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Shiken Jigoku

性能試験場
von

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Vierter Salut

Die Frage zerfloss ihm noch im Mund, ehe er seinen General erreicht hatte. Bewährungsprobe. Jetzt war die Gelegenheit gekommen, sich zu beweisen. Nicht nur anderen gegenüber. Er musste verinnerlichen, sich mit seinen Genossen ohne zeitraubende Worte zu verständigen. Er musste gefasst und konzentriert sein.

Das Geräusch aneinanderreibender Stahlketten lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die kupferfarbenen Felswände. Maschinen! Schneider fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen, hatte man ihm doch versichert, es würde kein schweres Kriegsgerät erwartet, und er hatte es geglaubt, bis der zwar geglückte Überraschungsangriff durch unverwechselbares Kanonenfeuer aus der Ferne eine ungeahnte Wendung genommen hatte. Nun kamen dessen Verursacher näher… Mit seiner Schusswaffe würde er machtlos sein. Schon vibrierte die Erde, sodass die kleinen Steine und manch menschlicher Überrest darauf morbide zu tanzen begannen. Anthrazitfarbene Dämpfe stiegen bedrohlich hinter den Hügeln empor, derweil der Lärm unerträglich wurde. Dann rollten sie herüber: Großkalibrige Geschütze – sechs gusseiserne, Kartätschen spuckende Drachen auf Gleisketten, die von fünfköpfigen Mannschaften angetrieben und bedient wurden. Schneider zog scharf die Luft ein, doch seinem Gefährten schienen die frontal auf sie zudonnernden Haubitzen mitnichten zu imponieren: „Das soll die "Versicherung" sein?“, rief er spöttisch, aber mit einem deutlich schimmernden Schweißfilm auf der Stirn. „Fahrende Wunderkerzen! Dass ich nicht lache! Die sind ja beinahe so furchteinflößend wie eine Ladung Konfetti! Walküre!“

Der waldgrüne Frauenschatten mit dem gnadenlosen Antlitz spannte seine Muskeln an und hielt sich bereit. Bisher hatte Schneider stets auf seinen Anführer vertrauen können; der Anblick der gewaltigen Artillerie ließ allerdings ernste Zweifel durchscheinen. Selbst wenn sie keinen Schuss abgäbe, würden die gigantischen Rollen sie bequem plattwalzen können.

In der Überzeugung, dass dies das Finale darstellte, sammelte sich der General für den vermeintlich letzten Vorstoß dieser Schlacht. Es schien, als würde er sich trotz der rasant auf sie zubretternden Gefahr überaus viel Zeit dafür nehmen – oder gerade deshalb, um sie nahe genug an sich zu lassen. Schneider verfolgte das Schauspiel aus Hitze, Druck, Dampf und Krach wie ein Zuschauer auf seinem verschatteten Sitz, obschon er mittendrin stand. Eine blaue Aureole bildete sich um den Schattennutzer, und die anschwellende Energie hob sein langes Haar, seinen Umhang gleich dunklen Schwingen an. Der Boden unter den unausgewogenen Kontrahenten schien zu brennen, als Schneider reflexartig die Augen zusammenkniff, um sie Millisekunden später gebannt aufzureißen.

„Dann wollen wir sie doch mal auspusten!“, rief Logi seinem Schatten zu. „"Rosen im Mai"!

Die loyale Hünin ließ ihre Waffe vor sich zirkulieren, und da die Maschinen sie fast erreicht hatten, wirbelten auf ihre dem menschlichen Auge nicht nachvollziehbaren Hiebe hin strahlende Lichter wie eiskantenscharfe Blütenblätter durch die Atmosphäre. Regengleich prasselten sie auf die Geschütze samt deren Verwendern ein; gellende Schmerzensschreie und Blut speiende Explosionen trieben in dem Sturm der nicht enden wollenden Klingen mit, der mühelos auch die fortrennenden Kanoniere erfasste. Das Spektakel endete mit sechs lauten Knallgeräuschen, sechsmal feierlich aufsteigendem Feuersmog sowie einem halben Dutzend zurückbleibender Schrottdeponien. Dazwischen der unversehrte Schwertkämpfer, über und über mit der Asche der Feinde bedeckt. Walküre war in der Zwischenzeit nicht mehr auszumachen.

Die beiden Diener des Großen Königreiches sahen sich achtsam um. Keine Zeit für vorfreudige Entspannung. Noch immer war die Präsenz des Feindes zwischen dem beißenden Geruch nach Kupfer und verkohltem Fleisch zu wittern. Soldaten, die aus dem Krieg zurückkehren, sei es passiert, dass sie sich die beklemmenden Eindrücke der geschlagenen Schlachten im Nachhinein weiterhin einbilden, selbst im heimischen Garten. Doch da sein Befehlshaber unvermittelt in eine bestimmte Richtung zu laufen begann, wusste Schneider, dass es wirklich noch nicht vorbei war.

„Wartet, General!“

Er hielt in der Bewegung inne und blickte leicht irritiert über die Schulter zu ihm. Der Junge war froh, dass er ihn stets und sofort wahr- und damit als Kameraden ernst nahm – ein Zeichen von Respekt.

Linkisch, weil seine hageren Hände noch immer vor Aufregung zitterten, schüttelte er sich den Rucksack vom Leib, öffnete ihn und hob einen Erste-Hilfe-Kasten hervor. Er brauchte nicht zu sprechen, um den Kommandanten an dessen Schusswunde zu erinnern, an die er selbst anscheinend keinen weiteren Gedanken verschwendet hatte. Ostentativ rollte der Rekrut einen Streifen des Verbands ab. Eine eindeutige Kopfbewegung erteilte ihm die Erlaubnis, die abrupt Zweifel in ihm weckte. Er war der Einzige, der es machen konnte. Aber war es nicht eine zu große… Ehre für ihn?

Dumme Erwägung!

Sie befanden sich inmitten eines Feldzugs, in dem kein Teilnehmer von geringerem Wert war als ein anderer. Außerdem wurde seine Assistenz gerade dringend benötigt, riesiger Rangunterschied hin oder her! Sie waren nun einmal nur zu zweit; außerdem hatte er es ihm gestattet; außerdem…!

Ein leises, beabsichtigtes Räuspern holte ihn zurück. Erwartungsvoll musterten ihn die hellblau eingefassten Pupillen. Mit Flammen hinter den Wangen konzentrierte sich Schneider auf die Verletzung, und der Anblick gereichte ihm sich zu wundern, wie dieser Mann ihr derart klaglos standhalten konnte: Der Bolzen, als den sich das vorher unidentifizierte Geschoss herausstellte, steckte noch im Fleisch; das Blut hatte ein abstraktes Mandala auf die betroffene Schulter gemalt. Es war selbstverständlich, dass General Logi der Verarztung nicht allzu viele Minuten opfern wollte. Die Gibral-Truppen konnten jede Sekunde aus ihrem nächsten Versteck schnellen. Schneider versuchte, seine Ehrfurcht in den Griff zu kriegen. Die Fransen klebten ihm im Gesicht und das Herz wummerte in seinem Brustkorb, als er näher an seinen Gefährten rutschte. Dort zupfte er an seinem Kragen. Ihm war heiß geworden. Dann inspizierte er den Fremdkörper in der Wunde. Und atmete tief durch.

„Ich muss das…“, doch der General nickte bereits. Ach ja: Nicht unnötig reden. Dennoch war es ihm lieber, wenn Logi wusste, was nun folgte, denn schmerzfrei würde es bestimmt nicht werden. Mit beiden Händen umschloss er das Objekt. Doch sein Vorgesetzter ließ Hinweise auf Leid weder hören noch sehen; sein Gesicht wirkte bis zu den spannungslos gesenkten Lidern höchstens konzentriert. Dank der rücksichtslosen Vorgehensweise war der Bolzen zügig draußen. Das Bedürfnis, insbesondere sich selbst eine Pause zu gönnen, überkam Schneider, doch nein: Nicht zögern. Handeln. Nicht reden. Machen. Er rief sich die korrekte Verbandstechnik ins Gedächtnis. Dann brachte ihn etwas aus dem Konzept.

„Ähhm… Darf ich…?“, fragte er verlegen im Hinblick auf die platinblonde Haarsträhne, welche – die Behandlung behindernd – im Eifer der flinken Aktionen vorne über die Schulter des Generals geglitten war. Er fühlte sich deplatziert. Unwürdig, ihn zu berühren. Doch die Hoffnung, dass er den theoretisch geringen Störfaktor nach seinem vorsichtigen Deut selbst rasch beseitigen würde, erfüllte sich nicht. Womöglich sollte es eine Herausforderung darstellen. Sicher war ihm die ungewohnte Hemmung seines Rekruten bereits aufgefallen. Und womöglich wollte er ihm helfen, sie loszulassen.

Verklemmt führte Schneider eine Hand an das überliegende Haar. Er presste die blassen Lippen aufeinander, als er es mit einem Zug zurückstrich, und schon war es aus dem Weg. War das nun wirklich so schwierig gewesen?

Er legte den Streifen der werdenden Bandage an. Irgendwie sonderbar, dem General so nahe zu sein, welcher sich ihm auszuliefern schien. Eine Erinnerung, aufblitzend, brachte ihm ein verschwommenes Bild seiner Familie in die Gegenwart. Dieser Mann war es aller Kenntnis nach gewesen, der die Auslöschung seines Dorfs angeordnet hatte. Es wäre ein Leichtes, ihn jetzt zu überwältigen. Rache zu nehmen. Und eigentlich musste er sich dessen bewusst sein nach dem, was an diesem Vormittag geschehen war. Dennoch unternahm Logi nichts. Seine Haltung deutete auf keinerlei Obacht hin, kein Misstrauen wider den Untergebenen, der ihn schon einmal ohne Skrupel attackiert hatte. Ein nicht unangenehmes, professionelles Schweigen befand sich stattdessen zwischen ihnen, derweil der Junge Lage um Lage band. Noch immer war er verkrampft, inzwischen mehr der qualvollen Erinnerung wegen. Andererseits bestand kein Verlangen danach, es jemandem heimzuzahlen, und das verblüffte ihn. Er kam sich vor wie ein Verräter an seiner Sippe, aber den General zu hintergehen, ihn zu enttäuschen und alles, was er in der vergangenen Zeit – einem neuen Lebensabschnitt – gelernt hatte, mit Füßen zu treten, kam nicht in Frage. Er wollte sich nur noch bewähren. Vor General Logi, vor sich selbst… vor den anderen. Vor den Bewohnern seiner Siedlung. Er wollte stark sein, wollte für seine Familie leben, ihr Blut, ihren Namen, ihre Prinzipien in die Zukunft tragen.

So in Gedanken versunken, merkte er nicht, dass Logi ihn die ganze Zeit über nachdenklich betrachtete.
 

„Nicht zu fassen…“, atmete er aus.

Der streng uniformierte Schwertkämpfer stand an einem der unzähligen Bedienungspulte in diesem Raum, der irreal futuristisch anmutete. Überall blinkten bunte Lichter in fehlerfreien Abständen zueinander auf, während sich Knöpfe und Hebel wie wuchernde Pilze aus Metall von den glatten Untergründen abhoben. Seit er in das Luftschiff jenes blonden Herrn gestiegen war, der ihn wie aus dem Nichts gefragt hatte, ob er ihn nicht begleiten wollte, schien er sich in einer anderen Welt zu befinden. Tatsächlich musste er sich eingestehen, dass wohl seine die "andere Welt" gewesen war, denn diese Festung, in welcher sie sich nun aufhielten, wirkte gar nicht anders als das Schiff. Er war nie viel herumgekommen, hatte schon fliegende Maschinen gesehen, aber dass die Technik dermaßen vorangeschritten war, hätte er bisher nicht für glaubwürdig gehalten.

„Wofür sind all diese Knöpfe?“, wollte er wissen.

In der Mitte des Raums befand sich ein Podest, über dem eine noch eigenartigere Vorrichtung bewegungslos hinabhing. Sie wirkte schwergewichtig und kompliziert… Mehr konnte er nicht über sie sagen.

„Das ist ein spezielles, von unserem König Nene entwickeltes System, das es uns erlaubt, fähigen Menschen die Kraft der Schatten zu verleihen“, klärte ihn der Mann, welcher sich als General Logi vorgestellt hatte, lapidar auf.

Schneider stutzte. „Schatten? So einer wie der Eure?“

„Ganz recht.“

„Und Ihr wollt“, murmelte der Dorfjunge weiterhin skeptisch, „sie auf mich anwenden?“

„Du wolltest doch Macht“, erinnerte der General ihn und besichtigte konzentriert das vor ihm liegende Steuerbrett. „Jetzt kannst du sie haben… Wenn du noch immer an ihr interessiert bist.“

„Natürlich!“, platzte es aus ihm. „Gib sie mir!“ Er hatte ohnehin nichts mehr zu verlieren. Zudem konnte er sich nicht vorstellen, aus welchem Grund der General ihn betrügen sollte. Der würde daraus keinerlei Eigennutzen ziehen können – oder überschätzte er die Moralität dieses Manns?

„Es könnte allerdings etwas unangenehm wer…“

„Egal!“

„Du könntest ste…“

„Ich bin bereit! Ich will einen Schatten!“

„Eine enorme Tapferkeit beseelt dich, Junge“, vermerkte der Kriegsherr anerkennend. „Es bleibt zu hoffen, dass der Rest deiner Persönlichkeit ihr in nichts nachsteht. Begib dich in den Kreis.“

Er tat dies. Mit Blick auf den glänzenden Boden übertrat er die klar sichtbare weiße Linie, welche die besagte Form bildete, und fand sich dadurch auf dem Podest wieder, das ihn eingangs eingeschüchtert hatte.

„Es wird einige Zeit verlangen, deinen Schatten rufen und über ihn gebieten zu können. Nene weiß hiervon noch nichts, aber das soll dich nicht besorgen.“

Der Heerführer des Großen Königreiches, von jenem der Jugendliche bereits einiges gehört zu haben meinte, widmete sich wieder den Armaturen. Daraufhin setzte sich die Maschine über ihm in Gang. Mit heiseren Geräuschen drehte sie sich, brachte sich in Position; vier dünne Greifarme klappten heraus und zeigten auf ihn wie die Krallen eines riesigen Adlers, der im Begriff war, nach ihm zu packen. Er zitterte, versuchte jedoch, sich nichts anmerken zu lassen. Er musste stark sein.

„Keine Angst“, sagte der General.

„Hab’ ich nicht!“, erwiderte er ungehalten, die Hände ballend, bevor er sein Haupt emporriss, von Angesicht zu "Angesicht" mit der Vorrichtung seiend. „Na mach schon, du Ding! Gib mir einen Schatten!“

Wider Erwarten reagierte sie tatsächlich: Die spitzen Krallen schossen auf ihn zu, spießten in sein Fleisch, während sich über ihm Energie bündelte, ungebremst Blitze schleudernd, die wie aufgescheuchte Katzen durch den Raum sausten. Ihm wurde heiß. Er glaubte, zu verbrennen, schier explodieren zu müssen, als sich etwas nie Dagewesenes in seinem Körper breit machte, seine Organe verschluckte, seine Knochen zerbrach. Er schrie. Für Reue blieb bereits kein Platz mehr. Die Energie entlud sich, gleich Gift in ihn fahrend, wo sie sich mit dieser schrecklichen Empfindung vermischte, selbige auf einen Schlag expandieren ließ. Ein somatisches Feuerwerk, an dessen Ende sich sein Schatten um ein Vielfaches vergrößerte, verzerrte, zuletzt wieder verringerte, als hätte er seinen Kampf abgeschlossen. Der Geruch von Qualm. Schneider fiel weich.



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