafür, dass er lautlos wie ein Tiger war.

„Daimon…?“, wisperte Marcel leise gegen die Dunkelheit.

Eine angenehm warme Brise wehte ihm gegen die linke Wange und brachte die Erinnerung an ein Lagerfeuer im Freien mit sich. Rechts von Marcel standen ein paar Steinstühle und ein schwer Tisch in einer losen Gruppe zusammen. Marcel drehte den Kopf in Richtung der Brise, wobei seine Sicht etwas verschwamm. Keine 5 Meter von ihm entfernt befand sich ein Mannshohes Loch in der Wand, die den Jungen in einen weiteren Raum führte. Sogleich wurde es wärmer und Marcel vernahm ein brodelndes, rasselndes Geräusch aus der Finsternis.

„Bist du das Daimon?“ fragte Marcel zum wiederholten Mal. Auf sein Rufen erfolgte jedoch keine Reaktion. Auch nach weiteren Versuchen, blieb es Mucksmäuschen still im Raum. Entweder wurde Marcel von niemanden gehört, oder aber gekonnt Ignoriert.

„Wenn du mich erschrecken willst.“, knurrte Marcel zähneklappernd vor Angst. „Brülle ich denn ganzen Wald zusammen…“

„Versuch´s doch mal…“, flüsterte eine tiefe Bassstimme aus der Finsternis und Marcel sah, wie ein rotes Augenpaar unheimlich aufleuchtete.

Den grauen, unförmige Steinklumpen denn Marcel bis vor wenigen Augenblicken, noch für einen deplatzierten Felsen gehalten hatte, erwachte plötzlich zum Leben und streckte sich genüsslich. Nach einem brüllenden gähnen, schüttelte das riesige Ungetüm seine schwarzen Flügel, um sie so der rieselnden Schmutz zu befreien und sah mit trüben Augen zu Marcel rüber.

Selbst unter den Alphadämonen war Daimons wuchtige Gestalt einzigartig. Als Stone Face war sein Körper ein einziger Berg aus Muskeln und mit den dolchartigen Zähnen konnte er leicht größere Felsen zerbeißen.

„Was willst du hier?“, zischte Daimon nicht grade freundlich von seinen Schlafplatz aus, und ließ seinen gezackten Schweif gefährlich nah neben Marcels Füße einschlagen. „Geh nach Hause. Ich will dich hier nicht sehen!“

Marcels Blick glitt einen Moment lang ziellos durch den Raum. Trotz der Erleichterung Daimon endlich gefunden zu haben, machte sich ein unangenehmes Gefühl in seiner Magengegend breit.

„Wo sind wir hier, Daimon?“

„Das ist Kuroros Unterschlupf. Und jetzt zieh Leine!“ antwortete Daimon streng und die Kälte in seiner Stimme, durchschnitt die Luft wie eine Rasierklinge.

Obwohl Marcel seinen Blick Stur auf die Umgebung gerichtet hielt, bemerkte er wie das Stone Face ihn mit seinen glühenden Augen anstarrte. Er spürte, wie Zorn in ihm hoch stieg, gab sich aber alle Mühe seine Emotionen im Zaun zu halten.

„Ich bin nur hier weil mich Kiley geschickt hat. Er fand es sonderbar das du dich an seine Bitte gehalten hast.“

„Bitte?“, spottete Daimon verächtlich und spannte kurz seine ledrigen Flügel an, bevor er sie wieder über seinen Rücken zusammenschlug. „Das war keine Bitte, sondern eine Drohung. Aber da du nun deine Aufgabe erfüllt hast, kannst du wieder abhauen. Sag Kiley das ich erst nach Hause komme, wenn er denn Albino raus geschmissen hat.“

„Was hast du eigentlich gegen Dylan?!“, wollte Marcel entzürnt wissen und musste sogleich einen weiteren Routenschlag ausweichen. „Nur weil dir mal jemand gesagt hat, dass du dich nicht immer wie das letzte Arschloch aufführen darfst!“

Vor der plötzlichen Wut in Marcels Stimme zuckte Daimon innerlich zurück. Er sah ihn eine Zeitlang schweigend an und presste dann ein gekünsteltes Lachen raus.

„Als ob mich die Worte von solch einen kleinen Pisser irgendwie berühren würden. Ich kann es einfach nur nicht ertragen, wenn sich solch ein voreingenommener Bengel in meiner Bude breit macht. Ich habe doch mit eigenen Augen gesehen wie sich die Hälfte der Schüler vor seine Füße geschmissen hat, als wären sie bloß dumme Bauern.“ Verärgert ballte Daimon seine Krallenhand und ließ seinen Kopf schwer, mit einem erschöpften Ächzen auf die Unterarme sinken. „Wenn du weiterhin mit ihm abhängst, darfst du dir bald auch eine neue Bleibe suchen. Zu wenn hältst du eigentlich? Zu diesem Typen, oder zu deiner Familie?“

Marcel tat dies mit einem Brummen ab. „Höre ich da etwa Eifersucht aus deiner Stimme heraus?“

„Tzz~ Als ob!“, versicherte Daimon und schnaubte angeberisch vorauf sich eine kleine Stichflamme vor seinen geblähten Nüstern entfachte. Wie konnte Marcel nur so dumm sein, und Gefallen an diesen heuchlerischen Albino finden? Es war Daimon wirklich ein Rätsel. Er schüttelte leicht die rote Mähne. Wenigsten war ihm die Frisur nach seiner Verwandlung geblieben, und das freute den Drachendämon. Immerhin musste er schon auf sein heißgeliebtes Lippenpiecring verzichten.

„Ich find es trotzdem scheiße das du ihn so fertig gemacht hast. Er ist immerhin noch ein Kind und dazu mein Freund. Die ganze Zeit hat er uns 3 vor Nemesis beschützt und als Dankeschön schlägst du ihn zusammen!“

Daimon lief sich keine Emotion anmerken und zückte gelangweilt seine Schultern.

„Na und? Bild dir darauf mal nichts ein. Er wollte dir sicher nur imponieren und sich in einem guten Licht darstellen.“

„Mag ja sein.“ Marcel schob sich seinen Pullover über die Ellenbogen. In Daimons Nähe herrschte eine Backofenähnliche Hitze und Schweiß trat aus all seinen Poren. „Nichtsdestotrotz hat er sich für uns eingesetzt. Ich kenne niemanden, außer vielleicht Kuroro, der das für unsere Familie tun würde.“

Langsam näherte Marcel sich dem Platz seines Bruders, schob dessen Schwingen ein kleines Stück zur Seite und legte sich still schweigend neben ihn, so wie sie es damals auch zu dritt oder zu viert taten, als sie alle noch jünger waren und sich um Jeremys Nähe zankten.

Daimon schnaubte resigniert, als er den plötzlichen Druck an seiner Seite spürte und knurrte mit zusammen gebissenen Zähnen.

„Was soll das werden, he?! Hab ich nicht gesagt, das du nach Hause sollst!“

„Doch, aber ist es mitten in der Nacht und ich traue mich nicht alleine zurück.“

„Ach was! Alles faule Ausreden! Du bist auch her gekommen als es Dunkel war! Jetzt tue doch nicht so scheinheilig. Auf den Weg zurück wirst du schon nicht von Bären gefressen.“

Marcel ignorierte den Stich der Kränkung in seiner Brust und drehte Daimon Kopfschüttelnd den Rücken zu. Immer wieder hallten die gemeinen Beleidigungen seinen Bruders durch seine Gedanken und dröhnte so laut in seinen Ohren, dass es ihn Mühe kostete, nicht das Gesicht zu verziehen.

„Du bist echt ein Ekelpaket…“ wisperte er kleinlaut gegen seine Finger.

Das Gehörte ließ dass Stone Face aufhorchen.

In Zeitlupentempo zog Daimon seine Augenbraue nach oben und musterte Marcels zitterten Rücken kritisch, ehe er ihn sanft mit den Krallenspitzen berührte. Auch wenn der Kleiner ihn mit seinem Verhalten grade den letzten Nerv raubte, zwang er sich zur Ruhe um das folgende Laut auszusprechen.

„Hab ich dich… hab ich dich zum Weinen gebracht?“

Seine Vorahnung bestätigte sich, als ihm der Geruch von Salz in die empfindliche Nase stieg.

„Nein!“, schlunze Marcel wenig überzeugend und biss sich auf die zitternde Unterlippe. „Ich bin nur Müde. Halt deine Klappe und lass mich schlafen!“

Daimon kicherte grollend und leicht amüsiert. Dennoch legte er die Arme um seinen kleinen Bruder und drückten diesen sachte an sich heran.

Ein leicht erschrockener Ausdruck legte sich im selben Moment auf Marcels Miene. Eine warme Hand strich vorsichtig über seine Stirn und sein Körper begann zu vibrieren.

Marcel konnte es sich nicht genau erklären, aber es bereitete ihm Unbehagen Daimon so nahe zu sein, andererseits schaffte er es auch nicht, sich aus der Umarmung zu befreien.

„Wie kannst du nur Lachen während ich hier weinend neben dir liege?!“

Marcel hätte am liebsten geschrien, Daimon seine tief verletzten Gefühle Offenbart, aber seine Stimme zitterte so stark das sich seine Tonlage zu einen erbärmlichen wimmern verzog. Sein schmächtiger Körper krümmte sich unter gewaltigen Tränenschüben zusammen. „Ich bin dir doch scheiß sowieso egal! Also nimm deine dreckigen Pfoten von mir weg und… und…“

Mitten im Satz brach Marcel plötzlich ab und senkte den Kopf, sodass seine Haare schützend über seine verweinten Augen fielen. Dieser Tat folgte ein verzweifeltes seufzten, welches er nicht länger Unterdrücken konnte.

Verstand Daimon den wirklich gar nichts von seinen Gefühlen, oder besaß er einfach nur eine stark eingeschränkte Empathie? Marcel verzog den Mund noch mehr, und fühlte sich trotz des lebendigen Vulkansteins im Rücken kalt und allein gelassen.

Das Lachen war Daimon schon längst vergangen. Mit zusammen gepressten Lippen schaute er auf Marcels Hinterkopf und hörte schweigend zu, was dieser ihm alles Vorwarf.

„Weißt du eigentlich wie sehr ich mir wünsche, dass du mich endlich akzeptierst? Fast täglich überlege ich, was ich tun kann damit wir uns besser verstehen, aber ich finde einfach keine Antworte darauf und das macht mich sehr Traurig. Aber natürlich siehst du das alles nicht, und behandelst mich weiterhin wie das letzte Stückchen Dreck auf der Erde. Du beleidigst mich, stellst mich vor meinen Freunden bloß, schlägst mich und drohst mir Prügel an, wenn ich mich gegen deine ganzen Gemeinheiten wehre!“

Es zerriss ihn beinahe das Herz, als Marcel seinen lang angestauten Kummer endlich Luft machen konnte, und er stumm in der Dunkelheit auf Daimons Reaktion wartete…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Mizuki_97
2013-09-24T21:38:45+00:00 24.09.2013 23:38
Oha... *_*
bin echt froh das endlich das neues Kapitel kam ,
das kapitel ist echt Gut geworden... :-)
bin jetzt sehr gespannt auf das nächste ,
vor allem wie Daimon auf Marcels ,
nennen wir es Vorwürfe ,
reagiert wird interessiert mich sehr... :-)

lg Musicfreak16 ;-P



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