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Shiken Jigoku

性能試験場
von

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Dritter Salut

Gewandt entglitt der Oberkommandant einem Breitschwerthieb. Schneider rückte die Handfeuerwaffe zurecht und legte den Kopf an. Leider musste er sich eingestehen, dass seine Bewährungsprobe aus dem Ruder gelaufen war. Er befand sich aktuell in Sicherheit – die meisten Gibral-Kämpfer warfen sich auf den General, als würde auf dessen Stirn "Bösewicht" geschrieben stehen. Es gibt kein eindeutig zuzuweisendes Gut oder Böse, das wusste Schneider ebenso wie sein Anführer. Jeder verteidigt lediglich das, was ihm wichtig ist: Seine Überzeugung, Ruhm, die Familie… oder das eigene, so leicht verletzliche Leben. Obwohl…

Etwas raste durch die Luft. Schneider sprang auf die Füße, vermochte es jedoch nicht zu identifizieren. Dies wurde in selber Sekunde auch eher nebensächlich, als er erkannte, worauf es abzielte – oder auf wen!

„Passt auf!“ Er drückte die Waffe an sich und schlitterte den Hügel hinunter. Auf seine Worte hin drehte sich Logi zwar um, doch da war es zu spät: Nicht einmal sein Schatten Walküre konnte verhindern, dass sich dieses fliegende Objekt in seine Schulter fraß. Vom Schmerz betäubt, verlor er die Balance und sank auf ein Knie, wodurch er glücklicherweise der horizontalen Attacke eines Schwertmeisters entging. Er nutzte den Schwung seiner eigenen noch wirbelnden Waffe, um zum Konter auszuholen und sich gleichzeitig wieder auf die Beine zu hieven, während sein Rekrut den verborgenen Schützen ausmachte. Die Klingen prallten gegeneinander. Über sie hinweg lachte der Schwertmeister ihn siegessicher an. „Reichlich übermütig von Eurem Herrn, bloß zwei Mann auszusenden, Angriffsvorteil hin oder her! Ihr seid naiv, falls Ihr glaubt, Gibral würde sich nach Jahrhunderten der Kriegserfahrung noch in dieses Tal begeben, ohne eine Versicherung im Rücken zu haben!“

Ein paar gezielte Schüsse beendeten die Euphorie des Schwertmeisters schließlich. Japsend holte Schneider zu seinem Vorgesetzten auf. Ihm lag die Frage bereits auf der Zunge, da erinnerte er sich jener Worte, die er ihm kurz vor der Abreise mit auf den Weg gegeben hatte.
 

Ihr von Logi bestimmter Pfad führte sie durch einen schier endlos langen Korridor ohne viel Lichteinfall. Ein dezenter Duft nach frisch geschnittenen Rosen blies in des Jüngeren Nase. Unschlüssig spähte er an der Erscheinung seines Führers hinauf. Einerseits war er ihm dankbar für die Unterstützung – andererseits blähte sich in ihm der Druck einer Frage auf wie ein Ballon. Ein Offizier muss seine Leute stets im Griff haben, so viel stand fest. Warum aber schwieg General Logi dann in diesen Fällen so beharrlich? Wieso gebot er ihnen keinen Einhalt, wenn es erforderlich war, geradezu so, als verhehlte er… Feigheit? „Sir?“

„Ja?“

„Erklärt mir…“ Erneut sank sein Gesicht instinktiv gen Boden. Nicht, dass die hin und wieder von feinen Linien durchzogenen Platten auf irgendeine Weise interessant anzusehen wären. Selbst seinem Rücken gegenüber fühlte er sich nicht würdig. Er war nie scheu gewesen, auch vor dem notgedrungenen Verlassen seiner Heimat nicht. Doch in der Anwesenheit des großen Generals König Nenes schien plötzlich alles Bisherige Kopfstände zu vollführen.

„Was ist los, Schneider?“

„Warum seid Ihr nicht dazwischengegangen, als die Unterkommandanten sich über mich lustig gemacht haben?“

Kaum war die Frage ausgesprochen, blieb der Heerführer stehen. Schneiders letzte beiden Schritte hallten in die vor ihnen liegende Dunkelheit, dann war es still bis auf das leidlich wahrnehmbare Surren einer Glühbirne. Er lugte an ihm hinauf, sah das Profil seines markanten Antlitzes, die lange Narbe über dem Auge, welches ihn musterte… und ließ seinen Blick wieder fallen.

„Warum nicht, General?“

Schon oft hatte er über diese Frage nachgedacht – und natürlich auch über die möglichen Antworten. Darunter gab es etliche enttäuschende, doch nun, da er sie zum ersten Mal geäußert hatte, schien ihm die schlimmste aller Antworten das Schweigen zu sein.

General!

-Al! -Al! -Al. -Al… Sein Echo blieb die einzige Erwiderung. Der zitronenblonde Junge spreizte seine Arme und drückte die Fingernägel so fest in das Fleisch seiner Handflächen, dass allein es anzusehen schmerzhaft war. Wut hatte seine Pupillen befallen und ließ sie haltlos zittern. General Logi zeigte sich nach wie vor unbeeindruckt.

„Antwortet mir, General! Warum habt Ihr nichts unternommen?! Warum lasst Ihr das zu?! Habt Ihr mich in das Große Königreich geholt, damit sich alle über mich lustig machen können?! Bin ich nicht mehr als… als eine Witzfigur?!“ Mut fassend, trat er einen Schritt auf ihn zu. Logi hatte ihn damals als letzten Überlebenden einer zerbombten Siedlung gefunden, umgeben von niedergeschlagenen Soldaten, hatte sich seiner angenommen. Hübsche grüne Augen. Aus dem Rohmaterial seiner Verzweiflung hatte er ihm die Illusion einer aussichtsvollen Zukunft gesponnen, hatte ihn Nene höchstpersönlich vorgestellt… und das soll es gewesen sein? „Ich habe zugesehen!“, brüllte er dem stoischen Konterfei entgegen. „Ich habe sie alle sterben sehen! Durch die Hände Eurer Soldaten, Logi! Auf Euren bloßen Befehl hin haben sie mir meine Familie, meine Heimat, mein ganzes Leben genommen! Ich habe nur noch mich selbst, versteht Ihr?! Und mich interessiert nichts anderes mehr! Ich will mächtig werden, General; ich will all meine bisherigen Grenzen sprengen und mir nie wieder etwas nehmen lassen müssen!“

Mit der Energie und Geschwindigkeit eines Wasserschwalls, der durch den Damm bricht, riss er das Schwert des Ritters aus der Scheide, holte aus und ließ es auf seinen Besitzer zufahren.

Das ist für meine Familie!

Etwas Feuchtes verklärte seine Sicht, während der silberne Stahl über die Erscheinung des Kommandanten streifte. Sobald sein Wahrnehmungsvermögen zurückgekehrt war, spürte Schneider einen bebenden Widerstand am anderen Ende der Klinge. Entgeistert blinzelte er. Ein tiefrotes Rinnsal schlich die Schneide des Schwerts entlang, bis es die Parierstange erreicht hatte. Er war unfähig, seine Augen davon abzuwenden. Und er fürchtete sich. Er fürchtete sich vor dem, was er getan hatte.

„Es ist in Ordnung“, sagte eine Stimme beruhigend. „Ich habe verstanden.“

Endlich erkannte Schneider das Ergebnis seiner Raserei: General Logi hatte das ihm vertraute Schwert mit einer Hand von Schlimmerem abgehalten. Wo der Stahl auf das Material seines Handschuhs getroffen war, hatte er selbigen zerklüftet. Zwischen ihnen tropfte das Blut zu Boden. „Das tut mir so Leid“, flüsterte der Junge, schluckend gegen den widerspenstigen Klumpen in seiner Kehle. „Ich wollte das nicht. Wirklich. Bitte vergebt mir.“

„Es ist in Ordnung“, wiederholte General Logi in einem Ton, der gar nicht der seine zu sein schien. Auch etwas in seiner Miene hatte sich gewandelt: Sie sandte eine nahezu väterliche Wärme aus – obgleich sich ihre Merkmale kaum verändert hatten. Es war auch nicht das Äußere, was der Waise jenen Eindruck vermittelte… Es war etwas geringfügig Ersichtliches. Etwas Tiefes. Tief in diesen hellblauen Augen verborgen.

Schneider sackte schluchzend zusammen. Das Schwert klirrte auf den Grund. Blind bekam er die verwundete Hand des Generals zu fassen, zog sie zu sich und lehnte seine Stirn dagegen. Ein Junge weint nicht. Er ließ den Tränen freien Lauf.

„Der Weg eines Soldaten des Großen Königreiches wird niemals ein einfacher sein“, erklärte ihm der erfahrene Feldherr mit dem Klang eines Pastors, der eine empathische Rede für die Verstorbenen hält. „Wenn du glaubst, durch ein dir gegebenes Schwert schon stark zu sein, dann irrst du dich. Du musst es erst zu führen lernen; ansonsten stellt es sich als für deine Ziele nutzlos heraus.“

Die Augen des Rekruten, zu ihm aufschauend, wurden groß.

„Gram und Schmach peinigen deinen Geist, weil du dein Zuhause nicht retten konntest. Deshalb sehnst du dich nach Macht. Um Rache zu nehmen – und um diese als schwach diskreditierten Gefühle loszuwerden. Du wolltest Macht, die wir dir gegeben haben. Aber noch hast du nicht verstanden, woraus sie eigentlich besteht, wozu sie in der Lage ist… und was sie nicht kann.“

Er gewährte seinem Schützling Zeit, die Worte in seinen Verstand sickern zu lassen. Schneider ahnte, wie wichtig die folgende Lektion sein würde, auch wenn er jetzt noch außerstande sein mochte, sie zu begreifen.

„Diese Macht kann deine Gefühle nicht ausschalten“, fuhr der General dann fort. „So wie nichts und niemand das vermag, wie sehr du es dir manchmal auch wünschst. Aber Gefühle sind nichts, für was man sich schämen muss, Schneider; im Gegenteil: Sie sind der Nährboden jener Macht, von der ich spreche. Hochmut, Angst, Zorn… Sie lassen uns erstaunliche Energien freisetzen, wie du eben am eigenen Leib gespürt hast.“

Der Soldat ließ seine Affekttat Revue passieren: Wie er seinem Meister dessen Waffe entzogen und sie gegen ihn gewendet hatte. Wie er ihn verletzt hatte. Es war tatsächlich erstaunlich, dass er ihn hatte überraschen können. Und es war nur geschehen, weil sich eine unbeschreibliche Wut in ihm gestaut hatte.

„Bedauerlicherweise bedarf es in der Regel bestimmter Auslöser, um ein Gefühl derart zu intensivieren, dass die daraus resultierende Energie den Aufwand lohnt. Aus diesem Grund lernen wir, sie zu durchschauen, zu unterdrücken und schließlich bewusst für unsere Zwecke einzusetzen. Dies erfordert allerdings eine beinahe unmenschliche Synthese zwischen Flexibilität und Stabilität, wie wir sie sonst nur von Wasser kennen. Und dafür bilden wir dich aus. Betrachte die physischen Übungen dabei als nebensächlich. Sie kräftigen deinen Körper, doch dein Geist benötigt andere Methoden, um sich die schwierige Technik der emotionalen Kontrolle anzueignen. Das System der Schattennutzung funktioniert nach demselben Prinzip. Ein Schatten ist nur dann stark, wenn er auf die innere Ausgeglichenheit seines Meisters vertrauen kann, da er aus dessen Geist seine gesamte Wirksamkeit zieht. Du wolltest doch einen Schatten haben, nicht wahr?“

Gedankenverloren nickte Schneider. Er sog die Worte des Generals wie Sauerstoff zum Atmen auf und versuchte, sie zu ordnen. Gegenwärtig fühlte er sich fast zu erschöpft, um die etwas nebulöse Ausdrucksweise zu entschlüsseln, die logische Antworten auf all seine Fragen parat zu haben schien. Der General verschwieg noch viel vor ihm. Doch er würde ihm deshalb nicht nachtragend sein, weil er sich bewusst war, dass er ihm nicht mehr zumuten konnte als diese portionierten Almosen.

„Absolute Disziplin“, sprach Logi betont aus. „Sie ist das Ziel deiner Ausbildung. Sie ist der Schlüssel zum unvorstellbaren Potenzial, das in jedem von uns seiner Entdeckung harrt. Andere zu kennen, bedeutet Weisheit. Doch sich selbst zu kennen, bedeutet Erleuchtung. Andere zu meistern, erfordert Kraft. Sich selbst zu meistern, erfordert Stärke. Verneine deine Gefühle nicht, aber halte sie unter Verschluss. Werde ein Spiegel, wenn du angegriffen wirst – sei es durch Waffe oder durch Worte. Und wenn dann der Moment gekommen ist, reflektiere und strahle das aus, was du in dir konzentriert hast!“

Die ganzen Demütigungen! General Logi erwartete, dass er sie absorbierte und speicherte wie eine schwarze Fläche das Sonnenlicht. War er deswegen nie eingeschritten? Weil sie seinen Geist stärkten, indem er lernte, mit ihnen umzugehen? „General“, hauchte er verblüfft, während seine Hände von jener seines Mentors glitten. Unverändert stand Logi vor ihm, sah auf ihn hernieder, ohne dass es abfällig oder hochmütig wirkte, und führte die eigene Hand an seine Seite, schenkte dem tiefen Schnitt darin keinerlei Aufmerksamkeit. Tadellose Beherrschung… Er hatte etwas Königliches an sich. Es musste dieselbe Aura sein, die manche seiner Gegner noch vor dem Waffenzug zum Kapitulieren zwang.

„Es ist falsch, der Überzeugung zu sein, dass Soldaten gewissenlos Befehle ausführen sollen. Diese Annahme existiert sowohl außerhalb als auch intern des Militärs, aber ich werde mich hüten, jemals verständnislose Kampfmaschinen heranzuziehen. Doch Soldaten sind Mörder, das lässt sich nicht leugnen, und genau deshalb brauchen sie einen eisernen Panzer, der sie selbst schützt. Unterschätze niemals die Folgen eines Mordes, Erik Schneider… Und unterschätze nicht die Macht des Schweigens. Bewahre Ruhe. Vermeide es, zu sprechen, wenn es dir nicht notwendig erscheint – und erkenne, wann etwas notwendig ist. Verzichte auf jegliche Fragen, die nicht deiner Bereicherung dienen. Begehre nicht gegen deinen Ernährer auf, solange du von ihm abhängig bist, und gestehe dir in diesem Zug exakt ein, von wem du abhängig bist. Doch vergiss nicht, nachzudenken. Würdige dich selbst nicht herab und verliere deine Ziele nicht aus den Augen. Verliere deine Empfindsamkeit nicht…“

„Meine Empfindsamkeit… nicht verlieren“, wiederholte er noch etwas träge.

Logi nickte sanft. „Vielleicht verstehst du nun, weshalb sich niemand hier in die Angelegenheiten eines anderen einzumischen pflegt. Konflikte kräftigen, vergiss das nicht. Kümmere dich nicht um die anderen, frage nicht nach ihrem Befinden oder ob du ihnen irgendwo behilflich sein kannst. Hier wird jeder mit sich selbst fertig. So funktioniert das Große Königreich seit jeher.“

„Ich… verstehe.“ Er wischte sich die schon getrockneten Überreste der Tränen aus dem Gesicht.

„Gut. Ich bin gespannt auf die Ernte deiner Arbeit. Reichst du mir bitte mein Schwert?“

Er tat es. Es war schwer. Anschließend machte der Empfänger auf dem Absatz kehrt, um ihren Weg fortzusetzen. Luft schnappend, hielt Schneider ihn noch einmal auf: „Sir! Eure Hand!“

„Hm?“

War es nicht offensichtlich?

„Du tätest gut darin, das Besprochene sofort in die Tat umzusetzen, Kleiner.“

„Ähh – was?“

Die Konfusion unter dem dichten Blondschopf ließ Logi lächeln. Schneiders ungewollte Naivität amüsierte ihn. „Komm jetzt. Das Schiff wartet auf uns.“



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