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Alles nach Plan

von

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Versprechen

Matthias Prinz war immer ein ehrlicher Junge gewesen.

Als seine Mutter gegangen war, hatte es ihm und seinem Vater das Herz gebrochen. Er hatte niemals wieder jemanden so sehr verletzt sehen wollen.

Sein Vater hatte nun schon eine ganze Zeit wieder eine Freundin.

Matthis selbst stand auch im Leben. Hatte seinen Freund, spielte Handball, ging aufs Wirtschaftsgymnasium.

Er hatte sich vorgenommen in seinem Leben immer die Wahrheit zu sagen.

Bis er eines Tages log.
 

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Der Wecker klingelte laut und ohne Erbarmen.

Matthis wurde als Erster wach.

„Mach den Wecker aus!“ Er wollte selbst nach dem Ding greifen, erwischte aber nur Alex‘ Gesicht und wischte ihm dadurch unsanft eine.

„Au! Mann, was is denn?“ Alex überhörte seinen Wecker immer, war auch jetzt noch nicht richtig wach.

Matthis hingegen setzte sich auf, rieb sich übers Gesicht und murmelte: „Du hast schon wieder vergessen deinen Wecker auszustellen. Es ist Samstag, Schatz!“

Alex stöhnte. „Dann leg dich wieder hin und wir schlafen noch ein bisschen, ja?“ Er drehte sein Gesicht Richtung Kissen und tastete gleichzeitig mit seiner Hand nach Matthis, erreichte schließlich dessen Brust und tätschelte ihn.

„Ja von wegen“, brummte Matthis daraufhin, machte keinerlei Anstalten sich wieder hinzulegen. „Ich bin jetzt wach. Und du warst so bescheuert den Wecker nicht auszustellen. Also wirst du jetzt bestimmt nicht das Privileg einer Extraportion Schlaf genießen dürfen. Du stehst jetzt mit mir auf.“

„Bitte nicht, Schatz, ich bin so müde! Ich kann jetzt nicht aufstehen!“ Alex‘ Stimme war noch ganz krächzig, doch Matthis ließ sich nicht weichkochen, sondern stieg über ihn hinüber, streckte sich noch einmal und stand dann wartend vorm Bett.

„Alex!“, erhob er warnend die Stimme.

„Matthis?“, fragte der, klang völlig unschuldig.

„Alexander! Jetzt steh schon auf!“ Der angesprochene warf sich auf den Rücken, gab den sterbenden Schwan: „Aber ich kann nicht, Schatz! Ich kann jetzt einfach nicht aufstehen! Wirklich!“

Matthis atmete tief durch, ehe er Alex‘ Hände ergriff und sich bemühte ihn wenigstens in eine sitzende Position zu hieven.

Doch der werte Herr wehrte sich vehement und rief theatralisch: „Das Bett hält mich gefangen! Es will mich einfach nicht gehen lassen! Matthis, das musst du einsehen, das Bett und ich haben eine ganz besondere Beziehung, da kannst du einfach nicht mithalten!“

„Dann wird es wohl auch bald deine einzige Beziehung sein. Ich geh jetzt nämlich zum Frühstücken und wenn du nicht in fünf Minuten auftauchst, kannst du sehen wo du heute Nacht bleibst.“ Er hatte es immerhin geschafft Alex halb aufzurichten, ließ ihn jetzt allerdings abrupt los, sodass der wieder zurück in die Federn fiel.
 

Er drehte sich gerade um, da legten sich Alex‘ Arme um seinen Bauch und er vernahm seine plötzlich kindlich und vorwurfsvoll klingende Stimme: „Aber Scha-hatz! Ich mag doch noch schlafen!“

„Ich hätt auch gern noch ein bisschen geschlafen, aber du hast es ja gestern auch nicht geschafft den Wecker auszustellen. Also.“

„Aber Schaa-hatz!“ Er dehnte den Mittelteil des Wortes immer weiter aus.

„Nix ,aber Schatz!‘. Aufstehen oder Pech gehabt. Is mir dann auch egal.“

„Du bist so grausam!“ Die Arme um seinen Bauch lösten sich und tatsächlich stand Alex nun endlich auf, wenn auch etwas mürrisch.

„Dein Wecker is auch grausam. Und? Beschwer ich mich?“

„Mit meinem Wecker führst du auch keine Beziehung…“, grummelte Alex weiter.
 

Seine Mutter saß schon am Küchentisch, trank ihren Kaffee und rauchte ihre erste Zigarette.

Über ihr Nachthemd hatte sie sich einen Morgenmantel gezogen, die Haare locker hochgesteckt, bis sie später unter die Dusche kam und sich danach frisierte.

„Schon so früh wach? Guten Morgen, Jungs.“

„Morgen Mama“

„Morgen. Ja, Alex hat vergessen den Wecker auszustellen und dann konnten wir nicht mehr schlafen.“ Matthis lächelte, holte zwei Tassen aus einem der Schränke.

„Wir“, murrte Alex wieder, holte die Kaffeekanne und goss ihnen ein. „Wann musst du eigentlich nachher zur Arbeit, Mama?“ Er riss sich seiner Mutter gegenüber zusammen.

„Ich muss gegen halb neun los. Hab also noch ein bisschen Zeit, muss aber noch ins Bad. Deine Schwester trifft sich heute noch mit ein paar Freundinnen. Kannst du darauf achten, dass sie pünktlich zuhause ist? Und du musst schauen, dass ihr zu Mittag und zu Abend esst. Und es wäre mir lieb, wenn du heute Abend ein Auge auf sie hättest.“

Alex stöhnte. „Wieso denn heute Abend, Mama? Bist du nicht zu Hause?“

„Nein, ich geh gleich nach der Arbeit noch zu einer Kollegin und dann treffen wir uns noch mit ein paar anderen.“ Sie klang bestimmt und egal wie sehr ihr Sohn auch motzen würde, diesen Abend würde sie sich gönnen.

Alex seufzte nur daraufhin und fügte sich in sein Schicksal.

„Ach komm, den Nachmittag haben wir ja frei“, versuchte Matthis ihn aufzuheitern, aber bei Alex stieß er da auf taube Ohren.
 

Den Vormittag über saßen sie auf dem Balkon, genossen das schöne Wetter. Es war schon Herbst und vielleicht wären es die letzten warmen Sonnenstrahlen für einige Zeit, deswegen wollten sie sie noch genießen.

Matthis hatte sich in ein Buch vertieft, Alex hing vorm Laptop. Im Hintergrund hatten sie das Radio laufen und noch die Geräuschkulisse von drinnen, wo Mia im Wohnzimmer vorm Fernseher saß.

Sie waren träge. Morgen hatten sie noch ein Spiel, heute wollten sie relaxen.

„Ich hol mir was zu trinken. Soll ich dir was mitbringen?“, fragte schließlich Alex, stellte den Laptop auf den Tisch und stand auf.

„Kannst mir noch nen Kaffee mitbringen, bitte.“ Alex nickte und ging rein.

Matthis nutze die Gelegenheit, legte sein Buch einen Moment beiseite und schnappte sich den Laptop, loggte sich bei Facebook ein.

Es gab nicht viel Neues.

Also klappte er den Laptop wieder zu und widmete sich erneut seinem Buch. Er liebte Krimis. Und gerade war er an der Stelle, an der der Mörder sich in seinen Lügen verhaspelte, in denen er ein Detail vergaß und dadurch überführt werden konnte.

Er könnte niemals einen Mord begehen.

„Hier, dein Kaffee.“ Alex stellte die Tasse vor ihn auf den Tisch, setzte sich wieder neben ihn.

Als Dankeschön gab es einen flüchtigen Kuss auf den Mund, dann legte Matthis die Füße aufs Geländer, rutschte im Stuhl etwas hinab, trank einen Schluck Kaffee und vertiefte sich in sein Buch, während Alex neben ihm sich den Laptop wieder genommen hatte und auch das Lesen begann.
 

Nach dem nächsten Kapitel legte Matthis das Buch beiseite, streckte sich, seufzte glücklich und trank den letzten Schluck seines inzwischen kalt geworden Kaffees.

Dann lehnte er sich zu Alex, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und sagte: „Du hast viel zu selten Samstags frei, das sollten wir viel öfter machen. Einfach mal nur zusammensitzen ohne irgendwas zu tun.“

Alex reagierte kaum.

„Schatz?“

Immer noch nichts.

„Alex?“ Nun doch etwas skeptisch.

„Du solltest dir angewöhnen dich auszuloggen und nicht nur den Laptop zuzuklappen…“, sagte der nun endlich leise.

„Hä?“ Matthis verstand nicht ganz wo das Problem lag. „Stört dich doch sonst nicht, dann loggst du mich eben kurz aus und dich wieder ein, wenn ich‘s vergesse. Is ja jetzt nich so tragisch, oder?“ Alex jedoch warf ihm einen kurzen, durchdringenden Seitenblick zu.

Und irgendwie fühlte Matthis sich ertappt. Auch wenn er nicht genau wusste weshalb.

„Is nur nervig das jedes Mal zu machen.“

„Okay, das nächste mal logg ich mich aus, versprochen.“ Matthis griff vorsichtig nach Alex‘ Hand und stellte erleichtert fest, dass der sie nicht gleich wieder zurückzog. Vielleicht war es nur ein Nachbeben der morgendlichen schlechten Laune gewesen.
 

„Was machst du jetzt?“, fragte Alex, als Matthis seufzend seinen Krimi zuklappte und aufstand.

„Ich muss für BWL noch einen Text zusammenfassen und das wollte ich heut noch erledigen. Wolltest du nicht auch noch ein Stück weiter in eurer Deutschlektüre kommen? Bist doch eh schon hintendran, wenn ich das richtig mitbekommen hab…“

„Wer will denn bitte auch ,Die Physiker‘ lesen? So ein Schrott!“

„Was hättest du denn lieber gelesen?“ Matthis lachte, als er das fragte. Alex las so gut wie nie freiwillig, wenn es nicht im Internet war.

„Illuminati oder sowas. Das is interessant. Und jetzt hör endlich auf zu lachen! Ich bin nämlich schon voll weit!“

„Jetzt komm, mecker nicht. Wenn wir es gleich erledigen, können wir den Nachmittag alleine genießen.“ Matthis zwinkerte seinem Freund zu, was mit einem Grinsen quittiert wurde und dass Alex nun endlich den Laptop zuklappte.

Sie gingen hinein und in Alex‘ Zimmer. Matthis setzte sich auf den Boden, beugte sich über sein BWL-Buch und begann mit einem Textmarker die wichtigsten Stellen anzustreichen. Alex hingegen flackte sich gemütlich aufs Bett, nahm sich das Buch und begann brummend darin zu lesen.
 

Doch schon nach kurzer Zeit hörte Matthis ihn leise nuscheln: „Bla, bla, bla… langweilig… noch langweiliger… zum Sterben…“ Und nachdem Alex wohl nicht vorhatte bald damit aufzuhören, legte Matthis seinen Marker beiseite, stöhnte genervt und fragte seinen Freund: „Wo bist du denn?“

„Schon voll weit! Beim dritten Akt schon.“ Er grinste stolz. Sein Pech war nur, dass Matthis das Buch selbst schon gelesen hatte. So hob er nur die Augenbrauen und sagte: „Du hast noch gar nicht angefangen, oder? Und jetzt blätterst du nur irgendwo im Buch rum. Hab ich Recht?“

Alex warf ihm beleidigt das Buch vor die Füße und brummte: „Woher weißt du das jetzt schon wieder?“

„Das Spiel hat nur zwei Akte… da ist es schwer bis zum dritten zu lesen, Schatz.“

Alex stöhnte, ließ den Kopf über die Bettkante baumeln. „Aber das ist bestimmt übelst langweilig! Lesen ist generell langweilig! Und wozu soll ich das denn lesen? Ich brauch das eh nie wieder!“

Matthis seufzte, nahm das Buch und setzte sich zu Alex aufs Bett. Er streichelte ihm beruhigend durchs Haar und fragte: „Wie wär‘s, wenn wir zusammen lesen? Ist ja schließlich ein Drama, dann liest einfach du eine Rolle, dann ich eine und so weiter. Dann musst du auch nicht so viel lesen. In Ordnung?“

Alex grinste.

Manchmal fragte sich Matthis, ob sein Freund das unbewusst tat, oder ob er wirklich so manipulativ war.

„Aber du liest das ganze Gedöns am Anfang“, stellte Alex fest und Matthis begann ohne Widerworte die Regieanweisungen vorzulesen.
 

Sie kamen gut voran und Alex schien sogar Spaß daran zu haben. Ihm schien die Geschichte zu gefallen und Matthis hoffte, dass er irgendwann auch mal selbstständig seine Lektüren lesen würde, ohne dass er ihm immer in den Arsch treten musste.

Matthis las den Inspektor, Alex übernahm in den Dialogen die anderen Rollen.

Jetzt gerade las er also Newton, der dem Inspektor gerade erst eröffnet hatte, dass er eigentlich nicht Newton, sondern Einstein sei.

Nachdem Matthis wieder die Regieanweisungen vorgelesen hatte, las Alex: „Richard.

Albert?“, erwiderte Matthis.

Nicht wahr, Sie ärgern sich, mich nicht verhaften zu dürfen?“ Alex grinste, als ginge es um ihn.

Aber Albert“, sagte Matthis und wollte beschwichtigend klingen. Doch Alex‘ Grinsen wurde nur noch breiter, als er weiterlas: „Möchten Sie mich verhaften, weil ich die Krankenschwester erdrosselt oder weil ich die Atombombe ermöglicht habe?

Aber Albert.“ [1]
 

„Ich hab Hunger!“, vernahmen sie da plötzlich Mia aus dem Wohnzimmer rufen.

Alex sah vom Buch auf und auf den Wecker auf seinem Nachttisch. Dann rief er: „Ja, wir machen gleich was zu essen!“

Vorher allerdings grinste er Matthis wieder an und klappte das Buch zu, ließ es achtlos fallen. Matthis schluckte daraufhin, wusste nicht genau was er nun zu erwarten hatte.

Doch Alex ließ nicht lange darauf warten, denn er stürzte sich fast schon auf seinen Freund, sodass der nach hinten kippte. Nun kniete er über dem Brünetten, sah wie sich dessen Brust hob und senkte, etwas schneller als gewöhnlich. Er hatte sich erschrocken.

„Du magst das Stück, gell?“

Matthis nickte etwas perplex.

„Und du magst auch die Physiker?“

„Naja, sie sind ja bis auf Möbius…“ Er biss sich auf die Zunge, er wollte nichts verraten.

„Findest du Physiker sexy? Vielleicht werd ich ja auch mal Physiker…“ Matthis kicherte. „Nicht lachen! Immerhin hab ich Physik als Leistungskurs! Oder stehst du eher drauf, dass Newton und Einstein jeweils ‘ne Schwester erdrosselt haben?“ Er kam Matthis‘ Gesicht ganz nahe, berührte sanft dessen Lippen, streifte dann über seine Wangen bis zu seinen Ohren. „Wenn du es wolltest, würde ich für dich jeden erdrosseln.“

„Was?“, fragte Matthis perplex, versuchte sich zu rühren, war aber unter Alex‘ Griff wie gelähmt und komplett bewegungsunfähig.

Alex blieb still. Er legte nur seine Wange an die seines Freundes, Matthis spürte seine Wimpern auf seiner Wange, als er die Augen schloss.

„Alex, was willst du damit sagen? Bist du bescheuert? So was sagt man nicht! Du würdest doch niemals jemanden umbringen. Das könntest du doch gar nicht! Alex!“ Langsam wurde er ein bisschen panisch. Alex rührte sich nicht, machte keine Anstalten ihm zu antworten.

„Alex was soll das denn? Bist du jetzt total abgedreht? Geh endlich runter von mir, verdammt noch mal! Jetzt lass den Scheiß!“

Und endlich spürte er, wie Alex sich wieder bewegte und hörte ihn flüstern: „Ich hab doch nur nen Spaß gemacht.“

„Aber nen ziemlich unlustigen“, stellte Matthis erbost fest. „Und jetzt geh endlich von mir runter!“ Er war wütend und wollte, dass Alex das wusste. Der Scherz war daneben gewesen.

Ohne noch etwas dazu zu sagen, setzte Alex sich auf und stieg von Matthis, sodass der auch endlich aufstehen konnte.

„Und jetzt sollten wir was zum Mittagessen machen.“ Zornig stapfte Matthis in die Küche. Knallte Alex‘ Zimmertür hinter sich zu, ließ ihn allein zurück.
 

Es war kein Scherz gewesen.

Es war alles andere gewesen, nur kein Scherz.
 

Er stellte sich dennoch schuldbewusst und schlich in die Küche, um Matthis zu umarmen und ihn um Verzeihung zu bitten.

Und weil Alex so gut spielte und Matthis so lieb war, begrub letzterer die Sache mit einem Küsschen, wollte nicht mehr daran denken.

Also ignorierte er einmal mehr die leise Stimme, die ihm zuflüsterte: „Aber Matthis.“
 


 

[1] „Die Physiker“ Dürrenmatt (Diogenes Verlag, Neufassung S. 22, Z. 6ff)



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chaos-kao
2011-07-10T18:21:43+00:00 10.07.2011 20:21
Okay, du hast mich als Leserin gewonnen! Mich würde ja mal interessieren, was Alex in Matthis fb-Account gelesen hat, denn sein Angebot jemanden zu töten, kommt mit Sicherheit nicht von ungefähr! Ich bin ja mal gespannt, wie das Ganze hier noch weiter geht! ^^

Lg
Kao


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