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Rumo und die Wahrheit der Alchimisten

von

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Der Schattentod

Rumo ließ Mythenmetz nicht aus den Augen, während sie sich ihren Weg durch den dunklen, nicht ausgebauten Teil der Katakomben von Buchhaim suchten. Die Echse führte sie zielsicher, viel sicherer, als er es in Buchhaim selbst getan hatte, um Ecken und Windungen, die Tunnel hinab und wieder hinauf, durch Engpässe, die ihnen allen Platzangst bescherte, und durch riesenhafte Höhlen, die Rumo daran erinnerte, wie die Felsdecke in Untenwelt über den Vrahoks zusammengebrochen war. Damals war es seine Rettung gewesen. Hier würde dasselbe höchstwahrscheinlich seinen Tod bedeuten.

Positiv zu vermerken war, dass sie bis jetzt noch keinem Bücherjäger begegnet waren. Zwar hatten sie einmal jemanden aus der Ferne schreien hören, doch Mythenmetz hatte sie ermahnt, sich hier unten nur um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Das allein sei häufig schon schwierig genug.

Negativ war die Unruhe, die die Echse ausstrahlte, seit der kleine Fhernhache diesen ominösen Schattentod erwähnt hatte. Rumo wusste nicht, ob es den anderen beiden auch aufgefallen war – vermutlich eher nicht, dazu waren sie viel zu sehr damit beschäftigt, ihre eigene Angst vor der erdrückenden Dunkelheit zu bekämpfen – doch er selbst spürte diese Unsicherheit mehr als deutlich. Immer wieder sah sich der Schriftsteller unauffällig um, presste angespannt die Kiefer aufeinander oder erwürgte mit seinen Klauen unsichtbare Einhörnchen, alles offenbar unbewusst, denn natürlich gab er sich nach wie vor selbstsicher.

„Wir werden nicht auf direktem Wege nach Schattenhall gehen“, erklärte Mythenmetz, während er mit erhobener Fackel voran schritt. „Das kann ich nicht zulassen. Niemandem außer mir und meinem geschätzten Freund Colofonius Regenschein – die Götter mögen ihn selig haben – steht es zu, zu wissen, wo sich dieser heilige Ort befindet. Daher begeben wir uns zunächst zu ein paar Freunden von mir, die hier unten leben.“

„Hier unten LEBT etwas?“, fragte Echo und räusperte sich schnell, als er bemerkte, dass seine Stimme deutlich schriller klang als sonst. „Also ich meine etwas, das sich nicht mit Vorliebe von Artgenossen ernährt?“

Mythenmetz sah in sekundenlang an, als habe sich die kleine Kratze soeben erst vor seinen Augen materialisiert. „Ja…“, sagte er schließlich abwesend. „Ja, hier unten lebt so einiges.“

„Brrr“, machte Echo. Dann schwieg er wieder sein furchtsames Schweigen – ganz offenbar wollte er Näheres überhaupt nicht wissen.

Rumo trug die Fackel in der Linken und Löwenzahn in der Rechten, jederzeit bereit für einen Angriff mit beidem. Vorrangig mit Löwenzahn, denn würde die Fackel in der Hektik verlöschen, wäre das wahrscheinlich eher suboptimal. „Ich hoffe, deine so genannten Freunde sind uns etwas freundlicher gesinnt als diese Bücherjäger“, grummelte er und versuchte zu ignorieren, dass sein gesamter Körper sich gegen die unheimliche Umgebung wehrte. „Ich habe keine Lust, meine friedlichen Absichten erst mit dem Schwert unter Beweis stellen zu müssen.“

„Keine Sorge“, antwortete Mythenmetz kühl. „Die Wesen, von denen ich spreche, sind von Grund auf pazifistisch eingestellt. Wenn du sie also nicht gleich mit deinem Brotmesser anfällst, werden sie sich auch dir gegenüber freundlich verhalten.“

Rumo schnaubte und hörte Grinzold in seinen Gedanken aufheulen. „Wie hat der uns gerade genannt? Wie war das, hä? Wiederhole das, du arrogante Echse, und wir zeigen dir, wer von uns das Brotmesser ist! Komm schon, trau dich!“

‚Wir werden ihm gar nichts zeigen, Grinzold.’

„Spielverderber!“

Blaubär leuchtete misstrauisch mit seiner Fackel umher, um ja keine Ecke des Stollens, die als potentielles Monster-Versteck durchging, ungesehen zu lassen. „Über was für Wesen reden wir hier eigentlich? Verzeih, aber ich kann mir nur schwerlich eine Kreatur vorstellen, die ihr Dasein freiwillig hier unten fristet.“

Mythenmetz führte die Gruppe nach kurzem Nachdenken in die rechte Abzweigung einer Kreuzung. Dieser Schacht war etwas breiter als es die letzten gewesen waren, seine Wände glommen im Dunkeln durch irgendeine fluoreszierende Substanz, die Rumo nicht zuordnen konnte und auf dem Boden konnte man auch ohne Fackelschein die Umrisse zerwühlter Bücherstapel erkennen. Halb zerfalle Regale säumten dann und wann die rauen Wände und der Wolpertinger kam nicht umhin sich zu fragen, wie sie wohl dort hingekommen waren. Wäre so etwas wie ein Limonadenstand nicht sinnvoller gewesen? Seinetwegen auch ein kleines, gemütliches Gasthaus. Er hatte Hunger.

„Buchlinge.“

Rumo schreckte aus seinem Tagtraum von einem saftigen Riesenschnitzel und sah verständnislos zu Mythenmetz herüber. „Was, um alles in Zamonien, sind Buchlinge?“

„Werdet ihr sehr bald sehen.“

Und damit schien von seiner Seite aus wieder einmal alles gesagt.

Schweigend setzten sie ihren Weg fort, jeder vollkommen in die eigenen Gedanken vertieft, die Blicke starr auf den steinigen Pfad gerichtet und die Fackeln umklammert, wie das letzte Ende eines Rettungsseils. Rumo vermochte nur zu ahnen, was in diesen Sekunden in seinen Gefährten vorging, ihre maskenhaften Gesichter im Flackerlicht sprachen von furchtsamer Erwartung, nervöser Unruhe und nicht zuletzt grimmiger Hoffnung auf einen baldigen Erfolg.

Erfolg…

Der Wolpertinger biss sich auf die Unterlippe. Das sollte sie also sein, die wohl letzte Etappe seiner Suche. Was zunächst nur bis zu den Finsterbergen zu reichen angedacht war, hatte ihn schließlich bis nach Buchhaim und in dessen unheimliche Eingeweide geführt, und noch immer war der Ausgang seiner Expedition mehr als Ungewiss. Würde er mit der Formel im Gepäck wieder ans zamonische Tageslicht treten? Würde er die Welt da oben überhaupt lebendig wieder sehen?

Gut, letzteres war vielleicht etwas sehr pessimistisch gedacht, aber es stand außer Frage, dass eine solche Möglichkeit existierte.

‚Nun, so oder so, bald wird das alles ein Ende haben’, dachte Rumo bissig und entlockte seiner Kehle ein leises, aber entschlossenes Grollen.

Vielleicht war es besser, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnte, wie dieses Ende aussehen würde.
 

„Zur Seite!“, brüllte Blaubär und duckte sich mit einer schnellen Bewegung unter einer durch die Luft sirrenden Pranke hinweg, die eindeutig auf seine Schläfe gezielt hatte. Dann ließ er sich auf alle Viere fallen und vollführte eine bodennahe Drehung um etwa einhundertachtzig Grad, die seinen Gegner von den gepanzerten Beinen fegte, sodass er unsanft auf seinem Hinterteil landete.

Mythenmetz und Echo hasteten vom einen Ende der kleinen Höhle in die andere, um dem kämpfenden Pulk, bestehend aus Rumo, Blaubär und einem etwas unglücklichen Bücherjäger, bestmöglich zu entgehen und ja nicht Gefahr zu laufen, selbst in dessen fauchendes, kratzendes und beißendes Zentrum gesogen zu werden.

Schlussendlich war es ihnen doch nicht gelungen, diesen zwielichtigen Gestalten ganz und gar zu entgehen, doch da sie damit ohnehin kaum gerechnet hatten, waren sie vorbeireitet

Ihr Weg hatte die vier Freunde auf Zeit gerade durch eine besonders schöne Tropfsteinhöhle geführt, deren Erhabenheit sie eine Weile still bestaunt und so gleichzeitig etwas Rast gemacht hatten, als sie von Fern das Klirren einer schweren Rüstung vernommen hatten.

„Er kann es sich leisten laut zu sein“, hatte Mythenmetz gestöhnt. „Also ist er entweder lebensmüde oder einfach nur extrem gut in dem, was er trut. Lasst uns lieber irgendwo ein Versteck auftun.“

Leider hätte sich wohl zunächst einmal der Fels irgendwo auftun müssen, bevor die Reisenden selbiges mit einem Versteck hätten tun können. Denn ihre optisch so ansprechende Tropfsteinhöhle hatte sich in diesem Augenblick als vollkommen Deckungs-untauglich erwiesen, was in anbetracht der näher kommenden Schritte natürlich etwas ungünstig gewesen war.

„Dann lasst uns ihm zumindest entgegen gehen“, hatte der Lindwurm daraufhin insistiert. „Wenn es hier zum Kampf kommt, hat er hunderte Möglichkeiten uns – Verzeihung: euch – auf einem der Stalagmiten aufzuspießen, noch bevor ihr auch nur eine einzige Bewegung zu Abwehr auf die Reihe kriegt.“

„Sind Stalagmiten eigentlich die, die von unten…“

„Ja, sind sie, Rumo, aber das spielt jetzt wohl kaum eine Rolle oder?“

Ergo hatten sie das wohl einzige gemacht, was ihnen in dieser Situation übrig geblieben war: Sie waren den klappernden Schritten entgegen gegangen und schließlich in einer weiteren, kleineren Höhle gelandet, die, sehr zu ihrer Erleichterung, weitestgehend frei von spitzen Felsformationen irgendeiner Art war.

Und dann hatte er ihnen auch schon gegenüber gestanden, ein fast vollständig hinter einer schweren Eisenrüstung verborgener Wildschweinling mit einem golden schimmernden Buch unter dem Arm und einer stümperhaft gefertigten Axt auf dem Rücken. Offenbar war er nicht minder erschrocken, in seinem Jagdrevier weiteren lebenden Seelen zu begegnen, denn sobald er sie durch den Schlitz in seinem gehörnten Helm bemerkt hatte, war er entsetzt einen Schritt zurück gewichen.

„Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“

Mythenmetz war vorgetreten. „Wir sind Reisende, nichts weiter. Wir haben es nicht auf Bücher abgesehen, also lass uns ziehen, Jäger.“

„N… nichts da! Das… das glaube ich euch nicht! Ihr seid bewaffnet!“

‚Mythenmetz hat sich geirrt’, war es Rumo in dieser Sekunde durch den Kopf geschossen. Dieser Jäger war nicht so laut gewesen, weil er es sich hätte leisten können, sondern weil er es schlichtweg nicht besser wusste. Das erklärte auch das übermäßige Rüsten – er war ein blutiger Anfänger.

Leider machte ihn das höchsten noch gefährlicher, da er so tendenziell aus Angst oder Übereifer auf alles losgehen würde, was sich bewegte.

Sein Arm hatte gezittert als er seine Axt gezogen und damit auf den Schriftsteller gedeutet hatte. „Dich kenne ich doch! Du bist Autor. Aber ich fand deine Bücher immer langweilig. Musste die in der Schule lesen, das war dämlich. Also hab ich geschwänzt. Dann hab ich ärger von meinen Eltern bekommen. Das war auch dämlich.“

Mythenmetz zeigte sich unbeeindruckt. „Vielen Dank für den kleinen Exkurs in Punkto deine Lebensgeschichte.“

„Hä?“

„Aber würdest du uns jetzt bitte vorbei lassen?!“

Der Bücherjäger hatte sich nachdenklich mit der Schneide seiner Axt am Helm gekratzt. „Ähhh…“, machte er dabei. „Ähh… nein, ich fürchte, das kann ich nicht machen.“

Dann hatte er ohne Vorwarnung zu schreien begonnen und war auf Mythenmetz zugestürmt, sodass dieser nur noch „Oh Götter!“ seufzen konnte, bevor er von Blaubär aus der Schusslinie gezogen wurde.

„Überlass das uns, okay?“

Das hatte der Schriftsteller natürlich mit Freuden getan und sich flugs mit Echo im Gepäck hinter einem Felsbrocken verborgen. Zumindest solange, bis dieser zerbrochen war, als die Axt aus einigen Metern Entfernung in den brüchigen Stein krachte. Oder besser gesagt: Die obere Hälfte dessen, was mal eine Axt gewesen war.

Und damit hatte dann seine Rennerei begonnen.

Rumo hatte unterdessen zu seiner großen Freude festgestellt, dass sie mit diesem speziellen Exemplar eines Bücherjägers leichtes Spiel haben würden. Seine Rüstung war viel zu schwer und ihm noch dazu an einigen Stellen zu groß, sodass sich der Wildschweinling in ihr kaum bewegen konnte. Und die wenigen Bewegungen, die er dann doch hinbekam, waren so unbeholfen und ängstlich, dass er damit nicht einmal Löwenzahn erschrecken konnte.

Sowieso gab der sich in diesem Kampf erstaunlich selbstsicher. Was wohl daran liegen musste, dass sie kaum etwas zu befürchten hatten.

Nachdem der unglückselige Bücherjäger von Blaubär zu Fall gebracht worden war, packte Rumo ihn an den Hörnen seines Helms, zog ihn mit viel Schwung daran hoch und schleuderte ihn dann wie ein nasses Handtuch an die Höhlenwand, wo er laut scheppernd abprallte und zu Boden rutschte. Der Buntbär, der diesen Schritt voraus gesehen hatte, nutzte die Orientierungslosigkeit ihres Gegners, um schnell sein Messer zwischen dessen Helm und Brustpanzer zu schieben. „Gib auf! Du hast keine Chance!“

Der Bücherjäger hob die Hände. „Schon gut, schon gut!“, jammerte er und fügte schnell noch ein theatralisches Schluchzen an, nur um sicher zu gehen. „Ich seh’s ja ein. Nur bitte lasst mich leben!“

Blaubär zog das Messer zurück und richtete sich auf. „Wir hatten nie vor dich zu töten.“

„Nicht?“ Noch immer sichtlich misstrauisch ließ der Wildschweinling langsam seine schützenden Arme sinken. „Aber ich dachte, unter Jägern macht man das so? Müsstet ihr mir nicht jetzt mein Buch und meine Waffen abnehmen?“

Rumo verdrehte die Augen, kam auf das zitternde Häuflein Elend zu und streckte ihm seine Pfote entgegen, um ihm aufzuhelfen. „Da du ganz offenbar nicht zugehört hast, als der dicke Dino mit dir gesprochen hat, sage ich es dir gerne noch einmal: Wir sind keine Bücherjäger, sondern einfache Reisende, verstanden?“

Zögerlich nahm der Besiegte die Hilfe an und ließ sich von dem Wolpertinger hochziehen. „Also stimmt das tatsächlich? Aber wohin wollt ihr denn, dass ihr euch hier herunter traut?“

Mythenmetz, der unterdessen das goldene Buch vom Steinboden aufgelesen hatte, warf dieses nun achtlos seinem Besitzer entgegen. Der fing es nur unter größten Mühen und drückte es sogleich an seine Brust, als hinge sein Leben davon ab. Was es vielleicht auch tat.

„So weit kommt das noch“, schnaubte die Echse ungehalten, „dass wir jetzt auch noch ausgerechnet einem Bücherjäger auf die Nase binden, wohin wir auf dem Weg sind. Ich würde vorschlagen, du kümmerst dich lieber darum, dass du selbst ungeschoren hier herauskommst – wofür ich gerade nicht unbedingt meine Klaue ins Feuer legen würde – und lässt uns einfach in Frieden, einverstanden?“

Der Bücherjäger zuckte zusammen und um Mythenmetz’ Mundwinkel zeichnete sich ein herablassendes Lächeln ab. „Ja, so sieht es aus, du…“

„Seid still!“

Jetzt war es an dem Lindwurm zusammen zu zucken und augenblicklich begann an seiner Schläfe sehr deutlich eine Ader zu pochen. „Sag mal hast du sie noch alle?“, fuhr er den Wildschweinling an und besprühte ihn dabei mit einer ordentlichen Ladung Spucke. „Wie redest du bitte mit den Leuten, die gerade gnädigerweise dein Leben verschont haben?“

Der Bücherjäger klammerte sich noch fester an sein Buch, die Augen hinter dem Schlitz in seinem Helm tanzten wild in der Höhle umher. „Nein, versteht mich nicht falsch. Ihr müsst still sein, bitte!“

„Jetzt reicht es mir aber endgültig mit dir! Ich…“

Weiter kam er auch diesmal nicht, denn Rumo war vor ihn gesprungen und hatte ihm so gut es ging seine Pfote vor das Dinosauriermaul geschoben. „Er hat Recht! Still!“

Was der Bücherjäger ganz offenbar schon längst vernommen hatte, war auch den scharfen Sinnes des Wolpertingers nicht entgangen. Ein leicht unregelmäßiges und doch rhythmisches Geräusch aus der Dunkelheit der Katakomben , wie die Schritte eines Humpelnden, allerdings begleitet von einem metallischen „klick“ bei jedem zweiten Aufsetzten. Rumo legte angestrengt lauschend die Stirn in Falten. Was mochte das sein?

Echo hatte es auch gehört. „Oh nein, bitte nicht noch einer von denen“, flüsterte er ängstlich und zog das Köpfchen zwischen die Schultern. „Dieses Mal kommen wir bestimmt nicht ungeschoren davon.“

„Kommt ihr auch nicht, wenn ihr nicht sofort verschwindet“, hauchte der Wildschweinling, der wieder zu zittern begonnen hatte, und ließ sein hart umkämpftes Buch fallen, als wäre es plötzlich wertlos geworden. Panisch warf er den Kopf nach links und rechts, während das Geräusch von allen Seiten her näher zu kommen schien.

Rumos Mund wurde mit einem Mal trocken. Was auch immer da auf sie zukam, machte ihm Angst, ohne dass er wirklich erklären konnte, warum. Wahrscheinlich war es der Bücherjäger, der ihn in seiner Hektik ansteckte und seinen Herzschlag beschleunigte, bis er ihn in seinem Hals spüren konnte. „Was ist das?“

Als der Jäger ihm antwortete, war es die reine Furcht, die aus ihm sprach. Seine Stimme bebte zusammen mit dem Rest seines massigen Körpers, bis die Rüstung nur so rasselte, und machte das Gesagte beinahe unverständlich. Rumo musste aufmerksam zuhören, um ihn zu verstehen. „Glaubt mir, ihr müsst fliehen! Wir alle müssen fliehen! Jetzt sofort!“

„Niemand flieht hier! Was ist das, was kommt da?“

Der Bücherjäger schien den Tränen nahe. „Bitte, lasst mich gehen! Diese humpelnden Schritte, dieses metallene Klicken – das ist der Schattentod. Er ist gekommen, um mich zu holen, weil ich ihm eines seiner Bücher gestohlen habe.“

Rumo zuckte zusammen – innerlich und äußerlich – und wirbelte zu Mythenmetz herum. „Ammenmärchen, ja?“, knurrte er ihm entgegen. „Sehr reales Ammenmärchen, würde ich sagen!“

„Pah“, machte der Lindwurm abfällig, konnte dabei aber nicht verbergen, dass er selbst vor Anspannung zitterte. Die kurzen Flügel auf seinem Rücken verrieten seine hektischen Atemzüge und er schluckte hörbar. „Wie ich schon sagte: Das ist alles Schwachsinn! Das ist nur ein weiterer Bücherjäger, nicht mehr und nicht weniger! Dieser kleine Feigling will uns doch nur einen Bären aufbinden, damit wir ihn ungeschoren davonkommen lassen!“

„Bitte, ihr müsst mir glauben!“, fiepte der Wildschweinling mit inzwischen hysterischer Stimmlage. „Ich erzähle euch keine Märchen. Wir müssen verschwinden! Diese Kreatur wird mich in Stücke reißen und dann seid ihr dran. Es heißt, er kenne keine Gnade, weil er aus purer Langeweile tötet.“ Damit blickte er sich ein letztes Mal wild in der Höhle um, offenbar um sich zu entscheiden, aus welcher Richtung das omnipräsente Geräusch denn nun genau kam, stürmte dann wie von der Tarantel gestochen und ohne sein erbeutetes Buch los, prallte gegen den verdutzt dreinblickenden Blaubär, stieß ihn zur Seite und verschwand schließlich in eben jenem Stollen, aus dem er gekommen war.

Mythenmetz verschränkte die Arme vor der Brust. „Was für ein Feigling! Das ist ein Bücherjäger, nichts weiter. Und wir werden ihn auseinander nehmen, wie den da gerade auch. Ende, Schluss, aus. Nichts mit Schattentod, ihr werdet schon sehen.“

Ein hässlich schabendes Geräusch dicht gefolgt von einem markerschütternden Schrei ertönte aus der Richtung, in die der ängstliche Wildschweinling soeben verschwunden war und Mythenmetz fuhr zusammen. „Ähm… schön, dann hat der eine Bücherjäger jetzt eben den anderen getötet, umso besser für uns, oder?“

Rumo fand das alles andere als lustig. Dem Klang nach hatte es nur wenige Meter von ihnen entfernt gerade tatsächlich einen Mord gegeben, noch dazu einen erschreckend schnellen und erbarmungslosen, dem nicht einmal ein Kampf voran gegangen war. Falls der Schriftsteller recht hatte und es wirklich nur ein Bücherjäger war, dann war es ein sehr viel stärkerer als der vorhergehende. Falls er sich allerdings irrte und es tatsächlich dieser Schattentod war… ja, was war dann eigentlich? Wer war diese Kreatur? Welche Ziele verfolgte sie? Und was wusste der Lindwurm, was sie nicht wussten?

Er kam nicht dazu, weiter über diese Fragen nachzudenken, denn in dieser Sekunde kam etwas durch denn Stolleneingang in die Höhle hinein geflogen und landete schließlich mit einem dumpfen Aufprallgeräusch direkt vor Mythenmetz’ Füßen.

Es war der Bücherjäger.

Oder besser gesagt: Eine Hälfte von ihm.

„Oh Scheiße!“, entfuhr es dem sonst so gesitteten Lindwurm und er stolperte hektisch einige Schritte zurück, um ja nicht mit der sich ausbreitenden Blutlache in Berührung zu kommen.

Oh Schieße war auch in etwas das, was Rumo im Angesicht des halben Kadavers durch den Kopf schoss, begleitet von einem unmissverständlichen „Uärgh!“, das Blaubär zur gleichen Zeit im exakten Wortlaut aussprach. Echo stellte seinen Schweif auf, formte einen mächtigen Buckel und fauchte wie der Teufel persönlich, als könne er damit den toten Körper in die Flucht schlagen, was natürlich, sehr zum Leitwesen aller, nicht funktionierte.

Der Wolpertinger begriff schnell, dass ihr Problem allerdings weniger im grausigen Anblick der Leiche lag, als viel mehr bei demjenigen, der ihnen dieses Geschenk beschert hatte und der nun unregelmäßig klappernden Schrittes unaufhaltsam auf die kleine Reisegruppe zugelaufen kam, ruhig und besonnen, als mache er einen Spaziergang.

Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit hatte Rumo Todesangst.

„Wir sind am Allerwertesten, Leute“, sagte Grinzold leise und dieses Mal alles andere als tollkühn oder wagemutig-optimistisch. „Was auch immer da auf uns zukommt, macht uns kalt.“

Löwenzahn wimmerte nur gedämpft vor sich hin.

Alle Augen waren nun auf den Höhleneingang gerichtet, in stummer Erwartung des Schlimmsten. Das Geräusch der Schritte schien nun in benahe greifbarer Nähe und langsam begann sich eine Gestalt im fahlen Licht der Fackeln abzuzeichnen, die Mythenmetz noch immer trug, die Blaubär und Rumo zum Kampf in den Fels gesteckt hatten.

Beinahe wäre der Wolpertinger überrascht gewesen, denn die Kreatur war recht klein, kleiner als er auf jeden Fall. Vielleicht sogar kleiner als Blaubär, das war schwer zu sagen. Sie hatte ihren gesamten Körper in eine zerschlissene schwarze Robe gehüllt und eine Kapuze verbarg das Gesicht im Schatten. Doch was am skurrilsten war, war die riesenhafte Sense, die die schwarze Gestalt auf dem Rücken trug, und von der noch immer das Blut des unglückseligen Bücherjägers tropfte.

Rumo war sich sicher:

Vor ihm stand der Tod persönlich.
 

Mythenmetz reagierte geistesgegenwärtig. Er packte Echo am Schlafittchen und schleuderte ihn zur anderen Seite der Höhle hinaus, wohl wissend, dass dieser mit Sicherheit unversehrt und auf allen Vieren aufkommen würde. Dann griff er in seinen Umhang und beförderte den Säbel zutage, den er bis jetzt darin verborgen hatte. Jetzt war keine Zeit für Zimperlichkeiten, das war selbst ihm klar.

Auch Rumo brauchte nur Sekunden, um seine Angst zu zerkauen, herunter zu schlucken und in seinem Innersten in Kampfgeist zu wandeln. Wenn er schon untergehen sollte, dann wenigstens in der Schlacht. So und nicht anders war es dem größten Helden von Zamonien vorbestimmt, da war er sich sicher.

Als er merkte, dass eben jene stoische Ruhe ihn einhüllte, die ihn immer während eines ernst zu nehmenden Kampfes begleitete, hob er Löwenzahn und deutete mit dessen gespaltener Spitze auf den Neuankömmling. „Keinen Schritt weiter!“

Und tatsächlich bleib die vermummte Gestalt just in diesem Augenblick stehen und verharrte, wo sie sich befand, während die Sense unaufhörlich rubinrote Tropfen auf seinen Nacken fallen ließ. Es schien ihn nicht weiter zu stören.

„Wer bist du?“, wollte Rumo wissen.

Die Gestalt legte den Kopf schief, das Gesicht in seine Richtung gedreht.

„Bist du der, den man den Schattentod nennt?“

Die Gestalt ließ ihre rechte Hand langsam über die Schulter zum Schaft der Sense wandern. „Es interessiert mich nicht, wie man mich nennt.“

Rumo erschauderte beim klang, der kalten, völlig gefühllosen Stimme, die eindeutig vermittelte, wie egal es ihrem Besitzer war, wie viele Leichen seinen Weg pflasterten und ob es nun Wolpertinger oder Lindwurm war, was zu seinen Füßen zuckte und sich wand. Er schluckte ein weiteres Mal, obwohl sein Mund schon seit mehreren Minuten staubtrocken war. „Und was willst du? Der, der dir dien Buch gestohlen hat, ist tot, du kannst es also wiederhaben.“

Jetzt hatte die Gestalt, die wohl tatsächlich eben jener Schattentod war, die Sense in die rechte Hand genommen, hielt sie von sich weg und musterte abschätzend das darauf glitzernde Blut. „Was, dieses Buch? Nein, ihr könnt es behalten, es ist wertlos.“

„Aber du hast den Bücherjäger getötet? Warum? Was willst du?“

„Was ich will…“ Der Schattentod ließ einen Tropfen Blut den hölzernen Schaft in seiner Hand hinunter gleiten. „Keine Ahnung, sag du es mir.“

Verdutzt ließ Rumo Löwenzahn ein paar Zentimeter sinken. Was war das denn? Ein Mörder mit philosophischen Zügen? Das hatte ja fast ein wenig melancholisch geklungen.

Dann sammelte er sich wieder um nahm erneut eine kampfbereite Haltung an. Der Unaufmerksame fällt als erstes, hatte Smeik ihm beigebracht. „Woher soll ich wissen, was du willst? Töten lassen wir uns auf jeden Fall nicht so einfach!“

Der Schattentod schwang die Sense locker in der Hand, als prüfe er, wie gut sie sich führen ließ. „Ach tatsächlich? Darf ich das als Herausforderung verstehen? Ich mag Herausforderungen. Aber nur, wenn sie auch wirklich schwierig sind, also enttäuscht mich bitte nicht, ja? Andererseits bist du ein Wolpertinger, die sollen ja vergleichsweise gute Kämpfer sein...“ Er packte die Sense nun mit beiden Händen und senkte seinen Körperschwerpunkt. „Nun, wir werden sehen.“

„Ist das alles?“ Rumo verlagerte als Reaktion auf die offensichtliche Kampferöffnung ebenfalls sein Gewicht. „Das ist deine Motivation zu kämpfen? Allein die Herausforderung, ob du jemanden töten kannst oder nicht?“

Der Schattentod zuckte gelangweilt mit den Schultern. „Das Leben ist so erdrückend monoton. Und es dauert viel zu lange für jene, die einsam sind.“

Das nächste, was Rumo wusste, war, dass die Sense nur Millimeter von ihm entfernt in den Fels schlug.

„Was ist denn? Ich dachte, ihr Wolpertinger seid schnell?“

Rumo war mehr als klar, dass er bereits tot wäre, hätte sein Gegner nicht mit voller Absicht daneben gezielt. Und wenn er ehrlich war, war dieses Wissen nicht gerade das, was man als aufbauend bezeichnen würde. Doch es gehörte weit mehr dazu, den Kampfgeist eines Wolpertingers zu zerschlagen und so gelang es ihm, sich geschickt unter dem nächsten Schlag wegzuducken, der die Luft genau dort zerschnitt, wo wenige Sekunden zuvor noch sein Kopf gewesen war. Jetzt machte sein Gegenüber ernst.

Die nächsten Hiebe parierte Rumo mit Löwenzahn, was keine wirklich leichte Angelegenheit war, da sich die beiden Waffen hinsichtlich ihrer Länge doch beträchtlich unterschieden. So war die Sense mit Schaft gemessen sogar einige Zentimeter größer als ihr Träger, während Löwenzahn gerade einmal die Länge von Rumos Unterarm maß. Kein sehr angenehmer Nachteil.

Der Schattentod begann nun am laufenden Band auf den Wolpertinger einzuschlagen, sodass diesem kaum etwas anderes übrig blieb, als abzuwehren und zurück zu weichen, soweit es eben ging. Schließlich stieß er mit dem Rücken gegen die Höhlenwand und sah sich schon als Geschnetzeltes am Boden liegen, als plötzlich Blaubär aus dem Nichts auftauchte, mit gefletschten Zähnen seitlich gegen den Schattentod prallte und ihn einfach mit sich umriss, wie eine leblose Schaufensterpuppe. Das Knäuel aus blauem Fell und schwarzer Robe überschlug sich durch die schiere Wucht des Angriffs ein paar Mal auf dem Boden, wobei die Sense unkontrolliert durch die Höhle geschleudert wurde und beinahe Mythenmetz einen Kopf kürzer gemacht hätte, und kam schließlich einige Meter weiter zum liegen. Sofort entbrannte zwischen den beiden Kontrahenten ein stummer Wettbewerb, wer sich zuerst wieder sortiert hatte und weiterkämpfen konnte, den Blaubär schon bald für sich entscheiden konnte. Er sprang auf die Hinterläufe, zog sein Messer aus dem Gürtel und rammte es dem immer noch am Boden liegenden Schattendtod ins Bein.

„Ja!“, entfuhr es Rumo und er stieß triumphierend die linke Faust in die Luft.

Dann sprang ihr Gegner auf die Füße, so elegant und sicher, als existiere die Klinge in seiner Wade überhaupt nicht, und Rumo ließ die Faust schnell wieder sinken. Zu früh gefreut.

Blaubär taumelte einige Schritte zurück. „Was zum…?“

Der Schattentod beugte sich zu dem Messer in seinem Bein herunter, zog es in einer einzigen, kraftvollen Bewegung heraus und Rumo musste entsetzt feststellen, dass nicht ein einziger Tropfen Blut an ihr klebte.

„Zu tragisch“, säuselte die schwarze Gestalt. „Jetzt hättet ihr mich fast gehabt und dann das.“ Er lachte dreckig, dämonisch.

‚Natürlich’, dachte Rumo. ‚Ein Holzbein. Daher die unregelmäßigen Schritte.’ In diesem Moment wollte er nicht darüber nachdenken, wie schnell diese Kreatur gewesen sein musste, als sie noch ihr richtiges Bein besessen hatte. Manche Fragen stellte man sich am besten erst gar nicht.

„Verdammter Mist!“, fluchte Blaubär ungeniert und sprang schnell in einen gebührenden Sicherheitsabstand. „Hoffentlich ist sonst jedenfalls alles echt an dem, andernfalls wird’s haarig!“

Der Schattentod ging zu seiner Sense und hob sie auf. „Dabei seid ihr doch hier die pelzigen Zeitgenossen…“

Rumo hatte keine Zeit sich zu fragen, was das über die Rasse seines Gegners aussagte. Er hastete hinüber zu Mythenmetz, der nach dem unerwarteten Sensenanschlag auf seine Person offenbar in eine Art Schockstarre verfallen war. „Schnell!“, reif er ihm zu. „Gib mir deinen Säbel!“

„Hä, warum das?“

„Frag nicht! Gibt ihn mir einfach!“

Etwas ungeschickt warf ihm der Lindwurm seine einzige Bewaffnung zu, nachdem er begriffen hatte, dass er seine Fragen wohl besser auf später verschieben sollte.

Rumo fing die reichlich verzierte Waffe mit seiner linken und hielt sie sich nebst Löwenzahn vor die Brust. Zeit für drastischere Maßnahmen.

Dann stürmte er ohne Rücksicht auf Verluste auf den Schattentod zu, überwand die letzten Meter in einem einzigen, rieseigen Satz und griff an.

Dieses Mal hatte eindeutig er die Oberhand. Wie besessen prügelte er auf die vermummte Gestalt ein, sodass seinem Gegner erst gar nicht die Zeit blieb, zum Schlag mit der Sense auszuholen, und genau da lag sein Vorteil. Er war vielleicht nicht so schnell, aber seine Waffe war es, denn sie war klein und das war gut so. Und dann, als der Schattentod nach einem besonders harten Treffer gegen den Holzschaft der Sense für wenige Sekunden den Kopf zur Seite drehte, war der Moment gekommen, auf den er gewartet hatte.

Rumo schleuderte Löwenzahn in die Luft.

Gleichzeitig setzte er seine Schlagreihe fast ohne Unterbrechung mit dem Säbel fort, denn genau so sollte es sein. Das Problem an der Geschichte: Sie befanden sich in einer Höhle und somit war der Platz nach oben hin deutlich begrenzt, das musste er bedenken und hatte er bedacht. Wenn alles so lief, wie er es angedacht hatte, würde Löwenzahn knapp unter der Felskuppel entlang kratzen, ohne diese zu berühren. Wenn es nicht so lief – nun, dann hatte er eben Pech gehabt.

Die Geräusche hinter dem Klirren seiner Treffer sagten Rumo, dass er kein Pech hatte, dieses Mal nicht. Das schaben von Metall auf Stein blieb aus, dafür war ein deutliches rhythmisches Sirren zu hören.

Eins, zwei, drei… in anbetracht der maximalen Höhe wären zehn oder zwölf ein guter Anfang.

Vier, fünf, sechs… Rumo drängte den Schattentod weiter rückwärts.

Sieben, acht…. Jetzt kam der schwierige Teil. Sie mussten zurück, nur wie? Rumo tat einen aus dem Fechten stammenden Ausfallschritt mit dem rechten Bein und sein Gegenüber wich mit einer Rechtsdrehung seinerseits aus. Sehr gut.

Neun… Rumo schnitt dem Schattentod geschickt den Weg ab und dirigierte ihn so zurück zu eben jener Stelle, an der er Löwenzahn aus der Hand gegeben hatte.

Zehn… Einen Schritt, ein Schlag mit dem Säbel und sie waren am richtigen Punkt angekommen. Jetzt kam es drauf an.

Elf… und abwärts. Löwenzahn raste mit dem Griff voran in Richtung Boden, wo sein Besitzer im Bruchteil eines Augenblicks den Säbel von der Rechten in die Linke warf, die so freigewordene Hand in die Luft stieß, sein Schwert aus dem freien Fall fing und die Klinge der scheinbar aus dem nichts aufgetauchten Waffe auf seinen Gegner niedersausen ließ.

Ein elffacher DeLucca.

Er war perfekt.

Oder wäre es zumindest Gewesen, wenn nicht Rumos ganz persönlicher Albtraum gerade in diesem Moment beschlossen hätte, wahr zu werden. Denn offenbar wusste der Schattentod nur allzu gut, was da auf ihn zukam, sodass er sich im genau richtigen Augenblick wegducken konnte. Das wiederum machte aus dem so kunstvoll durchgeführten mehrfachen DeLucca nichts weiter als einen sehr kraftvollen, vorwärts gerichteten Angriff, der jetzt nicht nur ins Leere verpuffte, sondern seinen Vollstecker auch noch dazu verdammte, seiner Waffe nachzustürzen und in einem unsäglich missglückten Vorwärtssalto zu Boden zu taumeln.

Rumo merkte sofort als er aufprallte, dass etwas nicht stimmte. Ein glühender Schmerz zuckte von seinem Nacken ausgehend durch seinen gesamten Körper und lähmte ihn. Nicht psychisch, sondern physisch.

Er konnte sich nicht mehr bewegen. Da waren nur noch Schmerzen und kleine, silberne und goldene Sterne, die vor seinen Augen tanzten und ihm die Sicht verwischten. Er wusste, was los war, konnte es ganz deutlich spüren, knapp unterhalb seines ersten Halswirbels: Durch den Aufschlag war einer der Nervendrähte in seinem Nacken gerissen.

Einer jener Drähte, deren Existenz er im Strudel der Ereignisse vollkommen vergessen hatte.

Nun, das kam ihn jetzt teuer zu stehen.

‚Bitte’, flehte er in Gedanken, als er auf den rauen Steinen in sich zusammen sackte. ‚Bitte lass die anderen begreifen, was los ist! Lass sie mir helfen. Oder lass sie zumindest abhauen.’ Gern hätte er Blaubär ein Zeichen gegeben, doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht einmal mehr seinen Arm heben.

Der Schattentod hatte sich unterdessen wieder gesammelt und kam nun mit erhobener Sense auf den am Boden liegenden Rumo zu. „Na da ist wohl etwas leicht nach hinten losgegangen, wie?“ Sein meckerndes Gelächter erfüllte einmal mehr die kleine Höhle. „Na komm schon, steh auf, so macht das keinen Spaß!“

Rumo rührte sich nicht. Wie auch?

Sein Gegner hob die Sense über den Kopf, bereit zum finalen Schlag. „Du willst nicht? Nun gut, dieses Spiel wurde mir ohnehin langsam zu eintönig.“ Er schob seinen Arm noch etwas weiter nach hinten und riss ihn dann mit voller Kraft zurück, die Klinge seiner blutbefleckten Waffe akkurat auf Rumos nun ungeschützt liegende Kehle ausgerichtet.

Jetzt begriff auch Blaubär, dass mit seinem regungslos daliegenden Freund etwas nicht stimmen konnte, doch er befand sich am anderen Ende der Höhle und obwohl er sofort lossprintete, brauchte man kein Mathegenie zu sein, um sich ausrechnen zu können, dass es zu spät war.

Das glänzende Metall rauschte mit irrwitziger Geschwindigkeit auf den Wolpertinger hernieder, der in diesen Sekunden mit dem Leben abschloss.

Das letzte, was er sah, war seltsamerweise der Schatten einer Katze, die über seinen Kopf hinweg sprang und sich so zwischen ihn und die Sense warf…

‚Vielleicht keine Katze’, überlegte er. ‚…vielleicht eine Kratze?’

Und dann: ‚Was für ein sinnloses Opfer, Echo. So sehr du es auch willst, du kannst ja doch nichts ausrichten. Wir werden alle sterben.’
 

Und genau das war der Moment, in dem sie eben nicht starben.

Denn, so unglaublich es auch schien: Wenige Zentimeter vor dem Hals der kleinen Kreatur stoppte die Sense ganz unvermittelt durch die Hand ihres Besitzers, um dann zitternd an Ort und Stelle zu verharren.

Rumo verstand die Welt nicht mehr und Blaubär, der schlitternd neben ihnen zum Stehen kam, offenbar eben so wenig.

Der Schattentod hatte erbarmungslos einen Bücherjäger nieder gemetzelt und war kurz davor gewesen, einem ihm völlig fremden Wolpertinger die Kehle aufzuschlitzen, doch vor dem Mord an einer Kratze schreckte er zurück?

Wo lag da der Sinn?

Schließlich ließ er sogar die Sense sinken und taumelte wie getroffen von Wolpertinger und Kratze weg. „Was wird hier gespielt?“

Auf Echos kleinem Kratzengesicht lag ein Ausdruck, den man nur mit absoluter Bitterkeit und Abscheu beschreiben konnte, ein Ausdruck puren Hasses, den wohl keiner dem fröhlichen Krätzchen zugetraut hätte.

Bis jetzt.

„Lustig“, zischte er dem Schattentod entgegen. „Genau das wollte ich dich gerade fragen!“



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