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Das Mädchen und der Graf

von

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Später konnte sich Katherine nicht mehr daran erinnern, ob sie diese Worte wirklich vernommen hatte oder ob alles nur ein Traum gewesen war. Würde Daniel Elchot tatsächlich in ihrer Gegenwart über seine Gefühle sprechen? Was war noch real und was bildete sie sich nur ein?

Daniel war es vom ersten Augenblick an nicht wohl zu Mute gewesen, als er sie das erste Mal so im Bett liegen sah. Sie litt, das konnte er selbst dann erkennen, als sie schlief. Er wusste selbst, wie schmerzhaft Schussverletzungen sein konnten. Er war lange genug beim Militär gewesen, um das am eigenen Leib zu erfahren. Der Moment, als die Schüsse durch das Haus tönten und er nicht wusste, ob Katherine getroffen worden war oder nicht, war unerträglich für ihn gewesen. Und noch schlimmer war es für ihn als er mit ansehen musste, wie sie in seinen Armen zusammenbrach! Die Frau, die er selbst um jeden Preis schützen wollte hatte sich schützend vor ihn gestellt und dabei ihr Leben riskiert! Wie sehr hatte er sich zusammen nehmen müssen, als er ihr die Kugeln entfernte und sie versorgte! Er wollte ihr das so gern ersparen, aber er musste es tun, wenn sie leben sollte! Ihm war keine andere Wahl geblieben, als ihr noch mehr Schmerzen zuzufügen, damit sie eine Chance hatte. Zum Glück waren die Knechte zur Stelle gewesen und konnten Michael Smith überwältigen. Er wusste nicht, ob er sich in dieser Situation nicht völlig vergessen und ihm etwas angetan hätte. Doch Selbstjustiz zu üben stand ihm nicht zu, selbst wenn er gern anders reagiert hätte.

Er war ungern aufgebrochen in die Stadt, um bei der Verhandlung gegen Michael Smith dabei zu sein. Er wollte lieber bei Katherine sein und sich um sie kümmern. Aber es war leider unabdingbar, dass er gegen diesen widerlichen Kerl aussagte. Als ihn Resis Telegramm erreichte, war er wie vom Blitz getroffen gewesen. Er hatte beim Militär so viele Schussverletzungen behandelt und immer war alles gut gegangen. Dass es Katherine rapide schlechter gegangen war, traf ihn zutiefst und ließ ihn an seinen Fähigkeiten zweifeln. Zwar versuchte er, sich einzureden, dass er alles richtig gemacht hatte, aber es wollte ihm nicht so recht gelingen. Auf dem schnellsten Wege war er bei Nacht und Nebel mit einem Pferd aufgebrochen.

Es hatte ihm zu lange gedauert, bis der Kutscher soweit war und so hatte er selbst alles in die Hand genommen. Völlig durchgefroren, geradezu steif vor Kälte, war er in seinem Haus angekommen. Der Doktor war zu diesem Zeitpunkt schon seit eini-ger Zeit bei Katherine. Rick musste Daniel zunächst beruhigen, damit er nicht völlig überreagierte.

Als er sie dann so leidend im Bett vorfand, wurde es ihm ganz anders. Mit einem Schlag wurde ihm klar, dass er diese Frau nicht verlieren wollte! Sie hatte wieder Leben in dieses Haus gebracht und auch Freude. Auch, wenn er es sich lange nicht eingestehen wollte. Aber seit sie hier war freute er sich wieder auf den Tag. Die Arbeiten im Büro waren ihm leichter von der Hand gegangen, wenn er sie draußen spazieren gehen sah. Dass er sie mit seinen Worten so verletzt hatte, tat ihm selber weh. Aber er hatte nie die richtigen Worte gefunden um sich dafür zu entschuldigen oder den richtigen Zeitpunkt. Und nun das! Er stand noch immer wie versteinert auf dem Gang im ersten Stock des Hauses und die Worte des Arztes hallten in seinem Kopf nach.

»Das Immunsystem von Miss Katherine ist geschwächt. Vermutlich durch ihre letzte Erkrankung. Es steht nicht gerade zum Besten um sie. Jeder neue Infekt kann sie empfindlich schwächen und schädigen. Sollte sie diese Infektion überstehen muss sie sehr vorsichtig sein in Zukunft.« diese Prognose war für Daniel wie ein Schlag in den Magen gewesen. Diese Aussage versetzte ihn schlagartig in die Zeit zurück, als seine Mutter schwer erkrankte. Sie war Zeit ihres Lebens immer sehr anfällig gewesen, auch wenn sie es sich nie anmerken lassen wollte. Ihm war das schon als kleiner Junge aufgefallen. Trotzdem war sie immer fröhlich gewesen und liebevoll. Aber irgendwann hielt ihr zierlicher Körper die Strapazen nicht mehr aus und so starb sie schließlich vor einigen Jahren.

Daniel wollte nicht noch einen Menschen verlieren, der ihm so wichtig geworden war! Er würde alles in seiner Macht stehende tun, um Katherine zu schützen und am Leben zu erhalten. Betrübt stützte er sich auf den Rand des Treppengeländers und blickte in den Empfangssaal des Hauses hinab. Noch haderte er mit sich, ob er mit ihr darüber reden sollte, wenn es ihr besser ging. Es war sicher ihr gutes Recht und er konnte es nicht ewig vor ihr verheimlichen. Aber zunächst einmal musste sich Katherine erholen und zu Kräften kommen. Das stand an oberster Stelle. Daniel stöhnte auf und fuhr sich müde mit der Hand durch das Haar und über das Gesicht. Alles stand auf dem Kopf. Er konnte nur hoffen, dass Katherine stark genug war, um diesen Kampf zu gewinnen. Seine größte Angst, die Angst wieder verlassen zu werden, war mit einem Mal zurück und hatte ihn stärker im Würgegriff, als ihm lieb war.

»Du brauchst etwas Ablenkung.«, vernahm er die Stimme seine Bruders vom unteren Ende der Treppe. »Komm mit in den Salon. Du siehst niedergeschlagen aus. Lass sie etwas schlafen.« Daniel wusste, dass Rick recht hatte. Er gestand es sich ungern ein und er wollte Katherine nicht zurücklassen, aber im Moment konnte er nichts für sie tun und so folgte er seinem Bruder, der sich auf seinen Gehstock stützte und voraus zum Herrensalon ging. Müde sank Daniel in den Sessel vor den Kamin und verbarg sein Gesicht hinter der Hand. Er wusste nicht, was er tun sollte oder wo ihm der Kopf stand. Die Ereignisse der vergangenen Tage schlugen alle mit einem Mal über ihm zusammen. Rick hielt ihm ein Wiskyglas hin.

»Du siehst aus, als könntest du das im Moment gut gebrauchen.«, war seine Erklärung und setzte sich seinem Bruder gegenüber. »Was ist los mit dir? Warum schaust du so niedergeschlagen, Daniel?« dieser seufzte und lange herrschte Stille zwischen den beiden Brüdern. Daniel suchte nach den richtigen Worten. »Es steht ernster um Katherine, als wir alle zunächst dachten.«, eröffnete er dann. »Was soll das heißen?«, hakte Rick nach. »Der Arzt meinte, dass jeder weitere Infekt sie sehr schwächen könnte. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob sie dieses Fieber übersteht. Aber wenn dem so ist, dann wird sich ihr Leben in Zukunft auf jeden Fall stark verändern.« Rick seufzte. »Genau wie bei Mutter.« darauf erwiderte Daniel nichts. Es schnürte ihm die Kehle zu, wenn er daran dachte. »Sie sollte hier bleiben, bei uns. Dir liegt sehr viel an ihr, das kannst du nicht mehr verleugnen. Deine Angst um sie spürt jeder in diesem Haus, Daniel. Und sie ist dir auch deutlich anzusehen. Du musst ehrlich zugeben, dass es hier um Einiges freundlicher geworden ist, seit sie da ist. Dieses Gemäuer ist seit Jahren wieder mit Leben erfüllt und das haben wir allein Katherine zu verdanken. Endlich bist du aus deinem Schneckenhaus herausgekommen, Daniel.«

»Was nutzt das, wenn sie mir doch wieder entrissen wird?« »So solltest du nicht denken. Im Gegenteil. Zeig ihr endlich, wie viel sie dir bedeutet. Springe über deinen Schatten. Mach ihr das Leben hier so angenehm wie möglich. Sie sollte sich wohlfühlen in diesem Haus. Wenn sie ihre Familie um sich hat, kann das nur förderlich sein für ihr Wohl. Sie hängt sehr an ihnen und sollte so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen. Vielleicht hilft es ihr, schneller wieder auf die Beine zu kommen.« »Ich weiß und nichts liegt mir ferner, als sie von ihrer Familie zu trennen. Sie alle werden hier immer ein Dach über dem Kopf finden.« Daniel leerte sein Glas in einem Zug. Er spürte das Brennen des Alkohols in seiner Kehle, aber es war ein willkommenes Brennen, was ihn von seinen Sorgen für einen Augenblick ablenkte. »Weißt du,«, begann Rick dann erneut, »du solltest Katherine nicht in Watte packen, wenn es ihr besser geht. Behandle sie so normal wie möglich. Sie ist nicht aus Glas und sie mag es nicht, wenn alle um sie herum schleichen. Sie hat einen sehr starken Willen und du solltest ihr das Gefühl geben, sie voll zu unterstützen. Bevor-munde sie nicht zu sehr.« »Ich werde mich bemühen, aber ich kann dir nichts versprechen.« Daniel stand auf und stellte das Glas auf einen kleinen Beistelltisch. »Ich werde wieder nach oben gehen und nach ihr sehen.« »Übernimm dich nicht. Du bist ihr keine Hilfe, wenn du dir nicht hin und wieder eine Pause gönnst.« der Ältere lächelte matt. »Ich weiß.«, dann schloss er die Tür und Rick starrte noch einen Moment auf das Eichenholz. Dann seufzte er. »Unverbesserlich.«, murmelte er vor sich her und leerte auch sein Glas. Müde erhob er sich und stützte sich auf sei-nen Stock, um sich in seine Räume zurückzuziehen.

Daniel stand unentschlossen an der Tür in Katherines Zimmer und schaute auf sie herab. Sie war schrecklich blass und ihre Gesichtszüge wirkten, als würde sie einen schlimmen Kampf austragen. Er ging leise zu ihr herüber und wechselte das Tuch auf ihrer Stirn. Sie war glühend heiß. »Ich bitte dich, lass mich hier nicht zurück. Ich will dich nicht auch noch verlieren.«, flüsterte er in ihr Ohr und strich ihr sanft über den Kopf. Sie atmete tief ein.

Er verbrachte einige Zeit an ihrer Seite, ohne dass sich ihr Zustand änderte. Irgendwann, in den frühen Morgenstunden, klopfte es an der Tür und Resi trat vorsichtig ein. »Ich werde einige Zeit bei ihr bleiben. Ruht Euch aus. Ihr braucht dringend Schlaf.« sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. Daniel war zu müde um zu widersprechen. Dankend legte er seine Hand auf ihre, stand dann auf und zog sich zurück. Er brauchte dringend Schlaf und musste nachdenken! Er wusste, er konnte sich auf Resi verlassen. Sie und Katherine waren gute Freundinnen geworden und verstanden sich auch ohne Worte.
 

Die Tage vergingen und Silvester stand vor der Tür. Katherines Familie wechselte sich mit Daniel, Rick und der Dienerschaft des Hauses ab, um an Katherines Seite zu sein und auf sie aufzupassen. Daniel musste einige Dinge regeln, was die Inhaftierung von Michael Smith anging. Er wollte persönlich dafür sorgen, dass er so weit weg wie möglich war und nie wieder in diese Gegend zurückkam. Und er wollte alles, was mit diesem Menschen zu tun hatte, von Katherine und ihrer Familie fernhalten. Es war das Mindeste, was er jetzt noch tun konnte, damit sie ihren Frieden wieder fanden.

Normalerweise gab seine Familie auch am letzten Tag des Jahres ein großes Fest mit einem farbenprächtigen Feuerwerk zum Jahresende. Aber in Anbetracht der momentanen Situation sah sich Daniel außer Stande, diesem Tag etwas Feierliches abzuringen. Ihm war nicht nach Frohsinn zu Mute und erst recht war ihm nicht danach, das Haus mit Menschen zu füllen, die scheinheilig waren und für die am Ende nur das Geld zählte. Alles, was er wollte war, dass Katherine endlich wieder wach wurde und außer Gefahr war. Sie so schwach und verletzlich zu sehen, wo sie doch sonst immer so stark und selbstbewusst war, brach ihm das Herz. Er wollte sie nie wieder so sehr leiden sehen, wenn es ihr wieder besser gehen sollte. Dafür würde er alles tun.

Sein Vater übernahm die Geschäfte, um die sich Daniel während seiner Abwesenheit gekümmert hatte. Auch er hatte Katherine ins Herz geschlossen. Auch, wenn er sie nur flüchtig auf dem Ball am Weihnachtsabend gesehen hatte und in der Küche zuvor nur ein kurzes Gespräch mit ihr führen konnte. Sie erinnerte ihn stark an seine Frau zu Lebzeiten. Sie konnte einen ganzen Raum durch ihre Anwesenheit zum Strahlen bringen. Doch vor allem hatte sie seine beiden Söhne verändert. Daniel kam endlich wieder aus sich heraus und sein jüngster Sohn, Rick, betrachtete das Leben nicht mehr als Spiel. Er nahm die Dinge jetzt ernster und zeigte Interesse an der Arbeit und den Geschäften seines Vaters. Dafür war er dankbar. Er wusste, wie sehr ihr Zustand seinen ältesten Sohn quälte. Ihm war es damals am Sterbebett seiner Frau ebenso ergangen.

Am Silvestertag lag das Haus gespenstisch ruhig da. Keinem war nach feiern zu mute. Daniel hatte in Übereinstimmung mit seinem Vater die Bediensteten frei gestellt, damit sie mit ihren Familien feiern konnten. Und Daniel wiederum verbrachte die Nachmittags- und Abendstunden bei Katherine, an ihrem Bett. Ihr Fieber war etwas zurückgegangen, aber es war noch nicht überstanden. Der Doktor kam täglich vorbei um nach ihr zu sehen. Er brachte Medikamente, konnte ansonsten je-doch nicht viel für seine junge Patientin tun. Daniel konnte die Ungewissheit kaum noch ertragen. Er vermisste Katherines Lachen und das Strahlen ihrer Augen. Er vermisste den Klang ihrer Stimme und ihre bestimmte Art. Gedankenverloren blickte er aus dem Fenster des Zimmers, während das Buch, welches er zur Ablenkung las, auf seinem Schoß ruhte. Aus dem Augenwinkel heraus vernahm er eine Bewegung und sah zu Katherine herüber. Sie drehte sich gerade auf die Seite, das Gesicht in seine Richtung gewandt. Das erste Mal seit Tagen schien der Ausdruck auf diesem friedlich zu sein. Es ging ihr wohl etwas besser. Daniel stand auf und ging zu ihr herüber. Er setzte sich und nahm ihre Hand in seine.

Mit flatternden Lidern öffnete Katherine am Silvesternachmittag müde die Augen.

Die Schmerzen in ihrem Rücken waren nicht mehr so schlimm, aber alle Glieder taten ihr weh und fühlten sich steif an. Sie konnte sich kaum rühren. »Wie geht es dir?«, vernahm sie die tiefe, sanfte Stimme von Daniel Elchot. Sie blickte zu ihm auf. Ein müdes Lächeln umspielte seine Lippen und erreichte seine Augen. Auch sie musste lächeln. Es war schön, ein Gesicht zu sehen, das ihr so wichtig war. Er schien immer bei ihr zu sein, egal wann. »Wie lange habe ich geschlafen?«, war ihre erste Gegenfrage. »Nur eine kleine Weile. Geht es dir besser?« sie nickte schwach. »Die Schmerzen sind erträglicher. Aber ich bin immer noch müde.« »Dann schlaf noch etwas« »Nein.«, widersprach sie jedoch und schüttelte leicht den Kopf.

»Ich habe Angst, dass ich nicht wieder aufwache, wenn ich einschlafe.« »So ein Unsinn.« liebevoll strich er ihr durchs Haar. Eine Geste, die für Daniel inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden war. Er hatte das in den vergangenen Tagen so oft gemacht ohne dass sie es gewusst hätte! Vorsichtig drückte sich Katherine nach oben, sodass sie aufrechter saß. Daniel war ihr behilflich. Sie schlug eine Hand vor den Kopf und erschrak, als sie bereits dabei zitterte. Sie fühlte sich schwach und ihr Kopf dröhnte. »Möchtest du etwas essen?«, wollte er wissen und sah sie eindringlich an. »Nein, ich habe keinen Hunger. Etwas Wasser würde mir reichen« Daniel brachte ihr ein Glas Wasser. Er half ihr und hielt das Glas, während sie es mit beiden Händen umfasste und kleine Schlucke zu sich nahm. Danach fühlte sie sich etwas besser. »Welcher Tag ist heute?«, wollte sie dann wissen und stellte das Glas zur Seite. »Unwichtig.«, bekam sie nur als Antwort. Daniel Elchot sah ihr tief in die Augen. Sie wusste nicht, wie sie diesen Blick deuten sollte.

Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und kam ihr näher, bis er seine Lippen schließlich auf ihre senkte und sie küsste. Für einen kurzen Augenblick war sie wie versteinert. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihre Hände verkrampften sich auf der Bettdecke. Doch seine warmen, weichen Lippen auf ihren und sein unwider-stehlicher Duft ließen sie alles vergessen und sie gab sich ganz diesem Kuss hin. Die Zeit schien still zu stehen für den Bruchteil einer Sekunde. Dann drückte er sie fest an sich und sog ihren Duft tief ein. Worte waren in diesem Moment nicht mehr nötig. Katherine verstand die tiefe Bedeutung dieser wortlosen Geste. Zögernd legte sie ihre Arme um den Mann, der ihr bisher ein Rätsel geblieben war und den sie stets versucht hatte zu erreichen. Nun schien es ihr endlich gelungen zu sein. »Tu mir das nie wieder an, Katherine.«, flüsterte er dann unvermittelt an ihrer Seite. »Ich bitte dich darum. Sei vorsichtiger. Lass mich nicht allein.« diese Worte, von einem Mann der stets so unnahbar wirkte ihr gegenüber, trafen Katherine mitten ins Herz. »Ich verspreche es.« etwas anderes konnte sie gar nicht sagen. Wie sollte sie ihm widerstehen können? Es war einfach unmöglich.

Unvermittelt löste sie sich dann von Daniel Elchot und sah ihn an. Sie fühlte sich schläfrig. Sie brauchte etwas Ruhe. »Ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, aber-« »Ich verstehe schon.«, unterbrach Daniel sie. »Du brauchst Ruhe. Das leuchtet mir ein. Ich werde dich eine Weile allein lassen. Kann ich etwas für dich tun, wenn du wieder aufwachst?« sie schüttelte lächelnd den Kopf. Widerwillig erhob sich Daniel und gab Katherine damit vollkommen frei. An der Tür blickte er noch einmal zu ihr zurück. Katherine war bereits wieder völlig unter die Decke gerutscht und hatte die Augen geschlossen. Er atmete erleichtert auf und schloss dann so leise wie möglich die Tür. Auf dem Gang lehnte er sich an die Wand. Er konnte es kaum glauben! Endlich war Katherine auf dem Weg der Besserung! Endlich konnten alle aufatmen! Nun konnte das alte Jahr doch noch gebührend abgeschlossen werden um das neue zu begrüßen.

Rick kam gerade von draußen. Er schien sehr zu frieren, denn er rieb sich die Hän-de und hauchte hinein. »In den Stallungen ist alles soweit in Ordnung.«, rief er zu seinem Bruder herauf, ehe er bemerkte, dass er gar nicht bei der Sache zu sein schien. Also machte er sich auf dem Weg zu ihm. »Geht es dir nicht gut?«, fragte er noch, als er auf halber Höhe war. Erst jetzt schien sich Daniel zu besinnen. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und wartete dann, bis Rick vor ihm stand. Er blickte seinem kleinen Bruder direkt in die Augen. »Sie ist endlich aufgewacht. Es geht ihr wieder besser.« aufmunternd lächelnd klopfte Rick seinem großen Bruder auf die Schulter. »Das sind gute Nachrichten. Du solltest es ihrer Familie sagen.« Daniel nickte und begab sich auf den Weg.
 

Rick und Resi beschlossen kurzer Hand, am Abend ein Essen für Katherines Fami-lie zu machen. Sie luden alle in den großen Saal ein und verbrachten dort einen freudigen Abend. Nur Daniel hielt sich zurück. Die Anspannung war noch nicht vollkommen von ihm gewichen. Er konnte noch nicht recht daran glauben, dass sie tatsächlich auf dem Weg der Genesung sein sollte!

Es zog ihn wieder nach oben in Katherines Zimmer. Er wollte bei ihr sein und für sie sorgen. Er wollte in ihrer Nähe bleiben und auf sie achten, damit er sicher ge-hen konnte, dass es ihr auch wirklich gut ging. Rick, der neben ihm saß, stieß ihn immer wieder von der Seite an und versuchte ihn aus seinen Gedanken zu reißen, aber es gelang ihm nicht vollkommen. Irgendwann gab er mit einem Seufzen auf. »Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass du die gute Laune von Katherines Familie gar nicht annehmen willst, Daniel.« »Entschuldige. Ich bin einfach nicht bei der Sache.« »Verstehe. Aber solltest du Katherine nicht einfach mal eine Weile für sich lassen? Sie schläft sicher. Du sitzt hier wie auf Kohlen, dabei kannst du im Moment sowieso nichts für sie tun.« »Ich trau dem Frieden nicht. Sie ist noch nicht über den Berg.« »Mein Gott, du bist so ein Schwarzseher. Dann geh eben zu ihr.«

Ohne viel Aufsehen zu erregen verschwand Daniel von der Tafel. Die Nacht war sternenklar, als er durch das Fenster sah. Oben hatte Resi dafür gesorgt, dass das Feuer im Kamin brannte und das Zimmer wärmte. Katherine blicke Daniel mit wachen Augen an. Ein Buch ruhte auf ihrem Schoß, aber sie wirkte noch immer sehr blass und zerbrechlich, auch wenn sie sich bemühte zu lächeln und stark zu wirken. Ohne große Umschweife setzte Daniel sich direkt vor sie auf die Bettkante und legte eine Hand auf ihre Stirn.

»Du hast noch immer Fieber.« »Aber es geht mir besser. Dank der guten Pflege, die Ihr mir zu Teil werden lasst. Nur leider ist es hier oben sehr einsam und langweilig auf Dauer. Ich würde gern einen Spaziergang um das Haus unternehmen.« »Noch nicht. Erst, wenn der Doktor sagt, dass du dafür kräftig genug bist.« Daniel bemühte sich sehr, ruhig zu wirken. Aber er war innerlich sehr angespannt. Er wollte nichts riskieren. Er konnte verstehen, dass Katherine sich bewegen und an die frische Luft wollte, aber er wiederum konnte keinesfalls riskieren, dass sie einen Rückfall erlitt! Das würde er nicht verkraften.

»Tu mir den Gefallen und gedulde dich bis dahin. Dein Fieber muss erst auskuriert sein. Das verstehst du sicher.« widerwillig nickte Katherine. »Ihr habt mir noch im-mer nicht gesagt, welcher Tag heute ist. Ich konnte Stimmen hören im Haus. Gibt es etwas zu feiern?«, fragte sie dann. »Es ist der letzte Tag des Jahres, Silvester. Deine Familie ist unten im Saal und feiert, dass es dir besser geht.« das brachte sie zum Schmunzeln. »Das freut mich. Dann geht es allen ja richtig gut.« es herrschte Schweigen zwischen den beiden für einige Zeit. Katherine sah verträumt aus dem Fenster. »Erzählt mir, was genau geschehen ist.«, eröffnete sie dann. Sie konnte sich an nichts aus den vergangenen Tagen erinnern. Wie auch?

Sie musste im Fieberwahn gewesen sein! Immer wieder war sie von demselben Albtraum heimgesucht worden. Während sie allein im Zimmer gelegen und gelesen hatte, musste sie immer wieder daran denken. Alles war ihr so real vorgekommen. Die Flammen, die sie umgeben hatten, die Schreie der Menschen um sie herum. Jemand hatte sie gehalten, sie beruhigt. Sie konnte nicht mehr genau sagen ob das ein Traum gewesen war oder wirklich geschehen. Es schien, als sollte sie sich an etwas längst Vergangenes erinnern, aber sie wusste einfach nicht, was es war! Je-des Mal, wenn sie angestrengt darüber nachdachte wurde ihr schwindelig und alles verschwamm vor ihrem Blick. Sie wischte sich über die Augen. »Ist alles in Ordnung?«, fragte Daniel besorgt nach und ergriff sie am Handgelenk. »Alles bestens, wirklich. Bitte erzählt mir, was ich alles verpasst habe.« Daniel seufzte. Das hatte er in letzter Zeit ziemlich oft getan. »Du hast wirklich nichts verpasst. Du lagst einige Tage im Fieber. Es stand während dieser Zeit sehr schlecht um dich. Selbst der Arzt konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob du es schaffen würdest.« »So schlimm war es? Ich glaube, ich kann mich dunkel daran erinnern, dass er mit Euch sprechen wollte. Was wollte er?« Daniel zögerte.

Sollte er es ihr wirklich sagen? War sie dazu bereit? Vermutlich. Der Einzige, der es nicht war, war er selbst! Er wollte sie um jeden Preis schützen und vermutlich auch sich selbst. Aber es war ihr gutes Recht, alles zu erfahren. Er durfte es ihr nicht verheimlichen! »Du wirst ab sofort sehr vorsichtig sein müssen. Du bist anfälliger, als andere. Du könntest schnell wieder krank werden.« »Was soll das bedeuten?« Katherine verstand nicht recht. »Seit deiner Erkältung, als du im Wald aufgefunden wurdest, ist dein Körper geschwächt. Darum ging es dir auch so schlecht in letzter Zeit. Selbst ein Schnupfen könnte in Zukunft zu einem großen Problem für dich werden. Du musst sehr vorsichtig mit dir sein und gut auf dich achten.«

»Soll das heißen, dass ich nicht mehr nach draußen gehen darf?« »Nein.« Daniel schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich weiß, das kann ich dir nicht verbieten, selbst wenn ich es wollte. Aber du musst mir versprechen, dass du gut auf dich Acht gibst. Du wirst öfter erkranken als andere und wenn es dazu kommen sollte, wirst du vermutlich mehr als andere darunter leiden.« »Ihr wollt mir also damit sagen, dass ich sterben könnte, wenn ich wieder krank werde.«, stellte sie gelassen fest. Dass etwas nicht in Ordnung war, hatte sie schon lange bemerkt. Sie war normalerweise nicht so anfällig. Aber damit konnte sie leben. Sie musste eben etwas zurücktreten und durfte nicht mehr über die Strenge schlagen. Aber das war in Ordnung!

Sie hatte ihren inneren Frieden gefunden. Sie wusste nun wo sie hingehörte und das konnte ihr niemand mehr nehmen. »In Ordnung. Ich werde mich bemühen, in Zukunft nicht mehr so nachlässig mit mir zu sein.«, versprach sie. Wieder blickte sie aus dem Fenster. Es schienen sich alle große Sorgen um sie gemacht zu haben. Allen voran Daniel Elchot. Der Kuss verwirrte sie noch immer. Und sie musste sich noch für ihr ungebührliches Verhalten von neulich entschuldigen. Sie hatte ihn zu Unrecht bezichtigt, die Situation für ihr Dorf verschlimmert zu haben. »Es tut mir leid.«, sprach sie darum und wagte nicht, den Sohn von Mister Elchot anzusehen. »Was meinst du?«, fragte Daniel erstaunt und betrachtete sie aufmerksam. »Ich war ungerecht zu Euch. Manchmal, wenn mein Temperament mit mir durchgeht, spreche ich schneller als ich denke. Dann sage ich Dinge, die nicht in Ordnung sind. Ich habe Euch vor Eurem Vater bloß gestellt und beschämt. Das tut mir sehr leid. Ich kann diesen Fehler nicht wieder gut machen.« nun lächelte Daniel. Er legte Katherine eine Hand an die Wange und strich ihr im gleichen Atemzug eine Strähne aus dem Gesicht und hinters Ohr.

Sie wandte sich ihm zu bei dieser Geste. »Mach dir bitte keine Gedanken mehr um das, was längst hinter uns liegt.« darauf vermochte sie nichts zu erwidern. »Kann ich noch etwas für dich tun, Katherine?«, fragte er in die Stille hinein. Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich werde vielleicht noch etwas schlafen. Es schmerzt noch immer und ich fühle mich müde. Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich nachher gern mit Rick sprechen.« Daniel versetzte es wieder einen Stich ins Herz, aber er konnte ihr den Kontakt nicht verbieten und er wusste, dass die beiden eine tiefe Freundschaft miteinander verband. Er musste sich keine Sorgen machen. Rick empfand gegenüber Katherine nicht wie er, das beruhigte ihn. Außerdem würde er für sie sorgen wie für eine Schwester und für sie einstehen. Sie genoss den Schutz seiner Familie, mehr konnte er nicht geben oder?
 

Die Zeit verging, das neue Jahr brach an und Mister Elchot Senior brach wieder zu einer langen Geschäftsreise auf. Katherine beobachtete vom Fenster ihres Zimmers aus, wie die Kutsche davonfuhr und Daniel dieser hinterher sah, bevor er schließlich wieder das Haus betrat. Es ging ihr inzwischen deutlich besser. Die Wunden heilten gut, das Fieber war nicht zurückgekehrt und um Daniel zu beruhigen, hatte sie das Haus bisher nicht verlassen. Sie hatte ihm versprochen, auf die Erlaubnis des Doktors abzuwarten und daran würde sie sich halten. Sie wusste, wie besorgt der ältere Elchot-Bruder war und wollte ihm nicht noch mehr Schwierigkeiten bereiten.

Glücklicherweise konnte er ihr nicht verbieten, das Haus zu erkunden und so hielt sie sich oft in dem großen Saal auf, in welchem der Weihnachtsball stattgefunden hatte, um auf die verschneite Gegend hinauszuschauen. Die große Glasfront des Hauses gewährte ihr einen Blick, den sie stundenlang genießen konnte. Sie hatte es noch nicht gewagt, Daniel auf Michael Smith anzusprechen. Es schien ein Thema zu sein, über welches er nicht mehr sprechen wollte. Jedes Mal, wenn sie diesen Namen erwähnte, verfinsterte sich seine Miene und seine Laune sank. Aber sie konnte es auch nicht hinter seinem Rücken mit Rick besprechen. Sie wusste, dass sie Daniel dann in seinem Stolz gekränkt fühlen würde. Und dann wäre er vermutlich noch unleidlicher!
 

Mit einer Stola über den Schultern begab sich Katherine auf den Weg in den unteren Bereich des Hauses. Daniel hatte wieder so beschäftigt geschaut, sodass sie sich zu Resi in die Küche setzen wollte, um ihr Gesellschaft zu leisten. Dort war es immer herrlich warm und gemütlich. Inzwischen hatte sie sich mit einigen Bediensteten der Familie angefreundet und genoss es, sich mit ihnen beim Essen zu unterhalten oder ihren Erzählungen einfach nur stumm zu lauschen. Die Zeit allein in ihrem Zimmer wurde ihr einfach zu lang aber sie wusste, sie durfte Daniel auch nicht ständig stören. Und darum war der Aufenthalt bei den Angestellten in der Küche für sie einfach die beste und aufregendste Abwechslung. Außerdem war Daniel einige Tage nicht bei ihr gewesen und sie ging davon aus, dass er einfach viel zu tun hatte. Aber sie musste sich auch eingestehen, dass ihr die Gespräche mit ihm fehlten. Er war so ernst und tiefgründig und sie mochte es, mit ihm über das Leben zu philosophieren.

Resi stand, wie üblich, am Ofen und war damit beschäftigt, das Essen vorzubereiten, als Katherine die Tür leise hinter sich schloss. Sie setzte sich schweigend an den Tisch und schaute ihr eine Weile zu. »Ich brauche deine Hilfe, Resi.«, eröffnete sie schließlich und erschrocken ließ die Angesprochene die Kelle fallen, welche sie bis eben noch festhielt. Sie drehte sich zu Katherine um und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Was brauchst du denn«, wollte sie wissen. »Ich brauche etwas zum Anziehen. Meine Kleider sind alle bei meinem Onkel im Haus und ich habe versprochen, nicht vor die Tür zu gehen, bevor ich die Erlaubnis dazu habe. Aber ich kann nicht tagelang im Morgenmantel herumlaufen. Daniel Elchot scheint schwer beschäftigt zu sein, denn obwohl er mir zusicherte, er würde meiner Familie bescheid geben, damit sie mir etwas herbringen, ist noch immer nichts bei mir angekommen. Ich muss mich hier verstecken. Im Morgenmantel und Nachthemd kann ich nicht im Haus umherwandern. Das wäre anderen gegenüber sehr peinlich, vor allem, wenn Mister Elchot Besuch bekommen sollte.« Resi nickte zustimmend. »Du hast Recht, das geht nicht. Zum Glück kenne ich die passende Lösung für dieses Problem.«, meinte sie schmunzelnd und bedeutete Katherine, ihr zu folgen. »Bitte nicht wieder eins dieser prachtvollen Kleider.«, warf Katherine ein. Ihr schwante immer Böses, wenn Resi so in sich hineinschmunzelte. »Nein, keine Sorge. Die Kleider wurden auf Anweisung Daniel Elchots aus dem Haus gebracht.« dennoch betraten sie eben jenes Zimmer, in welchem die Kleiderschränke seiner Mutter standen. Als Resi die Türen öffnete, fand sie jedoch völlig andere Kleider darin vor, als zu dem früheren Zeitpunkt, als sie hier gewesen waren. »Daniels Anweisungen waren ziemlich deutlich. Er ließ dieses Zimmer extra für dich neu einrichten. Er wollte, dass es dir hier an nichts fehlt.« staunend ging Katherine umher. Sie bemerkte die frischen Blumen an den Fenstern. Alles wirkte freundlicher und wärmer wie zuvor. Nicht mehr so traurig und grau. »Warum?«, war ihre einzige Frage. »Kannst du dir das denn noch immer nicht denken?« sie lächelte. Natürlich. Sie konnte sich diese Frage selber beantworten.

Resi ließ sie allein in diesem Zimmer und etwas später gesellte sich Katherine, neu gekleidet, wieder zu den Hausangestellten in die Küche. Sie hatte ihre Haare gebürstet und hochgesteckt. Das Kleid war in einem zarten Hellblau gehalten und weiße Spitzenränder zierten die Ärmel und den Saum. »Du wirkst wie die Hausherrin.«, bemerkte Resi. Katherine lachte. »Ich werde Mister Elchot Tee bringen. Er scheint sehr beschäftigt zu sein jetzt, wo sein Vater wieder auf Geschäftsreise ist. Vermutlich wird er nicht mehr aus dem Arbeitszimmer herauskommen« schon machte sie sich an den Schränken mit dem Geschirr zu schaffen und stellte alles auf ein Tablett auf den Tisch.

Eine Weile schaute Resi ihr zu, wie sie den Tee zubereitete und dann aus der Küche verschwand. Katherine sprach kein Wort. Sie wollte auch gar nichts sagen. Die Wunden auf ihrem Rücken zogen etwas, als sie das Tablett in die Hände nahm, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Irgendwann musste sie wieder ganz normal leben. Sie konnte sich nicht ewig ausruhen und sie wollte nicht ständig wie eine Kranke behandelt werden. Vorsichtig klopfte sie an der Tür zum Arbeitszimmer an, wartete eine Antwort jedoch nicht ab. Sie drückte die Türklinke nach unten und trat ein. Wie erwartet, war Daniel in seine Arbeit versunken und schaute nicht mal auf, als sie das Zimmer betrat. »Ich bringe Tee.«, eröffnete Katherine und lächelte, als Daniel endlich zu ihr herüber schaute. Er stand sofort auf und sie stellte das Tablett vorsichtig auf seinem Arbeitstisch ab, darauf bedacht, dass sie nicht seine Papiere beschädigte. Es strengte sie doch mehr an als gedacht, diese einfache Aufgabe auszuführen.

»Du sollst dich doch nicht so sehr anstrengen.«, meinte Daniel nur und sah Katherine tadelnd an. Ihm fiel sehr wohl auf, dass sie eines der neuen Kleider trug und er musste zugeben, dass es ihr sehr gut stand. Es war eine gute Entscheidung gewesen, mit der Vergangenheit abzuschließen und Platz für Neues zu schaffen. »Ich möchte mich nützlich machen. Die Warterei macht mich wahnsinnig. Außerdem geht es mir gut und irgendwann muss ich wieder in den Alltag zurück finden.« »Aber nicht so. Du bist nicht eine meiner Hausangestellten.« Katherine schmunzelte. Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass Daniel Elchot protestieren würde, aber damit kam sie gut klar und er würde sich damit abfinden müssen, dass sie in ihr altes Leben zurückkehrte.

»Der Arzt kommt erst in einigen Tagen wieder hierher. Ich kann nicht tatenlos herumsitzen. Wenn ich schon im Haus bleiben muss, dann möchte ich wenigstens meinen Beitrag leisten und niemandem zur Last fallen. Die Papiere stapeln sich bereits wieder auf Eurem Arbeitstisch. Ihr solltet eine Pause einlegen und etwas essen.« »Du sprichst mich noch immer so förmlich an?« sie nickte und betrachtete den Mann ihr gegenüber aufmerksam. Sie konnte sich einfach noch nicht daran gewöhnen, dass er ihr eine persönlichere Anrede anbot. Er war noch immer der Herr dieses Hauses und sie sein Gast, ebenso wie ihre Familie. Ihr Onkel arbeitete für ihn und sie war dankbar dafür, dass sie alle hier unterkommen konnten. Aber es verging auch kein Tag, an dem sie an die Dorfbewohner auf der anderen Seite des Waldes denken musste. Zu gern wollte sie wissen, wie es ihnen ging und wie sie den Winter bisher überstanden. Seit Michael Smith enterbt und inhaftiert worden war, gab es kaum Neuigkeiten von ihren Freunden. Sie vermisste den Hof ihres Onkels noch immer. Die Ruinen verfielen zusehends und dabei wollte sie dieses Haus unbedingt wieder aufbauen!

»Gibt es Neuigkeiten aus der Stadt?«, fragte sie, um abzulenken. Daniel würde wissen, auf welche Neuigkeiten sie wartete. Der Prozess gegen Michael Smith war noch in vollem Gange und sie wusste, dass Daniel dafür sorgen wollte, dass er so weit weg wie möglich von ihr war. »Nein, keine Neuigkeiten. Es wird sicher noch einige Tage dauern, bis das endgültige Urteil gesprochen wurde« »Und was geschieht dann? Wie geht es weiter? Irgendwann wird er wiederkommen.« »Darüber machen wir uns Gedanken, wenn es soweit ist. Bis dahin wird er eine lange Zeit weg sein.« »Und das Dorf? Wie geht es den Leuten im Dorf auf der anderen Seite des Waldes?« bei diesen Worten trat Katherine an eines der großen Fenster blickte hinaus auf die Auffahrt. »Ihnen geht es gut. Mister Smith Senior kümmert sich um das Wohlergehen der Menschen, welche auf seinem Land leben. So hat er es im-mer gehalten.« »Wie wird es weitergehen, wenn er stirbt? Er ist schon sehr alt und gebrechlich. Als ich ihn das letzte Mal sah, war er sehr krank.« »Mach dir darüber keine Sorgen. Es wird sich eine Lösung dafür finden. Du solltest nicht so viel über solche Dinge nachdenken.«

Katherine seufzte. »Es sind meine Freunde, die in diesem Dorf leben. Ich denke jeden Tag an sie und daran, wie es ihnen wohl geht. Natürlich mache ich mir Gedanken darüber und wie es um ihre Zukunft bestellt ist. Ich bin hier und mir und meiner Familie geht es gut. Aber ich fühle mich auch schuldig, denn nicht alle Menschen leben so gut, wie wir es jetzt tun.« starke Hände legten sich auf ihre Schultern und Katherine zuckte zusammen. Hin und wieder spürte sie ihre Verletzungen nur all zu deutlich. »Das brauchst du nicht. Mister Smith und mein Vater sind zu einer Einigung gekommen und Michaels Vater hat das Land unserer Familie überschrieben. Es wird in unseren Besitz übergehen, wenn Mister Smith Senior stirbt. Du siehst, für die Menschen ist gesorgt. Und nun kümmer dich nicht weiter darum. Sorge dich lieber darum, dass es dir besser geht.« sie seufzte. Sie wusste es wirklich sehr zu schätzen, dass Mister Elchot sich solche Gedanken um ihre Gesundheit machte, aber sie fühlte sich nach wie vor nicht wohl dabei.

»Katherine. Ich weiß, es fällt dir schwer Ruhe zu bewahren. Ich kann dich gut verstehen. Gedulde dich noch einige Tage. Warte wenigstens noch bis der Doktor hier war. Ich bitte dich darum.« »Ich verspreche es.«

Katherine sah Daniel Elchot nicht an. Sie drehte sich zur Seite und ging Richtung Tür. »Warte noch.« und das tat sie. Sie blieb stehen und lauschte auf die Schritte hinter sich, die sich ihr näherten. »Wenn du wieder vollständig genesen bist, möchte ich dich einladen, mit mir in die Stadt zu fahren. Es gibt jemanden, dem ich dich gern vorstellen möchte.« nun drehte sich Katherine um. »Wer sollte das sein?« Daniel lächelte. »Meine Tante. Die Elchots sind eng mit dem Königshaus verwandt und ich möchte dich ihr gern offiziell vorstellen. Zum Osterfest wird es einen Ball geben, an welchem die Mädchen in die Gesellschaft eingeführt werden. Ich möchte, dass du mich dahin begleitest.« Katherine war wie vor den Kopf gestoßen. Was sollte sie dazu sagen? Ihr fehlten die richtigen Worte um Daniel gebührend zu antworten. »Ich muss darüber nachdenken.«, war alles, was sie sagte und ging. Alles in ihrem Kopf drehte sich. Neben der Tür lehnte sie sich an die Wand und schloss die Augen. Sie atmete tief durch. Hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass seine Tante die Königin war und er sie in die Gesellschaft der Edelleute einführen wollte? Warum? Ihr war schlecht und schwindelig und sie wusste nicht, ob es von Daniels Worten kam oder von ihrer Verletzung, welche sie gerade sehr deutlich spürte.

»Alles in Ordnung?«, vernahm sie Ricks Stimme vom Eingang. Sie sah auf. Inzwischen konnte er wieder ganz gut ohne Gehstock laufen. Er machte von Tag zu Tag mehr Fortschritte. Bald würde man von seiner Verletzung nichts mehr merken. Er lächelte, wie jeden Tag. Er war immer gut gelaunt und ließ sich von nichts unterkriegen. Jetzt kam er auf sie zu. »Alles bestens.«, antwortete sie kurz angebunden und versuchte, ihre Fassung wieder zu erlangen. »Du bist ganz blass und du wirkst aufgewühlt. Hat mein Bruder dich geärgert?« »Nein.«, antwortete Katherine und ihre Laune besserte sich schlagartig.

»Mir wird das Warten nur zu lang, bis der Arzt endlich wieder hier ist. Ich möchte gern wieder an die frische Luft und spazieren gehen, aber ich habe deinem Bruder versprochen zu warten, bis der Doktor sagt, dass es in Ordnung ist.« »Ich versteh dich gut. Das Wetter ist einfach zu herrlich, um im Haus zu versauern. Aber du musst auch Daniel verstehen. Er war krank vor Sorge um dich. Er würde es nicht verkraften, wenn dir etwas zustoßen sollte.« »Ich weiß und ich kann es sogar nachvollziehen. Aber will er mich denn für immer einsperren? Wie soll ich auf die Beine kommen, wenn ich immer hier drin sein muss?« »In einigen Tagen kommt der Arzt vorbei. Versuch dir die Zeit bis dahin in der Bibliothek zu vertreiben. Es gibt sicher noch einige Bücher, die du noch nicht gelesen hast. Und wenn dir das zu langweilig wird, hat Resi sicher einige Aufgaben für dich, die sie dir von Herzen überträgt. Du könntest zum Beispiel die Weihnachtsdekoration verschwinden lassen. Vielleicht fällt dir etwas ein, wie wir das Haus freundlicher gestalten können. Immerhin steht der Frühling vor der Tür.«

Noch immer lächelnd, ging Rick die Treppe hinauf. Und Katherine blieb nach wie vor mit ihren wirren Gedanken zurück. Sie seufzte. Das Haus auf Vordermann zu bringen war immer noch besser, als gar nichts zu tun und wenn sie sich richtig umsah, dann wirkte die Weihnachtsdekoration inzwischen mehr als fehl am Platz. Wenigstens hatte die Dienerschaft die Weihnachtsbäume entfernt! Vorsichtig stieß sich Katherine von der Wand ab und lief wieder hinüber in die Küche. Es war ein eigen-artiges Gefühl, dass sie sich wieder einmal um das Haus kümmern sollte. So etwas tat normalerweise die Herrin des Hauses. Aber sie fühlte sich noch immer wie ein Gast und nicht gänzlich zugehörig, zu dieser Welt.

Sie würde ein einfaches Bauernmädchen bleiben, egal in welch feine Stoffe Mister Elchot sie steckte. Sie war nicht die Herrin hier und sie wollte sich auch nirgends reindrängen. Vor allem dann nicht, wenn sie daran dachte, wie Gräfin Elisabeth jedes Mal auf sie reagierte. Resi war noch immer in der Küche, als Katherine sich an dem großen, hölzernen Tisch niederließ um sich auszuruhen. »Du bist ja auf einmal so blass, Kathi. Geht es dir nicht gut?«, doch sie schüttelte nur lächelnd den Kopf, als ihre Freundin diese Sorge äußerte. »Alles in Ordnung. Aber wir werden in den nächsten Tagen wieder viel zu tun haben, Resi. Ich wurde darum gebeten das Haus wieder einmal etwas freundlicher zu gestalten. Ich könnte deine Hilfe dabei gut gebrauchen. Immerhin kennst du dich in diesen Mauern besser aus als irgendein anderer.« nun seufzte auch Resi.

»Hat Daniel dir diesen Auftrag gegeben? Solltest du dich nicht lieber noch etwas ausruhen? Er mutet dir zu viel zu.« »Mir fällt hier wirklich die Decke auf dem Kopf, Resi. Und nein, es war nicht Daniel Elchot, sondern Rick. Vielleicht ist das auch gar keine so schlechte Idee. So habe ich wenigstens eine Aufgabe und kann mich beschäftigen.« »Was hast du dir denn vorgestellt?« Katherine überlegte einen Moment. »Zu allererst muss alles beseitigt werden, was vom Weihnachtsfest übrig ist. Der Winter ist bald vorüber und ein bisschen frischer Wind kann diesem Haus nicht schaden. Und wenn das geschehen ist, stellen wir auf jeden Fall Blumen in jeden Raum. Außerdem könnten die Fenster im Eingangsbereich neue Vorhänge gebrauchen. Die jetzigen sind ziemlich dunkel und drücken einem aufs Gemüt. Es wird Zeit für etwas mehr Farbe. Das würde sicher auch Mister Elchot Senior gefallen, wenn er von seiner Reise zurück ist.« Resi lächelte.

»Du weißt, dass solche Aufgaben normalerweise die Herrin eines Hauses über-nimmt oder?« Katherine stutzte. Es war nicht das erste Mal, dass Resi das sagte. »Wieso sagst du das immer wieder?« »Weil ich das Gefühl nicht los werde, dass Daniel dich wohl auf kurz oder lang hier behalten wird und dich zu eben jener machen wird. Oder irre ich mich etwa?« Katherine überlegte. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Daniel verhielt sich ihr gegenüber noch immer merkwürdig. Er war nicht mehr so abweisend wie am Anfang, aber sie traute ihm noch nicht völlig über den Weg und hielt ihn lieber noch auf Abstand.

»Denkst du das denn wirklich?«, fragte sie darum verdutzt. »Mister Elchot äußerte erst vorhin mir gegenüber, dass er mich seiner Tante auf dem Osterball vorstellen möchte. Vielleicht hast du wirklich recht damit.«, murmelte sie vor sich her. Nun stockte Resi in ihrer Arbeit. »Ist das wahr?«, wollte sie wissen. Katherine sah ihre Freundin an. Sie schien ihr nicht recht glauben zu wollen. »Ist dir klar, was das bedeutet, Katherine?« »Nein, nicht wirklich. Ich weiß auch gar nicht, ob ich diese Einladung annehmen soll. Ich gehöre einfach nicht in diese Gesellschaft und ich kann auch gar nicht tanzen. Weißt du denn, was das alles zu bedeuten hat?« »Er wird dich mit diesem Fest offiziell in die Gesellschaft einführen, Katherine. Deine Familie wird an Ansehen dazu gewinnen. Und was es außerdem zu bedeuten hat, werde ich dir wohl kaum erklären müssen.«

»Und erneut zur Zielscheibe von Leuten werden, die etwas gegen uns haben? So egoistisch darf ich nicht sein! Gräfin Elisabeth hasst mich. Sie denkt von Anfang an, dass ich es nur auf den Reichtum der Elchot-Familie abgesehen habe. Sie wird nichts unversucht lassen, um ihre Intrigen zu spinnen und meiner Familie damit zu schaden.« »Dann solltest du Daniel davon erzählen. Er versucht Gutes für dich zu tun. Wenn du ihm nicht sagst, dass du befürchtest damit den Zorn anderer auf dich zu ziehen, wird er nicht wissen dass seine Bemühungen genau das Gegenteil bewirken.« »Ich kann ihm das unmöglich sagen, Resi. Die Gräfin gehört zu seiner Familie. Er wird denken, dass ich einen Keil zwischen ihn und seine Cousine treiben will. Ich kann ihn nach allem, was er für meine Familie und das Dorf getan nicht, nicht so vor den Kopf stoßen. Das wäre unverschämt.« nun setzte sich Resi zu Katherine an den Tisch.

»Offenbar bist du mit der Familiengeschichte der Elchots nicht sonderlich gut vertraut. Miss Elisabeth war schon immer das Biest dieser Familie. Sie bildet sich sehr viel auf ihren Stand ein, in welchen sie hinein geboren wurde. Daniel weiß sehr wohl, dass sie sich nicht so verhält, wie es eine Frau von Adel tun sollte. Du musst nur etwas sagen und er wird ihr sofort verbieten, je wieder einen Fuß auf sein Grundstück zu setzen. Sie mögen zu einer Familie gehören aber das bedeutet noch lange nicht, dass er nicht auf ihre Anwesenheit verzichten kann.« Katherine erwiderte nichts darauf. Wenn es um Mister Elchot ging war sie kein Mensch der großen Worte. Sie wusste nie, wie sie sich Daniel gegenüber verhalten sollte. Es konnte nicht gut sein, Zwist zwischen Familienmitgliedern zu sähen. Egal, welche Probleme sie mit dieser Person hatte oder umgekehrt. Sie hatte nicht das Recht dazu, Miss Elisabeth gegenüber anderen schlecht zu machen. Erst recht nicht, wenn es die eigene Familie war.

Sie stand auf von dem großen Tisch, der mitten in der Küche stand. Sie musste in Ruhe über alles nachdenken auch wenn sie tief in ihrem Inneren bereits eine Entscheidung getroffen hatte.



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